Royal Arrow - G. A. Aiken - E-Book

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G. A. Aiken

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Beschreibung

Ein gespaltenes Reich, eine uralte Prophezeiung und heiße Magie! Ainsley Farmerson wollte sich schon lange von ihrer Familie lossagen und sowohl der Schmiede ihres Vaters als auch den Auseinandersetzungen mit ihren Schwestern entkommen. Doch was einst eintönige Farmarbeiten und lästige Streitereien waren, hat sich seit dem Tod des alten Königs zu einem offenen Krieg zwischen Ainsleys Schwestern entwickelt. Jetzt kann sich Ainsley nicht mehr von den Familiendramen fernhalten. Sie hat längst entschieden, welche ihrer Schwestern die nächste Königin sein sollte, und sie wird alles dafür tun, um die herzlose Beatrix zu stürzen. Auch, wenn das bedeutet, sich mit aggresiven Kriegsnonnen, streitlustigen Mönchen und überheblichen Zentauren-Gestaltwandlern zusammenzutun. Prickelnde Spannung von der New-York-Times-Bestsellerautorin! Gruffyn, ein Zentauren-Gestaltwandler aus dem Clan des Zerrissenen Mondes, hat keine Zeit für die Geplänkel der Menschen. Doch die unkontrollierbare Prinzessin Ainsley hat etwas an sich, das er nicht ignorieren kann. Vielleicht liegt es daran, dass ihre älteren Schwestern sie dauernd unterschätzen. Oder an der mutigen Art, wie sie es mit Drachen und verrückten Königinnen aus fernen Ländern aufnimmt. Als unter den Menschen ein schonungsloser Krieg um den Thron ausbricht, steht Gruffyn an Ainsleys Seite. Standhaft. Ausdauernd. Und ohne Erbarmen. Band 1: Blacksmith Queen Band 2: Princess Knight Band 3: Royal Arrow

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Link

© G. A. Aiken 2022

Published by Arrangement with G. A. Aiken

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Heretic Royal«, Kensington Publishing Corp., New York 2022

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Guter Punkt München, Christl Glatz unter Verwendung von Motiven von iStock/Getty Images Plus und Adobe Stock

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

»Bringt sie alle um.«

Das Bataillon seiner Königin erstürmte gerade die Stadt, die von der falschen Königin für sich und ihre Freunde erbaut worden war, sodass er die Worte wegen des donnernden Hufschlags kaum verstand. Aber er vernahm die Worte der unbekannten Frau wie ein Flüstern im Wind und sah sie in Gedanken vor sich, wie sie aufrecht dastand und mit einer kurzen Handbewegung in Richtung seiner Reiter wies. Er versuchte, den Soldaten, mit denen er reiten musste, eine Warnung zuzurufen. Er selbst war natürlich kein Soldat. Er hätte überhaupt nicht hier sein sollen! Aber König Marius der Hasserfüllte hatte ihn hergeschickt, und sein Herr hatte sich dem Befehl nicht widersetzt.

Nun war er also hier, um die Soldaten bei diesem Angriff zu »unterstützen« und dann Bericht darüber zu erstatten, was er gesehen hatte. Er wusste, dass sein König nicht damit rechnete, den Großteil dieser Soldaten lebend wiederzusehen. Im Grunde wollte er nur wissen, über wie viele Truppen die falsche Königin nach ihrer Schlacht mit Cyrus, dem Halbbruder des Königs, noch verfügte. Cyrus der Verehrte hatte einen mächtigen und hasserfüllten Gott auf seiner Seite, war von dieser falschen Königin aber dennoch besiegt worden.

Als das Bataillon am frühen Morgen auf die massiven Mauern um den Turm der falschen Königin zugestürmt war, war er wirklich davon überzeugt gewesen, dass dies keine große Schlacht werden würde. Eher ein Massaker. So etwas liebte Beatrix, die wahre Königin dieser Soldaten. Aber dann hatte der Wind um sie herum zugenommen, und nun bebte plötzlich der Boden unter ihren Füßen. Wieder und wieder. Als würde etwas Schweres auf die Erde aufschlagen. Er versuchte, die Soldaten aufzuhalten. Er warnte den Kommandanten, dass sie umkehren müssten, aber seine Worte wurden einfach abgetan, ignoriert. Diese Soldaten scherten sich nicht um Magie oder diejenigen, die sie wirkten, wenn Blutvergießen und wehrlose Frauen in Sicht waren. Also galoppierte das Bataillon weiter auf die Tore der Stadt der falschen Königin zu. Sie preschten weiter, auch als er ihnen zuschrie, innezuhalten und kehrtzumachen. Seine Vorsicht hatte nichts mehr mit dem erzitternden Boden zu tun, sondern mit dem, was er auf der anderen Seite der massiven Tore erkennen konnte. Oder besser gesagt, dem, was bedrohlich über ihnen aufragte.

Köpfe und Schultern. Riesige Köpfe und Schultern, die in Rüstungen steckten, durch deren Öffnungen am Rücken sich geschuppte Flügel entfalten konnten.

Er schrie die Soldaten immer wieder an, aber entweder ignorierten sie ihn weiterhin oder sie konnten ihn vor lauter Hufgetrappel nicht hören. Vielleicht war ihre Gier nach Zerstörung auch einfach zu stark, als dass sie die Gefahr direkt vor ihnen hätten erkennen können. Sie ritten weiter, und er blieb an ihrer Seite, auch nachdem sie das Tor niedergerissen hatten. Doch dann tauchte in der Lücke zwischen den nun offenen Toren ein gewaltiger Kopf auf – mit einem so großen Helm, dass darin bequem eine kleine Familie mit ein paar Hunden hätte leben können. Die Kreatur holte Luft, und fast alle Pferde der Soldaten blieben schlagartig stehen. Beutetiere erkannten Raubtiere immer, daher versuchten die Pferde, die nicht ineinandergekracht oder gestürzt waren, umzudrehen und wegzugaloppieren, obwohl ihre Reiter sie lautstark vorwärtstrieben.

Er wartete nicht ab, bis sein Pferd reagierte – er wendete es und stürmte davon, als die mächtigen und unerbittlichen Flammen das Bataillon verschlangen, das er hinter sich zurückließ. Er hörte die Schreie der Männer und ihrer Pferde. Zumindest die Schreie derjenigen, die nicht sofort vom Inferno vernichtet wurden, wie der Kommandeur und diejenigen, die er ausgewählt hatte, beim Angriff an seiner Seite zu reiten. Sie wurden zu Asche, bevor sie überhaupt begriffen, was geschah.

Aber der Rest des Bataillons … Sie schrien. Und schrien. Er wusste, dass einige versuchen würden, sich auf dem Boden zu wälzen, um die Flammen zu löschen, aber es würde nichts nützen. Dies waren nicht die Flammen eines außer Kontrolle geratenen Waldbrandes. Da halfen auch keine Eimer mit Wasser oder Tierfelle, die über die sich windenden Körper geworfen wurden.

Er galoppierte weiter und sandte mithilfe seiner Magie bereits eine Warnung an seinen Meister. Im Geiste flehte er ihn an, seine starken Kräfte zu nutzen, um ein Portal zu öffnen und ihn zurück in die Sicherheit des Palastes der wahren Königin zu befördern. Doch gerade als er spürte, wie sein Herr auf seinen panischen Ruf reagierte und ihn fragte, was los sei, blieb sein Pferd abrupt stehen.

Ein leiser Pfiff war ertönt. Ein ruhiger, leiser Pfiff, über den er nicht mehr nachdenken konnte, weil das Pferd abrupt stoppte und sich auf die Hinterbeine stellte und ihn dabei abwarf. Er war nicht gerade der beste Reiter, und das Pferd war ihm von einem der Soldaten überlassen worden, sodass das Tier ihm gegenüber keinerlei Loyalität empfand. Und so kam es zum Stehen, als es zum Anhalten aufgefordert wurde.

Er stürzte schwer und konnte sich gerade noch in einen Schutzzauber hüllen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Ein gebrochenes Rückgrat blieb ihm dadurch erspart, mehr konnte er nicht verlangen. Trotzdem kostete es ihn Zeit, wieder aufzustehen, denn der Sturz hatte ihm sämtliche Luft aus der Lunge gepresst. Aber er rappelte sich erfolgreich wieder auf und stand nun auf seinen wackeligen Beinen.

Dann fragte jemand hinter ihm: »Was machst du da, Zauberer?«

Er erstarrte. Pisse lief ihm bereits das Bein hinunter, noch bevor er sich umwandte. So groß war die Furcht, die sie bei anderen auslösten. Allein das Wissen, dass sie in der Nähe waren, brachte einen Mann oder einen Zauberer dazu, sich zu besudeln.

Nicht einmal die Tatsache, dass die Stimme weiblich klang, beruhigte ihn. Die Weibchen waren dafür bekannt, noch grausamer zu sein als die Männchen.

Er zwang sich dazu, sich zu der Kreatur umzuwenden, die mit ihm gesprochen hatte. Wie die anderen, die er gesehen hatte, steckte diese hier in einer Rüstung und trug zahlreiche Waffen. Auf ihrem Kopf trug sie einen Helm, und ein Kettenpanzer und eine Brustplatte schützten die wichtigen Bereiche ihres Körpers. Sie ragte über ihm auf wie der Turm der falschen Königin, aber beim Anblick des Turms hatte er kein Grauen empfunden. Er war einfach etwas, das niedergerissen werden musste, hoffentlich mit der Familie der falschen Königin in seinem Innern. Das hätte der wahren Königin große Freude bereitet!

Doch seine Chance, sich seiner Königin und seinem Herrn zu beweisen, war nun dahin. Die Kreatur schaute ihn eine gefühlte Ewigkeit lang an, bis die hohen, uralten Waldbäume hinter ihr sich bewegten und noch eins dieser Geschöpfe auftauchte.

»Was machst du da?«, fragte der Neuankömmling, dessen Stimme männlich klang.

»Den hier habe ich gefunden, als er versuchte, dem Schicksal der Armee da drüben zu entfliehen«, antwortete die erste Kreatur und deutete mit einer schwarzen Kralle in die Richtung.

»Ah«, sagte der männliche Drache. »Frühstück.«

»Du kannst später essen. Sollen wir den da zu Annwyl bringen?«

Obwohl der Drache nicht mit ihm sprach, riss er den Mund auf, um zu beteuern: »Ja, ihr solltet mich zurückbringen, zu wem auch immer ihr wollt!« Er hoffte, noch ein paar Sekunden länger am Leben zu bleiben. Doch dann zerriss etwas mit solcher Wucht seine Brust, dass er spürte, wie sich sein Herz aus seiner Verankerung löste. Er hatte nur noch wenige Sekunden zu leben, aber er schaute nach unten und sah, dass es kein Speer war, der ihn durchbohrt hatte, sondern ein … Schwanz?

Ein mit Schuppen bedeckter Drachenschwanz mit einer scharfen Spitze am Ende. Eine Spitze, die jetzt sein immer noch schlagendes Herz aufspießte. So schnell war der Angriff vonstatten gegangen.

»Behalte das Pferd«, befahl der Besitzer des Schwanzes. »Der Hengst ist aus guter Zucht. Aber keine Gnade für jemanden, der seine eigene Truppe im Stich lässt und wegläuft.«

Er spürte, wie er vom Boden abhob, und nahm an, dass sein Gott ihn holen kam. Aber während ihm langsam schwarz vor Augen wurde und mit seinem Blut auch sein letzter Atemzug den Körper verließ, wurde ihm klar, dass es der immer noch in seiner Brust steckende Schwanz war, der ihn hochhob.

»Und«, sagte der Drache aus der zunehmenden Dunkelheit heraus, »wenn du Hunger hast, iss das Herz dieses Burschen. Es scheint mir ziemlich saftig zu sein.«

»Tötet sie alle!«

Ainsley schloss die Augen und wartete darauf, von den Flammen ausgelöscht zu werden, genau wie die angreifende Armee einige Sekunden zuvor ausgelöscht worden war. Aber nach fast einer Minute des Wartens begriff sie, dass sie noch lebte. Vielleicht.

Sie zwang sich, ein Auge zu öffnen, um festzustellen, ob sie noch am Leben war oder ob sie sich bereits auf der nächsten Ebene der Existenz befand. Vielleicht warteten ihre Vorfahren auf sie. Oder vielleicht würde sie im Weltraum schweben und darauf warten, dass ihre Seele zu einem Neugeborenen auf der Erde zurückgerufen wurde.

Aber nein, nichts von alledem geschah. Stattdessen befand sie sich noch immer in der Mitte des Übungsrings in der Festung, hinter ihren Schwestern, während vor ihnen eine verrückte Kriegerin stand … und Drachen. Sie war umzingelt von gigantischen Drachen.

Drachen, die sprechen konnten. Genau wie sie. Sie konnten außerdem lächeln, lachen und verärgert wirken. Alles, wovon Ainsley geglaubt hatte, dass es nur Menschen tun konnten, beherrschten auch die Drachen.

Natürlich konnten sie auch fliegen, Feuer spucken und Menschen zerquetschen, indem sie einfach auf sie traten.

Doch trotz der vielen Dinge, die sie tun konnten, um alles Leben um sie herum zu vernichten, waren es nicht die Drachen, vor denen Ainsley sich am meisten fürchtete.

Obwohl sie furchterregend waren, schienen sich die Drachen in ihrer makellosen Rüstung und mit ihrer höflichen Konversation insgesamt zurückzuhalten. Sie konnte sich beinahe vorstellen, wie einer von ihnen »Ich bitte um Verzeihung« murmelte, bevor er einen wehrlosen Menschen wie ein leckeres Gebäckstück behandelte und ihn sich in eins dieser grauenvollen Mäuler stopfte.

Nein. Ihre Furcht und, wie sie vermutete, die Furcht ihrer Schwestern galt der Frau. Der menschlichen Frau, die in einem ärmellosen Kettenhemd und ledernen Beinkleidern und Stiefeln vor ihnen stand. Sie hatte kräftige, mit Narben übersäte Arme, zwei Kurzschwerter auf dem Rücken und langes, offenes dunkelbraunes Haar mit goldenen Strähnen, das aussah, als hätte es seit Jahren keinen Kamm mehr gesehen. Obwohl dieses Haar fast ihr ganzes Gesicht verdeckte, konnte Ainsley trotzdem mehrere Narben erkennen, die von einer Seite zur anderen verliefen. Einige waren lang und gezackt und führten von ihrer Stirn bis hinunter zum Kinn. Andere Narben waren kurz, aber tief. Und alle bewiesen, dass die Frau an mehr als einer Schlacht teilgenommen und sie überlebt hatte.

Doch es waren ihre Augen. Diese dunklen graugrünen Augen, die Ainsley erschaudern ließen. Es waren die Augen einer Wahnsinnigen. Einer Wahnsinnigen, die Drachen befehligte. Eine Menge Drachen, die reden und Waffen benutzen konnten, abgesehen natürlich von ihrer Fähigkeit, Feuer zu speien.

Die Sonnen waren noch nicht einmal ganz aufgegangen, und schon jetzt war es ein beschissener Tag! Die Wahnsinnige zeigte auf Keeley, Ainsleys älteste Schwester, und fragte scharf: »Bist du es? Bist du die Sklavenhalterin?«

Keeley öffnete den Mund, um zu antworten, aber es kam nur ein seltsames Quieken heraus. Ainsley reckte den Hals, um ihr Gesicht zu sehen, und Keeley räusperte sich, bevor sie es erneut probierte. Beim zweiten Versuch gelang ihr nicht einmal ein Quieken. Es kam bloß ein merkwürdiges Grunzen heraus.

Mit weit aufgerissenen Augen schaute sich Gemma, Ainsleys zweitälteste Schwester, zu Keeley um.

»Was machst du da?«, zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Aber Keeley schaffte es nur, panisch mit den Händen zu wedeln und den Kopf zu schütteln.

Gemma schielte und schaute wieder zu der Wahnsinnigen hinüber. »Ich …«, war alles, was ihr über die Lippen kam, bevor die Wahnsinnige auf die Rune zeigte, die auf Gemmas Waffenrock gestickt war, und knurrte: »Bist du ein Mönch?«

»Ähm …« Vielleicht war es die Art, wie die Frage gestellt wurde, die Gemma beunruhigte. Oder der irre Ausdruck in den Augen der Wahnsinnigen. Aber was immer es war, »ähm« war das Einzige, was Ainsleys Schwester – ein Kriegsmönch, der Feinde ohne einen Funken Reue oder Angst vernichtet hatte – im Moment herausbekam.

Das brachte sie alle in eine brenzlige Lage. Denn ihr Schweigen schien die Wahnsinnige zu erzürnen.

»Nun?«, drängte die Wahnsinnige. »ANTWORTE MIR!«

Er spürte ihre Furcht durch den Wind, durch die Brise, die über die Spitzen seiner Ohren strich. Er setzte sich aufrecht hin und ließ den Blick über das Land ringsum wandern. Er sah nichts, wusste aber, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war nicht nur ihre Furcht, sondern …

Der Wind. Es war der Wind, der ihm sagte, dass etwas nicht stimmte. So früh am Morgen sollte kein Wind wehen. Es sollte alles still sein. Ruhig. Aber es windete stark, und die Bäume wurden wild hin und her gepeitscht. Die jüngeren, schwächeren Stämme schienen unter der enormen Kraft jeden Moment zu brechen.

Er stand auf, und sein Rudel erhob sich mit ihm. Sie brauchte ihn. Er spürte es durch den Boden unter seinen Pfoten. Roch es in dem stürmischen Wind, der um sie herum tobte. Hörte es am Schweigen der Morgenvögel und der Krähen, die weder krächzten noch krähten oder schimpften.

Er verschwendete keine Zeit mehr und rannte los. Rannte mit allem, was er zu bieten hatte. Rannte, als trieben ihn die Dämonen seiner Hölle mit ihren Peitschen aus Ketten und Feuer vor sich her. Weil sie ihn brauchte und nichts, absolut nichts ihn daran hindern würde, zu ihr zu eilen und die Menschenfrau zu beschützen, die ihn als Welpen beschützt und für ihn gesorgt hatte, bis er alt genug und stark genug gewesen war, um für sich selbst zu sorgen.

Er stürmte über Hügel und durch Dörfer hindurch, vorbei an Seen und durch Flüsse, hinein in Wälder und durch Höhlen, bis er ihr Gebiet erreichte. Mit seinem Rudel preschte er durch die zerstörten Tore und sah Kriegsmönche, Hexen und Priester, die mit gezückten Waffen außerhalb der Stadtmauern standen. Aber keiner von ihnen tat irgendetwas, um die Königin zu schützen, die sie beschützt hatte. Angesichts ihrer Schwäche zog er verächtlich die Lefzen zurück und sprang über die verbrannten Leiber von Soldaten und Wachen.

Er bemerkte die Drachen im Übungsring, die hoch aufgerichtet und stolz in ihren Kampfrüstungen dastanden, aber das hielt weder ihn auf noch sein Rudel. Jede Hölle besaß ihre eigenen Drachen, und sie waren schrecklicher als diese sterblichen mit ihrem langen, glänzenden Haar und ihren Benimmregeln. Höllendrachen kannten keine Benimmregeln.

Er sprang über die Füße mit den scharfen Krallen und stürmte um die bedrohlichen Drachenschwänze herum, damit er die menschliche Frau erreichen konnte, die er so liebte. Er sah sie dort neben zwei von ihren Schwestern stehen. Vor ihnen allen stand eine Frau. Sie schrie die, die er beschützen wollte, und ihre Schwestern an. Er beschleunigte sein Tempo und machte sich bereit, dem weiblichen Eindringling auf den Rücken zu springen und ihn zu Boden zu reißen, wo er ihn vernichten konnte, bevor seinem Menschen auch nur das geringste Leid widerfuhr.

Doch als er gerade zum Sprung über die letzten paar Meter ansetzte, drehte die Frau den Kopf. Als er ihr Profil sah, stemmte er alle vier Pfoten vor sich in den Boden, um seinen Lauf zu bremsen. Der Rest seines Rudels purzelte übereinander bei dem Versuch, ebenfalls stehen zu bleiben, denn sie alle hatten jetzt die Frau erkannt, obwohl sie ihr noch nie persönlich begegnet waren. Noch nie vor ihr gestanden hatten. Noch nie ihre Stimme gehört hatten. Sie alle kannten sie. Jeder in jeder Hölle kannte sie.

Als die Frau das Rudel entdeckte, drehte sie sich zu ihnen um, und in diesem Moment machte er panisch kehrt und floh in die Richtung, aus der er gekommen war.

Die Kinder, durchzuckte es ihn. Er sollte sich in die höheren Stockwerke des Turms hinaufschleichen und die Kinder beschützen. Das war es, was sein Mensch von ihm gewollt hätte. Richtig? Zumindest redete er sich das ein, als er sein Rudel so weit wie möglich von der verrückten Frau wegführte.

Ainsley beobachtete den Dämonenwolf, den ihre älteste Schwester so liebte – und der ihre Liebe erwiderte –, wie er sich unbeholfen mit seinem gesamten Dämonenwolfsrudel umdrehte und davonrannte.

Sie blinzelte. Fassungslos. Jede dieser Bestien hatte die Drachen direkt angesehen und war weitergestürmt, um Ainsleys Schwester zu helfen, aber sobald diese Wahnsinnige ihren Blick auf sie gerichtet hatte … rannten sie davon?

Im Laufe der Jahre hatte Ainsley erlebt, wie diese Wölfe – und insbesondere der Leitwolf – sich in die gefährlichsten Situationen begeben hatten, nur um Keeley zu schützen. Aber ein einziger Blick auf diese Frau, und sie rannten davon.

Noch beängstigender als die Flucht der Dämonenwölfe war die Erkenntnis, dass Ainsley noch keinen der Zentauren gesehen hatte. Eine ganze Armee von Zentauren durchstreifte das Land, um Königin Keeley zu helfen, ihrer Schwester die Krone vorzuenthalten. Was bedeutete, dass Keeley nicht einmal rülpsen konnte, ohne dass ein Zentaur an ihre Seite eilte, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht in Gefahr war. Und doch waren die Königin und ihre beiden königlichen Schwestern umringt von Drachen, und kein einziger Zentaur war aufgetaucht?

Hatten sie wirklich nichts gehört? Nichts gesehen von den vielen Drachen, die über sie hinweggeflogen waren? Hatten sie nicht einmal das brennende Fleisch gerochen?

Wie war das möglich …?

Es sei denn, die mächtigen Zentauren waren bereits tot.

Bei den Göttern, wenn das stimmte …

Es war Zeit, zu verschwinden. Da die Zentauren – höchstwahrscheinlich – zu Asche verbrannt und die Dämonenwölfe wie die Irren geflohen waren, hatte Ainsley nicht die Absicht, hier stehen zu bleiben und darauf zu warten, von den Krallen und Reißzähnen der Drachen zerfetzt zu werden. Hatte diese Wahnsinnige ebenfalls Krallen und Reißzähne? Gut möglich. Mittlerweile gab es nichts mehr, was Ainsley nicht geglaubt hätte.

Also würde sie sich entfernen und höher gelegenes Terrain suchen. Sie brauchte nur Pfeil und Bogen, um ihn dieser Frau ins Herz zu schießen und sie damit hoffentlich zu erledigen. Oder sie zumindest so weit zu schwächen, dass all die fanatischen Mönche und Priester, die auf der anderen Seite der Stadtmauer warteten, angreifen konnten.

Auf keinen Fall jedoch würde Ainsley hier stehen bleiben und darauf warten, dass sie starb.

Ainsley tat einen kleinen Schritt rückwärts, aber schon streckte Gemma ihren Arm um ihre älteste Schwester herum aus und packte Ainsleys Hand, ohne überhaupt hinzusehen.

Sie riss sie näher heran, sodass Ainsley nun ebenfalls vor Keeley stand. Eine Position, die ihr nicht gefiel. Dann pflanzte Gemma ihren Stiefel auf Ainsleys Fuß, um sie in Schach zu halten.

»Du bleibst schön hier«, flüsterte Gemma und ignorierte das gequälte Wimmern ihrer Schwester.

»Bin nicht ich das Baby?«, fragte Ainsley. »Ihr zwei wolltet mich immer unbedingt beschützen.«

»Deine Babytage sind offiziell vorbei, und das bedeutet, dass wir die Königin beschützen. Und das bist nicht du!«

»Wenn diese Verrückte euch beide erst getötet hat und ihr von den Drachen aufgefressen wurdet, werde ich Königin sein und … Au! Du blöde Kuh!«, stieß Ainsley hervor, als Gemma ihr mit großer Wucht auf den Fuß trat.

»Du wirst hier bei uns bleiben, und wir werden alle zusammen sterben!«, zischte Gemma zornig. »Wie sich das für eine Familie gehört.«

»Hört auf, zu flüstern!«, blaffte die Wahnsinnige sie an.

»Entschuldigung«, antwortete Gemma schnell und fixierte Ainsleys Fuß erneut mit ihrem eigenen auf dem Boden.

Die Wahnsinnige winkte in Gemmas Richtung ab. »Ich rede nicht mit dir.«

Ainsley sah wieder zu Keeley, aber ihre älteste Schwester konnte nur mit den Schultern zucken. Denn wenn die Wahnsinnige nicht mit Ainsley und Gemma sprach, mit wem sprach sie dann …?

»Mit wem in allen Höllen sprichst du?«, fragte ein Drache und nahm seinen Helm ab, sodass sein glänzendes schwarzes Haar zum Vorschein kam. Es war zu einem Zopf geflochten, der ihm über den Rücken hing. Eine kurze Locke fiel ihm jedoch über die dunklen Augen und ließ ihn irgendwie erheblich weniger monströs wirken.

Die Wahnsinnige drehte sich zu dem Drachen um und starrte ihn herausfordernd an.

»Spielt es im Moment eine Rolle, mit wem ich rede?«, fragte die Wahnsinnige.

Der Drache runzelte dir Stirn. »Ja. Ja, das spielt durchaus eine Rolle.«

Er hasste das hier. Hasste es aus tiefster Seele.

Und nur wegen des verräterischen Betragens seiner Blutsverwandten vor mehr als siebentausend Jahren war er jetzt gezwungen, es zu ertragen, hatte es inzwischen seit mehr als einem Jahr Woche für Woche ertragen.

Dieses Treffen vor der Morgendämmerung war besonders ärgerlich, weil es nichts zu besprechen gab. Eine große Schlacht war vor nicht allzu langer Zeit zu Ende gegangen, aber es standen noch weitere Schlachten bevor. Darauf waren sie alle vorbereitet und dafür ausgebildet. Er hatte keine Ahnung, warum sie überhaupt hier waren, um Dinge durchzukauen, die sie bereits wussten.

Sein Blick fiel auf all die Zentauren im Apfelhain, die ebenfalls gezwungen waren, ihre Zeit zu verschwenden, während Ihre Königliche Hoheit – Prinzessin Laila vom Clan der Vernarbten Erde und künftige Herrscherin der Amichai – über die banalsten Dinge der Welt schwafelte.

An jedem anderen Tag hätte er geknurrt und mit den Hinterbeinen aufgestampft, bis er die beiden Brüder Ihrer Königlichen Hoheit so verärgert hätte, dass sie ihm und seinem Stamm befahl, zu verschwinden – und somit ihre Blutsverwandten davon abzuhalten, einen Kampf zu beginnen, den sie unmöglich gewinnen konnten. Wie ihre Mutter vermied Prinzessin Laila klugerweise jeden Kampf mit seinem Stamm. Ihre Vorfahren mochten den Thron vor siebentausend Jahren errungen haben, aber jetzt hätten sie ihn niemals bekommen. Also ließ sie kein durchsichtiges Manöver zu, das so etwas ermöglicht hätte. Na bitte. Kluges Mädchen.

Heute tat er jedoch nichts, um Ihre Königliche Hoheit zu zwingen, dieses lächerliche Treffen der Zentauren zu beenden. Denn heute geschah tatsächlich mal etwas.

Es hatte Minuten vor diesem überflüssigen Ereignis begonnen, als Gruffyn vom Clan des Zerrissenen Mondes die Macht uralter Magie gespürt hatte, die wie eine warme Decke über ihn hinwegfloss. Er war ruckartig aufgewacht und hatte sich umgeschaut, in der Erwartung, einen Meisterzauberer direkt vor sich zu sehen. Aber er hatte nur Sarff entdeckt, diejenige, die ihn in Magie, mystischen Kräften und Enthauptungen ausgebildet hatte. Sie hatte zum Himmel aufgeschaut, aber Gruff hatte nichts gesehen. Das bedeutete natürlich nur, dass derjenige, der diese Macht wirkte, viel stärker war, als er es sich jemals hätte träumen lassen.

»Gut«, hatte Sarff gemurmelt, als er neben sie getreten war. Ihr Blick war immer noch auf den Himmel gerichtet. »Ich habe mir Sorgen gemacht, dass du das Ganze wie der Rest deines jämmerlichen Stamms verschlafen würdest.« Sie deutete auf seine schlafende Schwester und die Mitglieder der Gruppe, die sein Vater handverlesen hatte. Ihre Befehle von vor einem Jahr waren einfach gewesen: Tretet den anderen Kriegerclans der Zentauren bei, die auserwählt sind, die neue menschliche Königin zu beschützen und ihr behilflich zu sein. Keiner der Clans war damit glücklich gewesen. Warum beschützten sie eine menschliche Königin? Die Menschen hatten noch nie irgendetwas getan, um sie zu beschützen. Aber die herrschende Stute hatte keinen Widerspruch hören wollen. Also hatten Gruff und die anderen die Befehle befolgt, wie man es ihnen beigebracht hatte.

Doch es war nicht leicht. Mit all diesen Menschen zusammen zu sein. Die neue königliche Familie – Königin Keeley und die ihren – hatte kein Problem mit Gruffs Spezies und akzeptierte sie problemlos und ohne Bedenken. Aber die anderen, vom Bauern bis hin zu den Menschen königlichen Geblüts, die ihre Abstammung über Jahrhunderte zurückverfolgen konnten, fühlten sich weniger wohl mit den Wesen, die mit zwei Armen und vier Beinen geboren worden waren. Einige Zentauren versuchten, die Bedenken dieser Menschen zu zerstreuen, indem sie die meiste Zeit in ihrer menschlichen Gestalt blieben. Aber das war nicht mehr so effektiv, seit jeder wusste, dass Zentauren Kilts aus Kettenpanzer trugen.

Diese Kilts, erschaffen von ihren besten Zentaurenschmieden und modifiziert von ihren stärksten Schamanen, ermöglichten es ihren Artgenossen, sich so oft wie nötig zwischen ihrer natürlichen Gestalt und ihrer menschlichen hin und her zu verwandeln, weil die Kettenpanzer sich mit ihnen verwandelten. Als Menschen bedeckten die Kilts ihre Blöße. Aber als Zentauren schützte das Panzergeflecht ihre Flanken im Kampf und passte sich je nach Bedarf der Größe des Trägers an. Es war eine geniale Rüstung, die Gruffs Artgenossen seit Jahrtausenden erfolgreich vor den Augen der Menschen verborgen hatten. Zentauren konnten sich unter den Menschen dieses Landes bewegen und wurden nur als »diese seltsamen Amichai« wahrgenommen. Aber inzwischen schien fast jeder zu wissen, dass die meisten Amichai Zentauren waren. Natürlich nicht alle. Es gab ein paar Stämme, die am Fuß der Amichai-Berge lebten und Menschen waren, deren Familien seit Äonen in dieser Gegend ansässig waren.

Bedauerlicherweise hatte sich wegen eines Machtkampfes zwischen zwei Schwestern alles verändert: Königin Keeley und Königin Beatrix. Es wurde vermutet, dass die Amichai, falls Königin Keeley diesen Krieg gewann, in ihre Berge zurückkehren und ein größtenteils friedliches Leben führen konnten. Falls jedoch Königin Beatrix und ihre gewaltigen Armeen den Sieg davontrugen, würde es für niemanden mehr Frieden geben. Zu Beginn des Krieges hatte Gruff gedacht, dass die herrschende Stute und ihr Gefährte das Ganze dramatisierten, aber nach zwei Jahren unter Beatrix’ Führung war ihm klar geworden, dass ihre Herrschaft ein Albtraum sein würde, aus dem niemand jemals erwachen würde.

Also waren sie alle hier und versuchten zu helfen, obwohl viele von ihnen das eigentlich gar nicht wollten.

Ihr gemeinsames Ziel machte sie auch nicht einfach zu einer eingeschworenen, befreundeten Truppe. Tatsächlich fanden die anderen Zentaurenstämme Gruffs Sippe »ziemlich anstrengend«, wie es ein anderer Zentaur knapp zwei Tage nach ihrem Aufbruch in Königin Keeleys Gebiete ausgedrückt hatte. Es gab mehrere Gründe für diese gängige Meinung.

Zunächst einmal war es die generelle Haltung des Clans des Zerrissenen Mondes. Sie waren dafür bekannt, schwierig zu sein, schroff und extrem unfreundlich. Nicht nur ein oder zwei Angehörige ihres Clans, sondern alle, durch die Bank. Vom ältesten Hengst bis zum jüngsten Fohlen. Die meisten von Gruffs Verwandten suchten sich Gefährten, die möglichst unfreundlich und schwierig waren, um ihre Blutlinie zu stärken.

Dann war da natürlich noch die unersättliche Gier des Clans nach Rache. Aber wenn diese sich nicht schnell verwirklichen ließ, war das auch kein Problem, denn der Clan des Zerrissenen Mondes liebte Rachegelüste.

Das war nicht alles, was Gruffs Stamm von den anderen Amichai unterschied. Es war ihre Gestalt als Zentaurenkrieger – die Gestalt, die sie während der Schlacht annahmen –, die die anderen am meisten verstörte. Ihre Kampfgeweihe waren anders. Ihre Augen. Selbst ihre Größe galt als unnatürlich. Aber ob Zentaur oder Zentaurenkrieger, die Hufe des Clans des Zerrissenen Mondes unterschieden sich immer von denen der anderen. Denn während die meisten Zentauren durch die unteren und mittleren Lagen des Amichai-Gebirgszugs streiften, waren Gruffs Leute auf den höchsten Gipfeln zu Hause. In unmittelbarer Nähe von Schnee und Eis und den großhörnigen Schafen und Ziegen der Gegend. Diejenigen, die direkt in die Blutlinie des Zerrissenen Mondes hineingeboren wurden, ertrugen nicht nur die brutale Kälte dieser hoch gelegenen Gebiete – und gediehen sogar darin –, sie hatten auch Hufe, die es ihnen ermöglichten, Hügel und Berghänge so leichtfüßig zu erklimmen, wie andere Zentauren über offene Felder rennen konnten. Viele beschwerten sich, dass diese Fähigkeit »seltsam« oder »verstörend« sei, aber Gruff wusste, dass sie einfach neidisch auf die Geschicklichkeit des Clans des Zerrissenen Mondes waren. Vor allem während brutaler Schlachten, wenn die höheren Lagen ihnen einen so gewaltigen Vorteil bescherten.

Gruff genoss es, so hoch oben zu sein. Dann hatte er eine klare Sicht auf all seine Feinde, was gut war, denn als der Grollwahrer, zu dem sein Clan ihn erhoben hatte, war es wichtig, zu wissen, wo seine Feinde sich aufhielten, für den Fall, dass irgendwelche Grollschulden beglichen werden mussten.

Er hatte vorhin den Kopf hin und her gedreht und gehofft, etwas zu hören, was ihm Aufschluss darüber geben würde, was vor sich ging. Niemand entfesselte grundlos solch mächtige Magie. Aber er hatte nichts gehört. Was ihn mehr beunruhigt hatte, als wenn er die Geräusche einer brutalen Schlacht gehört hätte.

»Ja«, hatte Sarff zugestimmt, dem seine Bewegungen aufgefallen waren. »Du hast recht. Keine Schneewölfe, die sich zum Tagesschlaf in ihre Höhlen zurückschleichen. Keine Vögel. Keine Eisschafe. Alles ist still.« Sie schloss die Augen und wandte das Gesicht zum Himmel. »Und die Magie ist so stark. So was habe ich noch nie zuvor gespürt.«

Das wollte wirklich etwas heißen, denn es gab nicht viel, was Sarff noch nicht »gespürt« hatte. Die Hexe war bekannt für ihre brutalen Zaubersprüche und Kampftaktiken.

Wie Sarff hatte auch Gruff ein Händchen für den Umgang mit Stahl und eine Verbindung zu den Göttern, die es ihm ermöglichte, im Kampf die Kräfte der Luft, der Erde und des Feuers zu nutzen. Er bezweifelte, dass er jemals Sarffs Kräfte haben würde, aber er war sich auch nicht sicher, ob er sie überhaupt wollte. Mit den Göttern direkt zu kommunizieren klang nicht gerade nach etwas, das ihm Spaß machen würde.

»Das könnte übel werden.« Sarff warf ihm einen flüchtigen Blick zu, bevor sie wieder in den Himmel sah. »Solche Magie ist nicht zufällig hier. Wir sollten uns auf einen Kampf gefasst machen.«

Der Clan des Zerrissenen Mondes war immer auf einen Kampf vorbereitet. Sie schliefen im Stehen mit ihren Waffen an den Körper geschnallt. Und wenn sie ihre Gefährtinnen wählten, gaben sie ihnen kein Schmuckstück als Zeichen der lebenslangen Bindung, sondern eine kleine, geschärfte Klinge mit einem juwelenbesetzten Griff.

Gruff hatte seine Sinne wandern lassen, und sie trafen sofort auf eine mystische Wand, die so massiv war, dass sie genauso gut echt hätte sein können. Oder aus Stahl oder aus dem Berg, auf dem er stand. Während er den Blick über den Horizont schweifen ließ, tastete er mit seinen Sinnen die mystische Wand ab.

Für ungeübte Augen sah nichts falsch oder fehl am Platz aus, aber diese Wand verbarg etwas Mächtiges vor seinen und Sarffs Augen.

Das war echte Macht. Eine Macht, von der er nur träumen konnte.

Was ihn jedoch wirklich beunruhigte, war die Tatsache, dass er nicht verstand, was da versteckt wurde. Das Beutetier in ihm spürte eine Gefahr ganz in der Nähe, aber das Gefühl hatte er immer. Trotzdem verspürte er nicht den Drang, wegzurennen. Wenn er wegrennen wollte, wusste er, dass etwas wirklich Schreckliches kommen würde. Sein Beutetier-Sinn riet ihm, zu fliehen, bevor es zu spät war. Als Krieger war er von Geburt an dazu ausgebildet worden, dieses Bedürfnis zu kontrollieren und zu beherrschen, damit er keine Schande über seinen Clan brachte.

»Ich verstehe nicht«, sagte Sarff leise, wie ein Echo seiner Gedanken. »Was sollen wir hier nicht sehen?«

Das war es, was Gruff vorhin beunruhigt hatte, und jetzt auch bei diesem lächerlichen Treffen. Es bedurfte einer immensen Macht, um die wahre Welt vor den Blicken vieler zu verbergen. Einer Macht, die denjenigen, der sie entfesselte, auslaugen und die Erde, auf der er stand, bluten lassen würde. Warum sollte irgendein magisches Wesen so viel riskieren?

»Hörst du wieder Stimmen?«, blaffte ein silberner Drache.

»Ich höre keine Stimmen«, fauchte die Wahnsinnige zurück, bevor sie hinzufügte: »Nicht mehr.«

»Sollen wir uns dadurch jetzt besser fühlen?«, fragte der Silberne. »Denn das tun wir nicht.«

»Wenn du keine Stimmen hörst, mit wem sprichst du dann?«, erkundigte sich der schwarze Drache sanft.

Sie zeigte auf eine Stelle hinter einem goldenen Drachen. »Mit denen da.«

»Bei den Göttern«, hörte Ainsley Gemma flüstern. »Diese Idioten.«

Es war eine Einheit von Kriegsmönchen. Gemma war die Anführerin ihres Ordens, aber einige der anderen Orden hatten Gemmas Kontrolle über ihre Armeen noch nicht akzeptiert. Die kleine Einheit, die sich gerade langsam durch den Innenhof bewegte, hatte sich geweigert, Gemma zu akzeptieren, weil sie glaubten, ihr oberster Kriegsgott hasse den Kriegsgott, dem Gemmas Orden folgte. Bei der bloßen Erinnerung daran verdrehte Ainsley die Augen.

Und genau dieser lächerliche Orden war auf dem Weg zu der Wahnsinnigen, nicht aus einem logischen Grund, da war sie sich sicher, sondern wegen irgendeiner religiösen Vorschrift, die kein vernünftiger Mensch verstehen oder befolgen würde. Vor allem da diese speziellen Kriegsmönche dafür bekannt waren, ein fanatischer Orden zu sein, der sich ganz in Schwarz kleidete und auf jeglichen Sex verzichtete. Selbst untereinander. Ainsley fand sie unendlich faszinierend, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand freiwillig eine solche Einschränkung auf sich nehmen würde. Nicht einmal für einen Gott.

Gemma scheuchte die Mönche mit einer ausladenden Geste weg, wurde aber ignoriert. Ainsley hoffte, dass Gemma anfangen würde, mit beiden Armen herumzufuchteln, denn das würde sie endlich dazu zwingen, Ainsleys Hand loszulassen, aber nein.

Ein goldener Drache beobachtete, wie die Mönche sich um ihn herum bewegten, machte aber keine Anstalten, sich zu verteidigen.

Sobald die Gruppe sich zum größten Teil vor dem Drachen postiert hatte, zeigte der Mönch an der Spitze mit einem anklagenden Finger auf die Wahnsinnige. »Wir wissen, wer du bist, abscheuliches Weibsbild! Wir wissen, was du getan hast!«

Ainsley riss die Augen auf, fasziniert von dem sich entfaltenden Drama, während die Drachen lediglich den Kopf schüttelten oder in offenkundiger Frustration und Ungläubigkeit ihre Vorderklauen hochwarfen.

Die Wahnsinnige betrachtete die Mönche mit zusammengekniffenen Augen, und Ainsley wand sich innerlich ein wenig. Denn sie wirkte noch furchterregender, wenn sie sich auf ein Angriffsziel zu konzentrieren schien. Und im Moment traf das auf all diese streitbaren Mönche zu.

»Wir werden nicht zulassen, dass du hier dein tödliches Werk verrichtest, Annwyl die Blutrünstige!«, brüllte der Mönch.

Gemmas ganzer Körper versteifte sich, und sie packte Ainsleys Hand so fest, dass Ainsley sie schließlich wegreißen musste, bevor ihre Schwester ihr alle Knochen brach.

»Was ist los?«, fragte Ainsley und rieb sich die Hand.

»Diese Frau ist Annwyl die Blutrünstige.«

»Unmöglich«, stieß Keeley hervor. »Das kann nicht Annwyl die Blutrünstige sein. Auf keinen Fall!«

Ainsley schaffte es, ihren Fuß unter Gemmas hervorzuziehen, trat einen Schritt zurück und stellte die einzige Frage, die ihr einfiel: »Wer?«

Kapitel 2

Schwester Olga spähte unter ihren Wimpern hervor und beobachtete, wie Hilda, eine Novizin wie sie selbst, aufstand, sich von dem gesegneten Objekt der Verehrung abwandte, das ihrem Gott geweiht war, und sich auf den Weg zur Tür ihres Quartiers begab. Obwohl Olga wusste, dass sie sich auf ihre Gebete hätte konzentrieren sollen – ihre Gebete würden helfen, sie und ihre Schwestern zu beschützen –, konnte sie ihren Blick einfach nicht von Schwester Hilda lösen. Denn niemand wusste je, was Hilda als Nächstes tun würde.

»Wo willst du denn hin, Schwester Hilda?«, fragte die Mutter Oberin, sobald Hilda nach der Türklinke griff.

»Ich werde in Erfahrung bringen, was draußen los ist.« Hilda sprach immer mit absolutem Selbstvertrauen, ganz gleich in welcher Situation. Olga beneidete sie um dieses Selbstbewusstsein. Keine der anderen Novizinnen hatte ein so starkes Auftreten wie Hilda.

»Draußen ist überhaupt nichts los, Schwester.«

»Wirklich nicht?«, antwortete Hilda. »Die Schreie deuten darauf hin, dass da durchaus etwas vor sich geht.«

»Dann lass es mich anders ausdrücken. Draußen geht nichts vor sich, was du sehen müsstest.«

»Die Schreie ›Drache! Gute Götter! Es sind Drachen! Wir werden alle sterben!‹ legen die Vermutung nahe, dass dort draußen sehr wohl etwas ist, was ich sehen muss.«

»So was wie Drachen gibt es nicht.«

»Also leiden alle in der Stadt einfach unter einer kollektiven Sinnestäuschung?«

»Nun, sagen wir, es gibt Drachen. Was – genau – willst du tun?«

»Da bin ich mir nicht sicher. Vielleicht würde ich euch warnen, wenn sie die Absicht hätten, diese hölzerne Hütte niederzubrennen.«

Die Mutter Oberin schob die Hände in die Ärmel ihrer Kutte. »Schwester Hilda, du wirst hierbleiben und mit deinen Schwestern beten. Jetzt geh zurück auf …«

»Nein.« Hilda fiel ihr beherzt ins Wort, wie es ihre Art war. »Ich werde nach draußen gehen und herausfinden, was los ist, und wenn nötig, werde ich helfen.«

»Du hast eine Anweisung erhalten, Schwester. Jetzt befolge sie.«

Hilda atmete hörbar ein und aus. Ein klares Zeichen dafür, dass sie kurz davor war, die Geduld zu verlieren. Sie besaß ohnehin nicht sehr viel davon. Einen Moment später drehte sie sich zur Mutter Oberin um. Hilda überragte ihre spirituelle Anführerin, so wie sie die meisten der Novizinnen überragte. Doch sie war nicht nur groß. Sie hatte breite Schultern und mächtige Oberschenkel. Einige der älteren Nonnen scherzten untereinander, dass sie insgeheim ein Zentaur in Menschengestalt sei, aber Olga war sich sicher, dass das nicht stimmte. Im Wesentlichen weil Hilda den Zentauren keinerlei Beachtung schenkte. Wenn sie versuchte, so zu tun, als wäre sie kein Zentaur, würde sie sich wahrscheinlich mehr Mühe geben, sich von ihnen zu distanzieren. Aber sie schienen ihr gleichgültig zu sein, und wenn sie aus irgendeinem Grund mit ihnen reden musste, dann tat sie es. Wenn sie etwas von ihnen brauchte, bat sie darum. Und wenn es ihnen aus irgendeinem Grund gelang, ihr auf die Nerven zu gehen, dann sagte sie ihnen … nun … sie sagte ihnen, dass sie sich »verpissen« sollten. Ein Vorfall, der Hildas Ausbildung zur Strafe mindestens ein weiteres Jahr verlängern würde.

Was auch immer gleich geschehen würde – da war sich Olga sicher – würde Hildas Ausbildung um ein ganzes Leben verlängern.

»Du verstehst doch«, sagte Hilda auf ihre typische gelassene Art, »dass meine Rolle hier nicht bloß darin besteht, zu beten. Ich bin nicht hier, um eine untätige Anhängerin unseres Gottes zu sein. Ich soll eine Kampfnonne werden. Ich soll die frommen Schwestern aller Orden nach besten Kräften beschützen. Das kann ich nicht tun, wenn ich eingesperrt werde zum … Beten.«

»Die Äbtissin wird uns beschützen«, beharrte die Mutter Oberin. »Sie ist eine voll ausgebildete, richtige Kampfnonne. Du dagegen bist bloß eine Novizin. Und du wirst tun, was man dir befiehlt. Also. Zurück in die Reihe und beten.«

»Nein«, sagte Hilda und drehte sich erneut zur Tür um.

Die Mutter Oberin, die nun endgültig die Geduld mit der Befehle missachtenden Hilda verlor, packte diese am Oberarm.

Olga konnte das Geschehen nicht länger diskret unter ihren Wimpern hervor beobachten, sie riss die Augen auf und hätte der Mutter Oberin um ein Haar zugerufen, sie solle innehalten und Hilda gehen lassen. Aber dafür war es zu spät.

Hilda drehte sich um, packte die Mutter Oberin mit ihrer freien Hand an der Kehle und drängte sie zurück, während sie sie würgte.

Das Beunruhigende … sogar Entsetzliche war, dass sich der Ausdruck auf Hildas Gesicht keine Sekunde lang veränderte. Sie schien nicht wütend zu sein. Sie explodierte nicht vor Zorn. Obwohl sie das in Wahrheit nie tat. Aber alle wussten, dass Hilda nicht gern angefasst wurde. Im Gegensatz zu den anderen, die ihr Keuschheitsgelübde als schmerzhaftes, hartes Opfer empfanden, das sie nur für den Gott, den sie liebten, erbrachten, empfand Hilda das nicht als Verlust. Sie genoss es, dass nichts und niemand sie berührte, und sie hatte nie auch nur die geringste Scheu verspürt, das dem ganzen Universum zu verkünden.

Also war es bestenfalls töricht und schlimmstenfalls geradezu dumm, sie anzufassen.

Die starken, beherzten Nonnen, die früher auf den Feldern ihres alten Klosters gearbeitet hatten, bevor es niedergebrannt worden war, eilten der Mutter Oberin zur Hilfe und taten ihr Bestes, um Hildas Hand von der Kehle ihrer Anführerin zu ziehen. Aber auch wenn die Nonnen stark sein mochten, eine Kampfnonne war noch stärker.

»Ich habe so lange deutlich gemacht, was meine Berufung ist«, erklärte Hilda ruhig, während sie die Mutter Oberin weiterhin würgte, »und du ignorierst mich immer noch. Aber wenn ich die Schreie anderer höre und weiß, dass mein Orden in ernster Gefahr ist, dann glaube ich, dass mein Gott will, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um alle anderen zu beschützen. Das ist meine wahre Berufung. Das ist die Rolle, die mir zugewiesen wurde. Und ich werde mich daran von niemandem hindern lassen.«

Hilda näherte sich dem heiligen Altar, auf dem das gesegnete Objekt der Verehrung des Ordens lag, umgeben von einer Vielzahl von Kerzen, die unbedingt zu allen Zeiten brennen mussten. Bevor eine Kerze erlöschen durfte, wurde eine neue hingestellt und angezündet. Nonnen standen Tag und Nacht um den Altar herum, und ihre einzige Pflicht in dieser Zeit war das Hüten der zahlreichen Kerzen.

Als Hilda die Mutter Oberin zu dem heiligen Altar geschoben hatte, hielt sie inne. Olga war sich sicher, dass die Mutter Oberin die Hitze all dieser Kerzen spüren musste, die ihren leicht brennbaren Gewändern so nah kamen. Niemand kannte Hilda gut genug, um sich sicher zu sein, dass sie ihre Mutter Oberin nicht absichtlich in Brand stecken würde.

»Verstehen wir einander jetzt, Mutter Oberin?«

Aber die Mutter Oberin antwortete nicht. Sie war wie die anderen Nonnen zu sehr damit beschäftigt, zu versuchen, Hildas Hand von ihrer Kehle zu entfernen.

Da stieß Hilda die Mutter Oberin mit voller Wucht gegen den heiligen Altar und warf einige der Kerzen dabei um. Zum Glück steckten sie das Ordensgewand der Mutter Oberin nicht in Brand, sondern fielen einfach um und erloschen, aber das schien die älteren Nonnen noch mehr in Panik zu versetzen, als wenn stattdessen ihre Anführerin in Flammen aufgegangen wäre. »Neiiin!«, schrien die meisten der Schwestern und eilten los, um die umgefallenen Kerzen wieder aufzustellen und anzuzünden.

Nun ließ Hilda die Mutter Oberin los und beobachtete, wie die Frau auf die Knie fiel und verzweifelt um Luft rang. Einen Moment später drehte sie sich um und ging zur Tür hinaus. Nur Olga und die Mutter Oberin bemerkten ihr Verschwinden. Nur Olga und die Mutter Oberin kümmerte es überhaupt.

 

Das Treffen, das bei jedem Neumond stattfand, verlief wie geplant, aber weder Ihre Königliche Hoheit noch ihre beiden Brüder schienen zu bemerken, dass genau in diesem Moment etwas Außergewöhnliches geschah. Um sie herum strömten Macht und Gefahr wie rauschendes Wasser von einer Klippe. Und doch spürten die Zentauren abgesehen von seinem eigenen Clan und natürlich allen anderen Tieren nichts. Absolut nichts. Für sie war es ein Tag wie jeder andere. Wie konnten sie alle nur so blind sein?

Wenn sie sonst bei diesen Treffen waren, tauchten normalerweise Herden von Wildpferden auf, weil sie wussten, dass die Zentauren ihre Äpfel mit ihnen teilen würden. Pferde wussten, dass sie in der Nähe von Gruffs Leuten sicher sein würden. Doch es war keine Herde gekommen, und schlimmer noch, keiner der Amichai hatte es bemerkt.

Wie diese »königlichen« Zentauren sich überhaupt so lange gehalten hatten, war ihm ein Rätsel. Und ihm war absolut schleierhaft, wie sein Clan die Macht an diese Zentauren verloren haben konnte.

Es war eine Geschichte, die jeder Zentaur kannte. Dass vor siebentausend und drei Jahren die Angehörigen des Clans des Zerrissenen Mondes die Anführer der Amichai gewesen waren. Seine Vorfahren hatten die zahlreichen Zentaurenclans versammelt und sie in die Amichai-Berge geführt, mit dem Plan, die Zentauren zu den Herrschern einer verrückt gewordenen Welt zu machen. Es war eine Welt mit außer Kontrolle geratenen Menschen, die alles und jeden ermordeten, der sich ihnen in den Weg stellte; mit Drachen, die alles fraßen, was ihren Pfad kreuzte; mit Minotaurenstämmen, die ständig gegeneinander Krieg führten und sich nicht darum scherten, wer oder was in diesen blutigen Schlachten niedergetrampelt wurde; mit Zwergen, die achtlos ihre Städte unter der Erde bauten und die gelegentlich dadurch entstandenen Erdfälle ignorierten – ganze Dörfer und Städte verschwanden manchmal wegen versehentlicher Explosionen und ungeplanter Steinrutsche; und mit verrückten Elfen, die andere Wesen für ihre »Experimente« benutzten.

Der Clan des Zerrissenen Mondes hatte die Absicht gehabt, dem Wahnsinn ein Ende zu machen und die Kontrolle über das gesamte Land zu beiden Seiten der Amichai-Berge zu übernehmen. Gruff hatte keine Ahnung, wie sie ihre Pläne in die Tat hatten umsetzen wollen – es war so lange her –, aber er hatte vollkommenes Vertrauen in seine kriegsliebenden Vorfahren. Er bezweifelte, dass ihre Ideen angenehm gewesen wären, dafür aber sicherlich effektiv.

Was als Nächstes geschah, war im Laufe der Zeit größtenteils vergessen worden, aber der Kern der Sache war, dass die Cousins und Cousinen des Zerrissenen Mondes, der Clan der Vernarbten Erde, hinter den kollektiven Rücken seiner eigenen Blutsverwandten Friedensverträge und Bündnisse geschlossen hatten. Länder wurden geteilt. Als Grenze zwischen den Gebieten der Drachen und allen anderen Ländern waren die Amichai-Berge wichtiges Territorium. Die Einzigen, die nicht in die Verhandlungen einbezogen wurden, waren die Menschen und der Clan des Zerrissenen Mondes. Man konnte offenbar keinem von ihnen trauen, dass sie nicht »mit dem Töten anfangen« würden. Die Menschen, weil sie panische Angst vor all den verschiedenen Arten hatten, die unter ihnen lebten, und der Clan des Zerrissenen Mondes, weil … nun ja … weil sie einfach Spaß am Töten zu haben schienen.

Obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. In Wirklichkeit war es so, dass der Clan des Zerrissenen Mondes nicht vor Kriegen zurückschreckte, und manchmal war Krieg die einzige Möglichkeit, aus ungünstigen Situationen herauszukommen. Und das Aufteilen ihrer Länder, damit die Menschen sich sicher fühlen konnten, schien für seinen Stamm eine solche ungünstige Entscheidung gewesen zu sein. Ein Jammer, dass die Herrschende Stute nie eine Chance bekam, das zu erklären. Stattdessen verrieten ihre Cousins sie und den Clan des Zerrissenen Mondes.

Obwohl die Herrschende Stute letztlich herausfand, was los war, war es zu spät: Die anderen Clans hatten sich bereits gegen sie gewandt, und verbindliche Abkommen waren bereits mit Blut unterzeichnet worden. Als die Herrschende Stute sich weigerte, ihre Krone herzugeben, beendete ein heftiger Kampf, bei dem es um nichts Geringeres als die Ehre ging, die Herrschaft von Gruffs Clan und setzte den Clan der Vernarbten Erde von jenem Tag an bis heute fest auf den Thron.

Der Clan des Zerrissenen Mondes ärgerte sich nicht darüber, dass ihre Vorfahren den Zweikampf verloren hatten. Eine Niederlage war eine Niederlage. Wenn man einen Kampf nicht gewinnen konnte, sollte man nicht das Sagen haben. Wenn die älteste Tochter seines Ahnherren alt genug gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich selbst eines Tages mit ihrer Mutter um diese Krone gekämpft. Hätte sie wenn nötig vielleicht sogar getötet. Und es ohne Reue getan.

Was Gruffs Clan viel mehr aufregte, war das, was der Clan der Vernarbten Erde zuvor getan hatte. Sie waren hinter dem Rücken der Herrschenden Stute Bündnisse mit Drachen, Minotauren, Elfen und Zwergen eingegangen, ohne ihr auch nur davon zu erzählen. Hatten die anderen Clans gegen ihre eigenen Cousins aufgehetzt, bevor sie ihnen den Thron streitig machten.

So weit es Gruffs Clan betraf – den damaligen wie den jetzigen –, verdiente der Clan der Vernarbten Erde den Thron nicht. Sie waren zu illoyal. Zu zwielichtig. Zu menschlich.

Und obwohl diese Ereignisse schon mehr als siebentausend Jahre zurücklagen, war der Clan des Zerrissenen Mondes damals wie heute vor allem dafür bekannt, dass er einen Groll hegte.

Tatsächlich war Gruffs offizieller Titel der des Grollwahrers. Das bedeutete, dass er seinen Clan eines Tages anführen würde. Nicht weil sein Vater der Herrschende Hengst war, sondern weil seine Fähigkeit, einen Groll zu hegen, schon berüchtigt gewesen war, bevor er seinen zehnten Winter erreicht hatte. Wie seine Mutter damals gesagt hatte: »Wie kann eine Zuchtstute auf so was nicht stolz sein?«

»Siehst du etwas, Cousin?«

Ohne den Kopf zu bewegen, richtete Gruff den Blick auf den Prinzen, der die Frage gestellt hatte. Es war einer der Brüder Ihrer Königlichen Hoheit. Der Dunkelhaarige. Er war schlauer als der Hellhaarige. Trotzdem waren beide Idioten.

Selbst jetzt standen sie einfach nur da, starrten ihn an … Und vertrieben mit ihren Schweifen die Fliegen von ihren nutzlosen Hintern.

»Nun?«, drängte der Dunkelhaarige. »Wirst du mir antworten?«

»Mein Bruder hat dir geantwortet«, erwiderte Briallen.

»Tatsächlich?«

»Ja, als er geknurrt hat.«

»Dein Bruder hat uns seine Antwort zugeknurrt?«, fragte der Hellhaarige feixend.

»Ihr könnt euch glücklich schätzen, dass er das getan hat … Cousin. Wäre ich es gewesen, würde ich euch alle verbrennen lassen«, meinte Briallen.

»Was für eine entzückende Stute!«, lobte der Hellhaarige.

»Uns alle verbrennen lassen?«, hakte der Schlauere nach. »Was zur Hölle soll das überhaupt heißen?«

»Spürt ihr Prinzen es denn überhaupt nicht?«, höhnte Sarff. »Die Macht, die in der Luft liegt?«

»Er starrt auf Macht, die in der Luft liegt?«, gab der Dunkelhaarige prompt zurück.

»Nein.« Die Heilerin zeigte in das nahe Wäldchen. »Er starrt sie an.«

Einmütig wandten sich alle anderen Stämme der hochgewachsenen, weißhaarigen Frau in den makellosen weißen Gewändern zu. Sie lehnte in bequemer Haltung an einem der Bäume und aß einen Apfel.

»Von wem sprichst du?«, fragte der Dunkelhaarige.

»Siehst du, wie blind sie sind, Gruffyn? Die Gefahr nicht sehen können?«, hakte die Hexe nach.

»Welcher Gefahr, Sarff?«, versetzte Ihre Königliche Hoheit und schob sich an ihren nutzlosen Brüdern vorbei. »Ich sehe niemanden.«

Sarff schaute ihn an, und Gruff beantwortete ihre stumme Frage mit einem Grummeln.

»Du siehst nichts, aber Gruffyn und ich sehen eine hochgewachsene Frau mit weißem Haar und einer Narbe im Gesicht. Sie beobachtet uns.«

»Eine Spionin?«, fragte Ihre Königliche Hoheit und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf eine Stelle ein paar Meter entfernt von der Frau. Sie versuchte, zu erkennen, was Gruff und Sarff sahen.

»Nein. Keine Spionin. Sie sieht aus wie eine menschliche Frau … Aber das ist sie nicht.«

»Was ist sie dann?«

Sarff zog ihre schmalen Schultern hoch und antwortete gelassen: »Ein Drache.«

Ihre Königliche Hoheit runzelte verwirrt die Stirn. Der Dunkelhaarige seufzte und wandte sich zum Gehen, während der Hellhaarige wie ein verärgerter Jährling schielte und leise lachte.

»Ihr zwei seht einen … Drachen?«, fragte Ihre Königliche Hoheit stockend.

»Nein. Wir sehen eine Frau.«

»Eine Frau. Die was tut?«

»Einen Apfel essen. Stimmt’s, Gruff?«

Er knurrte zur Antwort, denn Sarff verstand ihn auch so.

»Aber es ist keine Frau, die einen Apfel isst … Es ist ein Drache?«

»Richtig. Sie ist ein Drache, der einen Apfel isst. Ich schätze, sie essen auch gern Äpfel.«

»Können wir einfach mit dem Treffen weitermachen?«, fuhr der Dunkelhaarige sie über seine Schulter hinweg an und weigerte sich, sie auch nur anzusehen.

»Vielleicht hat mein Bruder nicht ganz unrecht …«, warf Ihre Königliche Hoheit sanft ein und wandte sich bereits ab.

»Aber«, schaltete Sarff sich ein, »wir riechen die Flamme. Spüren das Schlagen der Flügel. Es hat eine Weile gedauert, die Magie zu durchdringen, aber Gruffyn und ich spüren allmählich ihre Gegenwart.«

Sarff lag richtig mit ihrer Einschätzung. Mittlerweile spürte Gruff die Bestien überall um sich herum. Deshalb waren die anderen Tiere alle verschwunden. Deshalb versteckten sie sich alle. Sie wollten nicht als Asche enden. Oder als schnelle Mahlzeit.

»Drachen«, sagte der Hellhaarige, den das Gespräch bereits langweilte. »Na klar.«

»Ihre Gegenwart? Plural?«, fragte Ihre Hoheit.

»Schon jetzt«, entgegnete Sarff mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, »stürmen sie den Turm Eurer Königin.«

Gruffs verräterische Cousins drehten sich zu dem Turm um. Er erhob sich aus den Stadtmauern und Zinnen, die ihn umgaben, während die zwei Sonnen das erste Licht auf die Schöpfung der Zwergensteinmetze warfen. Und, da war sich Gruff sicher, für diejenigen, die die mächtige Magie der Drachen nicht sehen oder spüren konnten, sah das Ganze völlig in Ordnung aus.

Sie bestätigten Gruffs Annahme, indem sie sich wieder zu ihm und seinen Stammesgefährten umdrehten und wie aus einem Mund nur einen einzigen Laut von sich gaben: »Hm.«

 

Bruder Batsheva, eine Novizin vom Orden des Gerechten Heldenmuts, beobachtete fasziniert, wie sich die Mönche eines anderen – und absolut törichten – Ordens den Drachen näherten, um eine verrückte Kriegerin herauszufordern. Und das hier waren auch keine kleinen Drachen, sondern die richtig großen, von denen sie als Kind immer gehört hatte. Das Schlimmste war nicht, dass es Drachen waren, auch wenn das schon erschreckend genug war. Oder dass sie Flammen speien und fliegen konnten. All das war für sich genommen entsetzlich. Aber Bruder Batsheva jagte Bären, wenn sich ihr die Gelegenheit bot, und Bären waren ebenfalls groß und entsetzlich. Nein, schlimm waren nicht die Größe der Drachen oder ihre Macht. Alle wilden Tiere waren mächtig, aber wenn nötig konnte man mit ihnen fertig werden. Was ihr wirklich Sorgen bereitete, war, dass es nicht viele Bären gab, die Kettenpanzer trugen und Schwerter schwangen. Oder miteinander plauderten, als wären sie bei einer verdammten Teegesellschaft. Bären taten das nicht, und deswegen waren Bären viel leichter zu töten.

Diese Drachen waren jedoch … umsichtig? Ja. Umsichtig und rational. Sogar vernünftig. Was bedeutete, dass es viel schwerer sein würde, sie zu töten, als wenn sie instinktgesteuerte Tötungsmaschinen gewesen wären, die alles verbrannten, was ihnen unter die Augen kam.

Deshalb hielt sie sich hier hinten auf, hinter einer der Kasernen, von denen aus sie das Geschehen beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Denn im Gegensatz zu den anderen Mönchen hatte sie nicht die Absicht, die Drachen oder die verrückte Frau, die sie anführte, herauszufordern.

Natürlich war Shevas Einstellung wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie nach fast zwei Jahrzehnten im Orden des Gerechten Heldenmuts immer noch Novizin war, obwohl sie schon als kleines Kind in den Orden eingetreten war. Einem Ältesten hatte sie einmal erklärt: »Ich habe gesagt, ich würde für unseren Gott kämpfen. Ich habe nie gesagt, dass ich für ihn sterben würde.«

Allein der Ausdruck in den Augen des alten Bastards hatte ihr klargemacht, dass er sein Bestes geben würde, sie dort festzuhalten, wo sie war … An einem Platz, an dem sie Pferdescheiße und die Waffen anderer Brüder sauber machte. Also das, was richtig Spaß machte!

Eine Hand streifte Shevas Rücken, und sie zückte ihr Kurzschwert und wirbelte herum, um nicht zuerst niedergestreckt zu werden. Doch ihr Handgelenk wurde in der Luft abgefangen und ihr Arm festgehalten. Sie erkannte sofort die kalten, berechnenden Augen ihrer Lieblingsnovizin und sagte lachend: »Ich kann nicht glauben, dass sie dich rausgelassen haben, Schwester! Musst du nicht irgendwelche Kerzen anzünden?«

»Ich habe ihnen sorgfältig erklärt, dass ich Wichtigeres zu tun hätte.«

Sheva entzog der anderen Frau ihren Arm und steckte ihre Waffe wieder ein. »Wie viele hast du getötet?«

»Natürlich keine Einzige.« Hilda spähte um die Mauer der Kaserne, um zu sehen, was im Innenhof vor sich ging.

»Wirklich nicht?«

»Ich bin kein Wolf, Sheva. Ich habe es nicht nötig, die Schafe zu schlachten.«

»Ich habe keine Ahnung, warum du Nonne geworden bist, Schwester Tod«, sagte Sheva neckend und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Mein Gott hat mich gerufen. Genau wie dich.«

Nur dass Sheva nie gerufen worden war. Keine Götter sprachen zu ihr. Keine Gesandten größerer Mächte baten sie, sich ihren Reihen anzuschließen. Aber im Moment machte sie sich nicht die Mühe, das zu erwähnen.

»Sollen wir sie retten?«, fragte Hilda. Und Sheva wusste, dass die Nonne von Ainsley sprach. Der einzigen anderen Person, die Hilda tolerieren konnte. Zumindest gerade so.

»Ich wollte es versuchen, aber ihre Schwester hält sie so fest, dass der Arm unserer Lieblingsprinzessin sicher schon blutleer ist. Jedes Mal, wenn sie versucht, sich zu entfernen, zerrt Bruder Gemma sie mit ihrer gesunden Schmiedinnenkraft, die sie alle von ihrer Mutter geerbt haben, wieder zurück.« Sheva schaute an Hilda vorbei, damit sie ebenfalls das Treiben im Innenhof verfolgen konnte. »Vielleicht ist die Familie ja einen Selbstmordpakt eingegangen.«

»Die schrullige Prinzessin lebt auf Bäumen und geht ihren beiden älteren Schwestern bewusst aus dem Weg. Also bezweifle ich, dass sie zugestimmt hätte, mit ihnen zu sterben. Es sei denn, sie hat keine andere Wahl. Außerdem will niemand durch Drachenfeuer sterben. Ich habe gehört, dass man ganz langsam verbrennt. Als ob man geröstet wird. Sodass man ihrem Geschmack entsprechend genau richtig gegart wird. Sie mögen kein verkochtes Fleisch.«

Sheva schaute zu der Nonne auf. »Was für eine entzückende Information.«

»Natürlich könnten wir einfach dort hinübergehen, sie uns schnappen und wegrennen.«

»Nach dem, was du mir gerade über Drachenfeuer erzählt hast? Eher nicht, Schwester.«

»Unsere Götter werden uns beschützen, da bin ich mir sicher.«

»Kriegsgötter machen sich nichts aus Dummköpfen. Und zwischen die Königsfamilie und die riesigen Drachen zu springen kommt mir im Augenblick ausgesprochen dumm vor.«

»Aber tun diese anderen Kriegermönche nicht genau das?«

Sheva lehnte sich ein wenig vor, um einen besseren Überblick zu bekommen, und sah, dass die anderen Kriegsmönche jetzt die verrückte Frau anschrien, die mit den Drachen reiste. Drachen! Und sie brüllten sie an wie irgendeine Hure auf der Straße.

»Die«, antwortete Sheva, »tun etwas entschieden Dummes.«

»Vielleicht werden ihre Kriegergötter sie beschützen.«

Sheva schüttelte bekümmert den Kopf und seufzte. »Nein. Wenn es um ausgeprägte Dummheit geht, sind die Kriegsgötter alle gleich.«

 

Es hieß, dass diejenigen, die das Amichai-Gebirge in die dunklen, unbekannten Gebiete auf der anderen Seite überquerten, niemals zurückkehrten. Es hieß, sie wären verloren an die Nebel dunkler Magie und die Krallen abscheulicher Bestien. Die Herrscherin dieser Länder, hieß es, sei eine Frau namens Annwyl die Blutrünstige.

Eine dunkle, monströse Frau, die sowohl von einem Menschen als auch von einem Dämon abstamme. Sie könne Menschen die Seele aus dem Leib saugen und sei bereit, Babys vor ihren weinenden Müttern zu ermorden. Die reisenden Barden erzählten, die Frau sei drei Meter groß und hätte Hufe statt Füßen. Und eine Krone aus Gold und Diamanten, beschmiert mit dem Blut ihrer Millionen von Opfer, die von einem der zahlreichen dunklen Götter, denen sie huldigte, dauerhaft mit ihrem Schädel verschmolzen worden sei.

Wenn man ihren verderbten Palast betrete, wisse man, dass man sterben würde, aber nicht bevor Annwyl die Blutrünstige einem das Mark aus den Knochen gesaugt habe, während Dämonentroubadoure Instrumente aus menschlichem Fleisch und Sehnen spielten.

Ainsley runzelte leicht die Stirn und betrachtete Annwyl die Blutrünstige, als sie sich an all das erinnerte.

Diese Annwyl starrte die Mönchstruppe herausfordernd durch die hellbraunen Haarsträhnen an, die ihr ins Gesicht wehten, als ein leichter Wind in der stillen Morgenluft aufkam. Sie trug Stiefel und Kniehosen aus dunkelbraunem Leder, ein Kettenhemd ohne Ärmel und Stahlreifen an den Handgelenken. Sie war ungefähr einen Meter achtzig groß. Größer als Gemma, aber nicht so groß wie Keeley. Auch waren ihre Schultern nicht so massig wie die von Keeley. Aber fast jeder Körperteil der fremden Königin wies starke, gut ausgebildete Muskeln auf.

Was Ainsley nicht sah, war eine babyfressende Dämonenbestie. Sie sah eine Kriegerin. Eine wahnsinnige Kriegerin, die kurz davor schien, ihren Verstand endgültig zu verlieren, aber trotzdem …

»Geh fort, Wahnsinnige Königin«, brüllte der Mönch. »Verschwinde aus diesem heiligen, kostbaren Land und kehre nie wieder zurück!«

Diesem Befehl folgte eine lange Pause. Dann fragte der silberne Drache den Mönch schließlich: »Sonst passiert … was genau?«

»Sonst werden wir mit ihr machen, was sie mit den unschuldigen Babys ihres Volkes macht!«

Die Wahnsinnige Königin drehte kaum merklich den Kopf und suchte den Blick des Mönchs. Ainsley schaffte es, die letzte Phase einer dramatischen Grimasse des schwarzen Drachen aufzufangen. Er verzog das Gesicht. Dann seufzte er und setzte seinen stählernen Helm wieder auf, was Ainsley nicht als gutes Zeichen wertete.

Es war, als wären die Worte, die der Mönch gewählt hatte, die denkbar schlimmsten, die er hätte sagen können.

Ainsley hielt den Atem an und wartete ab, was die Wahnsinnige Königin …

Der irre, fast hysterische Schrei, den die Wahnsinnige Königin ausstieß, veranlasste Gemma, Ainsley und Keeley mehrere Schritte zurückzudrängen, bevor sie ihre Waffe aus der Scheide zog, um sie alle zu beschützen.

Statt sich zurückzuziehen, preschten die schwarz gewandeten Mönche allesamt vorwärts, rannten auf die Drachen zu und nutzten die Schwänze der Bestien, um ihnen auf den Rücken und den Kopf zu steigen. Sobald sie auf oben angelangt waren, stürzten sich sämtliche Mönche mit gezückten Schwertern von der Schnauze der Drachen hinab, wobei viele von ihnen einen Kriegsschrei ausstießen, als sie auf dem Boden landeten, um sich dieser Bedrohung von Antlitz zu Antlitz zu stellen.