Honor Harrington: Der Schatten von Saganami - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Der Schatten von Saganami E-Book

David Weber

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Beschreibung

Sie gehört zu Admiral Honor Harringtons handverlesener Elite: Ensign Helen Zilwicki. Frisch von der Akademie führt sie ihr erster Auftrag in den Talbot-Cluster. Dieser Sektor soll friedlich von manticoranischen Sternenkönigreich annektiert werden. Ein reiner Routineauftrag? Nein! Interstellare Handelsvereinigungen wollen die Annexion verhindern. Fast zu spät kommen deren ruchlose Pläne ans Licht. Jetzt bleibt Helen und ihren Kameraden keine Wahl. Sie müssen das tun, was Honor Harrington sie gelehrt hat: der Gefahr entgegenblicken - und notfalls kämpfend untergehen?

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Seitenzahl: 720

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Der Schattenvon Saganami

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Dietmar Schmidt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe

Copyright © 2004 by David Weber

Published by arrangement with Baen Publishing Enterprises,

Wake Forest, NC

Titel der Originalausgabe: »The Shadow of Saganami« (Teil 1)

Originalverlag: Baen Publishing Enterprises, Wake Forest, NC

Für die deutschsprachige Ausgabe

Copyright © 2007/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

This Work was negotiated through Literary Agency

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Lektorat: Uwe Vöhl / Ruggero Leò

Titelillustration: David Mattingly / Agentur Schlück

Umschlaggestaltung: Tanja Østlyngen

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0973-4

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Für Anne McCaffery.

Wie Drachen fliegen auch Ideen,

und du hast den meinen ihre Flügel

geschenkt.

Prolog

Die Raketensalve schoss von achtern heran.

Antiraketen schalteten elf Lenkwaffen aus. Der beschädigte, nachgeschleppte Steuerbord-Täuschkörper brachte zwei weitere von ihrem Ziel ab. Der ›Lockvogel‹ backbords war schon vor zwei Salven vernichtet worden – oder waren es drei? Es wollte ihm nicht einfallen, und zum Nachdenken hatte er keine Zeit; er musste dem Rudergänger Anweisungen geben.

»Steuerbord neunzig! Scharfe Schrägwende – ziehen Sie die Nase hoch, Chief! Stellen Sie das Schiff auf die Zehen!«

»Steuerbord neunzig, Schiff rollen, aye!«, bestätigte Senior Chief Mangrum und zerrte seinen Joystick kräftig nach hinten.

Die Defiant hob den Bug. In dem Versuch, ihre verletzliche Backbordseite vom Gegner abzukehren, drehte das Schiff nach Steuerbord und zog sich aufwärts. Mordlüstern jagten ihm die einkommenden Raketen hinterher. Die Nahbereichs-Abwehrlaser des beschädigten Leichten Kreuzers schwenkten herum, visierten die Lenkwaffen mit rasanter elektronischer Ruhe an und spien kohärentes Licht. Eine weitere Rakete zerbarst, dann noch zwei – nein, drei. Doch die anderen kamen noch immer näher.

»Die Valiant hat den Bugring verloren, Sir! Sie …«

Er riss den Kopf zum visuellen Display herum, als eine weitere komplette Raketenbreitseite des nächsten havenitischen Schlachtkreuzers das Schwesterschiff der Defiant traf. Fast gleichzeitig detonierten die schweren Laser-Gefechtsköpfe keine fünftausend Kilometer vor dem Backbordbug der Valiant. Die tödlichen bombengepumpten Laserstrahlen zuckten hervor und schlugen durch den wankenden Seitenschild wie weißglühende Nadeln durch weiche Butter. Die leichte Panzerung des Kreuzers zerbarst, Impelleremitter glühten auf und platzten wie Glühbirnen aus der Zeit vor der Raumfahrt. Atemluft brach aus dem Leck, und dann platzte das gesamte vordere Drittel seines Rumpfes. Der Kreuzer explodierte nicht, er löste sich einfach auf. Wie irrsinnig begann der brutal verstümmelte Rumpf zu torkeln, dann versagte die Fusionsflasche, und das Schiff explodierte doch.

»Die Handley und die Plasma Stream überqueren die Alpha-Mauer, Sir!«, rief Franklin an der Signalstation, und er wusste, dass er etwas empfinden sollte. Triumph vielleicht. Andererseits hinterließ die Tatsache, dass zwei Schiffe seines Geleitzugs entkommen waren, einen kalten, bitteren Geschmack nach Asche auf seiner Zunge. Die anderen Frachter hatten es nicht geschafft, die Valiant und die Resolute waren bereits vernichtet, und nun war die Defiant an der Reihe.

Die Nahbereichsabwehr stoppte eine letzte Rakete – dann detonierten die anderen sechs.

Die Defiant bäumte sich auf und ruckte unbeschreiblich. Schadensalarm kreischte auf, und er spürte die aufeinanderfolgenden Stöße, mit denen eine Stützstrebe nach der anderen versagte, während sich die Energie der Laserstrahlen auf den Rumpf übertrug.

»Werfer Siebzehn, Neunzehn und Zwanzig vernichtet! Alpha Vierzehn, Beta Neunundzwanzig und Dreißig vernichtet! Schwere Schäden an Spant Sechs-Neun-Sieben achtern! Nahbereichsabwehr Vierundzwanzig bis Dreißig vernichtet! Magazin Vier ohne Druck! Laser Siebzehn und Neunzehn vernichtet! Schwere Verluste im Maschinenleitstand und …«

Die panische Litanei über die furchtbaren Wunden seines Schiffes ging immer weiter, doch er hatte gar keine Zeit, sie sich anzuhören. Andere mussten sich darum so gut kümmern, wie sie vermochten, sein Universum aber verengte sich auf das Ruder und das taktische Wiederholdisplay vor ihm.

»Alle Bugwerfer: Mike-Lima-Täuschkörper klarmachen und starten! Rollen nach Backbord! Ausweichplan Uniform-X-Ray!«

Senior Chief Mangrum tat sein Bestes. Die Defiant warf sich nach links und kehrte auf ihren Kurs zurück, indem sie dem einkommenden Raketensturm den Bug zuwandte. Täuschdrohnen schwärmten aus – es waren keine Geisterreiter; diese waren längst verbraucht. Sie waren schwächer und weniger raffiniert als die geschleppten Systeme, aber das Beste, was der Defiant noch blieb. Sie schossen aus den Werfern des Kreuzers und schrien die Zielsucher der Raketen an, die versuchten, das Schiff zu vernichten. Er roch Rauch und den Gestank brennender Schaltkreise und Isolierung – und er roch verkohltes Fleisch –, und in seinem Hinterkopf hörte er jemanden über die offene Sprechverbindung in Todesschmerz aufschreien.

»Nahbereichsabwehr-Feuerplan Horatius!«, brüllte er, und was von seiner Taktischen Abteilung noch lebte, begann Behälter mit Antiraketen in die Bugrohre zu laden. Diese Behälter wurden nur selten benutzt, schon gar nicht von einem solch kleinen Schiff wie einem Leichten Kreuzer, doch die Defiant befand sich genau in der Lage, für die man sie entwickelt hatte. Sie hatte über die Hälfte ihrer Antiraketenwerfer verloren. Mithilfe der Behälter konnte man aus den üblichen Werferrohren zusätzliche Schwärme von Raketenabwehrwaffen ins All bringen, und trotz seiner schweren Schäden besaß das Schiff noch drei Viertel seiner Antiraketen-Leitverbindungen, sodass mehr als genügend Lenkkapazität frei war.

Wenigstens zwei Drittel der einkommenden Salven verlor das Ziel und jagte hinter den Täuschdrohnen her in die Leere des Alls. Noch mehr verschwanden, als die Impellerkeile der Antiraketen einen Kegel vor dem Leichten Kreuzer freifegten. Das Abwehrfeuer der Defiant trieb einen Tunnel mitten durch den dichten Schwarm angreifender Raketen, und während ihre verbliebenen Lasercluster die Raketen an ihren Flanken mit einem verzweifelten Dauerfeuer belegten, raste sie hindurch. Bombengepumpte Laserstrahlen peitschten nach ihr, verschwendeten sich aber an den undurchdringlichen Impellerkeil, denn die Haarnadelwende hatte die Lenkcomputer der Raketen überrascht, ohne dass ihnen Zeit blieb, sich in eine neue Feuerposition zu manövrieren.

Und überrascht sein sollten sie auch, dachte er grimmig. Sein blutendes Schiff hielt nun geradewegs auf die Werferrohre eines überwältigend starken feindlichen Kampfverbands zu, statt vor ihm zu fliehen, und die schweren Mittschiffsliniengraser seiner Bug-Jagdbewaffnung erfassten gerade einen Schweren Kreuzer der Mars-Klasse.

Sie eröffneten das Feuer. Die Entfernung lag für eine Energiewaffe eigentlich zu hoch, selbst für die schweren Jagdgeschütze, aber das havenitische Schiff hatte sich, eifrig auf einen Abschuss hoffend, vor seine Schwesterschiffe und die massigeren Schlachtkreuzer gesetzt; die Schießausbildung der Defiant war immer gut gewesen. Der Mars-Kreuzer wankte unter dem tödlichen Energiestoß, der ihn gleich einem Vorschlaghammer mit einem Dutzendfachen der Leistung traf, die ein Laser-Gefechtskopf eines Wallschiffes aufbrachte. Es war, als wäre der Schwere Kreuzer mitten im All gegen einen Fels gelaufen. Die Jagdbewaffnung schaltete auf schnelles Dauerfeuer um, saugte jedes Joule aus den Leitungen, das der Maschinenleitstand und die Speicherringe ihnen zuführen konnten. Warnsirenen fielen mit ihren schrillen Tönen in die Kakophonie aus Alarmmeldungen, Gefechtsdurchsagen und dem Piepen von Vorrangsignalen ein, während die Graser sich katastrophal überhitzten, doch es hatte keinen Sinn, sich zurückzunehmen, und das wusste er.

Und auch den Bedienungen an den Graserlafetten war es klar. Sie versuchten nicht einmal, die Leistung zu senken. Sie brachten alles ein, was sie besaßen, solange sie es noch hatten, und ihr Ziel spie Wrackteile aus, gezackte Splitter, Rettungskapseln und Menschen in Raumanzügen. Die Flut der Vernichtung drang nach achtern vor, zerriss das Schiff Spant für Spant, und schließlich verging es in einem Feuerball so grell wie die Sonne – zwei Sekunden, ehe die überlasteten Versorgungsleitungen von Jagdgeschütz Zwo explodierten.

Um zu frohlocken oder auch nur eine grimmige Befriedigung zu empfinden blieb keine Zeit. Die kurze Feuerpause, die sein verzweifeltes Manöver der Defiant verschafft hatte, ging zu Ende, als die Haveniten sich an die neue Lage anpassten. Die Geschwaderschwestern des vernichteten Schweren Kreuzers rollten herum und präsentierten ihre Breitseiten. Sie legten einen unvergleichlichen Feuersturm auf die Defiant, schleuderten dem Mörder ihrer Schwester ihren Hass entgegen. Mehr Raketen rasten aus allen Richtungen heran und detonierten, vergrößerten den Atombrand des Mars-Kreuzers, und diesmal gab es kein Ausweichen mehr. Keine weiteren Tricks. Keine cleveren Manöver.

Er hatte gerade noch Zeit, auf den Plot zu schauen, dem Todesurteil ins Gesicht zu sehen, das über sein Schiff gesprochen worden war, und seine Entscheidung zu verfluchen, sich zum Gefecht zu stellen. Dann …

»Aivars, wach auf!«

Er öffnete fast unverzüglich die blauen Augen. Fast … aber nicht schnell genug, um Sinead zu täuschen. Er drehte den Kopf auf dem Kissen und sah sie an. Er atmete fast normal, und sie schmiegte sich an ihn. Durch das weiche, seidige Gewebe ihres Nachthemds spürte er ihre Wärme, ihre Nachgiebigkeit, und über seine Schulter – seine rechte Schulter – strich der kurze, fedrige Schopf aus dunkelrotem Haar wie ein seidiger Kuss.

»Es ist vorbei«, sagte sie leise. Ihre grünen Augen funkelten im Licht auf dem Nachttisch wie Smaragde. Sie muss es eingeschaltet haben, als sie hörte, dass ich den Albtraum habe, dachte er.

»Ich weiß«, sagte er ebenso leise, und sie verzog den Mund zu einem traurigen, liebevollen Lächeln.

»Lügner!«, wisperte sie, hob die schlanke Hand und strich ihm sanft über den säuberlich getrimmten Bart.

»Nein«, widersprach er. Er spürte, wie auf seiner Stirn der Schweiß abkühlte, der ihm bei der Erinnerung an den Schrecken, die Trauer und die Schuldgefühle ausgebrochen war. »Es ist vielleicht nicht so sehr vorüber, wie es dir recht wäre, Liebes. Nur so sehr vorüber, wie es sein kann.«

»Ach, Aivars!« Sie legte die Arme um ihn, drückte den Kopf an seine Brust, spürte an der Wange den harten Schlag seines Herzens und versuchte, nicht zu weinen. Sie wollte ihm ihre heftige, bittere Wut über die Befehle, die ihn ihr wieder entrissen, nicht zeigen. Sie versuchte, keinen Zorn auf die Admiralität zu empfinden, die sie erteilt, oder ihn, der sie angenommen hatte.

»Ich liebe dich sehr, weißt du«, sagte sie leise, und ihrer Stimme war nicht die Spur von Zorn, Groll oder Angst anzumerken.

»Das weiß ich«, wisperte er und hielt sie fest. »Glaub mir, das weiß ich.«

»Und ich möchte nicht, dass du gehst«, fuhr sie fort und schloss die Augen. »Du hast genug getan – mehr als genug. Und ich hätte dich schon einmal fast verloren. Ich dachte, ich hätte dich verloren, und der Gedanke, dich wieder zu verlieren, diesmal für immer, macht mir Angst.«

»Ich weiß«, wisperte er wieder und nahm sie so fest in die Arme, dass sie einen Schmerz spürte, den sie willkommen hieß. Aber er sagte nicht: ›Ich gehe nicht‹, und sie kämpfte ein weiteres Aufwallen ihrer Wut nieder. Denn er konnte es nicht sagen. Er könnte es nie sagen und noch der Mann sein, den sie liebte. Hyacinth hatte ihn in so vielerlei Hinsicht verändert, und dennoch steckte der Mann, den sie immer gekannt hatte, nach wie vor in ihm. Sie wusste es und klammerte sich an dieses Wissen, denn es war ihr Fels in der Brandung.

»Ich möchte nicht, dass du gehst«, wiederholte sie und drückte ihr Gesicht an seine Brust. »Auch wenn ich weiß, dass du gehen muss. Aber du kommst zu mir zurück, Aivars Terekhov. Du kommst zu mir zurück!«

»Ich komme zurück«, versprach er und spürte, wie ihm etwas in der Brust zerriss. Er drückte sie noch fester an sich, und beide sprachen sie für lange, lange Zeit kein Wort. Dazu bestand keine Notwendigkeit, denn in den ganzen dreiundvierzig T-Jahren ihrer Ehe hatte er noch nie ein Versprechen gebrochen, das er ihr gemacht hatte. Und auch dieses würde er halten – wenn er die Wahl hatte.

1

Admiral der Roten Flagge Lady Dame Honor Harrington, Gutsherrin und Herzogin von Harrington, saß neben Vizeadmiral der Roten Flagge Beatrice McDermott, Baronin von Alb, und sah schweigend zu, wie sich die bequemen, wie in einem Amphitheater angeordneten Sitzreihen des großen holografischen Simulators füllten. Die Zuhörerschaft war diszipliniert und etwas kleiner als noch vor einigen Jahren. Man sah auch weniger nicht-manticoranische Uniformen, und den Großteil der fremden Farben stellten die beiden Blautöne der Grayson Space Navy. Etliche der kleineren Verbündeten des Sternenkönigreichs hatte die Anzahl der Raumkadetten, die sie nach Saganami Island schickten, stark reduziert, und erewhonische Uniformen waren völlig verschwunden. Dame Honor bewahrte – irgendwie – eine gelassene Miene, während sie sich an die starren Gesichter der Kadetten erinnerte, die wie ein Mann ihre Kurse verließen, nachdem ihre Regierung das lange bestehende Bündnis mit dem Sternenkönigreich von Manticore aufgekündigt hatte.

Sie gab den jungen Männern und Frauen, von denen sie viele persönlich unterrichtet hatte, als sie noch auf der Insel waren, keine Schuld, auch wenn sie sich persönlich verraten fühlte. Nicht einmal der erewhonischen Regierung machte sie Vorwürfe. Dame Honor wünschte, sie hätte es gekonnt, doch sie legte großen Wert darauf, immer ehrlich mit sich selbst zu sein, und das Sternenkönigreich war nicht von Erewhon verraten worden, sondern von der manticoranischen Regierung.

Sie sah zu, wie der letzte Kadett mit einer militärischen Präzision Platz nahm, die sogar einen Saganami-Marine zufriedengestellt hätte. Dann erhob sich Dame Beatrice von ihrem Stuhl und ging mit raschen, aber doch gemessenen Schritten zum althergebrachten Rednerpult.

»Aach-tunk!

Command Sergeant Major Sullivans Stimme füllte die gewaltige Simulatorhalle mit einem Schallpegel, den auch der beste Opernsänger nur mit großer Mühe hätte produzieren können, und ein perfekt synchronisierter, donnernder Knall antwortete ihm augenblicklich, als elftausend auf Hochglanz polierte Stiefel mit den Hacken zusammengeschlagen wurden. Fünftausendfünfhundert Raumkadettinnen und Raumkadetten nahmen Haltung an, die Augen geradeaus, die Schultern gestrafft, das Rückgrat gerade wie ein Ladestock, die Daumen an den Hosennähten, und Dame Beatrice musterte sie ruhigen Blickes.

Ihren Abschluss erhielten sie vorzeitig, wenn auch nicht so sehr verfrüht wie einige ihrer Vorgänger vor der kriegsentscheidenden Offensive der Achten Flotte unter dem Kommando Earl White Havens. Aber viel früher als ihre unmittelbaren Vorgänger, die wie im Frieden abschlossen, nachdem man den Sieg der Achten Flotte achtlos fortgeworfen hatte wie Abfall. Und ihnen bestand keine Kadettenfahrt bevor, wie man sie aus Friedenszeiten kannte, sondern sie wurden unmittelbar in die Gefechte des neuen Krieges geworfen.

Eines Krieges, den wir verlieren, dachte Dame Beatrice und fragte sich, wie vielen dieser jugendlichen Gesichter während der nächsten verzweifelten Monate die Augen brechen würden. Wie viele der Geister hinter diesen Gesichtern begriffen den monumentalen Verrat, durch den sie unmittelbar in den Feuerofen geschickt wurden?

Dame Beatrice sah die jungen Leute an wie eine Meisterschmiedin, die ihre neuen Schwertklingen mustert und unter der glitzernden Schärfe nach verborgenen Schwächen sucht. Sie fragte sich, ob der gewetzte Stahl dem Hurrikan des Kampfes gewachsen wäre, der schon auf sie wartete, während sie die letzte Härtung vorbereitete.

»Rühren, Ladys und Gentlemen.«

Die Stimme der Academy Commandant von Saganami Island klang gleichmütig, ein melodiöser Alt, der in das abwartende Schweigen eindrang und die Stille mit seiner ruhigen Kraft füllte.

Ein gewaltiges, zischendes Stiefelscharren antwortete ihr, als Tausende von Raumkadetten in Rührt-Euch-Stellung gingen. Sie blickte sie noch einige Sekunden lang an und sah ihnen ruhig in die Augen.

»Sie sind ein letztes Mal zusammengekommen«, sagte sie, »ehe Sie Ihre Raumkadettenfahrt beginnen. Diese Zusammenkunft ist ein Brauch, eine letzte gemeinsame Erinnerung an das, was Raumdienst wirklich bedeutet und was er kosten kann, ein Brauch, der seit über zwo Jahrhunderten zu Saganami Island gehört. Nach der Tradition spricht bei dieser Gelegenheit der Commandant der Akademie zu seinen Schülerinnen und Schülern, doch es hat Ausnahmen gegeben. Admiral Ellen D’Orville machte eine von ihnen, Admiral Quentin Saint-James eine andere.

Dieses Jahr wird es eine weitere Ausnahme geben, denn wir haben die Ehre und das Vorrecht der Gesellschaft von Admiral Lady Dame Honor Harrington. Sie ist nur drei Tage auf Manticore, dann kehrt sie zur Achten Flotte zurück, um deren Reaktivierung abzuschließen und das Kommando anzutreten. Viele von Ihnen hatten das Privileg, in den ersten Semestern von ihr unterrichtet zu werden. Allen von Ihnen kann ich nur anraten, nehmen Sie sich an ihr ein Beispiel, während Sie Ihrer eigenen Laufbahn folgen. Wenn eine lebendige Frau in der Uniform der Königin die Tradition begreift, die uns heute hier zusammenführt, dann sie.«

Die Stille war komplett, und Honor spürte, während sie sich ebenfalls erhob, wie ihre Wangen sich röteten. Der cremefarben-graue Baumkater auf ihrer Schulter saß stocksteif da, stolz und hocherhoben, und beide schmeckten sie die Emotionen der versammelten Raumkadetten. Emotionen, in deren Zentrum sie stand, gewiss, aber nur zum Teil. Denn heute war sie nur ein Teil, eine Sprecherin für etwas, das größer war als ein einzelner Mensch, ganz gleich, was er geleistet hatte. Die schweigenden Raumkadetten begriffen es vielleicht noch nicht ganz, aber sie spürten es, und ihre stille Erwartung erschien Honor wie ein Vulkan, der unter einer kühlen, weißen Schneedecke schlummerte.

Dame Beatrice wandte sich Honor zu und nahm Haltung an. Zackig salutierte sie, und Honors Hand zuckte zur Antwort hoch, so scharf und präzise wie an dem Tag, an dem sie selbst zum Letzten Appell bestellt worden war. Dann ließen sie die Hände sinken und standen einander gegenüber.

»Hoheit«, sagte Dame Beatrice nur und trat zur Seite.

Honor atmete tief durch und ging zackig zu dem Rednerpult. Sie stellte sich dahinter auf, groß und gerade. Nimitz saß reglos wie eine Statue auf ihrer Schulter und blickte in das funkelnde Meer aus jungen Augen. Sie erinnerte sich an ihren Letzten Appell. Sie erinnerte sich, eine der Raumkadettinnen hinter diesen Augen gewesen zu sein. Erinnerte sich, wie Nimitz auch an jenem Tag auf ihrer Schulter saß, während sie zu Commandant Hartley hochsah und die geheimnisvolle Bindung zu ihm genauso spürte wie alle anderen Middys, wie alle anderen Offiziere, die vor ihr das Schwarz und Gold des Sternenkönigreichs getragen hatten. Und nun war es an ihr, vor einem neuen Arsenal heller, brünierter Klingen zu stehen, ihre Jugend zu sehen, ihre Hoffnungen – und ihre Sterblichkeit. Um all das wahrhaft zu empfinden, denn diesmal schmeckte Honor sie, die gedämpfte, aber dennoch tatendurstige Erwartung und Einigkeit, von der alle ergriffen waren.

»In wenigen Tagen«, sagte sie schließlich in die Stille, »werden Sie sich zum ersten Mal zu einer echten Verwendung an Bord eines Kampfschiffes melden. Ich hoffe, dass Ihre Ausbilder Sie auf diese Erfahrung angemessen vorbereitet haben. Sie stellen unsere besten, klügsten Köpfe dar, die neusten Glieder in einer Kette von Pflicht, Verantwortung und Opferbereitschaft, die auf dem Amboss von fünf Jahrhunderten Raumdienst geschmiedet wurde. Sie nehmen eine schwere Last auf sich, die einigen von Ihnen den Tod bringen kann und bringen wird.«

Sie hielt inne, lauschte dem Schweigen und spürte sein Gewicht.

»Ihre Ausbilder hier auf der Insel haben ihr Bestes getan, um Sie auf diese Bürde vorzubereiten, die Realität. Doch in Wahrheit, Ladys und Gentlemen, kann niemand Sie wirklich darauf vorbereiten. Wir können Sie unterrichten, ausbilden, Ihnen das Gesamtbild unserer Erfahrungen mitteilen, aber niemand kann im Feuerofen bei Ihnen sein. Die Hierarchie, Ihre Vorgesetzten, die Männer und Frauen unter Ihrem Befehl – alles wird bei Ihnen sein, und dennoch stehen Sie in dem Augenblick, in dem Sie der Pflicht und der Sterblichkeit wahrhaft ins Gesicht sehen, allein da. Und darauf, Ladys und Gentlemen, könnte Sie keine Ausbildung und kein Lehrer jemals wirklich vorbereiten.

In jenem Moment haben Sie nur vier Dinge zur Hilfe. Ihre Ausbildung, die wir so umfassend, so herausfordernd und so streng gestaltet haben, wie wir nur konnten. Ihren Mut, der nur von innen kommen kann. Ihre Treue zu den Männern und Frauen, mit denen Sie dienen. Und die Tradition von Saganami. Einige von Ihnen, die meisten sogar, werden sich der Herausforderung dieses Augenblicks gewachsen zeigen. Einige werden alles aufbieten, was in ihnen steckt, und entdecken müssen, dass alle Ausbildung und aller Mut im ganzen Kosmos niemanden unsterblich machen. Und einige, hoffentlich nur sehr wenige, werden unter der Last jenes Augenblicks zerbrechen.«

Während jedes Auge im Simulator sie ansah, hätte schon das Geräusch eines einzelnen Atemzugs ohrenbetäubend laut geklungen.

»Im ganzen Universum gibt es keine furchteinflößendere, gefährlichere und ehrenwertere Aufgabe als die, zu der Sie gerufen werden, die Last, die Sie freiwillig für Ihre Königin und Ihr Königreich, Ihren Protector und Ihren Planeten tragen wollen, für das Volk, dem Sie dienen. Sie haben sich aus eigenem freiem Willen entschieden, mit Ihrem Leben für die Menschen und Sternnationen, die Sie lieben, gegen ihre Feinde einzutreten. Zu kämpfen, um sie zu verteidigen, zu sterben, um sie zu schützen. Diese Last haben schon andere vor Ihnen geschultert, und wenn Ihnen auch niemand wirklich beibringen kann, was das bedeutet und was es Sie kosten kann, ehe Sie es für sich selbst erfahren, so bleibt Ihnen dennoch viel von jenen zu lernen, die diesen Weg vor Ihnen gegangen sind. Und das, Ladys und Gentlemen, ist der Grund, weshalb Sie heute hier stehen, wie seit zwohundertdreiundvierzig T-Jahren jede Abschlussklasse von Raumkadettinnen und Raumkadetten am Vorabend ihrer Kadettenfahrt hier angetreten ist.«

Sie drückte einen Knopf am Rednerpult, und das Licht wurde heruntergeregelt. Einen Moment lang umgab sie nichts als eine dichte, samtene Dunkelheit, durchbrochen nur von den nadelspitzen Lichtpunkten der LEDs am Schaltfeld des Pultes, die wie einsame, verlorene Sterne in der Schwärze brannten.

Dann plötzlich gab es noch ein Licht. Ein Licht, das in den Tiefen des Simulators glühte.

Es war das aus Licht geformte Bild eines Mannes. An seinem Äußeren war nichts Besonderes. Er war etwas kleiner als der Durchschnitt und hatte einen dunklen Teint, eine starke Nase und dunkelbraunes Haar mit leichten Geheimratsecken. Seine dunklen Augen zeigten eine ausgeprägte Nasenlidfalte. Er trug eine alte Uniform, die seit über zwei T-Jahrhunderten außer Mode war, und hielt die Schirmmütze, die von der Royal Manticoran Navy vor über einhundertsiebzig T-Jahren durch ein Barett ersetzt worden war, unter den linken Arm geklemmt.

»Eure Majestät«, sagte er, und wie seine Uniform war auch die Sprechweise seiner aufgezeichneten Stimme altertümlich, klar und verständlich, aber dennoch ein Echo aus einer anderen Zeit. Ein Gespenst, in einem elektronischen Leichentuch konserviert. Und dennoch, trotz aller staubigen Jahre, die vorbeigezogen waren, seit dieser Mann geatmet, geschlafen und geträumt hatte, strahlte er etwas aus; einen nicht ganz definierbaren Funken, der selbst heute noch brannte.

»Ich möchte melden«, fuhr er fort, »dass die Einheiten unter meinem Befehl den Feind angegriffen haben. Obwohl ich Sie zu meinem tiefen Bedauern unterrichten muss, dass HMS Triumph und HMS Defiant im Gefecht gegen die Piraten von Trautmans Stern verlorengegangen sind, habe ich Sie weiterhin zu informieren, dass wir den Sieg erringen konnten. Wir haben bestätigt dreizehn gegnerische Kreuzer, Leichte Kreuzer und Zerstörer vernichtet, dazu alle Einrichtungen zur Versorgung von Sternenschiffen im gesamten Sonnensystem. Darüber hinaus konnten wir einen Zerstörer, einen Leichten und zwo Schwere Kreuzer sowie zwo Schlachtkreuzer aufbringen. Mehrere dieser Einheiten scheinen neuere solarische Baumuster zu sein und verfügen über erheblich schwerere Bewaffnung, als die meisten ›Piratenschiffe‹ sie tragen. Unsere eigenen Verluste an Menschen und Material waren schwerwiegend, und ich habe mich gezwungen gesehen, HMS Victorious, Swiftsure, Mars und Agamemnon zur Reparatur an die Werft zu überstellen. Von ihren Besatzungen habe ich ausreichend Personal zu den anderen Einheiten unter meinem Befehl versetzen lassen, um jedes verbleibende Schiff voll zu bemannen, und habe den Kommandanten der Swiftsure, Captain Timmerman, als höchsten Offizier der Abteilung angewiesen, mit den Prisenschiffen ins Sternenkönigreich zurückzukehren.

Angesichts unserer Verluste und der verringerten Kampfkraft meines Geschwaders wird es erforderlich sein, unsere Offensive gegen die identifizierten Piratenbasen vorübergehend auszusetzen. Ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir weiteres erhärtendes Beweismaterial entdeckt haben. Manpower, Incorporated, und Personen aus höchsten silesianischen Regierungskreisen sind in die Aktivitäten der sogenannten ›Piraten‹, die in der Konföderation operieren, verwickelt. Unter den gegebenen Umständen dürfen wir uns meiner Ansicht nach nicht darauf verlassen, dass die Navy der Konföderation unseren Handelsverkehr schützt. Vielmehr erklärt die Verwicklung hoher Regierungsmitglieder mit den Angreifern auf unseren Handelsverkehr ohne Zweifel, weshalb sich silesianische Flotteneinheiten als solch ungeeigneter Begleitschutz erwiesen haben.

Im Lichte dieser neuen Beweise und aufgrund meiner verminderten Kampfstärke sehe ich keine andere Möglichkeit, als meinen Angriffsverband aufzuteilen und in den am meisten gefährdeten Gebieten Geleitschutz zu stellen. Ich bedaure, dass die äußeren Umstände mir eine zeitweise Aussetzung der Offensive aufzwingen, aber ich beabsichtige, Operationen in größerem Maßstab aufzunehmen, sobald ich die Verstärkungen erhalte, die augenblicklich nach Silesia unterwegs sind.

Ich habe einen detaillierten Bericht an die Admiralität verfasst und hänge dieser Meldung eine Kopie davon an. Eure Majestät, ich habe die Ehre, als Ihr treuester und gehorsamster Untertan zu verbleiben.

Saganami, Ende.«

Er verbeugte sich leicht, aber mit außerordentlicher Würde, und sein aufgezeichnetes Bild verblasste.

Ein weiterer Augenblick der Dunkelheit folgte, der das Publikum mit der Erinnerung an Saganamis Nachricht allein ließ. Seiner letzten Nachricht an Königin Adrienne, der Monarchin, die sein Geschwader nach Silesia entsandt hatte. Und dann erwachte das Holodisplay wieder zum Leben.

Diesmal waren zwei Bilder zu sehen, beides Kommandodecks. Beim einen handelte es sich um die Brücke eines Frachters, beim anderen um den Befehlsstand eines Kampfschiffs.

Die Brückenbesatzung des Frachters saß an ihren Stationen, die Schultern steif, die Gesichter angespannt, furchtsam sogar. Der Kapitän wirkte genauso unruhig wie seine Offiziere, aber er saß nicht im Kommandosessel, sondern stand daneben und blickte in das Comdisplay, das ihn mit dem zweiten Schiff verband.

Die Brücke des Kampfschiffs wirkte nach modernen Maßstäben beengt und ungewohnt; sie gehörte zu einem Schlachtkreuzer, der kleiner war als viele moderne Schwere Kreuzer, und seine Displays und Waffenkonsolen waren hoffnungslos veraltet. Der mandeläugige Offizier stand auf dem Kommandodeck, und sein altmodischer Vakuumanzug war erheblich unbequemer und sperriger als ein moderner Skinsuit. An der Taktischen Station leuchtete es rot auf den Gefechtsstatustafeln, und als er das Wort ergriff, hörte man im Hintergrund die disziplinierten Meldungen seiner Besatzung.

»Meine Befehle stehen nicht zur Diskussion, Captain Hargood«, sagte er tonlos. »Der Geleitzug wird sich augenblicklich auflösen. Jedes Schiff hat auf zeitoptimiertem Kurs zur Hypergrenze durchzubrechen. Auf der Stelle, Captain.«

»Ich weise Ihre Befehle nicht zurück, verdammt!«, versetzte Captain Hargood barsch. »Ich versuche nur, Sie davon abzuhalten, dass Sie Ihr Schiff und das Leben jedes Mannes und jeder Frau an Bord opfern!«

»Danke für die Mühe«, erwiderte Commodore Saganami mit einem schmalen Lächeln. »Sie ist jedoch vergeblich, fürchte ich. Nun wenden Sie und verschwinden von hier.«

»Zur Hölle noch mal, Eddy!«, explodierte Hargood. »Das sind sechs von den Mistkerlen, darunter zwo Schlachtkreuzer! Was zum Teufel glaubst du denn, das du erreichen kannst? Im Gegensatz zu uns hast du die nötige Beschleunigung, um von ihnen wegzukommen, also tu es, verdammt noch mal!«

»Wenn wir fertig sind, sind es keine sechs mehr«, erwiderte Saganami grimmig, »und jeder, den wir zerstören oder auch nur stark genug beschädigen, ist einer, der dich oder ein anderes Schiff des Konvois nicht verfolgen wird. Und jetzt ist die Diskussion beendet, James. Nimm dein Schiff und deine Leute und sieh zu, dass du nach Hause kommst zu Frau und Kindern. Saganami, Ende.«

Captain Hargoods Display leerte sich, und sein holografisches Abbild ließ die Schultern sinken. Vielleicht ein halbes Dutzend Atemzüge lang starrte er auf den Schirm, dann gab er sich einen Ruck und drehte sich dem Astrogator zu.

»Sie haben ihn gehört«, sagte er schleppend, und sein Gesicht wirkte um Jahrzehnte gealtert. »Bringen Sie uns hier raus.«

»Jawohl, Sir«, antwortete der Astrogator leise.

Das Bild im Simulator sprang erneut um, als die Aufzeichnung der Unterredung zwischen Hargood und Saganami endete. Ein riesiges taktisches Display ersetzte es, das so alt war, dass seine Symbole durch neuere, moderne Icons ersetzt worden waren, damit ein Taktiker der Gegenwart sie überhaupt lesen konnte. Im Lichtbalken am unteren Rand des Displays leuchtete ein Schiffsname auf: RMMS Prince Harold, Captain James Hargoods Schiff.

Das Bildmaterial im Display war trotz aller nachträglichen Computerverfeinerung nicht besonders detailliert. Die Entfernung war groß, und die Sensoren, die es gezeichnet hatten, basierten auf einer Technik, die nach modernen Standards als grob und begrenzt gelten musste. Und selbst wenn beides anders gewesen wäre, war die Prince Harold ein Handelsfrachter gewesen, kein Kampfschiff. Dennoch ließ sich auf dem Display genügend erkennen.

Ein einzelnes grünes Icon, mit dem Namen ›Nike‹ markiert, schob sich vor, beschleunigte mit äußersten Werten auf die sechs anderen Icons zu, die in der Farbe frisch vergossenen Blutes leuchteten, mit der man feindliche Einheiten kennzeichnete. Zwei Feindschiffe waren als Schlachtkreuzer identifiziert, ein anderes als Schwerer Kreuzer. Die anderen drei waren ›nur‹ Zerstörer. Die Entfernung erschien absurd niedrig, doch noch hatte niemand das Feuer eröffnet. Die Waffen jener Tage waren zu grob, zu kurzreichweitig. Doch die Feuerruhe würde rasch enden, denn die Nike näherte sich ihren Gegnern auf einem Abfangkurs.

Die ersten Raketen starteten, schossen aus den Rohren, und die Sensorbilder der Prince Harold gerieten unter den gezackten Blitzen von Störsignalen aus den Fugen. Alle Icons verschwanden komplett in dem elektronischen Durcheinander, aber nur für wenige Sekunden. Dann glätteten mehrere Verstärkungsstufen die Störungen aus und zeigten die Lage wieder mit glasklarer Schärfe. Der Mangel an Daten verriet, wie schwer die Sensoren der Prince Harold beeinträchtigt wurden, doch diejenigen Daten, die sie empfing, waren kristallklar – und brutal deutlich.

Trotz des entsetzlichen Kräfteverhältnisses dauerte das Gefecht über vierzig Minuten. Vierzig Minuten, in denen aus dem gewaltigen Auditorium kein Laut drang, nicht einmal ein Flüstern, während fünftausendfünfhundert Raumkadettinnen und Raumkadetten das Display betrachteten. Sie beobachteten, wie diese einzelne, trotzige grüne Lichtperle geradewegs in ein Vierfaches der eigenen Kampfkraft beschleunigte. Beobachteten, wie sie mit einer kaltblütigen Präzision, die bereits dem eigenen Überleben entsagt hatte, das Feuer massierte. Sie feuerte nicht auf die gegnerischen Schlachtkreuzer, sondern auf die Geleitzerstörer. Mit dem altmodischen Donner thermonuklearer Kontaktgefechtsköpfe drosch sie auf sie ein. Und als der Abstand sich weiter verringerte, zerfetzte sie die Zerstörer mit dem kohärenten Licht ihrer Breitseitenlaser.

Kein einziger Zuschauer missverstand, was er oder sie sah. Commodore Saganami kämpfte nicht ums Überleben. Er kämpfte, um so viele Piratenschiffe zu vernichten oder gefechtsuntüchtig zu schießen, wie er konnte. Einen langsamen, unbewaffneten Handelsfrachter interessierte es nicht, ob der Pirat, der zu ihm aufschloss, ein Zerstörer war oder ein Superdreadnought. Noch der kleinste Pirat konnte den größten Frachter zusammenschießen, und es gab so viele Angreifer, wie Saganamis Geleitzug Schiffe umfasste. Jedes Schiff, das er vernichtete, bedeutete also einen Frachter, der heil entkam – und Zerstörer konnte er viel leichter vernichten als Schlachtkreuzer.

Die Nike raste heran. Sie beschrieb einen Korkenzieher um ihren Basisvektor und rollte sich ständig herum, suchte Schutz hinter den undurchdringlichen Bändern ihres Impellerkeils, nur um im nächsten Augenblick herumzuschwingen und eine ganze Breitseite von Laserstrahlen durch den zerbrechlichen Seitenschild eines Zerstörers zu jagen. Ihr Ziel wirbelte zur Seite, stieß Atemluft aus, ließ eine Trümmerspur zurück. Der Impellerkeil fluktuierte und erlosch, und die Nike sandte den Zerstörer mit einer einzigen Rakete in die Hölle, die seine Crew erwartete, während sie sich schon herumwarf, um einem seiner Begleiter zuzusetzen.

Das grüne Icon wand und flocht sich spiralisierend zwischen seinen Feinden hindurch, schloss zu Entfernungen zu ihnen auf, die auch bei den einfacheren, kürzer reichenden Waffen seiner Tage selbstmörderisch gewesen waren. Die Manöver der Nike hatten eine gewisse Eleganz an sich, eine Sauberkeit. Sie stürzte sich kopfüber in die eigene Vernichtung, und doch tanzte sie. Sie begrüßte den eigenen Opfergang, und die Hand, die sie lenkte und ihren Kurs bestimmte, sie gehörte einem Meister.

Dennoch war Eleganz keine Panzerung, Anmut keine Unsterblichkeit. Ein anderes Schiff hätte weit früher als sie das Ende gefunden, wäre vom feindlichen Feuer zerschnitten worden, einer tödlichen Salve in den Weg geraten. Doch nicht einmal die Nike konnte dem Tornado der Vernichtung vollkommen ausweichen, die ihre Feinde auf sie schleuderten, und immer mehr Schadensmeldungen flackerten an ihrem Icon auf, während sie einen Treffer nach dem anderen einstecken musste.

Ein zweiter Zerstörer explodierte. Der dritte trudelte zur Seite; sein Bugimpellerring war nur noch eine offene Wunde, und die Nike wandte sich dem Schweren Kreuzer zu. Ihre Raketen fraßen sich in ihn hinein, beschädigten seine Impeller und lähmten ihn so weit, dass ihm selbst ein schwerfälliger Frachter davonlaufen konnte.

Das Icon der Nike war von dem roten Hof umgeben, der anzeigte, dass die Atemluft aus ihr entwich. Ihre Beschleunigung sank konstant, je mehr Alpha- und Beta-Emitter in ihren Impellerringen explodierten. Die Schwere ihres Beschusses schwand, weil Raketenwerfer und Laserlafetten eine nach der anderen zermalmt wurden – mitsamt den Männern und Frauen, die sie bedienten. Honor und Nimitz kannten die Schrecken der Raumschlacht; sie hatten gesehen, wie Freunde zerrissen, wie schöne Schiffe zerschmettert und zerschlagen wurden. Im Gegensatz zu Dame Beatrice’ zuschauenden Raumkadetten wussten sie, wie es auf der Brücke der Nike zugegangen sein musste, in den Gängen des Schiffes, in den Panzergondeln, in denen die Bedienmannschaften kämpften und fluchten – und starben. Die Zuschauer wussten aber, dass ihnen Honors Erfahrung fehlte und sie Zeuge von etwas wurden, das über ihr Begriffsvermögen hinausging. Und dass auch ihnen eines Tages etwas Ähnliches bevorstehen konnte, wie es Edward Saganami und der Besatzung der Nike vor so vielen Jahren zugestoßen war.

Der brutal verwundete Schlachtkreuzer rollte auf Kernschussweite herum, kaum achttausend Kilometer von seinem Ziel entfernt, und feuerte jede noch gefechtstüchtige Waffe seiner Backbordseite in einen der feindlichen Schlachtkreuzer. Der Pirat machte einen Satz zur Seite, als die transferierte Energie Panzerung zerschmetterte und immer tiefer in den Rumpf vordrang. Er trieb einige Augenblicke weiter und verging in einer gewaltigen Explosion.

Doch die Nike hatte für diesen Sieg einen Preis zu zahlen. Als sie zum Feuer herumrollte, fand sich der zweite, unbeschädigte Piratenschlachtkreuzer endlich in einer Position, aus der er sie beschießen konnte. Eine Position, in der die Nike ihm nicht mehr den kraftvollen Impellerkeil zuwandte. Seine Energiewaffen feuerten, und sie besaßen die gleiche Durchschlagkraft wie die Strahler der Nike. Saganamis Schiff war schwerer gepanzert als ein Kreuzer oder gar ein Zerstörer, aber sie war kein Schlachtschiff oder Dreadnought. Sie war nur ein Schlachtkreuzer. Ihre Panzerung zerbarst, Atemluft fauchte aus der aufgerissenen Außenhaut, und der Bugimpellerring blitzte auf und erstarb.

Die Nike schüttelte sich und versuchte, von ihrem Gegner abzudrehen. Der Schwere Kreuzer, den sie bereits gelähmt hatte, feuerte eine volle Raketensalve auf sie. Die Nahbereichsabwehr hielt einige Lenkwaffen auf, doch vier explodierten an ihrem wankenden Seitenschild, und noch mehr Schadenskennungen blitzten auf, als ihre Glut die auf Volllast arbeitenden Generatoren überwand und sich in ihre Flanke fraß. Dann feuerte der feindliche Schlachtkreuzer erneut. Das grüne Icon machte einen Satz und umgab sich mit dem blitzenden roten Ring, der kritischen Schaden anzeigte. Im taktischen Display öffnete sich ein Fenster.

Es war ein Combildschirm. Im Datums-Zeit-Feld an der rechten unteren Ecke blitzte der Name der Prince Harold auf und identifizierte den Frachter als Empfänger des voraufgezeichneten Signals. Mehr als ein Raumkadett zuckte zusammen, als er unversehens in den Vorhof der Hölle blickte.

Die Brücke der Nike war von einem dünnen Rauch angefüllt, der zu den leckgeschlagenen Schotten abzog und ins bodenlos hungrige Vakuum dahinter strömte. Elektrisches Feuer zuckte unkontrolliert über die Konsolen. Die Astrogation war nur noch ein Trümmerhaufen, und überall an Deck lagen Leichen. Mit blutüberströmtem Gesicht blickte Edward Saganami ins Display; noch mehr Blut bedeckte die rechte Seite seines Vakuumanzuges, wo es aus einer tiefen Wunde in seiner Schulter quoll. Das taktische Display hinter ihm war noch funktionstüchtig. Die Icons und Seitenleisten und die grellen Schadenskennungen auf der Reparaturliste flackerten und setzten aus, wenn die Stromversorgung überlastet wurde. Dennoch waren sie noch aktiv und zeigten den anderen Schlachtkreuzer, der sich in Position zum letzten, tödlichen Schuss brachte, dem die Nike nicht mehr ausweichen konnte.

»Wir sind erledigt, James«, sagte Saganami. Seine Stimme war rau, heiser vor Schmerzen und der Erschöpfung durch den Blutverlust, und dennoch war sein Gesicht fast ruhig. »Melde es der Königin. Melde ihr, was meine Leute geleistet haben. Und sag ihr, es täte mir lei …«

Der Simulator wurde schwarz. Im lichtlosen Zuschauerraum herrschte völliges Schweigen. Und dann erschien langsam ein letztes Bild. Es war das goldene Kreuz mit dem Sonnenaufgang, die Parliamentary Medal of Valour an ihrem blau-weiß-roten Band. Die gleichen Farben befanden sich zwar unter den Ordensbändern an Honors Brust, aber diese Medal of Valour war etwas Besonderes: Sie war das erste PMV, das jemals verliehen worden war, und hing vielleicht zwanzig Sekunden vor ihnen allen in der Luft.

Dann gingen die Lichter wieder an, und Lady Dame Honor Harrington, Kommandeurin der jüngst reaktivierten Achten Flotte der Manticoranischen Allianz, blickte auf die vierhundertelfte Abschlussklasse der Flottenakademie. Die Klasse erwiderte den Blick, und sie holte tief Luft.

»Ladys und Gentlemen«, sagte sie mit klarem, kräftigem Sopran, »die Tradition lebt!«

Sechzig weitere Sekunden vergingen in hallendem Schweigen.

»Weggetreten, Ladys und Gentlemen«, sagte sie sehr leise.

2

Sie ließ ein letztes Mal den Blick durch ihre Stube im Wohnheim wandern.

Wenn eines feststand, dann das, dass sie etwas vergessen hatte, denn etwas vergaß sie immer. Die einzige Frage war, wie störend oder peinlich es sich auswirkte, sobald sie entdeckte, was sie diesmal liegengelassen hatte.

Bei dem Gedanken schnaubte sie und stellte sich grinsend vor, wie Berry sie dafür aufgezogen hätte. Berry betonte immer, Helen sei der einzige Mensch in der gesamten Galaxis, der ein eigenes Taschenuniversum mit sich umherschleppe. Anders könne sie auf keinen Fall so manches verloren haben, was zu ver … legen allein ihr gelang. Natürlich war Berry im Gegensatz zu Helen geradezu zwanghaft ordentlich, auch wenn das niemand vermutet hätte, so schlampig, wie sie sich normalerweise kleidete. Andererseits war das wohl nur der aktuelle Stil bei den Teenagern, nahm Helen an. Und, dachte sie voll Ernüchterung, folgen kann Berry ihm jetzt ja nicht mehr.

Sie zuckte mit den Schultern und zog sie zusammen, als könnte sie die Sorgen, die sie sich um ihre Adoptivschwester machte, damit irgendwie abschütteln. Manchmal war sie ihr eher wie eine Adoptivtochter erschienen. Sie wusste, wie albern das war, und dennoch hatte sie anfangs geglaubt, sie würde immer die Beschützerin der misshandelten Waise sein, die sie aus den Slums von Old Chicago gerettet hatte, und jetzt … war sie es nicht mehr.

Aber es gibt immer Dinge, die sich einfach nicht fügen, sagte sie sich. So wie ihre Mutter zu ihrer Patentverleihung hätte kommen sollen und nicht kommen konnte. Sie spürte einen vertrauten Schmerz, ein altbekanntes Verlustgefühl, und streifte sich rasch eine Träne ab. So was Blödes! Seit Jahren beweinte sie den Tod ihrer Mutter nicht mehr. Das lag keineswegs daran, dass er sie nicht mehr bedrückte, aber selbst die schlimmsten Wunden heilen, wenn man sie überlebt. Sie hinterlassen Narben, aber sie heilen, und man macht weiter. Es liegt am Letzten Appell, dachte Helen grimmig. Wie so viele andere Klassen zuvor Zeuge des Opfertods von Edward Saganami und seiner kompletten Besatzung zur Rettung der Frachter unter ihrem Schutz zu werden und sich zu erinnern, wie Captain Helen Zilwicki genau das Gleiche getan hatte.

Das aber lag Jahre zurück, und Helen war damals noch ein Kind gewesen. Trotz des tiefen Schmerzes, der niemals völlig verschwand, war ihr Leben wahrhaft weitergegangen, und sie hatte anderen Verlust und andere Freuden erfahren. Hatte sie die Mutter auch verloren, blieb ihr doch immer noch die unerschütterliche Liebe ihres Vaters, und nun hatte sie noch Berry, Lars und Catherine Montaigne. In einem Universum, in dem die Menschen, die man liebte, als Einziges wirklich zählten, bedeutete das eine Menge. Eine verdammte Menge, dachte Helen grimmig.

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