Honor Harrington: Ein schneller Sieg - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Ein schneller Sieg E-Book

David Weber

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Beschreibung

Die Familien, welche die Republik von Haven regieren, stecken in Schwierigkeiten: Die Schatzkammern sind leer, das Volk ist unruhig, und ein Bürgerkrieg droht. Doch es gibt eine Taktik, die sich in der Vergangenheit bereits mehrfach bewährt hat: Ein kurzer Krieg muss her, ein schneller Sieg, der das Volk wieder eint und die Schatzkammern füllt. Also wendet sich Haven einmal mehr gegen das Sternenkönigreich von Manticore, das bisher nie einen ernst zu nehmenden Gegner darstellte. Doch diesmal kommt es anders, denn diesmal steht den Angreifern eine Frau gegenüber, mit der sie nicht gerechnet haben: Captain Honor Harrington von der Royal Manticoran Navy ...

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Seitenzahl: 639

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Ein schnellerSieg

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Dietmar Schmidt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»A Short Victorious War«

Copyright © 1994 by David Weber

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Für die deutschsprachige Ausgabe

Copyright © 2010/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

All rights reserved

Lektorat: Ruggero Leò / Stefan Bauer

Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg

Titelillustration:

David Mattingly / Agentur Thomas Schlück GmbH

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0960-4

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Dieses Land braucht einen kurzen, siegreichen Krieg, um die Wellen der Revolution einzudämmen.

V. K. Plehve, Russischer Innenminister, an General A.N.Kuropatkin, Kriegsminister, 200 Ante-Diaspora (1903 C. E.),am Vorabend des Russisch-Japanischen Krieges

Der Glaube an die Möglichkeit eines kurzen, entscheidenden Krieges ist offenbar eine der ältesten und gefärlichsten aller menschlichen Illusionen.

Robert Lynd(224-154 Ante-Diaspora)

PROLOG

Erbpräsident Sidney Harris sah dem langen Trauerzug hinterher, der sich die Promenade des Volkes entlangschlängelte und aus der Sicht verschwand. Dann wandte er sich ab. Der Ausblick vom Konferenzsaal, der im zweihundertsten Stockwerk gelegen war, verwandelte die schwarz verhängten Fahrzeuge in Käfer, die harmlos durch eine urbane Schlucht krabbelten. Die Bedeutung des Zuges hingegen spiegelte sich nur allzu deutlich in den grimmigen Gesichtern wider, die Harris ansahen.

Er ging zu seinem Stuhl und setzte sich. Die Ellbogen stützte er auf den langen Tisch und das Kinn auf die Handflächen, dann rieb er sich die Augen. Schließlich richtete er sich wieder auf.

»Nun gut. In einer Stunde muss ich auf dem Friedhof sein, fassen wir uns also kurz.« Harris sah Constance Palmer-Levy an, die Sicherheitsministerin der Volksrepublik Haven. »Etwas Neues darüber, wie es Walter erwischt hat, Connie?«

»Leider nichts Genaues.« Palmer-Levy zuckte die Schultern. »Walters Leibwächter haben den Schützen ein wenig zu nachdrücklich an der Flucht gehindert. Einen Toten kann man nicht verhören. Identifiziert haben wir ihn als einen gewissen Everett Kanamashi – die wenigen Daten, die wir über ihn haben, deuten darauf hin, dass er der BRU nahestand.«

»Klasse.« Elaine Dumarest, die Kriegsministerin, zog ein Gesicht, als hätte sie am liebsten in die Tischkante gebissen. Sie und Walter Frankel waren jahrelang Gegner gewesen – unausweichlicherweise, denn die Etatkonkurrenz zwischen ihren beiden Ministerien ließ ihnen keine andere Wahl –, aber Dumarest ging die Ordnung über alles. Sie bevorzugte ein sauberes, geordnetes Universum, um darin Politik festlegen und ausüben zu können, und Leute wie die Anhänger der Bürgerrechtsunion standen auf ihrer Liste unordentlicher Menschen ganz oben.

»Glauben Sie, die Führungsriege der BRU hat Walter zum Abschuss freigegeben?«, fragte Ron Bergren, und Palmer-Levy sah den Außenminister stirnrunzelnd an.

»Wir haben Maulwürfe eingeschleust, so tief es nur ging«, erklärte sie ihm. »Keiner davon hat auch nur einen Hinweis aufgeschnappt, dass die Führungsriege etwas Drastisches plante. Unter den einfachen Mitgliedern hat es jedenfalls sehr viel Verärgerung über Walters Vorschläge des LHZ gegeben. Die BRU ist außerdem immer stärker auf ihre Sicherheit bedacht. Anscheinend sind sie in Zellen organisiert, und ich gehe davon aus, dass ihr Aktionskomitee den Anschlag genehmigt hat, ohne dass wir davon erfuhren.«

»Die Sache gefällt mir ganz und gar nicht, Sid«, brummte Bergren, und Harris nickte. Die Bürgerrechtsunion befürwortete ›direkte Aktionen im legitimen Interesse des Volkes‹ (Letzteres stand für einen ständig anwachsenden Lebensstandard der Dolisten), doch üblicherweise beschränkte sich ihr politisches Engagement auf Krawalle, Vandalismus, gelegentliche Bombenanschläge und Anschläge auf untergeordnete Bürokraten, um ein Exempel zu statuieren. Die Ermordung eines Kabinettsmitglieds war eine vorher nicht gekannte und gefährliche Eskalation … wenn wirklich die BRU hinter dem Anschlag steckte.

»Wir sollten hineingehen und diese Mistkerle ausräuchern«, knurrte Dumarest. »Wir kennen doch ihre Anführer. Leiten sie die Namen an den Flottensicherheitsdienst weiter und überlassen Sie alles weitere meinen Marines – die Lösung wird endgültig sein.«

»Das wäre der falsche Zug«, lehnte Palmer-Levy ab. »Solche Unterdrückung würde den Pöbel nur noch unkontrollierbarer machen, und so lange wir den Aktivisten gestatten, sich zu treffen und zu reden, erfahren wir wenigstens, was sie vorhaben.«

»So wie neulich?«, fragte Dumarest mit bitterer Ironie, und Palmer-Levy lief rot an.

»Falls – ich betone: falls – die BRU-Führung tatsächlich Walters Ermordung genehmigt oder angeordnet hat, dann müsste ich zugeben, dass wir’s vermasselt haben. Aber wie Sie gerade selbst herausgestellt haben, besitzen wir Listen der Mitglieder und Sympathisanten. Wenn wir die BRU in den Untergrund treiben, dann verlieren wir diese Handhabe. Und wie ich schon sagte, existiert überhaupt kein Beweis, dass Kanamashi nicht auf eigene Faust gehandelt hat.«

»Na klar«, schnaubte Dumarest.

Palmer-Levy setzte zu einer heftigen Entgegnung an, doch Harris hob die Hand und stoppte sie. Persönlich neigte der Präsident dazu, Dumarest recht zu geben, aber er musste Palmer-Levys Argumentation anerkennen. Die BRU vertrat die Ansicht, die Dolisten besäßen ein gottgegebenes Recht auf einen immer weiter anwachsenden Lebenshaltungszuschuss. Sie sprengten andere Menschen (einschließlich Mit-Dolisten) in die Luft, um diesen Standpunkt zu unterstreichen, und Harris wünschte sich von Herzen, jeden einzelnen von ihnen an die Wand stellen zu können. Unglücklicherweise hatten die Legislaturistenfamilien, die die Volksrepublik regierten, keine andere Wahl, als die Existenz von Organisationen wie der BRU zu gestatten. Jeder offene Schritt gegen sie würde ein weit größeres Gewaltpotenzial freisetzen, und außerdem gab es sie schon so lange, dass die Zerschlagung einer Organisation nur einer anderen den Weg ebnen würde. Deshalb war es viel sinnvoller, den Teufel im Auge zu behalten, den man kannte, als ihn auszumerzen und einem Teufel Platz zu machen, über den man nichts wusste.

Dennoch blieb Walter Frankels Ermordung Furcht einflößend. Die Gewalttätigkeit der Dolisten war so gut wie legitimiert und gehörte zu der politischen Struktur, die den Pöbel bei der Stange hielt, während sich die Legislaturisten mit der Abwicklung der Regierungsgeschäfte beschäftigten. Gelegentliche Aufstände und Angriffe auf entbehrliche Teile des bürokratischen Grundgerüstes der Republik waren zu einer Art sanktioniertem Teil dessen geworden, was als politischer Prozess durchging. Doch existierte zwischen den Dolistenanführern und dem Establishment eine stillschweigende Übereinkunft – wenigstens hatte es sie gegeben –, die Beamte auf Kabinettsebene und führende Legislaturisten als akzeptable Ziele ausschloss.

»Ich glaube«, sagte der Präsident schließlich, und er wählte seine Worte mit Bedacht, »wenigstens im Augenblick müssen wir annehmen, dass die BRU den Anschlag genehmigt hat.«

»Ich fürchte, ich kann nicht anders als zustimmen«, gab Palmer-Levy widerwillig zu. »Und um offen zu sein, bin ich wenigstens gleichermaßen besorgt über Berichte, denen zufolge Rob Pierre allmählich die Führung in der BRU an sich reißt.«

»Pierre?« Erstaunen klang in der Frage des Präsidenten mit, und die Sicherheitsministerin nickte noch unglücklicher. Robert Stanton Pierre war Havens mächtigster Dolisten-Manager. Er kontrollierte nicht nur fast acht Prozent des gesamten Stimmaufkommens der Dolisten, sondern diente darüber hinaus zurzeit als Sprecher des Quorums des Volkes, des demokratischen Programmtages‹, der den Dolisten-Managern vorschrieb, wie sie zu wählen hatten.

So viel Macht in den Händen eines Menschen, der kein Legislaturist war, lieferte bereits genug Grund zur Besorgnis, denn die erbliche Regierungsgewalt der Familien beruhte auf dem Ja und Amen der ›Wahlen‹, die ihre Herrschaft autorisierten. Pierre war dazu noch ein Furcht einflößender Mann. Er war selbst als Dolist geboren und hatte sich aus einer Kindheit auf LHZ bis in seine gegenwärtige Machtposition hinaufgearbeitet und dazu jeden schmutzigen Trick benutzt, den sein Ehrgeiz ihm eingab. Einige davon waren bislang noch nicht einmal den Legislaturisten eingefallen, und obwohl er deren Vorgaben folgte, weil er wusste, auf welcher Seite seines Brotes die Butter gestrichen war, blieb er doch ein magerer und hungriger Mann.

»Sind Sie sicher?«, erkundigte sich Harris nach kurzem Schweigen, und Palmer-Levy zuckte zur Antwort die Schultern.

»Wir wissen, dass er Kontakte zur BRP besitzt«, antwortete sie, und Harris nickte. Die Bürgerrechtspartei war der politische Flügel der BRU, der offen im Quorum des Volkes auftrat und nach außen hin den ›verständlichen, aber bedauerlichen Extremismus‹ verurteilte, ›zu dem einige Bürger sich gedrängt sehen‹. Die Maske war fadenscheinig, aber dadurch, dass die Quorumsmanager sie scheinbar für bare Münze nahmen, besaßen sie eine oft nützliche Direktleitung zu den Untergrundmitgliedern der BRU.

»Wir wissen nicht genau, worüber er mit ihnen spricht«, fuhr Palmer-Levy fort, »und Pierres Stellung als Sprecher des Quorums gibt ihm jede Menge legitime Gründe, mit ihnen zu reden. Doch mit einigen ihrer Delegierten scheint er auf außergewöhnlich freundschaftlichem Fuße zu verkehren.«

»Wenn das so ist, sollten wir die Möglichkeit, dass er von dem bevorstehenden Anschlag gewusst hat, ernsthaft in Erwägung ziehen«, sagte Harris langsam. »Ich will nicht behaupten, dass er etwas mit der Planung zu tun gehabt hätte, aber wenn die BRU offiziell in die Sache verwickelt ist, dann könnte er sehr wohl von dem Vorhaben gewusst haben. Und wenn er Bescheid wusste und uns nicht informiert hat, dann vielleicht deswegen, weil er eine Notwendigkeit sah, seine Beziehung zu ihnen zu zementieren – selbst auf unsere Kosten.«

»Glauben Sie wirklich, es ist so schlimm, Sid?«, fragte Bergren, und der Präsident zuckte mit den Schultern.

»Eigentlich nicht – nicht wirklich. Aber wir können damit leben, übermäßig pessimistisch zu sein. Wenn die BRU das Attentat tatsächlich gebilligt hat – und Pierre davon wusste, ohne es uns mitzuteilen –, dann bringen wir uns in gewaltige innenpolitische Schwierigkeiten, wenn wir ihre Unschuld voraussetzen.«

»Wollen Sie damit andeuten, Walters LHZ-Anträge fallen zu lassen?«, fragte George De La Sangliere. Der beleibte, weißhaarige De La Sangliere war der Nachfolger Walter Frankels als Wirtschaftsminister – diese »Ehre« hatte er trotz gewaltiger Anstrengungen nicht ablehnen können: Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hatte, wollte die Verantwortung für die desolate finanzielle Situation der Republik übernehmen, und nun wirkte De La Sangliere beim Stellen der Frage außerordentlich unglücklich.

»Weiß ich noch nicht, George«, seufzte Harris und zwickte sich in den Nasenrücken.

»Ich sage es nicht gerne, aber ich glaube einfach nicht, dass wir es durchziehen können«, fuhr De La Sangliere fort. »Nicht, ohne das Militärbudget um wenigstens zehn Prozent zu reduzieren.«

»Unmöglich«, keifte Dumarest sofort. »Mr. President, Sie wissen, das steht völlig außer Frage! Wir müssen unsere Flottenstärke unter allen Umständen aufrechterhalten – wenigstens so lange –, bis wir mit der Manticoranischen Allianz ein für allemal aufgeräumt haben.«

De La Sangliere runzelte die Stirn, ohne die Kriegsministerin anzusehen, und hielt den Blick bittend auf den Präsidenten gerichtet; als er Harris’ Miene registrierte, verschwand jede Hoffnung aus seinen Augen.

»Wir hätten sie schon vor vier Jahren fertigmachen sollen«, grunzte Duncan Jessup. Der Informationsminister war ein stämmiger, stets ungepflegt aussehender Mann, der von sich das Image des alten Onkels aufrechterhielt, welcher zwar grummelig war, aber dennoch ein Herz aus Gold besaß. Das Informationsministerium war zwar das Sprachrohr der Regierung, ihr Haupt-Propagandaorgan, aber zwanzig Jahre zuvor war es Jessup gelungen, dem Gesundheitsministerium das Büro für Mentalhygiene zu entwinden. Jessup bediente sich der Mentalhygienepolizei mit einer kalten und rücksichtslosen Effizienz, die manchmal selbst Harris Angst machte, und die Kontrolle über die MHP machte ihn nach dem Präsidenten zum mächtigsten Kabinettsmitglied.

»Damals waren wir noch nicht bereit«, protestierte Dumarest. »Wir waren zu sehr damit beschäftigt, unsere Neuerwerbungen zu verdauen, als dass …«

»Und außerdem hielten Sie sich für zu schlau«, unterbrach Jessup mit rüdem Schnauben. »Zuerst der Mist im Basilisk-System, dann die Katastrophe von Jelzins Stern und Endicott. Wir haben den Manticoranern gestattet, ihre ›Allianz‹ aufzubauen, während wir unsere militärische Stärke lediglich aufrechterhielten. Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass wir uns nun in einer stabileren Position befinden als damals?«

»Duncan, es reicht«, sagte Harris ungerührt. Jessup funkelte ihn einen Augenblick lang an, dann senkte er den Blick, und der Präsident fuhr ruhiger fort, als ihm zumute war:

»Das Kabinett hatte beide Operationen genehmigt, und ich möchte Sie alle daran erinnern, dass die meisten unserer anderen Unternehmungen erfolgreich waren, ganz gleich, wie spektakulär die beiden Fehler gewesen sind. Wir haben den Aufbau der Manticoranischen Allianz zwar nicht verhindern können, aber wir sind trotzdem in einer starken Position. Und gleichzeitig wissen wir alle, wie ich glaube, dass der Showdown mit Manticore nicht mehr fern ist.«

Köpfe nickten unglücklich, und Harris wandte sich an Admiral Amos Parnell, den Chef des Admiralstabes der Volksflotte von Haven, der neben Dumarest saß. »Wie stehen die Chancen wirklich, Amos?«

»Nicht so gut, wie ich’s gern hätte, Sir«, gab Parnell zu. »Alles deutet darauf hin, dass Manticores technische Überlegenheit wesentlich größer ist, als wir vor vier Jahren angenommen haben. Ich habe die Überlebenden der Endicott-Jelzin-Operation persönlich befragt. Niemand von den Leuten hat dort am letzten Gefecht teilgenommen, und wir besitzen auch keine gesicherten Daten, um unsere Analysen zu untermauern, doch es ist ganz klar, dass die Manties einen Schlachtkreuzer der Sultan-Klasse mit nur einem Schweren Kreuzer und einem Zerstörer ausgeschaltet haben. Natürlich entsprachen Ausbildung und Erfahrung der Masadaner, die die Besatzung der Saladin bildeten, nicht unseren Standards, doch bezüglich der relativen Leistungsfähigkeit unserer Hardware ist das Ergebnis bestürzend. Auf der Basis dessen, was mit der Saladin geschehen ist, und den Berichten von Überlebenden der vorherigen Gefechte zufolge schätzen wir, dass die technische Überlegenheit den Manties im Tonnagenvergleich einen Vorteil von zwanzig bis dreißig Prozent verschafft.«

»Doch bestimmt nicht so viel«, wandte Jessup ein, und Parnell zuckte die Schultern.

»Ich persönlich habe das Gefühl, dass es sich dabei noch um eine konservative Schätzung handelt, Herr Minister. Auf den Punkt gebracht: Ihr Bildungswesen und ihre Industrie sind wesentlich besser als unsere, und das spiegelt sich in Forschung und Entwicklung wider.«

Der Admiral richtete bei diesen Worten seinen Blick bewusst auf Eric Grossman, den Bildungsminister, der rot anlief. Die fatalen Auswirkungen der Demokratisierung der Bildung‹ in der Volksrepublik waren ein heikles Thema zwischen seinem Ministerium und den Ministerien der Wirtschaft und des Krieges gleichermaßen; die Rededuelle zwischen ihm und Dumarest waren seit dem Bekanntwerden der technischen Überlegenheit Manticores sehr scharf geführt worden.

»Auf jeden Fall«, fuhr Parnell fort, »befindet sich Manticore im Besitz eines Vorsprungs, wie groß dieser nun auch sein mag. Andererseits besitzen wir ungefähr doppelt so viel Tonnage wie sie. Darüber hinaus bestehen vierzig Prozent ihres Schlachtwalls aus Dreadnoughts. Die Dreadnoughts der RMN sind vielleicht größer als unsere, aber unser Wall besteht zu neunzig Prozent aus Superdreadnoughts. Weiterhin verfügen wir über sehr viel Kampferfahrung, und die Bündnispartner der Manticoraner leisten keine nennenswerten Beiträge.«

»Warum machen wir uns ihretwegen dann solche Sorgen?«, wollte Jessup wissen.

»Aus Gründen der Astrografie«, erklärte Parnell. »Die Manties besaßen bereits den Vorteil der inneren Position – und nun haben sie einen tiefen Verteidigungsgürtel aufgebaut. Ich bezweifle, dass er so tief ist, wie sie es gerne hätten – tatsächlich misst er bei Jelzins Stern weniger als dreißig Lichtjahre. Mittlerweile haben sie die Lücke im Hancock-System schließen können und besitzen längs der gesamten Front ein Netz aus ineinandergreifenden, befestigten Versorgungs- und Wartungsbasen. Damit erlangen sie den Vorteil vorgeschobener Beobachter. Sobald wir gegen die Allianz vorrücken, wird jede dieser Basen zu einem potenziellen Knotenpunkt für Angriffe gegen unsere Nachschubwege. Die manticoranische Patrouillennetze decken mittlerweile alle potenziellen Anmarschrouten ab, Herr Minister, und wenn erst einmal scharf geschossen wird, dann verschärfen die Manticoraner ihre Wachsamkeit noch. Wir müssen uns den Weg an den Stationen vorbei freischießen und sie ausschalten, um unsere Flanken und unseren Rücken zu decken. Das bedeutet, dass wir unseren Anmarschweg im Voraus bekannt geben. Die Manticoraner werden in der Lage sein, ihre Kräfte zu konzentrieren.«

Jessup grunzte und lehnte sich zurück. Sein knotiges Gesicht hatte er zu einer finsteren Fratze verzogen, doch Parnell fuhr gleichmütig fort:

»Gleichzeitig haben wir eigene Basen angelegt, um die manticoranischen zu decken. Als Angreifer besitzen wir den Vorteil der Initiative. Wir wissen, wann und wo wir zuschlagen werden; die Allianz muss alle Punkte decken, an denen wir vielleicht zuschlagen könnten. Das muss ihr mit Hilfe der zahlenmäßig unterlegenen Flotte erst einmal gelingen, und ich bezweifle, dass die Manticoraner unserem Großangriff standhalten könnten, aber sie werden uns jedenfalls mehr Schaden zufügen als je ein Gegner zuvor.«

»Wollen Sie denn nun sagen, dass wir angreifen sollen, oder lieber nicht?«, fragte Harris ruhig. Parnell warf der Kriegsministerin einen raschen Seitenblick zu. Diese bedeutete ihm, weiterzumachen und zu antworten, und er räusperte sich.

»Bei einem militärischen Feldzug gibt es keine Gewissheit, Mr. President. Wie ich schon sagte, habe ich ernsthafte Bedenken wegen der Unterlegenheit unserer Technik. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass wir in diesem Augenblick einen quantitativen Vorteil besitzen, und befürchte, dass die technologische Kluft immer breiter werden wird. Ich will ganz offen sein, Sir. Ich möchte mich auf keinen Krieg mit Manticore einlassen – nicht, weil ich glaube, dass sie uns schlagen könnten, sondern weil sie uns schwächen werden. Aber wenn wir kämpfen müssen, dann sollten wir so bald als möglich damit anfangen.«

»Und wenn wir’s tun, wie gehen wir dann vor?«, fragte Jessup scharf.

»Mein Stab und ich haben mehrere Operationspläne formuliert, die unter den gemeinsamen Decknamen ›Unternehmen Perseus‹ laufen. Mehrere Varianten sind vorgesehen. Perseus Eins umfasst die Eroberung des Basilisk-Systems als Vorspiel, mit dem Ziel, das Manticore-System direkt durch den Wurmlochknoten von Manticore anzugreifen, und zwar mit gleichzeitigen Attacken durch die Basilisk-Manticore- und die Trevors-Stern-Manticore-Linie. Diese Variante gewährt uns den größten Überraschungsvorteil und die Chance, den Krieg auf einen Schlag siegreich zu beenden, doch er enthält das größte Risiko katastrophaler Verluste im Fall des Scheiterns.

Perseus Zwo ist konventioneller. Wir würden unsere Streitkräfte an der DuQuesene-Basis im Barnett-System zusammenziehen, weit genug innerhalb der Grenze, dass Manticore nicht wüsste, was wir vorhaben. Von dort könnten wir im Südwesten angreifen, im Jelzin-System, wo die manticoranische Verteidigungslinie am dünnsten ist. Nach der Einnahme des Jelzin-Systems könnten wir direkt gegen Manticore vorrücken und beim Vormarsch die Basen an unseren Flanken ausschalten, um uns den Rücken zu decken. Unsere Verluste wären höher als bei einem erfolgreichen Perseus Eins, aber wir könnten das Risiko einer vollständigen Vernichtung unserer Verbände ausschalten, das bei Perseus Eins eben bestände.

Perseus Drei ist eine Variante von Perseus Zwo. In diesem Fall würden zwo Zinken von Barnett aus vorstoßen, eine gegen das Jelzin-System und die andere im Nordwesten gegen Hancock. Die Absicht dahinter ist, Manticore zwo Bedrohungen auszusetzen und zu zwingen, seine Streitkräfte zu teilen. Es besteht ein gewisses Risiko, dass Manticore seine Kräfte konzentriert, um einen Angriff völlig abzuschlagen. Dieses Risiko ist jedoch gering, weil die Manties sich klar sein müssen, dass sie dann möglicherweise einem zwoten Angriff nichts entgegenstellen könnten. Nach Ansicht meines Stabs würde die Blöße, die wir uns mit diesem Angriff geben, weiterhin dadurch ausgeglichen werden, dass wir die Geschwindigkeit der Operationen diktieren, indem wir uns aussuchen, wann wir mit welcher Zinke angreifen.

Schließlich haben wir noch Perseus Vier. Im Gegensatz zu den anderen Varianten sieht Perseus Vier einen beschränkten Angriff vor, um die Allianz zu schwächen, anstatt Manticore mit einem Schlag auszuschalten. In diesem Fall würden wir wieder im Nordwesten zuschlagen, im Hancock-System. Diese Variante besitzt zwei mögliche Untervarianten. Die eine sieht vor, unsere Kräfte bei Seaford Neun zusammenzuziehen und Hancock direkt anzugreifen; bei der anderen würde eine separate Streitmacht von Barnett aus in Marsch gesetzt, um das Sansibar-System einzunehmen, dann nach Norden abzudrehen und mit der Streitmacht aus Seaford Neun einen Zangenangriff auf das Hancock-System vorzunehmen. Wir würden die einzige größere Mantie-Basis in dem Raumsektor zerstören und Sansibar, Alizon und Yorik einnehmen. Danach können wir zunächst einmal einen Waffenstillstand anbieten. Der Verlust von drei bewohnten Sonnensystemen – in einer Region, die gerade erst der Allianz beigetreten ist – sollte die anderen Bündnispartner der Manties erschüttern, und der Besitz der Region bereitet uns sehr gut auf eine spätere Aktivierung von Perseus Eins oder Drei vor.«

»Und was, wenn Manticore sich entschließt, weiterzukämpfen, anstatt unsere Bedingungen anzunehmen?«, fragte Palmer-Levy.

»In diesem Fall könnten wir entweder mit Perseus Drei fortfahren – es sei denn, wir wären schlimmer angeschlagen als erwartet – oder uns auf unsere Vorkriegspositionen zurückziehen und von dort aus einen Waffenstillstand aushandeln. Letztere Alternative wäre natürlich alles andere als vorteilhaft, aber noch immer verfügbar, wenn das militärische Vorgehen sich als Fehlschlag entpuppen würde.«

»Und geben Sie einem dieser vier Pläne den Vorzug, Amos?«, fragte Harris.

»Meine persönliche Vorliebe steckt in Perseus Drei, wenn wir eine endgültige Lösung haben wollen, oder in Vier, der das Risiko gering hält und sich hervorragend eignet, wenn wir unsere Ziele niedriger ansetzen. Was genau unsere Ziele nun sind, ist selbstverständlich eine politische Entscheidung, Mr. President.«

»Alles klar.« Harris zwickte sich erneut in den Nasenrücken und ließ den Blick über die Runde am Tisch schweifen. »Kommentare, Ladys und Gentlemen?«

»Wir müssen unsere ökonomische Basis verbreitern, wenn wir die Lebenshaltungszuschuss-Zahlungen aufrechterhalten wollen«, hob De La Sangliere in gewichtigem Ton an. »Und wenn tatsächlich die BRU Walter ausgeschaltet hat, dann werden wir mit LHZ-Kürzungen sehr vorsichtig sein müssen.«

Harris nickte feierlich. Zwei Drittel der Bevölkerung von Havens Zentralwelt lebte nun von der Dole, und die steil ansteigende Inflation war eine wirtschaftliche Tatsache, an der sich nichts ändern ließ. Angesichts einer Schatzkammer, die seit über einem Jahrhundert leer stand, hatte Frankel sich gezwungen gesehen, die Anpassungen des LHZ an die Inflationsrate zu begrenzen und seine Kaufkraft zwar zu erhalten, aber nicht zu erhöhen. Die ›Lecks‹, die Jessup vorsichtig arrangiert hatte, um die Aufnahme der Idee in der Bevölkerung zu testen, hatte in beinahe jeder Prolebehausung Aufstände vom Zaun gebrochen. Und Kanamashi hatte dann zwei Monate später Frankel zwölf explosive Pulserbolzen in die Brust gejagt, was im Übrigen ein Begräbnis mit geschlossenem Sarg erforderlich machte.

Harris überlegte grimmig, dass es sich dabei wohl um eine der unmissverständlichsten ›Protestnoten‹ in der Geschichte der Menschheit handeln musste, und er verstand nur zu gut, dass allein der Gedanke an tatsächliche LHZ-Kürzungen bei seinen Kabinettskollegen Panik auslöste.

»Im Lichte dieser Erwägungen«, fuhr De La Sangliere fort, »brauchen wir Zugang zu den Systemen jenseits von Manticore, ganz besonders zur Silesianischen Konföderation. Wenn jemand eine Möglichkeit weiß, wie wir Silesia kassieren können, ohne mit Manticore Krieg zu führen, dann wäre ich hocherfreut, sie zu hören.«

»Eine solche Möglichkeit besteht nicht.« Palmer-Levy sah sich am Tisch um und forderte jeden heraus, der ihrer Feststellung etwa widersprechen wollte. Niemand widersprach. Jessup akzeptierte den Kommentar mit scharfem Nicken. Bergren sah wesentlich unglücklicher drein als jeder andere seiner Kollegen, doch selbst der schmucke Außenminister musste widerwillig zustimmend nicken.

»Davon abgesehen«, sagte die Sicherheitsministerin, »könnte eine auswärtige Krise dazu führen, dass sich die innenpolitischen Fronten ein wenig abkühlen – wenigstens auf kurze Sicht. Das hat immer funktioniert.«

»Das stimmt.« Aus De La Sanglieres Stimme klang beinahe so etwas wie neue Hoffnung. »Traditionsgemäß stimmt das Quorum des Volkes einem Einfrieren des LHZ während laufender militärischer Operationen immer zu.«

»Natürlich tut es das«, schnaubte Dumarest. »Schließlich kämpfen wir um mehr Geschlabber für ihre Tröge!«

Harris zuckte angesichts des beißenden Zynismus zusammen. Wie gut, dass Elaine das Kriegsministerium untersteht und nicht etwas, aus dem mehr an die Öffentlichkeit dringt, dachte er, aber er konnte die Wahrheit ihrer Analyse nicht abstreiten.

»Ganz genau.« Palmer-Levys Lächeln war kalt, als sie Parnell anblickte. »Sie sagen, wir würden vielleicht Verluste gegen die Manticoraner haben, Admiral?«

Parnell nickte.

»Und würden die Operationen gegen sie lange andauern?«

»Ich glaube nicht, dass es sehr lange dauern würde, Frau Minister. Die manticoranische Flotte ist einfach nicht groß genug, um Verluste so leicht zu absorbieren wie unsere. Wenn wir nicht ein außerordentlich ungleiches Verlustverhältnis haben, dann sollte der Krieg recht kurz sein.«

»So dachte ich es mir«, sagte Palmer-Levy mit zufriedener Stimme. »Und es könnte durchaus zu unserem Vorteil sein, wenn wir einige Einbußen erleiden. Ich nehme doch an, Sie könnten den Tod unserer heldenmütigen Verteidiger benutzen, um die öffentliche Meinung in Krisenzeiten zu mobilisieren, nicht wahr, Duncan?«

»Das könnte ich allerdings tun.« Bei der Aussicht auf solch einen Propagandacoup hätte Jessup sich fast die Finger geleckt – und in der Tat rieb er sich die Hände! -; des plötzlichen, wütenden Funkelns in Parnells Augen war er sich nicht bewusst. »In der Tat können wir vielleicht sogar eine Art Guthaben einrichten, für Unterstützung in zukünftigen Notfällen, wenn wir es richtig angehen. Das wäre doch sicherlich um einiges besser als die anwachsende Unzufriedenheit, wie wir sie im Augenblick beobachten.«

»Na also, sehen Sie?«, fragte Palmer-Levy. »Was wir brauchen, ist ein kurzer, siegreicher Krieg … ein schneller Sieg … und ich glaube, wir alle wissen, wo wir so etwas finden können, habe ich recht?«

1

Dame Honor Harrington legte das lange, zusammengerollte Bündel zu Boden und nahm den weichen Filzhut ab. Jemand, der vor zwei Jahrtausenden auf Alterde gelebt hatte, würde den Hut als einen ›Fedora‹ bezeichnet haben.

Sie trocknete das Schweißband mit einem Taschentuch, dann setzte sie sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den wetterzernagten Gesteinsausläufer, legte den Hut neben sich und sah auf das atemberaubende Panorama hinaus.

Wind, der kalt genug war, um sie dankbar zu machen für ihre Lederjacke, fuhr ihr durch das zerzauste, schweißnasse Haar, das sie nun länger trug als vor ihrer Genesung. Allerdings war es noch immer weit kürzer, als die aktuelle Mode vorschrieb, und doch verspürte Honor ein eigenartiges Schuldgefühl, als sie mit den Fingern zwischen den Strähnen hindurchfuhr. Sie hatte es stets ganz kurz schneiden lassen, damit es in den Raumanzughelm passte und unter Schwerelosigkeit nicht in den Weg geriet; und sie hatte sich bereits so sehr daran gewöhnt, dass sie ganz vergessen hatte, wie befriedigend sein lockiges, seidiges Gewicht sich anfühlte.

Sie ließ die Arme sinken und starrte über die endlosen Weiten des Tannerman-Ozeans hinaus. Selbst hier, tausend Meter über seinem runzligen Blau und Silber, konnte sie noch das Salz im kalten Wind riechen. Diesen Geruch kannte sie von Geburt an, und dennoch war er ihr jedes Mal vollkommen neu. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie in den neunundzwanzig T-Jahren seit ihrem Eintritt in die Navy so wenig Zeit auf Sphinx verbracht hatte.

Honor wandte den Kopf und sah hinab, hinab an die Stelle, wo sie ihren Aufstieg begonnen hatte. Ein kleiner Fleck hellen Grüns hob sich tapfer von dem Rotgold und Gelb des herbstlichen Grases ab, und sie zuckte mit den linken Augenringmuskeln, bis sie eine der Stellungen einnahmen, die sie während der endlosen Therapiemonate erlernt hatten.

Ein Augenblick der Desorientierung folgte; ein Gefühl der Bewegung, obwohl sie still saß, und plötzlich war der grüne Klecks viel größer geworden. Honor blinzelte; sie hatte sich noch immer nicht richtig an den Effekt gewöhnt und ermahnte sich nicht zum ersten Mal, mit dem neuen Auge häufiger zu trainieren. Doch dieser Gedanke war sehr entfernt, fast geistesabwesend. Die Teleskopfunktion der Augenprothese fokussierte sich auf das ausladende Gebäude mit dem grünen Dach und die Treibhäuser, die sich darum scharten.

Das Dach erhob sich zu einer steilen Spitze, sodass Schnee leicht davon abfallen konnte. Der Planet Sphinx war von der G0-Komponente des Doppelsterns Manticore so weit entfernt, dass nur der außergewöhnlich hohe Kohlendioxidanteil in seiner Atmosphäre ihn überhaupt bewohnbar machte. Sphinx war eine kalte Welt mit riesigen Eisbergen; ein Jahr dauerte dort 63 Erdmonate, die Jahreszeiten streckten sich in die Länge und wechselten nur langsam. Selbst hier, nur 45 Grad unterhalb des Äquators, maßen die Einheimischen den Schneefall nach Metern, und die Kinder, die (wie Honor) im Herbst geboren wurden, lernten zu gehen, bevor der Frühling anbrach.

Fremdweltler erschauerten schon beim Gedanken an einen sphinxianischen Winter. Wenn man sie drängte, würden sie vielleicht einräumen, dass Manticore B IV, landläufig als Gryphon bekannt, gnadenloseres Wetter besaß, aber Gryphon war insgesamt wärmer, und sein Jahr kürzer. Wenigstens änderte sich das Wetter dort mit dreifacher Geschwindigkeit, und nichts konnte die wohlerwogene Ansicht der Fremdweltler ändern, dass jemand, der das ganze Jahr über auf Sphinx lebte, ein wenig verrückt sein müsse.

Während Honor das Steinhaus betrachtete, in dem zwanzig Generationen Harringtons geboren worden waren, lächelte sie über diese Aussicht, und doch steckte ein Körnchen Wahrheit in ihr. Sphinx’ Klima und Schwerkraft brachten robuste, unabhängige Bewohner hervor. Sie waren vielleicht nicht verrückt, aber selbstständig und eigensinnig, man könnte vielleicht sogar sagen, stur.

Blätterrascheln ließ Honor den Kopf wenden, und ein verschwommener Fleck aus cremefarbenem und grauem Fell schoss schnell wie eine Schlange aus dem Pseudolorbeer hinter ihr. Der sechsgliedrige Baumkater gehörte eigentlich in die Wälder aus Kroneneichen und Pfostenbäumen in geringeren Höhen, doch auch er war hier in den Copper Walls zu Hause. Er hatte in Honors Kindertagen genügend Zeit damit verbracht, gemeinsam mit ihr die Flanken des Gebirges zu erklimmen.

Er tollte über den nackten Fels, und sie bereitete sich innerlich auf seinen Sprung in ihren Schoß vor, gerade noch rechtzeitig. Er landete mit einem dumpfen Schlag; sein T-Gewicht von etwas mehr als neun Kilogramm wuchs unter sphinxianischer Schwerkraft auf zwölfeinhalb, und Honor ächzte.

Wenn Nimitz davon beeindruckt war, so ließ er es sich wenigstens nicht anmerken. Er erhob sich aufs Hinterteil, legte Honor die Handpfoten seiner Körpermitte auf die Schultern und sah ihr mit hellen, grasgrünen Augen ins Gesicht. Beinahe menschliche Intelligenz musterte sie aus diesen sehr nichtmenschlichen Augen, dann berührte er sie mit einer langfingrigen Echthand an der linken Wange und stieß ein leises, erleichtertes Aufseufzen aus, als die Haut auf den sanften Druck reagierte.

»Nein, es hat noch immer nicht aufgehört zu funktionieren«, sagte sie und strich ihm mit den Fingern über das flauschige Fell. Wieder seufzte er, diesmal ungeniert vor Vergnügen, und kauerte sich mit summendem Schnurren nieder. Wie eine schlaffe, schwere Wärmequelle ruhte er auf ihren Oberschenkeln, und seine Zufriedenheit ging auf sie über. Sie hatte von je gewusst, dass er ihre Gefühle spüren konnte, und oft hatte sie sich gefragt, ob sie die seinen wirklich ebenfalls spürte oder sich das nur einbildete. Ein Jahr zuvor hatte er schließlich bewiesen, dass sie es in der Tat konnte, und nun genoss sie seine Zufriedenheit, als wäre sie ihr Eigentum, und kraulte ihm den Rücken.

Ruhe senkte sich über sie, durch die frische, scharfe Brise eher betont als gestört. Honor gestattete der Ruhe, sie zu erfüllen, während sie es genoss, auf dem Felsvorsprung zu sitzen, der schon seit ihrer Kindheit ihr Lieblingsplatz war. Sie war die Herrin von allem, was sie erblickte, und fragte sich, wer sie wirklich sei.

Captain Dame Honor Harrington, die Gräfin von Harrington, Ritter im Orden von König Roger. Wenn sie Uniform trug, strotzte das weltraumschwarze Jackett vor Ordensbändern: dem Manticore Cross, dem Stern von Grayson, dem D. S. O., der C. G. M.1 mit Sternhaufen, dem blutroten Band des Danks der Monarchin mit zwei Sternhaufen, zwei Verwundetenabzeichen … und die Liste ging noch weiter. Bis vor kurzem hatten ihr diese Auszeichnungen viel bedeutet, diese Anerkennungen ihrer Leistungen und Fähigkeiten. Auch jetzt noch war sie stolz darauf, aber sie waren nicht mehr der Stoff, aus dem die Träume sind. Honor hatte zu genau erfahren, womit diese kleinen Stoffbänder erkauft werden mussten.

Nimitz hob den Kopf und drückte die Spitzen seiner Krallen leicht durch ihre Hose, um anzumerken, wie unzufrieden er mit dem Verlauf ihrer Gedanken sei. Entschuldigend streichelte sie ihm die Ohren, die Gedanken aber verfolgte sie weiter; diese Gedanken waren der Grund, warum sie die letzten vier Stunden damit verbracht hatte, zur Zuflucht ihrer Kindheit hinaufzuklettern. Nimitz musterte sie noch einen Augenblick lang, dann seufzte er resigniert, legte das Kinn in die Echthände und überließ Honor ihren Überlegungen.

Sie berührte sich an der linken Gesichtshälfte und spannte unter ihren Fingern die Wangenmuskulatur. Acht sphinxianische Monate – beinahe ein ganzes T-Jahr – rekonstruierender Chirurgie und Therapie hatte es gebraucht, bis sie so weit war. Ihr Vater war einer der besten Neurochirurgen Manticores, und dennoch hatte der Schaden durch den Disruptorschuss selbst seine Fertigkeiten auf die Probe gestellt, denn Honor gehörte zu der Minderheit, die auf Regenerationstherapien nicht ansprach.

Und ohne Regeneration kam es bei Nervenreparaturen stets zu Funktionsverlusten. In Honors Fall war der Verlust ungewöhnlich ernst und kompliziert gewesen, weil ihr Körper eine starrsinnige Neigung aufwies, Transplantationen gewöhnlichen Gewebes abzustoßen. Gleich zwei Nervenersetzungen waren fehlgeschlagen; am Ende war Dr. Alfred Harrington keine andere Wahl geblieben, als künstliche Nerven mit starken Übertragungsverstärkern zu verwenden, und die fortwährenden chirurgischen Eingriffe, die häufigen Fehlschläge und die lange, qualvolle Therapie, in der Honor erlernte, die Hightech-Prothesen zu meistern, hätten sie beinahe zermürbt. Selbst nun lag in den Meldungen der synthetischen Nerven eine fremdartige, scharfkantige Merkwürdigkeit. Sie fühlten sich einfach nicht richtig an, so als wären die Implantate eine fehlerhaft abgestimmte Sensorengruppe – und die unbeschädigten Nerven auf der anderen Gesichtshälfte machten durch ihr ständiges Beispiel, wie es sich eigentlich anzufühlen hatte, die ganze Sache nur noch schlimmer. Honor bezweifelte, dass sie sich je völlig daran gewöhnen würde.

Erneut richtete sie den Blick auf das weit entfernte Haus und überlegte, wie viel ihrer Melancholie wohl von der monatelangen Anspannung und den Schmerzen herrührte. Sie waren einfach nicht zu vermeiden gewesen, und mehr als einmal hatte sie sich in den Schlaf geweint, während ihr das unnatürliche Feuer im Gesicht brannte. Die Behandlung hatte keine Narben hinterlassen, die von den massiven Eingriffen kündeten – jedenfalls keine sichtbaren. Nun war ihr Gesicht beinahe so berührungsempfindlich und seine Muskeln beinahe so reaktionsfähig wie zuvor. Aber nur fast. Sie konnte den Unterschied erkennen, wenn sie in den Spiegel sah, die leichte Verzögerung wahrnehmen, mit der die linke Mundhälfte sich bewegte, und nur zu bewusst war sie sich der durch diese Verzögerung gelegentlich undeutlich ausgesprochenen Worte. Selbst im Kuss des kalten Windes spürte sie die unausgeglichene Empfindsamkeit ihrer beiden Gesichtshälften.

Und tief in ihrem Inneren, wohin niemand sehen konnte, gab es weitere Narben.

Die Träume kamen nun nicht mehr so regelmäßig, aber sie blieben, wie sie immer gewesen waren: kalt und bitter. So viele Menschen waren unter ihrem Kommando gestorben. Wegen der Befehle, die sie gegeben hatte. Oder weil sie nicht da war, um sie am Leben zu halten. Mit diesen Träumen kamen die Selbstzweifel. Konnte sie sich überhaupt jemals wieder den Herausforderungen stellen, die das Kommando über ein Schiff mit sich brachte? Und selbst wenn, würde die Flotte ihr erneut das Leben anderer Menschen anvertrauen?

Nimitz rührte sich und setzte sich wieder aufs Hinterteil. Er stützte die Echthände auf Honors Schultern und starrte ihr in die schokoladenbraunen Augen – das eine natürlich; das andere bestand aus fortschrittlichen Kompositwerkstoffen und molekularen Schaltkreisen, und sie spürte, wie die moralische Unterstützung und die Liebe des Katers in sie drangen.

Sie hob ihn in ihre Arme und vergrub ihr vom Wind kaltes Gesicht in seinem weichen Fell, freute sich an der Körperwärme ebenso wie an der wertvolleren inneren, und er schnurrte sie an, bis sie ihn wieder absetzte und tief, tief Atem schöpfte.

Sie sog frische Luft in die Lungen und füllte sie mit der Kälte des Herbstanfangs, bis ihr die Brust schmerzte, dann atmete sie in einem einzigen, langen Zug aus, der … etwas … mit sich nahm. Sie konnte dieses Etwas nicht benennen, dennoch spürte sie, wie es sie verließ, und an seiner Stelle erwachte anderes wie aus langem Schlaf.

Sie war zu lange am Boden. Sie gehörte nicht mehr auf diesen Berg, den sie so liebte, von dem sie durch kristallklare, kalte Luft auf das Haus ihrer Geburt hinabschaute. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit empfand sie den Ruf der Sterne nicht als eine Furcht einflößende Herausforderung, der sie sich nicht gewachsen fühlte, sondern als das altbekannte Bedürfnis, dort oben zu sein. Und sie bemerkte die Veränderung in Nimitz’ Emotionen, als er ihre Gefühle wahrnahm.

»Also gut, Stinker – du kannst aufhören, dir Sorgen zu machen«, sagte sie zu ihm, und sein Schnurren wurde lauter und lebhafter. Sein biegsamer Schwanz zuckte, als er ihre Nase mit seiner berührte, und sie lachte auf und zog ihn noch einmal in eine enge Umarmung.

Noch war es nicht vorbei. Das wusste sie. Doch wenigstens wusste sie nun, wohin sie gehen und was sie tun musste, um die Albträume endgültig zu besiegen.

»Ja«, fuhr sie fort. »Ich glaube wirklich, es wird langsam Zeit, dass ich aufhöre, mich selbst zu bemitleiden, stimmt’s?« Nimitz schlug heftiger mit dem Schwanz, um seine Zustimmung zu bekunden. »Und es ist auch Zeit, dass ich mich wieder auf ein Kommandodeck stelle«, fügte sie hinzu. »Vorausgesetzt selbstverständlich, dass die da oben mich überhaupt zurückhaben wollen.« Diesmal flammte bei der Einschränkung kein neuer Schmerz auf, und sie lächelte dankbar.

»Und bis dahin«, sagte sie dann lebhafter, »ist es zunächst einmal Zeit, dass wir beiden endlich wieder in die Luft kommen.«

Honor stand auf, setzte Nimitz auf den Felsen ab und beugte sich über das lange Bündel. Sie löste die Riemen, die es zusammenhielten. Rohre aus Durastahl klickten: Honor setzte mit flinken, geübten Fingern den Rahmen zusammen. Die wilde Freude beim Reiten auf den Winden der Copper Walls hatte sie mit Nimitz entdeckt, bevor sie zwölf T-Jahre alt war. Der Kater bliekte ermutigend, als Honor das unbegrenzt reißfeste, hauchdünne Gewebe auf den Rahmen spannte.

Sie brauchte weniger als eine halbe Stunde, um den Drachen zu montieren und jede Verbindung zweimal zu überprüfen. Dann schlüpfte sie in den Harnisch, der besondere, zusätzliche Sicherheitsgurte für Nimitz aufwies. Der Baumkater huschte ihren Rücken hinauf und klammerte sich an ihre Schultern, dann schnallte sie ihn fest. Sie spürte sein Entzücken und die Erwartung, die ihren eigenen Überschwang noch verstärkte, und ihr natürliches Auge funkelte vor Vergnügen, als sie endlich die Harnischverankerungen am Gleiter befestigte und die Haltestange ergriff.

»Also, halt dich gut fest!«, rief sie und schnellte sich mit einem lauten Freudenschrei über die Kante des tiefen Steilhangs.

Bei Honors letzter Wende war die Sonne nur noch ein erlöschender, rot-orangefarbener Rand an den Spitzen der Copper Walls. Honor schwebte fünf Kilometer vor der Küste wie ein sphinxianischer Albatros, und als sie den hellen Lichtfleck vor der dunklen Dämmerung am Fuße des Gebirges erblickte, kniff sie vor Belustigung die Augen zu Schlitzen zusammen. Die hellen Außenlichter des Harrington-Gehöfts strahlten in die Dunkelheit, denn Honors Steward – der offenbar glaubte, dass vier Stunden Bergsteigen und drei Stunden Drachensegeln für eine Invalidin ein wenig zu viel seien – ging keine Risiken hinsichtlich der Landung seiner Kommandantin ein.

Honor grinste und schüttelte liebevoll den Kopf. Drachensegeln war auf Sphinx eine weitverbreitete Leidenschaft, aber Senior Chief Steward MacGuiness stammte von der Hauptwelt Manticore. Sie verdächtigte ihn zu glauben, alle Sphinxianer (einschließlich ihrer Person) seien mehr als nur ein wenig verrückt und bräuchten jemanden, der auf sie achtgab. Er tat sicherlich sein Bestes, um ihr Leben mit eiserner Hand zu regieren, und während sie um keinen Preis je zugegeben hätte, dass sie es im Grunde genoss, welch Aufhebens er von und vor ihr machte, musste sie diesmal – insgeheim – gestehen, dass er recht hatte. Sie besaß dreißig T-Jahre Drachenflugerfahrung und sollte daher genug gesunden Menschenverstand besitzen, nach Hause zu kommen, solange sie noch bei gutem Licht landen konnte. Und das bedeutete, dass sie seinen wenn auch stets respektvollen Tadel mit kleinlauter Duldung hinnehmen müsste.

Sie kam von der See herein, verlagerte mit peinlicher Präzision das Gewicht und schwächte den Sinkwinkel ab. Mit plötzlich atemberaubender Schnelligkeit raste der Bodeja auf sie zu. Dann war das helle Licht direkt vor ihr, sie streckte die Beine aus, die Füße berührten Grund, und Nimitz schnatterte vor Entzücken, als sie weiterlief und ihre Geschwindigkeit im Lauf langsam abbremste. Dabei lachte sie überschwänglich.

Schließlich gelangte sie zum Stillstand und ließ sich auf ein Knie hinab. Sie legte den Gleiterrahmen auf das rotgoldene Gras vor dem Haus, und Nimitz drückte seine Zufriedenheit aus, indem er ihr sein kaltes, schnurrbehaartes Näschen ins rechte Ohr steckte. Honor löste seine Sicherheitsgurte, und der Baumkater fiel leichtfüßig zu Boden und setzte sich, um ihr beim Lösen der eigenen Gurte zuzusehen. Dann erhob sie sich, reckte sich, bis ihre Schultern knackten, und strahlte ihn an wie ein Schulmädchen. Sie zerlegte den Gleiter mit wenigen, geübten Bewegungen – nicht vollständig, nur so weit, dass er zu einer halbwegs bequemen Last wurde – und schob sich das Bündel unter den Arm. Schließlich ging sie zum Haus.

»Sie haben Ihr Com schon wieder hiergelassen, Ma’am«, wurde sie respektvoll und doch mit mild tadelnder Stimme empfangen, als sie auf die sturmfest verglaste Veranda trat.

»Habe ich wirklich?«, fragte sie unschuldig. »Wie gedankenlos von mir. Ich hab’s glatt vergessen.«

»Selbstverständlich«, stimmte James MacGuiness zu. Honor wandte sich ihm zu und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Der Steward erwiderte es, doch in seinem Blick lag eine Spur sorgfältig verborgenen Bedauerns. Selbst jetzt war die linke Hälfte ihres Mundes weniger ausdrucksstark und beweglich als die andere und verlieh ihrem Lächeln eine schiefe Asymmetrie, die mehr unbewusst wahrgenommen als gesehen wurde. »Die Möglichkeit, dass jemand Sie vielleicht etwas früher zurückgerufen hätte, kann damit nichts zu tun gehabt haben«, stellte er fest, und Honor musste lachen.

»Nicht das Geringste«, bestätigte Honor. Währenddessen durchquerte sie die Veranda und stellte den demontierten Gleiter in einer Ecke ab.

»Zufälligerweise versuchte ich, Sie übers Com zu erreichen, Ma’am«, fuhr MacGuiness nach einem Augenblick mit ernsterer Stimme fort. »Heute Nachmittag ist ein Brief von der Admiralität für Sie eingetroffen.«

Honor erstarrte eine Sekunde lang, dann korrigierte sie sorgfältig die Position des Gleiters. Meistens benutzte die Admiralität elektronische Post; offizielle Briefe wurden nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten versandt. Honor zwang einen Ausdruck der Ruhe auf ihr Gesicht. Sie kämpfte jäh aufbrandende Erregung hinunter, bevor sie sich umdrehte und eine Augenbraue hob.

»Wo ist er denn?«

»Neben Ihrem Teller, Ma’am.« MacGuiness schaute demonstrativ auf sein Chrono. »Ihr Abendessen wartet«, fügte er hinzu, und Honor musste den Mund erneut zu einem Lächeln verziehen.

»Verstanden«, murmelte sie. »Nun, Mac, ich werde mich zuerst waschen und dann mich beidem stellen.«

»Wie Sie wünschen, Ma’am«, antwortete MacGuiness und ließ sich nicht die geringste Spur von Triumph anmerken.

Honor zwang sich dazu, das Esszimmer ohne Hast zu betreten, und empfand das alte Haus um sich wie einen Schild. Sie war ein Einzelkind, und ihre Eltern hatten eine Wohnung in der Nähe ihrer Praxen in Duvalier City, beinahe fünfhundert Kilometer weiter im Norden. Außer am Wochenende waren sie nur sehr selten ›zu Hause‹, und Honors Geburtshaus wirkte stets ein wenig leer ohne die beiden. Zu diesen Zeiten fühlte sie sich dort eigenartig und ein wenig fremd. Aus irgendeinem Grunde hatte sie sich, wann immer sie fort war, ihre Eltern und das Haus als eine Einheit vorgestellt, als ein einziges, untrennbares Wesen, wie den beschützenden Schatten ihrer Kindheit.

MacGuiness wartete. Über dem einen Unterarm trug er eine sorgfältig gefaltete Serviette. Honor ließ sich auf ihren Stuhl sinken. Ein permanent zugeteilter persönlicher Steward war eine der Vergünstigungen, die ein Captain of the List in der Royal Manticoran Navy genoss. Allerdings wusste Honor nicht genau, warum sich MacGuiness zu dieser Aufgabe berufen fühlte. In gewisser Weise erschien es ihr wie eine Fügung des Schicksals, und er behütete sie wie eine Glucke ihr Junges, aber er hatte eigene, eiserne Regeln. Darunter fiel auch die Vorstellung, dass nichts Unbedeutenderes als Gefechtsalarm seine Kommandantin beim Essen stören oder die Mahlzeiten gar verschieben durfte, und so räusperte er sich, als sie nach dem anachronistischen, reich geprägten Briefumschlag griff. Sie sah auf, und MacGuiness hob mit übertriebener Geste den Deckel von einem Serviertablett.

»Diesmal nicht, Mac«, murmelte Honor und brach bei diesen Worten das Siegel. MacGuiness seufzte und setzte den Deckel wieder auf das Gericht. Nimitz kommentierte von seinem Platz am anderen Ende des Tisches aus die menschlichen Possen mit einem leisen, amüsierten ›Bliek‹, und der Steward bedachte ihn mit einem strafenden Stirnrunzeln.

Honor öffnete den Umschlag und zog zwei Bögen archaischen Papiers heraus. Sie knisterten frisch, und Honor riss die Augen – das natürliche und das cybernetische gleichermaßen – weit auf, als sie die ersten förmlichen, gedruckten Worte der ersten Seite überflogen hatte. Neben ihr versteifte sich MacGuiness, als sie scharf die Luft einsog, dann las sie ein zweites Mal, wandte sich dem zweiten Blatt zu, und schließlich sah sie auf und begegnete MacGuiness’ Blick.

»Ich glaube«, sagte sie langsam, »es ist Zeit für etwas Besonderes. Wie wäre es mit einer Flasche vom siebenundzwanziger Delacourt?«

»Vom Delacourt, Ma’am?«

»Ich glaube nicht, dass Dad etwas dagegen hätte – nicht in Anbetracht der Umstände.«

»Verstehe. Dann kann ich also annehmen, dass die Neuigkeiten gute Neuigkeiten sind, Ma’am?«

»Das können Sie allerdings.« Sie räusperte sich und strich beinahe ehrfürchtig über die Urkunde. »Mac, anscheinend hat BuMed in seinem unerforschlichen Ratschluss entschieden, dass ich wieder dienstfähig bin, und Admiral Cortez gibt mir ein Schiff.« Sie sah mit einem plötzlichen, blendenden Lächeln von den Befehlen auf. »Um genau zu sein, gibt er mir die Nik!«

Der an sich unerschütterliche MacGuiness starrte sie an und sperrte den Mund auf. HMS Nike war nicht irgendein Schlachtkreuzer. Die Nike war der Schlachtkreuzer, die am grimmigsten erstrebte, angesehenste Trophäe, die ein Captain begehren konnte. In der Royal Manticoran Navy gab es stets eine Nike, und ihre Gefechtsmeriten, ihre Tradition reichte bis zu Edward Saganami zurück, dem Gründer der RMN, und die gegenwärtige Nike war der neueste, kampfkräftigste Schlachtkreuzer in der Flotte. Honor lachte laut und tippte mit der Fingerspitze auf das zweite Dokument.

»Demnach gehen wir Mittwoch wieder an Bord«, sagte sie. »Haben Sie Lust auf ein wenig Dienst im All, Mac?«

MacGuiness sah ihr in die Augen, dann riss er sich zusammen, und ein gewaltiges Lächeln, das Honors in nichts nachstand, breitete sich über sein Gesicht aus.

»Jawohl, Ma’am. Ich denke, das kann ich aushalten – und heute ist sicherlich ein Abend für einen Delacourt!«

2

Das Intrasystem-Shuttle senkte sich in das Andockgerüst Ihrer Majestät Raumstation Hephaistos. Honor drückte die Speichern-Taste auf ihrem Memopad und erhob sich von ihrem Platz gleich neben der Luke.

Ihr Gesicht verriet durch nichts den inneren Aufruhr, der in ihr tobte, als sie das weiße Barett der Sternenschiffkommandanten unter der linken Schulterklappe hervorzog. Innerlich schnitt sie beim Zurechtrücken der Kopfbedeckung eine Grimasse, denn sie hatte sie über ein T-Jahr lang nicht mehr getragen und nicht berücksichtigt, wie sehr ihr Haar seitdem gewachsen war. Es hieß, es bringe Unglück, wenn ein RMN-Offizier sein oder ihr erstes weißes Barett ersetzte, und deshalb musste sie sich entweder das Haar schneiden oder das Barett ändern lassen. Sie streckte für Nimitz die Arme vor.

Der Kater schoss zu ihrer gepolsterten Schulter hinauf und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht und einem leisen ›Bliek‹ dort nieder. Dann tätschelte er das weiße Barett mit Besitzerstolz ausdrückender Geste. Honor verbarg ein Grinsen, das bei einem Captain (Senior Grade) niemals rechtschaffen gewirkt hätte, und Nimitz schnaubte amüsierte Toleranz. Er wusste ganz genau, wie viel dieses Symbol ihr bedeutete, und konnte überhaupt keinen Grund sehen, weshalb sie es nicht zeigen sollte.

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