Honor Harrington: Im Donner der Schlacht - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Im Donner der Schlacht E-Book

David Weber

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Beschreibung

Der Krieg zwischen Haven und dem Sternenkönigreich ist endlich gewonnen und der Friede hergestellt. Dennoch droht der gesamten Menschheit eine verborgene Gefahr: die völlige Versklavung durch die Mesaner. Dies abzuwenden ist für Honor das oberste Ziel. Dazu muss sie eine Schlacht führen, die das Schicksal des Sternenkönigreichs mit einem Schlag besiegeln könnte.

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Seitenzahl: 520

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

März 1922 P.D.

Kapitel 1

April 1922 P. D.

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

April 1922 P. D.

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Mai 1922 P.D.

Kapitel 10

Kapitel 11

Juni 1922 P. D.

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Personenverzeichnis

Glossar

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der HONOR-HARRINGTON-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

Im Donnerder Schlacht

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Ulf Ritgen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

© 2010 by David Weber

Titel der Originalausgabe: »A Rising Thunder« (Teil 1)

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2013/2014 by Bastei Lübbe AG

This work was negotiated through

Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen,

on behalf of St. Martin’s Press, L.L.C.

Textredaktion: Beate Ritgen-Brandenburg

Lektorat: Ruggero Leò

Titelillustration: © Arndt Drechsler, Regensburg

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-2461-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Bruce, Treysa, Mackenzie und – vor allem – Indiana Graham.

Es ist schwer, sich tapfer zu schlagen.

Doch erdverbundene Sterbliche lernen das Fliegen dadurch,dass sie nichts weiter tun als zuzuschauen.

Gottes Segen!

März 1922 P.D.

Ich würde es ja lieber lassen. Aber wenn es nötig ist, können wir genauso gut auch das volle Programm durchziehen.

Königin Elisabeth III. von Manticore

Kapitel 1

»Schaffen Sie Ihre gottverdammten Schiffe aus meinem Weltraum!«

Das Gesicht des dunkelhaarigen, stämmigen Mannes, das Commander Pang Yau-pau auf seinem Com-Schirm sah, war rot angelaufen vor Zorn. Der Mann sprach nicht, er fauchte. Pang musste sich sehr zusammenreißen, um nicht ebenfalls die Beherrschung zu verlieren.

»Leider ist das nicht möglich, Commodore Chalker«, erwiderte er so höflich, wie es die Umstände eben gestatteten. »Meine Befehle lauten, jegliche manticoranischen Schiffe auf ihrer Rückfahrt in manticoranisches Territorium zu sichern.«

»Ihre Befehle interessieren mich einen feuchten Dreck, Commander!«, spie Commodore Jeremy Chalker Gift und Galle. Die sechs Zerstörer unter seinem Kommando waren 2,4 Millionen Kilometer, also acht Lichtsekunden, von Pangs Kreuzer entfernt. Man sollte meinen, es wäre unmöglich, über eine solche Distanz hinweg ein derart hitziges Wortgefecht zu führen. Schließlich ergab sich bei lichtschnellen Übertragungen nun einmal eine gewisse Signalverzögerung. Chalker aber gelang dieses Kunststück ohne größere Probleme. »Sie verletzen hier die Souveränität meines Sonnensystems! Sie haben Mitarbeiter des solarischen Astro-Lotsendienstes von ihren Arbeitsplätzen vertrieben! Ich verlange, dass Sie augenblicklich von hier verschwinden!«

»Sir, es ist nicht meine Absicht, die Souveränität eines anderen Sonnensystems zu verletzen«, erwiderte Pang. Er war fest entschlossen, auf das etwas heikle Thema der solarischen Verkehrsleitung nicht einzugehen. »Ich bin einzig und allein daran interessiert, die Handelsschiffe des Sternenimperiums zu sichern.«

Weitere Sekunden verstrichen. Dann …

»Halten Sie den Mund! Überlassen Sie die Kontrolle über den Terminus den Männern und Frauen, deren Posten Sie sich widerrechtlich angeeignet haben, und drehen Sie gefälligst ab! Sonst lasse ich, bei Gott, auf den nächsten beschissenen Manty-Frachter, der mir unter die Augen kommt, das Feuer eröffnen!«

Pang Yau-paus Blick aus ansonsten eher sanftmütigen braunen Augen wurde hart, und der Commander holte tief Luft.

»Skipper«, sagte eine leise Stimme.

Respektvoller hätte der Ton nicht sein können. Dennoch schwang darin unverkennbar eine Warnung mit. Pang drückte die Stummtaste und warf einen Blick auf den kleineren Bildschirm neben seinem Kommandosessel. Von dort aus blickte ihn Lieutenant Commander Myra Sadowski an, sein Erster Offizier.

»Ich weiß, dass Chalker entsetzlich nervt«, erklärte sie ruhig. »Aber wir sollen das hier durchziehen, ohne unnötige Wellen zu schlagen. Der Kerl hat es, wie ich respektvoll hinzufügen möchte, verdient, einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Aber verdient oder nicht: Wenn Sie das tun, Skipper, wird das ganz eindeutig Wellen schlagen!«

Da hat Myra recht, dachte Pang. Doch für alles gab es die richtige Zeit und den richtigen Ort. Außerdem hatte die Admiralität Pang und HMS Onyx nicht zum Nolan-Terminus ausgeschickt, um jemanden wie Jeremy Chalker Drohungen wie diese ausstoßen zu lassen.

Nein, wirklich nicht, bestätigte dem Commander seine innere Stimme. Andererseits ist es wohl durchaus verständlich, dass der Commodore sauer ist. Nicht, dass er mir deswegen sympathischer wäre.

Derzeit waren die Onyx, ihr Schwesterschiff, die Smilodon, die Tornado, ein Zerstörer der Roland-Klasse, und der sehr viel ältere Zerstörer Othello mehr als sechshundertfünfzig Lichtjahre vom manticoranischen Doppelsternsystem entfernt. Bis zum Sol-System hingegen waren es kaum noch zweihundert Lichtjahre. Pang war vollkommen klar, dass er keinen sonderlich kampfstarken Verband befehligte – schon gar nicht für einen Einsatz derart tief in feindlichem Territorium. Genau genommen gehörte das Nolan-System zu den Protektoraten der Solaren Liga, und Chalker, Offizier der Solarian League Navy, war der Ranghöchste in der Grenzflotte vor Ort. Für seinen Dienstgrad schien Chalker erstaunlich alt. Wahrscheinlich mangelte es dem Commodore in den Reihen der SLN an den nötigen Beziehungen. Andererseits musste er zumindest einen gewissen Einfluss haben, sonst hätte man ihm niemals das Kommando über das Nolan-System übertragen. Dass dieses System dem Nolan-Terminus der Nolan-Katharina-Hyperbrücke so nahe lag, war der einzige Grund dafür, dass Nolan dem Liga-Amt für Grenzsicherheit vor etwa einhundert T-Jahren überhaupt aufgefallen war. Seitdem hatten die OFS-Mitarbeiter und die Offiziere der Grenzflotte einen erklecklichen Teil der bei der Nutzung dieses Terminus anfallenden Transfergebühren eingestrichen. Der SLN-Kommandant hatte auf Pangs Befehl, die Lotsenzentrale des Terminus den Manticoranern zu überlassen, eine Reaktion gezeigt, die nur einen Schluss zuließ: Ein gewisser Teil der wertvollen Lotsen-Gebühren dürften in Chalkers eigene Tasche gewandert sein. Auf jeden Fall war wohl nur erschreckend wenig von diesem Geld tatsächlich auf Nolan selbst angekommen.

Na ja, wenigstens können wir dieses Mal sicher sein, dass wir nicht die Einkünfte eines unbeteiligten Dritt-Systems schmälern, sagte sich Yau-pau. Und wir wollen den Terminus ja auch nicht für immer behalten … nur vorerst. Wir geben ihn zurück, sobald wir sicher wissen, dass sämtliche unserer Schiffe ihn unbeschadet passiert haben. Und wenn jemand wie Chalker in der Zwischenzeit empfindliche Einkommenseinbußen hat, gräme ich mich darüber gewiss nicht!

An einem zweifelte Pang keinen Moment: Der gesamte Rest der Solarischen Flotte würde ebenso erbost wie Chalker auf die Ereignisse reagieren. Man würde auf breiter Front die ›Arroganz‹ anprangern, mit der Manticore die Kontrolle über Termini übernommen hatte, auf die doch die Solarier Anspruch erhoben. Was erst geschähe, wenn Laokoon-Zwo in Kraft träte, darüber wollte der Commander gar nicht nachdenken. Andererseits: Sollte jemand tatsächlich meinen, es werde für die Sollys einen Unterschied machen, ob Laokoon-Zwo in Kraft träte oder nicht, dann musste dieser Jemand etwas rauchen, wovon er lieber die Finger lassen sollte.

»Ich bin hier nicht der, der unnötig Wellen macht«, erwiderte Yau-pau an Sadowski gerichtet. Dann blickte er quer über die Brücke der Onyx zu Lieutenant Commander Jack Frazier hinüber, seinem Taktischen Offizier.

»Ich hoffe nicht, dass Sie in absehbarer Zeit etwas zu tun bekommen, Waffen«, sagte er. »Aber falls doch, so wünsche ich, dass sich der Schaden auf ein Minimum beschränkt.«

»Sie haben also eher etwas im Sinn wie das, was Admiral Gold Peak vor New Tuscany durchgeführt hat und nicht wie damals vor Spindle, Sir?«

»Ganz genau.« Pang lächelte dünn. »Haben Sie Chalkers Flaggschiff schon identifiziert?«

»Jawohl, Sir.« Frazier nickte und erwiderte das Lächeln. »Das habe ich. Zufälligerweise habe ich das Schiff auch schon ins Visier genommen und erfasst.«

»Gut.«

Pang wartete noch einen Moment lang ab, nahm sich mehrere Sekunden Zeit, sicherzustellen, dass er wirklich nicht die Beherrschung verlieren würde, und aktivierte dann wieder den Audio-Aufzeichner.

»Commodore Chalker«, sagte er mit harter, tonloser Stimme. All die Höflichkeit von zuvor war nun wie fortgeblasen. »Bitte gestatten Sie mir, Sie auf zwo Dinge aufmerksam zu machen: Zunächst einmal befindet sich dieser Terminus mitnichten auf Nolan-Territorium. Falls sich meine Astrogation nicht gewaltig täuscht, liegt er fünf Lichtstunden weit von Nolan entfernt, also ein wenig außerhalb der Zwölf-Minuten-Grenze. Der Anspruch der Solaren Liga auf diesen Terminus stützt sich einzig und allein darauf, dass sich die SLN in der Lage glaubt, den entsprechenden Raumabschnitt zu sichern. Und zwotens, bezogen auf eben diese Annahme der SLN, möchte ich mit allem Respekt darauf hinweisen, wie das Kräfteverhältnis derzeit tatsächlich aussieht. Angesichts dessen halte ich es für äußerst unklug, Drohungen gegen manticoranische Schiffe auszustoßen … und es wäre noch deutlich unklüger, den Drohungen Taten folgen zu lassen!«

»Sie können mich mal, Commander! Sie und der Rest Ihres sogenannten Sternenimperiums mögen ja glauben, Sie könnten sich hier nach Herzenslust aufspielen. Aber Ihnen steht schon bald ein kaltes Erwachen bevor – und zwar viel früher, als Sie meinen!«

»Ich habe meine Befehle, Commodore«, erwiderte Pang ebenso tonlos wie zuvor. »Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen darüber zu diskutieren, wer für die derzeitigen Spannungen zwischen dem Sternenimperium und der Solaren Liga verantwortlich ist. Aber ich habe die Absicht, die Kontrolle über den Terminus wieder der Liga zu überlassen. Das bedeutet selbstverständlich, dass auch sämtliche Mitarbeiter Ihres Lotsendienstes wieder ihre gewohnten Posten übernehmen werden. Aber vorher werde ich mich, ganz wie es meine Befehle vorsehen, persönlich davon überzeugen, dass sämtliche manticoranischen Schiffe in der Nähe dieses Terminus Gelegenheit haben, auf manticoranisches Territorium zurückzukehren. Jegliche Unannehmlichkeiten für Sie oder jedwede solarischen Truppen oder Bürger bedauere ich aufrichtig.« Tonfall und Gesichtsausdruck straften ihn Lügen. »Aber ich bin fest entschlossen, sämtliche meiner Befehle auszuführen. Einer dieser Befehle lautet, zu allen erforderlichen Mitteln zu greifen, um manticoranische Handelsschiffe zu beschützen, ganz gleich, an welchem Ort. Und das, Commodore Chalker, schließt auch den solarischen Weltraum ein. Wenn Sie also die Absicht haben, das Feuer auf manticoranische Frachter zu eröffnen, warum fangen Sie dann nicht gleich mit den Schiffen an, die hier unter meinem persönlichen Schutz stehen? Bitte, legen Sie einfach los! Aber bevor Sie das tun, Commodore, möchte ich Ihnen nahelegen, noch einmal darüber nachzudenken, wie die Royal Navy über den Schutz von Handelsschiffen denkt.«

Der Commander lehnte sich in seinem Sessel zurück und wartete. Es dauerte sechzehn Sekunden, bis sein Signal Chalker erreichte und die Antwort eintraf. Termingerecht lief Chalkers Gesicht noch dunkler an.

»Was zur Hölle soll das denn heißen?!«, fauchte der Solarier.

»Das bedeutet, dass mein Taktischer Offizier Ihr Flaggschiff identifiziert hat«, gab Pang zurück. Sein Lächeln war nun so dünn und scharf wie eine Rasierklinge.

Mehrere Sekunden lang starrte Chalker den Commander an. Dann gefroren sämtliche Gesichtsmuskeln des Commodores, als habe ein Zauberstab den ganzen Mann in Eis verwandelt. Einige Augenblicke lang geschah gar nichts. Dann schüttelte der Solarier den Kopf.

»Wollen Sie mir etwa drohen?«, fragte er ungläubig.

»Ja«, erwiderte Pang nur.

Wieder starrte Chalker ihn an. Pang fragte sich, was sein Gegenüber wohl erwartet hatte.

»Meinen Sie tatsächlich, Sie könnten mir nichts, dir nichts in solarisches Hoheitsgebiet eindringen und solarische Bürger bedrohen? Meinen Sie, Sie könnten einem solarischen Kampfschiff drohen, Sie würden das Feuer eröffnen?«, fragte Chalker einige Sekunden später.

»Es ist mitnichten meine Absicht, jemanden zu bedrohen, Commodore. Ich möchte lediglich meine Befehle ausführen und alle Schiffe, für die ich Verantwortung trage, vor jeglicher Bedrohung beschützen. Gerade eben haben Sie ausdrücklich verkündet, Sie hätten die Absicht, auf unbewaffnete Handelsschiffe das Feuer zu eröffnen. Sollten Sie das tatsächlich tun, Commodore, werden wir das Feuer erwidern! Vielleicht möchten Sie sich ja noch einmal daran erinnern, wie es Admiral Byng vor New Tuscany ergangen ist. Sollten Sie immer noch die Absicht haben, meinen Verband anzugreifen, bitte, nur zu: Bringen Sie’s hinter sich! Sollten Sie es sich jedoch anders überlegen, Sir, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich hier noch Wichtigeres zu tun habe, als mit Ihnen zu plaudern. Guten Tag.«

Mit einem Knopfdruck unterbrach Pang die Verbindung. Dann lehnte er sich in seinem Kommandosessel zurück und fragte sich, ob Chalker wohl wütend – oder dumm – genug sein würde, diese Herausforderung tatsächlich anzunehmen. Es wäre dann der letzte Fehler seines Lebens. Dessen war sich Pang ganz sicher. Weniger sicher war er, was ein Schusswechsel hier und jetzt wohl für Auswirkungen auf die zukünftige Karriere eines gewissen Pang Yau-pau haben mochte.

Lieber für das Schlachten eines Hexapumas gehängt werden als dafür, einer Hauskatze den Hals umgedreht zu haben, dachte er. Leider kenne ich keine Zauberformel, mit der ich diesen Idioten zufriedenstellen könnte. Es ist doch ganz egal, was ich hier mache! Sollte er dämlich genug sein, auf den Abzug zu drücken, dann liegt das jedenfalls nicht daran, dass er nicht gewusst hätte, wie ich dann reagiere!

Angestrengt betrachtete Pang das taktische Wiederholdisplay und wartete ab, was Chalker unternehmen würde. Die Onyx und die Smilodon gehörten beide der Saganami-C-Klasse an, bewaffnet mit Mehrstufenraketen vom Typ 16. Beide Schiffe verfügten auf jeder Breitseite über acht Graser. Gemessen an der Reichweite der armseligen Energiebewaffnung solarischer Schiffe befanden sich SLNS Lancelot – Chalkers Flaggschiff, ein Zerstörer der Rampart-Klasse – und deren Begleitschiffe noch weit entfernt von Pang. Was die Raketen anging, war ihre Lage beinahe noch jämmerlicher. Andererseits befanden sich die Sollys sehr wohl in Reichweite von Pangs Geschützen. Außerdem maßte die Lancelot kaum zwanzig Prozent der Onyx, und entsprechend schwach waren deren Seitenschilde. Die Breitseitenbewaffnung des Zerstörers bestand nur aus fünf Lasern und ebenso vielen Raketenwerfern. Sollte Chalker wirklich töricht genug sein, seine Drohung wahrzumachen, würde es ihm zweifellos gelingen, jedes Handelsschiff zu zerstören, auf das er das Feuer eröffnete. Die Chance der Lancelot hingegen, einen Laser-Gefechtskopf durch die Nahbereichsabwehr der Onyx zu bringen – geschweige denn den Seitenschild des Kreuzers zu durchbrennen –, lag irgendwo zwischen ›sehr gering‹ und ›nichtexistent‹.

Aber es ist gut, dass Chalker sich nicht auf Station befunden hat, als wir eingetroffen sind, dachte Pang. Weiß Gott, was er getan hätte, wenn wir in Reichweite seiner Energiebewaffnung gewesen wären, als wir durch den Terminus gekommen sind! Genau genommen ist es auch gut, dass er so ein Großmaul ist. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis einer der eintreffenden Solly-Händler Nolan angesteuert hätte, um zu melden, was hier eigentlich vor sich geht. Wäre dieser Idiot bereit gewesen, die Klappe zu halten, bis er auf Energiewaffenreichweite aufgekommen wäre, könnte unsere Lage jetzt deutlich unerfreulicher aussehen. Unerfreulich genug, um alles geradewegs den Bach runtergehen zu lassen!

Pang hatte mit Chalkers Drohung, das Feuer auf manticoranische Handelsschiffe zu eröffnen, einen eindeutigen Beweis für die feindselige Absicht der Sollys vorliegen. Gut, dass Chalker es nicht übers Herz gebracht hatte, die Klappe zu halten! Andernfalls hätte Pang später deutlich größere Schwierigkeiten gehabt, einen Angriff auf Kampfverbände der SLN zu rechtfertigen. Rein rechtlich nämlich hätte Pang Chalker gestatten müssen, sich ihm bis an die Terminus-Schwelle zu nähern. Nur wären dann die Chancen groß gewesen, dass es für alle Manticoraner hier unschön geworden wäre.

Vielen Dank, Commodore Chalker, dachte der Commander sardonisch.

Pang Yau-pau würde das niemandem, nicht einmal Sadowski gegenüber zugeben: Aber ihm war nur allzu bewusst, welche gewaltige Verantwortung auf seinen Schultern lastete … und wie groß die Solare Liga war. Außerdem wäre er nie zuzugeben bereit, wie dankbar er unter den gegebenen Umständen für Chalkers Kriegslüsternheit war. Jeder Offizier, der das Kommando über ein Kampfschiff Ihrer Majestät der Kaiserin innehatte, wusste genau, dass er früher oder später allein dastünde und eigenständig entscheiden müsste. Nur standen Commander Pang und sein kleiner Verband wirklich auf verlorenem Posten: richtig tief in feindlichem Territorium.

Gut, sie bräuchten nur drei Wurmlochtransits hinter sich zu bringen, um wieder das Doppelsternsystem von Manticore zu erreichen. Nur: So fühlte es sich eben nicht an. Das Dionigi-System lag nur sechsundneunzig Lichtjahre von Manticore entfernt. Über die Dionigi-Katharina-Hyperbrücke war es mit dem Katharina-System verbunden, das ganze siebenhundertdreißig Lichtjahre weit entfernt war. Und die Nolan-Katharina-Brücke wiederum gehörte zu den längsten Hyperbrücken, die jemals entdeckt worden waren: Sie durchquerte einen Raumabschnitt von ganzen neunhundertfünfzehn Lichtjahren. Selbst wenn Pang die Distanz zwischen Manticore und Dionigi ganz normal im Hyperraum zurücklegte, könnte er in weniger als zwei Wochen zu Hause sein. Auf der kürzesten Route dauerte die ganze Überfahrt sogar nur acht Tage.

Ein Schiff mit handelsüblichem Hypergenerator und entsprechender Partikelabschirmung hingegen bräuchte für diese Reise durch den Hyperraum mehr als sieben Monate. Bei einem Kurs über Dionigi allerdings würde die Fahrt nur dreißig Tage dauern. Dank des Wurmlochnetzes sparte der interstellare Handel also recht viel Zeit. Das wiederum erklärte den hohen wirtschaftlichen Wert des Netzwerks … und wie wertvoll es für Manticore war, die Vorherrschaft über die Nutzung der Wurmlöcher zu haben.

Was auch erklärt, warum die Sollys in Chicago mindestens genauso sauer sein werden wie Chalker, sinnierte Pang grimmig. Die ärgert doch schon seit Jahren die Größe unserer Handelsflotte und unsere Dominanz über ihr Speditionsgewerbe. Und schon sehr bald finden sie heraus, wie schlimm die Lage für sie wirklich ist. Der Abzug aller unserer Schiffe aus solarischem Territorium wird denen so richtig weh tun. Alles, was wir tun müssen, um ihnen dieses Ding zu verpassen, ist, unsere Frachter in die Heimat zurückzubeordern. Wir müssen dafür nicht einmal einen einzigen Handelsstörer oder Freibeuter einsetzen. Aber wenn Laokoon-Zwo aktiviert wird und wir von dem ganzen Netzwerk so viel wie nur irgend möglich abriegeln, dann wird es zappenduster für die Sollys! Ihnen fehlen die Schiffe, um das auszugleichen, selbst dann, wenn sämtliche Termini weiterhin offen zugänglich blieben. Wenn die Termini dann auch noch abgeriegelt sind, wird jede Tonne Frachtgut auch noch vier- oder fünfmal so lange im All bleiben müssen …

Das Ganze war zum Lachen. Pang bezweifelte, dass auch nur fünf Prozent der solarischen Bevölkerung wussten, wie verwundbar die Liga wirklich war. Nun, bislang wusste die Bevölkerung das nicht. Was sollte denn der Liga mit ihrer gewaltigen Binnenwirtschaft auch schon groß passieren? Die Liga bestand aus buchstäblich Hunderten von Sonnensystemen, in manchen davon lebten mehrere Milliarden Menschen. Die Liga verfügte über die leistungsstärkste Industrie der gesamten Menschheitsgeschichte. Ein derartiger Titan konnte doch niemals von einem kleinen ›Sternenimperium‹ in die Knie gezwungen werden, das aus gerade einmal ein paar Dutzend bewohnten Planeten bestand! Unmöglich, nicht wahr?

Nein, eben nicht! Dann nämlich nicht, wenn der zwergenhafte Gegner zufälligerweise den weitaus größten Teil der gesamten Handelsschifffahrt kontrollierte, sozusagen das Herzblut besagter Wirtschaft. Es war vor allem dann nicht unmöglich, wenn jener zwergenhafte Gegner zugleich in der Lage war, sämtliche ernst zu nehmenden Verkehrsadern zu blockieren. Dann musste sich die noch verbliebene Handelsschifffahrt auf winzige Kapillaren beschränken, um das System überhaupt am Leben zu erhalten. Es würde auch nichts nützen, wenn die solarischen Werften ab jetzt auf Höchstlast produzierten. Selbst genug Schiffe, um jedes einzelne manticoranische Schiff zu ersetzen, das vom Handel der Liga abgezogen wurde, würden nicht ausreichen, um ohne die Termini die bestehenden Handelsrouten aufrechtzuerhalten.

Natürlich tun wir damit auch unserer eigenen Wirtschaft keinen Gefallen, rief sich Pang ins Gedächtnis zurück. Und das ist nicht ganz unwichtig, vor allem nicht nach dem Yawata-Schlag.

Für Manticore waren die Termini, vorausgesetzt, man behielte sie fest im Griff, ein gutes wirtschaftspolitisches Werkzeug. Sie waren die Brechstange, um die Liga aufzubrechen und das ein oder andere Sternensystem herauszusprengen. Pang fragte sich nur, ob diese Brechstange auch genug Hebelwirkung entfalten würde. Gut, fiele erst der manticoranische Speditionsverkehr vollständig aus, bräche in so manchem System die Wirtschaft zusammen oder trüge zumindest Schäden davon. Aber würden diese Systeme, hielte man ihnen den freien Zugang zum Wurmlochnetz als Köder vor die Nase, wirklich die Seite wechseln? Würde ihre Treue, ob offen oder nur inoffiziell, dann wirklich Manticore gelten und nicht mehr der Liga? Pang fielen gleich einige Systeme im Rand ein, die opportunistisch handeln würden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken – vorausgesetzt, sie glaubten, damit durchzukommen. Ach, Pang fielen sogar einige Systeme in der Schale ein, die sich diese Chance wahrscheinlich nicht entgehen ließen!

Tja, das wird man abwarten müssen. Aber es gibt ja auch noch einen weiteren guten Grund für das Sternenimperium, die Kontrolle über die Hyperbrücken zu erringen, nicht wahr? Solange wir sie im Griff haben, kann niemand die Hyperbrücken dazu nutzen, uns anzugreifen … während wir die Liga auf diesem Wege sehr wohl angreifen können.

Ein Angriff auf die bestens geschützten Wurmloch-Termini entlang der Brücken, über die sie miteinander verbunden waren, wäre zweifellos ein Verlustgeschäft. Aber die taktische Flexibilität, die das Wurmlochnetz den leichten, flinken Handelsstörern von Manticore im Ganzen böte, wäre für alle Gegner schlichtweg verheerend. Obwohl das Sternenimperium recht weit vom Sol-System und den anderen Systemen im Kern der Liga entfernt war, befände es sich dann plötzlich mitten innerhalb der Kommunikationsschleifen der Sollys. Die bescheidene Handelsflotte der Liga würde innerhalb kürzester Zeit von praktisch allen Seiten gleichzeitig angegriffen. Die manticoranische Handelsflotte dagegen könnte über die Termini reisen, wohin sie wollte. Sie liefe nicht einmal Gefahr, während der Überfahrt von einem System zum nächsten angegriffen zu werden.

Kein Wunder, dass Chalker fuchsteufelswild war! Vielleicht war er ja tatsächlich zu dämlich, sich vorzustellen, was als Nächstes passieren würde. Laokoon Zwo sah er eindeutig nicht kommen. Aber ebenso eindeutig hatte er, selbst er, begriffen, welchen Mobilitätsvorteil die Manticoraner doch hatten. Genau dieser Vorteil hatte Pangs Geschwader auch nach Nolan geführt. Vielleicht hatte Chalker das Ganze noch nicht bis zu Ende gedacht. Es würde zu der typisch solarischen Arroganz passen, nicht in Erwägung zu ziehen, die kleinen Manticoraner könnten tatsächlich aktiv gegen die allmächtige Liga vorgehen. Dass Pangs Schiffe derart tief auf solarisches Territorium vorgedrungen waren, dürfte schon ausgereicht haben, um den Blutdruck des Commodore gefährlich ansteigen zu lassen – die Aussicht auf einen nicht unerheblichen Mobilitätsvorteil Manticores befeuerte diesen zusätzlich.

Pang warf einen Blick auf das Chronometer in der Ecke des taktischen Hauptplots. Vor mehr als zehn Minuten hatte er das Gespräch mit Chalker beendet. Wäre der Solly tatsächlich wütend – und dumm – genug gewesen, übereilt zu reagieren, dann wäre das mittlerweile bereits geschehen. Dass sich bislang (noch) nichts ereignet hatte, bedeutete jedoch nicht zwangsläufig, dass nicht doch noch Dummheit und Arroganz die Oberhand über gesunden Menschenverstand und Selbsterhaltungstrieb zu gewinnen vermochten. Es erschien Pang aber eher unwahrscheinlich.

›Unwahrscheinlich‹ ist aber nun einmal nicht das Gleiche wie ›passiert nicht‹, dachte der Commander. Trotzdem wurde es wirklich Zeit, seinen Leuten eine kleine Verschnaufpause zu gönnen … Und es konnte auch nicht schaden, wenn Pang Yau-pau hierbei seine eigene Unerschütterlichkeit zur Schau stellte. Selbstvertrauen begann schließlich stets am oberen Ende der Befehlskette. Also wandte sich Pang an seine Leute im Hilfskontrollraum.

»Nun, Commodore Chalker hat seinen Fehler wohl eingesehen, Myra«, erklärte er Lieutenant Commander Sadowski. »Gehen wir mit dem Geschwader auf Bereitschaftsstufe Zwo!«

»Aye, aye, Sir«, bestätigte Sadowski.

Bereitschaftsstufe Zwo, auch bekannt als ›Klarschiff zum Gefecht‹, war die Vorstufe zu ›Alle Mann auf Gefechtsstation‹. War Klarschiff befohlen, wurden Maschinenraum, Lebenserhaltungssysteme und OPZ vollständig bemannt. In den Hilfskontrollraum wurde dann eine Rumpfbesatzung abgestellt. Sämtliche Sensoren wurden auf maximale Leistung gestellt, unterstützt von den ÜL-Plattformen, die das Geschwader unmittelbar nach seinem Eintreffen in diesem System ausgesetzt hatte. Zugleich wurde die taktische Abteilung vollständig bemannt. Passive und aktive Abwehrsysteme wurden der Computersteuerung übergeben; die Systeme zur elektronischen Kampfführung und zur aktiven Ortung blieben bemannt und jederzeit einsatzbereit, ohne jedoch bereits aktiviert zu werden. Schließlich konnte man sie dann ihrerseits orten. Zudem wurde ein Teil der Bedienungsmannschaften zu den Waffensystemen der Onyx geschickt. Bereitschaftsstufe Zwo musste notfalls auch über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechterhalten werden. Deswegen waren für diesen Fall auch Wachwechsel eingeplant. Es galt sicherzustellen, dass jede erforderliche Station rund um die Uhr bemannt war. Der Rest der Mannschaft sollte sich dann ausruhen können. Das aber würde auch nicht verhindern, dass bei Aufrechterhaltung von Bereitschaftsstufe Zwo Pangs Untergebene letztendlich völlig erschöpft sein würden.

»Percy übernimmt den Hilfskontrollraum. Und Sie kommen wieder auf die Brücke und lösen mich ab«, fuhr Pang fort, immer noch an Sadowski gewandt. Der Ehrenwerte Lieutenant Percival Quentin-Massengale, zwoter Taktischer Offizier der Onyx, war der ranghöchste Offizier in Sadowskis Hilfskontrollraum. »Die Smilodon und die Blechdosen lassen wir ein wenig zurückfallen. Die ersten zwölf Stunden lang soll die Onyx die Vorhut übernehmen – genauer gesagt: zwölf Stunden lang oder bis unser lieber Freund Chalker beschließt, sich von dannen zu machen. Danach kann dann die Smilodon für die nächsten zwölf Stunden Vorhut spielen. Die Kreuzer lösen sich gegenseitig ab, während uns die Zerstörer den Rücken freihalten.«

Dabei sorgen wir auch gleich dafür, dass die Othello nicht in Schwierigkeiten gerät, setzte Pang in Gedanken noch hinzu. Im Gegensatz zu ihrem deutlich jüngeren Begleitschiff Tornado war der ältere Zerstörer noch nicht mit Raketen vom Typ 16 ausgestattet. Schon vor einiger Zeit hatte Pang beschlossen, die Othello in der Schlachtreihe möglichst weit hinten zu halten.

»Waffen, die Feuerleitlösung auf Chalkers Schiff kontinuierlich aktualisieren!«, wies er dann Lieutenant Commander Frazier an. »Und OPZ soll seine Emissionen ständig im Auge behalten. Sobald es auch nur Anzeichen für aktive Zielansprache gibt, möchte ich umgehend informiert werden.«

»Aye, aye, Skipper.«

An sich war Jack Frazier ein fröhlicher Bursche und stets zu Streichen aufgelegt. Davon war seiner knappen Bestätigung des Befehls nichts anzumerken.

»Gut.« Pang nickte. Dann blickte er wieder zu Sadowski hinüber. »Haben Sie das mitbekommen, Myra?«

»Jawohl, Sir.«

»Na, ich glaube, Sie wissen das bereits, aber trotzdem fürs Protokoll: Sollte dieser Chalker tatsächlich dumm genug sein, das Feuer auf uns oder einen der Frachter zu eröffnen, sind Sie hiermit angewiesen und autorisiert, umgehend das Feuer zu erwidern. Sollte es erforderlich werden, die Waffen sprechen zu lassen, möchte ich Chalkers Schiff vollständig kampfunfähig wissen. Haben wir uns verstanden?«

»Autorisierung, im Falle eines Angriffs das Feuer zu eröffnen, bestätigt, Sir«, erwiderte Sadowski deutlich förmlicher, als es an sich ihre Art war. Wieder nickte Pang, dann stand er auf und blickte erneut zu Frazier hinüber.

»Sie haben das Deck, bis der Eins-O eintrifft, Waffen. Für Sie gelten die gleiche Anweisung und Autorisierung«, erklärte der Commander. »Ich bin in meinem Arbeitszimmer und kümmere mich um den Papierkram.«

April 1922 P. D.

Es ist genau wie bei dieser alten Geschichte mit dem Maultier: Will man dessen Aufmerksamkeit erregen, hat man ihm erst einmal mit einem hinreichend großen Knüppel eines genau zwischen die Augen zu geben.

Hamish Alexander-Harrington,Earl von White Haven

Kapitel 2

»Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

Fassungslos starrte Sharon Selkirk, Leiterin der Verladeabteilung der Shadwell Corporation im Mendelschon-System, ihren Combildschirm an. Bedauernd schüttelte der Mann, der darauf zu sehen war, den Kopf.

»Leider doch«, erwiderte Captain Lev Wallenstein. Er befehligte den manticoranischen Frachter mit dem unmöglichen Namen Yellow Rose The Third. »Gerade eben ist bei mir die entsprechende Depesche eingetroffen.«

»Aber … aber …« Selkirk nahm sich zusammen und ließ das Gestammel. »Wir haben doch einen Vertrag, Lev!«

»Das weiß ich«, erwiderte Wallenstein und fuhr sich durch den widerspenstigen roten Haarschopf. »Und es tut mir auch furchtbar leid. Es ist doch nicht meine Idee, Sharon! Glaub bloß nicht, die Kundenabteilung würde sich darüber freuen! Wir sollen leer bis ins Sternenkönigreich zurückfahren.« Erneut schüttelte Lev den Kopf. »Ich weiß ja nicht, wessen Kopfgeburt das war. Aber das wird uns noch gewaltig in den Hintern beißen!«

»Lev, seit über zwei T-Monaten liegen hier in den orbitalen Lagerhäusern ganze 1,6 Millionen Tonnen Frachtgüter, die nur auf dich gewartet haben! 1,6 Millionen Tonnen – verstehst du, um was für Zahlen es hier geht? Wir reden hier von Waren im Wert von beinahe anderthalb Milliarden Credits! Und in weniger als vier Wochen sollen die in Josephine eintreffen. Wenn du das Zeug jetzt nicht abholst, kann ich das unmöglich noch rechtzeitig dorthin schaffen lassen.«

»Weiß ich doch.« Ein weiteres Mal schüttelte Wallenstein den Kopf. Dieses Mal war es eine Geste echter Hilflosigkeit. »Und wenn ich die Wahl hätte, würde ich deine Waren jetzt sofort verladen. Aber man lässt mir keine Wahl. An meinen Befehlen gibt es nichts zu deuteln, und die kommen auch nicht von der Kundenabteilung. Die kommen unmittelbar von der Admiralität, Sharon!«

»Aber warum?« Selkirk starrte ihn an. »Warum … ziehen die mir einfach den Boden unter den Füßen weg? Verdammt noch mal, Lev, du fährst doch diese Route nun schon seit mehr als zwölf T-Jahren! Und es hat noch nie Probleme gegeben – für keinen von uns!«

»Sharon, das hat nichts mit dir zu tun. Und mit mir auch nicht.« In seinem Sessel an Bord der Yellow Rose lehnte sich Wallenstein zurück und betrachtete das elektronische Abbild einer Frau, die im Laufe der Jahre mehr geworden war als ein Geschäftskontakt unter vielen. Sharon war eine gute Freundin. »Du hast recht, bislang hat es noch nie Probleme gegeben … nicht hier in Mendelschon.«

Sharon wollte schon etwas erwidern. Aber die letzten vier Worte ließen sie innehalten – nein, eigentlich war es wohl der Tonfall gewesen, den Lev angeschlagen hatte. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen.

»Du meinst, das hat irgendetwas mit dieser anderen Geschichte zu tun, in … wo war das noch? New Tuscany? Und Spindle? Geht es in Wirklichkeit darum?«

»Ausdrücklich gesagt hat das niemand«, erwiderte Lev. »Aber ich vermute das.«

»Aber das ist doch dämlich!« Auch Sharon lehnte sich in ihrem Sessel zurück und fuchtelte erbost mit den Armen. »Das ist doch siebenhundert Lichtjahre weit von Mendelschon weg! Wie soll sich das denn auf uns hier auswirken?«

Lev schätzte Sharon, doch im Augenblick fiel es ihm schwer, nicht enerviert die Augen zu verdrehen. Anders als die überwiegende Mehrheit auf Führungspositionen in dem multistellaren Konzern verhielt sich Sharon Selkirk den Offizieren der Handelsflotte gegenüber, die für sie Waren durch die Tiefen des Alls beförderten, stets höflich, ja sogar freundlich. Noch nie hatte sie Lev Wallenstein zum Vorwurf gemacht, dass er nun einmal kein Solarier war. Um ehrlich zu sein, war das sogar das Einzige, was ihn an ihr immer ein wenig geärgert hatte. Es war geradezu herablassend, ihm das nicht zum Vorwurf zu machen. Und sie war sich dessen nicht einmal bewusst. Sie behandelte ihn nicht anders als die Menschen ihres Heimatsystems.

Darüber, wie sehr das Nicht-Solariern auf die Nerven gehen konnte, hatte sie sicher nie nachgedacht. Sie war eben einfach ein viel zu netter Mensch. Die Arroganz der Solarier – diese tief verwurzelte Überzeugung, sie seien allem und jedem haushoch überlegen – war allerdings Teil ihres Erbgutes: Sollys dachten darüber niemals nach. Und das war das Problem.

»Hör mal, Sharon«, sagte Lev schließlich, »natürlich hat das, was in New Tuscany und Spindle passiert ist, nichts mit dir, mir oder Mendelschon zu tun. Aber dort sind eine Menge Leute ums Leben gekommen. Vielleicht ist dir nicht klar, dass die Beziehungen zwischen der Liga und dem Sternenimperium gerade den Bach runtergehen. Wirklich, das tun sie! Mit Blick auf diese neuen Befehle vermute ich, dass die Beziehungen noch deutlich schlechter werden, bevor sie sich vielleicht irgendwann wieder einmal bessern.«

»Aber das ist doch verrückt!« Nun war es an Sharon, den Kopf zu schütteln. »Ich meine, natürlich ist es schlimm, dass da so viele Leute ums Leben gekommen sind. Und ich weiß auch nicht besser als du, was da eigentlich abgelaufen ist. Aber es kann doch niemand wollen, dass noch mehr Menschen ums Leben kommen! Das muss doch in den Griff zu bekommen sein, ehe noch mehr passiert!«

»Ganz meine Meinung. Aber um ehrlich zu sein, sieht es absolut nicht danach aus. Ich vermute, die Regierung in der Heimat hat beschlossen, es sei an der Zeit, die Handelsflotte in Sicherheit zu bringen – sie nach Hause zu holen, bevor hier alles zusammenbricht.«

»Ich fass es nicht, dass das ausgerechnet jetzt passiert!« Wieder schüttelte Sharon den Kopf. »Würden sich unsere Leute mit euren Leuten zusammensetzen, ließe sich die ganze Angelegenheit doch bestimmt irgendwie regeln! Mit ein bisschen Vernunft lassen sich doch immer Mittel und Wege finden, ein Problem zu lösen.«

»Bedauerlicherweise erfordert das aber, dass beide Seite vernünftigen Argumenten zugänglich sind«, gab Lev zu bedenken. Überrascht riss Sharon die Augen auf. Sie wollte schon etwas erwidern. Doch sie verkniff es sich gerade noch rechtzeitig. Levs Lächeln fiel grimmig aus.

Beinahe wär’s dir rausgerutscht, was, Sharon?, dachte er. Natürlich sollten wir alle vernünftig sein. Sicher hast du es ehrlich gemeint, als du meintest, mit Vernunft ließe sich immer eine Lösung finden. Bedauerlicherweise halten Solarier aber immer nur für vernünftig, wenn alle anderen die Dinge so sehen wie sie selbst. Dass zur Abwechslung vielleicht auch einmal die Liga Vernunft annehmen müsste, der Gedanke kommt euch gar nicht, oder?

»Na ja, natürlich«, sagte Sharon und nahm davon Abstand auszusprechen, was ihr zuerst durch den Kopf geschossen war. Sie sah sogar ein wenig betreten drein. Doch dann verzog sie mürrisch das Gesicht.

»Also machst du jetzt einfach kehrt und steuerst wieder Manticore an, ja? Einfach so?«

»Um genau zu sein, mache ich jetzt kehrt und steuere Beowulf an. Von da aus geht es dann weiter nach Manticore«, korrigierte er sie. »Aber genau so sieht’s aus, ja.«

»Und was ist mit unserem Vertrag?«

»Das wirst du leider mit unserer Kundenabteilung besprechen müssen.« Bedauernd zuckte er die Achseln. »Es ist sogar gut möglich, dass du am Ende mit dem Außenministerium darüber wirst reden müssen. Meine Befehle kommen von der Regierung, schon vergessen? Gut möglich, dass die sich dann auch um die Konventionalstrafen für nicht eingehaltene Verträge kümmert.«

»Falls sie überhaupt anfallen, meinst du, oder?«, fragte Sharon verbittert nach. Sie hatte weidlich Erfahrung mit der Bürokratie der solarischen Regierung. Schön waren diese Erfahrungen allesamt nicht gewesen.

»Keine Ahnung, wie das letztendlich laufen wird. Wahrscheinlich weiß das bislang noch keiner. Es passt dir nicht, ich weiß. Aber damit stehst du nicht allein auf weiter Flur. Vergiss nicht, Sharon: Ich bin Offizier der Reserve. Wenn ich nach Manticore zurückkomme, kann es sehr gut sein, dass ich in den aktiven Dienst gestellt werde. Wenn’s so schlimm kommt, wie ich fürchte, komme ich vielleicht schon bald wieder zurück in die Solare Liga. Aber dann werde ich etwas anderes an Bord haben als Frachtgüter.«

Einen langen Moment starrte Sharon ihn nur verständnislos an. Sie schien nicht zu begreifen, was er da gerade gesagt hatte. Dann schüttelte sie heftig den Kopf.

»Oh nein, Lev! So weit wird es nicht kommen! Ich weiß ja, dass deine Leute sauer sind. Ich wäre auch sauer, wenn ich glauben würde, meiner Navy wäre so etwas passiert. Was nicht heißt, ich wollte behaupten, es wäre in Wirklichkeit ganz anders gewesen!«, setzte sie noch rascher hinzu, als sie bemerkte, wie Levs Miene versteinerte. »Aber euer Sternenimperium ist doch gewiss nicht verrückt genug, es auf einen Krieg gegen die Liga ankommen zu lassen! Das wäre doch wie … wie …«

»Wie der Kampf zwischen David und Goliath?«, soufflierte Lev. Sein Ton war deutlich schärfer als zwischen ihnen bisher üblich. »Das ist doch der Vergleich, der dir gerade durch den Kopf gegangen ist, oder?«, fuhr er fort. »Ich gebe dir recht: Es ist ein passender Vergleich. Aber vielleicht solltest du noch einmal darüber nachdenken, wie besagter Kampf seinerzeit ausgegangen ist!«

Endlose Sekunden lang blickten die beiden einander nur schweigend in die Augen. Dann sah Lev Wallenstein in Sharon Selkirks Blick, dass sie endlich verstand. Endlich hatte sie begriffen, dass Manticoraner wirklich keine Solarier waren. Dass sich Manticoraner tatsächlich eine Galaxis vorstellen konnten, in der der Solaren Liga nicht die Rolle des ultimativen Schiedsrichters zukam, der allen nach Gutdünken seine eigenen Bedingungen aufnötigte. Dass die Manticoraner möglicherweise tatsächlich so weit jenseits von Gut und Böse waren, dass sie bereit waren, sich dem gewaltigen solarischen Moloch zum Kampf zu stellen.

Zum ersten Mal sah Sharon Selkirk ihren manticoranischen Gesprächspartner als jemanden, der der Ansicht war, ihr ebenbürtig zu sein. Vielleicht begriff sie sogar, wie herablassend sie sich ihm gegenüber zuvor verhalten hatte. Die Befriedigung darüber, seine Geschäftspartnerin und Freundin könnte das endlich begriffen haben, überraschte Lev. Zugleich bestürzte ihn, wie er über Sharon dachte. Er atmete tief durch und rang sich ein Lächeln ab.

»Natürlich hoffe ich, dass es dazu nicht kommen wird«, sagte er so leichthin, wie er es fertigbrachte. Sharon war ihm gegenüber stets höflich gewesen; also hatte sie es verdient, dass man sanft mit ihr umsprang. »Eigentlich hoffe ich ja darauf, dass sich das Ganze einfach erledigt und ich schon bald wieder meine üblichen Routen fahre. In diesem Fall wird unsere Kundenabteilung sicher auch ein paar Sonderangebote springen lassen. Schließlich wird uns das Ganze viel von unserem guten Ruf kosten! Trotzdem habe ich momentan keine andere Wahl, als meinen Befehlen Folge zu leisten. Wir kennen einander nun schon seit einigen Jahren, wie du selbst gerade gesagt hast. Deswegen dachte ich mir, ich schulde dir zumindest eine persönliche Erklärung. Oder wenigstens etwas, das einer Erklärung so nahe wie möglich kommt. Allzu viel weiß ich ja selbst nicht. Wie dem auch sei, innerhalb der nächsten sechs Stunden soll ich nach Beowulf aufbrechen.«

»Das wird noch reichlich Ärger geben, Lev. Das ist dir doch klar, oder?«, erkundigte sich Sharon. »Ich meine jetzt nicht zwischen uns beiden. Sicher, ich verstehe ja schon, dass das nicht auf deinem Mist gewachsen ist und du gar keine andere Wahl hast, wirklich! Aber meinen Vorgesetzten wird das überhaupt nicht passen. Und bei deren Vorgesetzten wird das auch nicht besser ankommen. Das geht bis ganz nach oben. Und dem Parlament wird’s sicher auch nicht gefallen. Wenn Manticore wirklich seine Handelsschiffe zurückbeordert, verpasst das der ganzen interstellaren Wirtschaft einen gewaltigen Dämpfer. Da werden nicht nur die transstellaren Konzerne verärgert sein – das wird einfach alle auf die Palme bringen!« Sharon schüttelte den Kopf. »Ich weiß ja nicht, was sich deine Regierung von dieser Maßnahme erhofft. Aber eines ist mal sicher: Die pumpen hier bloß noch zusätzlichen Wasserstoff in die Fusionskammern!«

»Mag sein«, entgegnete Lev, »aber diese Entscheidung steht mir schlichtweg nicht zu. Das kommt von ganz, ganz oben, Sharon.« Wieder lächelte er, dieses Mal ein wenig schief. »Pass auf dich auf, ja?«

»Du auch, Lev«, gab sie leise zurück.

»Ich werd mir redlich Mühe geben«, versprach er. »Ende.«

»Mir ist völlig egal, was Ihre verdammten Befehle besagen!«, erklärte Captain Freida Malachai rundweg. »Ich habe dreieinhalb Millionen Tonnen Frachtgut an Bord, und die soll ich in genau einem T-Monat in Klondike abliefern. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was das für eine Konventionalstrafe gibt, wenn ich das Zeug nicht rechtzeitig ausliefere?! Ganz zu schweigen davon, dass man mich mit Fug und Recht der Piraterie bezichtigen könnte, wenn ich mit dem ganzen Zeug einfach fröhlich dem Sonnenuntergang entgegen segele!«

»Mir ist durchaus bewusst, wie … lästig das für Sie sein muss, Captain Malachai«, erwiderte Commander Jared Wu so ruhig er konnte. »Es war nicht meine Idee. Aber leider ist dieser Rückruf unabänderlich.«

»Ach, drauf gepfiffen!«, gab Malachai zurück. »Ich bin ein freier Untertan der Krone, keine verdammte Sklavin!«

»Niemand will hier irgendjemanden versklaven, Captain.« Nun klang Wus Stimme angespannter und härter als zuvor. »Gemäß dem Gesetz zur Sicherung des Handelsverkehrs in Kriegszeiten obliegt es der Admiralität sicherzustellen, dass …«

»Jetzt kommen Sie mir doch nicht mit dem GSHK!« Malachais blaue Augen funkelten vor Zorn. Ihr kurzgeschorenes blondes Haar schien sich vor Wut regelrecht aufzurichten. »Dieses Gesetz wurde noch nie zur Anwendung gebracht, nicht ein einziges Mal in der gesamten Geschichte des Sternenkönigreichs! Und selbst wenn es anders wäre: Wir befinden uns doch überhaupt nicht im Krieg!«

In seinem Kommandosessel lehnte sich Commander Wu zurück und zwang sich, lautlos bis fünfzig zu zählen. Es würde wohl kaum etwas bringen, wenn er jetzt die Beherrschung verlöre. Trotzdem war Wu ernstlich versucht, es darauf ankommen zu lassen. So wie er bislang Captain Malachai, den Skipper der guten alten RMMS Voortrekker, kennengelernt hatte, vermutete er, dass ein Wutanfall seinerseits den Captain nur zu weiterer Aufsässigkeit anstacheln würde. Und das Schlimmste war: Er sah die Dinge ja ganz genau so wie sie.

Die Voortrekker stand nicht im Dienst einer der großen Verladefirmen. Die Candida Line besaß nur vier Schiffe, eines davon besagte Voortrekker. Malachai selbst war Miteignerin. Um genau zu sein, hielt sie genau fünfzig Prozent an der Firma. Also standen ihr auch fünfzig Prozent aller erwirtschafteten Profite zu. Andererseits musste sie auch fünfzig Prozent aller anfallenden Kosten tragen … und fünfzig Prozent jeder Konventionalstrafe, die der Voortrekker für einen Vertragsbruch drohte. Die Vorstellung, wie hoch die Strafe für die Nichtauslieferung von beinahe vier Millionen Tonnen ausfallen würde, war wirklich erschreckend. Und dabei war noch nicht einmal berücksichtigt, dass vielleicht auch noch das Gericht der Admiralität ihr zum Schadensausgleich zusätzliche Gebühren oder Bußgelder auferlegen mochte.

»Captain«, sagte Wu, so ruhig er konnte, nachdem er bei fünfzig angekommen war, »ich verstehe sehr wohl, was es rein finanziell bedeutet – nicht nur für Candida, sondern für Sie persönlich! –, wenn man Sie für die Nichtauslieferung Ihrer Fracht haftbar macht. Ich weiß auch, dass Sie Miteignerin dieses Schiffes sind. Ich verstehe also Ihre Besorgnis sehr gut. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Admiralität gemäß dem GSHK das Recht zusteht, sämtliche Handelsschiffe unter manticoranischer Kennung zurückzubeordern, falls die Krone zu dem Schluss kommt, der Kriegsfall stehe unmittelbar bevor. Ein solcher Befehl ist nicht anfechtbar. Und ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass ein Krieg mit der Solaren Liga derart unmittelbar bevorsteht, dass es nicht mehr feierlich ist! Wir haben bereits siebzig solarische Superdreadnoughts zerstört oder aufgebracht. Meinen Sie, für manticoranische Handelsschiffe, die sich unter diesen Umständen auf solarischem Territorium befinden, bestünde kein Risiko?«

Malachai bedachte ihn mit einem finsteren Blick, atmete aber tief durch.

»Sie mögen ja verstehen, um was für Summen es hier geht, Commander«, entgegnete sie schließlich, und ihre Nasenflügel bebten. »Aber Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung, wie übel die Konsequenzen wirklich ausfallen werden. In sechs T-Monaten muss ich eine Rechnung bezahlen. Eine verdammt dicke Rechnung! Wenn ich diesen Auftrag verliere, kann ich das nicht. Und wenn ich dann auch noch eine Konventionalstrafe aufgebrummt bekomme, weil ich einen Vertrag nicht eingehalten habe, ist es ganz aus. Dann verliere ich mein Schiff.«

»Sie haben recht, das wusste ich nicht«, gab Wu nach langem Schweigen zurück. »Und dass Sie vor einem solchen Problem stehen, tut mir wirklich leid. Aber dieser Rückrufbefehl ist nicht anfechtbar – weder durch Sie noch durch mich. Sie sind verpflichtet, ihm nachzukommen, und ich bin verpflichtet, seine Einhaltung auch durchzusetzen … mit allen erforderlichen Mitteln.«

»Aber das Klondike-System gehört doch noch nicht einmal den Sollys«, gab Malachai zu bedenken. Nun klang ihr Tonfall beinahe schon flehentlich, und das schien ihr hart anzukommen. »Auf dem Weg dorthin werden wir uns die ganze Zeit über im Hyperraum befinden. Da kann uns niemand finden, geschweige denn angreifen. Ich steuere Klondike an, lade meine Fracht ab, und das war’s auch schon. Danach fahre ich dann umgehend nach Hause, versprochen!«

Wu blickte in die zornigen, aber auch flehentlichen und verzweifelten blauen Augen und verabscheute sich selbst fast ebenso sehr wie diesen unerbittlichen Rückrufbefehl. Aber Befehl war nun einmal Befehl, und Wu war dafür verantwortlich, ihn durchzusetzen.

Die Regierung wird bestimmt Entschädigungszahlungen anbieten, beruhigte er sich selbst. Die wissen doch, zu welchen wirtschaftlichen Problemen so ein Befehl führen kann. Und es ist ja nun wirklich nicht die Aufgabe der Krone, ehrlichen Handelsschiffern die Arbeitsmöglichkeiten zu nehmen – ja, sie in den Ruin zu treiben! Die verlieren doch ihre gesamten Ersparnisse!

Bedauerlicherweise sah das Gesetz zur Sicherung des Handelsverkehrs in Kriegszeiten keine derartigen Entschädigungszahlungen vor. An dergleichen hatte das Parlament wahrscheinlich überhaupt nicht gedacht, als es vor mehr als dreihundert T-Jahren dieses Gesetz ausgearbeitet hatte. Vielleicht aber eben doch. Vielleicht war dem einen oder anderen Parlamentarier schon damals bewusst gewesen, um welche gewaltigen Summen es möglicherweise im Fall der Fälle ginge. Schließlich war ja auch schon damals nicht auszuschließen gewesen, die manticoranische Handelsflotte könne im Laufe der Jahrhunderte stetig anwachsen. Möglicherweise hatte man bereits damals beschlossen, der Regierung nicht die Pflicht aufzuerlegen, für etwaige Kosten aufzukommen. Und selbst, wenn die Regierung zahlen müsste oder auch nur wollte: Woher sollte das Geld denn kommen nach diesem verheerenden Yawata-Schlag? Der Rückruf der gewaltigen Handelsflotte schmälerte zudem die Einnahmen des Sternenimperiums drastisch.

Blieb die Frage, wie das Sternenimperium von Manticore einen Krieg gegen einen derart gewaltigen Gegner wie die Solare Liga überhaupt finanzieren wollte. Selbst wenn die Steuereinnahmen nicht so tief in den Keller gingen, wie das durch den Rückruf der Handelsflotte nun einmal unausweichlich war, wäre diese Aufgabe wirklich immens. Zu den Schäden des Yawata-Schlags war ja noch der Einbruch im Verkehrsaufkommen hinzuzurechnen. Verständlicherweise waren Solly-Schiffe nur selten durch den Wurmlochknoten gekommen.

Wenn es überhaupt Entschädigungszahlungen geben sollte, werden die wohl ziemlich auf sich warten lassen, dachte Wu grimmig. Auf jeden Fall viel zu lange, um in sechs T-Monaten flüssig für eine dicke Rechnung zu sein. Es wird Malachai nur ein schwacher Trost sein, schließlich doch noch eine Entschädigung zu erhalten – sofern die nicht sowieso diskontiert wird. Denn sie hat ja schon vorher alles verloren, wofür sie sich ihr ganzes Leben lang abgerackert hat.

»Captain«, sagte Wu schließlich, »zunächst einmal wüsste ich wirklich nicht, warum man Sie der Piraterie bezichtigen sollte. Schließlich wurde Ihnen ausdrücklich befohlen, umgehend ins Sternenkönigreich zurückzukehren. Jegliche Vorwürfe der Piraterie oder des Diebstahls könnten damit höchstens gegen die Regierung gerichtet werden, aber doch nicht gegen Sie persönlich! Zwotens halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass sich in Ihrem Vertrag ein Passus findet, in dem ›höhere Gewalt‹ oder ›Krieg‹ Erwähnung finden. Damit sollten Sie doch gegen jegliche Konventionalstrafen für die Nichterfüllung dieses Vertrages gefeit sein. Garantieren kann ich Ihnen das selbstverständlich nicht. Schließlich weiß ich nicht, wie man das vor Gericht sehen wird, wenn sich die Aufregung erst einmal gelegt hat. Meine Justizoffizierin sieht das Ganze jedenfalls so wie ich.«

»Und wenn sie sich irrt?«, setzte Malachai mit rauer Stimme nach.

»Wenn sie sich irrt, dann irrt sie sich eben, und dann sind Sie erledigt, Captain«, gestand Wu ein. »Es tut mir leid, aber so ist es nun einmal.«

»Selbst wenn man mir keine Konventionalstrafe aufbrummt, werde ich die Rechnung nicht bezahlen können – vor allem dann nicht, wenn ich im Heimatsystem nur die ganze Zeit in einem Park-Orbit hängen und Däumchen drehen darf«, wandte sie ein. »Ein Schiff, das nicht fahren darf, ist doch bloß ein schwarzes Loch, um Geld hineinzuwerfen! Auf jeden Fall kommt aus diesem schwarzen Loch kein bisschen Geld heraus!«

Na ja, da hat sie natürlich recht, sinnierte Wu. Und was machst du, wenn Malachai sich einfach weigert, dem Befehl Folge zu leisten?

HMS Cometary war nur ein Leichter Kreuzer. Gewiss, sie war schon ein älteres Schiff. Das bedeutete, dass das Marineinfanteriekontigent an Bord größer war als das der meisten neueren Schlachtkreuzer. Aber Wu konnte doch keine Leute von der Navy ausschicken, um Maschinenraum und Brücke von Frachtern und Passagierschiffen zu bemannen! Natürlich, rein theoretisch könnte er seine Marineinfanteristen an Bord der Voortrekker schicken und Captain Malachai und ihre Besatzung dazu zwingen, umgehend Manticore anzusteuern. Aber vor dieser Möglichkeit schrak er zurück. Es war doch nicht die Aufgabe der Royal Manticoran Navy, die Schiffe unbescholtener Handelsschiffer zu übernehmen, verdammt noch mal! Aber wenn Wu jetzt nicht irgendetwas unternähme …

»Klondike, richtig?«, hörte er sich selbst sagen und verbiss sich einen zornigen Fluch, als er sah, wie in Malachais Augen plötzlich wieder Hoffnung aufflackerte.

»Genau, Klondike!« Energisch nickte sie. »Das kann ich in dreieinhalb T-Wochen erreichen. Und von dort sind es bis nach Beowulf auch nur weitere drei T-Wochen. Nur sechs T-Wochen – mehr brauche ich doch gar nicht!«

»Und von Hypatia bis nach Beowulf sind es sogar nur zwo T-Wochen«, gab er zu bedenken.

Malachai kniff die Lippen zusammen. Doch sie schwieg, schaute den Commander nur unverwandt an. Es war ihr deutlich anzumerken, dass sie es schlichtweg nicht gewohnt war, um Nachsicht zu bitten.

Wu erwiderte ihren Blick und kämpfte gegen die in ihm aufsteigende Versuchung an. Zweifellos würde er von der Admiralität einiges zu hören bekommen, sollte er jetzt eine Ausnahme von einem unabänderlichen Befehl zulassen. Schlimmer noch: wenn er jetzt damit anfinge, wo würde das enden? Was, wenn noch jemand ebenfalls um Nachsicht bäte? Hypatia war kein sonderlich bedeutender Verkehrsknoten. Daher war es unwahrscheinlich, dass Wu noch allzu viele manticoranische Schiffe zu Gesicht bekäme, bevor er selbst den Rückruf ins Heimatsystem erhielte. Aber trotzdem …

Du bist Offizier Ihrer Majestät der Kaiserin, Jared!, ermahnte er sich selbst. Du hast einen Eid abgelegt, jedwedem rechtmäßigen Befehl zu folgen. Hier ist die Kacke so heftig am Dampfen, wie du es noch nie erlebt hast. Es steht dir einfach nicht zu, die Befehle der Admiralität in Frage zu stellen. Schon gar nicht jetzt!

Die Cometary mochte zwar ein alter – nein: regelrecht veralteter! – Leichter Kreuzer sein, aber sie war immer noch ein Schiff Ihrer Majestät, und Jared Wu war ihr Kommandant. Das bedeutete, er sollte verdammt noch Mal den Mumm haben, genau das zu tun, was seine Befehle von ihm verlangten … Und das war die Kehrseite: Er sollte notfalls auch seinem eigenen Urteilsvermögen trauen, wenn es um die Ausführung besagter Befehle ging.

»Captain Malachai«, sagte er schließlich, »es steht mir nicht im Mindesten zu, die Befehle zu ignorieren, die mir erteilt wurden. Das ist Ihnen doch bewusst, oder nicht?«

Mit grimmiger Miene nickte Malachai: knapp und abgehackt. Ihre Miene verdüsterte sich. Zwei oder drei Atemzüge lang ließ der Commander beredtes Schweigen herrschen. Dann straffte er die Schultern.

»Es steht mir einfach nicht zu«, fuhr er fort, »aber ich tue es trotzdem.«

Die letzten Worte klangen beinahe wie ein resignierter Seufzer. Wu selbst schüttelte ungläubig den Kopf, als er sich derlei Dinge sagen hörte. Doch Malachais blaue Augen leuchteten sofort auf wie funkelnde Saphire, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Captain!«, fuhr Wu in deutlich schärferem Ton fort und wedelte mit dem Zeigefinger vor dem Aufzeichner seines Coms herum. »Sie fahren geradewegs nach Klondike, liefern Ihre Ware ab, und dann geht es über Beowulf direkt nach Manticore. Ich möchte nichts von irgendwelchen anderen Aufträgen hören, die Sie sonst noch haben mögen. Sie werden auch keine weitere Fracht aufnehmen. Sie liefern ab, was Sie jetzt, in diesem Augenblick, an Bord haben, und danach geht es schnurstracks in die Heimat zurück. Haben Sie mich verstanden?«

»Voll und ganz, Commander!«, bestätigte Malachai und nickte nachdrücklich.

»Das will ich hoffen«, erwiderte Wu. »Wenn Sie nämlich nicht ganz genau das tun, bekommen wir beide gewaltigen Ärger. Ich möchte Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass die Strafen, die das GSHK für die Nichtbefolgung eines solchen Befehls vorsieht, drakonisch sind, Captain!«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Commander!«, sagte Malachai. Ihre Stimme klang jetzt sanfter, als Wu es bei diesem Captain je zuvor erlebt hatte. »Ich bin Ihnen was schuldig.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich tue auf keinen Fall etwas, was Ihnen Ärger einbringt, mein Wort darauf.«

Mehrere Sekunden lang blickte Wu ihr fest in die Augen. Dann gestattete er sich ein mildes Lächeln.

»Das höre ich gern. Und ich verlasse mich auf Sie, Captain!« Noch einen Herzschlag lang blickten die beiden einander an. Dann wedelte Wu mit der rechten Hand vor dem Aufzeichner. »Und jetzt machen Sie sich vom Acker! Sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen, bevor ich noch zur Vernunft komme und es mir anders überlege!«

Kapitel 3

»Ach, Mist.«

Leise wurde das gesagt; es klang fast wie ein Gebet. Einen Lidschlag lang war sich Lieutenant Aaron Tilborch, der Kommandant des Leichten Angriffsboots Kipling der Zunker Space Navy, nicht einmal bewusst, dass er überhaupt etwas laut gesagt hatte. Es war nicht gerade die wohlüberlegte, sachliche Lageeinschätzung, die man von einem Offizier erwartet hätte. Doch im Ganzen fasste sein verbaler Ausbruch die Lage treffend zusammen.

»Was machen wir denn jetzt, Sir?« Lieutenant Jannetje van Calcar, Erster Offizier der Kipling, klang genauso beunruhigt, wie sich Tilborch fühlte. Eine angemessene Frage, wie Tilborch fand. Nur dass die kleine Besatzung der Kipling angesichts der Ereignisse nicht viel hätte machen können.

Die ZSN war wahrlich keine sonderlich leistungsfähige Streitmacht. Dafür gab es gleich mehrerlei Gründe. Beispielsweise war die Souveränität des Zunker-Systems zu erhalten, seit etwa anderthalb T-Jahrzehnten ein echter Drahtseilakt: Man balancierte sich zwischen dem Sternenimperium von Manticore und der Solaren Liga aus. Die örtlichen Kommissare des OFS, des Liga-Amtes für Grenzsicherheit, warfen begehrliche Blicke auf das Zunker-System, seit der Wurmloch-Terminus dort entdeckt worden war. Leider jedoch lag der Terminus beinahe sechseinhalb Lichtstunden vom Hauptstern des Systems entfernt. Damit befand er sich weit außerhalb des Hoheitsraums von Zunker. Mit anderen Worten: hätte das Liga-Amt einfach nur das System annektiert, hätte es damit noch lange nicht Zugriff auf den Terminus gehabt … vor allem, da das andere Ende dieser Hyperbrücke im Idaho-System lag.

So war es auch ein Vermessungsteam aus Idaho gewesen, das den Zunker-Terminus vor siebzehn T-Jahren entdeckt hatte. Anders als Zunker lag der Idaho-Terminus nur zweiundsiebzig Lichtjahre von Manticores Doppelsternsystem entfernt: Ein Handelsschiff, das vom Manticoranischen Wurmlochknoten aus aufbrach, brauchte nur drei Wochen im Hyperraum zu verbringen, um ihn zu erreichen. Tatsächlich hatte das besagte Vermessungsschiff sogar aus Manticore gestammt, nicht aus Idaho, auch wenn die Regierung von Idaho es seinerzeit offiziell gechartert hatte. Vor der Entdeckung der Idaho-Hyperbrücke hätte man Zunker als tiefste Provinz bezeichnet. Es hatte völlig im Schatten des wirtschaftskräftigen Nachbarn Manticore gestanden, zu dessen Allianz es gehörte.

Für das Zunker-System, in dem die Bevölkerung sogar noch mehr von der Hand in den Mund lebte als in vielen anderen Sonnensystemen im Rand, hatte die Entdeckung des Terminus drastische Auswirkungen. Die Hyperbrücke zwischen Zunker und Idaho erstreckte sich über mehr als vierhundert Lichtjahre. Das System lag etwas mehr als hundertneunzig Lichtjahre vom Sol-System und kaum mehr als hundertfünfzig Lichtjahre von Beowulf entfernt, fast genau zwischen Beowulf und Asgard. Es schloss damit die Lücke zwischen dem Beowulf-Terminus des Manticoranischen Wurmlochknotens und der Asgard-Durandel-Hyperbrücke, die zum Andermanischen Kaiserreich gehörte. Folgerichtig waren sowohl Zunker als auch Idaho zu wichtigen Zugangswegen zum immer stärker genutzten Manticoranischen Wurmlochknoten geworden.

Dieser plötzliche Zustrom an Interstellarverkehr und die damit einhergehenden Einnahmen ließ alles unbedeutend erscheinen, was sich Zunker jemals erträumt hatte … Aber es stellte sich heraus, dass diese Veränderungen beileibe nicht nur Vorteile mit sich brachten. Gewaltige Mengen Credits strömten ins System; hektisch wurde eine Verlade- und Versorgungsinfrastruktur für den Verkehr aufgebaut, der nun einströmte. Beides zusammen führte zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, den sich kein Zunkeraner jemals hätte vorstellen können. Im Laufe der letzten fünfzehn T-Jahre erhielt Lieutenant Tilborchs Heimatsystem plötzlich eine vernünftige medizinische Versorgung seiner Bewohner, ein anständiges Erziehungswesen. Es gab erste Anzeichen echten Wohlstands. Aber die wirtschaftliche Blüte hatte zwangsläufig die Gier des Liga-Amtes für Grenzsicherheit und dessen transstellarer ›Freunde‹ geweckt.

Bedauerlicherweise – zumindest für das OFS – hatte Idaho keinerlei Interesse daran, mit diesem Moloch – dem OFS und den großen Firmen – ins Geschäft zu kommen. Als sich also die Grenzsicherheit anschickte, sich auf Zunker umzutun, hatte Idaho seine Nachbarn (und Verbündeten) Manticore darauf aufmerksam gemacht, welch erstaunliches Maß an Mitgefühl und Menschenfreundlichkeit die Solarier plötzlich entwickelten. Und eben jene Nachbarn (und Verbündeten) hatten dem Permanenten Leitenden Staatssekretär für Finanzen gegenüber durchblicken lassen, dass die Transit-Gebühren für die zahlreichen Termini des Manticoranischen Wurmlochknotens unerwartet ansteigen könnten, sollte dem Zunker-System etwas … Unerfreuliches widerfahren. Seinerzeit war Brian Sullivan Leitender Staatssekretär gewesen; er war Agatá Wodoslawskis unmittelbarer Vorgänger.

Damals war in Effingham, der Hauptstadt von Zunker, offiziell ein solarisches Konsulat angesiedelt worden, ebenso ein offizieller Beobachtungsposten des OFS (unmittelbar nebenan). Man hatte sich bilateral darauf verständigt, dass man der Liga zwar einen gewissen Einfluss auf Zunker zubillige, man ihr aber nicht gestatte, in die Rolle des allmächtigen Drahtziehers zu schlüpfen. Zunker sollte es nicht ergehen wie allzu vielen anderen nur sogenannt unabhängigen Systemen. Als Gegenleistung für die Zurückhaltung der Liga herrschte Einverständnis darüber, dass Zunker offiziell unter dem ›Schutz‹ der Solarier stünde, nicht dem der Manticoraner. Der Terminus selbst hingegen wurde extraterritorial Idaho zugesprochen. Sternenimperium und Liga hatten das anerkannt. Manticores Premierminister, damals war es Cromarty, hatte allerdings darauf bestanden, ein Drittel der anfallenden Transit-Gebühren stünden der Regierung des Zunker-Systems zu.

Zusammengenommen bedeutete das, dass die Zunker Space Navy aus kaum mehr als zwei Hand voll LACs bestand. Diese kleinen Fahrzeuge reichten aus, den Verkehr sämtlicher Schiffe zu überwachen, die regelmäßig die Verlade- und Wartungsstationen ansteuerten. Über ein ernst zu nehmendes Kampfschiff verfügte die ZSN nicht. Immerhin konnte diese kleine Navy eine Staffel ihrer LACs dem Astro-Lotsendienst des Zunker-Terminus zuteilen. Dort versahen die kleinen Fahrzeuge ihre Aufgabe gemeinsam mit einem ähnlich großen Verband aus Idaho.

Deswegen hatten Lieutenant Tilborch und die Besatzung von ZSNS Kipling auch einen Logenplatz, um aus nächster Nähe zu verfolgen, was sich anschickte, ein ganz besonders unschöner Tag im Umkreis des Zunker-Territoriums zu werden.

»Was wir jetzt machen, Jannetje?«, wiederholte Tilborch die Frage jetzt, ohne den Blick vom Display zu nehmen. Darauf konnte er verfolgen, wie ein einzelnes solarisches Handelsschiff geradewegs den Terminus ansteuerte, begleitet von sechs Schlachtkreuzern der Solarian League Navy. »Wir versuchen jetzt, so rasch wie möglich hier wegzukommen und uns über Com in Effingham zu melden.«

Van Calcar setzte zu einer Frage an. »Aber was ist mit …?«

»Die Mantys haben angekündigt, sie würden solarischen Schiffen den Zugang zum Terminus verwehren, und Idaho hat sie dabei unterstützt«, fiel ihr Tilborch ins Wort. »Sie wissen genau, auf welcher Seite ich stehe. Aber wir haben uns offiziell nicht einzumischen. Außerdem«, sein Lächeln barg keinerlei Heiterkeit, »wird die Kipling hierbei ja wohl kaum einen Unterschied machen, oder?«

Captain Hiram Ivanov betrachtete sein taktisches Display. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Wie das, was sich gerade ereignete, wohl auf andere wirkte? Seiner Division Schwerer Kreuzer der Saganami-C-Klasse fehlte ein Schiff. Also konnte er sich nur mit drei Schiffen den aufkommenden solarischen Schlachtkreuzern stellen. Allerdings gehörten zu seinem Verband noch vier Zerstörer der Roland-Klasse. Daher war er rein zahlenmäßig überlegen, auch wenn Zerstörer und Schwere Kreuzer kaum in der gleichen Liga spielten wie Schlachtkreuzer. Andererseits waren an sämtlichen seiner Schiffe mit Traktorstrahlen Raketenbehälter verankert. Diese waren vollgestopft mit Raketen vom Typ 23, und das verschob das traditionelle Gleichgewicht der Kräfte doch beachtlich. Bedauerlicherweise sah es ganz danach aus, als hätten die Sollys das noch nicht begriffen. Sie hatten aus der Schlacht von Spindle keine Lehren gezogen.

»Wie wollen Sie vorgehen, Sir?«, fragte Commander Claudine Takoush. Ihr Vorgesetzter sah sie auf dem kleinen Combildschirm an seinem Kommandosessel. Ivanov blickte auf das Abbild hinab und wölbte fragend die Augenbrauen. Der Commander zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, wie wir vorgehen sollen, Sir. Ich frage mich nur, von wie viel Gesprächszeit Sie ausgehen. Ich meine, das hier«, mit dem Kinn deutete sie in Richtung ihres eigenen taktischen Displays, »ist doch ein bisschen eklatanter, als wir erwartet hatten.«

»›Eklatanter‹ ist nicht das Wort, das ich verwenden würde, Claudine«, erwiderte Ivanov nachdenklich. »Nach reiflicher Überlegung scheint mir das Wort ›dämlich‹ deutlich treffender. ›Arrogant‹ und ›dickköpfig‹ gingen wohl auch.«

»Meinen Sie, das war die Idee des örtlichen Grenzflottenkommandeurs? Oder handelt der im ausdrücklichen Auftrag der Solly-Admiralität?«

»Ich neige dazu anzunehmen, dass hier ein lokaler Kommandeur das Sagen hat«, antwortete Ivanov. »Vor allem, wenn man bedenkt, wie Kommissar Floyd über Einmischungen des Sternenimperiums in seine persönlichen Pläne denkt«, setzte er hinzu. Sein Blick wanderte zurück auf das eigene Display.

Die Icons auf dem Schirm meldeten ihm, dass die solarischen Schiffe ihre Alpha-Transition beinahe fünfzig Millionen Kilometer vom Terminus entfernt durchgeführt hatten. Das sprach entweder für lausige Astrogation oder für die bewusste Entscheidung, den manticoranischen Kampfschiffen genug Zeit zu geben, die Schiffe der Solarier aufkommen zu sehen. Ivanov vermutete Letzteres. Es passte voll und ganz zu Kommissar Floyd, fest davon auszugehen, dass die Manticoraner gleich jeglichen Mut verlören, sobald sie Solarian League Navy unaufhaltsam näher kommen sahen. Ob der Flaggoffizier der Sollys, den man mit dieser Mission betraut hatte, das genauso sah, stand natürlich auf einem ganz anderen Blatt. In jedem Fall aber würden die Sollys noch eine ganze Weile brauchen, bis sie Ivanovs kleine Kampfeinheit erreichten. Sie hatten eine Normalraumgeschwindigkeit von kaum tausend Kilometern in der Sekunde über die Alpha-Mauer mitgenommen. Ihr Beschleunigungswert lag bei kaum 2,037 Kps2; schließlich bremste der Frachter in der Mitte ihrer Formation sie dank seiner Masse von 4 800 000 Tonnen gehörig aus. Deswegen würden die Sollys bis zum Rendezvous mit dem Terminus noch mehr als zweieinhalb Stunden brauchen.