Honors Rache - David Weber - E-Book
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Honors Rache E-Book

David Weber

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Beschreibung

Genug ist genug! Während ihrer Zeit in der Royal Manticoran Navy hat sich Honor Harrington stets gegen Kriegstreiberei und für eine Politik mit Bedacht ausgesprochen. Doch nun hat die Solare Liga, der Erzfeind des Sternenkönigreichs von Manticore, Gräueltaten unbeschreiblichen Ausmaßes begangen. Zu viele Menschen sind getötet worden. Honors Rachedurst ist geweckt. Ein letztes Mal zieht sie in den Krieg, um die Solare Liga zur Rechenschaft zu ziehen, und die Hölle folgt ihr auf dem Fuße ...

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Inhalt

CoverInhaltÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumJuli 1922 P.D.Einhorn-Gürtel – Manticore-B – Sternenimperium ManticoreHMS Imperator – Manticore-A – Sternenimperium ManticoreSLNS Québec – Dzung-System – Solare LigaGSNS Protector Oliver I. – Doppelsternsystem von Manticore – Sternenimperium ManticoreHillary Indrakashi Enkateshwara Tower – Chicago – Solsystem – Solare LigaLiga-Amt für Grenzsicherheit – Turm des Innenministeriums – Chicago – Solsystem – Solare LigaSLNS Québec – Dzung-System – Solare LigaSLNS Leonhard Euler – Einhorn-Gürtel – Manticore-B – Sternenimperium von ManticoreHMS Imperator – Manticore-A – Sternenimperium von ManticoreBüro des Zweiten Raumlords – Admiralty House – Landing – Manticore – Sternenimperium von ManticoreForge One – Refuge-SystemRestaurant The Golden Olive – Chicago – Solsystem – Solare LigaAugust 1922 P.D.SLNS Québec – Cachalot-SystemHillary Indrakashi Enkateshwara Tower – Chicago – Solsystem – Solare LigaHarrington House – Landing – Manticore – Doppelsternsystem von ManticoreGeorge Benton Tower – Chicago – Solsystem – Solare LigaHMS Clas Fleming – Prime-Terminus – Prime-Ajay-HyperbrückeAjay-Terminus – Prime-Ajay-HyperbrückePrime-Terminus – Prime-Ajay-HyperbrückeBüro des Direktors der Forschungsabteilung – Gregor Mendel Tower – Leonard – Darius-SystemTarducci Tower – Approdo – Genovese-SystemHMS Phantom – Kampfgruppe 110.2 – Beowulf-SystemHarrington House – Jasonbai – Landing – Manticore – Doppelsternsystem von ManticoreHauptquartier der Solarischen Gendarmeriein der Stadt Vivliothḗkē – Hypatia-SystemProedrikḗ Katoikía – Vivliothḗkē – Hypatia-SystemSLNS Camperdown – Kampfverband 1030 – Solarian League NavyHMS Phantom – Alexandria-Gürtel – Hypatia-SystemSLNS Camperdown und Kommunikatorraum des Proedrikḗ Katoikía – Hypatia-SystemGregatsoulis-Park – Vivliothḗkē – Hypatia-SystemSLNS Camperdown im Orbit von Hypatia – Hypatia-SystemHMS Phantom – Alexandria-Gürtel – Hypatia-SystemProedrikḗ Katoikía – Vivliothḗkē – Hypatia-SystemSLNS Camperdown – Hypatia-SystemPrásino-Phúllo-Habitat – Orbit von Hypatia und Hypatia System Patrol Shuttle Asteria – Hypatia-SystemSLNS Camperdown – Hypatia-SystemPrásino-Phúllo-Habitat, Orbit von Hypatia – Hypatia-SystemHMS Arngrimund – HMS Cinqueda – Hypatia-SystemSLNS Troubadour – Hypatia-SystemSLNS Camperdown – Hypatia-SystemHMS Phantom – Hypatia-SystemSLNS Camperdown – Hypatia-SystemHMS Arngrim – Hypatia-SystemHMS Phantom und SLNS Camperdown – Hypatia-SystemSLNS Lepanto – Hypatia-SystemHMS Arngrim – Hypatia-SystemSLNS Lepanto – Hypatia-SystemHMS Arngrim – Hypatia-SystemSLNS Yashima – Hypatia-SystemSLNS Lepanto und SLNS Yashima – Hypatia-SystemHMS Arngrim – Hypatia-SystemSLNS Lepanto und SLNS Yashima – Hypatia-SystemHSP Shuttle Asteria – Hypatia-SystemResidenz des Gouverneurs, Shuttlesport – Smoking Frog – Maya-SystemBassingford Medical Centre und Mount Royal Palace – Landing – Doppelsternsystem von Manticore – Sternenimperium ManticoreHillary Indrakashi Enkateshwara Tower – Chicago – Solsystem – Solare LigaPersonenverzeichnis

Über dieses Buch

Genug ist genug! Während ihrer Zeit in der Royal Manticoran Navy hat sich Honor Harrington stets gegen Kriegstreiberei und für eine Politik mit Bedacht ausgesprochen. Doch nun hat die Solare Liga, der Erzfeind des Sternenkönigreichs von Manticore, Gräueltaten unbeschreiblichen Ausmaßes begangen. Zu viele Menschen sind getötet worden. Honors Rachedurst ist geweckt. Ein letztes Mal zieht sie in den Krieg, um die Solare Liga zur Rechenschaft zu ziehen, und die Hölle folgt ihr auf dem Fuße …

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

Aus dem Amerikanischen vonDr. Ulf Ritgen

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Words of Weber, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Uncompromising Honor, Teil 1«

Originalverlag: Published by Arrangement withBAEN BOOKS, Wake Forest, NC 27587 USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Beke Ritgen, Bonn

Titelillustration: Arndt Drechsler, Leipzig

Umschlaggestaltung: Thomas Krämerunter Verwendung einer Illustration von © Arndt Drechsler

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-9469-6

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Juli 1922 P.D.

Einhorn-GürtelManticore-BSternenimperium Manticore

Der Shuttle trieb durch Sternenlicht und Leere, ein winziger Fisch, der sich seinen Weg durch einen ganzen Schwarm toter Leviathane bahnte.

Falls es im Universum je einen Ort gegeben hatte oder geben sollte, der noch trauriger war als dieser hier, war Captain Philip Clayton überzeugt, sich diesen Ort nicht einmal vorstellen zu können. Clayton war auf seinem Platz, der Pilotenliege, neben ihm sein Kopilot. Beide starrten sie schweigend durch die Armoplastscheibe des Cockpits hinaus auf jene Sargassosee aus Raumschiffen. Wieder einmal horchte Clayton in sich hinein: Was dachte er in Wahrheit über all das hier?

Die Frage zu beantworten sollte doch keine Schwierigkeiten machen. Schließlich hatte er hart darum gekämpft, seinen Anteil an den Wracks auf diesem Schiffsfriedhof zu haben. Aber das hier war kein Krieg mehr gewesen, nicht töten, sondern morden. Denn die Solarian League Navy war in diesem Gefecht in jeder Hinsicht deklassiert gewesen.

Man hatte dem Gegner Gelegenheit geboten, den Konflikt zu überleben … und der hatte abgelehnt.

»Ich werde nie müde, mir das anzuschauen, Sir«, ließ Lieutenant Kalet sich nach langem Schweigen nun doch plötzlich vernehmen. Claytons Blick traf den Kopiloten, und der hochgewachsene, breitschultrige Manticoraner zuckte mit den Schultern. »Das ist … im ganzen Universum gibt es nichts Vergleichbares«, meinte er leise und erwiderte den Blick des Vorgesetzten. »Sehen Sie sich das doch nur an!«

»Ja, ich weiß«, gab Clayton ebenso leise zurück.

Zweihundertelf Kriegsschiffe oder zumindest das, was noch vor einem T-Monat Kriegsschiffe gewesen waren, trieben einsam in ihrem Park-Orbit auf Station in Manticore-Bs Einhorn-Gürtel – eine Totenwache. Einhunderteinunddreißig Superdreadnoughts – neunundsechzig Schiffe der Scientist-Klasse und zweiundsiebzig Vertreter der neueren, geringfügig schlagkräftigeren Vegas – bildeten, alles niedergestreckte Titanen, den Kern, das Herzstück jener zerschlagenen Formation aus besiegten Schiffen. Sechzig davon waren völlig unbeschädigt, die anderen Wracks, teils gänzlich zerstört, teils noch in reparablem Zustand … hätte es denn Grund gegeben, sie zu reparieren. Zu den reparablen Schiffen zählte auch zu einem hohen Prozentsatz, was im Einsatzplan der Elften Flotte Leichte Einheiten waren, das Geleit der Titanen: neunundzwanzig Schlachtkreuzer, dreiundzwanzig Leichte Kreuzer und achtundzwanzig Zerstörer. Es hatte keinen Grund gegeben, Raketen auf derart unbedeutende, unwichtige Gegner abzufeuern.

Die Superdreadnoughts allein massten mehr als neunhundert Millionen Tonnen. Im Vergleich dazu waren die Schlachtkreuzer und die Leichteren Einheiten vor Ort mit ihren insgesamt kaum zweiunddreißig Millionen Tonnen praktisch vernachlässigbar. Und hier trieben sie nun, aufgegeben, verlassen, von einer Wachbesatzung auf einem halben Dutzend der unbeschädigten Superdreadnoughts einmal abgesehen. Sie trieben auf ihren Umlaufbahnen, warteten.

Noch wussten sie es nicht, aber sie warteten auf ihn, auf Philip Clayton, der sich wieder einmal wunderte, dass ausgerechnet er für diesen Einsatz ausgewählt worden war. Ach, natürlich besaß er genug Ingenieurswissen dafür, aber Gleiches galt für ein Dutzend Kameradinnen und Kameraden, denen dieser Auftrag vielleicht oder sogar gewiss weniger zuwider gewesen wäre als ausgerechnet ihm. Das dort mochten Sternenschiffe des Gegners gewesen sein, trotzdem waren es Sternenschiffe, und von Sternenschiffen war für ihn schon immer, seit frühester Kindheit, ein besonderer Zauber ausgegangen.

Zu seinen am weitesten in die Vergangenheit zurückreichenden Erinnerungen gehörte, sich die Nase am Südfenster des bescheidenen Hauses seiner Eltern platt zu drücken. Von hier aus konnte er zuschauen, wie Kontragrav-Frachter lautlos durch die Atmosphäre glitten, mal im Sonnenlicht glitzernd, als wären sie des Prüfers Versprechen auf Makellosigkeit und Schönheit, mal in dunkle Wolkenschatten getaucht. Im Vergleich zu den aufgegebenen Schiffen genau voraus waren jene Frachter zwergenhaft, nicht aber für jemanden, der in der Zeit vor der Allianz auf Grayson aufgewachsen war. Für so jemanden waren sie gewaltig.

Sie waren es erst recht für einen kleinen Jungen mit ausreichend Vorstellungskraft wie Philip Clayton. Ihm war schon damals vollkommen klar gewesen, dass jedes Sternenschiff eine Seele besaß, besitzen musste: Denn wie könnte etwas so Schönes, Herrliches, Anmutiges – etwas, in das Menschen so viel von sich selbst gesteckt hatten – anders als lebendig sein? Er hatte die Schiffe im Sommer und im Winter beobachtet, bei Sonnenschein, bei strömendem Regen, bei Schnee. Auch nachts hatte er sie beobachtet. Unter dem Röhren ihrer Turbinen waren sie dicht über seinen Kopf hinweggezogen, und er hatte die Sternbilder erkennen können, die ihre Positionsleuchten in die Nachtschwärze des Universums malten. Im zarten Alter von gerade einmal zehn Jahren konnte Philip jede wichtige Schiffsklasse anhand ihrer Silhouette identifizieren. Heimlich vom Dachstuhl aus (wohin sich zurückzuziehen nur gelang, wenn jede seiner Mütter eine andere verantwortlich glaubte, ihn im Blick zu haben) konnte er, zumindest wenn er sich fast den Hals verrenkte, sogar die Docks des Burdetter Raumhafens erspähen, wo diese gewaltigen Schiffe anlandeten.

Oh, was er sich alles an Fracht von den anderen der großen Güter ausmalte! Fracht containerweise, auf Paletten und in Kisten, und Netze voller Obst und Gemüse! Er hatte zugeschaut, wie Schauermänner die riesigen Frachträume leerten – damals, die Automatisierung war noch längst nicht so weit fortgeschritten, hatten an den Docks noch deutlich mehr Männer und Frauen gearbeitet. Der kleine Philip Clayton hatte sich gewünscht, auch er wäre dabei. Alles hatte er verschlungen, ob gedruckt oder auf Video, was mit Sternenschiffen zu tun hatte – nicht nur mit den Atmosphärenschiffen, sondern auch den richtig großen Frachtern, die hin und wieder, wenn auch selten, Grayson anfuhren und dabei aus Regionen weit jenseits von Philips Horizont kamen. Ja, er hatte das alles aufgesogen, von der Ballade vom Wrack des Gutsherrn Fitzgerald bis hin zu dem geheimnisumwitterten Kolonistenschiff Agnes Celeste, deren gesamte Besatzung spurlos verschwunden war. Kurz gesagt: Philip Clayton hatte früh schon ganz genau gewusst, was für ein Leben er sich wünschte.

Nicht, dass die Chancen auch nur ansatzweise gut dafür gestanden hatten, ein solches Leben auch führen zu dürfen.

Für Einheimische auf Grayson waren seine Eltern recht wohlhabend gewesen, aber keineswegs reich, und wie in so vielen anderen Grayson-Familien auch war Philip der einzige Sohn. Außerdem lag Grayson, dieser Hinterwäldlerplanet, ja nun wirklich mitten im Nichts. Jene automatisierten Frachter, die Philip so faszinierten, waren vornehmlich damit beschäftigt, auf Grayson hergestellte Produkte und landwirtschaftliche Erzeugnisse durch die Gegend zu befördern. Produkte und Erzeugnisse anderer Welten erreichten den Planeten erst gar nicht. Wie standen da wohl die Aussichten, dass ein Junge, der auf dem Gut von Burdette aufgewachsen war, jemals überhaupt einen anderen Stern sehen oder die Luft eines Planeten atmen würde, der nicht jeden Tag aufs Neue versuchte, ihn zu vergiften?

So zumindest hatte sein Vater darüber gedacht und mit ihm sämtliche seiner Mütter. Nur Mom Joans Überzeugungen waren ein wenig von der getreulich eingehaltenen Linie abgewichen. Sie hatte Philips Sturheit – oder vielleicht besser: Unbeugsamkeit – immer zu schätzen gewusst.

Nie war er an Bord auch nur eines einzigen Atmosphären-Frachters gekommen und an Bord eines Tiefenraum-Frachters schon gar nicht. Und doch war es ihm irgendwie gelungen, in den Weltraum zu gelangen. Für diesen Anblick etwa? Für diese schier endlos wirkende Zahl aufgebrachter Kriegsschiffe mit aufgerissenen oder vollkommen zerfetzten Panzerplatten? Für diese nachtschwarzen Löcher, die tief in die Rümpfe hineingestanzt schienen? Für die schorfigen Unebenheiten der Panzeroberflächen überall dort, wo sich Rettungskapseln ihren Weg ins Freie hatten bahnen müssen? Unwillkürlich wanderten Claytons Gedanken zu einem anderen Schiff, zu gänzlich anderen Schlachten, zur GMSCovington und zur Schlacht von Jelzins Stern und um Blackbird. Er erinnerte sich an den Gestank von Rauch und verbranntem Fleisch, der aus allen Lüftungsschlitzen gequollen war, an die kreischenden Schadensalarme, an die einkommenden Raketen und die unbeschreiblichen Stoßwellen all jener Treffer, die den Rumpf des Schiffes durchstießen.

Clayton erinnerte sich an einen jungen Lieutenant, der sich sicher gewesen war, bei der Verteidigung seines Heimatplaneten den Tod zu finden.

Dieser junge Lieutenant hatte das Gefecht überlebt, ganz unerwarteterweise. Denn eine fremdgeborene Frau, verwundet in der Schlacht, die seinem Protector das Leben retten sollte, hatte Schiff und Mannschaft zwischen die Heimatwelt dieser für sie fremden Menschen und die Angreifer gebracht, die ansonsten auf der Heimatwelt alle und jeden abgeschlachtet hätten. Und so kam es, dass sich ein mittlerweile deutlich betagterer Captain der Grayson Space Navy, der inzwischen beim Protector’s Own diente, nun hier wiederfand. Aussortieren sollte er, und das war die Rolle, die ihm nicht behagte, die Schiffe voraus, diese auch von ihm getöteten Schiffe der Solarian League Navy.

»Wie lautet die jüngste Meldung von Sieben, David?«, fragte er Lieutenant Kalet.

»Fast bereit für die erste Tranche«, erwiderte Kalet, der den Bericht schon auf seinem UniLink aufgerufen hatte. Dann verzog er gequält das Gesicht. »Bis Dienstag sollten sie die letzten Trümmer vom Yawata-Schlag beseitigt haben.«

»Ich weiß wirklich nicht, was schlimmer ist – Yawata oder das hier.«

»Yawata, Sir, glauben Sie mir!« Kalets Miene hatte sich noch weiter verfinstert. »Die hier …«, mit dem Kinn deutete er in Richtung der lautlos im All treibenden solarischen Schiffe, »die hat es so heftig erwischt, weil sie es verdammt noch mal verdient hatten. Wir sind schließlich nicht zu denen hinübergefahren – die sind zu uns gekommen! Schrecklich, dass so viele von den Sollys gefallen sind, ja, aber das kann schon mal passieren, wenn man jemanden angreift, ohne sich vorher die Mühe zu machen, ihm ganz offiziell den Krieg zu erklären! Für jedes dieser verdammten Schiffe voraus galt die ganze Zeit über ›Alle Mann auf Gefechtsstation‹. Also hatten alle ihre Skinsuits an. Beim Yawata-Schlag hat das ganz anders ausgesehen.«

Der Lieutenant wandte den Kopf zur Seite und spähte zu den kaum erkennbaren Positionsleuchten des gewaltigen Asteroiden-Komplexes Einhorn-sieben hinüber. Der Einhorn-Materialsammelplatz des Hauptmann-Kartells und die Raffinerien von Einhorn-sieben waren zum wichtigsten Rohstoff-Rückgewinnungszentrum von Manticore-B umfunktioniert worden: Sie verarbeiteten die Überreste der orbitalen Infrastruktur, die vor weniger als fünf T-Monaten beim Yawata-Schlag in Stücke gewissen worden war.

»Die Wiederaufbereitungsmannschaften finden immer noch Leichen, die unsere Jungs von der Raumnotrettung übersehen haben«, erklärte er dann. »Letzte Woche hat ein Besatzungsmitglied von Sieben den Cousin ihrer Vorarbeiterin gefunden.« Seine Nasenflügel bebten. »Ich bin mir sicher, wenn wir die Schiffe voraus abzuwracken beginnen, werden wir auch die eine oder andere Leiche finden, aber wenigstens sind das dann keine Verwandten von uns, verdammt!«

Clayton nickte. Er war dankbar dafür, dass man ihm nach der Schlacht von Blackbird den Einsatz bei den Aufräumarbeiten erspart hatte. Doch er kannte genug Männer – und mittlerweile auch Frauen – bei der Grayson Space Navy, für die das eben nicht galt.

»Auf Alterde verfluchte man sich gern mal mit diesen berühmt gewordenen Worten: ›Mögest du in interessanten Zeiten leben‹«, sagte er. »Auf Grayson ist der tatsächlich noch gebräuchlich. Kennt ihr Mantys den Spruch auch?«

»In interessanten Zeiten, ja?«, schnaubte Kalet. »Na, das nenn ich mal nett ausgedrückt, Sir. Aber für manche sind diese Zeiten ›interessanter‹ als für andere.«

»Sehen Sie es doch mal so …«, setzte Clayton an und wandte sich wieder den Instrumenten zu. »Eines Tages stehen unsere Namen alle in den Geschichtsbüchern, und irgendein dummes Kind – genauso dumm, wie wir zwei früher einmal waren, vor langer, langer Zeit – wird sich diese Schlacht als aufregend und glorreich herbeifantasieren. Mit ein bisschen mehr Glück, als uns beschieden ist, wird dieses Kind nie herausfinden müssen, wie sehr sich seine Heldenfantasien von der Wirklichkeit unterscheiden.«

HMSImperatorManticore-ASternenimperium Manticore

Flottenadmiral Lady Dame Honor Alexander-Harrington, Herzogin und Gutsherrin von Harrington und Oberbefehlshaberin der Grand Fleet, zupfte an ihrer Uniformbluse. Erst als alles, vom Stehkragen zu den Manschetten, saß, war sie zufrieden. Sie griff nach den Nadeln, mit denen sie das Haar zum Duschen hochgesteckt hatte. Der lange Zopf fiel, er reichte ihr fast bis zur Taille, und Honor genoss es, die Strähnen zu lösen und das seidige, schimmernde Haar durchzubürsten, bis es sie wie eine sanfte Welle umfloss. Üblicherweise trug Honor zur Uniform das Haar zum Zopf geflochten, aber sie mochte seinen seidenweichen Fall, wenn sie es offen trug. Am heutigen Abend wurde sie noch zu einem Empfang auf der Planetenoberfläche erwartet, allerdings als Gutsherrin von Grayson, nicht als Offizierin Ihrer Majestät der Königin … ja, selbst langjährige Militärangehörige wie Honor hatten sich mittlerweile nicht nur daran gewöhnt, dass es auch die weibliche Form gab, sondern nutzten sie auch für sich.

Ein letzter Bürstenstrich, dann verstaute Honor die Bürste und band das Haar zu einem losen Pferdeschwanz zusammen, natürlich mit einem Haarband in Harrington-Grün. Um die Wirkung der Frisur zu testen, neigte sie den Kopf ein wenig zur Seite und runzelte die Stirn. Sie beugte sich vor, näher heran an den Spiegel, und tastete vorsichtig die empfindliche Haut unter ihrem rechten Mandelauge ab.

»Verflixt«, murmelte sie, als ihr aufging, dass es dort doch einen Bluterguss geben würde.

Der cremefarben-graue Baumkater hatte sich bislang genüsslich auf seiner Sitzstange am Schott ausgestreckt. Jetzt bliekte er lachend.

Honor fuhr zu ihm herum und bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Das ist nicht lustig, Stinker!« Der Tonfall gelang glaubwürdig streng, das lobenswerte Bemühen aber wurde durch das Zucken der Mundwinkel konterkariert. »Du weißt doch ganz genau, dass mir Hamish zwischen den schönsten Kanapees die Hölle heißmachen wird, wenn ich mit einem blauen Auge auftauche.«

Nimitz lachte nur noch lauter, und die Finger seiner Echthand zuckten.

»Das war nicht meine eigene Schuld!«, erklärte sie ihm. »Spencer wird immer besser, und all seine Schläge kann ich nun einmal nicht abblocken!«

Weiteres Fingerzucken.

Honor stieß ein Schnauben aus. »Mein Terminkalender ist voll! Da muss ich jede Lücke für das Kampftraining nutzen, die sich bietet, das weißt du genau! Und was kann ich dafür, wenn Elizabeth ausgerechnet heute eine Party geben muss!«

Darüber dachte Nimitz kurz nach und nickte widerwillig. Lachend hob Honor ihren Gefährten von seiner Sitzstange, wiegte ihn in den Armen und drückte für einen langen Moment das Gesicht in das seidige, herrlich duftende Fell. Dann verließ sie mit ihm auf dem Arm ihre luxuriösen Wohnräume und ging ins Arbeitszimmer hinüber. Am Schreibtisch angekommen, ließ sie den Gefährten aus ihren Armen auf die dort für ihn befestigte Sitzstange springen. Sie selbst nahm auf dem Schreibtischsessel Platz, und das Möbel passte sich sofort ihren Körperformen an.

Noch einmal betastete Honor die sich allmählich dunkel verfärbende Prellung unter dem rechten Auge und zuckte dann die Achseln. Überschminken, was sonst! Mit etwas Glück würde Hamish es nicht einmal bemerken … und das würde ihr dann so manche gnadenlos spöttische Bemerkung ersparen. Sie hätte sich deutlich weniger Sorgen gemacht, wäre Emily auch Teil der Abendgesellschaft. Sie hätte ihren gemeinsamen Ehemann ein wenig von Honor und ihrem Missgeschick abzulenken vermocht. Doch Emily war, und das sprach Bände über ihren gesunden Menschenverstand, zusammen mit den Kindern in White Haven geblieben.

Diesem Gedanken hing Honor noch einen Moment nach, ehe sie seufzend ihr Terminal aktvierte, um weitere Schritte im schier endlosen Kampf gegen den Papierkram zu unternehmen.

Wie viele Photonen wohl jeden Tag ihr Leben lassen müssen, nur damit wir Personalberichte abfassen können? Besser nicht darüber nachgrübeln, dachte sie düster. Wir müssten uns des elektromagnetischen Massenmords für schuldig bekennen!

Der Gedanke entlockte ihr ein Grinsen. Dann schüttelte sie den Kopf und überflog den ersten Bericht auf ihrem Display.

»Verzeihen Sie, Mylady, aber der Bericht, nach dem Sie gefragt haben, ist jetzt eingetroffen.«

»Meinen Sie nicht den anderen Bericht, nach dem ich gefragt habe?«, versetzte Honor mit einem schiefen Grinsen und blickte von den Bereitschaftsmeldungen auf ihrem Schreibtischdisplay auf.

»Na ja … ja«, bestätigte Commander Angela Clayton. Sie trug zwar die blaue Uniform der Grayson Space Navy, und an ihrem Oberarm fand sich das Salamander-Abzeichen des Protector’s Own, doch sie sprach mit einem unverkennbar manticoranischen Akzent – eine lebendige Erinnerung an die Highlands von Gryphon. »Aber danach gefragt haben Sie«, setzte Clayton dann hinzu, und vielleicht – nur vielleicht – blitzte es dabei kurz in ihren Augen auf.

Commander Clayton war ein Neuzugang in Honors Stab, sie war in Personalunion Verbindungsoffizierin zu High Admiral Judah Yanakov wie Versorgungsoffizierin der Grand Fleet, ihr Auftreten stets sachlich und nüchtern. Sie war zwar in Rearson geboren, der gleichen Baronie, aus der auch Anton Zilwicki stammte, doch nach fünf Jahren Dienst bei der Flotte, ausgeliehen an die Grayson Space Navy, hatte sich Clayton im Gut von Harrington einbürgern lassen. Das erklärte auch, warum sie Honor üblicherweise mit ›Mylady‹ ansprach, wie es einer Gutsherrin gebührte, und nicht mit ›Hoheit‹, was einer manticoranischen Herzogin zustand.

Hin und wieder konnte das … verwirrend sein.

»Und was hat Phil zu berichten?«, fragte Honor nach.

»Seine Vermessungsteams sind mit dem ersten halben Dutzend Superdreadnoughts fertig, Mylady«, erwiderte der Commander. Der Blick jetzt düster, seufzte sie schwer. »Er verabscheut seinen aktuellen Einsatz. Er sagt, er fühlt sich wie ein Sumpfgründler.«

Angesichts dieses Vergleichs verzog Honor das Gesicht. Sie kannte Captain Clayton, wie sie, das hatte sie sich schon vor geraumer Zeit zur Aufgabe gemacht, sämtliche Captains des Protector’s Own kannte. Deswegen war ihr sofort klar, wieso er diesen Vergleich wählte, und ebenso klar war ihr, dass er sich selbst gegenüber ungerecht war. Der Sumpfgründler von Grayson war einer der widerwärtigsten Aasfresser der ganzen erforschten Milchstraße … und nicht sonderlich wählerisch dabei, wie seine nächste Mahlzeit Aas wurde …

»Abgesehen davon entspricht sein Bericht ziemlich genau dem, was wir erwartet haben. Erwähnenswert ist nur, dass seine Techniker von den jüngsten Graserlafetten der Sollys doch ein wenig beeindruckter sind als ursprünglich vermutet.« Clayton schüttelte den Kopf. »Ich habe einmal einen Blick auf die technischen Spezifikationen geworfen, und es stimmt: Das ist wirklich ganz schön beeindruckende Hardware, Mylady.«

»Niemand hat je behauptet, der Solaren Liga mangelte es an guter Technik«, meinte Honor. »Man hat dort nur Probleme, im Bedarfsfall die richtige Technik zur Verfügung zu haben.«

»Wobei man aber fest davon überzeugt ist, genau das sei stets der Fall«, setzte Clayton hinzu.

»Stimmt«, räumte Honor ein. Dann kippte sie ihren Sessel ein wenig nach hinten. »Phil ist also beeindruckt, ja?«

»Jawohl, Mylady. Aber er weist darauf hin, dass er keine Ahnung hat, was wir mit den ganzen Dingern machen sollen.«

Honor nickte. Zweifellos befasste sich derzeit eine ganze Reihe von Leuten mit ganz ähnlichen Fragen, aber irgendetwas mussten sie ja mit den Trümmern von Massimo Filaretas Elfter Flotte anstellen! Deswegen waren sämtliche seiner noch raumtauglichen Schiffe auch nach Manticore-B verbracht worden, unmittelbar nach der Zweiten Schlacht von Manticore. Das Massaker von Manticore sollte das wohl eher heißen, dachte Honor, und ihr Blick verfinsterte sich.

Unter gewöhnlicheren Umständen hätte man die Schiffe irgendwo abgestellt und sie nach erfolgreichen Friedensverhandlungen als Faustpfand eingesetzt, also sie nach Konsolidierung des Friedens wieder in die Heimat überstellt. Doch derzeit sah es ganz und gar nicht danach aus, als würden in absehbarer Zeit Verhandlungen geführt … und selbst wenn verhandelt würde, bestünde auf Seiten der Sollys kein Interesse mehr, Filaretas Schiffe zurückzuerhalten. Bei Gefechten, in denen Raketen von Gondeln aus gestartet wurden, waren diese Schiffe Todesfallen, nichts weiter: konzeptionell und strategisch hoffnungslos veraltet, so gut die Technik, auf der sie basierten, auch sein mochte.

Ohne die Möglichkeit der Rückführung wären die Schiffe abgewrackt, die Trümmer durch Schmelzöfen und Raffinerien geschickt worden, um wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen und aufzubereiten. Dass solarische Technik bei der Wiederaufbereitung zerstört wurde, störte niemanden; von Interesse waren lediglich die Rohstoffe, aus denen die unersättliche orbitale Industrie von Manticore neuere und ungleich nützlichere Technik gefertigt hätte – eben genau die Technik, die das Sternenimperium derzeit benötigte.

Nur war zu Jahresanfang, um genau zu sein, im Februar, die orbitale Industrie durch den Yawata-Schlag praktisch vollständig zerstört worden. Fünf Monate später war sie kaum mehr als der Schatten eines Schattens der Erinnerung an das, was sie einst gewesen war. Die Fertigungsstätten, die kostbare Rohstoffe hätten verarbeiten können, wurden gerade erst von Grund auf neu gebaut. Selbst mit Unterstützung durch Beowulf und die neuen havenitischen Verbündeten würde es noch mindestens sechs weitere Monate dauern, bis die Fabrikatoren und die Nano-Farmen in Betrieb genommen werden könnten. Deswegen krochen ja auch Phil Clayton und sein kombinierter Trupp aus Manticoranern, Graysoniten und Haveniten in all den aufgebrachten solarischen Schiffen herum. Deren interne Systeme mochten ja aus solarischer Fertigung stammen – was alle nur erdenklichen Kompatibilitätsprobleme versprach –, doch sie existierten immerhin. Unter den gegebenen Umständen war es sinnvoll, zu schauen, was sich ausbauen und gegebenenfalls unmittelbar wiederverwenden ließe – von Fusionsreaktoren über rekonfigurierbare Molycircs bis hin zu Lasern zur Nahbereichsabwehr. Am Ende würden die ausgeschlachteten Hulks dann doch noch der Rohstoffrückgewinnung zugeführt.

Sandra Crandalls noch raumtaugliche Einheiten befanden sich übrigens derzeit – bemannt mit einer Minimalbesatzung – auf dem direkten Weg nach Manticore, wo ihnen exakt das gleiche Schicksal blühte. Es stand zu hoffen, dass sich, wären diese Schiffe erst eingetroffen, noch jemand anderer als Captain Clayton für diese Aufgabe fände.

»Nun ja«, sagte Honor, »selbst wenn sonst nichts ginge, können wir mit den Grasern wirksame Wurmloch-›Minenfelder‹ anlegen. Haben Sie sich schon angesehen, was Admiral Foraker dazu ersonnen hat?«

»Nein, Mylady, habe ich bislang noch nicht. Aber ich möchte wetten, dass es … interessant ist.«

»Admiral Foraker ist jemand, der unkonventionell zu denken beliebt und gern über jeden nur erdenklichen Tellerrand blickt«, bestätigte Honor lächelnd. »Doch hier hat sie sich etwas ausgedacht, was man als Phalanx aus ferngesteuert einzusetzenden Energiewaffen beschreiben könnte – und wir reden hier von Energiewaffen im Großkampfschiff-Maßstab. In diesem Fall hat Foraker eher etwas wie Moriarty im Sinn, nicht wie Mycroft. Ja, sie hat sogar schon herausgefunden, wie sich möglichst schnell eine Ortungsplattform mit dem Zentralen Feuerleitsystem eines Terminus-Forts verknüpfen ließe.«

»Ich dachte, dafür wären die Minenfelder da, die wir schon haben, Mylady.«

»Richtig, aber sie setzen alle immer nur einen Schuss ab. Egal, ob bomben-gepumpte Plattform oder individuell einsetzbare Energiewaffe, vor dem nächsten Einsatz müssen sie erst wieder aufgeladen werden. Foraker redet davon, die Dinger drahtlos mit Energie für die Plasma-Kondensatoren zu versorgen. Stimmen Forakers Berechnungen, sollte jede Phalanx mindestens fünf oder sechs Schuss mit voller Leistung abgeben können, bevor ein Wartungsteam die Kondensator-Reservoirs neu aufladen muss. Wenn also diese Solly-Graser wirklich so gut sind, wie Phil berichtet, und wenn man bedenkt, dass ein Superdreadnought der Scientist-Klasse … wie viele? Vierundsechzig? Fünfundsechzig? Ist ja auch egal: Ein Superdreadnought führt jedenfalls reichlich Graser mit sich. Also sollten wir, wenn wir die alle ausbauen und umfunktionieren, ein richtig gemeines, höchst effektives Abwehrsystem daraus basteln können, meinen Sie nicht auch?«

»Jou, stimmt«, gab Commander Clayton fast schon geistesabwesend zurück. Die Vorstellung, was neun- oder zehntausend Graser in Wallschiff-Größe einem Zielobjekt antun könnten, das gerade aus einem Wurmloch-Terminus austrat, wo ihm weder Keil noch Seitenschilde auch nur den geringsten Schutz böten, war … ernüchternd.

»Ich weiß zwar noch nicht, wie gut das letztendlich laufen wird«, griff Honor den Gedanken wieder auf, »aber die Erfahrung lehrt, dass Foraker in der Regel hinbekommt, was sie einmal in Angriff genommen hat. Und nachdem nun Admiral Hemphill das Forschungs- und Entwicklungsteam von Weyland nach Schlupfloch gebracht hat …«

Clayton nickte. Mit Haven hatte man sich fast ein ganzes T-Jahrhundert lang bekriegt – teils in einem kalten Krieg, teils in Scharmützeln und offenen Kriegshandlungen. Jetzt modernste technische Entwicklungen und Forschung des Sternenimperiums mit dieser Sternnation zu teilen hatte bei einer ganzen Reihe Angehöriger der Royal Manticoran Navy nicht gerade uneingeschränkt Begeisterung ausgelöst. Ja, es hatte sogar passiven Widerstand, Trödeleien und andere Verzögerungstaktiken gegeben, was einen jener berüchtigten wintonschen Wutausbrüche hervorgerufen hatte. Clayton war nicht dabei gewesen, als Kaiserin Elizabeth ihre Sicht der Dinge absolut unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, Herzogin Harrington hingegen schon. Es war wirklich bemerkenswert, wie rasch sich danach plötzlich alles in Bewegung gesetzt hatte.

Andererseits, der Commander verkniff sich ein Grinsen, sah es ganz so aus, als hätte es auch auf havenitischer Seite reichlich passiven Widerstand, Trödeleien und andere Verzögerungstaktiken gegeben, als es darum gegangen war, dem ehemaligen Erzfeind und jetzigen Verbündeten die genaue Position von Schlupfloch zu verraten. Natürlich war es nicht überraschend, dass Schlupfloch, dieser einst so streng geheime Stützpunkt, dem Manticore-System deutlich näher lag als dem Haven-System: Von dort bis Nouveau Paris waren es fast sechshundert Lichtjahre, bis Landing City weniger als dreihundertfünfzig.

Kein Wunder, dass ONI Schlupfloch nie gefunden hat, dachte der Commander. Wir haben immer auf dem Territorium der Republik danach gesucht. Nie wäre uns eingefallen, es könnte auf der anderen Seite von Manticore liegen! Und selbst wenn jemandem von uns ein solcher Geistesblitz gekommen wäre: Nie hätten wir Ausschau nach einer ›verlorenen Kolonie‹ gehalten!

Es war Schlupflochs tatsächliche Position, die erhellte, warum die Legislaturisten diesen Raumabschnitt als geeigneten Ort für ihren geheimen Flottenstützpunkt erachtet hatten, nachdem das System der Volksrepublik praktisch in die Hände gefallen war. Angela Clayton, eine Highlanderin von Gryphon, verheiratet mit einem Grayson, konnte sich besser als die meisten vorstellen, was es den Menschen abverlangt haben musste, auf dem Planeten Sanctuary zu überleben, bis ein havenitisches Vermessungsteam die Existenz dieser Kolonie am Ende einer Hyperbrücke mit der schönen Kennung J-156-18(L)-KCR-126-06 endlich wiederentdeckt hatte.

Und wie sie den Ort gefunden haben, ist doch deutlich weniger wichtig als das, was sie seitdem dort getrieben haben, rief sich Clayton selbst ins Gedächtnis zurück. Nach der Verwüstung, die der Yawata-Schlag in Manticore angerichtet hatte, war Schlupfloch zur mit Abstand größten Schiffbauanlage der Großen Allianz geworden – ganz zu schweigen davon, dass sich dort nun auch die Zentrale von Shannon Forakers zu Recht gefürchteter und respektierter Forschungs- und Entwicklungsabteilung befand.

Wenn es also in der Galaxis einen Ort gibt, von dem wir hoffen, dass die Verantwortlichen für den Yawata-Schlag ihn nicht finden, dann ist das zweifellos Schlupfloch!

»Wissen wir schon, wie das Schlupfloch-Team mit Mycroft vorankommt, Mylady?«, fragte sie.

Honor lächelte, als sie mühelos den Gedanken nachvollzog, der Clayton durch den Kopf gegangen sein musste. »Es wird noch eine Weile dauern, bis das System richtig läuft«, antwortete sie. »Aber bis es so weit ist, führt Admiral Hemphill ein vollständiges Invictus-Geschwader mit, damit Schlupfloch vollständig mit Apollo und Schlüsselloch-Zwo versorgt ist. Und so wie ich das verstanden habe, hat Admiral Foraker bereits einige neue Variationen ihrer Ortungssatelliten und Sensorplattformen angestoßen. Wenn Hemphill und sie sich erst einmal zusammensetzen und gemeinsam Neues austüfteln, muss sich der Rest der Galaxis warm anziehen.«

»Nichts, was mir das Herz brechen würde, Mylady«, bemerkte Clayton, »ganz gewiss nicht.«

SLNSQuébecDzung-SystemSolare Liga

»Nun, Sir, das wurde aber verdammt noch eins auch Zeit!«, knurrte Captain Gabriella Timberlake. Sie stand neben Admiral Vincent Capriotti und betrachtete gemeinsam mit ihm die jüngste Depesche auf Capriottis Display. Da das Dzung-System kaum siebzig Lichtjahre von Sol entfernt lag, hatte Kampfverband 783 die neuen Befehle früher erhalten als ein Großteil der restlichen Navy der Solaren Liga. Capriotti fragte sich nun, wie die anderen Flaggoffiziere seiner Flotte wohl darauf reagieren würden.

Er selbst nämlich wusste nicht recht, was er davon halten sollte.

»Dem kann ich nicht widersprechen, Gabby«, sagte er schließlich. »Andererseits: Sollte an den Geschichten über die Elfte Flotte und Admiral Crandall wirklich was dran sein, könnte das hier … interessant werden.«

»So könnte man das gewiss ausdrücken, Sir«, pflichtete ihm Timberlake bei, »obwohl mir die Denkweise, die hinter den Gerüchten steckt, nicht recht passt. Diese Dreckskerle können doch ihre Killer-Raketengondeln und ihre verdammten Superdreadnoughts unmöglich überall haben!«

»Überall? Das braucht es doch gar nicht, um uns den ganzen Tag zu versauen«, gab Capriotti zu bedenken. »Es reicht doch, wenn sie sie dort haben, wo wir auftauchen.«

»Ich weiß, Sir.« Die Flaggkommandantin des Admirals zuckte mit den Schultern. »Aber früher oder später werden wir den Krieg zu den Mantys tragen müssen. Nun, angesichts dessen, was Admiral Filareta widerfahren ist, sieht es ganz so aus, als wären Flottengefechte wirklich eine sehr, sehr schlechte Idee – zumindest, bis unsere Techniker Mittel und Wege gefunden haben, den verdammten Manty-Raketen etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.«

Capriotti nickte und überdachte nüchtern die ganze Reihe übler Tiefschläge, die das Sternenimperium mitsamt Verbündeten der Solarian League Navy verpasst hatten: Tatsächlich, es blieb eigentlich nur, den Krieg zu den Mantys tragen! Allen Bedenken des Admirals zum Trotz musste er seiner Flaggkommandantin in dieser Hinsicht recht geben. Er wünschte nur, und das inständigst, er könnte zuversichtlicher sein, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger wenigstens den Hauch einer Ahnung hatten, was sie eigentlich gerade taten.

Vincent Capriotti war keineswegs bereit, den Berichten der solarischen Medien über das, was Massimo Filareta widerfahren war, rückhaltlos Glauben zu schenken. Laut den Mantys hatte die Elfte Flotte das Feuer eröffnet, nachdem sie unmissverständlich zur Kapitulation aufgefordert worden war. Laut den ›üblicherweise gut unterrichteten Quellen‹ hingegen, die nur ›strikt inoffiziell‹ mit der Presse gesprochen hatten, weil sie nicht autorisiert seien, derzeit noch unter Verschluss gehaltene Informationen preiszugeben, habe Filareta die Kapitulationsbedingungen akzeptiert und sei dann in einem kaltblütigen Massenmord aus dem All geblasen worden. Angesichts der offiziellen Lageanalysen des Solarischen Flottennachrichtendienstes war eines offenkundig: Es gab in ganz Chicago niemanden, der den Mut zu vernünftigen Entscheidungen hatte. Niemand wollte zwei und zwei zusammenzuzählen und dann einem gewissen Vincent Capriotti wenigstens einen kleinen, dezenten Hinweis darauf geben, welchem der beiden einander in jeder Hinsicht widersprechenden Berichten seine Navy Glauben schenkte.

Kein gutes Zeichen, dachte er, wie schon so oft in den letzten Tagen. Natürlich ist unser Flottennachrichtendienst bislang noch bei jedem Schritt dieser Eskalation mit heruntergelassenen Hosen erwischt worden. Vielleicht wäre es ein noch viel schlechteres Zeichen, wenn diese Idioten da unten glaubten, sie wüssten tatsächlich, was passiert ist!

Vincent Capriotti war durch und durch ein Mann der Schlachtflotte. Er hatte Dutzende – vielleicht gar Hunderte – der Männer und Frauen an Bord der Schiffe gekannt, die Crandall und Filareta verloren hatten. Ebenso wie Timberlake sann er auf Vergeltung – und das nicht nur aus altmodischer Rachsucht heraus. Nun, zumindest sich selbst gegenüber war er ehrlich genug, einzugestehen, dass ihn größtenteils Rachsucht antrieb. Allerdings hatte er auch eine deutlich bessere Vorstellung als viele seiner Kameradinnen und Kameraden bei der Schlachtflotte, wie wichtig, ja, entscheidend doch auch das inoffizielle Herrschaftsgebiet des Liga-Amtes für Grenzsicherheit war, das sich über eine Vielzahl von Vasallensystemen erstreckte. Außerdem war ihm bewusst, dass Arrangements und Absprachen des Liga-Amtes deutlich weniger verlässlich waren, als es gemeinhin den Anschein hatte. Wie es sich auf den Kapitalfluss der Regierung auswirkte, verlöre die Grenzsicherheit Vasall um Vasall und Klient um Klient, war klar: Das konnte sich die Solare Liga buchstäblich nicht leisten. Genau das aber würde geschehen, solange die Liga nicht unmissverständlich zur Schau stellte, dass sie den Mantys wirklich und wahrhaftig gewachsen war.

Andererseits gab es zumindest eines, dessen sich Capriotti gewiss war: Wenn diese Schlacht – oder dieses Massaker oder was auch immer es nun gewesen sein mochte! – wirklich so kurz gewesen war, wie das beide ansonsten so widersprüchlichen Quellen nahelegten, hatte er sicher nicht die Absicht, sich mit jener Sorte Abwehrsysteme anzulegen, die von den Mantys für wichtigere Sonnensysteme anscheinend als angemessen erachtet wurden.

Glücklicherweise legte die Kurzzusammenfassung von Unternehmen Freibeuter nicht nahe, Admiral Kingsford hätte genau das im Sinn. Also gab es in Chicago vielleicht doch jemanden, der wusste, was er tat.

Vielleicht.

»Also gut«, fuhr Capriotti fort und schaute nun statt auf die Depesche auf den Astrogationshauptplot. »Es müssen auch Admiral Helland und Admiral Rutgers auf den neuesten Stand gebracht werden. Beide werden gewiss interessante Aspekte zu ergänzen wissen … sobald Rutgers uns nach seinen Maßstäben ausreichend vor übermäßigem Optimismus bei der ganzen Sache gewarnt hat, meine ich natürlich.«

Seine Mundwinkel zuckten, und Timberlake lachte leise in sich hinein. Konteradmiral Lyang-tau Rutgers, der Operationsoffizier von Kampfverband 783, hatte zunächst bei der Grenzflotte gedient und war vor noch nicht einmal zwanzig Jahren zur Schlachtflotte gewechselt. Diese vergleichsweise kurze Zeitspanne hatte nicht ausgereicht, um ihm gänzlich die bei der Grenzflotte allgemein verbreitete Ansicht auszutreiben, am besten geeignet sei die Schlachtflotte als buchstäblich massiger Briefbeschwerer – vor allem, wenn so gewährleistet wäre, dass sie denen, die die eigentliche Arbeit der Navy machten, nicht mehr im Weg wäre. Im Laufe der Jahre war Rutgers dafür bekannt geworden, markig prägnante Lageanalysen vorzulegen, in denen er unablässig betonte, das strategische wie das taktische Denken der Schlachtflotte sei möglicherweise hoffnungslos veraltet. Wieder und wieder hatte er mit Nachdruck seine Ansicht vertreten, Übungssimulationen und Taktikprobleme sollten überarbeitet und neu entwickelt werden – und dabei angepasst auf ernst zu nehmende Gegner für die Navy, obwohl doch allgemein bekannt war, dass es so etwas wie ernst zu nehmende Gegner für die Solarian League Navy in Wahrheit nicht gab. Auf diesen letzten Umstand angesprochen, hatte er mehrmals vorgeschlagen, es könne ratsam sein, sich auf einen Gegner vorzubereiten, der leistungsfähiger wäre als jeder, dem man sich womöglich tatsächlich einmal im Kampf würde entgegenstellen müssen. Derartige Überschätzung des Feindes würde Angehörige der Solarian Navy wenigstens nicht das Leben kosten! Zugleich jedoch hatte sein ganzes Auftreten ebenso unmissverständlich gezeigt, dass er keineswegs erwartete, in der Schlachtflotte würde diese Möglichkeit auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen.

Für Admiral Capriottis Flaggkommandantin erklärte ebendiese Einstellung, warum ein so offenkundig fähiger und kompetenter Offizier wie Rutger, dank seiner Familie gesegnet mit besten Beziehungen ins Militär wie in die Politik, immer noch nur Konteradmiral war. Nun war es geradezu erfrischend zu sehen, wie sehr die jüngsten Ereignisse zeigten, dass Rutgers mit all seinen Warnungen recht gehabt hatte. Gabrielle Timberlake wusste auch, dass Capriotti die Querdenkerei des Konteradmirals nicht nur respektierte, sondern schätzte.

Vizeadmiral Angelica Helland hingegen, die Stabschefin von Kampfverband 783, schien bemerkenswert vielen Angehörigen der Flotte die intelligentere Ausgabe von Sandra Crandall zu sein – nun, eine noch dümmere Ausgabe war für Timberlake auch nicht vorstellbar. Der Kontrast zwischen Hellands aggressiver Beinahe-Arroganz und Rutgers behutsam vorgebrachten Mahnungen zur Vorsicht hatte schon bei einigen Besprechungen des Stabes für gewisse … Reibereien gesorgt. Zugleich hatte das Capriotti weidlich Möglichkeiten verschafft, beide Sichtweisen ausgiebig zu durchdenken. Etwas zu durchdenken, selbst dann, wenn noch niemand das Feuer auf Schiffe der Solarian League Navy eröffnet hatte, war bei Viersterneadmirälen der Schlachtflotte sehr selten. Gelinde ausgedrückt.

Derzeit befanden sich Helland und Rutgers auf der Rückfahrt zur Québec. Beide hatten an Bord des Schlachtkreuzers Bavaria, dem Flaggschiff von Kampfgruppe 783.12, eine Übungssimulation begutachtet. Dank der Geheimhaltungsstufe der Depesche hatten sie beide keine Ahnung, warum sie derart abrupt zurückbeordert worden waren.

Dürfte interessant sein, beider Reaktion zu beobachten, dachte die Flaggkommandantin.

»Nur so unter uns, Sir: Ich bin ganz dafür zu haben, nicht mit übermäßigem Optimismus an die ganze Sache heranzugehen«, sagte sie.

Capriotti nickte. »Da sind wir schon zwo«, pflichtete er ihr bei. »Bitte informieren Sie mich umgehend, sobald die beiden an Bord sind. Bis dahin bin ich im Flaggbesprechungsraum. Ich möchte dieses Munitionsmanifest noch durchgehen, und ich will mir unbedingt noch einmal die jüngsten Einschätzungen des Flottennachrichtendienstes hinsichtlich der Leistungsfähigkeit manticoranischer Raketen anschauen.« Er schüttelte den Kopf, und seine Miene war nun ungleich düsterer als zuvor.

Fragend wölbte Timberlake eine Augenbraue.

»Bislang habe ich die nur überflogen«, sagte Capriotti. »Aber ich neige immer noch zu der Ansicht, sie strotzten … na, sagen wir: vor übermäßigem Optimismus.«

Nun runzelte seine Flaggkommandantin die Stirn. Auch sie hatte die jüngsten Leistungsabschätzungen nur überflogen. Für eine gründliche Analyse hatte ihr schlichtweg die Zeit gefehlt. Bereits der Absatz mit den Schlussfolgerungen war eine zutiefst deprimierende Lektüre gewesen. Der Nachrichtendienst vertrat jetzt nämlich die Ansicht, die Mantys und ihre Verbündeten hätten hinsichtlich ihrer Salvendichte einen Vorteil von drei zu eins. Dazu kamen ein dreißigprozentiger Vorsprung bei den Durchdringungshilfen und eine Maximalreichweite unter Antrieb von dreißig Millionen Kilometern. Das allein schon reichte Timberlake voll und ganz aus.

»Ich will damit keineswegs behaupten, die Mantys wären in Wahrheit zehn Meter groß und unbesiegbar, Gabby«, setzte Capriotti mit einem schiefen Grinsen hinzu, »und die neuen Cataphracts bringen mindestens genau die gleiche Reichweite hin … sofern wir sie eine Freifallphase einlegen lassen. Aber wir wissen doch beide, dass Lyang-tau absolut recht hat, wenn er betont, wir hätten völlig unterschätzt, was die Mantys uns alles antun können. Und es hätte eigentlich weder eines Genies bedurft, noch hätte es so lange dauern dürfen, bis das auch beim Flottennachrichtendienst ankommt – was in äußerst bedauerlichem Maße zeigt, was von unseren Vorkriegsanalytikteams zu halten ist! Aber seit scharf geschossen wird, hat sich alles, wovor uns Lyang-tau gewarnt hat, bestätigt, und das auf so schmerzhafte Weise, dass das nicht einmal unseren brillanten Herren und Meisterinnen entgangen sein kann. Ich freue mich über die neuen Raketen, keine Frage, vor allem, da, so wie ich das verstehe, Technodyne an deren Leistungswerten noch einmal ein wenig herumgeschraubt hat. Nun, ich wünsche mir hinsichtlich der Möglichkeiten unseres Feindes etwas ein bisschen Zuverlässigeres als ein ›Wir haben das mal grob abgeschätzt‹ von genau den Idioten, die uns Sandra Crandall und die Elfte Flotte beschert haben. Bis mir das nicht vorliegt, werde ich keineswegs übereilte Schlussfolgerungen hinsichtlich auf wundersame Weise erzielter Chancengleichheit ziehen.«

»Soll mir recht sein, Sir.« Timberlake schüttelte den Kopf. »Es ist mir allemal lieber, den Feind zu über-, als zu unterschätzen.«

»Glücklicherweise klingt es ganz so, als gäbe es auch in Chicago jemanden, der zu diesem Schluss gekommen ist.« Mit einer Kopfbewegung deutete Capriotti in Richtung der Depesche, die sie gemeinsam gelesen hatten. »Ich kann allerdings nicht behaupten, dass ich sonderlich erfreut wäre angesichts der Vorstellung, irgendwem das Sonnensystem zu zerschießen. Dafür bin ich nicht zur Navy gegangen. Außerdem habe ich Freunde in Cachalot. Aber wer auch immer nun auf diese Idee gekommen ist, ob das jetzt Admiral Bernard war oder Admiral Kingsford persönlich: Mir scheint es das Beste zu sein, was wir derzeit tun können. Wenn wir den abgelegeneren Manty-Systemen genug Schaden zufügen – oder nur den unabhängigen Sternnationen, die mit ihnen Handel treiben –, müssen die Mantys zumindest einen Teil ihrer Streitkräfte dafür abstellen, Handel und Infrastruktur zu beschützen. Und je mehr wir sie dazu zwingen, ihre Kräfte über ein möglichst großes Territorium zu verteilen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir sie zu einer gewissen … Vorsicht oder Behutsamkeit animieren – bis Technodyne endlich herausfindet, wie sie echte Mehrstufenraketen bauen können.«

Timberlake nickte, obwohl ihnen beiden ein weiterer Punkt nur zu bewusst war – ein Punkt, den Capriotti bewusst nicht angesprochen hatte. Bei Unternehmen Freibeuter ging es nicht nur darum, Mantys und Verbündete dazu zu zwingen, sich über ein größeres Raumvolumen zu verteilen und so ihre Reihen auszudünnen. Tatsächlich war das noch nicht einmal das Hauptziel. Das wahre Ziel dieses Unternehmens war, einen jeden, der auch nur darüber nachdachte, sich auf die Seite der Mantys zu schlagen – sei es als Verbündeter oder nur als Handelspartner –, unmissverständlich wissen zu lassen, dass eine solche Entscheidung, nun, unklug wäre. Immer schön nach dem Wahlspruch: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns … mit hinreichend ernst zu nehmenden Konsequenzen eben, um alle Wackelkandidaten davon abzuhalten, tatsächlich umzufallen.

Kurz gesagt: Es war eine Terrorkampagne, gerichtet gegen jene, die nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen. Und sollte jemandem dieser kleine, aber nicht ganz unbedeutende Umstand entgangen sein, würde das Kampfverband 783 zugewiesene Zielgebiet ebendiesen Umstand unmissverständlich betonen.

Das Cachalot-System, 50,6 Lichtjahre von Dzung und nur 49,6 Lichtjahre von Beowulf entfernt, legte Wert auf seine Unabhängigkeit und hatte sich zum Zeitpunkt seiner offiziellen Gründung ausdrücklich gegen einen Beitritt in die Solare Liga entschieden. Dieses durchaus begüterte, erfolgreiche System war dicht besiedelt und betrieb schon seit fast eintausend Jahren lebhaften Handel mit Beowulf … und war ganz und gar darauf angewiesen, dass die Systemverteidigungskräfte des Handelspartners ihre schnelle Eingreiftruppe bereitstellten. Die eigenen ›Streitkräfte‹ des Cachalot-Systems beschränkten sich auf nicht mehr als ein paar Dutzend Fregatten und LACs. Schließlich wäre niemand verrückt genug, jemanden anzugreifen, der derart enge Verbindung zu einem Gründungsmitglied der Liga unterhielt – erst recht nicht, wenn besagtes Sonnensystem und Gründungsmitglied auch noch zu den in jeglicher Hinsicht leistungsstärksten Systemen der Liga gehörte.

Nein, derart verrückt wäre niemand.

Bislang zumindest.

Wie offen Kingsford oder Bernard, die Leiterin des Strategie- und Planungsamtes, wohl im Rahmen der detaillierten Einsatzbefehle die wahren Ziele dargelegt hatten? Und wo sich Timberlake schon mit derlei Fragen befasste: Wie viele jener tatsächlich oder zumindest vorgeblich unabhängigen Sonnensysteme würden begreifen, dass die Liga gegen sie vorging, weil es die Liga nicht wagte, die Mitglieder der Großen Allianz direkt anzugreifen?

Das könnte sich noch als Nachteil erweisen, meine liebe Gabby, sinnierte sie. Vielleicht nur ein weiterer Grund für die Auswahl von Cachalot: Es liegt Beowulf nahe genug, dass abgelegenere Systeme im Rand vielleicht gar nicht begreifen, wie wenig verteidigt dieses System ist. Und selbst wenn: Irgendetwas müssen wir ja schließlich tun, und Gott sei Dank hat niemand die Absicht, uns zu einem der Hauptsysteme der Mantys zu schicken! Wenn man bedenkt, wie rasch sie Filareta völlig zerlegt haben …

Sie verfolgte den Gedanken nicht weiter, sondern nickte erneut, dieses Mal entschlossener. »Ich hoffe auch, Sir, dass Technodyne – oder sonst jemand – allmählich in die Hufe kommt und Fortschritte bei der Konstruktion von Mehrstufenraketen macht!«

GSNSProtector Oliver I.Doppelsternsystem von ManticoreSternenimperium Manticore

»Honor!«

Lächelnd wandte sich Michael Mayhew zu Honor um, als sie zusammen mit Mercedes Brigham von einem ernst dreinblickenden jungen Ensign hereingeführt wurde. Der junge Mann hatte sie bereits am Hangar der Protector Oliver I. in Empfang genommen. Stewards schlängelten sich durch die Gästeschar und boten Fingerfood und Wein an; leise Musik und Stimmengewirr erfüllte den Saal. Mayhew streckte Honor zur Begrüßung die Hand entgegen. Sie erwiderte Händedruck und freundliches Lächeln. Nimitz, der wie stets auf Honors Schulter saß, keckerte seine eigene Begrüßung. Mayhew lachte und streckte dann auch der Baumkatze die Hand entgegen, eine Geste, die Honor schmunzeln ließ.

Gleichzeitig aber beschäftigte sie, und das nicht zum ersten Mal, dass Mayhew, zwanzig Jahre jünger als sie, aussah, als wäre er mindestens zehn Jahre älter. Sie hatte bereits als Kind eine Prolong-Behandlung der Dritten Generation erhalten, Mayhew erst im Erwachsenenalter eine der Ersten Generation, das machte den Unterschied aus. Dennoch sah Mayhew sehr viel jünger aus als sein älterer Bruder Benjamin, der diese Behandlung nicht erhalten hatte.

»Schön, Sie zu sehen«, meinte Mayhew und fuhr mit einem entschuldigenden Lächeln fort: »Ja, ich weiß, es mag seltsam klingen, wo wir uns über Com und auch persönlich tatsächlich recht häufig austauschen, aber diese Begegnungen haben immer einen rein offiziellen Anlass. Diesem Empfang heute Abend aber können wir beide das Offizielle ganz leicht nehmen, wenn es uns gelingt, dienstliche Themen zu meiden.«

»Ich wäre erleichtert, ließe es sich machen, offiziellen Gesprächen für einen Abend zu entfleuchen«, gestand Honor. »Wegen all der Konferenzen, Diskussionen, Planungs- und Krisensitzungen beginne ich ja schon zu vergessen, dass meine eigentliche Aufgabe doch ist, durchs All zu sausen.« Sie zuckte die Achseln.

Mayhew nickte. »Kenne ich, kenne ich, ein Sitzungstermin jagt den nächsten! Das dürfte sogar noch schlimmer werden, wenn die Beowulf-Volksabstimmung offiziell ratifiziert wird. Es steht uns ein ganz schönes Stück Arbeit bevor, wollen wir das System in die Allianz einbinden.«

»Bei allem schuldigen Respekt, Mylord, das wird womöglich nicht ganz so schwierig, wie Sie momentan glauben«, schaltete sich unvermittelt jemand in das Gespräch ein.

Lächelnd drehte sich Honor um und sah sich dem Mann gegenüber, den zu sehen sie erwartet hatte – blaue Augen, Uniform eines graysonitischen Konteradmirals, unverkennbare Stimme. »Michal«, begrüßte sie ihn, »ich hatte mich schon gefragt, wo Sie wohl stecken!«

»Nun, ich möchte jetzt kein Wort darüber verlieren, wie Erbinnen und Erben planetarer Herrschafthäuser das angemessene militärische Protokoll unterlaufen«, sagte Michal Lukáč, der Oberbefehlshaber der Ersten Schlachtdivision des Sechsten Schlachtgeschwaders der Grayson Space Navy. »Aber gewiss ist Commodore Brigham und Ihnen bewusst, dass Sie streng genommen zunächst durch Captain White hätten begrüßt werden sollen.«

Honor blickte sich rasch um. »Wenigstens haben Sie damit gewartet, bis der arme Ensign das nicht mehr hat mit anhören müssen«, sagte sie ernst. »Es war ja schließlich nicht seine Schuld, dass mich Michael vorher abgefangen hat.«

»Nun, Sie werden mir sicher verzeihen«, mischte sich nun Mayhew ein, »aber ich bin, wenn ich mich nicht sehr täusche, der Bruder eines planetaren Despoten. Also darf ich mich vordrängeln, wann immer mir der Sinn danach steht, stimmt’s?«

»Sich in einer Position zu befinden, aus der heraus man Autorität missbrauchen kann, macht ein solches Vorgehen noch lange nicht richtig«, klärte Honor ihn auf, »und Michal hat recht.« Sie reckte den Hals und hielt Ausschau nach Captain Zachary White, dem Kommandanten der Protector Oliver I., der zugleich auch Lukáčs Flaggkommandant war. Da White mehr als sechs Zentimeter größer war als Honor selbst, war er gemeinhin nicht schwer zu finden. Dieses Mal jedoch … »Wo ist Zach denn?«

»Derzeit«, erklärte Lukáč, »hilft er Misty bei einem kleinen Notfall aus. Edward und ein Kanapee-Tablett hatten einen Frontalzusammenstoß.«

»Ach du meine Güte!« Honor schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen sagen, ich bin alles andere als begeistert davon, mir Raoul mit acht vorzustellen!«

»Der junge Master Edward legt eigentlich außergewöhnlich gutes Benehmen an den Tag – nach Grayson-Maßstäben, vor allem«, gab Michael Mayhew zu bedenken.

»Ja, und der Vorfall war auch nicht seine Schuld«, warf Lukáč ein. »So beachtlich Zachs Körpergröße auch sein mag, Edward ist klein, nicht wahr. Der Steward hat ihn schlichtweg übersehen. Zach ist gefragt, weil sich Edward große Sorgen macht, seinem Dad die Party ruiniert zu haben. Deswegen habe ich Zach nahegelegt, mich für ihn die Stellung halten zu lassen, damit er sich zurückziehen und das Unfallopfer beruhigen kann. Ich glaube, mal irgendwo gelesen zu haben, dass ein guter Flaggoffizier seinem Flaggkommandanten immer den Rücken freihält.«

»Stimmt, davon gehört habe ich auch schon«, versicherte ihm Honor. »Aber zurück zu Ihrem Entree in unser Gespräch: Warum sollte die Einbindung Beowulfs in die Allianz weniger schwierig sein, als Michael glaubt? Ich höre doch jetzt schon Leute reihenweise Herkules und gewisse Ställe erwähnen, wenn es auf das Thema kommt.«

»Ich sehe das anders«, widersprach Lukáč respektvoll, aber entschieden. »Gewiss, Anstrengung wird es erfordern, und jede Menge Details müssen noch ausgearbeitet werden. Aber effektiv ist Beowulf doch schon längst Teil der Allianz. Ich meine, wessen Schiffe sind denn jetzt draußen unterwegs und helfen nach Yawata beim Wiederaufbau? Und wenn ich mich nicht sehr täusche, werden auf Beowulf auch die Mark-23-er gebaut, die wir in unseren Munitionskammern haben. Also müssen wir eigentlich nur etwas regulieren, was de facto schon seit Monaten läuft.«

»Stimmt, zumindest in gewisser Weise«, bestätigte Michael Mayhew. »Aber das ›Nur‹, das Regulieren, das Ausarbeiten der Details ist genau das, was mir Kopfschmerzen macht – schon jetzt.«

»Eine Freude wird das sicher nicht, Mylord«, meinte Lukáč. »Ehrlicherweise sollte ich wohl auch zugeben, dass es für uns, die wir durch das All sausen, viel einfacher wird: Alles, worauf wir jetzt noch achten müssen, ist, auch immer wirklich auf den Feind zu schießen. Außerdem …«

»Textet Michal Sie bereits zu, Mylady?«, erkundigte sich eine andere Stimme. Honor wandte sich deren Besitzerin zu, Lenka Lukáčová. Auch sie trug die Uniform der Grayson Space Navy, und die vier goldenen Streifen am Ärmel wiesen sie als Captain aus. Doch am Kragen waren dazu die Kreuze des Kaplankorps zu erkennen, nicht die Schwerter eines Truppenoffiziers. »Er hatte versprochen, das nicht zu tun«, fuhr sie fort, und in ihren grünen Augen blitzten die goldgefleckten Einsprengsel auf wie echte Blitze.

»Aber nein, nein, Lenka«, klärte Honor sie auf, »bislang hat er nicht einmal seinen eigenen Standpunkt mit Nachdruck vertreten!«

»Geben Sie ihm noch etwas Zeit«, schlug Lukáčová vor.

»Dann sicher, Sie haben recht. Und wie steht es bei Ihnen? Irgendwelche Eingewöhnungsschwierigkeiten?«

Nach wie vor bemühte sich Honor, auf dem Laufenden zu bleiben, wie sich Kampfverband 3 – die Grayson-Komponente der Grand Fleet – eingliederte. Natürlich half es, dass Manticoraner und Graysoniten schon seit mehr als zwei T-Jahrzehnten gemeinsam dienten … und notfalls auch gemeinsam in den Tod gingen. Doch es gab eben auch immer noch Unterschiede, und nach dem Yawata-Schlag war im Zuge der neu erwachsenen Großen Allianz ein deutlich größerer Anteil der gesamten Navy von Grayson hier in Manticore stationiert. Trotz der gewaltigen Fortschritte, die Honors Wahlheimat gemacht hatte, war Grayson doch immer noch eine zutiefst religiöse, theokratisch aufgebaute Gesellschaft. Das Doppelsternsystem von Manticore im Ganzen hatte deutlich weniger Erfahrung mit den Graysoniten als das Offizierskorps der Royal Manticoran Navy, und zur Unterstützung von Kampfverband 3 waren mittlerweile auch einige tausend Zivilisten sowie deren Angehörige in Manticore eingetroffen. Sie alle in eine Gesellschaft einzugliedern, deren Regeln denen jener Gesellschaft zuwiderliefen, die sie seit ihrer Geburt geprägt hatte, war eine alles andere als triviale Herausforderung. Als ranghöchstem Offizier des Kampfverband 3 zugewiesenen Kaplankorps kam Lukáčová bei genau jenen Eingliederungsbemühungen ein Logenplatz zu.

»Eigentlich läuft derzeit alles ziemlich gut«, erklärte Lukáčs Ehefrau nun. »Noch entgegenkommender und hilfreicher hätte Erzbischof Telmachi unmöglich sein können, auch wenn ich den Eindruck habe, die meisten Mantys wären angesichts der Vorstellung offizieller Bord-Kaplane … nun, zumindest ein wenig verwirrt. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: Die meisten unserer Leute haben Probleme mit der Vorstellung, den Erzbischof hier als ranghöchsten Prälaten in einer Gesellschaft zu sehen, die eine Staatskirche ausdrücklich ablehnt. Einige meiner Kapläne wollen es scheint’s nicht begreifen: Es reicht hier nicht, mit einem Kruzifix herumzuwedeln und darauf zu bauen, auf diese Weise alle Hindernisse zu beseitigen. Sie Mantys sind wirklich ein beklagenswert säkularer Haufen, ist doch so, oder?«

»Wir schlagen uns durchs Leben, so gut es geht«, erwiderte Honor. »Und wir sollten nicht vergessen, dass es gerade das Vorbild dieses ›beklagenswert säkularen Haufens‹ war, das die Vaterkirche dazu bewogen hat, ihre Haltung gegenüber Priestern ohne Y-Chromosom zu überdenken.«

Mit einer Hand vollführte Michal Lukáč die Geste, mit der ein graysonitischer Schiedsrichter beim Fechten einen Treffer anzeigte, und seine Frau lachte.

»Ich habe Sie ehrlich vermisst, Mylady«, sagte sie, »und natürlich haben Sie recht!« Sie verdrehte die Augen. »Ich werde nie die fassungslosen Gesichter vergessen, als mich Reverend Sullivan damals geweiht hat. Ich war fest davon überzeugt, mindestens drei der Ältesten würden an jenem Nachmittag zur Herrlichkeit aufsteigen.« Angesichts dieser Erinnerung erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. »Und wie lange die sich über angemessene Titel gestritten haben!« Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie eigentlich, dass ich beinahe zu Bruder Lenka geworden wäre? Die Sakristei hat tatsächlich eine gelehrte Abhandlung über die Unantastbarkeit dieses heiligen Titels verfasst. Dem Prüfer sei Dank, dass der Reverend denen gehörig die Meinung gegeigt und dieser Idee einen Riegel vorgeschoben hat!«

»Aus irgendeinem Grund«, sagte Michael Mayhew, ohne sich dabei an jemand Bestimmtes zu wenden, »scheint Grayson während der letzten ungefähr zwanzig Jahre geradezu sittenwidrig viele regelrecht unverschämte Frauen hervorgebracht zu haben. Nicht den blassesten Schimmer, wie das hat passieren können!«

»Na, meine Schuld ist es auf keinen Fall«, gab Honor ernst zurück. »Wahrscheinlich ist es Mercedes’ Schuld. Oder Lenkas Schuld und …«, über Lukáčs Schulter hinweg blickte Honor zu zwei weiteren Offizieren hinüber, die gerade auf sie zukamen, »… die von Captain Davis.«

»Worum auch immer es geht: Ich war’s nicht!«, sagte die Angesprochene, die sich gerade zusammen mit einem anderen dunkelhaarigen Captain der Gruppe der Plaudernden näherte.

»Ihre Hoheit hat gerade erklärt, es sei mitnichten die Schuld Ihrer Hoheit, dass die graysonitischen Frauen zunehmend aus dem Ruder laufen«, erklärte Brigham trocken und streckte ihr die Hand entgegen.

»Auch das noch!«, versetzte Captain Elizabeth Davis, Lukáčs Operationsoffizierin. »Wer kommt denn auf eine derart abstruse Idee?!«

»Und nicht genug, dass wir sie auf der Heimatwelt züchten, nein, wir importieren sie auch noch!«, führte Mayhew seine an keine bestimmte Anwesende gerichtete Bemerkung weiter aus.

Davis brach in Lachen aus. Sie stammte, ihr Akzent ließ sich nicht verbergen, von der Hauptwelt des Sternenkönigreichs. Doch ebenso wie eine ganze Reihe anderer Offizierinnen und Offiziere, die an die moderne Grayson Space Navy zu deren Entstehungszeit ›ausgeliehen‹ worden waren, hatte sie festgestellt, dass sie Grayson mochte. Mittlerweile war es fast zehn T-Jahre her, dass sie sich auf Grayson hatte einbürgern lassen.

Ihr Lachen brachte Lord Mayhew dazu, theatralisch die Augen zu verdrehen, ehe er ihr die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte und plötzlich ernst sagte: »Und wir können uns verdammt glücklich schätzen, sie zu bekommen – sie alle! Ob nun selbst angebaut oder importiert.«

»Stimmt genau«, warf Honor ein. »Aber wissen Sie, was? Das eigentlich Bemerkenswerte ist doch, wie gut Grayson mit den ganzen Veränderungen über all die vielen Jahre hinweg zurechtgekommen ist.«

»Sicher haben dazu viel die Vorbilder beigetragen, die wir hatten«, bemerkte Lukáčová. »Besonders und gerade zu Anfang war das Reverend Hanks. Sein Beitrag war gewaltig.« Ihr Blick verdüsterte sich, und auch Honors bisher so aufgeräumte Stimmung trübte sich bei der Erinnerung daran, wie er sein Leben für sie gegeben hatte, ein. »Auch Reverend Sullivan hat sich in der ihm eigenen Weise für die Veränderungen starkgemacht. Aber letztendlich läuft es auf eines hinaus: Im Gegensatz zu den Verrückten auf Masada haben wir nicht vergessen, dass Das Buch niemals zugeklappt wird. Auf Masada hat man sich nicht nur geweigert, Ihm weiterhin zuzuhören, man wagte sogar, Ihn zu belehren, darüber, wie die Dinge sein sollten.« Sie schüttelte den Kopf. »Nun, auch wir haben unsere Variante selbsternannter ›wahrer‹ Gläubiger, aber im Großen und Ganzen hat Masada uns sogar einen riesigen Gefallen getan und uns beispielhaft vorgeführt, was Er nicht von uns erwartet.« Nun zuckte sie die Achseln. »Was blieb uns nach diesem Beispiel anderes übrig, als es anders zu machen und es mehr oder minder hinzubekommen?«

»Nichts, stimmt«, bemerkte nun der Offizier, der Davis begleitet hatte. Er war gute zwanzig Zentimeter größer als sie, breitschultrig und muskulös gebaut. Seine Nase hätte einem Schiffsbug alle Ehre gemacht, und dass er das lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, ließ Honor unwillkürlich an Paul Tankersley denken. Anders als Davis sprach er mit unverkennbarem graysonitischem Akzent.

»Ich freue mich, Sie zu sehen, James«, begrüßte ihn Honor.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Mylady«, gab Captain James Sena zurück, der Stabschef von Schlachtkreuzerdivision I. »Aber noch mehr freue ich mich, Commodore Brigham zu sehen. Ich hatte mich schon gefragt, ob …«

»Und genau da hören Sie jetzt auf – sofort!«, fiel ihm Konteradmiral Lukáč ins Wort und hob mahnend den Zeigefinger.

»Aber, Sir, nach dieser Übung gestern müssen wir uns doch überlegen …«

»Sie befinden sich da auf ganz dünnem Eis, James!«, warnte ihn Lukáč ernst.

»Sir?« Misstrauisch blickte Captain Sena seinen Vorgesetzten an, und Honors Mundwinkel zuckten.

James Sena war eine der herausragendsten Verwaltungskräfte der gesamten Grayson Space Navy. Obschon auch ein ausgezeichneter Truppenoffizier, war er doch für die Grayson Navy in seiner derzeitigen Verwendung ungleich wertvoller; ihm war sie Grund, sich dorthin zu wünschen, wo er sehr viel lieber gewesen wäre: auf die Brücke eines Schlachtkreuzers, wer weiß wo im Einsatz. Aber sich zu beklagen war nicht seine Art. Er war stets sachlich und konzentriert und kam meist direkt zur Sache. Hin und wieder gab es jedoch Momente, in denen er den verschrobenen Humor seines Admirals höchst anstrengend fand.

»Lord Mayhew hat uns gerade, just vor Ihrem Eintreffen, darüber informiert, dass es uns heute ausdrücklich untersagt ist, über Dienstliches zu reden«, erklärte Lukáč mit fester Stimme, und seine blauen Augen funkelten. »Und als gehorsame Untertanen, die wir nun einmal sind, geziemt es sich für uns, ihm zu gehorchen.«

»Wie gut, dass mein Bruder der Despot der Familie ist und all die Henker befehligt, und nicht etwa ich«, meinte Mayhew.

»Na, aber sicher doch«, versetzte Honor.

In Graysons Navy-Kreisen war Michael Mayhews Vorliebe für alles, was mit der Marine zu tun hatte, allgemein bekannt. Nur die Tatsache, dass sein Bruder so lange dafür gebraucht hatte, den männlichen Erben zu zeugen, den die graysonitische Verfassung forderte, hatte ihn davon abgehalten, die Uniform anzulegen, noch bevor Grayson sich der Manticoranischen Allianz angeschlossen hatte. Einzig die Tatsache, dass Benjamin ihn so dringend als persönlichen Gesandten benötigt hatte, brachte Michael letztendlich davon ab, eine Laufbahn bei der Navy anzustreben. Seine Vorliebe für sie war der Grund dafür, dass man im Offizierskorps, Lukáč und Sena nur zwei von vielen Beispielen, derart ungezwungen mit ihm umging. Man sah ihn als einen der eigenen Leute, oder anders ausgedrückt: Weil Protector Benjamins IX. Bruder die Navy liebte, liebte sie ihn zurück.

»Ah«, begrüßte Mayhew jetzt den nächsten Offizier, einen außergewöhnlich großen Mann, »Captain White!«

»Mylord.« Zachary White verneigte sich erst vor Mayhew, dann vor Honor. »Mylady.« Entschuldigend fuhr er fort: »Ich bedauere, Sie nicht persönlich hier begrüßt zu haben, Lady Harrington. Mein Sohn …«

»Admiral Lukáč hat uns bereits ins Bild gesetzt, Zach«, unterbrach ihn Honor freundlich und schüttelte den Kopf, während sie einer Frau die Hand gab, die White durch die recht volle Schiffssektion gefolgt war. Sie war ein ganzes Stück kleiner als White und eine der vergleichsweise wenigen Zivilisten an Bord. Das traditionelle graysonitische Kleid, das sie trug, stand ihr ausgezeichnet. Nun, es hatte traditionelle Anklänge, mehr nicht, denn Honor bezweifelte ernstlich, dass ihm mehr als drei Unterröcke bauschig Stand verschafften. »Geht es ihm wieder gut, Misty?«, erkundigte sie sich.

Madam White lächelte. »Ach, eigentlich ist er ziemlich unverwüstlich«, sagte sie. »Er war nur ganz außer sich, weil er glaubte, er hätte ›Dads Party ruiniert‹.«