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How to heal a Ravens Heart Print 460 Seiten inkl. 5 handgemalten Illustrationen Gay Fantasy / M/M Romance / LGBT Shapeshifter Lovestory Drake hat alles, was man sich nur wünschen kann: Einen jungen, sportlichen Körper voller Magie, eine stinkreiche Familie und ein Gesicht, das ihm sämtliche Türen öffnet, bevor er auch nur den Mund aufmachen muss. Sein Leben besteht aus Luxus und Vergnügen – umso absurder erscheint ihm die Vorstellung, auf eine winzige, geheime Akademie für Gestaltwandler verbannt zu werden. Besonders, wenn das bedeutet, sein Quartier mit jemandem teilen zu müssen, sich Autoritäten unterzuordnen und, das schlimmste, sich anzupassen! Doch seine Eltern duldet keine Widerrede. Disziplin, Pflichtbewusstsein, Selbstkontrolle – all das soll er an der Beast Academy lernen, weil es ihm an genau diesen Eigenschaften mangelt. Trotzdem ist Drake davon überzeugt, sich mühelos durch die Semester schummeln zu können, zumindest, bis er dem unnahbaren Professor Rook begegnet. Der Rabenwandler strahlt eine gefährliche Faszination aus, und Drake spürt instinktiv, dass hinter dessen kühler Fassade mehr verborgen liegt, als es den Anschein hat. Aus einem kleinen Knistern wird ein Spiel mit dem Feuer. Je näher Drake seinem verbotenen Schwarm kommt, desto tiefer verstrickt er sich in etwas, das völlig außer Kontrolle gerät. Und als die Wahrheit ans Licht drängt, steht nicht nur seine eigene Zukunft auf dem Spiel – sondern auch die des Mannes, den er nie hätte begehren dürfen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
How to heal a Ravens Heart
Klappentext
Gay Fantasy / M/M Romance / LGBT Shapeshifter Lovestory
Drake hat alles, was man sich nur wünschen kann: Einen jungen, sportlichen Körper voller Magie, eine stinkreiche Familie und ein Gesicht, das ihm sämtliche Türen öffnet, bevor er auch nur den Mund aufmachen muss. Sein Leben besteht aus Luxus und Vergnügen – umso absurder erscheint ihm die Vorstellung, auf eine winzige, geheime Akademie für Gestaltwandler verbannt zu werden. Besonders, wenn das bedeutet, sein Quartier mit jemandem teilen zu müssen, sich Autoritäten unterzuordnen und, das schlimmste, sich anzupassen! Doch seine Eltern duldet keine Widerrede. Disziplin, Pflichtbewusstsein, Selbstkontrolle – all das soll er an der Beast Academy lernen, weil es ihm an genau diesen Eigenschaften mangelt. Trotzdem ist Drake davon überzeugt, sich mühelos durch die Semester schummeln zu können, zumindest, bis er dem unnahbaren Professor Rook begegnet. Der Rabenwandler strahlt eine gefährliche Faszination aus, und Drake spürt instinktiv, dass hinter dessen kühler Fassade mehr verborgen liegt, als es den Anschein hat.
Aus einem kleinen Knistern wird ein Spiel mit dem Feuer. Je näher Drake seinem verbotenen Schwarm kommt, desto tiefer verstrickt er sich in etwas, das völlig außer Kontrolle gerät. Und als die Wahrheit ans Licht drängt, steht nicht nur seine eigene Zukunft auf dem Spiel – sondern auch die des Mannes, den er nie hätte begehren dürfen.
Kapitel 1
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Ein äußerst arrogantes Raubtier
»Achtundvierzig, neunundvierzig ... fünfzig!«
Keuchend stemme ich die Langhantel zurück in die Halterung über dem Rack und verschnaufe einen Moment, während ich die Arme hängen lasse. Sie fühlen sich an wie Pudding. Meine Muskeln zittern, ich bin schweißgebadet, so wie jedes Mal nach meinem Training, und doch liebe ich dieses Gefühl. Sieben verschiedene Einheiten, anderthalb Stunden, alle zwei Tage – mein absolutes Minimum - sonst dreh ich durch.
›Wenn die in dieser dämlichen Akademie keinen vernünftigen Fitnessraum haben, rollen Köpfe!‹
Noch immer atme ich schwer, während mein erschöpfter Blick an einem unansehnlichen Fleck der Stuckdecke unseres Trainingszimmers hängen bleibt, den ich mir schon seit sechs Jahren, sieben Monaten und vierzehn Tagen ansehen muss, weil ihn nie jemand weggeputzt hat.
Langsam ziehe ich die Hände hoch und lasse sie über meine Bauchmuskeln fahren. Welle für Welle gleiten sie unter meinen Fingerspitzen entlang bis an meinen Unterbauch, auf dem sich ein getrimmter Haarpfad befindet.
»Humphrey?«, schnaufe ich, ohne den Blick auf meinen Handtuchständer zu lenken, der diesen Namen trägt und seit über einer Stunde statuenhaft an der Seite steht.
»Ja, Master Drake?«, antwortet er dienstbeflissen wie eh und je und schluckt hörbar.
»Geh raus, schließ die Tür und lass niemanden rein! Ich will allein sein.«
»Sehr wohl, Sir.« Meine Order ernüchtert ihn. Sicher wäre er mir jetzt lieber anderweitig zur Hand gegangen, doch er tut, was ich sage, so wie immer.
Sobald mein Butler den Raum verlassen hat, wuchte ich mich in die Senkrechte und ziehe mein triefendes Shirt aus. Dabei fühle mich um die sechzig Jahre älter, als ich bin, denn meine Schultern brennen wie Hölle. Trotzdem schreite ich hoch erhobenen Hauptes vor den großen Wandspiegel, lasse meine lockere Designer-Jogger auf halbe Arschhöhe sinken und betrachte meinen frisch aufgepumpten Körper.
Langsam streichen meine Hände darüber. Meine goldenen Iriden blitzen animalisch unter den silbernen Haaren hervor, die von ebenso goldschimmernden Strähnen durchzogen werden.
»Ich gehöre zur absoluten Elite«, wispere ich stolz, ziehe grinsend die Oberlippe hoch und spanne meine perfekt geformten Brustmuskeln an. »Ich bin stark, schnell, ungezähmt und ... so geil wie kein anderer!«
Ganz ehrlich. Wolverine ist ein Scheiß gegen mich! ... Als er in meinem Alter war, versteht sich.
Meine Finger rutschen in meine Hose, befühlen meinen dicken Schwanz, der sich bei dem heißen Anblick langsam aufpumpt. Ja, ich würde mich ficken, wenn ich nicht ich wäre. Die ganze Nacht. So richtig versaut und hart.
»Alle liegen mir zu Füßen, beten mich an und wollen, dass ich‘s ihnen besorge ...« Ich beginne, mich zu wichsen, und lehne mich mit einem Arm an den Spiegel, um mir tief in die glühenden Augen zu sehen. »Sie verehren mich ... sie lieben mich ... und haben gleichzeitig Angst vor mir!«
›Ja ... genau so soll es sein!‹
Ich heble meine voll aufgerichtete Latte über den Bund der Sporthose, verenge meine Faust und stoße mich nun deutlich energischer in sie hinein, bis ich von immer stärkeren Schüben der Lust durchflutet werde.
»Ich bin ein Jäger«, grolle ich an die kalte, glatte Fläche, auf der mein heißer Atem kondensiert, während meine Reißzähne hervortreten. »Ich bin ein Raubtier ... eine Bestie ... ein -«
»Füchscheeeen!?«
Die grelle Stimme meiner Mutter schneidet sich durch meine Gehörgänge und köpft meine Lust. Panisch lasse ich meinen kurz vor dem Ausbruch stehenden Vulkan los und zerre mir die Jogginghose bis an die Nippel, um ihn zu verdecken. Runterbiegen ist nicht!
»Ist er immer noch da drin?«, höre ich sie schon in den Gang hinein fragen und suche bereits panisch mein Shirt.
»Äh ... ja, Ma’am, aber -«, ehe Humphrey den Satz beenden kann, reißt sie die Tür auf und stemmt die Hände in die Hüften.
»Drake! Was machst du noch hier? Hast du mal auf die Uhr geschaut? Dein Flieger geht in zwei Stunden!«
»Ja, ja«, murre ich und halte mir mein Shirt vor die Brust, da ich es nicht geschafft habe, es überzuziehen. »Ich gehe nur noch schnell duschen, dann bin ich fertig.«
»Schön, aber bitte beeil dich. Harold holt bereits den Wagen.« Sie winkt mich heraus und deutet meinem Diener mit einem angewiderten Schwenker ihres Handgelenks, zu lüften. »Gepackt hast du?«, hakt sie nach, während wir in den opulenten Flur laufen, und sieht mich unter der wallenden Mähne ihrer schneeweißen Haare prüfend an.
Ich nicke und ziehe die Stirn in Falten. »Natürlich ... hat das Humphrey für mich erledigt.«
»Oh gute Güte ...« Sie verdreht die Augen. »Na hoffentlich hat er auch ein paar wichtige Sacheneingepackt! Nicht nur tonnenweise von deinem Schnullizeugs!«
Ich werfe ihr einen bockigen Seitenblick zu. »Ich bin fast achtzehn, Mom! Ich habe Männerkram und kein Schnulli-«
»Ooooh, das heißt, wir können Mister Hiddleston endlich wegwerfen?«, unterbricht sie mich grinsend und ich bleibe abrupt stehen.
»Was? ... Nein!« Mister Hiddleston ist ein hasenartiges Plüschtier, das ich seit meinem dritten Geburtstag habe – und das einzige, wohlbemerkt, das ich noch immer besitze! »Der fällt unter Nostalgie!«
»Aber er müffelt«, spricht sie weiter, huscht als Erste um die Ecke, in mein Zimmer, und sucht ihn bereits.
»Tut er gar nicht!« Gerade bin ich heilfroh, dass ich ihn heute Morgen auf den Schrank geworfen habe, um ihn zu verstecken.
»Doch, tut er und ich ahne auch warum! Du klemmst ihn dir immer noch jede Nacht zwischen die Beine, stimmts? Dieses Plüschkarnickel hatte mehr Eier im Gesicht als der Osterhase!«
»Das war unter der Gürtellinie ...«
Sie wirbelt herum. »Apropos, zieh deine mal etwas tiefer, du siehst aus wie Opa Welsh! Fehlt nur noch die Wampe.«
Zungenschnalzend tue ich, was sie sagt, denn nach der Diskussion ist meine Leidenschaft eh dahin. »Ich geh duschen!«, murre ich anschließend und nehme die bereitgelegten Sachen vom Bett. »Was ist das denn? Ein Anzug?«
»Natürlich! Du willst doch vernünftig aussehen, oder nicht? Außerdem gilt an der Beast-Akademie eine gewisse Kleiderordnung! Ach ja – sämtliche Accessoires, Parfums, Schminke, Haarspray, Gel und Schmuck sind verboten, weil das alles bei den Shifting-Übungen zu Verletzungen führen kann oder zu leicht entzündlich ist. Also lass das Zeug lieber gleich im Bad liegen, damit du nicht in Versuchung kommst!«
»Dein Ernst?« Ich fahre mir durch die gestuften Zotteln, die nur an den Seiten kurz sind. Normalerweise frisiere ich sie mir immer äußerst stilvoll nach oben und dann leicht seitlich, was megaheiß aussieht. »Ohne Gel hängen die mir einfach nur platt in die Stirn und ich sehe aus wie Dreizehn!«
»Drake, das ist eine Elite-Einrichtung für Wandler, keine billige private Model-Schule! Ich weiß, du bist es von der Highschool gewöhnt, der Stylishste und der einzig Besondere zu sein, aber auf dieser Akademie sind alle etwas Besonderes und wer wie viel auf dem Konto hat, interessiert dort niemanden! Zudem gibt es da weitaus größere Raubtiere als Füchse! Glaub mir bitte: Es wird dir deutlich besser gehen, wenn du lernst, dich anzupassen!«
Für den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich, ob sie mich gerade auf den Arm nehmen will. Ich und anpassen in einem Satz ist ungefähr genauso logisch, wie Santa Claus und Tiefseetauchen! Aber so ernst bittend, wie sie mich ansieht und die Tatsache, dass sie aus eigener Erfahrung spricht, weil sie selbst dort war, lässt leider nicht viel Freiraum für andere Möglichkeiten.
Stöhnend lege ich den Kopf in den Nacken und schlurfe ins Bad. »Ich weiß schon, warum ich verdammt noch mal nach Vancouver wollte! An der scheiß British Columbia gibts keine verfluchte Kleiderordnung!«
›Und dort wäre ich definitiv der dickste Fisch gewesen!‹
Damit knalle ich die Tür hinter mir zu und trete wütend den Mülleimer durchs Zimmer.
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Ich hab mich wieder beruhigt.
Nicht, weil ich mich den Bestimmungen beuge, sondern weil ich beschlossen habe, darauf zu scheißen! Also, nicht wortwörtlich, versteht sich, aber mental!
Mein Vater hat dieser dämlichen Akademie die Sanierung des Essensaals gesponsort. Die werden sich hüten, mich zu reglementieren!
›Ich kann tun und lassen, was auch immer ich will!‹
Frisch geduscht drehe ich mich von links nach rechts und betrachte mich dabei in meinem großen ovalen Standspiegel.
Ja, gut. Maßgeschneiderte Anzüge stehen mir, besonders wenn ich vorher schön gepumpt und Kreatin genommen hab – mit den formellen Klamotten kann ich mich also arrangieren. Zumindest während des Unterrichts. In meiner Freizeit trage ich, was ich will, und daran kann mich auch niemand hindern.
Haargel und Spray landen trotz des Verbots in meinen Haaren und anschließend in meinem Handgepäck. Genauso wie ein paar meiner heiß geliebten Parfums, Halsketten und Ringe, von denen ich drei direkt anlege. Der erste Eindruck zählt, besonders bei Wandlern, und ich will nicht aussehen wie der letzte Bubi, wenn ich da ankomme!
›Wollen doch mal sehen, ob die sich trauen, mir in die Haare zu greifen, wenn ich behaupte, dass die von Natur aus stehen! Und meine Ketten kann ich auch einfach heimlich unter der Kleidung tragen!‹
»Drake«, drängelt meine Mutter schon wieder durch die Tür und klopft. »Bist du fertig? Du musst los!«
»Ja, nur noch eine Sekunde!«
Ein letzter Blick in den Spiegel. Ja – passt!
Ich bin der geborene Ladykiller! Heiß, maskulin, stylish, reich! ... Dass ich in Wahrheit auf Kerle stehe, muss ja nicht gleich jeder wissen.
Stürmisch schnappe ich mir meinen Rucksack und meine lederne Designer-Umhängetasche, in der sich mein Laptop befindet, atme einmal tief durch, entriegle die Tür und öffne sie. Beinahe stoße ich gegen meine Mutter, die schon wieder direkt davor steht und mich perplex anstarrt, doch ich mache einen eleganten Schlenker um sie herum, gebe ihr im Vorbeigehen noch schnell einen Kuss auf die Wange und verdünnisiere mich.
»Also dann, ich meld mich, wenn ich ange-«
»Sag mal, hast du mir vorhin überhaupt zugehört?«, ruft sie mir wütend nach, was selten der Fall ist, doch es beschleunigt nur meinen Schritt. »Das ist alles andere als angepasst!«
»Heute ist Anreisetag, Mom, da wird schon keiner meckern!« Ich drehe mich nicht mal mehr um und hebe nur noch die Hand zum Abschied. »Morgen passe ich mich ganz fürchterlich an, versprochen.«
Ich kann erstklassig lügen. Man könnte sogar sagen, ich habe naturgemäß ein Talent dafür, Menschen zu täuschen, sie mit Leichtigkeit zu manipulieren und in die Irre führen. Sei es durch Worte, Verhalten oder Ablenkungsmanöver.
Leider ist meine Mutter die Einzige, die mich immer durchschaut.
»Drake, du tust dir damit keinen Gefallen! Höre bitte auf mich! Nur dieses eine Mal! Ich will doch nur das Beste für dich!«
»Ja, Mom, ich weiß! Mach dir keine Sorgen!«
»Wie könnte ich das nicht? Dafür kenne ich dich viel zu gut«, ruft sie mir noch hinterher, während ich die breite Treppe der Eingangshalle unseres Anwesens herunterlaufe, an dessen Ende Humphrey bereits auf mich wartet. Aber das stoppt ihre Abschiedsrede nicht. »Benimm dich bitte ... benutz Präservative, wenn du am Wochenende feiern gehst, und bring um Gottes Willen niemanden um! Das ist kein reines Karnivoren-Institut und es gibt genügend Wandler, die ihre Fähigkeiten weniger gut unter Kontrolle haben als wir!«
»Ja, Mom!« Ich verdrehe genervt die Augen.
›Kann dieser Moment eigentlich noch peinlicher werden?‹
Humphrey reicht mir meine Schuhe und hält mir meinen schwarzen Gucci-Mantel auf, damit ich hineinschlüpfen kann.
»Bitte melde dich, wenn du in Harrisburg angekommen bist ... und pass auf dich auf«, höre ich sie jetzt nur noch schluchzend rufen, woraufhin ein leises: »Ich liebe dich, Füchschen«, folgt.
Ich schlucke den Kloß herunter, der sich augenblicklich in meinem Hals bildet, und tue so, als hätte ich es nicht mehr gehört, denn darauf antworten kann ich gerade nicht. Vor den Bediensteten sind mir derartige Liebesbekundungen unangenehm.
Stattdessen durchschreite ich eilig die massive Eingangstür, welche mir Humphrey aufhält, und fixiere die große, schwarze Familienlimousine, die mich zum Flughafen bringt. Auch der Fahrer steigt sofort aus, um sich knapp zu verbeugen und mir die Tür zu öffnen.
»Alles Gute, Master Drake!«, ruft mein Butler plötzlich und bleibt oben auf der Treppe stehen, woraufhin ich mich verdutzt umdrehe.
»Hä? Kommst du später nach, oder was?«
»Äh ... nein, Sir, tut mir leid.« Er räuspert sich, während er einen Regenschirm aus der neben ihm stehenden Halterung nimmt. »Sie werden in einem Flügel der Akademie wohnen, zusammen mit anderen Studenten. Dort sind keine Haustiere oder ... private Bedienstete erlaubt.«
»Haha«, pruste ich und nicke. »Wusste gar nicht, dass du so ein Scherzkeks bist, Humphrey. Jetzt beweg deinen Arsch hier runter, sonst verpass ich meinen verdammten Flieger.«
Ich will mich bereits wieder zum Wagen drehen und einsteigen, doch da räuspert er sich erneut und macht keinerlei Anstalten, meinem Befehl zu folgen?!
»Tut mir leid Sir, aber das war kein Scherz«, erwidert er trocken und ich spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht sackt. »Nehmen Sie den lieber mit, für heute Nachmittag ist in Rockford Regen angesagt.« Damit wirft mir der Wichser auch noch eiskalt den Regenschirm in die Arme, von dem ich nicht mal weiß, wie er aufgeht!
»D-Das kann doch unmöglich dein Ernst sein?«, stammle ich und starre ihn an. »Wieso hat mir das keiner vorher gesagt?«
»Sie haben nicht gefragt.«
»Natürlich hab ich nicht gefragt«, stoße ich wütend aus und bin kurz davor, ihm den dämlichen Schirm an die Birne zu pfeffern. »Ich bin fest davon ausgegangen, dass du mitkommst!«
Aber Humphrey wiegt nur noch den Kopf hin und her, wobei er sich sichtlich ein Grinsen verkneifen muss. »Nun ... vermutlich hat es die Madame auch nicht gezielt erwähnt, aus Angst, Sie könnten daraufhin ablehnen, die Akademie zu besuchen. Aber ich bin mir sicher, dass Sie, als eloquenter, dynamischer junger Mann, der Sie sind, auch eine Weile ohne einen Butler zurechtkommen werden.«
Für eine Sekunde möchte ich ihn erwürgen!
Klar kann ich auch ohne Butler zurechtkommen, aber ich will nicht, verflucht! Ich hab keinen Bock, aufzuräumen, zu putzen und meine Sachen zu waschen, geschweige denn sie zu bügeln oder mit ähnlich profanen Aufgaben meine Zeit zu verschwenden!
»Dann begleite mich wenigstens noch zum Flughafen und trag meinen Koffer«, fordere ich, denn bis dahin brauchen wir gut zwanzig Minuten, in denen ich mir einen Plan überlegen kann, wie ich ihn durch die Kontrollen schmuggle. Allerdings scheint er mir selbst das zu verleiden, denn er verpisst sich hinter die Eingangstür und hält diese zum Zuschlagen bereit, sollte ich ihn kidnappen wollen.
»Tut mir leid, Sir, doch Madame Lavinia hat mich schon aus Ihrem Dienst gezogen und besteht darauf, dass ich Ihr Zimmer säubere, sobald Sie weg sind. Aber ich wünsche Ihnen einen guten Flug und einen wundervollen Start in der neuen -«
»Ja, klasse, drauf geschissen«, motze ich ihm nur noch angepisst dazwischen und steige in den Wagen ein. »Wehe du schmeißt irgendwas von meinem Zeug weg, dann beiße ich dir den Kopf ab, wenn ich wiederkomme!«
Mit einem lauten Knall ziehe ich die Tür zu und trete gegen den Fahrersitz. »Fahr los, verdammt! Wenn ich wegen dir meinen Flieger verpasse, bezahlst du mir einen Privatjet von deinem Gehalt!«
»J-Jawohl, Sir!«, stottert er und brettert los.
Zähneknirschend genehmige ich mir eine kleine fünf Zentiliter Scotchflasche aus der Minibar, um meine Nerven zu beruhigen. Den restlichen Inhalt befördere ich in meinen Rucksack, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Humphrey nichts dergleichen in meinen Koffer gepackt haben. Sobald alles verstaut ist, lehne ich mich in den weichen Ledersitz, atme erst mal durch und beobachte, wie unser Anwesen im Rückspiegel immer kleiner wird.
Ein drückendes Gefühl macht sich in meiner Brust breit, also versuche ich, mir selbst Mut zuzusprechen.
›Was solls. Ging mir eh auf den Sack, der Kerl. Ohne ihn bin ich besser dran! Außerdem: Wie schwer kann es schon sein, ein bisschen Staub zu wischen oder ein Bett zu beziehen? Ich krieg das auch problemlos alleine hin ...‹
Oder ich bezahle jemanden, der es für mich macht.
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›Nie wieder fliege ich mit einer so ordinären Airline!‹
Dieses Flugzeug war eine Beleidigung! Für mich. Für meinen Rücken. Für die gesamte Menschheit – zumindest für die mit einem Mindestmaß an Stil!
›Erste Klasse – pah! Dass ich nicht lache!‹
Die Sitze waren härter als mein Schicksal, das Essen matschig und der Champagner so lauwarm, als hätte die fette Stewardess versucht, ihn auszubrüten! Für einen Moment überlegte ich sogar, ob ich stattdessen Leitungswasser verlangen sollte. Immerhin wäre das kühl gewesen, in dieser Höhe. Schräg mir gegenüber saß eine Frau, die in Parfum gebadet hatte, und aus der Economy-Class plärrte ein Baby mit einem senilen Typen um die Wette, der immer wieder nach Gisela verlangte, die sich offenbar nicht an Bord befand. Ob Gisela eine Frau, ein Huhn oder sein Frühstücksbrötchen war, hab ich nicht mehr herausgefunden, denn da fand ich endlich meine Bluetooth-Kopfhörer und verband sie mit der Bordunterhaltung. Ich glaube, ich hab mich noch nie so sehr über eine Doku poppender Pottwale gefreut!
Nach viereinhalb endlosen Stunden, die sich eher wie Tage anfühlten, landeten wir endlich in Rockford – Illinois. Ich sprang so schnell auf, dass mir beinahe mein Sitz hinterher hüpfte, schnappte mir mein Handgepäck, das ich natürlich selbst tragen musste, und drängelte mich als Erster aus dem Flugzeug.
Doch dann traf mich die nächste Katastrophe: Ich musste auch noch mein Gepäck selber holen und darauf warten! Ja, an dem Punkt kam ich mir endgültig vor wie ein Märtyrer.
Resignierend fiel mein Blick auf das kreisende Gepäckband, das sich erst geschlagene zehn Minuten, nachdem ich in der Arrival-Area ankam, in Bewegung setzte. Da rollte sie an mir vorbei, die endlose Parade des schlechten Geschmacks, schief drapiert auf einem quietschenden Gummiband: Ein grellgrüner Plastiktrolley, ein rosa Gepäckstück mit Einhörnern und eines, das so abgewetzt war, dass es vermutlich schon in den 80ern mit demselben Besitzer durch die Weltgeschichte gurkte. Und dann, endlich, mein makelloser, monogrammierter Designerkoffer in glänzendem metallic-anthrazit, der in dieser trostlosen Landschaft fast so deplatziert wirkte wie ich.
Ich griff nach ihm, hob ihn mit der Eleganz eines Menschen, der eigentlich Angestellte für so etwas hat, vom Laufband und wartete weitere drei Minuten auf meinen Rucksack, den ich aufgrund der vielen enthaltenen Flüssigkeiten ebenfalls einchecken musste. Dann endlich zog ich hoch erhobenen Hauptes von dannen – auf den Parkplatz.
Jetzt brauche ich erstmal frische Luft! Und meine Sonnenbrille!
Kaum stehe ich vor dem Flughafen, kommt das nächste Level dieser grotesken Odyssee: Es ist kein Schwein mit meinem Namen auf einem Schild zu sehen?!
Wütend rufe ich zu Hause an, eine Bedienstete hebt ab und holt mir Humphrey ans Telefon, der mich anschließend an meine Mutter weitergibt. Ich frage sie, wo mein verdammter Fahrer bleibt, der mich zu dieser verfluchten Akademie bringen soll?!
Da sagt sie doch allen Ernstes, ich müsse auf den Uni-Shuttlebus warten, der zwischen allen Hochschulen der Stadt, dem Busbahnhof und dem Flughafen im Kreis pendelt.
Als ich sie daraufhin höflich frage, ob ihr der Tampon quer sitzt, wird sie wütend und meint, ich könne mir ja auch ein Taxi nehmen.
Vorgeschlagen, getan! Mein Blick wandert über die Auswahl. Nein, es stehen keine Limousinen bereit. Keine schwarzen Luxuskarossen mit getönten Scheiben und Fahrern, die den Mund halten. Stattdessen eine Reihe von Fahrzeugen, die aussehen, als würden sie nur durch Gebete, Dreck und Panzertape zusammengehalten. Ich atme tief durch – schon wieder, bald bekomme ich Schnappatmung! Ich unterdrücke den Drang, einfach rückwärts ins Flughafengebäude zurückzugehen, um einen Rückflug zu buchen, und winke das nächstbeste Taxi heran.
Der Fahrer mustert mich, als wäre er noch nie jemandem begegnet, der nach Geld und guter Hygiene riecht, dann öffnet er die Heckklappe und schmeißt meinen Koffer hinein. Ich ziehe derweil die Tür des linken Rücksitzes auf, setze mich und werde regelrecht erschlagen.
Der Geruch in diesem Auto ist eine Mischung aus schalem Energy, abgestandenem Rauch, Döner, billigem Lufterfrischer und einem Hauch von Tod. Meine Augen beginnen sofort zu tränen – zumindest anfangs, bis die oberste Schicht abgeätzt und verhornt ist.
Daraufhin lehne ich mich nur noch vorsichtig zurück, nenne die Adresse der Akademie und versuche seitdem, möglichst flach zu atmen, während ich mir einrede, dass mich an meinem Ziel ganz sicher eine Umgebung erwartet, die meinem Standard entspricht.
›Es ist eine Elite-Einrichtung! Die sind auf reiche Leute und deren Ansprüche eingestellt! Vermutlich wollen sie auch nur deshalb keine Bediensteten, weil es nicht genügend Gesindezimmer für alle gäbe!‹
Ich male mir ein Anwesen in der Art wie die X-Mansion aus, das schlossartige Internat von Professor Charles Xavier, dem Anführer der X-Men. Natürlich weiß ich, dass es sich hierbei nur um eine fiktive Geschichte handelt, aber die guten Universitäten sind alle in derartig prachtvollen Gebäuden. Und wenn man bedenkt, welchen Status meine Familie hat, kann ich wohl davon ausgehen, dass ich eines der hochklassigen, wenn nicht sogar das beste Zimmer bekomme, das der Laden zu bieten hat! Eine Suite – mindestens!
Leises Prasseln reißt mich aus meinen Wunschvorstellungen.
›Klasse. Jetzt fängt es auch noch an zu pissen!‹
Der Himmel scheint angesichts meiner Tragödie zu weinen, doch die Fahrt zieht sich unerbittlich im Schneckentempo dahin, denn offenbar hat es sich der Taxifahrer zur Aufgabe gemacht, jede rote Ampel der Stadt mitzunehmen und mich mit seiner abrupten Bremsweise wie einen Pingpongball regelmäßig und schwungvoll in den Sicherheitsgurt zu befördern!
Erst als wir die Stadtgrenzen passieren und durchs ländlichere Umland fahren, wird es besser.
Mein Körper versucht noch immer verzweifelt, sich gegen die schlechte Luft zu wehren. Ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile selbst nach Dönerbude oder diesem widerlichen Lufterfrischer rieche, der hier irgendwo im Wageninneren vor sich hin stirbt. Trotzdem halte ich eisern durch, schließlich bin ich kein Schwächling.
Kapitel 2
______________
Willkommen an der Academy
Als wir nach gut vierzig Minuten endlich das große Rondell vor der Einfahrt der Akademie erreichen, schicke ich ein Stoßgebet an alle höheren Mächte, die sich mit derartigen Debakeln auskennen, doch da bremst das Taxi abrupt.
Ich werde erneut in meinen Sicherheitsgurt geschleudert, eine weitere Erniedrigung für meine Beschwerdeliste, trotzdem reiße ich mich mühsam zusammen und werfe dem Fahrer einen gefrusteten Blick zu.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, frage ich genervt, da keine rote Ampel in Sicht ist, der er huldigen kann.
»Das Tor ist geschlossen«, sagt er und zeigt nach vorn, um mich auf das Offensichtliche hinzuweisen. Ich zucke zusammen.
›Fuck ... bin ich zu spät?‹
Panisch schaue ich auf mein Smartphone.
›Na ja, gerade mal zwanzig nach! Das geht doch noch!‹
Da sehe ich, wie sich das kleine Pförtnerhäuschen öffnet und ein Mann in Uniform herauskommt. Der Taxifahrer steigt aus, läuft schnell zu ihm unter das Vordach und sie reden einen Moment, während er mit dem Daumen über die Schulter auf mich zeigt. Ich nutze die Gelegenheit und kurble das Fenster herunter, um etwas frische Regenluft zu schnappen. Der Duft nach feuchter Erde, Steinen und Gras bläst mir entgegen und ich atme tief ein, um meinen Geruchsknospen eine Erholung zu gönnen. Allerdings dauert die nicht lange, denn der Fahrer zündet sich eine Zigarette an und eine Ladung Qualm verpestet meine Verschnaufpause.
Gleichzeitig wirft sich der Pförtner jedoch einen Regenmantel über und kommt, mit einem Klemmbrett in seiner Hand, zu mir rüber.
»Guten Abend«, sagt er höflich und lächelt mich unter seiner ausladenden Kapuze an. Plötzlich steigt mir der betörende Duft von nassem Nagetier in die Nase. »Würden Sie mir bitte Ihren Namen verraten?«
»Drake Holloway«, keuche ich und muss aufpassen, dass meine Reißzähne nicht herausschießen. Während er seine Liste durchgeht, läuft mir jedoch das Wasser im Mund zusammen und ich spüre, wie sich mein Blick fokussiert.
»H ... H ... Ho ... Hol ... ah, hier! Holloway, Drake! Wunderbar.« Ein schwungvolles Häkchen landet neben meinem Namen in der Tabelle. »Dann brauche ich jetzt nur noch Ihre Studienzulassung und Sie können durch.«
›Kann er haben ... und von mir aus auch direkt behalten!‹
»Ja, sicher. Einen Augenblick«, presse ich selbstbewusst hervor, obwohl ich keine Ahnung habe, wie die aussieht, geschweige denn, wo sie steckt. Also reiße ich mich gänzlich von dem verführerischen Pförtner los, versuche, mich zu konzentrieren, und krame gespielt zielsicher in meinem Rucksack herum, bis mir einfällt, dass ich den selbst gepackt und garantiert keinen Papierkram darin habe. »Ähm ... ich glaube, die ist irgendwo im Koffer. Ich wusste nicht, dass ich die hier griffbereit haben muss.«
Ein mitleidiger Blick trifft mich. »Das stand aber im Einladungsschreiben, Mister Holloway. Fett gedruckt ganz oben: Ohne Studienbescheinigung kein Zutritt zum Akademiegelände.«
›Sehe ich so aus, als ob ich den Wisch gelesen hätte? Wohl kaum!‹
»Kann ich die nicht nachreichen?«, stöhne ich leicht entnervt und fahre mir durch die gegelten Haare. »Sie haben doch meinen Namen auf der Liste!«
Unerfreulicherweise schürzt der Kerl die Lippen und schwenkt dabei eindeutig verneinend den Kopf hin und her, ehe er sich zu mir herunterbeugt. Der delikate Geruch verstärkt sich und gibt mir einen weiteren, animalischen Schub, der meine Pupillen spürbar verengen lässt.
»Tut mir leid, aber Sie wissen ja sicher, dass wir eine sehr ... spezielle Akademie sind«, wispert er mir zu und entlockt meiner Kehle ein jagdfreudiges Grollen, während ich mich haltsuchend in die speckigen Sitzpolster kralle. »Daher brauche ich Ihre persönliche Zulassung als Nachweis, dass Sie kein Hochstapler sind!«
All meine Muskeln versteifen sich. Sein Hals ist so nah, dass ich seinen Puls hören kann.
»Hhrr ... hrr ... Hrrhase!!!«
»Bitte?« Ertappt sieht er mich an und geht einen Schritt zurück, wodurch es mir endlich gelingt, mich wieder unter Kontrolle zu kriegen.
»Ich ... hrrr ... ähm ... Vase! Ich habe eine ... Vase ... in meinem Koffer! Von meiner Oma!«
Er blinzelt und schaut etwas verwirrt zur Seite. »Das ... öhm ... ist ja schön für Sie. Ich brauche aber trotzdem die Studien-«
»Ich werde jetzt ganz sicher nicht im strömenden Regen meinen kompletten Koffer ausräumen, nur um diese bescheuerte Zulassung zu suchen, verflucht!«
Der Pförtner schnalzt mit der Zunge, ehe er sich wegdreht. »Niemand zwingt Sie dazu, Mister Holloway, aber ohne darf ich Sie nicht aufs Gelände lassen.« Damit geht er einfach zurück in seine Furzkabine. »Nehmen Sie sich doch erst mal ein schönes, warmes Hotelzimmer, suchen dort in Ruhe Ihre Unterlagen zusammen, und kommen wieder, wenn Sie alles gefunden haben.«
Ich starre ihm hinterher und bemerke, wie sich der Taxifahrer gerade noch so sein hämisches Lachen verkneift. Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich sogar darüber nach, es dabei zu belassen, und lege mir schon ein paar schöne Worte für meine Mutter zurecht.
›Sorry Mom, Humphrey hat die Zulassung verbummelt und die ist dem schlecht bezahlten Mittelstandspförtnerkarnickel so unglaublich wichtig, dass ich ohne nicht auf der Beast studieren kann. Tja, Pech ... muss ich wohl doch auf die British Columbia.‹
Leider würde dies bedeuten, dass ich heute noch zurückfliegen müsste, und außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mich höchstpersönlich wieder herschleifen würde, wenn ich wegen so einer Lappalie nach Hause käme. Also stöhne ich nur noch genervt: »Warten Sie! Ich suche den dämlichen Wisch!« und ziehe meine Krallen aus dem Polster, ehe ich die Tür aufreiße und bemerke, dass ich den verfluchten Regenschirm im Flieger habe liegen lassen. Also halte ich mir meine lederne Umhängetasche über den Kopf, steige aus und winke den immer noch quarzenden Taxifahrer mit meinem Zeigefinger heran, damit er die Heckklappe öffnet. Der bleibt jedoch grinsend unter dem Vordach stehen und betätigt nur kackendreist seinen Funk-Pieper.
»Suchen Sie mal in Ruhe, aber das Taxameter läuft!«
›Dein Ernst? Jetzt soll ich dir auch noch dein Raucherpäuschen bezahlen, du Affe?‹
Ich versuche wirklich, ruhig zu bleiben, innerlich koche ich jedoch angesichts dieser bodenlosen Frechheit! Derweil reiße ich die Heckklappe hoch, lehne mich darunter und hänge meine Tasche um, da ich sie nicht auf die nasse Erde stellen will. Zähneknirschend zerre ich anschließend an dem Reißverschluss meines Gepäckstücks herum, nur um festzustellen, dass es abgeschlossen ist.
›Nein, nein ... tief durchatmen ... nicht ausrasten! Beherrsch dich, auch wenn du nur von verfluchten scheiß Idioten umgeben bist!!! Wie kann dieser Vollpfosten von Butler meinen Koffer abschließen und mir keinen verdammten Schlüssel geben, dieser -?‹
»Haben Sie vielleicht Ihren Ausweis zur Hand?«, fragt mich der Pförtner plötzlich mitleidig durch die offene Tür seines Kabuffs und hängt den Hörer einer Wechselsprechanlage zurück an die Wand. Offenbar hat er gerade mit irgendwem Rücksprache gehalten.
»Ja, natürlich!« Hektisch zücke ich mein Portemonnaie, das ich immer griffbereit in der Innenseite meiner Manteltasche habe, und reiche ihm die Karte mit meinen Personalien.
»Na gut.« Er nickt, nachdem er sie geprüft hat, und gibt sie mir wieder, bevor er zurückgeht. »Sie haben Glück. Sie sind der Letzte, der noch fehlt und alles wartet auf Sie, daher gab mir Professor Myrenhall die Erlaubnis, Sie durchzulassen, wenn Sie Ihre Identität anderweitig bestätigen können.«
›Klasse! Warum nicht gleich so?‹
Erleichtert atme ich auf, als er endlich das Tor öffnet. Dahinter erstreckt sich eine weitläufige Parkanlage. Immerhin: Sie sieht annehmbar aus. Gepflegt, mit alten Bäumen und sauber getrimmten Hecken. Nicht schlecht. Ich entspanne mich ein wenig. Vielleicht werde ich diesen Ort überleben.
Der Taxifahrer schnipst seinen Glimmstengel weg und kommt zurück. Ich will schon fast die Heckklappe zuschlagen und wieder einsteigen, damit wir die Allee entlang zur Akademie fahren können, aber da lehnt er plötzlich über den Fahrersitz, stoppt sein Abrechnungsgerät und hält mir seine stinkende Hand vor die Nippel. »Das wären dann glatt Fünfundsiebzig!«
Ich schaue für eine Sekunde durch die Seitenscheibe und schärfe meinen Blick. Auf dem Taxameter stehen achtundsechzig Dollar zwanzig, und das auch nur, weil es fast zehn Minuten lang unnötig weitergelaufen ist. Er packt also einfach mal ein fettes, selbstberechnetes Trinkgeld drauf und scheint tatsächlich zu denken, ich merke das nicht!
Ja ... hätte ich vermutlich auch nicht, wenn ich ein normaler Mensch wäre.
»Schön, aber erst fahren Sie mich noch da hoch«, ordere ich an und deute auf den Hügel, doch er schüttelt grinsend den Kopf und versperrt mir den Zugang zum Rücksitz.
»Geht nicht. Ich hab keine Studienzulassung«, gluckst er. »Die letzten Meter müssen Sie dann wohl zu Fuß gehen.«
Ich balle die Fäuste. Meine Krallen graben sich in mein Fleisch. Ich will ihn umbringen. Auf der Stelle! Aber der Pförtner beobachtet mich bereits skeptisch, also unterdrücke ich den Drang, mein Gegenüber mit einem kräftigen Biss ins Genick um die Verbindung seiner Wirbelsäule mit seinem Schädel zu erleichtern. Stattdessen nehme ich exakt achtundsechzig Dollar zwanzig aus meiner Geldbörse und werfe sie ihm vor die Füße.
Er schaut auf das Geld, das auf dem nassen Boden liegt, als wäre es ein überfahrener Igel. Sein Blick wandert für einen Moment von dem Haufen Scheine zu mir, dann wieder zurück. Er zögert, ob er es wirklich aufheben soll – wie ein hungriger Hund, der sich nicht sicher ist, ob man ihm Rattengift in sein Futter gemischt hat. Doch ich warte nicht, wie er reagiert, hole nur meinen Rucksack und ziehe wuchtig meinen Koffer aus seinem muffigen Wagen, um an ihm vorbeizugehen.
»Lassen Sie Ihre Karre säubern, sie stinkt!«
Zu meiner Belustigung ist er es nun, der sich zähneknirschend bückt, um das Geld aufzusammeln. Ich würdige ihn keines Blickes mehr, doch ich höre ihn leise fluchen: »Kleiner verwöhnter Bastard! Das ist der Duft harter Arbeit und all dem, was du nie verstehen wirst.« Daraufhin vernehmen meine sensiblen Sinne nur noch das Zuknallen einer metallisch scheppernden Tür, einen klappernden Zündschlüssel und den vibrierenden Sound eines alten Motors, der anspringt. In all diese Geräusche mischt sich das Quietschen des Tores, welches automatisch hinter mir zufährt.
Mein Koffer, dessen Griff schwer in meiner Hand liegt, rollt von einer Matschpfütze in die Nächste, bleibt immer wieder mal stecken und stoppt meinen kraftvollen Gang abrupt. Trotzdem laufe ich weiter, um mir wenigstens noch einen Hauch an Würde zu bewahren.
Der Regen nimmt zu, der kühle Wind peitscht mir die Tropfen ins Gesicht. Die Lachen, in die ich trete, spritzen mir kaltes Wasser bis zu den Knöcheln. Es fühlt sich an, als ob der ganze Tag eine Reihe von Erniedrigungen ist, die nicht enden wollen. Eine graue, enttäuschende Realität, die mich regelrecht depressiv werden lässt.
Ich blicke nach vorne, sehe den Hügel, der noch vor mir liegt, und dann endlich die Akademie.
Mein Herz rutscht mir in die nassen Gucci-Sneaker.
»Das ... das ist nur eine schnöde Villa!?«, keuche ich und kann es kaum fassen.
Alle Universitäten in Kanada, bei denen ich mich ursprünglich beworben hatte, sind megageile riesige Schlösser, ohne Ausnahme! Die University of Toronto, die McGill University in Montreal und auch die University of British Columbia in Vancouver - alle!
Das hier … ist eine Baby-Version einer Uni!
›Wie viele Leute können hier studieren? Hundert? Hundertfünfzig höchstens!‹
Ich zwinge mich, weiterzugehen, denn so langsam durchdringt der Regen meinen Mantel. Dabei mustere ich das Gebäude in all seinen trostlosen Einzelheiten. Ja, es ist ein gepflegtes, düsteres, fast gotisch anmutendes Anwesen, aber keine fucking X-Man-Mansion, so wie ich sie mir vorgestellt habe!Da sind keine Gargoyles, keine gewaltigen Marmortreppen, keine prunkvoll verzierten Balkone. Ich habe ein beeindruckendes Adelsanwesen erwartet, ein Schloss, eine Burg, irgendwas Mächtiges! Stattdessen bekomme ich ein kleines Herrenhaus für schwule Vampire!
Ich steige die Treppenstufen hinauf, überlege, ob ich klopfe, aber da ich von drinnen viele verschiedene Stimmen höre, lehne ich mich einfach gegen die Tür und siehe da – sie ist offen.
Vor mir erstreckt sich eine gut ausgeleuchtete Empfangshalle, voll mit anderen Neuankömmlingen, die mehr oder weniger ebenso patschnass sind wie ich.
Keine Sau beachtet mich, was mich sanft ankotzt. Andererseits vielleicht auch besser so, denn ich sehe ganz sicher aus wie ein begossener Pudel und mein herausgeregnetes Haargel hat mir inzwischen das gesamte Gesicht glasiert! Nachdem ich missmutig meine tropfende Kleidung begutachtet und mich innerlich von sämtlichen Vorstellungen einer eleganten Ankunft verabschiedet habe, lasse ich meinen Blick über die kleine Menge von Individuen schweifen und mit einem Schlag wird mir klar, dass Elite ein sehr dehnbarer Begriff ist. Die meisten von ihnen sehen nämlich ziemlich gewöhnlich aus und ich entdecke auch nur wenige Markenkoffer, geschweige denn Designerjacken oder Ähnliches.
Meine zukünftigen Mitstudenten unterhalten sich angeregt, sitzen auf ihrem Gepäck, essen Sandwiches oder stopfen sich mit Snacks voll. Ich sehe, wie einige ältere Studenten mit Klemmbrettern und großen Tabletts herumgehen, auf denen Thermoskannen stehen. Sie reden mit den Erstlingen, denn alle scheinen darauf zu warten, wie es weitergeht.
›Super! Und wie lange muss ich jetzt hier mit all dem Gesocks herumstehen und frieren?‹
Mit einem »Hey«, schwingt sich plötzlich ein bebrillter Typ in meine Optik und scheint meine Gedanken zu lesen. »Willkommen an der Beast-Academy! Ich bin Lionel! Magst du einen heißen Tee haben, zum Aufwärmen? Wir haben Schwarzen, Kräuter- und Früchtetee!«
Ich mustere den dicken grünen Rahmen seines Nasenfahrrads und seinen farblich passenden Baumwollpullunder, den er über einem billigen weißen Hemd trägt.
›Klasse. Ein Streber.‹
»Glüh-Gin mit Ginger Beer1 wäre mir ehrlich gesagt lieber, aber fürs Erste nehm ich den Kräutertee«, sage ich schnaufend und streiche mir die nassen Haare aus der Stirn.
»Okidoki!« Mein Gegenüber lacht verlegen, zückt einen Pappbecher aus einer Halterung seines Gürtels, an dem noch weitere dieser gestapelten Exemplare hängen, und drückt mir diesen in die Hand. Daraufhin nimmt er eine der drei Thermoskannen aus Plastik von seinem Tablett und gießt mir eine dampfende, grüne Brühe ein. »So!«, konstatiert er und sieht mich an, als würde er ein Danke erwarten, doch ich schnalze nur mit der Zunge und betrachte kritisch die heiße Pfütze in meiner Hand. »Also ... ähm ... wenn du Hunger hast, da drüben im Speisesaal ist ein kleines kaltes Buffet aufgebaut. Allerdings ist das schon ziemlich ausgeschlachtet. Einige der Neuankömmlinge waren bereits gegen Mittag -«
»Bhhrr«, unterbreche ich ihn mit einem angewiderten Brummton, als ich gekostet habe. »Boah, ist der bitter.« Aber heiß. Wenigstens etwas.
»Äh, ja. Also ich muss dann mal weiter. Die Professoren kommen sicher gleich!« Er will sich verdünnisieren, doch da halte ich ihn auf.
»Hey, hör mal zu. Ich hab gerade keinen Nerv mehr für irgendwelche schnulzigen Willkommensreden, okay? Ich würde mir gerne erst mal ein Zimmer aussuchen und heiß duschen! Wo gehts hier zu den Suiten?«
Lionel glotzt mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er sich die Eier bügelt.
»Aaaaah!« Plötzlich lacht er einfach los und klopft mir auf die Schulter. »Hähähä. Wirklich witzig! Fast hättest du mich gehabt! ... Suiten! Hähähähä! Na dann, bis später!« Damit dreht er sich um und geht.
Ich lege stöhnend den Kopf in den Nacken, öffne den Mund und schließe ihn wieder.
Einatmen. Ausatmen.
›Kann dieser Tag eigentlich noch entsetzlicher werden?‹
Da diesem Gedanken keine plötzliche Wendung folgt und mir langsam der Hals wehtut, schwinge ich meinen nassen Schädel zurück und leere die bittere Plörre, ehe ich den Becher heimlich fallen lasse und mich weiter umschaue. Nicht in die Gesichter der anderen, selbstredend, denn die haben mich anzusehen, nicht ich sie! Nein, vielmehr halte ich nach einem Hinweis Ausschau, der mir verrät, wo es zum Wohnbereich geht, damit ich mir in Ruhe das beste Zimmer aussuchen kann, während die anderen hier unten ihre Zeit verdümpeln.
Ich kenne den Mist von mehrtägigen Ausflügen. Erst wird gelabert, dann verraten sie, auf welcher Etage man schläft, und schließlich rennen alle wie die Begasten los, um sich die besten Betten zu sichern. Auf diesen Kindergarten habe ich aber keinen Bock!
Die Halle beinhaltet gleichzeitig das Treppenhaus mit klassischer Y-Form, genau wie bei uns zu Hause. Die Stufen spalten sich auf Höhe der ersten Etage und führen dann nach links und rechts in den jeweiligen Flügel.
›Wenn ich da einfach so raufgehe, sehen mich alle.‹
Damit habe ich zwar sonst kein Problem, aber in diesem Fall sollte ich mich lieber unauffällig absetzen. Als ich in der Menge einen Rollstuhlfahrer entdecke, kommt mir eine Idee.
›Ja ... für solche Leute muss es doch einen Aufzug geben! Und in dem gibt es sicher auch einen Hinweis, wo die privaten Räumlichkeiten sind!‹
Ich dränge mich samt Gepäck diskret an meinen Kommilitonen vorbei und frage mich, an welchem Punkt meines Lebens ich so tief gesunken bin, dass ich mich hier herumdrücken muss. Vermutlich, als ich heute Morgen den Fitnessraum verlassen habe.
Der Marmorboden ist durch die tropfenden Leute gefährlich rutschig, und aus irgendeinem Grund riecht es mitten in der Halle verdächtig nach nassem Hund, obwohl alle in ihrer menschlichen Form sind. Trotzdem wundert es mich nicht, denn ich habe bereits ein paar sehr pelzige Arme gesehen.
Während ich mich durch all meine Mitstudenten dränge, fällt mir etwas auf: Ich sehe keine Mädchen. Kein einziges. Verdutzt lasse ich meinen Blick noch einmal langsam über die anderen Erstis schweifen – ja, alle männlich. Groß, klein, dick, schmächtig, nass bis auf die Knochen, trocken und mehr oder weniger unbeeindruckt von der Gesamtsituation – aber: nur Kerle.
›Ist das hier etwa doch keine gemischte Akademie?‹
Ja, scheint so. Aber wie ist das möglich? Immerhin hat meine Mutter hier studiert ... und die war nie ein Junge, soweit ich weiß.
›Oder war das gelogen?‹
Was auch immer sie damit bezwecken wollte, ging jedenfalls daneben, denn aufgrund meiner sexuellen Orientierung hat sie mir mit ihrer Wahl ja sogar einen Gefallen getan. Unbewusst – wohlgemerkt. Leider stand ich noch nie auf Gleichaltrige oder gar jüngere Typen, von daher kann es mir eigentlich auch egal sein, wer sich neben mir seinen Arsch auf der Bank plattsitzt.
Allerdings macht dieser Umstand meine heterosexuelle Fassade leichter, denn so muss ich mir keine Alibi-One-Nights arrangieren und kann einfach behaupten, ich hätte zu Hause eine rattenscharfe Freundin.
Da! Ein Hinweisschild zu einem Aufzug! Halleluja!
Doch gerade, als ich aus der vorderen Mitte zur Seite pirschen will, erklingt Musik. Dramatische, orchestrale Mucke, irgendwo zwischen epischem Hollywood-Filmtheme und gleich wird einer auf grausame Weise hingerichtet. Alle Köpfe drehen sich zur großen Treppe, die sich nun kaum mehr drei Schritte vor mir befindet, und dann erscheinen sie.
Vier Professoren schreiten majestätisch die Stufen herunter. Zwei von rechts, zwei von links. Ihr Timing ist so perfekt, dass ich mir sicher bin, sie haben ihren kleinen Auftritt die ganzen Ferien über geprobt und für einen kurzen Moment frage ich mich, ob ich in einem schlecht geschriebenen Internatsfilm gelandet bin ...
Links, als Erste, geht eine ältere Frau. Ihr wallendes Kleid schimmert im Licht der Kronleuchter und ihr blonder Dutt sitzt so perfekt, dass er vermutlich mit Heißkleber befestigt wurde. Ihre Haltung ist makellos, ihr Blick hat eine Prise Strenge, von der ich nicht genau sagen kann, ob sie sadistischer oder eher mütterlicher Natur ist. Wahrscheinlich beides. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie eine Ohrfeige mit der gleichen Eleganz verteilen würde, mit der sie eine Teetasse hält.
Hinter ihr wabbelt das genaue Gegenteil, ein kleiner, dicker Mann mit Glatze und einem Monokel, das ihm fast von der verschwitzten Backe flutscht. Sein Grinsen gefällt mir nicht. Solche Leute haben immer Pläne, die man erst durchschaut, wenn es zu spät ist. Er wirkt wie jemand, der einem zur Beruhigung ein Karamellbonbon anbietet und dann einen Aufsatz über die Themen der letzten drei Wochen verlangt.
Auf der rechten Seite kommt ein schlaksiger, langer Öko-Typ mit zerzaustem Haar, der aussieht, als würde er in seiner Freizeit Bäume sezieren. Sein brauner Leinen-Mantel hängt lose an seinem Körper und sein Blick sagt: Ich wäre jetzt viel lieber bei meinen Primeln.
Doch dann schaue ich, wer ihm folgt, entdecke den vierten Professor, auf dessen breiten Schultern ein langer, schwarzer Federmantel befestigt ist, der hinter ihm herrauscht, als bewege er sich in seiner eigenen Schwerkraft, und mein Herz setzt für einen Schlag aus.
›Alter Schwede ... ist der Kerl heiß!‹
Sein scharf geschnittenes Gesicht wird von pechschwarzen, schulterlangen Haaren umrahmt, von welchen ihm einige Strähnen in die Stirn fallen. Sein Ausdruck strotzt vor purer Verachtung für alles, was lebt, doch in völligem Kontrast dazu hat er fast schon unerhört volle, sinnliche Lippen. Seine dunklen, mystischen Augen sind von einem Hauch Kajal umgeben, was für einen Mann seines Alters äußerst ungewöhnlich ist, ihn aber gleichzeitig nur noch interessanter macht.
Ja, zugegeben, er ist etwas älter als mein übliches Beuteschema. Also, ich stehe ja durchaus auf ältere Typen, aber normalerweise sind die zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Er sieht aus, als wäre er Ende vierzig. Trotzdem hat er was, das mich völlig in seinen Bann zieht. Etwas Verruchtes, ja geradezu Böses und zugleich extrem Erregendes.
Er positioniert sich rechts außen, bewegt sich mit einer Mischung aus gelangweiltem Desinteresse und dem Misstrauen eines Mannes, der sich in einem Raum voller Menschen unwohl fühlt. Dann bleibt er, wie auch die anderen Dozenten, auf dem mittleren Bereich der Treppe stehen, als sei sie ein Podest. Von dort betrachtet er die Versammlung vor sich, als würde er uns alle kollektiv zu Insekten degradieren, und trotzdem, oder vielleicht sogar genau deswegen, werde ich hart.
Als er den Kopf langsam in meine Richtung dreht, verspüre ich zum ersten Mal in meinem Leben den Drang, unterzutauchen - weil ich mich für mein Erscheinungsbild schäme. Aber da ist es bereits zu spät.
Er entdeckt mich.
Als sich unsere Blicke treffen, scheint die Zeit für einen Moment stillzustehen. Ich glaube, ich bin der Einzige, der so dreist ist, ihn direkt anzusehen, denn alle anderen überflog er nur, während er bei mir verweilt und sogar für den Bruchteil einer Sekunde perplex wirkt. Doch dann weiten sich seine Augen und die offensichtliche Abscheu in seinem Gesicht trifft mich wie ein Schlag in den Magen.
›Nein ... nein, nein, nein! So erbärmlich sehe ich sonst nie aus! Bitte, ich gehöre zur Elite, ich ... fuck!‹
Panisch wische ich mir die nass-schmierigen Haare aus der Stirn und streiche sie hoch, straffe mich und strecke die perfekt trainierte Brust raus, aber gleichzeitig wird mir richtig schlecht. Meine Knie fühlen sich seltsam weich an, weshalb ich mich haltsuchend auf meinen Koffer stütze.
›Was zur Hölle ist das? So hab ich mich noch nie gefühlt!‹
Die Musik wird leiser, bis sie schließlich verstummt, und plötzlich habe ich das Gefühl, dass mich alle anstarren. Tun sie aber nicht. Keiner beachtet mich ... außer er. Es ist fast, als würde er nur mich sehen und sonst niemanden – jedoch nicht auf die gute Art. Eher wie eine Fliege in seiner Suppe!
Erst als die Professorin vortritt und ein Mikrofon von einem Studenten erhält, reißt er sich von meinem armseligen Anblick los.
»Willkommen in der Akademie der Brotherhood of Exceptional Ancient and Shapeshifting Talents«, beginnt sie, wobei ich zum ersten Mal realisiere, das Beast gar kein plumper Eigenname, sondern eine Abkürzung ist. Allerdings stand das auch nirgendwo ... glaub ich. »Ich bin Professorin Genevieve Myrenhall, Gründerin und Direktorin dieses einzigartigen Instituts«, verkündet sie weiterhin und ihre Stimme bekommt dabei den klirrenden Nachhall eines besonders feinen Kristallglases. »Ich unterrichte kreatives Shiften in Gestalt und Gesellschaft und betreue als Mentorin den oberen Westflügel. Außerdem bin ich ihre Ansprechperson für Disziplinarangelegenheiten.«
›Oh, fantastisch. Der Endgegner also.‹
Ich freue mich jetzt schon darauf, ihr Büro von innen zu sehen. Nicht.
Als nächstes reicht sie dem kleinen Glatzkopf neben sich das Mikrofon, der dabei vortritt und sich mit einem vergilbten Schnupftuch über die Stirn wischt. »Guten Abend meine Herren. Mein Name ist Lord Edmond Radclyffe. Ich bin Professor für ethische Fragen der Transformation und mythologische Wertmaßstäbe«, sagt er mit einer selbstgefälligen Note in der Stimme und lächelt dabei viel zu verschlagen, um wirklich harmlos zu sein. »Ich bin die Lehrkraft des Vertrauens für den unteren Westflügel.«
Also ich traue ihm nicht.
Der glitschige Dicke reicht das Mikro an den langen Bio-Lulatsch weiter, welcher es erst mal an seiner Filzhose abwischt.
»Ich bin Sir Percival Thornvale, Professor für Alchemie und Kräuterkunde«, murmelt er und schiebt dann ein etwas netter klingendes: »Ich kümmere mich um den unteren Ostflügel und bin außerdem für unseren schönen, akademieeigenen Garten zuständig« hinterher.
Auch er reicht das Mikrofon weiter, doch der Mann, der mich so aus der Fassung bringt, wirkt plötzlich, als hätte ihn jemand gegen seinen Willen hierher gezerrt. Ich tippe darauf, dass es diese Myrenhall war. Er tritt nach vorn und die schwarzen Federn seines Umhangs schwingen dabei um seine Beine, als bewege er sich in einem Wind, den nur er spüren kann. Dann schnauft er, als müsse er kurz überlegen, was er sagt.
›Ist er etwa aufgeregt? ... Ich werd` schwach.‹
»Professor Rook – Dozent für animalische Instinkte, kreatürliche Tarnung und arkanes Gleichgewicht«, führt er erwartungsgemäß knapp an und ist damit der Einzige, der seinen Vornamen für sich behält. Dazu weder eine Begrüßung, noch ein Lächeln. Nur eine tiefe Stimme, die sich durch den Raum schneidet wie ein Dolch durch warme Butter. »Ich betreue den oberen Ostflügel« ist das Einzige, das er noch als Info anfügt, was eigentlich überflüssig ist, da nichts anderes übrig bleibt, es sei denn, er ist Professor des Dachbodens.
Seine fast schon übertrieben gefühlskalte, akzentuierte Art zu sprechen besitzt jedoch einen überraschend melancholischen, beinahe sanften Unterton, der mir eine anhaltende Gänsehaut verpasst.
Der Nachname Rook, was dunkler Turm oder auch Krähe bedeutet, passt jedenfalls zu ihm, wie die Faust aufs Auge – und das nicht nur wegen seiner großen Erscheinung, den schwarzen Klamotten und dem Federumhang. Er hat auch durchaus Ähnlichkeiten mit dem Hauptprotagonisten aus dem Film »The Crow – Die Krähe«.
Ja, auf jeden Fall. Gleicher Typ, dieselbe Frisur, und der verachtende Rache-Blick kommt auch hin – nur das die Professoren-Version hier wesentlich älter ist, als es der Schauspieler je wurde, und dieser im Film deutlich mehr Lack und Leder trug, soweit ich mich erinnere.2
Ohne weitere Worte gibt Rook das Mikrofon an die Direktorin zurück und bleibt neben ihr stehen, während sie ihre Rede beginnt. Die Frau spricht von Regeln, Verantwortung, einer glorreichen Zukunft für aristokratische Wandler – bla bla bla. Ich höre nicht zu. Mein Fokus liegt einzig und allein auf dem Mann in Schwarz, oder eher auf diesen dunklen Augen meines persönlichen Untergangs. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem die Schulleiterin das Klemmbrett erhält, mit dem einer der Studenten vorhin herumgegangen ist.
»Wir lesen nun Ihre Namen vor und teilen Sie einem Mentor zu«, sagt sie und holt mich damit auf den nasskalten Boden der Tatsachen zurück.
›Scheiße! Steh ich da drauf? Der Typ war doch noch gar nicht bei mir?! Oder war das der Tea-Guy?‹
»Bitte begeben Sie sich nach der Zuteilung mit Ihrem Gepäck zu dem jeweiligen Professor«, spricht die Schulleiterin weiter. »Dieser führt Sie dann in seinen Flügel und teilt Ihnen ein Zimmer zu.«
Lautstarkes Gemurmel macht sich um mich herum breit und ich höre deutlich heraus, dass keiner zu Rook will, denn der erscheint den meisten unheimlich.
Soll mir recht sein, ich bin auch gerne allein mit ihm.
Der Reihe nach ruft Myrenhall nun alle Studenten auf und nennt den dazugehörigen Namen des Hauslehrers. Offenbar sind die Wohnbereiche unten größer als oben oder sie sind ungleich belegt, denn die meisten werden Radclyffe und Thornvale zugeordnet. Nur gut ein Drittel landet bei Rook und ihr selbst.
Meine Hände beginnen zu schwitzen. Immer weniger Studenten bleiben übrig, Grüppchen bilden sich, und obwohl ich angesichts dieser Prozedur froh sein kann, dass ich nicht schon vorher verschwunden bin, bete ich darum, dass mir das Schicksal endlich wieder gnädig ist und mich zu meinem Schwarm führt.
»So. Das müssten dann alle gewesen sein«, sagt die Direktorin plötzlich und ich frage mich, was ich getan habe, um so vom Universum gequält zu werden. Gerade als ich mich einfach kackendreist in die kleine Rook-Gruppe stellen will, hakt sie jedoch nach: »Wenn jemand nicht aufgerufen wurde, melden Sie sich bitte jetzt und kommen zu mir.«
»Hier, ich«, ruft plötzlich ein junger, rothaariger Typ hinter mir und ich bin erleichtert, dass ich wenigstens nicht der Einzige bin, den sie vergessen haben.
»Ich auch«, stimme ich daraufhin ein, lasse meinen Koffer vor der Treppe stehen und laufe mit dem Rotschopf zusammen die dreizehn Stufen nach oben. Dabei bemerke ich, dass Professor Rook zur Seite geht, als wolle er absolut nichts mit mir zu tun haben, was mir einen kleinen Stich versetzt.
Noch bevor ich auf seiner Höhe stehe, bemerke ich einen betörenden Geruch aus seiner Richtung, der all meine Sinne anspricht. Ich hab keine Ahnung von Düften, aber es riecht warm und holzig, wie alte Bücherregale, mit einer kühlen, blumigen Note, die sich kaum greifen lässt. Etwas Erdiges schwingt ebenfalls mit, dunkel und tief, als hätte er Regen auf der Haut und den Wald in seinen Adern. Es ist geradezu berauschend.
Je näher ich ihm komme, desto stärker treten meine Krallen hervor, mein Puls rast und mein Mund wird trocken. Trotzdem wage ich es, aufzuschauen, als ich neben ihm stehe, und ihn direkt anzusehen.
Er ist größer als ich! Gute zehn Zentimeter, mindestens! Von oben herab erwidert er meinen Blick, wenn auch nur aus dem Augenwinkel, und in meiner emotionalen Verzweiflung grinse ich ihn plötzlich verschmitzt an.
›Komm schon! Hab mich gern! Ich bin heiß ... und extrem scharf auf dich! Siehst du das nicht?‹
Pustekuchen.
Sein vernichtender Blick würde selbst tote Blumen verwelken lassen.
›Vielleicht sollte ich ihm mal zuzwinkern?‹
Plötzlich stößt mich mein zukünftiger Mitstudent mit dem Ellbogen an und ich lenke meinen Fokus unfreiwillig auf die alte Schachtel, die mich ansieht, als würde sie irgendetwas von mir erwarten?!
»Sie hat dich nach deinem Namen gefragt«, zischt mir mein Mitvergessener zu und ich versuche, mich zu besinnen.
»Äh ... sorry. Drake Holloway.«
»Ach, Sie sind das!«, stößt Myrenhallaus und zieht die Augenbrauen hoch. Offenbar hat sie schon von mir gehört. »Der junge Mann, der vor dem Tor seine Unterlagen nicht gefunden hat.«
›Super. Dafür bin ich jetzt also bekannt? Der Typ, der keinen Plan hatte, wo seine Papiere sind? Klasse!‹
»Ihre Mutter war zweimal Jahrgangsbeste und eine absolute Vorzeigeschülerin an unserer Akademie, Mister Holloway. Machen Sie ihrem Namen besser keine Schande.«
»Ich doch nicht ...«, erwidere ich und bemerke nervös, wie sie die Liste durchgeht. »Na schön, wo haben wir denn noch Platz für Sie beide? Hm ...«
›Ist etwa alles voll? Na wunderbar. Kann ich ja gleich wieder gehen!‹
»Mister Peterson, sind Sie ein Herbivore3?«
»Ja«, antwortet er angespannt.
»Gut, dann kann ich Sie noch bei Professor Thornvale unterbringen. Und da Sie, Mister Holloway, scheinbar sehr interessiert an Professor Rooks Gesellschaft sind, dürfen Sie sich in den oberen Ostflügel begeben.«
›JA!!! Das Universum liebt mich doch!‹
Sie sagt das, als wäre es eine Strafe, aber ich muss aufpassen, nicht vor Glück aufzuspringen oder zumindest über beide Ohren zu grinsen. Gerade als ich mit einem neutral-gepflegten »Wie Sie wünschen«, antworten will, zischt Rook jedoch scharf zu uns rüber: »Das kommt nicht infrage!«
›Was???‹
Ich spüre, wie mein Auge zuckt, und weiß gerade nicht, ob ich beleidigt oder fasziniert sein soll.
Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass mich jemand nicht will! Sonst war ich immer der Erste, der gewählt wurde - beim Sport, bei Gruppenarbeiten, als Händchenhalten-Partner in der Preschool - bei allem!
Professor Myrenhall scheint jedoch genauso überrascht zu sein und dreht sich langsam zu ihm um. »Bitte? Warum denn das?«
»Ich habe meine Gründe! Außerdem ist er ein Karnivore! Geben Sie ihn Radclyffe!«
»Ist er nicht«, widerspricht sie jedoch. »Er ist ein Omnivore, was bedeutet, dass Sie oder ich für ihn zuständig sind – und mein Flügel ist voll!«
›Ah. Das ist also das ausgeklügelte System hinter der Aufteilung?! Wie simpel.‹
Rook stutzt, sieht mich verwirrt an, doch dann kommt er wuchtig auf uns zu, wobei er einen sehr auffälligen Bogen um mich macht.
›Aber wiesoooo? Ja, ich bin nass ... Moment. Stinke ich?‹
Während mein Mentor in spe die Direktorin zur Seite nimmt und ihr etwas ins Ohr flüstert, schnuppere ich unauffällig an meiner Achsel. Doch sie schüttelt den Kopf und sieht aus, als würde sie die Einwände ihres Kollegen nicht ernst nehmen und ihn fast schon bemitleiden.
Sie flüstert zurück und ich versuche krampfhaft, herauszuhören, was sie sagt, doch dank dem laut rauschenden Gesprächsbrei in dieser Halle ist das trotz meines geschärften Hörsinns unmöglich. Das Einzige, was ich verstehe, ist: »Wie kommen Sie denn auf den Blödsinn? Nein, er ist kein ...« Sie nuschelt den Rest, doch ich glaube, noch ein Wort verstanden zu haben.
›Was?! ... Biber? ... Hat Sie gerade ernsthaft Biber gesagt? ... Ich bin kein beschissener Biber, verdammt! Sehe ich etwa aus, als würde ich Bäume verköstigen!?‹
»Er ist bei Ihnen ganz wunderbar aufgehoben«, sagt Myrenhall unbeirrt und mit fast normaler Lautstärke, während sie ihm etwas schroff auf die befederte Schulter klopft. »Von allen Lektionen hier, braucht er die Ihren am dringendsten. Sie sind die Basis dafür, dass er die anderen Seminare überhaupt besuchen kann ... Das wird schon!«
Ich verstehe zwar nicht so ganz, warum ich arkanes Irgendwas unbedingt brauche, aber in erster Linie frage ich mich gerade ernsthaft, was Rooks Problem mit mir ist?!
›Wovor hat er denn Angst?