Ich, Alexander. Liebling der Götter. - Wulf Mämpel - E-Book

Ich, Alexander. Liebling der Götter. E-Book

Wulf Mämpel

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Beschreibung

Alexander. Lichtgestalt und absoluter Herrscher der antiken Welt? Wer war er wirklich, was hatte er für Gedanken, Ziele und Träume? Viel, vielleicht alles ist über diesen Glückspilz geschrieben worden: In Hunderten von Büchern, Schriften, Romanen und Diplomarbeiten - warum also dieser kleine Monolog über einen Mann, den die Nachwelt den Großen nennt? Schon in seiner Jugend wurde der zukünftige Erfolg des Helden angedeutet, weil seine vielen Talente geweckt werden konnten. So entstand ein ungewöhnlicher Text, von ihm drei Jahre vor seinem frühen Tod dem vertrauten Freund, Liebhaber und General Hephaistion diktiert. Die "Ilias" war für Alexander sein Leben lang das entscheidende Buch, das ihn auf all seinen Kriegszügen begleitete. Immer wieder las er, wie er stets betonte, "meinen Homer". Wie hat er gedacht, gefühlt, worüber hat er philosophiert, was hat er in seinen Träumen erlebt? Was machte ihn so groß? Diesen Fragen möchte das kleine Buch nachgehen. Es ist auch eine traumhafte Unterhaltung geworden zwischen zwei Helden: ihm selbst und dem gottähnlichen Achilles aus der "Ilias" des Homer. Dieser fiktive Monolog ist das Ergebnis langer und intensiver Recherchen. Sie begannen schon vor über dreißig Jahren. Die Fragen damals wie heute: Was sind Helden heute noch wert, wie hat sich unsere Heldenverehrung im Laufe der Zeit verändert oder ist sie in jeder neuen Generation neu zu diskutieren? Alexanders Traum von einer neuen, gerechten und sozialen Welt wurde brutal beendet: Er starb im Alter von nur 33 Jahren in Babylon. Als Krieger und nicht als Messias! Seine Pläne wurde nicht realisiert . . . Der Monolog ist auch als Text für ein Hörspiel, für die Theater-Bühne, für Schüleraufführungen und Schauspielschulen gedacht, obwohl Monologe aus der Mode gekommen sind. Also: Vorhang auf!

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Texte: © Copyright 2020 by Wulf MämpelUmschlaggestaltung: © Copyright by BJM

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Für Thora, Kiki, Carolin und Hendrik Jacobus

Kurzvita Wulf Mämpel

Der Essener Journalist Wulf Mämpel (Jahrgang 1943) war 40 Jahre als Redakteur in leitender Funktion im Verlag der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) tätig, davon 33 Jahre als Lokalchef in Essen. Heute ist er als freier Journalist, Moderator und Buchautor aktiv. Wulf Mämpel war Begründer und 30 Jahre lang Vorstandsvorsitzender des „Freundeskreises Theater und Philharmonie“ in Essen. Die Memoiren des Francis Drake sind sein fünfter historischer Roman, insgesamt verfasste er 20 Bücher, darunter auch einen Krimi. Wulf Mämpel ist Träger des Verdienst-Ordens und des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland und Träger des Verdienst-Ordens „Pro ecclesia et pontifice“ des Papstes von Rom für seine Verdienste als „Moderator der Kulturen“. Außerdem Träger der Goldenen Ehrenplakette der Stadt Essen

Wulf Mämpel

 

Ich,

Alexander.

Liebling der Götter.

 

Intime Gedanken des großen Makedoniers, der gerne Achilles gewesen wäre – bis sich beide begegnen.

 

Historischer Monolog.

Quidquid agis,

prudenter agas

et respice finem!

(Was du auch tust, tue es klug und beachte das Ende)

Herodot

Alexander.

  

Lichtgestalt und absoluter Herrscher der antiken Welt? Wer war er wirklich, was hatte er für Gedanken, Ziele und Träume? Viel, vielleicht alles ist über diesen Glückspilz geschrieben worden: In Hunderten von Büchern, Schriften, Romanen und Diplomarbeiten - warum also dieser kleine Monolog über einen Mann, den die Nachwelt den Großen nennt? Schon in seiner Jugend wurde der zukünftige Erfolg des Helden angedeutet, weil seine vielen Talente geweckt werden konnten. So entstand ein ungewöhnlicher Text, von ihm drei Jahre vor seinem frühen Tod dem vertrauten Freund, Liebhaber und General Hephaistion diktiert. Die „Ilias“ war für Alexander sein Leben lang das entscheidende Buch, das ihn auf all seinen Kriegszügen begleitete. Immer wieder las er, wie er stets betonte, „meinen Homer“.

 

Sein Gegner, der persische Herrscher Dareios III. unterschätzte den zwanzigjährigen Makedonier, als dieser gegen Persien mobil machte. Denn Alexander war nicht nur ein tapferer Soldat, der das Gefecht in vorderster Reihe suchte, er war ein begnadeter Stratege und dazu hochgebildet, was über einen Feldherrn nicht immer zu sagen ist, wenn man sich seine „Nachfolger“ im Laufe der Jahrhunderte anschaut. Sein Lehrer war das Universalgenie Aristoteles, der den Prinzen aus Pella zehn Jahre unterrichtete. Sein Wissen wurde das Wissen des späteren jungen Königs, der im Alter von 20 Jahren Nachfolger seines eher vulgären Vaters König Philipp wurde. Dreizehn Jahre sollte Alexander danach noch leben. Was für dreizehn Jahre! Kann ein Mensch in dieser Zeit die damalige Welt aus den Angeln heben? Alexander konnte es!

 

Wie hat er gedacht, gefühlt, worüber hat er philosophiert, was hat er in seinen Träumen erlebt? Was machte ihn so groß? Diesen Fragen möchte das kleine Buch nachgehen. Es ist auch eine traumhafte Unterhaltung geworden zwischen zwei Helden: ihm selbst und dem gottähnlichen Achilles aus der „Ilias“ des Homer. Sie lebten in zwei unterschiedlichen Epochen und Welten: Alexander, mit 28 Jahren Herrscher der Welt. Sagenumwoben, Freund alles Schönen, Frauenheld und homoerotisch zugleich, klug, spontan, eitel, cholerisch, charmant, maßlos, brutal und wiederum ein glühender Verfechter der schönen Künste. Und Achilles, Sohn der Göttin Thetis und des Peleus, unbesiegbar, Held von Troja, Bezwinger des Hektor. Ein Held und Halbgott seines Autors Homer - in diesem Buch Dialogpartner des Alexander. Ein ausgelassenes Gespräch zwischen zwei unsterblichen Helden und über die bis heute anhaltende Heldenverehrung.

 

Denn was ist heute anders als früher: Wenn man sich die Helden unserer Tage anschaut, dann wird es mit der Idealisierung und der Verehrung wohl auch so bleiben: Robin Hood, Zorro, Tarzan, Commander Kirk, Superman, Batman, Spiderman, Harry Potter und viele andere in Romanen, Filmen und in der virtuellen Welt. Doch Alexander fasziniert heute noch Millionen! Denn der große Unterschied, er ist keine Erfindung, sondern Realität.

 

Alexander starb 323 v. Chr. in Babylon, der blühenden Weltstadt, mit nur 33 Jahren. Sein ungewöhnlicher Plan, die größte Bibliothek der damaligen Welt in seiner von ihm gebauten neuen Metropole Alexandria in Ägypten zu errichten, erlebte er nicht mehr. Das war seinen Nachfolgern, dem aus Makedonien stammenden Geschlecht der Ptolemäer, überlassen. Doch er konnte noch den Grundstock mit seiner eigenen Bücher- und Schriftensammlung legen. Sein Lehrmeister Aristoteles starb ein Jahr nach Alexanders Tod im Alter von 62 Jahren. 324 v. Chr. war bereits sein enger Freund Hephaistion gestorben. Die Aufzeichnungen des Alexander - so wird vermutet - lagen viele Jahrhunderte in der Bibliothek in Alexandria, wurden aber ebenso ein Raub der Flammen wie alle anderen bedeutenden Werke . . .

 

Dieser fiktive Monolog ist das Ergebnis langer und intensiver Recherchen. Sie begannen schon vor über dreißig Jahren. Die Fragen damals wie heute: Was sind Helden heute noch wert, wie hat sich unsere Heldenverehrung im Laufe der Zeit verändert oder ist sie in jeder neuen Generation neu zu diskutieren? Was unterscheidet die Helden von damals von den Helden von heute? Kann ein Kriegsherr ein Förderer des Humanismus und der schönen Künste werden? Wenn ja, wie?

 

Fazit: Die Grenzen zwischen Mensch und Mythos waren und sind in der Überlieferung seiner Taten und seines Wesens fließend. Alexander, den die Nachwelt infolge seiner unglaublichen militärischen Erfolge den „Großen“ nennt, und Aristoteles, dessen philosophische Schriften das abendländische Denken entscheidend geprägt haben. Staunend und fasziniert entnehmen wir den Quellen, wie der berühmte Philosoph an den makedonischen Königshof gerufen wurde, um den späteren Welteroberer zu unterrichten. Nur zu leicht vergessen wir dabei, dass weder Alexander zu jener Zeit bereits sein Schicksal kannte, noch Aristoteles dieses Ansehen genoss, das ihm heute zuteilwird. Alexanders Traum von einer neuen, gerechten und sozialen Welt wurde brutal beendet: Er starb im Alter von nur 33 Jahren in Babylon. Als Krieger und nicht als Messias! Seine Pläne wurde nicht realisiert . . .

Der Monolog ist auch als Text für ein Hörspiel, für die Theater-Bühne, für Schüleraufführungen und Schauspielschulen gedacht, obwohl Monologe aus der Mode gekommen sind. Also: Vorhang auf!

 

Ich danke meiner Frau, die mir Mut machte, mich diesem ehrgeizigen und ungewöhnlichen Vorhaben zu widmen. Es bedurfte langer Gedankensprünge und das Abtauchen in immer tiefere Gedankenfluten, Erinnerungen und Vermutungen. Ich danke meinen Freunden Frank Hornberg, der als kundiger Lektor fungierte, und Bernd J. Meloch für seine technische Hilfe.               

Wulf Mämpel

 

MONOLOG.

EINS.

 

(Auftritt Alexander - vor dem Vorhang zu sprechen:)

 

Das vieltausendjährige, sagenumwobene Babylon: Leuchtende Fackel und Tor der Götter, mächtige Feste des Perserreiches, einst das sündhafte Babel, heute die reichste Stadt im Zweistromland, in deren Schatzkammern sich Berge von Gold und Silber und Edelsteinen häufen, Zentrum orientalischer Kultur, der Ausschweifungen, aber auch der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit. Was macht eine große Stadt zu einer Metropole? Nicht die Häuser, sondern die Menschen! Sie und die vielen Legenden bestimmen den Mythos dieser Metropolis. Sie wird meine neue Hauptstadt werden denn wozu habe ich Reiche erobert, Männer gemordet, Könige entthrontundGötter beleidigt, um dann wieder nach Pella zurückzukehren? Niemals!

 

Mein Vater hat einen für mich richtungsweisenden Satz gesprochen, als er aus Eifersucht sagte: „Mein Sohn, suche Dir ein anderes Königreich. Makedonien ist zu klein für Dich!“Daran erinnere ich mich in diesem Moment: Ich, Alexander, auf der Terrasse liegend, kühlen Wein trinkend, grübelnd und meinem Schreiber, Heerführer und Freund Hephaistion diktierend. Heimweh nach Pella kenne ich bisher nicht: Für mich ist die Fremde zum Vaterland geworden! Makedonien ist überall dort, wo ich glücklich bin!

 

(Der Vorhang öffnet sich, Alexander geht zu seiner bequemen Liege)

 

Mein Chronist sitzt vor einem Schreibpult, vor sich einen großen Packen Papyrusbögen. An der Wand neben mir lehnt mein breites Kampfschwert. Auf einem anderen Tisch stehen Getränke und Schalen mit frischen Früchten. Ich räkele gemütlich auf einem Triclinium, auf dem das Fell eines von mir erlegten Leoparden liegt. Ich liebe diesen animalischen Geruch. Ein dreiköpfiges Orchester mit Trommel, Kamanja und Flöte spielt leise Weisen. Ein warmer Wind weht durch den Palast am Ufer des Euphrat . . . es ist vier Uhr nachmittags. In den weitläufigen Gärten patrouillieren Elitesoldaten, die mir treu ergeben sind, denn zwei Attentate konnten in den vergangenen vier Monaten verhindert werden.

 

(Alexander setzt sich)

 

Ich hatte eine ruhige Nacht. Mein leichtes Frühstück bestand aus Früchten und frisch gebackenem Brot. Dazu trank ich Kamelmilch, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe. Mittags gab es eine gedünstete Hühnerbrust mit gestoßenem Curry . . . Für den frühen Abend habe ich Oliven, Feigen, Brot, Lammfleisch, Salzfische, Waldbeeren, Wein und Wasser bestellt. Was wichtiger war: Ich habe die täglichen Audienzen abgesagt und empfange niemanden. Dieser Tag gehört mir allein! Meinen Gedanken und meinen Träumen . . . besonders einem Traum, der mich vor drei Tagen überfiel und den Plan in mir reifen ließ, meinen Freund zu bitten, meine sich formenden, kühnen Gedanken niederzuschreiben . . . denn Lebenserinnerungen sind eine perfekte Gelegenheit, die Wahrheit über andere zu sagen! Sie sind wie ein langer Brief an Dich, mein Freund, an mein Volk und an meine Nachfolger!

 

(Alexander beginnt den Monolog:)

Heureka!

Wir beginnen meinen Monolog arrogant, mein guter Hephaistion, das wird sie alle maßlos ärgern. Denn ich weiß nur zu gut: Die Rebellen von gestern sind die Despoten von heute. Der einzige Mann, dem ich seine Beleidigung nicht übel nahm, sondern mit einem lauten Lachen quittierte, war Diogenes von Sinope, der bescheidene große Denker, als ich zu seiner Tonne getreten war, in der er hauste und ich ihn fragte, was ich für ihn tun könne: „Geh mir ein wenig aus der Sonne!“ Ich liebe solche Menschen, die aus der Bahn gefallen sind, obwohl ich völlig anders strukturiert bin. Weil sie anders sind als ich, toleriere ich sie und ihre Boshaftigkeiten.

 

 Ich kann Dir nicht sagen, was mich bewegt, welche böse Ahnung mich antreibt. Im Grunde gibt es keinen Grund für meine innere Nervosität. Denn mein Werk ist fast vollbracht. Jetzt fehlen vielleicht noch die arabische Halbinsel, der Westen des Mittelmeerraumes und das arrogante Phönizien mit seiner Hauptstadt Karthago, was kein großes militärisches Problem darstellen wird, nachdem Ägypten bereits mir gehört. Nun habe ich mehr Zeit, mein Großreich zu ordnen und zu verwalten, die Satrapen auszuwählen, sie zu prüfen und zu kontrollieren und mich meinen künstlerischen Neigungen hinzugeben, die mir der klügste Mann der Gegenwart in zehn spannenden Jahren, als ich sein wissbegieriger Student und er mein Lehrer war, beibrachte. Aristoteles sagte: „Wer in schönen Dingen einen Sinn entdeckt, der besitzt Kultur. Doch Menschen mit Kultur sind oft sehr einsam, weil ihnen das Gegenüber fehlt. Aber das Volk ist dumm, wäre es gebildeter, es wäre nicht klüger.“ Und dann zitierte er seinen eigenen Lehrer Platon: „Kultur ist der Sieg der Überzeugung über die Gewalt und das Beste gut genug.“ Und Hippokrates sagt: „Unser Leben ist kurz, die Kunst aber ist lang.“

 

Du wunderst Dich, mein lieber Freund, solche Worte von mir, dem Hegemon, zu hören, von einem Kriegsherrn und Eroberer. Ja, ich bin nicht mehr der, der ich noch vor zehn Jahren war. Ich spüre eine andere, eine neue Kraft in mir, nachdem Siege mich süchtig gemacht haben. Ich will meine Stellung nutzen, große Dinge zu vollbringen. Wer, wenn nicht ich, sollte dazu fähig sein? Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen, wie unsere Philosophen uns weiß machen wollen. Ich bin jetzt in dem Alter, indem ich erkennen muss, besser, erkenne, dass es noch andere Werte auf der Welt gibt. Wir können nur einmal leben und nur einmal sterben - in dieser Zeit besteht die Möglichkeit, etwas aus sich zu machen und etwas für andere zu schaffen. Etwas ganz Großes und Unverwechselbares. Das Beste! Das will ich von nun an als mein Lebenswerk formulieren. Sie sollen eines Tages über mich sagen: „Das hat Alexander geschafft, der aus Makedonien stammte. Alexander, der Held, der Herrscher der Welt!“

 

Lieber Freund, ich habe alles erreicht, was ein Mensch erreichen kann. Denn ich habe früh begriffen: Nichts ist überzeugender als der Erfolg! Leichter ist der Abstieg zur Hölle! Und doch werde ich einige wichtige Dinge ändern müssen, die nicht allen gefallen werden. Ich sage es hier deutlich: Wer an den Aufgaben meines Reiches keinen Anteil nimmt, ist kein friedlicher Bürger, sondern ein schlechter Bürger. Das Glück meines Lebens hängt von der Beschaffenheit unserer Gedanken und Ziele ab. Dazu gehören Freiheit und Mut, erst das ist das wahre Glück eines Menschen. Freiheit und Mut. Ich habe den Mut, mich neu zu definieren, mein Leben zu ändern, wenn Du es so nennen willst. Zu dieser Veränderung gehört auch die Erkenntnis, dass wir Menschen nicht nach ihrer Herkunft beurteilen dürfen, sondern nach ihrer Tüchtigkeit. Ich habe erkannt: Schrecklich ist die Masse Mensch, wenn sie schlechte Könige als Führer hat. Also handelte ich nach dem bewährten Motto, das mir schon meine Mutter Olympias immer wieder sagte: Nichts ist unmöglich für den, der es versucht!

 

(Alexander erhebt sich und reicht seinem Freund eine Weintraube, geht dann auf und ab)

 

Ich suchte gestern, als Du mit Stadthaltern des Reiches verhandelt hast, um unseren Nachschub für die Wintermonate zu organisieren, das große Lager unserer Verwundeten auf, die in ein paar Tagen in ihre Heimatländer zurückreisen. Viele unter ihnen haben ein Bein, den Arm oder ein Auge verloren, andere haben ihren Verstand eingebüßt. Tapfere Männer allemal! Ich sprach lange mit ihnen, einige weinten und küssten mir die Hand. Ich möchte, dass Du sie in Würde entlässt, es sind fast vierhundert Männer. Du bist mir verantwortlich, dass sie ein sicheres Geleit erhalten, bis sie bei ihren Frauen und Kindern sind. Jeder der Männer erhält einen Beutel mit zehn Goldstücken, hörst Du? Damit ihr Start ins Privatleben ohne materielle Sorgen beginnen kann. Und zwar zusätzlich zu ihrer eigenen Beute. Wehe, sie werden ausgeraubt! Wer einen Kameraden bestiehlt, der verliert sein Leben als Warnung für andere Diebe. Ich möchte, dass auch die Witwen meiner tapferen Krieger versorgt werden. Sie erhalten fünf Goldstücke, egal ob sie wieder vermählt sind oder nicht. Ihr Leid soll gemildert werden. Die meisten dieser Armseligen sind einsam, verarmt, wenig geachtet und nicht selten alleinerziehende Mütter. Aber alle sollen sagen, dass Alexander an sie denkt und sich dankbar zeigt. Wir haben Tempel und Hallen voll von Goldstücken, erbeutet in Ägypten, Assyrien, Mesopotamien, Persien, Libyen, Lykien und am Hindukusch. Noch einmal: Du bist mir verantwortlich, dass dies nach meinem Willen geschieht. Was wäre ich für ein Herrscher, würde ich diese treuen Menschen im Stich lassen. Das wird niemals geschehen, dass eine junge Witwe sich das Leben nehmen muss, weil sie arm und verzweifelt ist, da ihr Ehemann für Alexander starb. Ich möchte als großzügig gelten, möchte ein Gönner sein. Es gibt Leute, die geizen mit ihrem Verstand wie andere mit ihrem Gold. Beide mag ich nicht. Großmut findet immer Bewunderer, selten Nachahmer. Der Geizhals stirbt vielleicht als reicher Mann, aber niemals der Geiz selbst.

 

Nun möchte ich das tun, was meiner Seele guttut, verstehst Du das? Ich werde mein Leben ändern, vorbei sind die Fresswellen, die Sexwellen, die Saufwellen, die Gewalt- und Zorneswellen, auch die der quälenden Askese, der wilden Jagden und tagelangen Orgien. Vorbei, mein Freund. Wir, die herrschende Oberschicht, die Elite, wie wir uns gerne nennen, wähnen uns am Puls der Zeit, glauben, alles zu wissen und zu können und sind doch nur Mitläufer eines vorgegebenen, manipulierten Zeitgeistes. Wir hängen an den Spielfäden der Götter und müssen uns ihre Launen gefallen lassen. Von Übel ist daher für mich diese Haltung: Alles wurde schon gesagt, nur eben von diesen oder jenen noch nicht! Der Philosophen Schar wird dann immer lauter, wenn es gilt, die Entscheider zu kritisieren, zu bespötteln und zu diffamieren. Sie schmücken sich mit dem großen Mantel der Weisheit, halten die gefühlte Wahrheit für die echte Wahrheit. Und wir springen über jeden Stock, den sie uns vorhalten. Kaum einer von den Weisen unserer Tage trägt auch nur einen Hauch von Verantwortung. Wie Spinnen schießen sie ihr Gift, ihre hasserfüllten Flüche und beleidigenden Tiraden hinaus in die Welt, wohl wissend, dass sie bewusst Angst verbreiten und Aufruhr und Revolte. Ich bin sehr froh, mein Freund, dass ich sie meist früh erkenne und sie dann bloßstelle. Sie bekommen ihren schnellen, öffentlichen Prozess als eine Art Warnung für andere - und danach ihre harte Bestrafung: den Tod wegen Aufruhrs, Verschwörung und Verleumdung gegen das Reich und ihren Herrscher. Sie vergiften die Seelen meiner braven Mitbürger unter dem Schirm der Demokratie und der Freiheit. Und genau das werde ich zu verhindern wissen! Sie meinen Demokratie und rufen ständig nach ihr, beschwören sie auf dem Altar der Gleichheit, der Brüderlichkeit und der Freiheit, dabei wollen sie nur ihre eigene Macht erhalten und ihre Beutel mit Gold füllen. So ist der Mensch, ein Spiegelbild der sich untereinander streitenden, rivalisierenden Götter! Ich sage: Das ist königlich, dass man Böses über sich sagen lässt von einem, dem man Gutes getan hat. Ab sofort sollen in den Gerichten die Gesetze sprechen und die Führer schweigen.

 

(Alexander setzt sich wieder, trinkt seinem Freund zu)

 

Wir haben zwischen der Diktatur, der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie zu unterschieden. Der gute Perikles wollte sicher nur das Beste für das Volk, doch mit der Zeit scheiterten seine Ideale und die der Stadtstaaten an der Gier der Neider in seinem engen Umfeld und an der fehlenden Machtfülle. Die attische Demokratie, in der jeder männliche Bürger über wichtige Probleme mitentscheiden durfte, bis einer unter ihnen das Ruder übernahm und die endlosen Wortbeiträge beendete. Da nicht alle die gleichen Rechte besaßen - Frauen, Kinder, Sklaven und Fremde hatten nichts zu vermelden - blieben viele der guten Ideen auf der Strecke. Die Agora entwickelte sich zu einem Forum der Eitelkeiten. Wichtigtuer übernahmen das Zepter, Verbalpragmatiker, wie ich sie gerne nenne, bestimmten durch ihre unbestrittenen Redetalente die Machtfragen des Staates, nicht aber durch Ideen und Lösungen. Und mir nichts dir nichts saß die Tyrannei wieder auf dem Thron. Es darf nicht sein, dass der beste Redner letztendlich bestimmt, was des Königs Sache ist. Es entsteht dann die Macht des Wortes über die Vernunft. Hinzu kamen Korruption und Postenverteilung. Die neue Elite war geboren, aus deren Mitte sich ein gottloser Diktator entwickelte. Diese Gesetzmäßigkeit haben die rechtmäßigen Könige dann wieder unterbrochen. Ich sage daher: Ich habe keine Angst vor einem Heer von Löwen, das von einem Schaf angeführt wird. Aber ich habe Angst vor einem Heer von Schafen, das von einem Löwen angeführt wird. Die Narren reden am liebsten von der Weisheit, die Schurken von der Tugend. Und die Helden von ihren Taten. Doch wer besitzt die Qualität, ein Held zu sein und die göttliche Gabe, andere zu faszinieren? Du weißt ja, das Bild eines Helden wandelt sich mit dem Zeitgeist und der wechselnden Macht des Neides. Der frühe Tod so sehe ich das heute so darf nicht zu einem blinden Rausch werden. Heldentod ist oft nichts anderes als Dummheit, Heldenleben ist wahre Größe. Doch niemand kann sich von dem Meer aus Blut befreien, wenn die dunklen Gedanken quälen und den Mythos vernebeln. Die charismatische Tatkraft des Helden weicht zurzeit einem melancholischen Heldentum, weicht dem grübelnden Philosophen, der seine Rüstung ablegt und das Schwert beiseitelegt ich spüre es bereits bei mir selbst. Haben Homer und sein Heldentum also geirrt, hat das alte Heldentum ausgedient und damit keine Zukunft mehr?

Ich glaube, es ist ein auf und ab und daher gottgewollt, dass Könige das Sagen haben. Demokratie ist etwas für Theoretiker und Philosophen, nicht für Herrscher. Ohne einen starken und klugen Anführer geht es in einer Demokratie eben auch nicht. Demokratie muss Macht entfalten können, sonst herrscht das Chaos, um hier wieder Aristoteles zu zitieren. Stell Dir einmal vor, lieber Hephaistion, der Senat müsste eine Armee kommandieren, um die aggressiven Perser zu besiegen - was würde in solch einem Fall geschehen?

 

 Ich frage Dich also: Kann ein Feldherr, der zehn lange Jahre durch ein Meer von Blut gewandert ist, überhaupt eine Seele besitzen? Gar Gefühle und Emotionen? Ist dieser Mensch, der König dieser Territorialmacht, nicht ein gefühlloses Geschöpf, von den Göttern auserwählt, von Sieg zu Sieg zu eilen, bewundert oder sogar angebetet zu werden, ein gottähnlicher Mensch? Du hörst den Zweifel in meinen Worten? Aristoteles zwang uns zu zweifeln, um die Wahrheit zu erkennen. Ich sage heute aus Überzeugung: Ich will Frieden machen, solange ich noch kämpfen kann! Denn ich gestehe einen großen Fehler ein, den ich heute bereue, aber nur Dir gegenüber zugebe: Das war die Vernichtung Thebens. Nach dem Tod meines Vaters empörte sich die Stadt gegen mich auf die irreführende Nachricht meines frühen Todes. Schon nach zwölf Tagen stand ich mit einer kleinen Streitmacht vor den Mauern und zerstörte sie nach dem Beschluss des korinthischen Beratergremiums. 6000 Thebaner fielen, 30 000 wurden als Sklaven verkauft. Ich ließ nur das Haus des großen Dichters Pindar stehen. Die klugen Thebaner waren eben nicht klug genug zu begreifen, dass ich dieses Exempel gleich zu Beginn meiner Herrschaft statuieren musste, um Abtrünnige zu warnen. Mit Abtrünnigen ist kein Staat zu machen und kein Reich wie das der Perser zu besiegen. Wir benötigten einen Bund aller Hellenen!

 

Eine andere Frage stelle ich mir heute: Kann solch ein Feldherr sich verändern in Richtung Gutmensch, weil er möglicherweise eingesehen hat, nach all dem Erreichten Gutes tun zu müssen, um, ja, um seine Seele zu befrieden und seine Eitelkeit zu streicheln? Kultur statt Speer? Kunst statt Schwert? Worte statt Waffen? Es ist verhext, ich stelle mir diese Fragen in meinem Alter, als würde ich den nahen Tod erahnen! Als würde ich vor ein Tribunal gerufen und müsste mich verteidigen, mich erklären. Ich, Alexander, der erkannt hat, dass ich meinen Eltern das Leben verdanke und meinem weisen Lehrer das gute Leben. Aber es ist wahr: Es gibt keine anderen Welten mehr zu erobern. Daher steht mein Plan fest: Auf meinen Eroberungszügen habe ich die griechische Kultur und Sprache eingeführt, habe neue Handels- und Verkehrswege erschlossen. Mein Ziel ist nun die Gründung eines einheitlichen, abendländischen und morgenländischen Weltreiches mit Babylon und Alexandria als Hauptstädte. Ich werde sechs Monate in Babylon regieren und sechs Monate in Alexandria. Die Grenzen meines Reiches werden die gleichen sein, die die Götter als Grenzen der Erde gesetzt haben. Dabei musst Du mir helfen, mein Freund. Du kennst meine geheimen Wünsche, meine Gedanken und meine Ansprüche: Trotz aller militärischen Überlegenheit waren es nicht meine Siege, sondern meine Politik, die mich zum Herrn der Welt machte. Nicht dogmatisch begründete ich meine Herrschaft, sondern durch kluges Prüfen der Lage und pragmatische Lösungen, die sich daraus ergaben. Ich verzichtete darauf, die eroberten Länder als reine Beute zu begreifen. Stattdessen holte ich die jeweiligen Eliten der besiegten Länder gerade auch die Wissenschaftler - an meinen Hof, setzte sie in der Verwaltung und im Heer ein. Das hatte ich im Gegensatz zu meinem Vater begriffen: Ich wollte nicht als Eroberer, sondern als Nachfolger der besiegten Könige auftreten. Das war mein Erfolg. Wenn es allerdings nötig war, dann beseitigte ich meine unbelehrbaren Gegner mit der notwendigen Härte.

 

(Alexander geht zu seinem Schwert, ergreift die Klinge und ruft Hephaistion zu)

 

Ich behaupte einmal, dass ich nicht zu den Gottverlassenen gehöre, eher vielmehr zu den Auserwählten, so dass ich nun die Seiten wechseln kann. Ich habe so viel erlebt, erreicht, gesehen und gefühlt in den letzten zehn Jahren, dass ich nun auch an mich denken darf. An meine Emotionen, Neigungen, Liebhabereien. Ich nehme mir jetzt die Freiheit, meinen ganz persönlichen Wünschen freien Lauf zu lassen. Ja, ich darf es! Ich tue es! Die Kultur, was immer man darunter verstehen mag, ist das Vehikel, auf dem ich mir meine eigene neue Welt erschaffe, eine Welt, ich der ich glücklich werden will, in der ich mich mit schönen Dingen beschäftigen möchte: Mit Farben und Formen, mit Melodien, Worten, mit Rhythmen und Tanz.

 

Hephaistion, Du sollst es als erster erfahren: Vor Dir steht ein neuer Alexander! Aufgetaucht aus dem riesigen Blutmeer meiner Siege, meiner dunklen nächtlichen Gedanken, meiner vielen Sorgen um das Schicksal meiner Männer, der Menschen meiner Reiche und der wenigen echten Freunde, die ich liebe. Und aus Furcht vor dem Urteil der Götter und der Geschichte, denn mir ist durchaus bewusst, dass ich ein Teil der Geschichte Griechenlands, besser, der Welt von heute geworden bin. Und die Geschichte ist eine sehr rücksichtslose, hart argumentierende und oft boshafte Kritikerin. Sie ist es deshalb, weil sie einen vielfach unterschätzten Gegner hat: den unsterblichen Neid der Verlierer. Daher will ich mich von nun an bemühen, gute Werke zu tun, denn ich habe die Möglichkeit, es zu vollbringen. Also tue ich es. Dein König möchte die Welt ein Stückweit besser machen. Glaubst Du, die Menschen werden mich verstehen? Meinen kühnen Gedanken folgen? Denn ohne die Menschen wird das Ziel nicht zu erreichen sein. Vielleicht ist die Zeit auch noch nicht reif für solche Umwälzungen. Vielleicht sind meine Pläne erst künftigen Generationen und deren Herrschern vorbehalten. Doch diese neue Welt wird kommen, davon bin ich überzeugt. Auch die Sklaven werden eines Tages frei sein und durch eine Dienerschaft ersetzt werden. Sie werden wie die Soldaten einen Lohn erhalten. Egal, welche Hautfarbe sie haben. Der Mensch wird als Mensch geachtet, denn es gibt nur eine Rasse, die alle Menschen gleich macht. Es gibt, wie wir auf unserem Feldzug erleben konnten, keine wirklichen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß, Braun und Gelb. Das zu begreifen bedarf es neuer Gedanken und kluger Köpfe, die diese Thesen erklären, deuten und durchsetzen können. Männer, wie Aristoteles und seine Nachfolger.

 

Ich betone: Mein Reich ist von dieser Welt, lieber Hephaistion, nicht aber in einem dieser vielen Götterhimmel zu finden! Glaubst Du, mein Freund, dass es nach uns Herrscher gibt, die ebenso denken wie wir? Wer zählt die Götter, kennt die Völker? Ich denke, es gibt in Wahrheit nur einen Gott. Es ist Zeus allein! Wir Menschen haben uns die Götter inzwischen dazu geschaffen, damit jeder von uns sich ein kleines Stück vom göttlichen Kuchen herauspicken kann. Ist jemand, der so denkt, bereits ein Gotteslästerer? Bin ich also ein Gotteslästerer, nur weil ich das sage und fühle? Vielleicht werden die Götter des Olymps mir zürnen . . .