Ich versteh die Welt nicht mehr - Jennifer Sieglar - E-Book

Ich versteh die Welt nicht mehr E-Book

Jennifer Sieglar

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Beschreibung

Der Islamische Staat verbreitet weltweit Angst und Terror, in den USA wird ein Außenseiter zum Präsident gewählt, aus der Türkei vernimmt man ständig neue Schreckensmeldungen über Präsident Erdoğan und die AfD gewinnt dauernd Wählerstimmen hinzu – die Welt der Nachrichten dreht sich immer schneller, dabei sind viele Themen ohne fundiertes Hintergrundwissen kaum zu verstehen. Zugleich konsumieren viele Menschen diese Meldungen vor allem bruchstückhaft über die sozialen Medien. Hier setzt »Ich versteh die Welt nicht mehr« an und bietet auf verständliche und unterhaltsame Art Hintergründe zu den 33 wichtigsten Nachrichtenthemen unserer Zeit.

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ISBN 978-3-492-97819-4 © Piper Verlag GmbH, München 2017 Covergestaltung: FAVORITBUERO, München Covermotiv: © Art and Fashion / shutterstock.com, © Artram / shutterstock.com, © Jürgen Nobel (Fotos) Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Vorwort

Nordkorea

Die Taliban

Der »Islamische Staat«

Krieg in Syrien

Der Kurdenkonflikt in der Türkei

Erdoğan und die Türkei

Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten

Der Nahostkonflikt

Flüchtlingskrise in Deutschland

Terror in Europa

Die AfD

Der Abgasskandal

Die Eurokrise

Der Brexit

Die Zinspolitik der EZB

Kryptowährungen

Donald Trump und die USA

Die UN-Klimakonferenz

Wladimir Putin und Russland

Der Ukrainekrieg

Rohingya auf der Flucht

Boko Haram

Die Situation im Südsudan

Huthi-Rebellen im Jemen

Dank

Guide

VORWORT

Kein Nachrichtenthema ist so kompliziert, dass man es nicht einfach, verständlich und unterhaltsam erklären kann. Das wissen wir, weil wir seit Jahren nichts anderes tun. Wir beide moderieren Nachrichtensendungen und reisen als Reporter um die Welt, um über Themen aus allen möglichen Ländern zu berichten. Das machen viele Journalisten. Was bei uns besonders ist: Wir arbeiten für eine Kindernachrichtensendung und versuchen Tag für Tag, die komplizierte Welt der Nachrichten für jemanden verständlich zu machen, der kaum Vorwissen mitbringt.

Bei einer Nachrichtensendung für ein erwachseneres Publikum, das vom jugendlichen Nachrichtenneuling bis hin zum pensionierten Geschichtsprofessor reicht, ist es extrem schwierig zu entscheiden, welches Vorwissen man voraussetzen kann. Erklärt man zu viel, langweilt man den einen, erklärt man zu wenig, überfordert man den anderen. Die meisten Nachrichtenredaktionen entscheiden sich dazu, viel Wissen vorauszusetzen – vor allem, weil in der tagesaktuellen Berichterstattung häufig die Zeit fehlt, um Hintergründe ausführlich zu erklären. Bei 15 Minuten Sendezeit und dem Anspruch, alles Wichtige zu zeigen, was an einem Tag auf der Welt passiert, wäre das schlichtweg unmöglich.

So kann es dazu kommen, dass viele Menschen jeden Tag Nachrichten im Fernsehen gucken, im Radio hören oder in der Zeitung lesen und am Ende nur die Hälfte verstehen. Noch schlimmer ist es, wenn sie irgendwann aus Frust gar keine Nachrichten mehr schauen.

Deshalb freuen wir uns besonders, wenn wir Familien treffen, die unsere Sendung schauen. Wir werden dann häufig auch von den Eltern für unsere Berichterstattung gelobt und hören etwas wie: »Ich bin so froh, dass meine Kinder Ihre Sendung gucken – da verstehe dann auch ich endlich mal die Nachrichten!« So entstand die Idee für dieses Buch. Ich versteh die Welt nicht mehr soll dafür sorgen, dass Sie beim nächsten Mal, wenn Sie Nachrichten schauen, mehr verstehen. Wir wollen genau die Hintergründe und Zusammenhänge erklären, für die in der tagesaktuellen Berichterstattung meist kein Platz ist. Dieses Buch richtet sich also an jeden, der neugierig ist und die Welt der Nachrichten ein bisschen besser verstehen will – egal, ob jung oder alt. Wir haben versucht, die Themen so aufzuarbeiten, dass das Lesen dabei auch Spaß macht.

Die größte Herausforderung für uns war, dass jedes Thema für sich genommen schon genug Stoff bietet, um darüber ganze Bücher zu schreiben. Deshalb ist unser Anspruch keineswegs, jedes Thema vollständig abzubilden und jeden einzelnen Aspekt daran zu beleuchten. Vielmehr ist es unser Ziel, die Hintergründe und Zusammenhänge zu erklären, die zum Verständnis der aktuellen Situation notwendig sind. Wenn das nächste Mal die Rede ist von der Eurokrise, dem Krieg in Syrien oder dem Brexit, werden Sie hoffentlich nicht nur besser wissen, worum es geht, sondern auch verstehen, wie es dazu gekommen ist.

Ebenso wie die einzelnen Kapitel keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, tut es auch das Buch als Ganzes nicht. Natürlich gibt es noch viel mehr Nachrichtenthemen als die, die wir hier behandelt haben. Aber das Buch konnte ja nicht so dick werden, dass es nicht mehr in den Rucksack oder die Strandtasche passt. Wir haben versucht, die Themen auszuwählen, die in den vergangenen Jahren am relevantesten waren und von denen wir glauben, dass sie auch in Zukunft das Nachrichtengeschehen bestimmen werden. Alles, was nach Redaktionsschluss im August 2018 passiert ist, hat es nicht mehr in dieses Buch geschafft. Das macht aber nichts, denn wenn unser Plan aufgeht, sind Sie nach der Lektüre so gut gewappnet, dass Sie die allerneuesten Wendungen auch so verstehen.

Beim Schreiben war es uns wichtig, dass alle 24 Kapitel auch für sich allein funktionieren. So kann jeder Leser mit den Themen beginnen, die für ihn am spannendsten sind. Bei der Anordnung der Texte sind wir geografisch vorgegangen und haben räumlich – und somit meist auch inhaltlich – verknüpfte Themen zusammengestellt.

Zu guter Letzt möchten wir uns bei vielen Journalisten, Freunden und unseren Redaktionen bedanken, die uns bei der Umsetzung dieses Projekts unterstützt haben und ohne die wir dieses Buch nicht hätten schreiben können. All diese wundervollen Menschen sind ganz am Ende des Buches ausführlich genannt.

Bevor Sie nun beginnen zu lesen, möchten wir Ihnen etwas mit auf den Weg geben, was uns auch beim Schreiben dieses Buches immer wieder aufgefallen ist: Kein Nachrichtenthema ist in sich geschlossen und kann für sich allein betrachtet werden – oder andersherum: Alles hängt mit allem zusammen!

NORDKOREA

Nordkorea ist eines der umstrittensten Länder der Welt und nahezu vollständig vom Rest der Welt abgeschnitten. Regiert wird das Land von dem Diktator Kim Jong-un, der weltweit immer wieder mit Raketen- und Atomtests für Provokation sorgt. Entstanden ist Nordkorea, als das ehemalige Korea nach dem Zweiten Weltkrieg in Nord und Süd aufgeteilt wurde.

Nordkorea – das ist das Land mit den skurrilen Herrschern, die seit Jahrzehnten für Aufregung sorgen. Da war Kim Il-sung von 1948 bis 1994, dann kam sein Sohn Kim Jong-il bis 2011, und seitdem ist dessen Sohn Kim Jong-un an der Macht. Kim Jong-il war der immer gleich und etwas grimmig guckende Mann, für den man deshalb die Internetseite »Kim Jong-il looking at things« eingerichtet hat, auf der man sehen kann, wie Kim Jong-il von Wassermelonen bis hin zu Fabriken alles gleich teilnahmslos begutachtet. Dabei trägt er meist eine dicke, schwarze Heino-Sonnenbrille. Sein auf ihn folgender Sohn Kim Jong-un ist dagegen schon fast witzig. Mit der eigenartigen Frisur, die aussieht wie eine Kombination aus Undercut, Elvis-Locke und Topfschnitt, guckt er auf der Internetseite »Kim Jong-un looking at things« gerne kräftig lachend auf die Dinge. 2012 löste Kim Jong-un weltweit Gelächter aus, als er bekannt gab, seine Archäologen hätten ein Einhornnest entdeckt. Doch Nordkorea sorgt nicht nur mit Skurrilität für Aufsehen, es ist auch das Land, das Atomraketen testet, deren Reichweite so groß ist, dass sie die USA erreichen könnten. Seit Jahrzehnten mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass die Diktatoren in Nordkorea massiv Menschenrechte verletzten. Und was sagt Nordkorea selbst zu all dem? Nicht viel. Nordkorea sieht sich als letzte sozialistische Festung, die es vor dem Gift des Kapitalismus zu verteidigen gilt. Wie kein anderes Land auf der Welt schottet es sich deshalb ab. Bringen wir etwas Licht ins Dunkel.

Um zu verstehen, was heute in Nordkorea vor sich geht, sollten wir einen kurzen Ausflug in die Entstehungsgeschichte des Landes unternehmen und zunächst ein paar Fakten klären. Also von vorne: Offiziell heißt Nordkorea »Demokratische Volksrepublik Korea«, obwohl das Land diktatorisch regiert wird. In Nordkorea leben etwa 24 Millionen Menschen, und es gilt als das derzeit restriktivste politische System der Welt. Um es mit den einfachen Worten der Bild-Zeitung zu sagen: Nordkorea ist ein politischer »Steinzeit-Staat«, entfernt vergleichbar mit der ehemaligen DDR. Dass Nordkorea zu einer derart isolierten Festung wurde, liegt in der Entstehungsgeschichte des Landes begründet. Werfen wir also einen Blick zurück in die Vergangenheit. Im Jahr 1910 geriet Korea unter japanische Herrschaft. Japan annektierte das Land und nannte es »Chosen«. So blieb Korea 35 Jahre lang eine Art Kolonie. Dann verlor Japan im Zweiten Weltkrieg und musste schließlich kapitulieren. Was das nun wieder mit Korea zu tun hat? Die Sowjetunion und die USA, Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, besetzten nach der Kapitulation nicht nur Japan, sondern auch die Kolonie Korea. Eine Weile wurde überlegt, was man mit Korea machen sollte. Schließlich entschieden die USA und die Sowjetunion, das Land entlang des 38. Breitengrades aufzuteilen. Der Norden unterstand nun der Sowjetunion, der Süden den Vereinigten Staaten von Amerika. 1948 wurden in Nord- und Südkorea unabhängige Staaten errichtet, welche jeweils die Interessen ihrer Schutzmächte vertreten sollten. Durch die Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion verschärften sich auch die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea. Beide Staaten strebten die Kontrolle über das gesamte Land an. Man könnte es – mal wieder – eine recht schwierige Ausgangslage nennen.

1950 wollte Nordkorea seinen Anspruch auf das gesamte Land mit Gewalt durchsetzen und überfiel den Süden. Anschließend herrschte in Korea drei Jahre lang ein brutaler Krieg, in dessen Verlauf fast eine Million Soldaten und etwa drei Millionen Zivilisten getötet wurden. Erst im Juli 1953 einigte man sich auf eine Waffenruhe, und das Land wurde erneut entlang des 38. Breitengrades geteilt. Seitdem stehen sich dort zwei verfeindete Nationen gegenüber. Immer wieder kommt es zu Konfrontationen und Provokationen zwischen Nord- und Südkorea, und beide Länder investieren viel Geld in ihr Militär, um sich zu verteidigen. Einige Male kam es zu bewaffneten Zwischenfällen an der Grenze, welche Korea nah an einen neuen Krieg brachten. Bis heute wird Südkorea von den USA unterstützt. Auf der anderen Seite hat sich das Verhältnis zwischen der Sowjetunion, später Russland, und Nordkorea verschlechtert. Im Gegensatz zum sozialistischen und autokratischen Nordkorea ist Südkorea heute kapitalistisch, demokratisch und westlich orientiert – es verkörpert all das, was Nordkorea fürchtet. So stehen sich am 38. Breitengrad nicht mehr nur verfeindete Nationen gegenüber, sondern zwei Systeme wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Mit der Waffenruhe von 1953 begann die politische Entwicklung hin zu dem Nordkorea, das wir heute kennen. Damals war Kim Il-sung an der Macht, und der nutzte die 1950er-Jahre, um seine Führungsposition im Land auszubauen. Politische Gegner wurden systematisch geschwächt, und Feinde in sogenannten »Säuberungen« bekämpft oder hingerichtet. Gleichzeitig isolierte sich Nordkorea immer mehr und führte die Chuch’e-Ideologie ein, an deren Erklärung selbst internationale Experten scheitern. Sie sind sich mittlerweile recht einig, dass Chuch’e im Großen und Ganzen ziemlich großer Unsinn ist, um die Autarkie als erklärtes Staatsziel zu rechtfertigen. Um die Stabilität im Land zu wahren und um seine Machtposition auszubauen, arbeitete Kim Il-sung an einem Kult um seine Person. So wurde er von nordkoreanischen Medien nur noch »Großer Führer« genannt – eine Bezeichnung, die in der kommunistischen Bewegung bis dato nur Lenin und Stalin vorbehalten war. Kim Il-sung weitete den Personenkult wie in einer Monarchie auf seine Familie aus, vor allem auch auf seinen Sohn und Nachfolger Kim Jong-il. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass Kim Il-sung und seine Nachfolger in Nordkorea wie Gottheiten einer Religion verehrt werden. Nach Kim Il-sungs Tod am 8. Juli 1994 wurde eine dreijährige Staatstrauer angeordnet und der Verstorbene zum ewigen Präsidenten erklärt – das Amt soll nie wieder nachbesetzt werden –, und bis heute wird Kim Il-sung in Nordkorea als eine Art vergöttlichte Vaterfigur des Landes verehrt. Das Herrscheramt übernahm sein Sohn Kim Jong-il, und als der starb, übernahm wiederum dessen Sohn Kim Jong-un. Nordkoreas politisches System gleicht demnach einer Art absolutistischer Monarchie. Gleichzeitig ist Nordkorea ein hoch militarisierter Staat, der riesige Mengen Geld in den Ausbau seiner Streitkräfte steckt – schließlich muss man sich nach eigener Auffassung gegen Südkorea, die USA, Japan und den Rest der kapitalistischen Welt verteidigen.

Wie sieht das Leben der Menschen in Nordkorea aus? Nun, Bildung gibt es für alle und das umsonst! Aber das Ganze hat auch einen Haken. Kinder müssen sich einer Art Gehirnwäsche unterziehen, die sie zu treuen Untergebenen des Führers erzieht und sie auf den Kampf gegen den Rest der Welt vorbereitet. Einem jeden Bürger stehen Nahrungsmittel von den Behörden zu. Allerdings ist Nordkorea durch die Politik der Isolation wirtschaftlich am Boden und auf Hilfe angewiesen. Die knappen Lebensmittel müssen gut verteilt werden, was mal besser und mal schlechter klappt. Immer wieder sind durch Hungersnöte viele Menschen gestorben. Außerdem steht jedem Koreaner eine staatliche Wohnung zu – der Haken: Die Regierung bestimmt wo. Wurde eine Wohnung erst mal zugeteilt, muss man dort sein Leben lang bleiben. Darüber hinaus versucht der Staat, alles einzuschränken, was man irgendwie einschränken kann. Nordkoreaner dürfen das Land nicht verlassen, Medien sind vollständig vom Staat kontrolliert, unangemeldete Demonstrationen und Versammlungen sind natürlich verboten. In Nordkorea ist es nahezu unmöglich, an Informationen aus dem Ausland zu kommen – auf der Rangliste der Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen landete Nordkorea bisher meistens auf dem letzten Platz. Auf dem Papier gibt es die Religionsfreiheit zwar, in der Praxis aber nicht. Auch das nordkoreanische Internet ist vom Rest der Welt weitestgehend abgeschnitten. Innerhalb des Landes kann man nur von der Regierung ausgewählte Websites aufrufen. Wer gegen diese Regeln verstößt, wird hart bestraft, womöglich sogar öffentlich hingerichtet. Außerdem berichten Menschenrechtsorganisationen von Konzentrations-, Arbeits- und Umerziehungslagern, in denen politische Gegner oder Menschen mit anderer Meinung festgehalten werden. Es kursieren Gerüchte, dass Viren und Waffen an Gefangenen getestet werden.

Der Staat teilt die Menschen in Nordkorea in drei Gruppen ein: diejenigen, die zur Führungsriege zählen, diejenigen, die der Führung freundlich gesinnt sind, und diejenigen, die als Skeptiker oder Gegner der Führung gelten. Wer die vergangenen Abschnitte gelesen hat, kann sich selbst denken, dass man es als Mitglied der letzten Gruppe in Nordkorea mit Sicherheit nicht leicht hat.

Nun könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die Nordkoreaner todunglücklich sein müssen. Sieht man sich allerdings Fotos oder Videos aus dem Land an, wundert man sich umso mehr. Die Nordkoreaner wirken meistens glücklich, verehren ihre Führer, und wenn ein Machthaber stirbt, wird tagelang geweint, als wäre die eigene Mutter gestorben. Das liegt zum Teil sicherlich an den Einschränkungen und Umständen, unter denen diese Bilder entstehen, und sicherlich auch daran, dass die Menschen in Nordkorea eingeschüchtert sind und sich davor fürchten, das System zu kritisieren. Nur wenige Menschen trauen sich, aus Nordkorea zu flüchten. Doch es zeigt vor allem, wie gut Propaganda, Isolation und Gehirnwäsche funktionieren, so gut, dass Menschen daran glauben, in einem großartigen Land mit verehrungswürdigen, gottgleichen Führern zu leben. Vieles über das Land bleibt allerdings Spekulation. So hieß es zum Beispiel eine Zeit lang, die Menschen in Nordkorea müssten alle die gleiche Frisur tragen, bis sich herausstellte, dass das schlicht Quatsch ist.

Auf der Weltbühne sorgt Nordkorea vor allem für Aufsehen, weil es verbotenerweise Atomwaffen baut, testet und damit aller Welt offen droht. Beispiel gefällig? Kim Jong-un ließ einen nuklearen Angriff auf die südkoreanische Hauptstadt Seoul simulieren und verkündete in einem Video zu den Tests stolz: »Nichts und niemand würde überleben!«

Ganz offen droht Kim Jong-un mit einer »nuklearen Katastrophe«, sollte es zu einem Krieg mit Südkorea kommen. Nordkorea ist eine Atommacht und besitzt wahrscheinlich mehrere einsatzbereite Kernwaffen und entsprechende Trägersysteme, um diese auch abzuschießen. Damit nicht genug: Nach eigenen Angaben entwickelt Nordkorea im Moment ein Trägersystem, das in der Lage sein soll, Atombomben bis an die Westküste der USA zu schießen. Was zunächst klingt wie purer Wahnsinn, nehmen Experten zunehmend ernst. Gerade erst in den vergangenen Monaten testete Nordkorea immer wieder verbotenerweise Raketen und drohte US-Präsident Donald Trump. Der stationierte zeitweise einen Flugzeugträger nahe Nordkorea, um Kim Jong-un einzuschüchtern – doch den interessierte das wenig. Donald Trump warnte im Anschluss vor einer ernsthaften Bedrohung durch Nordkorea.

Verhandlungen über das Atomwaffenprogramm schließt Nordkorea kategorisch aus. Wenig überraschend hagelt es dafür aus aller Welt Kritik. Nach jedem neuen Test verwarnen die Vereinten Nationen Nordkorea, aber das interessiert Kim Jong-un herzlich wenig. Der macht einfach weiter, was er will, provoziert und behauptet, auf Atomwaffen angewiesen zu sein, um sich gegen die USA und Südkorea zu verteidigen. Die USA wollen das nicht auf sich sitzen lassen und Nordkorea zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Deshalb führen sie immer wieder gemeinsam mit Südkorea Militärübungen in der Region durch und rüsten Südkorea auf, um das Land vor einem möglichen Angriff Nordkoreas zu schützen. Im Jahr 2016 ließen die USA einen Bomber über Nordkorea fliegen, um Kim Jong-un einzuschüchtern. Nach einer weiteren Eskalation im Jahr 2017 schickten die USA kurzerhand einen Flugzeugträger in die Region, um Nordkorea zu drohen. Und selbst China, Nordkoreas letzter strategischer Partner, hat mittlerweile die wirtschaftlichen Verbindungen zu dem Land auf ein Minimum heruntergefahren.

Warum hat so lange niemand das kleine Nordkorea und seinen irren Führer gestoppt? Nun, lange Zeit ließ es sich mit diplomatischen Mitteln nicht stoppen. Das Land ignorierte alle Warnungen und wirtschaftlichen Sanktionen. Blieb nur noch die Möglichkeit, die Führung in Nordkorea gewaltsam zu stürzen. Doch so einfach ist das nicht. Zum einen sind da Nordkoreas Atomwaffen, die im Falle eines Kriegs eine unberechenbare Gefahr wären. Man stelle sich nur mal die Konsequenzen vor, wenn man Kim Jong-un in die Enge drängen würde und er aus Verzweiflung tatsächlich eine Atomrakete auf Seoul abschösse. Zum anderen befindet sich Nordkorea in einer geopolitisch schwierigen Lage. Die Nachbarländer Nordkoreas sind nicht gerade beste Freunde. In der gesamten Region gibt es Feindschaften, eine Menge Waffen und wenig Vertrauen. Ein Krieg in Korea könnte deshalb schnell eskalieren, sich ausweiten und zu Kämpfen zwischen den Nachbarländern führen. Und vergessen wir nicht China und die USA, zwei Länder, die nicht gerade die allerbesten Freunde sind. Während die USA Südkorea weiter unterstützen und dort mehrere Militärbasen betreiben, fährt China seine Unterstützung für Nordkorea zurück. Trotzdem ist das Land bis heute eine Art Puffer zwischen Südkorea und den USA auf der einen und China auf der anderen Seite. Würde Nordkorea fallen, käme es wohl zu einer Wiedervereinigung Gesamtkoreas, und möglicherweise würden die USA dann auch im Norden Militärbasen bauen. Dadurch stünden die USA direkt vor Chinas Haustür – nicht gerade eine chinesische Wunschvorstellung und wohl ein Grund, warum China Nordkorea so lange unterstützt hat und das auch heute noch eingeschränkt tut. Weil am Ende niemand ein Interesse an einem Krieg in der Region hat, noch weniger an einem Konflikt zwischen China und den USA, blieb lange alles so wie es war.

2018 gab es dann die dicke Überraschung. Plötzlich lenkt Kim Jong-un ein, trifft sich überraschend mit dem Präsidenten von Südkorea und sogar mit dem US-Präsidenten Donald Trump. Das erste Treffen eines amtierenden US-Präsidenten und eines nordkoreanischen Herrschers, das es jemals gegeben hat. Kim Jong-un versprach, dass er in Zukunft keine Atomtests mehr durchführen wird. Stattdessen stellt er sogar eine atomare Abrüstung und eine Versöhnung mit Südkorea in Aussicht. Die ganze Welt war überrascht über die versöhnlichen Töne, die der nordkoreanische Herrscher plötzlich anschlägt. Bisher sind das alles jedoch nicht mehr als Worte und leere Versprechungen. Ob Nordkorea in Zukunft tatsächlich in eine friedliche Richtung, womöglich sogar in Richtung einer Öffnung, steuert – oder ob der nordkoreanische Herrscher es sich plötzlich alles wieder anders überlegt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall hat US-Präsident Donald Trump Kim Jong-un zu sich in die USA, ins Weiße Haus eingeladen. Auf dieses Treffen kann wohl die ganze Welt gespannt sein.

DIE TALIBAN

Die Taliban sind eine islamistische Kämpfertruppe, die seit mehr als zwanzig Jahren in Afghanistan aktiv ist und das Land einige Jahre lang kontrolliert hat. Nachdem die Taliban die Al-Qaida-Terroristen bei den Anschlägen des 11. September 2001 unterstützt hatten, wurden sie von denUSAund anderen Ländern militärisch gestürzt. Trotzdem sind die Taliban bis heute noch nicht endgültig besiegt und in den vergangenen Jahren sogar wieder auf dem Vormarsch.

Seit mehr als zwanzig Jahren spielen die Taliban in den Nachrichten eine große Rolle. Es gibt wohl kaum jemanden, der noch nie etwas von den Männern mit Turban und Bart gehört hat, die meistens entweder einen Raketenwerfer auf der Schulter oder ein Maschinengewehr in der Hand halten. Über viele Jahre hinweg stellten sie eine gefürchtete Kämpfergruppe. Was wollten die Taliban, und gibt es sie heute überhaupt noch?

Ab Mitte der Neunzigerjahre lief es für die Taliban rund. Etwa fünf Jahre lang herrschten sie in großen Teilen Afghanistans. Für die Bevölkerung des Landes war das keine schöne Zeit, und gerade Frauen hatten unter den Taliban keine Rechte. Sie durften nicht mehr arbeiten oder zur Schule gehen und mussten sich komplett verschleiern. Musik, Sport und Fernsehen waren verboten. Wer sich nicht an die strengen Regeln hielt, lief Gefahr, getötet zu werden. Wegen ihrer Brutalität sind die Taliban auf der ganzen Welt gefürchtet. Die Gruppe unterstützte auch die Al-Qaida-Terroristen, die am 11. September 2001 Flugzeuge ins World Trade Center lenkten. Das war auch der Grund, warum die USA und andere Länder in Afghanistan einmarschierten, um die Herrschaft der Taliban zu brechen. Das gelang auch. Über viele Jahre hinweg schien es, als seien die Taliban verschwunden. In den vergangenen Jahren rückte der sogenannte Islamische Staat in den Fokus der Öffentlichkeit, die Taliban schienen besiegt. Doch der Schein trügt: Es gibt noch immer Taliban, und seit 2015 sind sie wieder auf dem Vormarsch. Von den Anfängen, dem scheinbaren Ende und dem erneuten Aufstieg der Taliban handelt dieses Kapitel.

Um zu verstehen, wie die Taliban entstehen konnten, muss man die Ausgangssituation in Afghanistan kennen. Bis Anfang der Neunzigerjahre gab es in dem Land eine von Moskau unterstützte Regierung. Doch zeitgleich mit dem Ende der Sowjetunion Anfang der Neunzigerjahre, brach auch diese Regierung zusammen. Die Truppen der Sowjetunion zogen sich aus Afghanistan zurück und überließen das Land seinem Schicksal.

In Afghanistan gelang es nicht, eine neue Regierung zu etablieren, geschweige denn einen funktionierenden Staat aufzubauen. Über Jahre versank das Land in einem brutalen Bürgerkrieg. Verschiedene Gruppen bekämpften einander und versuchten, mit Gewalt die Macht in dem Land an sich zu reißen. Ständig änderten sich die Machtverhältnisse. Wer eine Waffe hatte, konnte seinen Nachbarn erschießen und sich dessen Frau und Brot nehmen und musste dafür keine Konsequenzen fürchten. Ein normales, geregeltes und zivilisiertes Leben war völlig unmöglich. Es galt nur noch das Recht des Stärkeren.

In diesem Klima der Gewalt und des völligen Chaos gründeten sich die Taliban. Laut ungesicherten Quellen soll das wie folgt abgelaufen sein: In dem Ort Kandahar entführt und vergewaltigt ein Kommandeur zwei Mädchen, was in Afghanistan damals keine Seltenheit war. Doch der ortsansässige Mullah, ein religiöser Gelehrter, will den Kommandeur nicht ungestraft davonkommen lassen und trommelt eine Truppe von jungen Männern zusammen. Sie nehmen den Vergewaltiger fest und erhängen ihn. Die Bevölkerung feiert diese Aktion als Heldentat! Endlich sorgt jemand für Ordnung.

Laut Legende war das die Geburtsstunde der Taliban. Nach und nach schlossen sich immer mehr Kämpfer und Religiöse der kleinen Miliz an, um in Afghanistan für Recht und Ordnung zu sorgen. Ob das nun der Wahrheit entspricht oder nicht, die Geschichte erklärt, warum die Taliban in den kommenden Jahren so schnell so groß werden konnten, sorgten sie in diesen so unsicheren Zeiten doch für Stabilität. Sie gaben den Menschen das Gefühl, auf sie achtzugeben. Viele hofften, dass mithilfe der Taliban alles besser würde – viel schlimmer hätte es ja auch kaum werden können. Die Taliban wurden in der Bevölkerung schnell akzeptiert und fanden schnell weitere Anhänger. Was die Gründungslegende der Taliban auch zeigt: Von Beginn an setzten die Taliban Gewalt ein, um ihre Ziele zu erreichen. Schließlich machten sie dem Vergewaltiger nicht den Prozess oder sperrten ihn ein, sondern erhängten ihn einfach. Die Taliban wurden so zu einer schnell wachsenden bewaffneten Gruppe in Afghanistan, die vor Gewalt nicht zurückschreckte.

Große Teile der afghanischen Bevölkerung unterstützten die Taliban zunächst. Und auch im Ausland bewertete man die neue Miliz erst einmal positiv. So begrüßten beispielsweise die USA, dass in Afghanistan endlich für Recht und Ordnung gesorgt wurde. Auch der pakistanische Militärgeheimdienst begrüßte und unterstützte sogar die Taliban. Aus anderen arabischen Staaten erhielten die Taliban finanzielle Zuwendungen. Offenbar ahnte niemand, dass die Taliban Jahre später zu einer großen Gefahr für den Frieden in der Welt werden würden. Mit dieser Unterstützung im Rücken stiegen die Taliban schnell zu einer starken Fraktion in Afghanistan auf und nahmen immer mehr Gebiete ein. 1996 gelang es ihnen, die Macht in Afghanistan an sich zu reißen: Am 27. September 1996 marschierten sie in der Hauptstadt Kabul ein und gründeten das Islamische Emirat Afghanistan. Von nun an gehöre das Land ihnen, verkündeten sie. Im Staat der Taliban sollte nur noch das Gesetz der Scharia gelten, das aus einer extrem archaischen Form des Islam abgeleitet wurde. Erst jetzt wurde der Weltgemeinschaft und vielen Menschen in Afghanistan klar, dass es sich bei den Taliban nicht um Freiheitskämpfer, sondern um religiöse, radikale Krieger handelte, die einen islamischen Staat gründen wollten – die allermeisten Länder der Welt erkannten das Islamische Emirat Afghanistan deshalb nicht an.

Kaum an der Macht, zeigten die Taliban ihr wahres Gesicht und gestalteten das Land nach ihren fanatischen und religiösen Vorstellungen um. Sie untersagten alles, was den Menschen Freude machte. Plötzlich war es verboten, Musik zu hören, Fotos zu schießen, Drachen steigen zu lassen. Männer hatten einen Bart zu tragen und Frauen mussten sich komplett verschleiern. Eigentlich durften Frauen unter den Taliban sowieso gar nichts mehr. Ohne einen Mann war es ihnen nicht erlaubt, das Haus zu verlassen, sie durften nicht mehr zur Schule, zur Arbeit oder zum Arzt gehen. Wer sich den Gesetzen der Taliban widersetzte, wurde brutal bestraft. Wer etwas stahl, dem wurde die Hand abgehackt. Wenn ein Dieb vor seiner Festnahme flüchtete, wurden ihm die Beine abgeschnitten. Wer die Ehe brach, wurde zu Tode gesteinigt. Die Taliban führten Afghanistan nach einem extrem brutalen und strengen Regiment. Gleichzeitig schafften sie es aber nicht mal, die gesamte Bevölkerung mit genügend Nahrung zu versorgen. Ein Großteil der Menschen in Afghanistan hungerte damals. Jahrelang litt die afghanische Bevölkerung unter der brutalen Herrschaft der Taliban. Die internationale Staatengemeinschaft griff trotzdem nicht ein. Doch das sollte sich bald ändern.

Dass sich das änderte, hat etwas hiermit zu tun: Die Taliban unterstützten die Terrorgruppe Al-Qaida und deren Anführer Osama bin Laden. Es ist das Jahr 1996 – bin Laden war damals bereits ein international gesuchter und gefürchteter Terrorist und verbarg sich im Sudan. Als sein Versteck 1996 aufzufliegen drohte, flüchtete er nach Afghanistan und wollte sich dort ein neues Versteck suchen. Dort freundete sich Osama bin Laden mit dem damaligen Anführer der Taliban Mullah Omar an. Omar und bin Laden gingen eine Art Zweckgemeinschaft ein. Bin Laden unterstützte die Taliban finanziell, damit sie sich neue Ausbildungslager und Waffen leisten konnten. Als Gegenleistung boten die Taliban ihm ein gut geschütztes Versteck im Gebirge von Afghanistan. Es war der Anfang einer langjährigen Freundschaft zwischen den Taliban und Osama bin Laden und seinen Al-Qaida-Terroristen.

Bisher hatte die internationale Staatengemeinschaft dem Treiben der Taliban in Afghanistan zugesehen. Das sollte sich im Jahr 2001 schlagartig ändern. Nach den Terroranschlägen vom 11. September war schnell klar, dass Osama bin Laden mit seiner Terrorgruppe Al-Qaida dahintersteckte. Osama bin Laden hatte die Anschläge von seinem Versteck in Afghanistan aus organisiert und geplant, und zum Zeitpunkt der Anschläge hielt er sich dort noch immer auf. Die USA forderten Afghanistan und die Taliban deshalb dazu auf, Osama bin Laden auszuliefern, doch Mullah Omar weigerte sich. Für die USA war klar, dass die Taliban und die Terroristen von Al-Qaida unter einer Decke steckten, und sie machten deshalb kurzen Prozess. Sie entschieden, in Afghanistan einzumarschieren, die Taliban zu bekämpfen und nach Osama bin Laden zu suchen. Nur wenige Wochen später machten die USA ihre Ankündigung dann wahr. Gemeinsam mit der militärischen Unterstützung anderer Länder marschierten sie in Afghanistan ein und stürzten das Taliban-Regime. Doch die USA konnten Osama bin Laden und viele wichtige Anführer der Taliban nicht ausfindig machen. Die hatten sich längst in die nur schwer zugänglichen Bergregionen von Afghanistan zurückgezogen.

Über Jahre bekämpften Truppen aus den USA und aus vielen anderen Ländern die Taliban in Afghanistan, auch Deutschland beteiligte sich an dem Krieg. Gemeinsam versuchten sie, eine neue Regierung zu installieren, um den Staat zu stabilisieren. So gelang es 2001 zwar, die Taliban zu entmachten, doch ein neues, wirklich stabiles Staatssystem, welches für Frieden im Land sorgen kann, zu etablieren, ist bis heute noch nicht vollständig gelungen. Außerdem konnten viele Taliban-Kämpfer untertauchen und weiterhin aus ihren Verstecken heraus agieren. Die Gebirgsregionen in Afghanistan waren perfekt dafür geeignet, weil es fast unmöglich war, die Taliban dort effektiv zu bekämpfen. In ihren Verstecken schmiedeten die Taliban Pläne, wie sie sich gegen die ausländischen Truppen wehren könnten. Über viele Jahre hinweg verübten sie brutale Anschläge auf ausländische Soldaten und die afghanische Bevölkerung. Sie zündeten Autobomben und andere Sprengsätze oder setzten Selbstmordattentäter ein – solange möglichst viele Zivilisten starben, war ihnen jedes Mittel recht. Durch den Terror schufen die Taliban in Afghanistan ein Klima der Angst. Theoretisch konnte es überall und jederzeit zu einem Anschlag kommen, in jedem Auto konnte eine Bombe versteckt sein. Die afghanische Bevölkerung lebte jahrelang in Angst und Schrecken. Für die ausländischen Militäreinheiten war es ein sehr gefährlicher Einsatz. Im gesamten Zeitraum von 2001 bis zum Abzug 2014 wurden mehr als 4000 Soldaten und mehr als 20 000 Zivilisten getötet. Nach Angaben der Bundeswehr sind im Afghanistaneinsatz achtunddreißig deutsche Soldaten ums Leben gekommen. Im Jahr 2011 spürten die USA Osama bin Ladens Versteck in Pakistan auf, nahe an der Grenze zu Afghanistan. Ein US-Spezialkommando stürmte sein Anwesen in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 und tötete ihn. In der ganzen westlichen Welt feierte man den Tod von Osama bin Laden als einen entscheidenden Schritt im Kampf gegen den Terrorismus.

Im Jahr 2014 endete der militärische Einsatz in Afghanistan, und die meisten Länder zogen ihre Truppen ab. Jetzt sollte das afghanische Militär weitgehend selbstständig für Sicherheit und Stabilität im Land sorgen. Man hätte also den Eindruck gewinnen können, dass die Taliban und auch Al-Qaida endgültig besiegt waren. Weil auch die Medien in den vergangenen Jahren vor allem über den Terror durch den IS berichteten, festigte sich dieser Eindruck. Aber so war es nicht!

Seit dem Abzug der ausländischen Truppen im Jahr 2014 reorganisierten sich die Taliban. Viele der Kämpfer hatten sich erfolgreich im Gebirge versteckt und die Füße stillgehalten. Als die ausländischen Soldaten abgezogen waren, trauten sie sich wieder aus der Deckung. Seit Beginn des Afghanistaneinsatzes 2001 war eine lange Zeit vergangen, und eine neue, jüngere Generation von Taliban-Kämpfern war herangewachsen. Manchmal bezeichnet man sie heute als Neo-Taliban. Seit einigen Jahren versuchen sie, Afghanistan Stück für Stück zurückzuerobern und das Land in einen erneuten Krieg zu verstricken. Noch heute arbeiten die Taliban mit Terroristen von Al-Qaida zusammen und verüben regelmäßig Selbstmordattentate, um möglichst viele afghanische Soldaten und Zivilisten zu töten. So stürmten einige dieser neuen Taliban am 21. April 2017 eine Militärbasis und töteten 140 afghanische Soldaten. Das Ziel dieser jungen Taliban unterscheidet sich nicht von dem der ersten Generation: Sie wollen die Macht in Afghanistan an sich reißen und das Land ihren strengen islamistischen Regeln unterwerfen.

Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Taliban ähnliche Ziele wie der sogenannte Islamische Staat verfolgen (siehe dazu auch das nächste Kapitel). Beide Gruppen wollen mit äußerster Brutalität einen Staat errichten, in dem nur noch islamisches Recht in extrem strenger Auslegung gilt. Beide Gruppen verstehen sich als Gotteskrieger, und beide Gruppen sind in Afghanistan aktiv. Der IS kämpft vor allem im Irak und in Syrien, doch auch in Afghanistan. Trotz ähnlicher Ziele machen die beiden Gruppen keine gemeinsame Sache. Im Gegenteil: Die Taliban und der IS sind verfeindet und bekämpfen sich gegenseitig mit extremer Brutalität. Beide Gruppen beanspruchen für sich, die einzig wahren Gotteskrieger zu sein, und unterstellen der jeweils anderen, ungläubige Freunde der USA zu sein – wohl so ziemlich das Schlimmste, was man einer islamistischen Terrorgruppe vorwerfen kann. Der IS hat mehrfach Videos veröffentlicht, in denen Taliban-Kämpfer hingerichtet werden. Die Taliban fürchten den IS – einige der Kämpfer sind deshalb aus Afghanistan geflohen, andere zum IS übergelaufen.

In Afghanistan kämpfen heute also drei Parteien gegeneinander: die Taliban, der IS und die afghanischen Sicherheitskräfte. Wie dieser Kampf ausgehen wird, ist noch völlig unklar. Eines dagegen ist sicher: Afghanistan droht durch das Erstarken der Taliban und die Anwesenheit des IS erneut in einen Bürgerkrieg zu rutschen – die Stabilität des afghanischen Staates wackelt. Deshalb wird in Deutschland auch immer wieder heftig darüber diskutiert, ob Flüchtlinge aus Afghanistan in ihre Heimat zurückgeschickt werden dürfen oder nicht.

2018 gab es Meldungen, dass die USA überlegen würden, Gespräche mit den Taliban direkt zu führen. Die Taliban fordern einen Abzug der ausländischen Truppen. Sie wollen also, dass die USA das Land verlassen – stattdessen wollen sie dann selbst Teile des afghanischen Staates organisieren. Dass das funktionieren würde, darf man bezweifeln, aber weil es eine der wenigen Möglichkeiten zu sein scheint, wie man zumindest vorübergehend Frieden in dem Land schaffen könnte, prüfen die USA wohl auch diese Option.

DER »ISLAMISCHE STAAT«

Der sogenannte Islamische Staat ist die momentan meistgefürchtete Terrorgruppe der Welt. DerISkontrollierte lange Zeit Gebiete im Irak und in Syrien, wo er allerdings mittlerweile immer weiter zurückgedrängt wird. Dennoch verübt die Terrorgruppe weiterhin Anschläge auf der ganzen Welt, um ihr Ziel – einen Gottesstaat mit extrem strengen islamischen Regeln – zu erreichen.

Keine Terrorgruppe hat in den vergangenen Jahren weltweit für so viel Schrecken gesorgt wie der IS. In den Nachrichten war zunächst die Rede von ISIS, was für »Islamischer Staat in Irak und Syrien« stand. Heute werden Sie in den Nachrichten meistens nur noch vom »IS«, dem sogenannten Islamischen Staat, hören. »Sogenannt« sagen die Nachrichtenmacher übrigens, um dem IS nicht die Anerkennung zu geben, wirklich ein islamischer Staat zu sein. Denn mit dem friedlichen Islam der meisten Muslime auf dieser Welt hat der IS wenig zu tun. Im Gegenteil: Der IS ist eine extrem brutale Gruppe von Terroristen, die die Macht an sich reißen wollen. Am 29. Juni 2014 kontrolliert der IS so viele Gebiete im Irak und in Syrien, dass er dort ein Kalifat ausruft. Nach den Vorstellungen des IS ist das ein Gottesstaat, in dem seine extrem strengen islamischen Regeln gelten. Doch damit nicht genug. Der IS will diesen Staat eines Tages auch noch auf die Länder Libanon, Israel, Palästina und Jordanien ausweiten. Wenn es nach einigen Mitgliedern der Terrorgruppe geht, ist der Kampf erst dann vorbei, wenn auf dem Weißen Haus in Washington die schwarze Flagge des IS weht.

In den vom IS kontrollierten Gebieten gelten die Regeln des islamischen Rechts, der Scharia, allerdings in einer extrem strengen Form. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Alkohol und Musik verboten sind, dass es öffentliche Enthauptungen gibt, dass Dieben die Hände abgehackt werden und dass Frauen sich unter der Androhung der Todesstrafe komplett verschleiern müssen. Ja richtig, das kommt uns von den Taliban sehr bekannt vor. Auf der ganzen Welt sorgt der IS mit brutalen Terroranschlägen für Angst und Schrecken. Die Enthauptung des Journalisten James Foley, die Anschläge im Bataclan-Theater in Paris und auf den Berliner Weihnachtsmarkt, das Attentat beim Ariana-Grande-Konzert in Manchester – all das geht auf das Konto des IS. Trotz dieser aus unserer Sicht grausamen und abschreckenden Taten reisen vor allem junge Männer aus der ganzen Welt freiwillig nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Aber was genau steckt hinter dem IS? Und wie konnte er so schnell so groß werden? Nachdem Sie die nächsten Seiten gelesen haben, werden Sie es wissen.