2,99 €
Einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung veruntreuen öffentliche Gelder. Da die Verwaltung jedes Aufsehen vermeiden will wird die Angelegenheit vor der Öffentlichkeit vertuscht und nicht zur Anzeige gebracht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2016
Titel:
ich—
Zement.
Material:
Papier.
Inhalt:
Satire.
Autor:
Volkov, Semjon.
Status:
abgelehnt.
© Semjon Volkov, 2011
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
978-3-7345-3101-9 (Paperback)
978-3-7345-3102-6 (Hardcover)
978-3-7345-3103-3 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
☛ Die Zwölf !
Wieder die Zwölf. Immer die Zwölf.
Ich hasse die Zwölf !
Gottgütiger! Ab an die Zwölf !
Die Zwölf ist ein Alptraum.
Zur Zwölf kommt nur Gesindel.
Die Zwölf bin ich.
Ich krieg immer das Pack mit den verschlampten Asylanträgen. Ich darf dem Gesindel die Aufenthaltsbescheinigungen ausstellen… ich…
Und wieder das Signal - die Zwölf freischalten, damit die Ampel auf der Schalttafel leuchtet.
La-Le-Lu… hab keine Ruh… Die Ampel schaltet auf grün und piept. Und her, den nächsten Knacken abservieren.
Seit Wochen kommt kein Mensch mehr auf die Zwölf, der meine Sprache spricht - kein Mensch mit gültigen Dokumenten - kein Mensch, der weis, was er bei mir überhaupt soll…
Wir, hier unten sind alle Sachbearbeiter. Hier unten, wo die Arbeit mehr und mehr zur Zumutung wird.
Stempel draufhauen, Stempel weg, Unterschrift. So war das früher.
Aber jetzt! Es wird immer schlimmer!
Die Menschenmassen, der Andrang vor der Stadtverwaltung nimmt kein Ende. Die treten sich bald tot.
Ein Wahnsinn ist das. Wahnsinn!
Noch vor drei Jahren, als ich hier anfing, war das anders. Da waren es noch Persos, Beglaubigungen und Wohnortwechsel. Damit ist’s jetzt vorbei - vorbei mit dem gemütlichem Arbeiten! Und wehe du machst fünf Minuten länger Pause! Wehe du hast keinen Kunden und schaltest nicht frei!
Mittlerweile sind’s zehn Stunden, die wir jeden Tag abreißen. Da wächst man mit dem Hintern noch fest auf diesem Sitz.
La-Le-Lu… hab keine Ruh…
Mach den Wahnsinn hier mal zwanzig Jahre und du kriegst das Sitzfleisch auch mit Tennis nicht mehr weg.
Wenn’s so weitergeht seh' ich bald aus wie die Sechs, der Kalb. Auch so ein Arschloch! Hat durchgedrückt, dass wir am Arbeitsplatz keinen Kaffee mehr saufen dürfen. Dem würde ich gern eine kleben!
Wir, hier unten, die Sachbearbeiter hocken alle in einer Art Dreieck, einem Verkehrsdreieck. Geben uns Zeichen für Klammern, Schere, Klebstoff, Papier.
Mir schräg gegenüber, an der Zehn, sitzt Knoff, der alte Spießer mit seiner Musterkrawatte, unser Zahlengenie. Der schaltet kaum noch frei, hat schon die zweite Abmahnung deswegen. Der hat die Ruhe weg. Kein lautes Wort, und wenn ihm irgendein Balg das Familienbild abfingert und den Schreibtisch abräumt, da guckt er nur zur Decke.
Die Elf, der Lockenkopf genau neben mir, das ist die Specht - Lady Specht, die alte Lesbe. Wenn’s der zuviel wird, geht sie weg, eine qualmen. Und wenn draußen im Gang zweihundert Kanaken warten. Abmahnungen? Die sind der Jacke wie Hose.
Aber der Knoff und die Specht sind die beiden einzigen in der Abteilung mit denen man auch privat einen draufmachen kann.
Ab und zu gehen wir einen saufen. Aber die Woche über? Zurück an den Schreibtisch: Pack abfertigen!
Wir starren in unsre Computer und das Pack kotzt sich vor uns aus. Wir sagen: Wir wollen Ihnen helfen. Dazu sind wir da. Aber uns, hier unten im Erdgeschoss, trifft nur der Zorn des Pöbels. Wir, das Fußvolk der Rathausverwaltung sind die Dummen, an denen alle ihren Zorn auslassen - jede Oma, jeder Kanake, jeder Asoziale und Trottel. Und alles auf uns.
Ein Hundeleben! - Aber frisst ein Hund Papier?
Hat Mamas Fitzi denn sowas verdient?
La-Le-Lu… ihr scheißt mich zu…
Es ist so sinnnnnnnn-los. Sinnloser Wahnsinn!
Wir, hier unten sitzen auf unsren Abteilungsstühlen, jeder an seinem Tisch.
Einundzwanzig Tische mit aufgestellten Zwischenwänden. Einundzwanzig Tische für zwanzig Nasen. Einundzwanzig Signallichter für die Schlange, die draußen im Vorraum Nummern zieht.
Manchmal hab’ ich ganze Familienverbände am Tisch. Afrika, Persien, Palästina… - der Alte, die Alte mit Kopftuch, wieder schwanger… und immer drei bis vier Bälger dabei. Und der Kinderwagen! - Da ist gar kein Platz auf den beiden Stühlen.
Und dieser Krach!
Und wieder keine gültigen Dokumente!
Aber erklär’ mal jemandem, dass er ohne gültige Dokumente keinen Sozialgutschein fürs Fressen kriegt! Sag’ das Ibrahim, erklär’s N’gugi!
Wimmle mal jemanden ab, der Hunger hat!
Wird Zeit, dass es zwölf wird.
Verdammt! Die Zwölf ist mein Schicksal.
Den ganzen Tag sind die Decklichter an, sogar wenn’s draußen hell ist. Die Fensterreihe ist nicht weit, aber selbst wenn man aufsteht und raussieht, sieht man nur graue Häuser. Nix Grünes. Die ganze Innenstadt ist scheußlich. Und direkt vor ’m Fenster hat man diesen dreckigen Teich, auf dem ein paar dumme Enten schwimmen, die eh bald wieder verrecken.
Der einzige Lichtblick in der Abteilung ist die neue Referentin. Kam vorhin mit einer Mappe vorbei gewackelt. Steil!
Was für ein Teufelchen, die Alte. Wäre doch genau das richtige für Mamas Fitzi.
Kam vorbei gewackelt, und unser Knoff, der alte Spießer, grinst mich schon an. Ich kenn’ das Grinsen.
War zweimal verheiratet, ist zweimal baden gegangen. Jetzt hat er’s wohl aufgegeben.
Die Specht fasst mich bei der Schulter.
Wir müssen mal reden, meint sie. Sieht aus als bekäme sie gleich wieder ‘n Koller. Hat garantiert auch ein Auge auf die Neue geworfen… die und die Hinzenburg vom Standesamt…
Ich zeig der Specht die Armbanduhr.
Bald zwölf.
Dann geht’s zum Mittagsmampf.
Hey, wie heißt eigentlich die Neue? frag’ ich.
Amberger, flüstert die Specht. Ihr Tisch sieht wieder aus, als wär ‘ne Bombe eingeschlagen. Auf ihren Knien hat sie ‘ne Illustrierte. Jetzt drück’ ich aber selbst das letzte mal den Knopf vor der Pause.
Also, wieder Lichtsignal für die Zwölf - dasitzen und den Zorn der Unzufriedenen ertragen.
La-Le-Lu… ich schlag’ noch zu…
Gottgütiger! Die Zwölf !
Ist nicht bald Zwölf ?
Die Zwölf wird noch mein Untergang!
☛ Morgens früh um sechse… Morgens, früh um sieben… Morgens früh um…
Ah, endlich Kaffee!
Morgens früh um… Nicht hochsehen! Wer hochsieht zur Ampel ist dran, muss den Knopf drücken!
Endlich Mittagspause!
Aufstehenstreckengähnen.
Faulheit darf nicht zu sehr auffallen.
Das ist die erste Regel: Geschäftigkeit. Tu, als würdest du tun. So überdauerst du, und, das Wichtigste: Nimmst keinen Schaden.
Die zweite Regel ist komplizierter, ein heimtückisches Biest mit einem langen Schwanz.
Und darauf steht: „Es ist vergeblich der administrativen Langeweile zu entrinnen, der Macht der Akten und Dateien. Punkt.“
Es gibt hier nichts zu gewinnen, nichts zu holen, nichts zu verbessern. Wir fragen nicht: Wer hat sich hier was verdient? Wir tun, was uns aufgetragen wird. Sonst nichts.
Mit anderen Worten: man muss die Hoffnungslosigkeit unserer Arbeit erkennen und, das Wichtigste: Sie akzeptieren. Abstempeln - abstempeln - abstempeln. Und alle sind zufrieden. Korrekt - nicht korrekt? Sieht es korrekt aus ist es korrekt. Wir haben Regeln, wir wenden sie an. Wir haben verfügt, und Ende!
Das ist die dritte Regel. Nicht denken. Das Getriebe der Staatsmaschine wünscht keine denkenden Köpfe und keinen Ehrgeiz, sondern die Exaktheit seiner Mitarbeiter, es wünscht nur Ausführung.
Morgens früh um…
Damals, als ich meinen Beamten in der Tasche hatte, glaubte ich noch daran, genau wie ein Kind, dass man Papier zerreißen könnte.
Ich glaubte tatsächlich noch, ich könnte ein Blatt Papier zwischen die Finger nehmen und es wäre nur etwas Druck nötig, glaubte, das Papier hätte seinen Zerreißpunkt und wäre zerstörbar, genau wie Stein oder Stahl. Aber das ist ein Irrtum!
Und erst erst später, nachdem ich jahrelang Tonnen von bedrucktem Papier in den Reißwolf gestopft hatte, wurde mir dieser Irrtum klar.
Ich hatte eben zum ersten mal geheiratet, ganz traditionell, in der Kirche, mit allem Beiwerk.
Und der gehobene Dienst winkte.
Also riss ich fleißig Überstunden. Oben in der 15ten, bei den Hengsten in der Rechnungsstelle. Bis ich nur noch Zahlen sah.
Wir waren zu zweit, ein gewisser Geburtstag und ich.
Der Abteilungsleiter war ein alter Knochen, kurz vor der Pension. Sein Posten würde bald frei werden.
Spätestens in zwei, drei Jahren.
Aber nur einer von uns beiden konnte den Posten kriegen. Geburtstag oder ich.
Die Qualifikation hatten wir beide.
Es war schon auffällig, dass sie uns beide zusammen gesetzt hatten.
Gut, sagte ich mir, wenn sie es so haben wollen.
Der beste Mann für die Arbeit!
Das war das Gesetz - dachte ich.
Die Akten ersetzten mir in dieser Zeit meine erste Frau.
Ich streichelte die Akten, hackte auf die Tasten wie ein Pianist. Vergnügung und Zerstreuung waren mir damals eine Folter. Ich dachte nur an eins: hier, dieser saftige Posten und du bist versorgt. Also streng dich an. Es langt nicht, wenn du nur deine Pflicht tust, tu mehr. Du willst doch den Alten beerben.
Geburtstag kam gar nicht mit mir mit, machte nicht mal Anstalten dazu. Der Mann tat wirklich nur das Allernötigste, er arbeitete wie eine Schnecke, gähnte, bekam kaum etwas zustande.
Manchmal schnitt er sich sogar während der Dienstzeit die Nägel.
Zwei Jahre ging das so.
Ich war mir sicher, ich wäre außer Konkurrenz.
Und dann legte mir der Alte eines Tages eine von unsren Akten vor.
Haben Sie das abgesegnet, Herr Knoff ?
Ich sah auf den Kostenvoranschlag für die Bogenlampen im Neubaugebiet.
Da war der Fehler.
Für die vorgesehenen anderthalb Kilometer öffentliche Straße hatte ich eine Summe von drei Bogenlampen zu viel berechnet.
Der Alte rügte mich: Wenn Herr Geburtstag es nicht gesehen hätte...
Dass die Berechnung schon ein Jahr alt war und der Alte erst jetzt damit ankam spielte keine Rolle.
Ich hatte verschissen.
Geburtstag bekam den Posten.
Papier hat seine Erinnerung.
Zerreiß es, verbrenn es, friss es auf, nichts ist vergessen.
Meine erste Frau ließ sich also von mir scheiden. Enttäuschte Erwartungen.
Ich brauchte eine Weile, bis ich diese Rückschlage verdaut hatte. Aber mein Ehrgeiz war immer noch nicht tot. Bald griff ich wieder an, heiratete erneut, nahm einen neuen Anlauf zum Aufstieg.
Ich dachte ernsthaft, ich könnte meinen Schnitzer noch ausbügeln.
Also ließ ich mich in die Stadtvermessung versetzen. Straßenbeschilderung und dergleichen.
Das war die zweite Chance, was zu werden.
Dort, in der Stadtvermessung ging es noch schlafmütziger zu als bei der Rechnungsstelle. Der Leiter war noch älter als mein ehemaliger.
Meine zweite Frau war schwanger und alles lief nach Wunsch. Wieder hängte ich mich rein.
Im Neubaugebiet mussten dreihundert neue Häuser nummeriert werden.
In kurzer Zeit schloss ich die Nummerierung ab und schickte sie ans Kataster.
Dass die Goethestraße dreimal die vierzehn bekam was soll ich sagen…
Wieder würgten die Zahlen mir eine rein.
Was war das für ein Schock, als ich begriff, dass ich ein Dummkopf war, der sich völlig umsonst abstrampelte.
Und da begriff ich, ich musste weg, mich unsichtbar machen, sozusagen untertauchen - unter den Stempel des Sachbearbeiters. Nichts mehr mit hoch hinaus und Karriere machen. Mein Ehrgeiz blieb bei der Stadtvermessung auf der Strecke.
Stattdessen ging ich zurück ins Rathaus.
Nur kam ich diesmal ins Erdgeschoss. Nichts mehr mit oben, mit der 15ten oder noch höher.
Das war mir nur lieb und recht.
Also zog auch meine zweite Frau den Schlussstrich.
Aus Scham. Verständlicherweise.
Ein Mann, der knallhart die Wirklichkeit erkennt, der seine Dummheit begreift und sich mit ihr arrangiert, findet nur bei wenigen Frauen Gnade.
Ich konnte gut verstehen, dass sie nicht verstand, dass ich beschlossen hatte, nichts mehr verstehen zu wollen, was über den gewöhnlichen Stempel der Stadtverwaltung hinausging.
Und endlich, nach zwei kaputten Ehen, nach all den vergeblichen Mühen, nach dem Irrglauben, Papier sei zerreißbar - endlich war mir ein Licht aufgegangen.
Es gibt keine Abweichungen, keine Auflehnung gegen die Geduld und Ewigkeit des Papiers.
Der Einzelne, der denkt, ist machtlos, er kann sich nur verstecken, muss abtauchen in der Belanglosigkeit der Masse - abtauchen zwischen irgendwelchen Tischen.
Morgens früh um…
DAS ist das Gesetz. Und nur der Magen, der die Uhrzeit verteidigt, fordert sein Recht.
☛ Die Tische, Räume der Stadtverwaltung, Abteilung Bürgerservice leeren sich. Der Tross der Abteilung verlässt das Bürgeramt und zieht in die Kantine.
Pflichtspricht, unser Chef-Stempler, geht wieder voraus. Führt das große Wort. Und alle brav hinterher, wie hinter der Gänsemutter.
Arschkriecher.
Lachen wieder über irgendeinen albernen Kram. ‚Ach, Herr Pflichtspricht… oh, Herr Pflichtspricht…‘
Glauben noch, sie werden versetzt oder kriegen irgendwo ein besseres Pöstchen… Da oben weis man auch: da gehört er hin. Da soll er bleiben.
Arschkriecher.
Gebt es doch auf, Leute. Unser Chef-Stempler hat rein gar nichts zu melden, auch wenn er noch so auf dicke Hose macht. Der kann nichts für euch tun, kann euch keine anderen oder bessere Pöstchen verschaffen! Nicht umsonst leitet der Mann schon seit zehn Jahren unsere Abteilung…
Strengt sich aber ganz schön an, unser Chef-Stempler. Kein Wunder: die Neue geht neben ihm. Hat ein süßes Frätzchen und mords Titten. Und Pflichtspricht…. Hoppla! Der Mülleimer. Da stolpert einer. Gestolpert vor lauter Titten.
Jeden Tag dasselbe Bild, jeden Tag der gleiche Mist. Immer das gleiche Gequatsche und Geschmeichel.
Arschkriecher.
Kommt einem dieses Getue am Anfang noch wie ein Witz vor, kostet es den erwachsenen und mündigen Menschen irgendwann den letzten Nerv.
Sogar unser Kleiner, unser Fitzi, unser Prinz für Arme hat’s schon über - und der ist erst drei Jahre bei uns.
In aller Ruhe häng’ ich mir die Handtasche um. Da sind meine Trösterchen drin.
Knoff, unser Gaius Marius und Fitzi warten.
Wir drei gehen ganz zum Schluss, nebeneinander. Wie immer. Wozu sich vordrängen? Um bei unsrem Chef-Stempler gut rüberzukommen?
Die meisten unsrer Kollegen schwatzen.
Was für ein freundliches Völkchen - wie rührend.
Jetzt einen kleinen Chantré, und der Kopf ist wieder klar. Sooooooooooo. Besser.
Gleich ist das Hirn ausgelüftet. Gut.
In der Rathauskantine gibt es wieder den üblichen Schlangenfraß. Ich seh’ mir an, was da in der Theke liegt und es vergeht mir.
Genau dieselben drei Menüs wie vor einem Monat.
Ich nehm’ ‘n Kaffee und ‘n Rosinenbrötchen, fertig.
Die tägliche Abfolge der Gerichte bleibt immer gleich.
Wir nehmen die Tabletts auf, stellen uns an.
Was für ein Elend!
Die Hände der Abteilung sind bis auf wenige Ausnahmen gierig - schaufeln, schöpfen. Wie gefräßige Schweine. Denen kommt’s nicht drauf an, was sie fressen. Die fressen alles. Hauptsache es ist billig. Da kann man sparen für den nächsten Urlaub, die neue Karre, die nächste Wohnungseinrichtung… wie erbärmlich!
Und wieder sitzen sie alle um unsren Chef-Stempler blasen ihm Zucker in den Arsch und plappern Unsinn.
Alles Arschkriecher.
Sie lachen.
Was für eine Verlogenheit!
Und unser Chef-Stempler baggert gewaltig an der Neuen. Und unserem Fitzi gefällt das natürlich gar nicht.
Na Fitzi, schon eifersüchtig?
Klappe! zischt Fitzi leise.
Ich grinse, dreh mich um zu unsrem Gaius Marius. Hat wieder mal nichts mitbekommen. Bald vierzig Jahre alt, macht nur große Augen und zieht die Mundwinkel runter.
Genauso sollt’ man ihn knipsen, das Gesicht so überrascht als wär er ‘ne Frau, der man in den Hintern kneift. Nie kriegt der Mann irgendwas mit, sitzt in der Mittagspause immer nur da und schlürft die dünne Erbsensuppe von seinem Löffel - genau wie ein alter Tropf.
Der Mann ist so spannend wie eingeschlafene Füße.
Sogar beim Unfall letzte Woche, als wir bei mir diesen Boxkampf schauten und es unten vorm Haus plötzlich krachte, ist er nicht mal mit ans Fenster.
Kein bisschen Neugier, kein bisschen Begeisterung. Nur für dieses schräge Statistikzeug, das er sich ständig einfallen lässt. Dazu zwei kaputte Ehen und ein Kind. Aber ich beneide ihn, dass er jemanden so liebt. (Sein Kind.)
Der Reihe nach schieben die Hände die Tabletts über die Rillen der Ablage, um die Kurve, rüber zur Kasse.
Fitzi und Knoff und ich setzen uns separat, wir haben unsren Platz, unsren Tisch.
Wir brauchen keine Gesellschaft. Keine Arschkriecher.
Außerdem - langweilen kann ich mich auch allein.
Und dann gibt es da noch was zu besprechen. Nur eine kleine Sache. Ganz unter uns.
Also, was? fragt Fitzi.
Freunde, sagt, was haltet ihr von einem Tapetenwechsel? frag ich.
Knoff nimmt den Löffel aus der Suppe.
Sie lauschen.
Freunde…
Es wird Zeit dieser schäbigen Stadtverwaltung einen Denkzettel zu verpassen.
Die Kuh ein bisschen melken, das schadet gar nichts nicht bei dem, was uns regiert.
Seit Jahren setzten diese Stümper im 22sten Stock ein Bauprojekt nach dem anderen in den Sand. Hochstraßen, die kein Mensch braucht, Einkaufscenter, die leer bleiben… Alles nur Geldwäsche… Dabei kassieren einige Damen und Herren natürlich fleißig ab und loben sich dafür noch gegenseitig.
Freunde…
Vor allem dieser feine Herr, der die Stadt vertritt.
Da sitzt dieses Schwein tatsächlich den lieben langen Tag in seinem Prachtbüro. Furzt seelenruhig in sein hübsches Sesselchen aus bestem Nappaleder, seinen Thron. Frisst feine Häppchen und Erdbeeren mit Sahne - dieses Schwein. Alle im 22sten fressen Erdbeeren mit Sahne und feine Häppchen. Sogar die Sekretärinnen.
Ich weis es, ich hab’ meine Infos.
Und wir, das hart arbeitende Volk, wir kriegen den Kantinenfraß, kriegen jeden Tag diese vorgefertigte und aufgewärmte Dreckpampe. Aber wir fressen es ja und träumen von unsrem kleinen Glück. Wie erbärmlich!
Freunde…
Hat sogar einen eigenen Fahrer dieser feine Herr… der weis, wie man’s macht. Und wir rackern uns ab für’n Appel und ’n Ei!
Hat der sich jemals bei uns in der Abteilung blicken lassen? Hat der uns je mal was spendiert oder uns gelobt?
Nein, der scheißt auf uns. Für diesen Herrn und seine Zuträger sind wir, das Personal, nur Wanzen.
Freunde… sagt ehrlich, werden wir angemessen bezahlt? Wenn wir schon keine Anerkennung erhalten? Für den Dreck, den wir jeden Tag schlucken?
Ich sage, es wird Zeit, dass auch wir, genau wie die Herren unsrer Stadt, die Vorzüge dieser Stadtverwaltung nutzen. Wir, und gerade wir, die Grundpfeiler dieses Systems, haben uns einen kleinen Bonus verdient. Redlich. Einen Bonus, den man uns von oben verweigert. Weil Hunde nun mal unter den Tisch gehören und Hunden nur die Krümel erlaubt sind, die vom Tisch fallen.
Freunde… machen wir damit Schluss… und lassen andere ein bisschen zahlen, was wir bisher für andere zahlen. Was haben wir denn zu verlieren? Ernsthaft. Was? Auch ich, auch wir wollen feine Häppchen und Erdbeeren mit Sahne, wenn uns danach ist. Auch ich, auch wir wollen mehr. Mehr Erdbeeren, mehr Häppchen, mehr Annehmlichkeit, mehr Glück.
☛ Ich bin mir sicher, ich habe diese Frau schon mal irgendwo gesehen. Sie muss hier im Rathaus arbeiten, sonst hätte sie einen Mantel oder sowas angehabt.
Sie sagte nicht mal Guten Tag, schneite einfach grußlos ins Vorzimmer und wollte zur Chefin.
So gab ich mich förmlich, presste ihr mühsam den Namen ab und meldete sie an. Dabei überlegte ich, woher ich sie kannte.
An unhöfliche Leute erinnert man sich immer besser. Ich ließ sie also rein, pickte an meinem Muffin und korrigierte weiter am Entwurf für die diesjährige Haushaltsrede. Aber dieses Gesicht drängte sich immer wieder dazwischen.
Selbst als die Frau wieder fort war.
Sie verabschiedete sich auch nicht.
Das ärgerte mich von Neuem, und deshalb aß ich gleich noch den zweiten Muffin und dachte an dieses Gesicht.
Rüpelhafte Leute bleiben immer im Gedächtnis.
Dieses Vogelgesicht mit der dicken Schminke - genau, der Matrose, letztes Jahr auf der Faschingsfete im Ebertpark war es.
Ich korrigierte weiter, pickte die Muffinkrümel aus dem Papier.
Auf der Wiese stand das Zelt. Davor hatten sie die Bütt aufgebaut und eine aufblasbare Hüpfburg.
Es war voll. Die Chefin kam diesmal als Kapitän in einer weißen Borduniform und saß ganz allein an einem der Biertische. Nicht so wie im Vorjahr, als sie mit ein paar anderen vom Stadtrat ankam.
Ihr Mann, der Klavierlehrer war ohnehin nie dabei.
Sie ist eine nette Frau, aber manchmal eigen, sehr eigen und ehrgeizig. Arbeit, immer nur Arbeit. Nie erzählt sie was über ihr Privatleben. Bis auf die Faschingsfete einmal im Jahr habe ich sie noch nie außerhalb vom Rathaus gesehen.
Und da war also diese Frau im gestreiften Hemd, die als Matrose ankam. Ihr Haar war damals nur anders, ganz kurz und hell gefärbt, dazu der aufgeklebte Schnurrbart. Eine unsympathische, ziemlich ordinäre Person, die etwas Verächtliches an sich hat, mit jedem gleich auf du und du steht und Tuchfühlung sucht.
Die Gestik, die Bewegungen - sie hatte etwas von einer Hure. Eindeutig! Da konnte sie sich einen Schnurrbart ankleben, wie sie wollte.
Ich glaube nicht, dass die Chefin und sie vorher schon kannte. Aber unsre Chefin stülpte trotzdem ein Bier nach dem andren mit ihr. Soweit ich sehen konnte, verstanden sich beide bestens. Sie sahen sich nicht mal um nach der Bütt. Ich saß inzwischen an einem der Biertische, studierte meinen Text ein, wartete auf meinen Auftritt und sah beide von hinten. Das Kängurukostum machte mir ganz schön warm. Und Christian Pflichtsprich, von unten, im Bürgerbüro, der wieder als Sheriff unterwegs war, zog mich am Schwanz und bot mir ein Glas Sekt an. Ich überlegte. Erst wollte ich rüber zur Chefin, um rauszukriegen, was da ablief. Aber mein Mann und ich hatten uns hier verabredet, damit ich noch mal meinen Text durchging. Mein Mann war noch nicht da. Also blieb ich sitzen, wartete, nahm den Sekt an und wir plauderten.
Ab und zu sah ich zur Chefin.
Die Redner waren zu laut, um was zu hören, aber die Chefin und diese komische Frau redeten eine ganze Menge. Dann kam mein Mann, der als Cowboy ging und brachte den Teller mit den Steakbrötchen.
Er und Pflichtspricht mussten sich natürlich gleich duellieren und ihre Revolver austauschen. Da wurden die Steaks natürlich kalt und ich musste mal wieder alleine herhalten. Ich war eben erst mit dem zweiten Steakbrötchen fertig, da kam schon der Tusch vom Orchester. Ans Mikrofon hopsen, wie ich es eigentlich vorhatte, konnte ich da jedenfalls vergessen. Immerhin machte ich meine fünf Minuten oben mal wieder ganz passabel.
Ich glaube, die Chefin klatschte zum Schluss, aber die Frau, fiel mir auf, sah kein einziges mal herum.
Selbst die kleinste Missachtung sitzt für lange.
Später ging ich schließlich doch mal kurz rüber. Aber ich merkte schnell, dass beide allein sein wollten. Sie saßen noch immer und tranken Bier als Mitternacht längst durch war und wir heimgingen.
☛ Die sind nach Feierabend zu mir gekommen. Hab’ unten, in Zimmer Neun die Steckdose von der Kaffeemaschine gewechselt. Da war außen alles bröslig, die Steckdose mal wieder halb rausgerissen.
Die Herrschaften ziehen immer so am Kabel. Hab’ gekniet und grade ein bisschen Gips auf die Einfassung geschmiert, hab’ dübelte.
Auf einmal standen die da, die Specht und der Knoff.
Tag, Herr Buda. Sagen Sie mal, meinte die Specht. Sie wohnen doch hier in der Nähe.
Bin aufgestanden, hab’ hier die Steckdose, da die Spachtel gehabt und mir die Herrschaften angeguckt hab mir die ungefähr so angeguckt, wie die sonst mich, wenn die was von mir was wollten, weil die Jalousie bei denen in der Abteilung mal wieder klemmte oder der Heizkörper streikte.
Die Specht, die wollte was. Eindeutig. So wie die mich ansah.
Ja? fragte ich und dachte, was kommt denn jetzt. Dachte, Buda, was wollen die denn von dir?
Wissen Sie, ob dort im Moment irgendwo ‘ne Wohnung frei ist? fragte die Specht.
Und ich: Bei mir im Haus, oder wie?
Ich war noch immer nicht ganz da.
Zum Beispiel, meinte die Specht und grinste.
Jahrelang ständig das griesgrämige Gesicht von der. Kaum ein Wort. Und jetzt quatscht mich die Gnädige plötzlich an und macht auf freundlich. Da kommt man sich schon irgendwie verarscht vor. Aber wen kratzt das schon, wenn er Hausmeister im Rathaus ist? Vor allem, wenn man erst mal zehn Jahre Hausmeister in irgendeinem Rathaus ist - da kratzt einen echt nicht mehr viel. Sag’ ja, wer schon mal in der Chefetage die Rohre vom Scheißhaus aufgemacht hat, weil sie verstopft waren - und immer wieder verstopft sind - wer da gesehen hat, was da so alles drinsteckt, in so einem Scheißhausrohr, der weis was gemeint ist.
Hatte trotzdem keinen Dunst, was das werden sollte.
Hab’ also von der Specht kurz zum Knoff geguckt.
Aber von dem kam gar nichts, der war nur so dabei. Im Grund war er wie immer, bekam den Mund überhaupt nicht auf, sah nur genauso verdutzt aus wie jeden Morgen, wenn ihn plötzlich einer anredete.
Ne, glaub’ nicht, meinte ich, legte die Steckdose auf das Stück Zeitung auf dem Aktenschrank.
Okay, danke, sagte da die Specht und drehte sich um, genau wie der Knoff, weil sie gehen wollte.
Sah auf meine Hände, dachte nach, war sicher.
Die meinten die Sache wirklich ernst.
Aber wenn sie wollen, rief ich. Und die zwei drehten sich sofort wieder um.
Kann ja mal genau nachfragen. Sag ihnen dann morgen bescheid.
Das wär’ sehr nett von Ihnen. Danke, Herr Buda, meinte die Specht da ganz artig.
Und dann ab.
Hab’ in Ruhe die Steckdose fertig gemacht, damit die Herrschaften morgen wieder am Kabel zerren und die Steckdose rausreißen konnten. Hab’ dann den Kram zusammengepackt, die Kutte ausgezogen und bin heim, rüber vom Rathaus in die Schulstraße, wo wir wohnen. Ich und die Frau und die Kleine.