Ihr wisst nichts über uns! - Charlotte Wiedemann - E-Book

Ihr wisst nichts über uns! E-Book

Charlotte Wiedemann

4,8

Beschreibung

Ein Islam ohne Klischees: Auf ihren Reisen erlebt Charlotte Wiedemann eine Vielfalt muslimischen Lebens, die in unseren Nachrichten kaum vorkommt. Geschichten vom Aufbruch, von Konflikten, von Hoffnungen, recherchiert an Universitäten ebenso wie in Bauernhütten. Oft stehen Frauen im Mittelpunkt. Meisterwerke journalistischer Erzählkunst.

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Charlotte Wiedemann

»Ihr wisst nichts über uns!«

Meine Reisen durch einen unbekannten Islam

Impressum

Titel der Originalausgabe:»Ihr wisst nichts über uns!«© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2008ISBN (Buch): 978-3-451-03012-3Aktualisierte und überarbeitete Ausgabe© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlagkonzeption: Agentur R•M•E Roland EschlbeckUmschlaggestaltung: Verlag HerderUmschlagmotiv: © Thomas GrabkaISBN (E-Book): 978-3-451-34611-8ISBN (Buch): 978-3-451-06455-5

Inhaltsübersicht

Vorwort

Wir sind Pionierinnen, in sha’ allah

Saudi-Arabien: Die Suche nach einem islamischen Weg zur Emanzipation

Paradoxe Identitäten

Iran: Eine psychologische Reise durch den doppelbödigen Alltag

Die zwei Gesichter der Scharia

Nigeria: Der Schrei nach sozialer Gerechtigkeit

Anatolische Tiger gegen Atatürks Erben

Türkei: Ein selbstbewusster Islam bedrängt die alten Eliten

Aufbruch hinter dem Vorhang

Pakistan: Wie Frauen für ihre Rechte kämpfen

Fatwa und Globalisierung

Ägypten: An der Azhar, der ältesten Universität der Welt

Karawanen der Sehnsucht

Jemen und Oman: Zwei arabische Wege in die Moderne

Wissen wo der Folterer wohnt

Ägypten II: Kampf um Bürgerrechte, nach der Revolution

Wem gehört die neue Freiheit?

Tunesien: Über Frauenrechte, Islamismus und Identität

Nachwort

Über Reisen, Respekt und Geschlecht

Dank

Vorwort

Dieses Buch öffnet ein Fenster zum realen Leben heutiger Muslime, zu ihrem Alltag, ihren Konflikten, Hoffnungen und Träumen. Ein Fenster zu einem Islam jenseits der nachrichtlichen Dauerschleife von Terror und Krieg. So unterschiedlich die Kulturen im großen geografischen Bogen zwischen Hindukusch und Sahel sind: Überall spielen sich Auseinandersetzungen ab um den Weg in die Zukunft. Und oft stehen dabei Frauen im Mittelpunkt: weil sich an ihrer Rolle die Geister scheiden und weil Frauen häufig die entschiedensten Protagonistinnen der Veränderung sind, ob in Pakistan, in Saudi-Arabien oder im Jemen.

Die Berichte von meinen Reisen, die ich meist als Autorin für DIE ZEIT oder für GEO unternehme, sind auch ein Plädoyer: dafür, dass wir uns bewusst werden, wie verengt unsere Wahrnehmung der sogenannten »islamischen Welt« ist – und wie wir uns selbst damit schaden. In verhängnisvoller Egozentrik starren wir fast ausschließlich auf eine kleine Minderheit von Muslimen, die uns, den Westen, zu bekämpfen scheint. Wir blenden die Mehrheiten aus, wir blenden aus, mit welcher Leidenschaft Muslime um das Gesicht ihrer eigenen Gesellschaften ringen, auch um die Rolle der Religion.

Gesellschaft? Das Wort scheint reserviert für unsere Kultur, für westliche, säkulare Zivilität – als gäbe es in islamischen Ländern keine Werte, die den unseren ähneln, keine Vorstellung von Glück, das unserem verwandt wäre. Bürger, das sind nur wir; sie sind Muslime: das Fremde, das Andere schlechthin. Dieses Buch erzählt von muslimischen Bürgern, von islamischer Zivilgesellschaft. Ich meide auf meinen Reisen die Amtsstuben und die Konferenzsäle, ich suche nach den inoffiziellen Gesichtern der Länder. In Schulen und Universitäten ebenso wie in Bauernhütten. In Frauenzentren und Zeitungsredaktionen, bei Anwältinnen und Menschenrechtlern. Und zu Hause bei Familien.

Den politischen Aufbruch treiben meist nicht jene säkularen Muslime voran, die in westlicher Wahrnehmung als einzig vertrauenswürdig gelten, sondern gemäßigt Religiöse. Nahezu alle engagierten Bürger in meinen Berichten sind religiös, schöpfen aus islamischer Ethik. Die Gleichsetzung von säkular und demokratisch greift zu kurz, das zeigt sich nicht nur in der Türkei. Die »Kopftuchmädchen« haben mich in vielen Ländern Respekt gelehrt.

Weil wir die Heterogenität muslimischen Lebens unterschätzen, übersehen wir auch eine Modernität, die sich in Individualismus und Zerrissenheit ausdrückt. Ganz im Gegensatz zum monochromen Bild vom Gottesstaat ist der Iran zweifelsohne eine Gesellschaft: nämlich ein schwer überschaubares, anstrengendes Puzzle von Verhältnissen, Stimmungen, Beziehungen, Lebensgefühlen und Psychosen.

Je näher man sich mit der Vielfalt islamischer Lebenswelten vertraut macht, desto mehr relativiert sich die Ansicht, im Islam der Gegenwart dominierten allein rückwärtsgewandte Kräfte. Viele der Menschen, die in diesem Buch vorkommen, mögen nach hiesigen politischen Kriterien nicht progressiv sein – aber im Kontext ihrer Gesellschaft gehen sie vorwärts, suchen einen Ausweg aus der Misere ihres Landes oder ihrer sozialen Schicht. Im Norden Nigerias entstand die Forderung nach Einführung der Scharia aus der Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit und auf eine saubere Justiz. Das Neue schlägt Funken, selbst dort, wo uns Archaisches schreckt.

Die großen demokratischen Aufstände des arabische Frühlings, in Tunesien beginnend, haben sich vielerorts schon vorher angekündigt: mit den kleineren Kämpfen um Würde und um politische Teilhabe. Nur wollte der Westen davon lange nichts wissen. Die Jemenitin Tawakkol Karman, im Herbst 2011 mit dem Friedensnobelpreis geehrt, lernte ich kennen, als sie gerade ihre ersten politischen Schritte machte: Eine junge Journalistin, die zugleich Mitglied einer gemäßigt-islamischen Partei ist und für Pressefreiheit kämpft. Einige Jahre später steht sie in der ersten Reihe, als sich im Jemen Hunderttausende gegen den Präsidenten erheben.

In den islamischen Ländern deuten die Hinweisschilder zur Zukunft eben nicht unbedingt nach Westen. Demokratie ja – aber diese Gesellschaften werden ihre eigenen Modelle hervorbringen. Das braucht Zeit. In Ägypten besuchte ich nach der ersten Revolution die Protagonisten einer zweiten Revolution: Sie arbeiten daran, Jahrzehnte der Diktatur zu entwurzeln, auch in der Mentalität ihrer Landsleute. In Tunesien erlebte ich, welche Herausforderung die gerade gewonnene Freiheit bedeutet, wenn sich Laizisten und Religiöse auf einen neuen Konsens für ihr Land verständigen müssen. Noch nie war die islamische Welt so farbig und so spannend wie heute.

Wir sind Pionierinnen, in sha’ allah

Saudi-Arabien: Die Suche nach einem islamischen Weg zur Emanzipation

Die Sandsäcke da draußen, die bewaffnete Wache und die versenkbare Straßensperre, das ist alles nicht der Rede wert. Nur die übliche Angst vor Anschlägen. Das Erstaunliche ist hier drinnen: eine Redaktion, in der sich Männer und Frauen niemals begegnen.

Voilà, dies ist Saudi-Arabien.

Al-Riyadh, die größte Tageszeitung des Landes, hat zwei Eingänge; durch den einen gehen jeden Tag ungefähr 300Männer, durch den anderen zwölf Frauen. Ihre überladenen Schreibtische und überquellenden Pinnwände sehen aus wie in jeder beliebigen Redaktion der Welt – nur verkehren diese Journalistinnen mit den Männern drüben ausschließlich per Telefon, E-Mail oder Fax. Einen Grund zur Klage sehen sie darin nicht, im Gegenteil. »Wir nutzen die Technik zu unserem Vorteil«, sagt Bareah al-Zubeedy. Sie schreibt über Wirtschaft und Politik, seit 13Jahren schon; eine Frau von unaufgeregtem Selbstbewusstsein.

Die Trennung der Geschlechter ist in Saudi-Arabien so strikt wie in keinem anderen islamischen Land, und ganz besonders strikt ist sie in Riad, der Hauptstadt. Als Europäerin, die daran gewöhnt ist, dass der öffentliche Raum allen gehört, fühlte ich mich in dieser Stadt im ersten Moment wie enteignet: Ich war nirgendwo vorgesehen. Nicht in der schönen Lobby meines Hotels, nicht in den schicken Cafés um die Ecke, nicht auf der Straße und nicht in den milden Strahlen von Riads Wintersonne. Alles Öffentliche, Offene, Luftige ist ein männlicher Ort, ein rot-weiß markierter Ort, so rot-weiß wie die arabischen Tücher der Männer.

Den Journalistinnen von »al-Riyadh« ist die Eifersucht, es den Männern gleichtun zu wollen, fremd. Und sie verspüren wenig Lust, über Geschlechtertrennung zu diskutieren. Das seien doch Äußerlichkeiten. Ihnen geht es um ihre Arbeit, um Qualität, um Anerkennung.

»Früher wollten die Männer in den Ministerien nicht einmal am Telefon mit mir reden. Vieles hat sich verändert«, sagt Bareah. »Es wird heute akzeptiert, dass eine Journalistin auch draußen recherchieren muss.« Eine Kollegin, die für eine Reportage fünf Tage in abgelegenen Wüstengebieten verbrachte, wurde von ihrem Bruder begleitet. Gibt es nicht für alles eine Lösung? Im Zimmer der Autorin hängt die Reportage hinter Glas, sie wurde mit einem Preis ausgezeichnet, alle stehen stolz davor, und irgendwie versteht man in diesem Moment, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, warum sich eine gestandene Mutter von vier Kindern von ihrem Bruder begleiten lassen musste.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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