Im Bett mit einem Psychopathen - Carolyn Woods - E-Book

Im Bett mit einem Psychopathen E-Book

Carolyn Woods

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Beschreibung

Carolyn Woods lebte glücklich in einem ruhigen Dorf in den Cotswolds, als plötzlich ein attraktiver Fremder in ihr Leben trat. Er stellte sich als Mark Conway vor, und zu ihrer Überraschung war Carolyn schnell von diesem mysteriösen Mann fasziniert. Der reiche Schweizer Bankier (der später gestand, ein Spion zu sein) nahm Carolyn mit in eine aufregende, glamouröse Welt. Einige Dinge jedoch waren seltsam, und sie begann, ihren Liebhaber zu hinterfragen. Die Wahrheit war unglaublich: Sein richtiger Name war Mark Acklom, er wurde von Interpol gesucht, und er war reich, aber nur aus einem Grund. Carolyn war auf einen skrupellosen Betrüger hereingefallen... ...

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Seitenzahl: 534

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungEinleitungProlog1 - Ein unvergesslicher Tag2 - Ein Mann in Eile3 - Sichverlieben4 - Love Bomb5 - Der Spion, der mich liebte6 - Spiegelkabinett7 - Bei Licht einschlafen8 - Niedersinken9 - Düsternis, die keine Wirklichkeit überbieten kann10 - Schutz vor sich selbst11 - Unter Ermittlern12 - Das Wort, das du gesprochen13 - Ein Beweis von Kraft14 - Den Kopf hoch tragen15 - Eine Schlange in einem Blumenbeet16 - Eine Stätte des GlanzesDanksagungNachwortQuellen

Über dieses Buch

Carolyn Woods lebte glücklich in einem ruhigen Dorf in den Cotswolds, als plötzlich ein attraktiver Fremder in ihr Leben trat. Er stellte sich als Mark Conway vor, und zu ihrer Überraschung war Carolyn schnell von diesem mysteriösen Mann fasziniert. Der reiche Schweizer Bankier (der später gestand, ein Spion zu sein) nahm Carolyn mit in eine aufregende, glamouröse Welt. Einige Dinge jedoch waren seltsam, und sie begann, ihren Liebhaber zu hinterfragen. Die Wahrheit war unglaublich: Sein richtiger Name war Mark Acklom, er wurde von Interpol gesucht, und er war reich, aber nur aus einem Grund. Carolyn war auf einen skrupellosen Betrüger hereingefallen …

Über die Autorin

Carolyn Woods brauchte nach ihrer Trennung von »Mark Conway« mehrere Jahre, um wieder in ein normales Leben zu finden. Dank der Unterstützung ihrer beiden erwachsenen Töchter sowie einiger treuer Freunde, die ihr geblieben waren, fand sie wieder Wohnung, Sicherheit, Arbeit und sogar eine neue Liebe. Heute lebt sie auf dem Land in einem gemütlichen Cottage, genau so, wie sie es sich gewünscht hatte, bevor der Betrüger in ihr Leben trat.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der englischen Originalausgabe:

»Sleeping with a Psychopath«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Carolyn Woods

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Angela Kuepper, München

Umschlaggestaltung: Cover design by Andrew Davis© HarperCollinsPublishers Ltd 2021

Einband-/Umschlagmotiv: © Trevillion Image: Magdalena Russocka

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-1870-7

luebbe.de

lesejury.de

Für Lara und Emma

Er wird dich auswählen, mit seinen Worten entwaffnen und dich durch seine bloße Präsenz kontrollieren. Er wird dich mit seinem Witz und seinen Plänen beglücken. Du wirst Spaß mit ihm haben, aber stets dafür bezahlen. Er wird dich anlächeln und täuschen, er wird dich ängstigen mit seinen Augen. Und wenn er mit dir fertig ist – und er wird mit dir fertig sein –, wird er dich verlassen und dir deine Unschuld und Würde nehmen. Du wirst trauriger sein als vorher, aber nicht viel klüger – und du wirst dich lange fragen, was passiert ist und was du falsch gemacht hast. Und wenn der Nächste an deine Tür klopft, wirst du sie öffnen?

Aus dem Aufsatz mit der Unterschrift »Ein Psychopath in Haft«,

Robert Hare, Gewissenlos

Prolog

15. Juni 2013

Ich stehe unter Schock. Unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren, liege ich da. Jeder Nerv in meinem Körper steht unter Beschuss. Ich bin so müde, doch sobald ich die Lider schließe, werde ich von psychedelischen Lichtblitzen attackiert. Sodass ich reglos, mit weit aufgerissenen Augen daliege und kaum zu atmen wage.

Ich möchte sterben. Mir ist, als würde ich in den Strudel eines schwarzen Loches eingesogen, während ein weißes Rauschen in meinen Ohren knistert und in meinem Kopf unausgesetzt drei Worte rotieren, wieder und wieder, Worte, die hinausgebrüllt werden wollen, lauter und lauter, bis ich glaube, in Ohnmacht zu fallen.

DUVERDAMMTERDRECKSACK!

Es ist Donnerstag, der 13. Juni 2013. Achtzehn Monate ist es her, da war ich eine kultivierte, gebildete Frau gewissen Alters – kontaktfreudig, gesellig, voller Selbstvertrauen –, die ihre Unabhängigkeit genoss. Mit meiner Scheidung, dem Tod meiner Eltern, der Kündigung hatte ich abgeschlossen und freute mich auf einen Neuanfang. Meine beiden Töchter hatten das Nest verlassen, das Haus war verkauft, und ich war in ein gemütliches Städtchen in den Cotswolds gezogen, wo ich nach einem neuen Eigenheim Ausschau hielt. Ich hatte ein hübsches Cottage gemietet und in einem schicken Bekleidungs- und Lifestyle-Laden im Ort einen Job gefunden, was mir einen netten Vorwand bot, mich Tag für Tag elegant zu kleiden, um unsere betuchte Kundschaft zu bedienen. Einmal warf ich mich sogar in Frack und Zylinder, so eine Adresse war das – wie erfrischend nach der eher biederen Atmosphäre des Pharmaunternehmens, in dem ich vorher fast zehn Jahre gearbeitet hatte!

Ich knüpfte Kontakte, integrierte mich ins Stadtleben und versuchte, neue Freundschaften zu schließen. Alte Freunde bewunderten meinen Mut und meinten, ich würde »einen Traum verwirklichen«. Ich war beinahe wunschlos glücklich. Und mit Sicherheit nicht auf der Suche nach einer Romanze.

Dann spazierte eines Abends ein Mann ins Geschäft und in mein Leben und veränderte alles. Er war anders als alle, denen ich je begegnet war, und ich fühlte mich sofort zu ihm hingezogen, ebenso wie er sich zu mir. Er war attraktiv und schneidig und schenkte mir viel Aufmerksamkeit. Während wir uns zügig miteinander bekannt machten, erzählte er mir, dass er ein reicher Steuerflüchtling sei, ein Schweizer Bankier; später schwor er mich auf Geheimhaltung ein und vertraute mir an, eigentlich sei der Job eine Tarnung für seine Agententätigkeit.

Das klingt erstaunlich, ich weiß, aber ich glaubte ihm jedes Wort. Mit Sicherheit passte er ins Rollenklischee, und es passierte genug, um mich zu überzeugen, dass ich es mit einem echten James Bond zu tun hatte. Ich verliebte mich in ihn und freute mich schon auf die Hochzeit. Ein teures Hochzeitskleid hing in meinem Schank.

Das alles erscheint mir jetzt, da ich mir über unsere Beziehung den Kopf zerbreche, sehr lange her. An Marks unsteten Lebensstil habe ich mich zwar gewöhnt, doch mittlerweile habe ich ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen, und obwohl er jeden Tag anruft und mir Nachrichten schreibt, mache ich mir Sorgen um seine Gesundheit.

Nach und nach hat Mark die Kontrolle über mein Leben übernommen, mich überzeugt, meinen geliebten Job aufzugeben, und aus meinem gemieteten Häuschen in eine Villa zu ziehen, die er für uns gekauft hat, während ein anderes, noch großartigeres Anwesen zu unserem endgültigen neuen Zuhause umgebaut wurde. Er hat mich systematisch abgeschottet, und ich bin ängstlich, depressiv und verschlossen geworden. Ich bin sehr durcheinander. Es ist, als hätte mir jemand die Schädeldecke geöffnet und mir einen laufenden Mixer ins Hirn gehalten. Ich habe mein ganzes Selbstvertrauen verloren und verbringe den Großteil meiner Zeit als Eremitin, die einsam und elend herumhockt und auf Marks Anrufe und Textnachrichten wartet, um zu erfahren, wann wir uns vielleicht wiedersehen.

Wenn ich in den Spiegel blicke, erkenne ich die Frau, die mir daraus entgegenstarrt, kaum wieder. Die Leute sagen mir immer, ich würde jünger wirken, als ich bin, doch mittlerweile sehe ich schrecklich aus. Ich stecke in einer Identitätskrise. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Es ist, als hätte jeder Monat unserer Beziehung mich um ein Jahr altern lassen. Ich war immer auf mein Äußeres bedacht – immer elegant, immer geschminkt, alle zwei Monate beim Friseur –, doch das geht jetzt nicht mehr. Längst sieht man den grauen Haaransatz, und ich habe dunkle Ringe unter den Augen. Ich lebe von einem Tag zum nächsten, weiß nie, wo ich am Abend schlafen werde.

Es ist sechs Monate her, seit ich der Einsamkeit der georgianischen Dreimillionenvilla, die Mark uns in Bath gekauft hatte, entflohen und bei einer alten Freundin untergekommen bin. Ohne Geld und mit wachsendem Schuldenberg führe ich ein Nomadenleben und bin auf den guten Willen anderer angewiesen, die mir für kurze Zeit ein Zimmer überlassen.

Ein Teil von mir klammert sich nach wie vor an die Hoffnung, dass ich womöglich überreagiere und mein neues Leben mit Mark genau so sein wird, wie er es mir immer wieder verspricht. Achtzehn Monate werde es dauern, sein Leben zu regeln, er hatte es mir von Anfang an gesagt. Und ich hatte versprochen, auf ihn zu warten. Doch diese Zeit ist inzwischen fast abgelaufen, und ich bin mit meiner Weisheit am Ende, kann einfach nicht mehr. Mark hat mich so viele Male enttäuscht, aber immer noch versuche ich mir einzureden, dass er ein Ehrenmann ist. Hoffnung ist das Einzige, was mir geblieben ist.

Es ist zweiundzwanzig Minuten nach vier, und der erste Schimmer Tageslicht dringt durch die Vorhänge. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.

Ich kann nicht mehr.

Im Dunkeln taste ich auf dem Nachttisch herum. Ich finde mein Handy und tippe vier Worte:

Bitte helfen Sie mir

Zwei weitere Stunden vergehen, ehe James Miller auf meine SMS reagiert und mir schreibt, wenn ich wolle, könne ich ihn anrufen. Ich kenne James eigentlich kaum. Er hatte geschäftlich mit Mark zu tun, der mir wiederum einmal gesagt hatte, ich solle – falls ich ihn, Mark, mal nicht erreichen könne – James kontaktieren, um Genaueres in Erfahrung zu bringen und mich zu beruhigen, denn James sei über alles im Bilde.

Ich rufe James an, entschuldige mich für die frühe Störung. Zur erhofften Beruhigung verhilft mir unser kurzes Telefonat allerdings nicht. »Während der letzten zwei Monate«, erzähle ich ihm, »hat Mark mir immer wieder versichert, dass Sie mich abholen und Flugtickets und Geld mitbringen werden. Dass wir uns in den nächsten Flieger setzen und ihn besuchen werden, wo immer er sich gerade befindet, da Sie einige Aufträge für ihn zu erledigen hätten. Wissen Sie irgendetwas darüber?«

»Nein, nein, tut mir leid«, erwidert James. »Davon weiß ich überhaupt nichts.«

Doch was dann kommt, verschlägt mir die Sprache.

»Carolyn, es tut mir wirklich leid, aber ich habe selbst gerade Riesenärger seinetwegen. Mein Unternehmen geht den Bach runter, mein Ruf ist ruiniert. Ich weiß nicht, wie ich das überleben soll. Ich habe einiges über ihn herausgefunden, und ich glaube, dass Sie Bescheid wissen sollten.«

Ich frage James, ob wir uns treffen können, und er ist bereit, am Samstag von Gloucestershire nach London zu kommen, um mir weitere Fragen zu beantworten. Und ich habe eine ganze Menge davon.

Zwei Tage später bin ich wieder mal umgezogen und wohne bei einer alten Schulfreundin in Twickenham. Es ist neun Uhr morgens. James parkt sein Motorrad vor dem Haus; wir gehen die kurze Strecke zum Twickenham Green zu Fuß und tauschen dabei etwas unbeholfen Höflichkeitsfloskeln aus – beide beklommen, was uns wohl als Nächstes blüht.

Arthur’s Bistro am Rande des Parks ist leer. Es ist noch früh. Wir wählen einen Tisch in einer Ecke, um möglichst ungestört zu sein, und bestellen Kaffee. James ordert auch noch Rühreier; ich habe keinen Appetit. Es ist ein sonniger Junimorgen, doch mir ist eiskalt, und ich weiß, dass ich entsetzlich aussehen muss, aber während das Café sich allmählich füllt, gewinne ich den Eindruck, dass niemand, der uns beide sieht, erraten würde, dass da irgendetwas im Argen liegt, und erst recht nicht, dass gerade meine ganze Welt zusammenbricht. Wir sind lediglich ein weiteres Kaffee trinkendes, plauderndes Paar. Es ist ein entspannter, gemütlicher Ort, an dem wir uns, ich in meiner braunen Lederjacke und Jeans, James mit Motorradjacke und Helm, auf den ersten Blick wahrscheinlich wunderbar einfügen. Aber mir ist, als trüge ich ein Schild auf der Brust, auf dem in großen Lettern Untröstlich oder Selbstmordgefährdet zu lesen ist.

Ich weiß kaum, wo beginnen, doch während die Stunden dahineilen, sind wir beide völlig in unser Gespräch vertieft. Die Enthüllungen erfolgen Schlag auf Schlag, und es fällt mir schwer, das alles zu verdauen.

Er heißt gar nicht Mark Conway.

Wie um alles in der Welt konnte mir das passieren? Wie konnte ich zulassen, dass dieser Mann mein Leben derart ruiniert, dass ich nur noch einen Wunsch habe, nämlich mich umzubringen?

Und wenn er nicht Mark Conway ist, wer zum Teufel ist er dann?

1

Ein unvergesslicher Tag

Das war ein unvergesslicher Tag für mich, denn er bewirkte große Veränderungen in mir. Doch so verhält es sich mit jedem Leben. Man stelle sich einen einzigen daraus herausgehobenen Tag vor und bedenke, wie anders er hätte verlaufen können. Verweilen Sie, die Sie dies lesen, und bedenken Sie für einen Augenblick die lange Kette aus Eisen oder Gold, aus Dornen oder Blüten, die Sie nie gefesselt hätte, wenn nicht an jenem unvergesslichen Tag das erste Glied geschmiedet worden wäre.

Charles Dickens, Große Erwartungen

Als ich am Morgen des 19. Januar 2012 die Vorhänge zurückzog, deutete nichts darauf hin, dass die Ereignisse der nächsten vierundzwanzig Stunden den Lauf meines Lebens dramatisch ändern würden. Der graue Himmel, der am Morgen ausdruckslos auf mich heruntergestarrt hatte, war den ganzen Tag stur bei seiner metallenen Färbung geblieben und wurde schließlich bleiern, als der Abend seinen Mantel über das Städtchen Tetbury breitete und die Nacht hereinbrach.

Kunden waren in dieser nachweihnachtlichen Flaute dünn gesät, dennoch blieb mir immer noch eine halbe Stunde, bis ich zusperren und nach Hause gehen konnte. Nina Simone sang leise im Hintergrund, während ich am Tisch saß und meinen Tagesbericht schrieb. Dann hörte ich das vertraute Geräusch der Ladenglocke, und ich blickte auf, um einen späten Kunden zu begrüßen.

»Hallo«, sagte ich lächelnd. »Kann ich Ihnen helfen?«

Einzelne männliche Kunden waren eher selten, und die Männer, die sich dennoch blicken ließen, kamen gewöhnlich leger in Jeans oder ausgebeulter Cordhose, oft mit ebenso ausgebeulter Tweedjacke kombiniert. Der Dresscode war hier eindeutig sportlich-rustikal. Sportlich-elegant hatte kaum eine Chance. Und elegant bekam man noch seltener zu Gesicht.

Doch dieser Mann war ohne Fehl und Tadel. Er war von mittlerer Größe und Statur, hatte dichtes dunkelbraunes Haar, braune Augen, einen sehr kurz gestutzten Bart samt Moustache sowie einen olivfarbenen Teint. Er trug ein frisch gebügeltes weißes Hemd (keine Krawatte), und Anzug und Brille sahen aus, als stammten sie vom Designer. Er wirkte, als käme er vom Kontinent, und strahlte Selbstvertrauen aus. Spannung knisterte in der Luft. Er sah mich direkt an, hielt meinem Blick stand und lächelte.

»Ich habe diese Jacke im Fenster gesehen. Und mich gefragt, ob Sie sie wohl in meiner Größe dahaben?«

»Schauen wir doch mal nach. Die Herrensachen sind hinten. Ich zeige sie Ihnen.«

Ich führte ihn in den hinteren Raum.

»Welche Größe tragen Sie denn normalerweise? Zweiundfünfzig?«

Ich ging die auf der Stange hängenden Jacken durch, jedoch ohne Erfolg.

»Tja, sieht so aus, als wäre die im Fenster die letzte. Ich hole sie Ihnen rein.«

»Nein, aber nein, machen Sie sich doch keine Umstände! Ich habe mich nur umgeschaut.«

»Sie machen mir keine Umstände. Vielleicht möchten Sie sich noch ein bisschen umsehen, während Sie warten. Wir haben ein paar wirklich schöne Modelle.«

Ich griff nach ein paar anderen Jacken, wies auf das farbige Futter und die nicht zusammenpassenden Knöpfe und Knopflöcher hin, die quasi ein Markenzeichen dieses Herstellers waren, und ließ sie ihn anprobieren, während ich die Jacke aus dem Schaufenster holen ging. Unterdessen plauderte er weiter.

»Ich fahre jetzt schon seit Wochen Tag für Tag an Ihrem Schaufenster vorbei. Die Jacke ist mir aufgefallen. Normalerweise hätte ich nicht angehalten, aber heute wollte ich mir unbedingt die Haare schneiden lassen. Nun schließt der Friseur allerdings schon um fünf. Fünf Uhr – verrückt! Wahrscheinlich besser so. Normalerweise würde ich mich nie in einen solchen Laden verirren. Aber diese Boutique hier hat Stil. Wie lange sind Sie schon hier?«

»Achtzehn Monate etwa. Herrenbekleidung führen wir aber erst seit Kurzem. Was halten Sie davon?«

Ich half ihm in die Jacke, die ich inzwischen hereingeholt hatte.

»Ist zwar nicht unbedingt meine Preisklasse, aber die Jacke gefällt mir. Allerdings passt sie nicht perfekt, oder? Was meinen Sie? Ich denke, eine Nummer größer wäre besser.«

»Ich finde, sie sieht gut aus, aber wenn Sie wollen, kann ich mal nachsehen, ob wir Ihnen die nächste Größe bestellen können.«

»Ich denke darüber nach. Vielleicht lasse ich mir etwas Ähnliches maßschneidern. Das ist die einzige Möglichkeit, wenn die Sachen richtig passen sollen. Wie heißen Sie übrigens?« Immer noch lächelnd, sah er mir direkt in die Augen.

»Ich bin Carolyn.«

»Ich heiße Mark. Schön, Sie kennenzulernen.«

Während wir zwanglos weiterplauderten, kehrten wir in den vorderen Teil des Ladens zurück, wurden allerdings jäh unterbrochen, als meine Freundin Uma mit ihrem Hund Lulu hereingestürmt kam. Uma war zerzaust und durchgepustet und trug einen langen braunen Wachsmantel und eine Schaffellmütze. Wir machten immer Witze, dass wir zwei ein tolles Duo abgäben, und bezeichneten uns unter uns gern als »Shabby Chic«. Wir waren ein gutes Beispiel dafür, dass Gegensätze sich anziehen. Ich mochte Uma und ihren Partner Antony, die beide unglaublich gastfreundlich und großzügig zu mir gewesen waren, seit Uma und ich uns angefreundet hatten – eine Freundschaft übrigens, die im Laden ihren Anfang genommen hatte.

»Hi, Carolyn. Hör mal, ich bin eben auf meinem Spaziergang an diesem Haus in Doughton vorbeigekommen, das du dir angesehen hast. Ich weiß, dass du es schon abgehakt hast, aber ich finde wirklich, du solltest es dir noch mal ansehen. Das hat echt Potenzial, da könnte man was draus machen. Ich wollte es dir nur schnell sagen.« Uma hatte früher als Maklerin gearbeitet und war immer sehr hilfsbereit.

»Danke, Uma, aber du weißt ja, ich will eigentlich kein solches Projekt.«

Uma blickte auf Mark und warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich stellte sie einander nicht vor. Eigentlich wollte ich sie eher loswerden, damit ich das Gespräch mit meinem faszinierenden neuen Kunden fortsetzen konnte.

»Nun gut, wie auch immer, ich muss jetzt nach Hause. Komm doch, wenn du magst, nach der Arbeit auf einen Drink vorbei, dann versuche ich noch mal, dich umzustimmen.«

»Danke, Uma. Mach ich. Aber bezüglich des Hauses steht meine Entscheidung fest.«

Uma ging, und Mark und ich nahmen unseren Gesprächsfaden wieder auf. Ich erklärte ihm, dass ich erst vor Kurzem nach Tetbury gezogen sei und mir ein Häuschen kaufen wolle, doch dass sich das als schwieriger erwies als erwartet. Mit Mark redete es sich so leicht, dass ich das Gefühl hatte, ihn schon mein Leben lang zu kennen. Er erkundigte sich nach meiner Familie, und ich erzählte ihm von meinen erwachsenen Töchtern Lara und Emma. Ich griff nach einer Ausgabe von Cotswold Life, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag, um ihm Fotos meiner jüngeren Tochter Emma zu zeigen, die für einen Artikel über den Laden gemodelt hatte.

»Ist sie nicht hinreißend?«

»Oh ja.«

»Und ihre Schwester ist genauso wunderschön, und ich meine nicht nur, was das Aussehen angeht. Es sind tolle Mädchen. Ich habe großes Glück mit ihnen.«

»Sind Sie verheiratet?«

Er hatte bereits erwähnt, dass er dreimal verheiratet gewesen sei.

»Nein.«

»Gibt es einen besonderen Menschen in Ihrem Leben?«

Er war sehr direkt, und ich hielt einen Moment inne, ehe ich zu einer Antwort ansetzte.

»Vielleicht …«

Es ging ihn nichts an, doch schon als Kind fühlte ich mich zu antworten genötigt, egal was man mich auch fragte, und bin bis heute nicht mal zu einer Notlüge fähig.

»… gab es ja ein paar Bekanntschaften seit meinem Umzug hierher«, fuhr ich fort, »aber beeindruckt hat mich nur einer. Leider ließen seine Manieren etwas zu wünschen übrig. Nein, ich bin ganz gern Single.«

Ich sah ihn dabei an, und er hielt meinem Blick stand, während ein ironisches Lächeln seine Lippen umspielte.

»Verstehe.«

»Wie auch immer, Sie müssen mich jetzt entschuldigen, ich muss schließen.«

Obwohl ich von Haus aus sehr offen bin, hatte ich das Gefühl, womöglich zu viel preisgegeben zu haben, doch er lud einen förmlich dazu ein, löste einem buchstäblich die Zunge.

»Arbeiten Sie jeden Tag hier?«

»Nein. Meistens nur vier Tage die Woche, aber niemals die gleichen vier.«

Ich mochte keine Routine und genoss meine unregelmäßigen Arbeitszeiten. Irgendwie, fand ich, verschafften sie mir mehr Freiheit und erschwerten es den Leuten, mich festzunageln.

»Wie werde ich also wissen, an welchen Tagen Sie arbeiten?«

»Gar nicht.«

»Und wie kann ich Sie finden?«

Ich sah ihn direkt an.

»Keine Ahnung.«

Die Spannung war buchstäblich mit Händen zu greifen.

»Geben Sie mir Ihre Nummer?«

Er hielt sein Handy hoch, hatte die Daumen gezückt.

Und ich gab sie ihm. Einfach so. Er tippte sie ein, und er schaute mir in die Augen.

»Und warum haben Sie mir jetzt Ihre Nummer gegeben?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Normalerweise tue ich das nicht.«

Ich war leicht verwirrt. Warum hatte ich ihm eigentlich meine Nummer gegeben? Das passte doch gar nicht zu mir.

Plötzlich hörte ich im Schrank hinter mir mein Telefon klingeln.

»Nur um mich zu vergewissern«, meinte er lächelnd. »Gut.«

Dann streckte er die Hand aus, ergriff meine und beugte sich darüber, um sie zu küssen. Ich entschuldigte mich, weil sie so kalt war.

»Kalte Hände, warmes Herz«, meinte er ein wenig unverschämt und hielt erneut meinem Blick stand. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und trat immer noch lächelnd aus dem Laden ins Freie. Von dort warf er einen Blick durch die Glasscheibe der Tür zu mir zurück und ging schließlich davon, bis ihn die Dunkelheit verschluckte.

Der Ping-Ton meines Handys kündigte eine weitere Nachricht an.

17:25 Uhr

Habe ich Sie beeindruckt?

Ich musste nicht nachdenken, sondern erwiderte wie aus der Pistole geschossen:

Ein klitzekleines bisschen vielleicht …

Ich sperrte den Laden zu und kaufte eine Flasche Wein und Zigaretten. Normalerweise rauchte ich nicht, aber offenbar hatte ich einen Hauch von Tabak an Mark wahrgenommen, und schon war ich seinem Zauber verfallen und ahmte ihn nach. Ich machte mich auf den Weg zu Uma. Freute mich auf ein Glas Wein und eine Zigarette. Ich wollte das Geschehene reflektieren. Ein Mann war in den Laden spaziert: die normalste Sache der Welt, die sich aber ganz und gar außergewöhnlich und bedeutungsvoll anfühlte. Diese Begegnung war anders als alles, was ich je erlebt hatte.

»Also wer war denn nun dieser Kerl bei dir im Laden?«

Uma schenkte uns drei große Gläser gekühlten Weißweins ein. Sie und Antony gönnten sich allabendlich einen Drink oder auch zwei.

»Ich weiß nicht. Er heißt Mark. Macht irgendwas oben am Flughafen. Er kam rein, um sich eine Jacke anzusehen, und wir kamen ins Gespräch.«

»Ja verdammt! Ich hab einfach nicht kapiert, was da los war. Ich hab mich gewundert, dass du mich nicht vorstellst. Ich dachte, er ist ein Freund von dir – ich meine, ich hatte das Gefühl, dass ihr euch ziemlich gut kennt. Ich hatte absolut den Eindruck, als würde ich da in was reinplatzen.«

»Na ja, bist du ja auch! Schaut euch das an.«

Ich zeigte ihnen die Nachricht auf meinem Handy.

»Gute Antwort«, meinte Antony mit schiefem Grinsen.

Während er noch redete, traf eine weitere Nachricht ein, und ich spürte, wie sich beim Lesen mein Puls beschleunigte. Mark fragte mich, ob er ehrlich zu mir sein solle:

17:55 Uhr

Eigentlich habe ich gar nichts gesucht, nur gefunden.

Gott! Zurückhaltung war offensichtlich nicht sein Ding.

»Seht euch das mal an.«

Ich zeigte die Nachricht Antony und Uma, die wissende Blicke tauschten. »Sieht aus, als hättest du da einen Treffer gelandet«, bemerkte Uma, während sie mit mir anstieß. »Cheers, Schätzchen!«

Ich war aufgeregt, aber auch misstrauisch. Fühlte mich überrumpelt. Ich wollte nicht gleich reagieren. Ich musste mich erst wieder fangen. Doch er blieb hartnäckig.

19:24 Uhr

Haben Sie meine Nachricht bekommen?

Diesmal konnte ich nicht an mich halten.

Ja. Was genau meinen Sie denn gefunden zu haben?

Ich bin jetzt ganz ehrlich.

Und dann erklärte er mir, dass er für die nächsten achtzehn Monate keine Möglichkeit sehe, sich auf eine Vollzeitbeziehung einzulassen, doch dass er mich sehr möge, sprich, mich »sehr, sehr attraktiv« finde, und dass »nichts ohne einen Grund geschieht«.

19:45 Uhr

Danke für das Kompliment. Auch ich glaube, dass Dinge nicht grundlos geschehen, aber wie wär’s mit einem Drink, bevor wir uns über Heirat Nummer vier unterhalten? Sind Sie da nicht ein bisschen voreilig?

Lol! Wo sind Sie?

Ich beließ es dabei. Sollte er doch eine Weile schmoren.

20:20 Uhr

Sie sind perfekt für mich.

Verdammt! So hatte mich noch keiner angemacht. Es gefiel mir – ich fühlte mich zu ihm hingezogen, war geschmeichelt, reagierte jedoch nicht. Uma und Antony tauschten einen weiteren Blick unter hochgezogenen Brauen. Plötzlich klingelte mein Telefon: Er war dran. Ich entschuldigte mich und verließ das Zimmer, um den Anruf entgegenzunehmen.

»Ich bin’s, Mark. Ich habe Nachrichten geschickt. Warum reagieren Sie nicht?«

»Ich bin beschäftigt. Bin bei Freunden.«

»Tja, ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt. Hören Sie, ich mag Sie wirklich, möchte Sie wiedersehen – bald. Haben Sie morgen Abend Zeit? Wir könnten uns auf diesen Drink treffen. Ich könnte vorbeikommen und Sie abholen.«

»Ich kann jetzt nicht reden, aber ich würde Sie auch gern wiedersehen. Rufen Sie mich morgen an, vielleicht können wir ja was ausmachen.«

»Toll. Ich kann es kaum erwarten.«

»Dann reden wir morgen weiter. Bye.«

Ich legte auf. Jeder Nerv in meinem Körper war in Alarmbereitschaft.

»Und, was hat er gesagt?«, fragte Uma, als ich in die Küche zurückkehrte.

»Er will mich wiedersehen. Wahrscheinlich treffen wir uns morgen Abend, um etwas trinken zu gehen. Er ruft mich morgen an.«

»Na, das kommt ja alles sehr plötzlich. Pass auf. Du weißt nichts über ihn.«

»Klar pass ich auf. Wir treffen uns nur auf einen Drink.«

Doch es dauerte nicht lange, ehe ein Ping eine weitere Nachricht ankündigte und mir etwas flau wurde. »Vielleicht treffen wir uns ja doch nicht«, meinte ich.

Ich reichte Uma mein Handy.

22:16 Uhr

Was hast du gerade an?

»Also, jetzt hat er’s aber überzogen, oder? Scheißmänner – alle nur schwanzgesteuert!«

Mir gefiel die Frage auch nicht, und ein zweifelnder Schauder überlief mich. Es war, als hätte eine Spinnwebe mein Herz gestreift. Ich tat es zwar ab, hatte jedoch das Gefühl, dass ich mich vorsehen sollte. Ich reagierte nicht, doch fast eine Stunde später, als ich schon wieder zu Hause war, traf eine weitere Botschaft ein.

23:09 Uhr

Ich nehme an … du hast meine Nachricht nicht gelesen?

Das reichte jetzt für einen Abend. Sollte er doch warten! Die Frage nach dem, was ich anhatte, stieß mir wirklich unangenehm auf und pochte weiter in meinem Hinterkopf. Trotzdem musste ich an ihn denken. Wohlmeinende Freunde hatten schon des Öfteren versucht, mich zu verkuppeln, und ein paar Männer hatten mich auch schon von sich aus angeflirtet. Nun ließ ich wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung die Zurückgewiesenen vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Und dann dachte ich wieder an Mark. Er war so völlig anders. Es war ein echter coup de foudre gewesen, wie Liebe auf den ersten Blick, als ich aufgeschaut hatte, um ihn zu begrüßen.

Ich tat kaum ein Auge zu in dieser Nacht, und am nächsten Morgen bei der Arbeit konnte ich mir die Reaktion auf seine Nachricht vom Vorabend nicht länger verkneifen.

10:14 Uhr

Hallo. Deine Nachricht ist letztendlich doch noch bei mir angekommen, aber die Frage hat mir nicht gefallen.

Mal sehen, wie er darauf reagiert, dachte ich.

10:55 Uhr

Ich habe das gefragt, weil ich deinen Stil mag.

Und er schrieb weiter, er habe sich einfach gefragt, ob ich mich zum Abendessen umgezogen hätte, und dass er es kaum erwarten könne, mich zu sehen. Ich glaubte es ihm keine Sekunde lang, doch seine Erklärung gefiel mir trotzdem. Hier war jemand, der, genau wie ich, einen formelleren Stil bevorzugte und für den das Umziehen vor dem Abendessen etwas bedeutete. Es berührte etwas in mir.

Bring eine Visitenkarte mit. Ich komme in meinem Wagen – ich fände es furchtbar, dir ausgeliefert zu sein, obwohl ich gute Manieren schätze. Daher danke für dein Angebot, mich abzuholen. Schick mir eine Info, wie z. B. deinen vollen Namen, damit ich dich googeln kann. Man kann nicht vorsichtig genug sein, und gestern hast du mich ja ganz schön in Verlegenheit gebracht. Wo und wann heute Abend? Was Nettes hier im Ort wäre schön.

Ich kenne weder deinen vollen Namen, noch stört es mich.

Er meinte, er werde ihn schon noch rechtzeitig erfahren, er möge mich einfach, was er »schön« fand, und forderte mich auf, ein Lokal für unseren Drink auszusuchen, während er gleichzeitig selbst das Hare and Hounds in Westonbirt vorschlug.

Was das Übrige angeht, finde ich deinen Mangel an Vertrauen schon beleidigend.

Gemildert wurde seine Unverblümtheit durch die Versicherung, dass – auch wenn ich in der Vergangenheit vielleicht verletzt worden sei – dies nicht heißen müsse, dass auch er mich verletzen würde. Er fügte hinzu, dass er ein LinkedIn-Konto besitze, ebenso wie eines bei Twitter, doch dass er Social Media hasse und daher nicht bei Facebook oder ähnlichen Netzwerken sei.

Das kam mir zupass. Er war wie ich. Er legte Wert auf seine Privatsphäre und hielt nichts davon, sein Leben für den Rest der Welt auf Social Media auszustellen.

12:33 Uhr

Hmm. Tut mir leid, dass du das als Beleidigung empfindest. Das war nicht meine Absicht. Und das ist mit ein Grund, warum ich in solchen Situationen meist nicht viel Zeit mit Simsen oder E-Mails verbringe. Es ist schwierig, den Ton des Gesagten einzuschätzen, und leicht, einander misszuverstehen – wie es mir ja auch bei deiner Frage zu meinem Outfit erging. Lass uns einfach alles vergessen und heute Abend reden. Das Hare & Hounds geht in Ordnung. Wann?

PS: Auch ich habe weder Zeit für Facebook, Twitter noch Internet-Dating beziehungsweise Unmengen anderer beliebter Freizeitaktivitäten. Ich halte mich lieber an die Wirklichkeit.

7?

Bis dann.

Den ganzen Tag war ich aufgeregt, und später am Nachmittag schrieb ich eine SMS an meine beste Freundin Anne, um ihr zu sagen, dass ich ein Date hatte. Sie reagierte sofort.

16:31 Uhr

Mit wem? Ist es der, von dem du mir erzählt hast?

Nein, es ist jemand anders. Sehr selbstbewusst und geradlinig, könnte aber auch ein totaler Schwätzer sein. Wir werden sehen. Er war dreimal verheiratet, vielleicht ein bisschen ein Spieler. Ich weiß es nicht. Er kam gestern Abend in den Laden, und am Ende hab ich ihm meine Telefonnummer gegeben, weiß der Himmel, warum. Ich bin völlig aus der Übung bei diesen Dingen. Wünsch mir Glück.

Als sich an diesem Nachmittag mein Arbeitstag dem Ende zuneigte, dankte ich Gott, dass ich keine Last-Minute-Kunden hatte. Heute wollte ich pünktlich Schluss machen und rechtzeitig zu Hause sein, um eine gemütliche Stunde lang zu entspannen und mich ausgehfertig zu machen. Sobald ich zu Hause war, nahm ich ein Bad, frischte mein Make-up auf und schlüpfte in ein schlichtes kurzes Etuikleid aus schwarzem Tweed mit dünnem eingewebtem Glitzerfaden und goldenen Fransen auf den Taschen. Ich liebte dieses Kleid. Es sah aus, als wäre es von Chanel, und ich fühlte mich gut darin. Ich hatte es aus dem Laden und bekam fortwährend Komplimente dafür. Ich hätte es zehnmal verkaufen können. Dazu trug ich blickdichte schwarze Strümpfe, schlichte schwarze Wildlederpumps sowie ein kurzes schwarzes Jäckchen. Meine schwarze Lieblingstasche und ein Mantel aus Kunstpelz vervollständigten das Outfit. Langsam wurde es Zeit. Gerade als ich mich zum Gehen wandte, ging eine weitere Nachricht auf meinem Handy ein.

18:43 Uhr

Bin schon da! Zum ersten Mal im Leben zu früh. xx

Er fügte hinzu, dass noch wenig los sei und ich ihn in der Bibliothek rechts vom Haupteingang finden würde.

Er war recht eifrig. Und ich registrierte die Küsse.

Zwanzig Minuten später traf ich beim Hotel ein, parkte auf dem nicht weit davon entfernten Parkplatz und schritt zügig in Richtung Hotel. Ich konnte Mark bereits im gelben Schein der Flutlichter erkennen, da er rauchend vor dem Haupteingang stand. Ich merkte zwar, dass er mich beobachtete, fühlte mich jedoch entspannt und selbstsicher, während ich lächelnd auf ihn zuging.

»Hallo.«

»Hi.« Auch er lächelte. »Du siehst toll aus. Komm rein.«

Er drückte seine Zigarette aus und hielt mir die Tür auf.

»Hier durch. Was kann ich dir zu trinken bestellen?«

Ich warf einen Blick in die Bibliothek, wo ich auf einem Tisch neben dem Kamin, in dem ein Holzfeuer loderte, ein Glas stehen sah. Die Atmosphäre war warm, einladend und absolut romantisch.

»Trinkst du Champagner?«

»Ja.«

»Ich nehme das Gleiche.«

Mark verschwand in Richtung Bar, und ich durchquerte die Bibliothek und nahm in einem großen Sessel beim Feuer Platz, direkt vis-à-vis von jenem, in dem er offensichtlich vorher gesessen hatte. Wir hatten den Raum für uns. Er kehrte mit meinem Champagner zurück, und wieder waren wir im Handumdrehen in ein lockeres Gespräch vertieft. Ich fragte ihn nach seinem Tag, und er erzählte mir, dass er am Abend aus Genf eingeflogen sei, nur um mich zu sehen. Ich fühlte mich geschmeichelt, war beeindruckt. Er erzählte mir, er sei ein Schweizer Bankier und Steuerflüchtling, doch dass er im Vereinigten Königreich auch zeitweise an eigenen Projekten arbeite. Unser Gespräch war lebhaft, und wir unterhielten uns über eine Stunde lang. Er war ein so angenehmer Gesprächspartner, ich fand ihn absolut faszinierend. Es kam mir so vor, als arbeitete er mindestens zwanzig Stunden am Tag. Er steuerte sein eigenes Flugzeug, sprach sieben Sprachen und besaß ein fotografisches Gedächtnis. Und irgendwie wurde er, je mehr er von sich preisgab, nur umso geheimnisvoller.

Dann trat eine kurze Gesprächspause ein. Aufmerksam beobachtete er mich.

»Rauchst du?«

»Hin und wieder.«

»Ich wusste es! Wie gesagt, du bist perfekt für mich. Sollen wir?«

Er neigte den Kopf Richtung Tür. Ich zog den Mantel an, und wir gingen auf eine Zigarette nach draußen. Marlboro. Spanische. Mark entzündete zwei und bot mir eine an. Als ich die Zigarette entgegennahm, stellte ich meine Tasche auf den Boden, doch er griff sofort danach und hängte sie über die Türklinke.

»Du darfst nie deine Tasche so abstellen«, schalt er mich. »Das bringt Unglück. Wenn du das tust, verlierst du dein ganzes Geld.«

»Zum Glück bin ich nicht abergläubisch«, lachte ich, während ich an meiner Zigarette zog und die Wirkung des Nikotins spürte. Ich fühlte mich ein wenig benommen, doch ich genoss es, mit ihm zu rauchen. Es fühlte sich gesellig und fast verschwörerisch, ja, sogar ein bisschen verrucht an. Ich war immer so ein »braves Mädchen« gewesen.

Ich war froh, dass ich meinen dicken, warmen Mantel mitgebracht hatte, da es im Freien sehr kalt war und ich merkte, dass ich mich allmählich verspannte.

»Gott, ist das kalt hier draußen!«

»Stimmt! Deswegen lebe ich nicht in diesem Land. Das Klima ist katastrophal. Ich habe Häuser auf der ganzen Welt, aber für mich ist das Mittelmeer der beste Ort zum Leben. Das hier ist schrecklich. Ich verstehe einfach nicht, wie man es hier aushalten kann.«

Er hielt mir die Tür auf, und wir gingen wieder hinein. Mark begann zu erzählen … von seiner Familie, seiner Kindheit, seiner Ausbildung, seinen Ehen, seinem Geld – allem. Es war, tja, ziemlich unglaublich. Er erzählte mir, dass er seine Mutter hasse, die Spanierin sei und die Gesellschaft ihrer Hunde der ihrer Kinder vorzog.

»Jedes Mal, wenn sie ein Kind auf die Welt gebracht hatte, schaffte sie sich noch einen Pudel an und überschüttete das Tier mit all ihrer Aufmerksamkeit. Ich kann sie nicht ausstehen«, meinte er und schüttelte den Kopf.

Obwohl er in eine überaus wohlhabende Familie (und ein Haus mit über hundert Zimmern!) hineingeboren worden war, hatte er nie Taschengeld bekommen und immer für alles gearbeitet. Teilweise hatte er sogar, quasi um seinen Vater zu brüskieren, seine Ausbildung selbst bezahlt. Er war in Eton gewesen und anschließend in Oxford.

»Welches College?«, erkundigte ich mich gespannt. Mein Vater und eine meiner Töchter hatten in Oxford studiert. Wäre es nicht lustig, wenn sie dieselben Colleges besucht hätten?

»New College«, erwiderte er. »Aber ich habe keinen Abschluss gemacht. Ich fand den Studiengang öde, also bin ich gegangen und an die London School of Economics gewechselt. Ich war ihr bester Student.«

»Verstehe«, meinte ich und sah keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Sein Lebenslauf klang beeindruckend, und obwohl ich, während ich dies schreibe, nachvollziehen kann, dass er auf einer Buchseite als unausstehlicher Angeber rüberkommen könnte, empfand ich ihn in natura, während wir in einem wunderschönen Hotel am Kamin saßen, überhaupt nicht so. Im Gegenteil, ich genoss sein Vertrauen, fand ihn erfrischend offenherzig, und die Art, wie er mir von sich erzählte und wie er mich dabei ansah, war absolut einnehmend.

Und er gab noch mehr von seiner Familie preis. Seinen Bruder beziehungsweise seine Schwestern, von denen eine, wie er erwähnte, Hirnchirurgin sei, sah er fast nie, und der einzige Verwandte, zu dem er überhaupt Kontakt hatte, war ein Onkel. Ebenso merkwürdig schienen seine Beziehungen zu Frauen zu sein. Er erzählte mir, dass er sehr jung geheiratet habe und dass seine erste Frau ein wunderschönes finnisches Model gewesen sei.

»Wunderschön, aber auch dämlich«, meinte er und behauptete, ihr Mangel an Intelligenz habe ihn wahnsinnig gemacht.

Seine zweite Ehe – eine Vernunftehe, die zum wechselseitigen Nutzen beider Familien geschlossen worden sei – verband ihn mit einer Frau, die zwar intelligent, allerdings keine Schönheit war. Sie stammte aus einem guten »Stall«, verfügte über beste Beziehungen, doch sie war Mitglied des Opus Dei. Die Ehe sei eine Katastrophe gewesen, da sie nie vollzogen wurde, und letztendlich hatte seine Frau wegen seiner angeblichen Pornosucht die Scheidung eingereicht.

»Nun, was blieb mir denn anderes übrig? Und sowieso: Ist doch viel besser, sich Pornos reinzuziehen, als mit anderen Frauen rumzuvögeln«, erklärte er. »Für so etwas habe ich keine Zeit.«

Doch er habe entdeckt, erzählte er, dass der Richter in seinem Scheidungsfall eine Affäre laufen hatte, sodass er ihn bald in seine Schranken verwiesen hatte.

»Wissen ist Macht«, erklärte er mir mit einem verschmitzten Lächeln und blickte mir tief in die Augen.

In jüngerer Zeit war er mit einer weiteren Frau verheiratet gewesen, die einen Sohn hatte, Pedro, der mittlerweile vierzehn Jahre alt war. Die Beziehung war von einigen Jahren in die Brüche gegangen, doch sie waren Freunde geblieben, und er hatte sich erboten, den Jungen zu erziehen, da der seinem eigenen Vater – obwohl der stinkreich war – scheißegal sei.

»Armer Kerl. Ich konnte ihn doch nicht einfach hängen lassen, nur weil seine Mutter und ich nicht mehr zusammen sein wollen. Es wäre einfach nicht richtig.«

»Hast du auch eigene Kinder?«, fragte ich ihn.

»Nein. Obwohl ich das mal geglaubt habe. Ich dachte, ich hätte zwei von meiner ersten Frau, doch als eins von ihnen krank wurde, ergab ein DNA-Test, dass es gar nicht meine waren. Seitdem habe ich keinen Kontakt mehr zu ihnen.«

Was für ein merkwürdiges Leben er geführt hatte! Ich bewunderte ihn zwar, weil er seinen eigenen Weg gegangen war und sich nicht aufs Familienvermögen verlassen hatte, um im Leben voranzukommen, aber ich beneidete ihn nicht um diese Herkunft und dachte, wie glücklich ich mich doch schätzen konnte, eine so intakte Familie zu haben – eine Familie, die mir alles bedeutete.

Dann schilderte mir Mark seinen Lebensstil: Luxusimmobilien auf der ganzen Welt, Tische in den besten Restaurants, die man ihm jederzeit frei machte, alles, was gut und teuer war. Nur das Beste war genug, und er hatte das Geld, um dafür zu bezahlen. Er warf nun mit Namen um sich, prahlte, und obwohl er das wohl schon den ganzen Abend getan hatte, überspannte er nun den Bogen. Ich weiß noch, wie ich ihm jäh den Wind aus den Segeln nahm.

»Ich interessiere mich nicht für dein Geld«, unterbrach ich ihn.

»Nein, ich weiß.«

»Aber du hattest ein außergewöhnliches Leben.«

»Da hast du recht. Ein absolut außergewöhnliches. Mein Leben ist wie ein Film; man könnte es nicht erfinden … Aber es gibt etwas, das ich dir sagen muss«, meinte er in vertraulichem Ton, während er sich über die Tischplatte zu mir herüberlehnte. »Ich bin nicht normal.«

Das war nicht abzustreiten – aber ich stand auf »nicht normal«. Tatsächlich hatte mein einstmaliges Studienmotto gelautet: »Mach es anders.« Ich hatte es immer gemocht und fand, dass es zu mir passte. Anders zu sein und zu handeln hatte etwas Erfrischendes. Es bedeutete, dass man seinen eigenen Kopf hatte und nicht der Menge hinterherlief. Mark hatte Stil und Charisma. Ich fand ihn körperlich äußerst attraktiv, und offensichtlich war er auch hochintelligent. Intellekt hatte mich schon immer angezogen. Außerdem schien er über grenzenlose Energie zu verfügen, was ich aufregend fand. Er war so anders als all die Männer, die – seit ich wieder ungebunden und frei wie ein Vogel war – Interesse angemeldet hatten und von denen einer ein ganzes Mittagessen über von all seinen Wehwehchen geklagt hatte, darunter einem kränklichen Herzen – nicht gerade die Art von Info, die meinen Puls beschleunigte. Mark war da schon ein ganz anderes Kaliber.

Ich befand mich in jenem Stadium meines Lebens, in dem ich meine Unabhängigkeit genoss, mich zuweilen jedoch auch recht isoliert fühlen konnte. Alleinstehende Frauen werden von der Gesellschaft nicht ohne Weiteres akzeptiert. Ich hatte große Veränderungen in meinem Leben vorgenommen, und alles lief besser, als ich es mir je vorgestellt hätte. Bald würde ich wieder ein eigenes Häuschen besitzen und genug Geld übrig haben, um mir eine sichere finanzielle Zukunft zu ermöglichen. Das Einzige, was mir noch fehlte, war ein Partner – ein Liebhaber. Heiraten wollte ich nicht mehr, auch nicht mit jemandem zusammenleben, allerdings glaubte ich schon, dass mein Leben reicher und lustiger sein würde, wenn ein Mann darin vorkäme. Ich mochte, was Mark darstellte. Sogar seine Arroganz hatte eine gewisse Anziehungskraft. Er war so selbstsicher. Nach einer weiteren konventionellen Beziehung stand mir gewiss nicht der Sinn, und er schien mir etwas völlig anderes zu bieten – etwas, das in meinem Leben fehlte: Aufregung.

Plötzlich änderte sich der Charakter des Gesprächs. Mark hatte mich den ganzen Abend intensiv angesehen.

»Ich kann Menschen schon nach der ersten Begegnung, schon nach wenigen Minuten zusammenfassen, weißt du. Ich kann Menschen lesen wie Bücher. Oft kenne ich sie besser als sie sich selbst. Die Menschen sind so durchschaubar. Du allerdings gefällst mir. Ich finde dich sehr attraktiv, und du bist intelligent. Außerdem bist du ein guter Mensch. Und du hast Klasse. Ich mag das. Du bist eine echte Dame, aber ich denke, es gibt da noch eine andere Seite an dir. Du hast eine sehr starke Libido. Stimmt’s?«

Jetzt benahm er sich eindeutig daneben, doch ich hatte nichts dagegen. Ja, ich mochte, wie er aufs Ganze ging, und fand ihn sehr unterhaltsam. Ich lachte und schüttelte den Kopf.

»Und du bist sehr direkt.«

»Na, du streitest es jedenfalls nicht ab. Wie gesagt, ich kann Leute lesen. Wie alt bist du übrigens?«

»Vierundfünfzig.«

Man hatte mir immer gesagt, dass ich auch für zehn Jahre jünger durchginge, aber ich hatte in Bezug auf mein Alter nie geschwindelt.

»Und du?«

»Rate mal.«

»Hmmm …« Was Altersschätzungen anging, war ich hoffnungslos. Ich war mir sicher, dass er jünger war, aber wie viele Jahre?

»Siebenundvierzig?«

»Sechsundvierzig.«

»Hmmm.« Ich schaute ihn direkt an. »Weißt du, ich hab mich irgendwie nie mit einem jüngeren Mann sehen können.«

»Aber warum denn nicht?« Er schenkte mir ein schelmisches Lächeln.

»Ich dachte immer, dass ich mich dann alt fühlen würde.«

»Unsinn, du wirst dich jung fühlen. Ich liebe ältere Frauen. Alle Frauen, zu denen ich eine Beziehung hatte, waren älter als ich. Junge Frauen sind einfach langweilig. Sie können sich nicht unterhalten, haben kein echtes Selbstbewusstsein – keine Lebenserfahrung.«

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, streckte er mir die Zunge heraus.

»Ich tue das, wenn ich nervös bin«, erklärte er und zupfte gleichzeitig an seiner rechten Augenbraue. Und dann tat er es wieder.

Es wurde Zeit zum Aufbruch. Der Abend war wie im Flug vergangen. Mark musste zurück zum Airport, um wieder in die Schweiz zu fliegen, obwohl er mir erzählt hatte, dass er ein Haus in Bath besitze und am folgenden Tag zurück sein werde. Ein Mann wie er war mir noch nie begegnet, und mir schwirrte nur noch der Kopf.

»Ich bringe dich zu deinem Wagen.«

»Warte erst mal, bis du siehst, was ich fahre!«

Nach all seinem Gerede über Villen, Privatflugzeuge und schnelle Autos fragte ich mich, was er von meinem halten würde.

»Das weiß ich bereits. Ich habe dich darin fahren sehen.«

Wir blieben vor meinem Wagen stehen, einem zehn Jahre alten Ford KA, und plötzlich (und bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie er es fertigbrachte) hatte er mir die eine Hand von unten, die andere von oben unters Kleid geschoben.

»Lass das!«

»Aber ich bin so scharf auf dich. Und du willst mich doch auch.«

»Nicht jetzt.«

»Doch. Und du weißt es.«

»Hör auf!«

Ich meinte es ernst, obwohl ich lachte. Später erzählte mir jemand, das klinge für ihn nach einer Nötigung, doch es fühlte sich nicht so an, und Mark hörte auch fast sofort wieder damit auf. Ich befreite mich und stieg in den Wagen; er setzte sich in den Türeinstieg.

»Nicht dahin, da ist es dreckig, du ruinierst dir deinen Anzug.«

»Macht nichts. Ich muss dich wiedersehen. Ich muss, und zwar bald.«

»Das will ich auch.«

Er war mir sehr nahe und blickte mir unverwandt in die Augen.

»Du weißt, was ich in Wirklichkeit tue, nicht wahr?«, fragte er.

»Ich glaube«, flüsterte ich zurück, »du bist Geheimagent.«

»Ich ruf dich an.«

Er erhob sich, schloss die Autotür und sah zu, wie ich den Wagen startete und wegfuhr. Als ich nach Hause kam, schrieb ich an Uma.

Oh mein Gott!!! Ich mag ihn wirklich. Das ist der Beginn eines großen Abenteuers.

2

Ein Mann in Eile

Es ist zwecklos, von den Menschen zu fordern, sie sollten sich mit einem beschaulichen Dasein zufriedengeben. Sie brauchen Tätigkeit und Veränderung, und wer sie nicht hat, verschafft sie sich.

Charlotte Brontë, Jane Eyre

Am nächsten Morgen war ich schon früh auf den Beinen. Zwar hatte ich kaum ein Auge zugetan, doch als ich aufstand, fühlte ich mich nicht müde. Im Gegenteil – ich fühlte mich quicklebendig. Auf meinem Handy fand ich Nachrichten von Anne und von der Inhaberin des Ladens, Kerry. Ich konnte es kaum erwarten, ihnen zu erzählen, wie es gelaufen war.

All meine Sinne waren geschärft, doch ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich arbeitete nicht an diesem Tag, sodass ich mich zwecks Ablenkung auf den Hausputz stürzte. Ich verlegte mich oft aufs Putzen, wenn ich das Gefühl hatte, dass mir alles entglitt. Ich platzte vor Energie und fegte wie ein Wirbelwind durch mein Häuschen, überzog das Bett neu, suchte die Wäsche zusammen, schrubbte, saugte, staubte ab und polierte, schüttelte Kissen auf und vergewisserte mich, dass alles an seinem Platz war. Als alles blitzte und glänzte, machte ich mir eine Tasse Kaffee und versuchte, ein Buch zu lesen, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren und merkte, dass ich immer wieder denselben Absatz las und trotzdem nichts verstand. Es war hoffnungslos. Am Ende gab ich es auf und griff nach dem Handy. Ich wusste, dass ich mich zurückhalten sollte, doch ich wusste auch, dass hier etwas Außergewöhnliches geschah.

Hast du gut geschlafen? Ich hab kaum ein Auge zugetan, aber ich musste immer wieder laut lachen, wenn ich an einige der Dinge dachte, die du gesagt hast. Du bist so direkt und so witzig. Gefällt mir wirklich, und überhaupt mag ich dich sehr. A bientôt. Hasta la vista. Mi piace quando parli italiano.

Ich drückte auf »Senden« und wartete auf eine Antwort. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie dann endlich kam.

Ti amo.

Ich würde so gern mit dir schlafen.

Bin um 5 Uhr eingeschlafen und gerade erst aufgestanden!

Ich bin so durch den Wind, dass ich praktisch zu nichts in der Lage bin. Wann sehen wir uns wieder?

Ich auch. Melde mich gegen 5.

Ich hielt es kaum aus. Wie sollte ich all die Stunden überbrücken, bis er sich wieder meldete? Sie erschienen mir wie Jahre. Ich musste etwas unternehmen, um mich abzulenken, also rief ich Uma an und schlug ihr einen Spaziergang vor. Frische Luft und Bewegung würden mir guttun, und ich brauchte Gesellschaft. Wir liefen etwa zwei Stunden, doch obwohl ich sonst bei Spaziergängen mein Handy abschalte oder sogar zu Hause lasse, lauschte ich nun mit einem Ohr fortwährend auf ein Klingeln. Es wurde fünf, wurde später, dann halb sechs, schließlich sechs. Vielleicht würde er mich ja doch nicht mehr anrufen, obwohl ich mir eigentlich sicher war. Etwa zwanzig vor sieben kam eine Nachricht:

Ich kann mir eine Stunde freinehmen! Wo willst du mich sehen?

Wie? Wo war er denn?

Ich bin völlig platt! Falls du in Bath bist und ich hier, wird eine Stunde kaum ausreichen, um her- und wieder zurückzukommen.

Ja, aber ich bin schon ganz in der Nähe der Autobahn.

Ich kann keine Liebe machen, wenn es so schnell gehen muss – na ja, ich kann, aber ich will es nicht. Verstehst du das?

Ja, aber du kannst mich küssen. Hast du Lust, mich zu küssen?

Ja

Wohin soll ich fahren?

Ich konnte ihm nicht widerstehen. Ich gab ihm meine Adresse.

Ok 20 Min.

Ich war völlig durcheinander. Ich hatte den Nachmittag im Freien verbracht, hatte eine alte Jeans, ja, lauter alte Sachen an. Meine Haare waren ungewaschen, genauso wie der Rest von mir. Zwar wäre ich ihm gerne weniger gammelig unter die Augen getreten, aber ich hatte nicht mit ihm gerechnet, und jetzt war keine Zeit mehr, um noch viel auszurichten. Ich wollte gut für ihn aussehen, ja, doch andererseits würde die Tatsache, dass ich ungewaschen war und meine unansehnlichste, aber auch bequemste Sportunterwäsche trug, dafür sorgen, dass ich meine Klamotten anbehielt. Er hatte recht gehabt am Abend zuvor. Ich war tatsächlich scharf auf ihn.

Es dauerte nicht lange, und ich hörte das Knirschen des Wagens auf dem Kies und ging ihm entgegen zur Tür. Es tat so gut, ihn wiederzusehen. Er kam herein und begann sofort, mich zu küssen. Wir bewegten uns Richtung Sofa. Ich fühlte mich zutiefst von ihm angezogen, und jeder Nerv in meinem Körper war aufs Äußerste gespannt.

»Magst du das?«, murmelte er.

»Mmm. Ja«, flüsterte ich zurück.

Plötzlich sprang er auf und hatte sich im Nu sämtlicher Kleidungsstücke entledigt. Mir fiel auf, dass er keine Unterwäsche trug. Splitternackt, voll erregt, Muskeln wie Stahl, stand er vor mir und zeigte mir, was er hatte. Zwar gefiel mir, was ich sah, aber dass das hier weiterging, kam für mich nicht infrage.

»Was tust du denn da? Hör auf! Zieh dich wieder an. Sofort!«, protestierte ich, doch er nahm gar keine Notiz davon, setzte sich neben mich und begann mich erneut zu küssen.

»Baby, du willst mich doch genauso sehr wie ich dich. Na komm schon.«

»Ich werde jetzt nicht mit dir schlafen. Vergiss es!«

Ich lachte. Er war so komisch, und ich muss gestehen, dass ich seine hemmungslose Anmache genoss.

»Baby, ich muss mit dir schlafen. Warum Zeit verschwenden? Wir wollen es doch beide. Wie viele Menschen erleben denn so etwas? Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, du bist die Richtige für mich. Komm, Baby, du willst es doch auch.«

Er hatte den Knopf meiner Jeans geöffnet und zerrte bereits am Reißverschluss. Meine Jeans war eng und nicht leicht abzustreifen, doch ich leistete kaum Widerstand. Ich lebte im Augenblick, und im Handumdrehen hatte auch ich nichts mehr an. Er drehte mich um und nahm mich heftig von hinten, wobei er gegen mich klatschte, während er tief in mich hineinstieß.

»Klatsch nicht so. Ich mag das nicht«, beschwerte ich mich.

Er erwiderte nichts, drehte mich um und drang erneut tief in mich ein.

Ich konnte mich nicht entspannen. »Lass uns nach oben gehen«, meinte ich leise und sah ihm tief in die Augen. Ich war immer sehr zurückhaltend gewesen und fürchtete, dass man uns durch das auf die Auffahrt hinausgehende kleine Fenster sehen könnte. »Komm schon.«

Ich nahm seine Hand und führte ihn rasch nach oben, wo wir aufs Bett fielen und Mark keine Zeit vertat und erneut nach mir verlangte. Nun war ich entspannt und gelöst. Er fühlte sich so gut an, und ich war so glücklich, dass mein Herz förmlich jubelte. Doch plötzlich hörte er auf und wich zurück. Er starrte mich an.

»Das ist ein Albtraum! Ein verdammter Albtraum!«

»Was ist denn?«

Ich hatte keine Ahnung, was mit ihm los war.

»Ich verliebe mich in dich. Das ist ein Scheißalbtraum!«

Dann fiel er wieder über mich her. Er war leidenschaftlich, doch gleichzeitig auch liebevoll und zärtlich, küsste mich, hielt mein Gesicht und schaute mir tief in die Augen.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, murmelte er. »Das ist der Wahnsinn. Weil … ich hab noch nie jemanden wirklich geliebt, bin nie wirklich von jemandem geliebt worden.«

Ich spielte mit seinen Haaren und war, ach, so glücklich.

»Ich weiß eigentlich gar nicht, wie man Liebe macht«, fuhr er fort.

Ich widersprach ihm. »Aber ja, aber natürlich weißt du das«, erwiderte ich lächelnd, während ich seine Haare streichelte – und meinte es auch genauso.

Danach lagen wir erschöpft beieinander und unterhielten uns plaudernd. Plötzlich setzte er sich wieder auf.

»Wann hattest du das letzte Mal Sex?«, fragte er.

»Das geht nur mich etwas an, darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen«, erwiderte ich ausweichend, ehe ich die Frage zurückgab. »Und du?«

»Schon zwei Jahre nicht mehr.«

»Was? Soll das ein Witz sein?«

Ich war wirklich überrascht, denn ich hatte Mark als sehr emotionalen, heißblütigen Mann wahrgenommen.

»Es stimmt. Ich bin sehr wählerisch. Aber ich muss dreimal am Tag kommen, sonst funktioniere ich nicht richtig.«

»Was?«

»Ernsthaft. Dreimal am Tag. Ich habe die Masturbation zur Kunstform erhoben.«

»Du spinnst ja! Falls wir ein Paar werden, Mark, werde ich dann die Einzige sein?«

»Gott, ja!« Ein angewiderter Blick huschte über sein Gesicht, und er tat, als ob der Gedanke an andere Frauen ihm gänzlich unerträglich sei. Es gefiel mir. Er nahm meine Hand.

»Wer hat dir denn diesen Ring geschenkt?« Er starrte auf den Diamant-Solitär an meinem rechten Ringfinger.

»Das war der Verlobungsring meiner Mutter. Den habe ich immer an.«

»Ich würde einfach nicht wollen, dass du den Ring eines anderen Mannes trägst, das ist alles.«

»Und was ist mit deinem?« Auch er trug an seiner rechten Hand einen Ring.

»Den hat mir meine Großmutter geschenkt. Ich habe meine Großmutter geliebt.«

Die Stimmung wurde lockerer, und Mark nahm meine Kamera, die auf der Kommode gelegen hatte. Fotografieren war eine große Leidenschaft von mir, und ich liebte es, in die Natur zu gehen und Fotos zu machen. Er begann zu fotografieren.

»Leg sie hin!«, protestierte ich, doch er wollte einfach nicht aufhören.

Er knipste weiter, während wir herumalberten und uns vor Lachen bogen.

Viel zu schnell musste er aufbrechen. Ich wollte, dass er blieb. Ich wollte liegen bleiben – um zu reden, zu kuscheln, die Nacht miteinander zu verbringen –, aber er musste los.

»Tut mir leid, Baby, Pedro ist gerade bei mir. Ich hab dir doch von Pedro erzählt, oder? Dem Sohn meiner Ex? Ich muss morgen früh dort sein.«

»Und wer ist jetzt bei ihm?«

»Ein Kindermädchen. Ich hab ihn einfach beim Kindermädchen gelassen und bin abgehauen. Ich musste zu dir. Wir sehen uns bald wieder.« Er erhob sich vom Bett, wir gingen nach unten, wo er seine Klamotten aufhob, sie fast ebenso schnell überstreifte, wie er sich ihrer entledigt hatte, mich küsste und verschwand.

Er war kaum weg, als ich bereits seine SMS hereinkommen hörte.

Du fehlst mir schon jetzt

Und ich antwortete umgehend:

Ich fühle mich einsam!

Was bemerkenswert für mich war, denn die ganze Zeit, die ich ein Single gewesen war, hatte ich mich nie richtig einsam gefühlt. Während ich so im Bett lag, sann ich darüber nach und dachte, dass ich wohl nie einsam gewesen war, weil es nie jemanden gegeben hatte, mit dem ich wirklich hatte zusammen sein wollen. Bei Mark aber war es anders. Mit ihm wollte ich zusammen sein, und nun, da er weg war, fühlte ich mich in der Tat einsam. Es war ein merkwürdiges Gefühl und keines, an das ich mich gewöhnen wollte.

Wenn ich mit meinem heutigen Wissen an diese ersten berauschenden Begegnungen zurückdenke, sehe ich genau, wie Mark vorging beziehungsweise tickte. Ich halte ihn für einen Psychopathen.

Psychopathen sind soziale Raubtiere, die kein Gewissen haben und nicht imstande sind, Liebe, Mitgefühl, Schuld oder Reue zu empfinden (Mark erzählte mir, er habe nie geliebt und sei auch nie wirklich geliebt worden). Es fehlt ihnen an jeglicher Empathie, und ihre einzige Motivation ist Selbstbefriedigung, Beglückung des eigenen Egos, was sie mithilfe ihres Charmes, durch Manipulation und skrupellose Ausnutzung anderer auch erreichen. Oft sind sie gewandte Redner, die viel zu sagen haben. Sie sind überaus selbstsicher und entspannt und kennen keine sozialen Ängste, sodass es ihnen leichtfällt, ihren Opfern die Befangenheit zu nehmen. Mark zeigte all diese Merkmale. Eines, woran ich mich aus diesen frühen Begegnungen sehr klar erinnere, ist der intensive Augenkontakt, den er stets suchte. Ich nahm ihn als Hinweis, dass er die Wahrheit sagte, denn ich wusste damals noch nichts vom »psychopathischen Blick«, einem Blick von solcher Intensität, dass viele Menschen ihn als absolut entwaffnend empfinden. Wenn ich mir seine frühen Textnachrichten erneut vornehme, kann ich erkennen, wie er mir schmeichelte und wie sehr er stets seine »Ehrlichkeit« herausstrich (solange die Beziehung währte, betonte er häufig, was für ein Ehrenmann er sei). Und ich sehe auch, dass ich ganz zu Anfang Gefahr witterte. Ich sagte ihm, ich fände es »furchtbar, dir ausgeliefert zu sein«, und erzählte meinen Freundinnen, dass er ein »Schwätzer … ein bisschen ein Spieler« sein könnte, doch als er bei unserem ersten Date zugab, Pornos zu gucken, was mich normalerweise ziemlich abtörnt, zuckte ich nicht einmal zusammen. Ich fand seine Offenheit erfrischend, mochte seine mutwillige Art. Schließlich sind böse Jungs für brave Mädchen oft besonders attraktiv.

Wir realisieren nicht, wie viel wir in nebensächlichem Gerede von uns preisgeben, vor allem, wenn wir – ohne es zu ahnen – genauestens beobachtet werden und man uns gezielt Informationen und Reaktionen entlockt. Während jener ersten drei Begegnungen brachte Mark in Erfahrung, wie ich tickte, und stellte sich auf meine Hoffnungen und Wünsche ein. Außerdem hatte er von Anfang an mit mir gespielt, ja, mir sogar erzählt: »Ich weiß eigentlich gar nicht, wie man Liebe macht.« Psychopathen sind besonders gut darin, zu erspüren, wie Menschen ticken. Er erzählte mir ganz offen, dass er Menschen lesen könne wie Bücher, dass er sie häufig besser kenne als sie sich selbst. »Wissen ist Macht«, erklärte er, ehe er dreist bekannte: »Ich bin nicht normal.« Wie er sich beglückwünscht haben muss, als ich nach jenem ersten Date davongefahren bin!

Ich dagegen tat alles mir Mögliche, um meine eigene Sicherheit zu gewährleisten, lehnte Marks Abholangebot ab und bat ihn, eine Visitenkarte mitzubringen, damit ich ihn googeln konnte. Worauf er den Ball in mein Feld zurückspielte und erklärte, er fühle sich durch meinen Vertrauensmangel beleidigt. Dies drängte wiederum mich in die Defensive, gab mir ein schlechtes Gefühl (eine Ablenkungs- und Sabotagetaktik, derer sich Psychopathen häufig bedienen), und erst Tage später erkannte ich, dass ich noch immer nicht seinen vollen Namen wusste. Mit einem so geschickten Manipulator wie ihm hatte ich jedoch keine Chance, und ich bin mir sicher, hätte ich auf irgendeinem Ausweis bestanden, er hätte einen beschafft. Heute begreife ich auch, wie er gezielt den Boden bereitete, um mich glauben zu machen, er sei ein Spion, indem er mir nämlich erzählte, dass er sein eigenes Flugzeug steuere, sieben Sprachen spreche und ein fotografisches Gedächtnis besitze.

Wenn ich auf meine Beziehung zu Mark zurückblicke, sehe ich, wie viel Menschen einfach so glauben und wie wenig an Andeutungen es braucht, damit wir beginnen, Verbindungen herzustellen und uns ein Bild zurechtzulegen, das wir sehen wollen – oder das andere uns suggerieren. Ich war zur Ehrlichkeit erzogen worden und dazu, auch in anderen stets das Gute zu sehen, eine Strategie, die mir über fünfzig Jahre lang gute Dienste erwiesen hatte; und wenn man so erzogen ist, ist es unmöglich, mit jemandem umzugehen, dessen gesamtes Leben eine Lüge ist. Halten Sie nur einen Augenblick inne und überlegen Sie, wie viel Sie bei jedem Gespräch einfach glauben, auch bei Leuten, die Sie vorher nie gesehen haben. Ich hatte nie dem Internet-Dating gefrönt aus Angst, nicht zu wissen, mit wem ich es da zu tun hätte, doch niemals kam mir in den Sinn, dass man in realen Begegnungen genauso leicht betrogen werden kann.

Obwohl ich mich nie für besonders anfällig hielt, erkenne ich im Nachhinein, dass ich es war. Nachdem ich kurz vorher an einen mir fremden Ort gezogen war, um ein neues Leben zu beginnen, erlebte ich eine geradezu berauschende Freiheit. Plötzlich gab es keine einengenden familiären oder sonstigen Pflichten mehr, und ich denke, auch die idyllische Umgebung und das Gefühl der Zuversicht und des Stolzes, eine so große Veränderung geschafft zu haben, wiegte mich in falscher Sicherheit. Alleine zu leben, ohne Familie, war befreiend, und als Mark in mein Leben trat, war ich bereit, alle Bedenken in den Wind zu schlagen und ein wenig zu experimentieren. Für mich war es an der Zeit, einfach mal ein bisschen verantwortungslos zu sein.