Im Feuerkreis der Liebe - Ute Jäckle - E-Book
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Im Feuerkreis der Liebe E-Book

Ute Jäckle

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Beschreibung

An Ninas zwanzigstem Geburtstag jagt nicht nur eine Katastrophe die nächste, obendrein versetzt sie ein Amulett unvermutet ins tiefste Mittelalter. Sie findet sich auf Burg Adlerfels wieder, und begegnet dem attraktiven Ritter Marcus von Buchenfels, der leider das Wort Emanzipation noch nie in seinem Leben gehört hat. Mit ihrer selbstbewussten Art treibt sie Marcus so manches Mal zur Verzweiflung. Gestrandet in einer düsteren Zeit voller Gefahren, ist Nina immer auf der Suche nach einem Weg zurück in ihre Zeit. Doch Verrat und Intrigen spinnen ein tödliches Netz um die auffällige Frau, weshalb sie ihr Schicksal ausgerechnet in Marcus’ Hände legen muss. Die Geschehnisse heizen das Feuer ihrer Leidenschaft an, denn längst sind Gefühle im Spiel, wo eigentlich keine sein dürften.

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Im Feuerkreis der Liebe

Ute Jäckle

Inhalt

Ohne Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Epilog

Leseprobe

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Über die Autorin:

Ute Jäckle wurde in Stuttgart geboren. Sie studierte BWL in Nürnberg und verbrachte einige Jahre in den USA. Nach dem Studium arbeitete sie für die Industrie. Schon immer war ihre ganz große Leidenschaft das Lesen, aber mit dem Schreiben begann sie erst vor ein paar Jahren. Seitdem kann sie aber nicht mehr davon lassen und widmet sich voll Hingabe dem Verfassen von Liebesromanen. Ute Jäckle ist Mitglied bei DELIA, dem Verein deutschsprachiger Liebesromanautoren.

Von Ute Jäckle erschienen:

Liebeschaos – Mitbewohner gratis abzugeben

Liebeschaos – Das Universum muss verrückt sein

Liebeschaos – Süß wie Cherry Cola

Liebeschaos – Es muss doch nicht gleich Liebe sein

Im Feuerkreis der Liebe

Kidnapper Dearest

Kidnapper Mine

Steel – Stolen Heart

Steel – Broken Heart

Glühweineis zum Frühstück

Ute Jäckle

c/o Barbara’s Autorenservice

Tüttendorfer Weg 3

24214 Gettorf

Copyright © 2021, Ute Jäckle

Email: [email protected]

all rights reserved

Lektorat: Ines Paliege

Cover: NK Design (Nadine Kapp)

Die Charaktere, Handlungen und Gegenstände dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Erstellt mit Vellum

Kloster Paulinzelle anno 1163 im Jahre des Herrn

Abt Udalrich ging unruhig in seiner Kammer auf und ab, vergrub dabei die Hände tief in den weiten Ärmeln seiner schwarzen Kutte. Er hatte seinen treuesten Vertrauten Alonso auf eine Mission geschickt, und der Mönch würde es nie wagen, ihn zu enttäuschen. Ein leises Pochen an der genagelten Holztür unterbrach seine Gedankengänge, ruckartig stand er still. Gleich darauf trat Bruder Alonso ein und sank vor dem dürren Abt mit der grauen Tonsur auf die Knie, dabei warf er einen Schatten auf den Boden, der einem verschüchterten Kaninchen glich.

»Es ist alles nach Plan gelaufen«, erstattete Alonso Bericht. »Der Feuerkreis befindet sich in Eurem Besitz. Der hochwürdigste Herr muss sich allerdings noch ein wenig gedulden. Das Medaillon wurde frisch geschmiedet und braucht einige Zeit, bis es vollkommen abgekühlt ist. Erst dann entwickelt es seine ganze Zauberkraft. Ihr dürft den Beutel nicht vor dem Morgengrauen öffnen.« Alonso hielt inne und blinzelte nach oben. »Außerdem soll ich Euch mitteilen: Es ist eine Reise ohne Wiederkehr!«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. Mit einer demütigen Geste überreichte er dem Abt einen ledernen Beutel. »Der Schmied schmort bereits im Fegefeuer für seine Sünden, somit gibt es keine unliebsamen Zeugen.«

Udalrich verwarf die Warnung seines Vertrauten auf der Stelle, denn der Schmied war als Wichtigtuer bekannt. Innerlich bebend nahm er das weiche Leder in die Hand, sofort spürte er ein Pochen an seinen Fingerspitzen. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, als er Alonso betrachtete, der vor ihm buckelte.

»Einen Zeugen gibt es noch«, sagte Udalrich mit sanfter Stimme und trat hinter den Mönch. Einen Herzschlag später riss er den Knienden an den Haaren zurück und durchtrennte mit einem einzigen sauberen Schnitt seiner scharfen Klinge dessen Kehlkopf und Halsschlagader. Mit ungläubigem Blick fiel Alonso seitlich zu Boden und hielt sich beide Hände an den Hals. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch, seine Augen verdrehten sich im verzweifelten Todeskampf nach oben. Er wand sich röchelnd, um seinen Kopf sammelte sich eine große Blutlache, während er mit den Füßen über den rauen Steinboden rutschte. Ungerührt beobachtete Udalrich die immer schwächer werdenden Bewegungen seines Vertrauten. Ein unangenehm metallisch-süßlicher Geruch erfüllte den Raum und Udalrich vermied, allzu tief einzuatmen. Für einen Moment griff ein schwacher Anflug von Wehmut nach seinem Herzen, es würde lange dauern einen ebenbürtigen Ersatz für den aufopferungsvollen Alonso zu finden. Ein Seufzer entwich seinen Lippen.

Schließlich wischte der Abt das blutige Messer am Habit des Sterbenden ab. Er stieg über Bruder Alonso und schritt zu seinem Schreibtisch, um im flackernden Schein der Kerze den lang ersehnten Blick auf das wundersame Medaillon zu werfen. Ein leiser Zweifel nagte in ihm. Sollte er nicht doch lieber bis Tagesanbruch warten? Nein, er hielt es nicht mehr länger aus. Nur ein kurzer Blick, beruhigte er sich selbst. Sofort danach würde er schreiend um Hilfe rufen und seinen Ordensbrüdern erzählen, er habe Bruder Alonso sterbend in seiner Kammer vorgefunden, als er vom Gebet aus der Kapelle zurückgekehrt war. Mit letzter Kraft hätte sein Vertrauter ihm berichtet, dass er einen Eindringling überrascht habe.

Aber noch ehe er die Verschnürung des Beutels lösen konnte, griff er mit großen Augen an seine Brust und rang verzweifelt nach Atem. Gleich darauf wurde ihm schwarz vor Augen.

Am nächsten Morgen bot sich den Benediktinerbrüdern ein schauderhaftes Bild. Abt Udalrich und Bruder Alonso lagen tot auf dem Boden und waren scheinbar Opfer eines Mordkomplotts geworden. Als man schließlich die beiden Leichen abholte, um sie zu waschen und in der Kapelle aufzubahren, entdeckte ein junger Mönch namens Johannes einen Lederbeutel mit einem silbernen Schmuckstück darin, den er dem Ordensältesten übergab. Ohne dass jemand dem Medaillon noch weiter Beachtung schenkte, kam es zu den anderen Wertgegenständen in die Schatzkammer des Klosters.

Kapitel 1

Nina wünschte sich weit weg. Sie nahm den Gesichtsschutz ab und senkte wie in Zeitlupe den Degen. Obwohl sich alles in ihr sträubte, warf sie einen Blick auf die elektronische Trefferanzeige, die sie höhnisch anzublinken schien. Verdammt! Sie hatte sich unglaubliche fünfzehn Treffer eingehandelt, jedoch selbst keinen einzigen Stich platziert. So eine Pleite durfte ihr als Profifechterin nicht passieren, ganz klar, dass Ulf nicht mit ihrer Leistung zufrieden war, der sicher bereits mit den Zähnen knirschte. Als sie aus dem Augenwinkel bemerkte, wie er den Kopf schüttelte, sah sie hastig wieder weg. Er konnte sich jedes Wort sparen, sie wusste selbst, wie mies sie gewesen war. Andererseits handelte es sich um einen reinen Trainingskampf, heute war sie eben nicht ganz bei der Sache. Konnte doch mal vorkommen. Sie war eben nicht perfekt. Ulf kam auf sie zu und baute sich trotz seiner schmächtigen Statur vor ihr auf wie ein zähnefletschender Wolf. Als er nichts sagte, zwang sie sich, den Kopf zu heben. Erst dann legte er los.

»Was war das für ein Schwachsinn, den du da eben abgezogen hast? Du hast gekämpft wie eine blutige Anfängerin.«

Wie sie gefochten hatte, wusste sie selbst. Im Moment machte ihr allerdings viel mehr zu schaffen, dass keiner an ihren Geburtstag dachte. Nicht ein einziger aus der Mannschaft hatte ihr gratuliert. Vielleicht war es kindisch, sich selbst so wichtig zu nehmen, vor allem im Training kurz vor einem wichtigen Turnier. Aber sie wurde heute zwanzig Jahre alt, und das war doch etwas Besonderes, waren da ein paar Glückwünsche echt zu viel verlangt? Eine nett gemeinte Umarmung, irgendwas, eine winzige Geste.

»Kleines Formtief«, erwiderte sie gespielt beiläufig, ihr Trainer konnte sie mal. Sie hatte kaum geantwortet, da stand Ulf schon dicht vor ihrem Gesicht. Ihre Teamkolleginnen scharten sich um sie, manche von ihnen kicherten verhalten.

»Formtief? Was soll der Quatsch? So kurz vor der deutschen Fechtmeisterschaft. Warum bist du dann überhaupt hier?«

»Oder ich bin einfach besser«, sagte Teresa kichernd, die ihr gerade ihre erste Niederlage seit Langem beschert hatte.

Ulf fand das Ganze offensichtlich kein bisschen komisch.

»Ich reiße mir seit vierzehn Jahren den Arsch auf und sehe zu, dass du es zu was bringst und dann ziehst du so eine lahme Show ab?«, schrie er Nina an.

»Es war ein einziger verlorener Kampf«, verteidigte sie sich, worauf Ulf ihr umgehend über den Mund fuhr.

»Ein völlig unnötig verlorener Kampf. Du hast mieser gekämpft als meine Zehnjährigen. Und du willst ein Fechtstipendium in den Staaten ergattern? Mit dieser Leistung? Schmink dir das ab.« Ulf klang so verächtlich, dass Nina schnaubte.

»Ich wollte von Anfang an nicht in die USA. Du hast mich doch zu diesem Schritt gedrängt.«

Sein Gesicht rötete sich, die Augen traten aus den Höhlen und gaben ihm etwas Mäuseartiges. Normalerweise fand sie es amüsant, wenn er glupschte, dann wirkte er wie eine dieser Comicfiguren im Fernsehen; wie Jerry, wenn Tom um die Ecke kam. Aber nun wo es ihr galt, konnte sie nichts Witziges daran finden.

»Mit dieser Einstellung hast du im Team nichts verloren. Bleib lieber Fremdenführerin auf der Burg.«

»Mach ich auch.« Jetzt wurde sie ebenfalls laut. »Ich steige bei meiner Mutter oben im Kiosk mit ein und spare mir das blöde Training hier. Warum machst du so einen Aufstand wegen einer einzigen Niederlage?«

»Weil es deine Niederlage ist«, entgegnete er scharf. Sie musterten sich gegenseitig, bis ein innerliches Zittern von Nina Besitz nahm.

»Ich hau ab. Lass deinen Frust an jemand anderem aus.«

»Nina!«, rief Ulf ihr nach, aber sie reagierte nicht. Stattdessen sah sie zu, dass sie wegkam. »Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht mehr wiederkommen.«

Obwohl seine Worte sie wie spitze Nadelstiche im Rücken trafen, schritt sie hoch erhobenen Hauptes über den zerkratzten Parkettboden weiter in Richtung Umkleidekabinen. Es knallte durch die ganze Halle, als sie die Tür hinter sich zuschlug. Sie lehnte ihre heiße Wange gegen die kühle Wand und unterdrückte krampfhaft den aufsteigenden Tränenfluss, ihre Unterlippe bebte. Nie wieder herkommen? Das Fechten aufgeben? Für immer? Allein von der Vorstellung wurde ihr schlecht. Ihre Hände zitterten, und sie überkam ein Schwindelgefühl, sodass sie sich setzen musste. Seit vierzehn Jahren ordnete sie ihr Leben diesem Sport unter. Sogar auf ein Jurastudium in Berlin hatte sie verzichtet, um weiterhin bei Ulf trainieren zu können, weil er der Beste war. Jetzt saß sie in diesem Kaff fest und hielt sich mit einem beknackten Job über Wasser. Verdammt! Sie hätte nicht einfach davonlaufen sollen. Aber was musste Ulf sie auch so runtermachen? Vor dem ganzen Team. Sein Anpfiff war total überzogen gewesen, dennoch hatte jedes einzelne seiner Worte gesessen wie vorhin Teresas Treffer mit dem Degen. Was, wenn Ulf doch recht hatte und sie es nie zu etwas bringen würde? Auf einmal kamen Nina ihre hochtrabenden Pläne lächerlich vor. Die Weltmeisterschaft. Olympia. Ein Studium in den USA. Sie biss die Zähne zusammen, bis ihr Kiefer schmerzte. Dieser Wunsch würde sowieso ewig ein Traum bleiben. Neun Unis hatten bereits abgesagt und die zehnte Ablehnung von Penn State trudelte ganz sicher auch bald ein.

Die Tür schwang auf, die Mädels kamen lachend und schwatzend herein.

»Mach dir nichts draus. Alle haben mal einen schlechten Tag.« Paula klopfte ihr im Vorbeigehen auf die Schulter.

»Halb so wild«, erwiderte Nina mit einem gezwungenen Lächeln und winkte ab. Bloß nichts anmerken zu lassen.

»Sag Bescheid, wenn du es noch mal mit mir aufnehmen willst«, zwitscherte Teresa. »Viel Spaß in Amerika. - Bei Mc Donalds.«

Ein bitterer Geschmack sammelte sich in Ninas Mund, den sie herunterschluckte wie vorhin die Niederlage. Dem Miststück reichte es offenbar nicht, sie gerade fertiggemacht zu haben, sie musste noch einen draufsetzen. Krampfhaft suchte sie nach einer schnippischen Antwort, um wenigstens nicht den letzten Rest Selbstwertgefühl zu verlieren, aber ihr fiel nichts ein. Mist. Nicht einmal ihr Gehirn funktionierte. Also beließ sie es bei einem leisen Brummen, das wie eine Erwiderung klingen sollte.

»Warum warst du gestern eigentlich nicht auf Adrians Party? Torben war auch da.« Teresa zog ihr pinkfarbenes Sportshirt aus und stellte ihre enorme Oberweite zur Schau, die von einem weißen BH gestützt wurde.

Nina durchzuckte es. »Adrian hat 'ne Party geschmissen?«

Was?

Teresa grinste breit. »Ups. Du wusstest nichts davon?«

Einen Moment lang war Nina wie gelähmt. Torben war auf die Party seines besten Freundes gegangen und hatte sie nicht einmal gefragt? Warum? Als sie gestern mit Torben in ihren Geburtstag hatte hineinfeiern wollen, war er zu müde gewesen. Ihr Freund war zu müde gewesen, um mit ihr zu feiern, aber nicht zum Party machen. Wortlos schnappte sie ihr Handtuch und verschwand unter die Dusche. Der heutige Tag entwickelte sich immer mehr zum Albtraum, dabei war es gerade mal acht Uhr morgens.

Nach dem Duschen kramte sie ihr Smartphone aus dem Rucksack und schaltete es ein. Mit angehaltenem Atem starrte sie auf ihr Display. Keine Anrufe in Abwesenheit. Kein einziger! Enttäuscht ließ sie ihre Hand sinken. Nicht einmal eine Nachricht hatte Torben ihr geschickt. Sie konnte es nicht fassen. Sogar ihr Vater hatte sie vergessen! Wenigstens heute hätte er doch mal an sie denken können. Sie biss sich auf die Unterlippe. Nicht gleich dramatisieren, der ganze Tag lag schließlich noch vor ihr. Nur ihre beste Freundin Amelie hatte gestern Punkt Mitternacht angerufen, um ihr zu gratulieren. Leider studierte sie schon seit einem Jahr in München und sie sahen sich nur noch in den Semesterferien. Nina vermisste ihre Freundin. Überhaupt ihre Freunde, die sich nach der Schule in alle Winde zerstreut hatten, nur sie saß immer noch in Schwalmberg fest. Diesem trostlosen Kaff. Energisch schüttelte sie ihre blonden Locken über dem Kopf aus und verscheuchte die trüben Gedanken, griff nach ihren Klamotten am Haken und zog sich langsam an. Als Letzte verließ sie schließlich die Fechtschule und ging zu ihrem Fahrrad. Passend zu ihrer Stimmung ballten sich immer mehr bleigraue Wolken am Himmel zusammen. Als sie das Schloss am Vorderrad löste, hörte Nina ein Hüsteln und drehte sich um. Ulf stand hinter ihr, sein braunes Haar zerzaust, als hätte er sich die Haare gerauft. Zögerlich richtete sie sich auf.

»Können wir kurz reden?«, fragte er, der sanfte Klang seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Schließlich nickte Nina, und er atmete hörbar aus. Ulf war ein gutmütiger Kerl, der alles für einen tat, wenn man ihn nur richtig anpackte. Nur eines vertrug er nicht, das wusste sie: halbe Sachen.

»Was willst du?«, fragte sie dennoch kühl.

Seine Stirn glättete sich, die feinen Linien um seine Augen, die Sonne und Jahrzehnte hineingegraben hatten, vertieften sich, als er sie anlächelte. »Tut mir leid, wegen Amerika.« Ulf kam einen Schritt näher und Nina senkte den Kopf. Sie wollte es nicht, wollte sein Mitleid nicht. Am liebsten wäre ihr gewesen, sie hätte sich niemals an diesen Unis beworben, dann müsste sie sich jetzt nicht als Versagerin fühlen.

»Alles Gute zum Geburtstag«, hörte sie ihn leise sagen und blickte wieder auf. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Brustkorb aus, als hätte jemand ein Licht in ihrem Inneren entfacht.

»Du hast es nicht vergessen.«

Er lächelte und die letzten vierzehn Geburtstage flogen wie durch einen Nebel an ihr vorbei. An jedem einzelnen hatte Ulf ihr eine kleine Überraschung bereitet, er hatte den Part übernommen, den eigentlich ihr Vater hätte ausfüllen sollen. Der hatte sich aus dem Staub gemacht, als noch klein gewesen war und schließlich wieder geheiratet. Seitdem hatten sie kaum noch Kontakt, denn seine neue Frau wollte nichts mit den Kindern ihres Mannes aus erster Ehe zu tun haben. Ulf kramte in seiner Hosentasche und fischte einen glänzenden Gegenstand an einem schwarzen Lederband heraus. An einer Hand schaukelte er das Schmuckstück vor ihrer Nase durch die Luft, sie betrachtete es genauer. Es war ein silbernes Medaillon mit meisterhafter Gravur, dessen fein eingearbeitete Flammen so echt wirkten, dass sie das Feuer beinahe züngeln sehen konnte.

»Das ist aber schön«, hauchte sie.

»Dreh dich um, damit ich es dir anlegen kann.«

Nina gehorchte. Während er die Enden des Lederbandes in ihrem Nacken miteinander verknotete, redete er weiter. »Anscheinend ist dieses Medaillon an die tausend Jahre alt und stammt aus dem Kloster Paulinzelle. Der Name ist zumindest hinten eingraviert und eine Jahreszahl. 1163.« Nina glaubte, ihn lächeln zu hören. »Vielleicht ist es aber auch nur die chinesische Produktionsnummer. … Die Verkäuferin meinte auf jeden Fall, früher wurden solche Schmuckstücke für magische Rituale verwendet.«

Ein seltsames Pochen breitete sich an der Stelle aus, wo das Medaillon Ninas Haut berührte, worauf ein leichter Schauder sie schüttelte.

Sie wandte sich wieder um. »Was für Rituale?«

Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ist es ein Glücksbringer.« Wohlwollend betrachtete er Nina. »Steht dir wirklich gut.« Er tätschelte ihre Schulter.

»Vielen Dank.« Mit Daumen und Zeigefinger nestelte sie an dem abgewetzten Tragegriff ihres Rucksacks, der locker über ihre Schulter hing. »Ich geh dann mal. In einer Stunde muss ich arbeiten.« Sie nickte hinüber zu der mittelalterlichen Burgruine, die sich über dem Städtchen auf einem Hügel erhob.

»Viel Spaß.« Ulf wandte sich zum Gehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Nina.«

»Ja?«

»Morgen Training. Um 6:30 Uhr?«

»Ich erscheine pünktlich und hochkonzentriert«, versprach sie und stieg aufs Fahrrad.

Kurz vor Neun eilte Nina aus der Apotheke, in der sie rasch noch das Antibiotikum für ihren kleinen Bruder abgeholt hatte. Weder ihr Freund noch ihr Vater hatten sich bislang bei ihr gemeldet. Wenigstens war ihre Mutter zum Frühstücken vorbeigekommen und hatte Brötchen und ganz viele Leckereien mitgebracht. Jetzt war sie wahnsinnig spät dran, aber Jan lag mit einer schweren Bronchitis im Bett und ihre alleinerziehende Mutter hatte sowieso schon genug um die Ohren, sodass sie den Abstecher in die Apotheke gern für sie gemacht hatte.

Auf der Straße lief sie Torben in die Arme, und obwohl sie echt sauer auf ihn war, flatterte ihr Magen bei seinem unvermuteten Anblick. Hastig steckte sie das Medikament in ihren Rucksack und hing ihn sich über die linke Schulter. Ihr Freund stutzte, bevor er Nina sein unwiderstehliches Verführerlächeln zeigte, bei dem sonst sofort schwach wurde. Mit ausgebreiteten Armen kam er auf sie zu, als hätte er den ganzen Morgen nach ihr gesucht.

»Alles Gute zum Geburtstag, Babe«, flüsterte er so nahe an ihrem Ohr, dass sein warmer Atem ihre Wange kitzelte, bevor er sie auf die Lippen küsste. Weich und verführerisch, sodass sie ein Stückweit zerfloss. Wenn er sie so ansah wie jetzt, konnte sie einfach nicht lange auf ihn sauer sein. Just in diesen wunderschönen Moment hinein klingelte sein iPhone. Torben wandte sich ab, um die Nachricht zu lesen, während er sich durch sein kurzes dunkelbraunes Haar fuhr.

»Sandy fragt, wo ich bleibe.«

Schon wieder die. Dauernd hing er mit der ab, selbstverständlich nur rein freundschaftlich. Neben Sandy mit ihrer wallenden kastanienbraunen Mähne kam sie sich wie ein Bauerntrampel vor. Sandy beherrschte diese lasziven Augenaufschläge, und wenn sie mit der Zunge ihre vollen Lippen befeuchtete, legte sich bei den Kerlen ein Schalter um, der sie augenblicklich zu sabbernden Idioten machte.

»Sandy«, wiederholte Nina leise, worauf er einen Arm um ihre Taille legte. »Babe, ich liebe nur dich.«

»Warum hast du mir nichts von Adrians Party erzählt? Ich habe gestern allein zu Hause gehockt.« Sie sah, wie er zusammenzuckte. Etwas regte sich in ihr, eine vage Ahnung, dieses seltsame dumpfe Pochen in den Schläfen, das man nicht mehr so schnell loswurde, wenn es einen erst mal erwischt hatte.

»Habe ich das nicht?« Er griff sich in den Nacken. »Waren sowieso nur ein paar Jungs da, eigentlich keine Party, wir haben nur gechillt.«

Sein Lächeln wirkte eine Spur zu aufgesetzt, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Schließlich schmiegte sie sich an ihn, sie wollte keine dieser misstrauischen Frauen sein, die ihrem Freund mit grundlosen Eifersuchtsszenen das Leben schwer machte, nur weil er auch weibliche Kumpels hatte. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie Torben unauffällig sein Spiegelbild im Schaufenster der Apotheke betrachtete. Er lächelte sich selbst wohlwollend an und plötzlich verstand Nina nicht mehr, was er überhaupt an ihr fand. Torben konnte so ziemlich jede haben, genau aus diesem Grund hatte sie ihn auch wochenlang zappeln lassen, bevor sie das erste Mal zusammen ausgegangen waren.

»Heute Abend machen wir es uns richtig gemütlich bei mir zu Hause. Wir bestellen uns ’ne Pizza. Meine Mutter hat mein Bett frisch bezogen.« Er zwinkerte ihr zweideutig zu.

»Ich dachte, du lädst mich zum Essen ein?«

»Ist Pizza etwa kein Essen?« Er klang verletzt. Er! Ihr zwanzigster Geburtstag entwickelte sich langsam zur reinsten Katastrophe, aber sie wollte ihren Frust nicht an ihm auslassen. Sie würden sich den Abend nachher schön machen, und nicht wegen Pizza streiten. Vielleicht hatte er sogar eine Überraschung geplant und tat jetzt nur so.

»Alles gut.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Lippen. »Bis heute Abend dann, ich bin spät dran.«

»Ich hole dich von der Arbeit ab, Babe. Bis später«, sagte er so verheißungsvoll, dass Nina nicht mehr an Fastfood zum Geburtstag glaubte. Der Kerl hatte mit Sicherheit irgendwas Tolles geplant und Nina wollte sich nur zu gern von ihm überraschen lassen.

Kapitel 2

Kichernd und sich gegenseitig schubsend, stieg die Schülergruppe hinter Nina die glitschigen Treppen hinunter ins dunkle Verlies von Burg Adlerfels, eine Kammer, die nur durch eine dicke, sichtbar morsche Holztür betreten werden konnte. Schaudernd lugten die Jugendlichen in das düstere Innere, wo eine nackte Glühbirne trübes Licht verbreitete. Nina knöpfte ihre Jeansjacke zu. Vielleicht hätte sie besser nicht den roten Pulli mit dem viel zu tiefen Ausschnitt anziehen sollen. Aber nachher holte Torben sie ab und sie wollte sexy aussehen. Um sie herum redeten alle durcheinander, begleitet von spitzen Schreien, wenn die Jungs ihre Mitschülerinnen erschreckten. Nina verdrehte die Augen. So langsam ging ihr dieser Fremdenführer-Job tierisch auf die Nerven.

Die Absätze ihrer schwarzen kniehohen Stiefel klapperten, als sie die ausgetretenen Stufen wieder hinaufstieg.

»Möchte nicht wissen, wie viele Menschen in dem Loch früher verrottet sind«, sagte der strohblonde Junge vor ihr.

Eine kleine Rothaarige hinter ihm schrak zusammen. »Du meinst, die haben ihre Gefangenen da drinnen einfach sich selbst überlassen?«

Mit geschlossenen Lippen grinste er über die Schulter. »Wer im Verlies gelandet ist, kam nicht wieder lebend raus. Die haben gewartet, bis das Fleisch von den Ratten abgenagt war, und das Gerippe haben sie dann einfach den Berg runtergeworfen. Deswegen heißt es auch der Knochenberg. Früher war der Weg hier rauf gepflastert mit den Gebeinen der Toten.«

»Ehrlich?« Die Rothaarige schluckte.

»Erzähl nicht so einen Mist, du Trottel«, erklang hinter Nina eine schlecht gelaunte Mädchenstimme.

Das meckernde Lachen des Blonden erinnerte Nina an einen Ziegenbock.

»Idiot.« Das Mädchen mit den roten Haaren klatschte ihm die flache Hand auf den Rücken.

Nina seufzte innerlich. Noch zwei Stunden bis Feierabend.

Als sie endlich wieder im Burghof waren, atmete sie tief durch. In kleinen Grüppchen standen Schüler herum, die sich lachend unterhielten.

»Der Brunnen wurde erst im Jahre 1183 nachträglich gegraben«, erklärte Nina mit einer weit ausholenden Armbewegung durch das Stimmengewirr, aber da ihr sowieso keiner zuhörte, gab sie es auf, die undankbaren Gören mit weiteren Informationen zu füttern.

Seufzend schlenderte sie zur brusthohen Burgmauer und bewunderte die Aussicht, um sich ein wenig abzulenken. Was Torben nachher wohl zu ihrer sündhaft teuren Unterwäsche sagen würde, die sie sich geleistet hatte, obwohl er immer behauptete, das wäre nur überflüssiger Stoff, und seinetwegen könnte sie auch nichts darunter tragen. Kichernd widmete sie sich wieder der Landschaft. Wenn sie ganz genau hinsah, konnte sie ihr hochgeschossiges, abgewohntes Mietshaus im Stil der siebziger Jahre erkennen. Autos, winzig wie Käfer, bahnten sich ihren Weg durch die Straßen. Mit seinen zwanzigtausend Einwohnern machte das Städtchen von hier oben aus gesehen einen recht netten Eindruck. So von Weitem betrachtet. Nina hängte beide Daumen in die Hintertaschen ihrer Jeans und stutzte. Da steckte etwas. Sie zog ein Stück Papier heraus und atmete tief durch. Der Brief der Penn State University, den sie vorhin im Briefkasten gefunden und in der Eile schnell eingesteckt hatte. Den hatte sie vollkommen vergessen gehabt. Sollte sie ihn wirklich öffnen? Solange der Umschlag geschlossen blieb, war ihr Traum noch nicht geplatzt. Ihre letzte Chance auf ein Studium in den Staaten. Du machst dir was vor, Feigling! Als ob nicht alles schon längst entschieden wäre. Schließlich riss sie den Umschlag auf. Vielleicht sollte sie sich lieber setzen. Ach was, egal. Ihre Chancen auf eine positive Antwort waren so minimal, dass es sich nicht lohnte, über die Maßen nervös zu werden. Trotzdem zitterten ihre Finger, als sie das Schreiben auseinanderfaltete. Admitted stand dort groß und breit. Ein Schwall Glückshormone enterte ihre Venen und machte sie im Sekundenbruchteil total aufgekratzt. Zugelassen! Die Uni hatte sie wirklich aufgenommen, zum nächsten Semester konnte sie endlich dieses Kaff verlassen und in die große weite Welt ziehen. Das war mit Abstand das schönste Geburtstagsgeschenk ihres Lebens. Sie war keine Versagerin! Am ganzen Körper bebend musste sie sich mit beiden Händen an der Mauer abstützen, um nicht umzukippen. Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein riesiges Lächeln auf ihren Lippen breitmachte, während weiterhin lauter kleine Glücksblitze durch ihren Körper zuckten. Nina musste sich zusammenreißen, um vor der Schulklasse nicht in Freudengebrüll auszubrechen. Freuen konnte sie sich heute Abend noch zur Genüge, bei Torben im Schlafzimmer … Sie kicherte in sich hinein. Ihr Körper fühlte sich unglaublich leicht und schwerelos an. Sie stellte sich auf die Zehen und wippte im Takt von ‚We are the Champions’ leise summend vor sich hin. Um sich zu beruhigen, sah sie über die Mauer hinweg nach unten. Direkt unter ihr reckte sich eine stattliche Eiche in die Höhe, zwischen deren grünem Laub sie einen dunkelbraunen Haarschopf entdeckte, der ihr merkwürdig bekannt vorkam. Eine kastanienrote Mähne wehte dicht daneben im Wind. Die Gesichter der beiden Personen schienen miteinander zu verschmelzen. Langsam aber sicher wurde ihr klar, was sich da vor ihren Augen abspielte, und es überkam sie heiß und kalt. Der Brief fiel ihr aus der Hand und segelte zu Boden. Einen Wimpernschlag lang war sie zu keiner Regung fähig, dann stob sie davon, quer durch den Burghof, zum halb verfallenen Tor hinaus und um die Ecke. Sie rutschte und stolperte unterhalb der Burgmauer den Hügel entlang durch das feuchte Gras, bis sie schließlich die Eiche erreichte, in deren Schatten Torben und Sandy eng umschlungen standen und wild knutschten.

»Du mieses Schwein!« Wutentbrannt stürmte Nina auf die beiden zu, zerrte sie auseinander und verpasste Torben eine schallende Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Alle fünf Finger zeichneten sich auf seiner Haut ab.

»Scheiße. Tickst du noch ganz richtig? Es war doch nur ein Kuss.« Er hielt sich die Wange.

Das konnte nicht wahr sein, ihr passierte das nicht wirklich. Nicht an ihrem Geburtstag. Torben betrog sie hinter ihrem Rücken, wie ihr Vater das damals bei ihrer Mutter gemacht hatte.

»Du bist echt das Letzte.« Nur mit Mühe hielt sie die Tränen zurück, der Schmerz in ihrer Brust war so heftig, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Aber dieser Mistkerl war keine einzige vergossene Träne wert. Dieser miese Betrüger zeigte nicht einen Funken Reue. »Ich dachte, ihr seid nur Kumpels. Ich habe dir echt vertraut, Torben.«

»Du wolltest es ihr doch sowieso sagen«, mischte sich Sandy mit gleichgültiger Stimme ein, ihr knallroter Lippenstift war verwischt und zog eine blassrosa Spur über ihr Kinn. »Dann kannst du es doch auch jetzt machen.«Mit einer grazilen Handbewegung strich sich Sandy eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Glitzersteinchen klebten auf ihrem rosa Nagellack.

»Nicht heute«, erwiderte Torben leise, der sich immer noch die Wange hielt.

»Was wolltest du mir sagen?«, wandte sich Nina jetzt mit bebender Stimme an Torben, der jedoch auffällig still blieb. »Los, raus mit der Sprache. Spuck es endlich aus.«

»Dass er mit dir Schluss machen will«, antwortete Sandy an seiner Stelle breit grinsend.

»Ach ja?« Nina boxte gegen Torbens Schulter, worauf er einen Schritt zurückwich.

»Aua, sei doch nicht gleich so grob.«

»Du Feigling.«

»Sorry Nina, aber Sandy ist echt heiß«, sagte er schließlich. »Und sie will endlich mit mir zusammen sein.« Er warf dem Miststück einen dermaßen verliebten Blick zu, dass sich Nina am liebsten übergeben hätte.

»Wisst ihr was?« Ein Schluchzer löste sich aus Ninas Kehle und sie verfluchte sich selbst für diesen Moment der Schwäche, hatte sich aber nicht gut genug unter Kontrolle. Sie fühlte sich gedemütigt und hintergangen. Und sie verfluchte ihr dummes Herz, das so unglaublich wehtat und diesem miesen Scheißkerl auch noch hinterhertrauerte.

»Ihr zwei habt euch echt verdient. Und nur für’s Protokoll: Ich mache mit dir Schluss.« Sie wollte ihm mit dem Zeigefinger gegen das Schlüsselbein tippen, als letzte Geste ihrer Verachtung, aber Torben wich hastig zurück.

»Sorry«, sagte er mit wenig Überzeugung in der Stimme.

Nina drehte sich um, und stürmte davon, weil sie die Tränen nicht mehr länger zurückhalten konnte, die sie auf keinen Fall vor den beiden vergießen wollte. Ziellos stolperte sie an Brombeergebüschen und Schlehenbäumen den Hang entlang und zwängte sich schließlich durch dichte Haselnusssträucher hindurch, bis überraschend ein verwilderter Höhleneingang vor ihr auftauchte. Sie musste jetzt allein sein, ihren Tränen freien Lauf lassen, und diese Höhle schien ihr der geeignete Ort dafür zu sein. Von weitem wehte der Wind eine Stimme bis zu ihr herüber, die ihren Namen rief. Es war Torben, der ihr allen Ernstes nachkam. Der Kerl war der Letzte, mit sie jetzt reden wollte, auf seine Lügen und Ausreden konnte sie verzichten. Sie schniefte unfein, bevor sie sich mit dem Jackenärmel das Gesicht trocken wischte. Feuchte Spuren blieben auf dem hellblauen Stoff zurück. Der Kerl war es nicht wert, dass sie ihm hinterherheulte, nur warum tat es dann so furchtbar weh?

»Nina!« Die vertraute Stimme ließ sie auffahren. Torben rief laut und deutlich nach ihr. Was wollte er noch von ihr? Er war der Letzte, den sie jetzt sehen wollte. Erneut schoss die Wut auf ihn heiß in ihr hoch, dazu brannte sich die vorangegangene Demütigung noch einmal durch ihren Brustkorb wie ein glühendes Stück Eisen. Auf keinen Fall wollte sie hier und in diesem Zustand von ihm entdeckt werden, kurzerhand quetschte sie sich durch die Öffnung in den steinernen Hohlraum. Entgegen ihrer Erwartung war es drinnen nicht dunkel. Durch einen Spalt an der Decke drang ein vereinzelter Sonnenstrahl wie ein Speer zu ihr nach unten. Etwas Eiskaltes traf ihre Nase. Sickerwasser tropfte von der Decke. Hastig trat sie einen Schritt beiseite und entdeckte einen riesigen Stalagmit auf dem Boden. Nina trat näher. Was war denn das? Es sah aus, als würden winzige Flammen von der Spitze des Steins züngeln. Das kann doch nicht sein. Ein heftiges Pochen machte sich in ihrer Brust bemerkbar. War das ihr Herzschlag? Nein, das Medaillon. Ihr stockte der Atem.Unwillkürlich tastete sie danach und hielt es nach vorne. Im silbernen Kreis tanzte ein winziges Feuer. Ihr Blick wechselte zwischen Stein und Anhänger. Seltsam, wie sehr sich die Flammen ähnelten. Sie ließ das Schmuckstück so hastig los, als habe sie sich daran verbrannt.

Ein Kribbeln breitete sich in ihren Beinen aus und arbeitete sich durch den ganzen Körper wie eine wuselige Ameisenarmee. Was geschah hier? Die Oberfläche des Steins schien zu pulsieren, als schlage ein lebendiges Herz in seiner Mitte. Fasziniert vergaß sie für einen Moment Torben und beobachtete, wie die Konturen des Stalagmit immer mehr verschwammen, bis sich eine Öffnung in seinem Mittelpunkt bildete. Blutrote Blasen brodelten darin, die glühende Fontänen hoch in die Luft stießen wie bei einem Vulkanausbruch.

Er sieht aus wie ein Feuer speiender Burgbrunnen. Wann wurde der noch mal gegraben? 1183? Sie schüttelte den Kopf über ihre wirren Gedanken. Ihre Beine schienen mit dem Untergrund zu verschmelzen und ließen sich nicht mehr bewegen, obwohl sie weglaufen wollte. Ich muss hier sofort raus! Sie atmete hektisch. Das Pochen in ihrer Brust nahm zu, dröhnte bis in ihre Ohren. Erschrocken legte Nina eine Hand an das Medaillon. Wie unter Zwang hob sie das Schmuckstück vor ihre Augen. Flammen schossen hervor und wirbelten sich zu einer Feuerspirale zusammen. Als sie ihren Blick dem Stein wieder zuwandte, bot sich ihr dasselbe Bild eines kreisenden Flammenlichts.

Heftiger Schwindel überkam sie. Obwohl Nina verzweifelt dagegen ankämpfte, begann sich alles zu drehen, die Konturen zerflossen zu bunten Streifen und rotierten immer schneller.

Als sie die Augen wieder aufschlug, lag sie fröstelnd auf dem eisigen Boden der Tropfsteinhöhle. Eine kleine Hautabschürfung brannte auf ihrem Handballen. Sie richtete sich auf und sah sich verwundert um, hob geistesabwesend ihren Rucksack auf und hängte ihn über die Schulter. Der Stalagmit stand reglos an seinem Platz, von zuckenden Flammen war weit und breit nichts zu erkennen. Ich werde verrückt, dachte sie entsetzt. Sie schüttelte sich kurz und stand auf, um zurück an die Arbeit zu eilen und Torben aus ihrem Kopf zu verdrängen. Dabei schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter. Wie konnte Torben ihr nur so etwas antun? Hatte er sie überhaupt je geliebt?

Kapitel 3

Als Nina aus der Höhle trat, spürte sie als Erstes einen warmen Windhauch, der ihren Körper umschmeichelte. Die Luft roch auf einmal anders, klar und rein, wie frisch gewaschen. Seltsam, vorhin war es noch deutlich kühler gewesen. Suchend sah sie sich nach der Lücke in den Haselnusssträuchern um, durch die sie sich vorhin hindurchgezwängt hatte, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Im Gegenteil, wie eine grüne Wand umschloss das Gebüsch sie. Mit beiden Händen teilte sie schließlich die Zweige und schob sich rücklings hindurch. Verwundert blieb sie stehen. Was war denn das? Sträucher überwucherten die Anhöhe, Apfelbäume wuchsen den Hügel entlang bis nach unten. Wieso hatte sie die noch nie zuvor bemerkt? Aber sie hatte sich noch nie sonderlich für Bäume interessiert. Es war allerhöchste Zeit zur Burg zurückzukehren, die Schulklasse wartete bestimmt schon ungeduldig auf den zweiten Teil der Führung. Hastig marschierte sie los. Mittlerweile war auch Torben verstummt. Hoffentlich waren er und Sandy schon weg, sonst würde ein Unglück geschehen. Nina ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen, als das Bild der beiden wieder vor ihr aufstieg. Sie lief durch das kniehohe Gras den Burgberg entlang. Komisch, vorhin war ihr gar nicht aufgefallen, wie hoch es schon stand. Vorhin hatte sie auch noch ganz andere Probleme gehabt. Auf halbem Wege blieb sie stehen. Die hohe Eiche, unter der sie Sandy und Torben erwischt hatte, sah plötzlich aus wie ein Kirschbaum. Was war hier los? Wo war die Eiche? Sie ließ ihren Blick an der steinernen Wand emporwandern und stutzte. Moment mal! Die war gar nicht mehr verwittert. Als sie noch höher sah, traf Nina beinahe der Schlag. Vor ihr reckte sich eine imposante Burg in den strahlend blauen Himmel. Die beiden Türme, die vor Kurzem noch in Trümmern gelegen hatten, standen majestätisch zu beiden Seiten und rahmten ein gewölbtes Tor ein. Sie legte beide Hände an ihre Wangen und schüttelte den Kopf. Ganz hinten prangte ein wuchtiger Rundturm, als gäbe er den Mauerfluchten um ihn herum Halt. Starke Mauern umschlossen die Burg, als wollten sie feindlichen Angriffen wehrhaft trotzen. Ihr stockte der Atem. Ich habe Halluzinationen, das muss es sein.

»Was?« Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Hatte sie sich in der Grotte beim Sturz den Kopf gestoßen? Anders konnte es doch gar nicht sein. Sie tastete ihren Kopf ab, konnte aber keine Beule fühlen. Vielleicht hatte ihr einer dieser Schüler vorhin was in die Cola geschüttet. Sie verharrte mitten in der Bewegung und beschloss die Lehrerin dieser unverschämten Klasse umgehend davon in Kenntnis zu setzen. Unfreiwillig High sein hatte ihr heute gerade noch gefehlt. Nach einem raschen Blick über die Schulter erstarrte sie. Schwalmberg, oder was immer das da vor ihr sein sollte, war nicht einmal mehr halb so groß. Ein hoher Palisadenzaun umsäumte die Stadt, in allen vier Himmelsrichtungen konnte sie Tore erkennen. Soeben galoppierte in einer wirbelnden Staubwolke ein Reiter zu einem der Tore hinaus. Außerhalb der Begrenzung standen strohbedeckte Hütten auf den Feldern, aus denen dicke Rauchschwaden aufstiegen. Was hatte das Häufchen Häuser da unten zu bedeuten? Entsetzt schlug sie beide Hände vor den Mund. Sie war auf irgendeinem Trip, zumindest hatte sie keine andere Erklärung, denn mit Drogen hatte sie noch nie etwas zu tun gehabt. Vielleicht sollte sie erst einmal am Kiosk ihrer Mutter einen Kaffee trinken. Nina wagte einen weiteren Blick nach oben, doch leider erstrahlte die Burg noch immer in einem frischen Glanz, als hätte ein mächtiger Riese sie soeben erst abgestellt. Schließlich riss sie sich aus ihrer Starre und beschloss, zur Burg hinaufzusteigen und ihre Mutter zu suchen. Ihr Herzschlag schwoll an, pochte bis hoch in ihren Hals. Sie musste sich beruhigen, für das alles gab es bestimmt eine simple Erklärung. Jetzt sollte sie besser nicht allein sein, in ihrem Zustand half wohl auch kein Kaffee mehr. Rutschend bahnte sie sich weiter ihren Weg und erreichte gleich darauf einen festgestampften Fußpfad, der sich nach oben schlängelte. Der war vorhin definitiv noch geteert gewesen. Noch einmal blieb sie stehen und betrachtete das seltsame Trugbild mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Die Burg und alles um sie herum wirkte täuschend real, als stünde sie wirklich vor ihr und wäre nicht nur ein Konstrukt ihrer von chemischen Substanzen gesteuerten Fantasie. Plötzlich erschien ein Bär von einem Mann vor dem Tor, der sie so finster musterte, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken jagte. Er war seltsam gekleidet, wie sie es nur von Mittelaltermärkten her kannte, die sie früher manchmal mit ihrer Freundin Amelie besucht hatte. Sein weit geschnittenes Gewand aus ungefärbtem Stoff trug er über einer Art Hemd aus grauem, derbem Leinen. Um seinen Hals etwas wie einen Umhang, der ihm bis zur Brust reichte. Seinen Kopf zierte ein Helm in Form eines Hutes mit eiserner Krempe und die Füße steckten in festen Stiefeln. Er richtete seine Lanze gegen sie und kam mit großen Schritten auf Nina zu, während sie zurückwich.

»Was suchst du Vagabund hier oben auf der Burg, noch dazu in solch seltsamen Gewändern?«, rief er ihr in einem fremdartigen Dialekt zu, den sie kaum verstand. Seine tiefe Stimme klang wie das Knurren eines tollwütigen Schäferhundes. Er bleckte die Zähne. In seinen Augen lauerte ein derart aggressives Funkeln, dass sie nur leise zu fragen wagte: »Welche Burg ist das?«

Bildete sie sich diesen Kerl etwa auch ein?

»Das ist Burg Adlerfels!« Er kam bedrohlich näher. Der Kerl war echt!

Ein Kloß wuchs in Ninas Hals. »Aber das kann nicht sein.«

»Schweig!«, fuhr er sie an und packte sie am Arm. »Du wirst dich vor dem Burgherrn verantworten.« Er zerrte sie in Richtung Burgtor. Verzweifelt versuchte sie sich aus der Umklammerung des Hünen zu befreien, der sie mühelos über den dreckigen Weg hinter sich her schleifte, als wäre sie ein unartiges Kind. Drohend hielt er ihr mit der anderen Hand die Spitze seiner Lanze vor die Nase.

»Beweg dich, Weib«, forderte er sie vor der Burg angekommen auf und stieß ihr seinen Ellenbogen zwischen die Schulterblätter, dass ihr ein stechender Schmerz bis hoch in den Nacken zog.

»Aua.«

Sofort erschien sein Gesicht dicht vor ihrem, er wirkte so hochaggressiv, dass ihre Knie weich wurden. Was, zum Teufel, war hier los? Burg Adlerfels wieder auferstanden? Eine Burgwache, die sie bedrohte? Ein geschrumpftes Dorf? Sie kapierte überhaupt nichts mehr. Vor lauter Schiss ließ sie sich über die massiven Holzbohlen des Burgtores scheuchen. Dieser Kerl war vollkommen verrückt, mit dem konnte man nicht vernünftig reden. Das Klappern ihrer Absätze hallte in dem runden Gewölbe, drohend und furchterregend. Was hatte dieser Psychopath mit ihr vor? Ihr Magen zog sich zusammen. Immer wieder spähte sie nach allen Seiten, vielleicht ergab sich hier irgendwo die Chance zur Flucht, aber was sie erblickte, ließ ihren Kiefer nach unten klappen. Im Burghof herrschte geschäftiges Treiben. Frauen in einfachen langen Gewändern und weißen Hauben auf den Köpfen verrichteten verschiedene Arbeiten. Eine von ihnen drehte am Brunnenrad und hievte einen mit Wasser gefüllten Holzeimer über den steinernen Rand. Den Brunnen erkannte sie wieder, doch der war schon seit hunderten von Jahren ausgetrocknet. In den Ställen muhte Vieh, dazwischen grunzten Schweine. Nina glaubte sogar, Pferde wiehern zu hören. Ein kleines Mädchen mit einer Rute in der Hand trieb eine Horde schnatternder Gänse in Richtung der Stallungen. Zwei einfach gekleidete Männer führten ein Pferd mit klappernden Hufen über das Pflaster, aus einem Abzug qualmten dichte Rauchschwaden. Stimmengewirr erfüllte den Burghof, das jedoch jeweils abebbte, sobald Nina und ihr Bewacher jemanden passierten. Im hinteren Bereich übten sich zwei Männer im Schwertkampf, die erbittert aufeinander einhieben. Mittendrin hielt der Ältere inne und starrte ihnen entgegen, während der junge Bursche in letzter Sekunde sein Schwert zur Seite zog und den gewaltigen Hieb dicht vor den Füßen seines Kontrahenten zu Boden donnern ließ. Ungerührt blieb dieser stehen. Die zwei waren anders gekleidet als der Rest, denn sie trugen beide ein Kettenhemd, das bis zu den Knien reichte und eine Kettenhaube über ihren Schultern. Unter der Panzerung fiel Nina ein Kleidungsstück aus dick gestepptem Leinentuch auf. Das waren zweifellos - Ritter. Ritter? Sie verlor den Verstand. Unentwegt trieb der Wächter sie weiter auf die Kämpfer zu. Der ältere versperrte ihnen den Weg und musterte Nina spöttisch von oben bis unten. Hinter sich hörte sie schwaches Gemurmel, doch sie achtete nicht auf die Leute um sich herum, war stattdessen verzweifelt bemüht, nicht auszuflippen. Das waren alles Sinnestäuschungen. Wahnbilder. Lief ein Drogentrip immer derart real ab? Das hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Nina schloss die Augen zu zwei schmalen Schlitzen und versuchte, sich zu konzentrieren. In Wahrheit stand da vorne der Kiosk ihrer Mutter, direkt neben dem Kassenhäuschen, und die Anwesenden entpuppten sich bestimmt gleich als Besucher. Einen Moment lang fixierte sie starr die Stelle hinter den Männern, wo ihre Mutter sonst Kaffee ausschenkte, aber nichts veränderte sich. Verdammt, wie lange hielt so ein Rausch denn an? Vielleicht ließ einer von denen doch mit sich reden, sofern es sie wirklich gab. Gerade öffnete sie den Mund, als der Ritter mit einer langsamen Handbewegung seine Kettenhaube vom Kopf streifte, ehe er ihren Bewacher im selben seltsamen Dialekt fragte: »Was für einen seltsamen Vogel hast du da eingefangen?«

Sie musste sich konzentrieren, um überhaupt ein Wort zu verstehen, da die Sprache der beiden merkwürdig verzerrt in ihren Ohren klang. Kam das etwa auch von den Drogen? Ein Gedanke durchzuckte sie, der wie ein Stromstoß durch ihren Körper jagte, als wäre sie ein Blitzableiter. Oh mein Gott, was mache ich, wenn sich das nicht mehr bessert? Wie sollte sie dann studieren? Was passierte wohl noch alles mit ihr?

Der Hüne bedachte Nina mit vernichtenden Blicken. Was war mit dem eigentlich los?

»Hoher Herr, dieser Gängler hat sich draußen vor den Burgmauern herumgetrieben. Trägt er nicht eine seltsame Aufmachung, edler Marcus? Was stellt das dar? Einen Mann oder ein Weib?« Er fuhr mit seiner Lanze dicht vor ihrem Körper entlang. Nina wich mit dem Oberkörper zurück. Was wollte der wissen? Sie beschloss, besser erst mal den Mund zu halten.

Der Ritter betrachtete Nina. Sein braunes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Reflexartig verkniff sie die Lippen, als sie sein amüsiertes Grinsen bemerkte. Der Kerl starrte ihr ungeniert in den tiefen Ausschnitt ihres Pullovers. Hitze stieg in ihren Wangen auf.

»Sie ist ganz offensichtlich ein Weib.« Langsam streckte er den Arm aus und nahm eine Strähne ihres Haars. Er ließ ihre blonden Locken durch seine Finger rieseln. Wow, dieser Mann hatte echt schöne Augen, ein helles Braun, sie funkelten wie geschliffene Bernsteintropfen. Im nächsten Moment entzog sie sich ihm ruckartig. Was erlaubte sich der eigentlich? Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Alle starrten sie an, als wäre sie ein ausgebrochener Zirkusbär.

»Für mich sieht das aus wie Männergewandung. So etwas zu tragen ist gotteslästerlich für ein Weib. Ihr wisst, welche Strafe auf solch ein gottloses Vergehen steht, Herr Marcus«, sagte der Lanzenträger.

»Bleib ruhig, Herwald«, beschwichtigte Marcus ihn. »Wir sollten ihr nicht den Kopf abschlagen, bevor sie die Möglichkeit hatte, sich vor Conrad zu rechtfertigen.«

»Was?«, keuchte sie und legte eine Hand auf ihren Brustkorb. Kopf abschlagen?! Panisch sah sie in die Runde. Ihr Blutdruck preschte steil in die Höhe. Was waren das für gefährliche Irre? In Marcus’ Augen blitzte es belustigt auf, und Nina konnte es nicht fassen. Der verarschte sie doch.

»Wir sprechen beim edlen Herrn vor«, hörte sie Herwald neben sich, sein Atem stank grässlich nach abgestandenem Bier. Wer zum Teufel war der edle Herr?

»Diesem Schauspiel muss ich unbedingt beiwohnen.« Mit einem leisen Klirren ließ dieser Marcus sein Schwert in die Scheide an seinem Gürtel gleiten. »Geh die Kettenhemden säubern und ölen, bis ich wieder zurück bin, Hinrik«, befahl er dem Jungen, gegen den er gekämpft hatte. Dieser nahm seinen Helm ab und schüttelte sein feuerrotes Haar aus, das in verschwitzten Strähnen an seinen Wangen klebte. Marcus hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie selbst wurde grob von Herwald vorangetrieben, noch ehe sie protestieren konnte.

Erst als sie den Wohntrakt der Burg, den sogenannten Palas, betreten hatten, riskierte Nina einen scheuen Blick nach allen Seiten. Düsterheit umhüllte sie und schreien würde sie wohl auch keiner hören, falls es gleich brenzlig wurde. Ihr wurde ganz schlecht. Vor einer massiven Holztür mit eisernen Beschlägen blieb der Wächter stehen und polterte mit der geballten Faust dagegen, ehe er sie schwungvoll aufstieß und Nina hindurchschob. Obwohl sie sich sträubte, hatte sie keine Chance. Was konnte sie schon allein gegen zwei Männer ausrichten, die sie jeder um mehr als einen Kopf überragten und ihr zudem den Fluchtweg versperrten. Schnellen Schrittes überholte Marcus sie und steuerte auf den derb gezimmerten Tisch in der Mitte des Raumes zu. Herwald gab ihr einen heftigen Stoß ins Kreuz, worauf sie ein paar Schritte vorwärts schlitterte und beinahe auf dem ausgestreuten Stroh am Boden ausgerutscht wäre, das unter ihren Füßen raschelte. Im letzten Moment fing sie sich ab.

Gleichzeitig hoben die drei Männer und die Frau am Tisch die Köpfe und musterten Nina mit großen Augen. Alle waren in altertümliche Gewänder gehüllt und löffelten etwas aus Holzschüsseln, von denen ihr ein schwacher Geruch nach Eintopf entgegenwehte. Ebenso synchron ließen sie ihre Löffel sinken. Noch mehr von dieser verrückten Sorte. Das konnte keine Einbildung mehr sein. Wahrscheinlich war sie in irgendeine komische Sekte geraten.

»Auf die Knie mit dir!« Herwald packte Nina am Genick wie einen jungen Hund und schleuderte sie zu Boden.

Mühsam rappelte sie sich auf die Knie und rieb sich unauffällig den schmerzenden Unterarm. Was ging hier vor sich? Das alles ergab keinen Sinn. Ihr Blick wanderte die verkniffenen, teilweise erstaunten Gesichter der Reihe nach ab und ihr Herz klopfte bis hoch in den Hals. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, als ihr Herwalds Lanzenspitze leicht ins Schulterblatt stach. Ihr kam es vor, als wäre sie in einer früheren Zeit gelandet, so real erschien ihr die Szenerie.

Marcus hatte sich halb auf den Tisch gesetzt und hörte aufmerksam zu, wie Herwald ausführlich Ninas Gefangennahme schilderte, immer wieder glitt sein Blick dabei zu ihr.

»Bei Gott, was soll diese Kreatur darstellen?« Die dunkle Stimme, die den Raum durchschnitt wie ein scharfes Messer, gehörte dem Mann mit den grauen Schläfen. Der Kerl in der braunen Kutte neben ihm bekreuzigte sich hastig.

»Ich wähne ein Weib«, antwortete Herwald.

»Du wähnst?«, fragte der Dunkelblonde. Wie der Grauhaarige und Marcus trug er sein Haar schulterlang.

»Ihre Kleidung ist wundersam. Für mich sieht das aus wie … Beinlinge«, vollendete der Wachmann den Satz und zuckte die Schultern.

Ihre Kleidung war seltsam? Nina ließ ihren Blick forschend über ihren roten Pullover und die Jeans wandern und konnte absolut nichts Merkwürdiges an ihrem Kleidungsstil finden. Im Gegenteil, der war schon langweilig normal. Als sie wieder aufsah, traf ihr Blick den Grauhaarigen und sie erbebte vor Angst, seine nebelgrauen Augen schienen sie beinahe zu durchbohren. Er war ihr noch weniger geheuer als die anderen, denn er besaß dieselbe dominante Strenge wie ihr Mathelehrer früher; einer vom ganz alten Schlag.

»Weshalb maßt du dir an, diese gotteslästerliche Gewandung zu tragen? Wo kommst du her? Wer schickt dich?«

Nur mit Mühe konnte Nina der Unterhaltung folgen, zu fremd klangen seine Worte in ihren Ohren, aber was sie verstand und vor allem sein Tonfall verhießen nichts Gutes. Eine Welle der Übelkeit schwappte in ihr hoch. Sie wagte nicht zu antworten, denn die Narbe an seiner Wange verfärbte sich tiefrot. Er schlug heftig mit der Faust auf den Tisch, worauf sie sichtlich zusammenzuckte. Was war hier los? Das hier war kein Scherz, sondern bittere Realität.

»Rede!«, brüllte er so laut, dass Nina den Atem anhielt. Ausgerechnet er stellte solche bescheuerten Fragen? Immerhin saß er in einem blauen gesteppten Oberteil da, das am Ausschnitt und den Ärmeln mit goldenen Borten bestickt war und sah aus wie eine Karnevalsfigur. Was passte an ihrer Kleidung nicht? Sie rieb ihre eiskalten Hände aneinander, aus denen alles Blut gewichen schien, denn sie hatte keine Ahnung, warum er sich so aufregte.

»Vielleicht versteht sie unsere Sprache nicht, Conrad«, gab Marcus zu bedenken. Ihr Mund öffnete sich. Wie kam er darauf? Vorhin hatte sie ihm doch geantwortet. Trotzdem blieb sie stumm, mit diesem Conrad war nicht zu spaßen, das hatte sie auf den ersten Blick gesehen.

»Ich kann eine Antwort aus ihr herausprügeln, wenn der Herr es wünscht«, bot Herwald sich an. Ein lauter Schluchzer befreite sich aus ihrer Kehle und hallte durch den Raum. Sie wollte etwas sagen, räusperte sich, um ihrer Stimme Kraft zu geben, aber nur ein leises Krächzen fand den Weg heraus. Angsterfüllt starrte sie den Wächter an. Das konnte der doch nicht …

»Sie versteht uns«, stellte Marcus trocken fest und stand auf. Hektisch sah Nina von einem zum anderen. Was für ein Spiel trieben die mit ihr?

»Was versteckt sie in diesem Beutel?«, fragte die junge Frau, die rechts von Conrad saß. Ihr Haar war unter einer verzierten weißen Haube verborgen und ihr tief ausgeschnittenes blaues Kleid betonte ihren zierlichen Oberkörper. Sie wirkte engelsgleich und zerbrechlich, sogar fast nett mit ihrem angedeuteten Lächeln. Irgendwie fehlplatziert zwischen den kräftigen Männern mit den grimmigen Mienen.

Noch während Nina resigniert den Blick senkte, wurde ihr der schwarze Rucksack von der Schulter gerissen. Mit seinen wulstigen Fingern nestelte der Wächter daran herum.

»Er lässt sich nicht öffnen, edle Kyrstin«, stellte er fest und schnaufte wie ein gereizter Keiler. Alarmiert hob Nina den Kopf. Ihr Lieblingsrucksack. Sie streckte den Arm aus, um ihm den Reißverschluss zu zeigen, als auch schon ein lautes Ratsch erklang und sich der Inhalt über den Boden verteilte. Schlüsselbund, Geldbörse, Handy, der Flakon ihres Lieblingsparfums, das sie eigentlich für ihr Date mit Torben eingepackt hatte und Jans Medizin lagen verstreut auf dem Boden.

Gleichzeitig beugten sich alle über den Tisch und betrachteten die Sachen aus der Ferne, als würden sie solche stinknormalen Alltagsgegenstände zum ersten Mal in ihrem Leben sehen. In ihren Gesichtern las sie Furcht, gemischt mit unverhohlener Neugierde. Was für Irre, die so taten, als wäre ihr Handy oder ein Schlüsselbund etwas völlig Neuartiges für sie. War sie in ein Mittelalter-Rollenspiel geraten und die veräppelten sie?

Herwald hob den Flakon auf und musterte ihn eingehend. Während er ihn dicht vor sein Gesicht hielt, pumpte er einmal kräftig und eine zischende Wolke sprühte ihm in die Augen.

»Ahhhh! Ich bin blind! Ich bin blind!«, brüllte er los, ließ das Parfum fallen, das klirrend zu Bruch ging, und rieb sich die Augen. Nina stockte der Atem. Was für ein Idiot. Ihr Lieblingsparfum, das hatte über hundert Euro gekostet. Wehmütig betrachtete sie die Scherben.

»Was war das?« Marcus schien sich als Erster zu fassen. Er trat einen Schritt vor und legte die Hand auf seinen Schwertknauf. »Ist es ein Gift? Trachtet das Weib Conrad nach dem Leben?«

Gift?Wie sollte sie an Gift kommen? Und warum?

Noch immer rieb sich Herwald über die Lider. Schwer atmend ließ er schließlich die Hand sinken und sah blinzelnd in die Runde. Seine Augen tränten wie verrückt und waren knallrot.

»Ich kann nicht sagen, was es war, hoher Herr«, stöhnte er. »Aber ich kann wieder sehen. Dem Herrn sei Dank.« Tränen rannen ihm über die Wangen. Sein finsterer Blick traf Nina wie ein Axthieb, weshalb sie sich auf die Fersen setzte und mit dem Oberkörper zurückwich. Ihre Knie taten höllisch weh, gleichzeitig schnürte ihr die Angst die Kehle zu. Hier kam ihr keiner zu Hilfe.

Dieser Marcus kam näher. Er schnüffelte in der Luft herum. »Es ist ein Duft«, sagte er noch einmal tief Luft holend. »Tausendmal stärker als eine Blumenwiese im Sommer.«

Vorsichtig hob Marcus eine der funkelnden Glasscherben auf, die er Nina vors Gesicht hielt. »Was hast du damit vor?«

Was? Waren hier alle durchgedreht?

»Vorhin war es noch ganz. Er hat es doch kaputtgemacht«, erwiderte sie fassungslos, weil er tatsächlich zu glauben schien, sie wollte diesen Conrad unter die Erde bringen.

»Hüte deine Zunge, Weib.« Herwald verpasste ihr eine so schallende Ohrfeige, dass ihr Kopf zur Seite flog, und sie sich mit einer Hand am Boden abstützen musste. Ihre Haut brannte, als habe eine Flamme sie gestreift, während ein hoher Piepton in ihrem Ohr summte.

»Das reicht«, griff Marcus mit scharfer Stimme ein. So unauffällig wie möglich rutschte Nina von einer Seite auf die andere, um ihr Gewicht zu verlagern und die wunden Knie zu erleichtern. Marcus schien ihr Dilemma zu bemerken.

»Wie es scheint, ist sie es nicht gewohnt, auf Knien auszuharren.«

»Erhebe dich und trete näher«, befahl Conrad streng, der wohl dieser edle Herr war, von dem die zwei vorhin gesprochen hatten. Mit beiden Händen unter ihren Achseln half Marcus ihr auf die Beine, bevor er zum Tisch deutete. Zögerlich trat sie näher, aber nur weil der Ritter sie am Schulterblatt voranschob. Conrads leuchtend rote Narbe auf der Wange, die leicht pulsierte, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie schauderte. Der Mann in der Priesterkutte musterte sie argwöhnisch. Seine wasserblauen Augen schienen sie durchleuchten zu wollen. Ninas Knie zitterten, sie wollte nur noch weg. Fliehen. Nur wie?

»Zeig mir deine Hände«, kam es barsch von Conrad.

Ihre Arme bewegten sich kein bisschen, jegliches Gefühl war daraus gewichen, als gehörten sie nicht mehr zu ihrem Körper. War diese Lähmung eine Auswirkung der Drogen oder reine Panik? Ihr Pulsschlag pochte in den Schläfen, Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn.

Marcus schnappte ihre Handgelenke, drehte ihre Hände um und öffnete sie mit seinen Fingern. Sie waren warm und glühten beinahe auf ihrer eiskalten Haut. Er schien genau zu wissen, wonach Conrad Ausschau hielt. Kurz strich er mit seinen Daumen über ihre Innenflächen.

»Sie sind ganz weich. Dieses Weib hat noch nie in ihrem Leben schwere Arbeit verrichtet. Das ist keine einfache Magd oder Bäuerin.«

Conrad schien zu überlegen, seine harten Züge entspannten sich ein wenig. »Woher stammst du? Wie wirst du gerufen?«

»Ni… Nina«, stotterte sie und verstummte. Was sollte sie ihm erzählen? Dass sie keine Ahnung hatte, was vor sich ging? Dass ihr alles fremd und gleichzeitig vertraut vorkam und sie von der Angst überrollt wurde, verrückt zu werden, woran er maßgeblich beteiligt war? Der Kerl spielte ein krankes Spiel mit ihr. Mit seinem Mittelalter Getue. Er war total verrückt. Wo sollte sie schon herkommen?

»Vielleicht sollte Herwald sie sich vornehmen«, sagte Conrad nun scharf und stand auf. Er deutete mit dem Zeigefinger auf sie. »Es gibt genügend Mittel und Wege, verbohrtes Weibsvolk wie dich zum Sprechen zu bringen.«

Der Schreck fuhr ihr bis ins Rückenmark, sie sah in die Runde, flehte in ihrer Verzweiflung stumm um Hilfe. Da legte Kyrstin Conrad eine Hand auf den Arm.

»Beruhigt Euch, mein Gemahl. Ich glaube, ihr ist bange.«

Er ließ sich zurück auf die gezimmerte Holzbank fallen und Nina atmete erlöst auf.

Inzwischen hatte Marcus Ninas Sachen vom Boden aufgehoben und kam zurück zum Tisch. Der Dunkelblonde wechselte einen ausgedehnten Blick mit ihm, als führten sie ein stummes Gespräch. Ein verschmitzter Ausdruck legte sich über Marcus’ Gesicht, als er ihre Habseligkeiten auf dem Tisch ausbreitete. Conrad lehnte sich zurück und betrachtete das Smartphone mit schmalen Augen, seine Schultern verkrampften sich sichtlich. Vorsichtig drückte er schließlich auf den Einschaltknopf, zog seine Hand aber sofort wieder zurück, als hätte er sich daran verbrannt. Er fixierte das anthrazitfarbene Smartphone wie ein Kater auf dem Sprung. Nichts geschah, der Bildschirm leuchtete nicht auf. Wie das? Ihr Handy war ausreichend geladen. Wahrscheinlich hatte es den Sturz nicht unbeschadet überstanden Auch das noch. Jetzt konnte sie es in einem unbeobachteten Moment nicht mal schnappen und Hilfe rufen. Der Priester bekreuzigte sich erneut.

»Bei unserem Herrn Jesus Christus, was ist das für Teufelszeug?«, japste er nach Atem ringend.

Marcus beugte sich über den Tisch und stützte sich mit beiden Händen darauf ab. »Bis jetzt zeigt sich noch kein Höllendämon.« Er schnüffelte übertrieben in der Luft herum und hob anschließend beide Hände. »Ich rieche auch keinen Schwefelgestank.« Bedächtig drehte er sich zu Nina um. Sie stutzte. Hatte Marcus ihr gerade zugezwinkert? Hastig sah sie weg und hörte den Priester mit näselnder Stimme rufen: »Wie könnt Ihr es wagen, in solch gottloser Art und Weise daherzureden, Marcus?«

»Beruhigt Euch, Lenhard«, ging Conrad dazwischen, der vorsichtig nach der Schachtel mit dem Antibiotikum griff. Unbeholfen nestelte er daran herum und zog schließlich die Lasche auf. Der glänzende Alublister rutschte heraus und landete auf dem Tisch, wo er sofort von allen bestaunt wurde, als hätten Außerirdische Souvenirs dagelassen.

»Was in Teufels Namen …«, fluchte Conrad, wurde aber sofort von dem Geistlichen unterbrochen.

»Edler Herr, Ihr versündigt Euch«, tadelte Lenhard ihn empört.

Die hatten sie echt nicht mehr alle mit ihrem gekünstelten Gerede.

Der Burgherr räusperte sich in seine Faust.

»Seht nur, welch feine Arbeit.« Mit spitzen Fingern hielt Kyrstin Ninas Schlüsselbund in die Höhe. Feine Arbeit? Die Schlüssel hatte sie im Obi nachmachen lassen.

»Und erst die Münzen«, rief der dunkelblonde Ritter begeistert. »Ich habe noch nie solch ebenmäßig gefertigte Geldstücke gesehen. Eines gleicht dem anderen.« Er hob den Kopf. »Welch kunstfertiger Schmied war da am Werke?«, fragte er in Ninas Richtung.

»Die Europäische Zentralbank«, murmelte sie tonlos. Noch immer fixierte der Dunkelblonde sie, schien allen Ernstes auf eine Antwort zu warten. Erst als sie die Achseln zuckte, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder den Münzen.

Plötzlich schnappte sich Marcus das Handy und spielte darauf herum, betrachtete es von allen Seiten.

»Gebt acht, Herr«, hörte sie den Geistlichen mit angstvoller Stimme sagen. »Vielleicht ist dieses Weibsstück mit dem Bösen im Bunde und sie benutzt all diese Dinge, um teuflisches Blendwerk zu betreiben.«

Marcus schnaubte. »Hier, Kaplan.« Achtlos warf er ihr kleines Telefon auf den Tisch, es schlitterte über die Holzplatte und landete direkt vor dem Priester. Kyrstin stieß einen erschrockenen Laut aus und hielt sich beide Hände vor die Brust, während Conrad den Gegenstand starr betrachtete, als warte er darauf, dass es zum Leben erwache, um sie alle zu verschlingen. Wie von einer Schlange gebissen, sprang der Priester auf und trat ein paar Schritte zurück. Als nichts weiter geschah, richtete er das Wort an Marcus. »Ihr lasst Euch blenden, edler Herr. Das Weib scheint mir gefährlich zu sein.« Seine Augen schossen Blitze in Ninas Richtung. »Vielleicht sollten wir sie einer Feuerprobe unterziehen? Setzt sie auf ein glühendes Kohlebecken. Bleibt ihre Haut unversehrt, dann …«

Feuerprobe? Mit einem erstickten Laut presste sie ihre Ellenbogen in die Seite. Was für Mittelaltermethoden wurden hier angewandt? Und dieser sadistische Priester sah nicht so aus, als würde er scherzen. Wurde sie jetzt von diesem Haufen Verrückter in irren Kostümierungen gefoltert?

»Nein«, wimmerte sie, ehe ihre Stimme brach, alles um sie herum begann, sich zu drehen.

»Genug jetzt! Noch fälle ich hier die Entscheidungen.« Conrad schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, bevor er sich an den Wachmann wandte. »Herwald, schaff sie ins Verlies. Vielleicht wird eine Nacht dort unten ihre Zunge lösen und sie berichtet uns dann, wer sie geschickt hat.«

Verlies?

»Nein!«, schrie Nina tränenerstickt. »Bitte nicht!« Sie wurde grob am Arm gepackt und aus dem Raum gezerrt. Herwald drückte ihr mit dem Unterarm die Luft ab und ließ erst wieder locker, als sie aufhörte, sich zu wehren. Auf dem langen Gang kam ihnen Marcus hinterher.

»Herwald, bleib stehen.«

Schluchzend drehte auch Nina sich zu Marcus um, vor lauter Tränen sah sie ihn ganz verschwommen. Wollte er ihr helfen? Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihr auf. Ohne äußere Regung betrachtete er ihr nass geweintes Gesicht, bevor er sich an den Wachmann wandte.

»Gib ihr eine Fackel mit ins Verlies.«

Nach kurzem Zögern nickte Herwald. »Wie Ihr wünscht, Herr.«

Kapitel 4

Noch immer leicht verwirrt über die seltsame Besucherin begab sich Marcus zurück in den Rittersaal, wo die anderen immer noch auf ihren Bänken saßen und die Köpfe zusammensteckten. Conrad blickte ihn abwartend an, als er wieder zu ihnen stieß.

»Welchen Eindruck hast du von ihr gewonnen?«, wandte er sich ohne Umschweife an ihn. Marcus wusste, dass er in der Achtung des Burgherrn immens gestiegen war, seit er ihm beim letzten Fehdezug das Leben gerettet hatte. Im Kampf war er allerdings selbst schwer verwundet worden.