Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - E-Book

Im Schellenhemd E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

"So jung der Knabe auch noch war, so wusste er doch, dass er keinen Augenblick seines Lebens sicher war, dass beim nächsten Spiel wieder wüste Männer seinen Vater fassen und fortschleppen können, dass man mit Steinen nach ihnen wirft und sie Teufelsbrut und Hexenmeister nennt!" Der Junge Irregang gehört zum fahrenden Volk, sein Vater Goykos ist ein wildes, echtes Zigeunerblut, seine Mutter die Tochter einer sesshaften Jüdin, die man wegen ihres bösen Blickes hatte hinrichten lassen wollen. Um dem Sohn vieles zu ersparen, rät der Vater ihm, die Narrenkappe und das Schellenhemd anzulegen, um die Menschen des 14. Jahrhunderts von ihrem harten Los abzulenken. Und doch gelingt das nicht. Als die drei in einer stürmischen Nacht an das Tor der Burg Darsberg anklopfen, überkommt die Mutter eine grausige Vorahnung. Sieht Sie, dass sie die kommenden Stunden nicht überleben wird, dass ihr Sohn von nun an dem Spiel der Mächte ausgesetzt sein wird?-

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Nataly von Eschstruth

Im Schellenhemd

Roman

Mit Illustrationen von F. Schwormstädt.

Saga

Im Schellenhemd

© 1896 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711487327

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I.

Meinen hochverehrten Schwiegereltern

Herrn Oberstleutnant von Knobelsdorff-Brenkenhoff

und

Frau Ida von Knobelsdorff-Brenkenhoffgeb. von Naso

in herzlichfler Liebe zugeeignet

von

der Verfasserin.

Vorwort.

Es war vor Jahren. Der Novembersturm brauste um die Seehalde am Bodensee, und Meister Joseph Victor von Scheffel legte meine Erzählung „Wolfsburg“ aus der Hand und sprach: „Wissen Sie auch, Fräulein Nataly, dass Sie just für solche Schriften aus der guten alten Zeit eine ganz besondere Begabung haben? — Wie stehts mit einem neuen Stoff aus den Tagen der lieben Ahnherrn?“ — Der Stoff ist schon da, Meisterchen, aber ich habe keine Courage ihn zu bearbeiten!“ —

„Erzählen Sie!“ — Das tat ich mehr wie gern, rückte behaglich an den Ofen und kündete dem Meister die Geschichte vom Irregang! — Er hörte voll lebhaften Interesses zu. „Und warum wagen Sie sich nicht an diese prächtige Sache heran?“ — „Weil es für ein junges Mädchen eine schwierige, fast unlösliche Aufgabe ist, einen historischen Stoff fehlerfrei zu behandeln.“ Der Meister schüttelte lächelnd das Haupt. „Ganz recht, und weil dies die Welt weiss, wird man auch nicht einen historischen Roman im vollsten Sinne des Worts von Ihnen verlangen; erzählen Sie den Leuten frisch und harmlos die Schicksale des Irregang, dann werden sie einem jeden wohlgefallen und man wird um des Kernes willen nicht zu strengen Massstab an die Schale legen. Skizzieren Sie den Roman und lesen Sie ihn mir beim nächsten Wiedersehen in Karlsruhe vor.“ — —

Mit Feuereifer begab ich mich damals an die Arbeit, und als der Winterschnee zu schmelzen begann, lugten die ersten Kapitelköpfchen darunter hervor. In dem gastlichen Elternhause des Dichters Heinrich Vierordt zu Karlsruhe ward Joseph Victor von Scheffel der aufrichtige Freund des Irregang. Sowohl er, wie die geistig so hochbedeutende Mutter Vierordts, lebten sich mit mir völlig ein in jene Tage, wo noch das Schellenhemd die Brust des ehrlosen Mannes deckte, und Meister Scheffel reichte mir beide Hände und sprach: „Nun eine Bitte meine liebe Freundin: Der Irregang ist ein gar wackerer Gesell, der Ihren Namen einst in Ehren weit durch die Welt tragen wird, und darum dürfen Sie sich keine Mühe verdriessen lassen. Arbeiten Sie langsam an diesem Werk, wachsen Sie zusammen mit dem Irregang heran! Suchen Sie sich mehr und mehr in seine Zeit zu vertiefen, studieren, verbessern, feilen Sie, setzen Sie Ihre beste Kraft ein für den Irregang und er wird’s Ihnen Dank wissen; schaffen Sie in erster Linie einen guten Roman und die Welt wird es Ihnen gern verzeihen, wenn er als Zeitbild nicht völlig korrekt ist!“ —

Jahre sind vergangen, und ich habe nach des Meisters Wort getan. Der Irregang hat inzwischen das „Schellenhemd“ über sein geächtet Haupt gestreift, und ist getrost hinausgezogen in die Welt, denn wenn auch die lieben Augen, welche einst so freundlich über ihm gewacht, sich für ewig geschlossen haben, so geleitete ihn doch: Meister Scheffels getreuster Segenswunsch! — —

I.

Irregang hais ich,

mang land wais ich,

min vatter Irrgang was genannt,

er gab mir das erb in min Hand

ob ich in einem Land verdürb

daz ich im andern nimmer zeeren würb’.

Liedersaal Nr C. XXVII.

Huiho! wie der Sturm das Geäst peitscht! Huiho! wie die Wolken am Himmel jagen! Grau, — zerrissen, wüste Gespenster der Nacht. Die alten Götter sind lebendig geworden, haben die Felsen und Bergwände, dahinein sie das Donnerwort der Christenpriester ehemals gebannt, voll klirrenden Zorns zerbrochen, stürmen hervor aus Grab und Nacht und lassen ihre Stimme über das Land tönen, darinnen ihnen früher die Altäre mit blutigem Opfer geflammt! Die Erde zittert unter den Hufschlägen der Geisterrosse, der Buchwald ächzt unter dem Flug der Gewaltigen, und wo der entthronte Göttervater fluchend die Hand hebt, da prasseln rote Blitze durchs Gewölk. Aber sie zerschellen am goldschimmernden Kreuz, das hoch auf dem Kirchturm die Wacht hält, sie gleiten ab an den ehernen Glocken, welche den wilden Spuk der Nacht beschwören, und sie brechen ohnmächtig und verlöschend zusammen vor dem ewigen Lämplein, welches klein und still seine Flamme durch das Heiligtum des Königs aller Könige erstrahlen lässt. —

Da fliehts in den Lüften angstzitternd zurück, ein Heulen, Sausen und Wimmern füllt die Nacht, und die Tränenströme der alten Götter stürzen zur Erde, Tränen der Scham und Reue, und wo sie hinfallen, wächst tausendfache Frucht im Land und wes Menschen Haupt sie treffen, dess Fuss trägt Glück und Segen unters Dach.

Wes Menschen Haupt! Ja, eines jeden, der da geboren ist auf heimischer Scholle, eines jeden, der am eigenen Herd sitzt, dessen Hütte oder Schloss das Haupt des Vaters und Ahnherrn beschattet, dessen Fuss die Wege wandelt, welche die Altvordern für Kind und Kindeskind geebnet! Menschen sind sie mit Namen, Gut und Ehre, Menschen, für die Recht und Richter existieren, Menschen, welche mit erhobener Stirn sicher und geschützt unter guten Freunden und Nachbarn wandeln, — Menschen, welche voll Abscheu, Spott und grausamen Hohn’s jene unglücklichen Kinder der Freiheit verfolgen, die gleich vogelfreiem Wild durch die Lande gehetzt werden! —

Irrfahrend Volk! — Zigeuner und Gaukler, Lumpengesindel voll Teufelei und höllischer Schwarzkunst, Ausgestossene und Verworfene, geächtete Kreaturen, deren Leben weniger wert, als das eines räudigen Hundes ist, — nein, solche Landstreicher sind keine Menschen! Mögen die Tränenfluten der alten Heidengötter noch so gewaltig auf sie niederstürzen, sie waschen den Fluch nicht fort, sie tilgen nimmer das Kainszeichen auf der Stirn, dieses unheilvolle Erbteil, das einzige, welches der sterbende Vater auf Folter und Rad dem Sohn in’s Elend mitgeben konnte! —

Da gibts kein Glück und keinen Stern mehr, da gibts kein Dach, unter welches die flüchtige Sohle den Segen tragen könnte, da gibts nur ein rastlos ziehn und wandern, ein angstvoll hangen und bangen zwischen Volkesgunst und Volkeshass, ein demütigen, betteln, tollkühn wagen — wüster, erbitterter Kampf um’s Dasein, ein darben, überlisten und frohlocken über gelungene Gaunerei.

Wer will irrfahrend Volk in seinen Mauern aufnehmen? Wer nimmt sich den Landstreicher zum Kuecht? wer duldet die schwarze Hexe, die Teufelin, die das Brod auf dem Tisch in Stein, den Wein in Wasser und das Gold in Unrat wandeln kann — unter seinen Mägden? Da ist nirgends eine bleibende Statt für den Zigeuner, wollte er auch, er kann nicht zum Menschen werden, er muss weiter, immer weiter durch Sturm und Sonnenschein, ein Vieh unter den Tieren des Feldes, stehlend, raubend, gewaltsam und listig nehmend, was ihm die harte Hand des Sesshaften versagt, just wie die Wildkatz im Forst, die zum Raubtier wurde, weil man sie im Dorf von der Schwelle jagte! Huh — huiho! — wie die Wipfel brausen und niederbrechen! — Huiho! wie schwarz die Nacht ist! nur wenn die Blitze sprühen, sieht man die Balken des Hochgerichts drüben auf dem Berge gegen den Himmel ragen. — Schauerlich, dunkel und öde ists im herbstlichen Wald. Wagenräder und langsamer Hufschlag haben auf steinigem Boden geklungen, dann wird’s nach kurzem: „Höhü!“ — still. Unter den mächtigen Baumstämmen hervor, bis weit auf die freie Heide hinaus ist eine Karre von kleinem, dunkelstruppigem Rosse gezogen. Zwischen verblühtem Heidekraut und Ginster wird Halt gemacht. Der Himmel flammt auf und beleuchtet für einen Augenblick das plumpe Gefährt, welches durch Stricke zusammen gehalten, auf vier walzenförmigen Rädern ruht. Gebogene Weiden überspannen es gleich den gedrückten Rippen eines Skeletts, und ein starres, vielfarbig geflicktes Regentuch müht sich klatschend, im Sturme darauf fest zu halten.

Das Pferd duckt den mähnigen Kopf, der Strick, welcher ihm als Zügel durch das Maul gelegt ist, hängt schlaff hernieder. Hier bedarfs keiner Vorsicht; Hinde ist kein Pferd wie andere Pferde, sie hat Menschenverstand. — Vor acht Jahren hat Goykos sie dem Jud’ gestohlen, als die Feuerlohe aus Dach und Fugen schlug, als Leut und Vieh wie irrsinnig durch die Strassen rannten und der Sturm wie heute daher pfiff und den Brand über die halbe Stadt hinjagte. — Hinde war damals noch ein gar jung Rösslein und mochte ungern den Trödelkram von Burg zu Burg ziehen, sie wieherte hell auf, da der schlanke, schwarzäugige Gesell sich auf ihren Rücken schwang, da er sich festkrallte in ihre Mähne und seine Lippen leis in ihr Ohr zischten: „Jetzt gilts die wilde Jagd! Fangen sie uns, dann hangen sie uns!“ — und er zwang sie wie mit eisernen Klammern, und hui gings dahin durch Nacht und Nebel!

Fern im Wald, vor den überhangenden Felsen sprang der Goykos von ihrem Rücken und trat an das armselige Lager von Moos und Binsen und lachte, dass seine Zähne blinkten. „Sollst nicht mehr zu Fuss gehen, junge Mutter, sollst mit des Irrgangs Söhnlein daherfahren wie eine Königin!“

Das schwarzäugige Weib hob das Haupt und schaute nach dem Ross und dann traf ihr düsterer, tief umschatteter Blick den Sprecher: „Ich hab die Sturmglocke gehört und den roten Himmel gesehen, — hast um des Pferdes willen Brand gelegt, Goykos? —“

Er wandte sich ab, hob sein neugeboren Knäblein auf die Arme und schwang es in wilder, ungestümer Freude — Jû nârro! Jung Irregang! Haben die Glöcklein zu deiner Geburt geklungen, so sollst du dereinst in dem Schellenhemd einherspringen und ein Spassvogel und Lustigmacher werden! — Dessenthalb wird dir keiner mit Galgen und Rad drohen, denn Schalksliedlein sind keine Teufelskünste, und das grosse Volk der Narren wird seines Gleichen besser verstehen, denn den armen Gaukler, der Steine kaut und Feuer schlingt!“ — Und er warf sich neben dem braunen Weibe nieder, sah ihr mit flackerndem Blick ins Angesicht und sprach durch die Zähne: „Musst auf! Um des Rosses willen. — Spüren sie den Hufen nach und finden sie uns, so ist’s aus. — Nur wenige Stunden über das Stadthege hinaus, dann sind wir sicher und haben das Pferd.“ —

Ein tiefer, schwerer Seufzer ist die Antwort. Hinaus in die Nacht, ruhelos — krank und todesmüd. —

Hinde trägt die Zigeunerin und ihr Kind, und so wild sie zuvor daher gestürmt, so sacht und sorglich schreitet sie jetzt, als wüsste sie, welch eine Last man ihrem Rücken anvertraut. Durch Gebüsch und dornige Wildnis entfliehen sie. Oftmals wirft sich Goykos auf die Erde und neigt lauschend das Ohr. Dann geht’s weiter auf entlegenen Pfaden. Spät erst, als die Sonne wieder am Himmel steht, hebt er sein Weib zur Erde, schüttelt mit keckem Triumphgeschrei die lockigen Haare und streicht ungestüm mit der Hand um den nackten Hals, als fühle er ihn erst jetzt wieder frei vom hanfenen Strick. —

Und dann stieg er auf die Bäume und stahl den Vögeln die Eier, oder legte Schlingen ins Gras und grub die Pfifferlinge aus dem Waldmoos; viel, möglichst viel Nahrung um das Lager seines Weibes zu legen, denn bei Dunkelheit wollte er sich hinab schleichen ins Dorf ... und ob er stets von solchem Gange heimkehrt? — Bah! — Der Goykos ist ein listiger Teufel, der schon manches Bäuerlein hat raten lassen, wo sein Brot und Speck geblieben. Diesmal brachte er eine Karre heim, welche während der Nacht bei der Schäferhütte verblieben, und er sprach abermals hastig flüsternd zu seinem Weibe: „Musst auf! um der Karre willen.“

Wohl war’s besser daher zu fahren als zu gehen, und Zinkras Rock war schon oftmals zerfetzt von verfolgenden Hunden, darum nahm sie ihr Kind in die Arme und entwich abermals hinaus in Nacht und Finsternis. — So stahl Goykos nach und nach alles zusammen, was er noch brauchte, um aus der Schäferkarre ein rollend Häuslein für sich und die Seinen zu bauen, und er zog querfeldein durch Wald und Haide, durch Sommerglut und Winterkälte, ein Mann, der dem Schicksal ein Schnippchen schlägt, lustig mit den Schellen rasselt und zu seiner Narretei singt:

Dieweil ich heut noch pfeif und tanz’

Fault morgen mein Gebeine,

Jûhû! Bei Kann’ und Ridewanz

Und nächtens unter’m Steine!

Spring heute noch durch Laub und Klee,

Jûhû rings um die Linde,

Und morgen tanzt Freund Klapperbein

Mit mir im Abendwinde!“

Goykos konnte mit gar vortrefflichen Kunststücken Rittersmann und Bäuerlein eine Kurzweil schaffen, er schlang wirklich und wahrhaftig brennend Feuer ein, zermalmte feste Steine mit den Zähnen, dass die Zuschauer ein starres Staunen überkam, und er liess buntfarbene Kugeln auf spitzem Stabe tanzen, stand kerzengrad auf dem Kopf und konnte sich auf einem Fasse überschlagen, dass er nicht herniederfiel und zu Schaden kam. — Sein schwarzbraun Weib aber, mit dem Fluch- und Höllenbrand im Blick, wusste gar seltsam zwischen Eiern zu tanzen, schlug das Glockenbrett und die Maultrommel in tobend wilder Weise und sang mit ihrem kleinen Büblein die lustigsten Schalkslieder. Irregang war angetan mit possierlicher Kleidung, wie sie die Narren tragen, rollte sich in ergötzlicher Weise auf der Erde umher und bettelte fürnehmlich die Weibsleute um ein Almosen an. —

Und wenn der Rittersmann just satt und behaglicher Laune war, und der Bürger gut gehandelt und der Bauer siebenfach geerntet hatte, dann nahm man die fahrenden Leute wohl auf und lachte ihrer Gaukelkünste und beschenkte sie, oder beschenkte sie auch nicht, sondern hiess sie in des Satans Namen „ohne die wohlverdiente Straf’ für solche Teufelei“ weiter ziehen! Wenn aber böse Laune herrschte und der Finger des Gauklers zur unrechten Zeit anklopfte, dann musste er sich wohl hüten, den misstrauisch scheelen Mienen gar zu unerklärliche Künste zu zeigen, wenn er nicht der Roheit und Dummheit auf dem Richtplatz als Hexenmeister zum Opfer fallen wollte.

Seit Hinde den Karren mit des Goykos Familie zog, schien das Glück an seinen plumpen Walzrädern zu haften, denn nur zweimal hatte man den Zigeuner mit Not und Tod bedroht, und die Lande, da hinein das Ross seinen Weg nahm, gestalteten sich stets schöner und lieblicher und verringerten die Kälte und das Winterleid, welches dem heimatlosen Volk im Norden gar grausam zugesetzt hatte.

Des Goykos Knäblein und Hinde waren dem Zigeuner gleichsam an einem Tage geworden, und sie gewannen sich auch lieb wie Bruder und Schwester. Dieweil Vater und Mutter ihre Schaustellung gaben, hütete das Ross des nackten Knäbleins im Grase, und als der Kleine heran wuchs, gab’s keinen lieberen Spielkamerad für ihn, wie das kluge, verständige Ross mit der schwarzzottigen Mähne. Ja, die Hinde hatte Menschenverstand, sie lief schneller wie der Wind, wenn die Gefahr auf den Fersen sass, und sie stand stundenlang regungslos in Sturm und Sonnenglut, wenn der Knabe ihr den Hals klopfte und mit seiner leisen, wehmutsvollen Stimme sprach: „Verweil hier, Hinde! ich zieh mein Schellenhemdlein an und treib Spässe, auf dass die Burgfrau mir eine Hand voll Hirse schenkt und der böse Vogt den Vater nicht peitschen lässt!“ —

Goykos nannte seinen Knaben „Purzelmännchen“, weil solch ein Name die Leute ergötzte, und seine Mutter rief ihn zärtlich mit mancherlei Dingen: „kleine Mauskatz“ — oder „Faul Dächslein“ oder auch „Blankguckel!“ — da aber der Kleine ernsthaft fragte, wie denn wohl sein richtiger Namen laute, da nahm ihn der Zigeuner vor sich aufs Knie, fasste sein langes Haar in derber Liebkosung mit der Faust und sang ihm mit Lachen solch ein Lied:

Irregang hais ich,

Mang land wais ich,

Min Vatter Irrgang was genannt!“

und seit jener Stunde rief er ihn „Irregang“.

Huiho! wie der Regen stürzt, — wie der Donner in den Bergen dröhnt. —

Hinde stand mit geneigtem Kopfe und hängenden Ohren und liess die kühlen Bächlein durch die Mähne hernieder fliessen; Goykos aber war unter dem Plantuch hervor gekrochen, hatte die Jacke von sich geworfen und stand mit nackter Brust, wohlig sich dehnend, im kühlen Bade, seitlich der Karre zwischen Ginster und Brombeergerank.

Sein geächtet Haupt hob sich frei und keck auf den stämmigen Schultern, sein Blick haftete zwinkernd auf dem grauenvollen Dreieck schwarzer Balken, welches jählings aus der Dunkelheit tauchte und ihm, feuerumloht als Schreckbild gleichsam in den Wolken zu schweben schien!“ — Und Goykos spitzte die Lippen und pfiff leise ein Spottliedlein auf Henkersknecht und Hochgericht, und dann überlegte er, ob nicht von jenem Balken droben vielleicht ein Strick zu holen sei —; derjenige, welchen Hinde im Maul trug, war mürb und dünn geworden. „Der Regen lässt nach!“ — sprach sein Weib neben ihm, „wenn wir die Zeit wahrnehmen, können wir noch zur Abendstunde, da die Leute in der Halle beim Humpen sitzen, in der Burg Einkehr halten. — Schlecht Wetter ist der Freibrief des armen Volks, — man verlangt nach Kurzweil im Palas.“ —

„Und mich hungert!“ klang ein leises Stimmchen unter dem Regentuch hervor. —

„Sollst hungern! ein voller Bauch kann keine Sprünge machen, und vor der Burgfrau musst du deine Arme und Beinlein verrenken können, auf dass du sie erbarmest — Huhho, Hinde, — schab ab!“ — Goykos der Zigeuner riss am Strick und Hinde zog an. Zinkra aber schlang im Dunkel des Wagens den Arm um ihr Bübchen und tastete in ihrem Fürtuch nach der Wasserrübe, welche sie vor den Augen des hartherzigen Vaters daselbst verborgen, um ihrem darbenden Gauchlein heimlich einen Bissen zustecken zu können. Der Kleine aber schmiegte sich zärtlich an die Mutter und vergass für Augenblicke all sein Herzeleid, und während er voll Heisshunger das karge Mahl verzehrte, starrte er mit seinen dunklen, schwermütigen Augen in die wildjagenden Wolkengebilde hinauf. — Die Hände gegen sein knurrend Mäglein gedrückt, ersann er sich ein neues Lied — voll lauter Spass und Schalkheit, damit die Leute in der Burg lachen möchten. — Er selber lachte so selten, fast nie, er war ein griesgrämiger, unlustiger Bursch, wie sein Vater oft zürnend sagte, und darum bekam er gar viele Peitschenschläge, bis er es lernte, vor fremden Leuten den Narren zu machen. Eine gar absonderliche Gabe aber besass er, das war die Kunst, Verslein zu ersinnen. Am liebsten erdachte er sie voll trüben, wehmutsvollen Inhalts, aber sein Vater herrschte ihn zornig an: ob er etwan ein Totengräber anstatt eines Hanswursts sein wolle? — und Jung Irregang senkte gehorsam das Köpfchen, kratzte eine übermütige Weise auf der Geige und sang zwischen Purzelbaum und Grimasse die ergötzlichsten Schwänk’! — Da lachten die Leute und schrieen: „Jû narro! Du fröhlich Kasperlein!“ und zwickten und neckten ihn und sprachen: „So lustig wie dieser kleine Plippenplapp hat noch kein ander Ganklerkind das spitze Hütlein auf dem Ohr getragen!“ —

Und wenn die Bauern und Bürger ihre Söhne und Mägdlein bei der Hand fassten und wieder mit ihnen heimgingen in die festgebauten Häuser, vor denen die Kleinen ihre Spiele trieben, dann hockte Irregang bei seiner Karre, neben Hinde, und schaute mit langem, sehnsuchtsvollem Blick auf solch ein ewig verschlossen Paradies. — Die Peitsche knallte, und es ging weiter hinein in die Welt, und so jung der Knabe auch noch war, so wusste er doch, dass er keinen Augenblick seines Lebens sicher war, dass beim nächsten Spiel wieder wüste Männer seinen Vater fassen und fortschleppen können, dass man mit Steinen nach ihnen wirft und sie Teufelsbrut und Hexenmeister nennt! — Und wenn sie dem Menschenhass glücklich entronnen und in den tiefen Wald kommen, dann sind sie nicht sicher vor den Wölfen, welche aus dem Dickicht brechen und schon einmal der armen Hinde tiefe Wunden gerissen haben. Nun musste bei Nacht im Walde immer der Kien brennen, der Vater trug die blanke Axt im Ledergurt und auch Zinkra musste eines der langen Dolchmesser, damit sie sonst ihr Kunststücklein trieb, zur ernsten Wehre führen.

O, es war ein hartes, trauriges Los, durch Schnee und Winterkälte, Sturm und Sonnenglut von Dorf zu Dorf zu ziehen, geächtet und verachtet, ohne Heimat und Freunde; — landfahrend Volk. Goykos war ein wildes, echtes Zigeunerblut, ruhelos und friedlos bis in das Mark hinein; das Wandern, Wagen und Stehlen war sein Lebenselement, das leichtsinnige Spiel um Gut und Blut, der waghalsige Kampf gegen Strick und Rad der Nervenreiz, welcher ihm zum Dasein ebenso notwendig schien, wie Wasser und Brot.

Sein Weib hingegen hatte seit jeher einen schweren, träumerischen Sinn gehabt, denn sie war nicht von echter Art, sondern die Tochter einer sesshaften Jüdin, so man wegen des bösen Blicks hatte richten wollen. Mit ihr zu gleicher Zeit aber hatte ein listig Kesselflickerlein, ein brauner Bursch aus den Karpathenlanden im Turm gelegen, und da die Nacht vor dem Halsgericht gekommen, hatte er mit dem Schliesser ein gar pfiffig Spiel getrieben. Selbiger stellte den armen Sündern ihr letztes Roggenmehlsüpplein zum Henkersmahle auf und führte höhnische Reden, dass sie die Magen nicht allzu schwer beladen möchten, sonst reisse am Ende der Strick, daran sie morgen ihr Höllen-Tänzlein ausführen sollten! — Da reichte der Zigeuner ihm eine blanke Kugel dar und sprach: „So du unverwandt auf diesen Knopf schauen willst, bis ich das Häflein ausgelöffelt, will ich dir sagen, wo des Gildmeister Enzerle güldener Schatz vergraben liegt!“ — Sprach’s und schöpfte gelassen seinen Brei. Der Schliesser aber liess sich’s schwören, sass nieder und stierte auf die blanke Kugel. Bald danach verblieb er mit gläsernen Augen wie tot, und der schwarze Bursch schrieb wunderliche Zeichen mit der Hand und strich ihm Stirn und Arme; da ward der Alte steif wie ein Stück Holz. — Solchen Augenblick zur Flucht aber ergriff das arme Gesindel, und alle, die gefangen sassen, brachen aus und liefen an dem schnarchenden Landsknecht an der Pforte vorüber und waren frei. —

Da ist die Jüdin mit dem Zigeuner gezogen, ward eine Gauklerin und schenkte Zinkra das Leben. Aber sie war ein unglücklich Weib und vererbte ihrem schwarzbraunen, heimatlosen Mädel all ihre heisse Sehnsucht nach dem eigenen, festen Herd, davon man sie vertrieben. — Zinkra freite einen Zigeuner, den schönen Goykos, und alles, was auch sie ihrem Knäblein in das Leben mitgeben konnte, war jener Tropfen Blut, welches ein unauslöschlich Heimweh nach der eigenen Scholle, nach Ehr’ und Sessbarkeit nährte. — So war Irregang ein stiller, träumerischer Knabe geworden, den der wilde Sinn des Vaters ängstigte, und der nur ein einzig Glück kannte: seinem traurigen Mütterchen die Lieder zu singen, welche er auf einsamer Fahrt schier erstaunlich zu dichten wusste. —

Zinkra aber fasste die Hand ihres eigenartigen Söhnleins und las die Schicksalslinien, welche hineingegraben, und jauchzte hell auf und sprach: „Wirst einst sesshaft werden und ein ehrlicher Mann sein, Irregang, und wirst über deiner Mutter Leichnam ins Glück springen!„

Der Mond aber brach durch die Wolken, und der Wald zu Seiten des Weges verlief in niederem Knieholz; da sah man eine Burg auf klüftigem Bergfels ragen.

Tief inmitten der wilden Gebirgseinsamkeit lag sie düster und weltvergessen zwischen den endlosen Wäldern, eine trotzige, strenge Gebieterin, davon zeugten die Balken des Hochgerichts auf dem Nachbarberge.

Waren notwendig zu jener unsichern Zeit, da die Buschklepper und Wegelagerer in dem Odenwald ihr Wesen trieben, und manch verwildeter Landsknecht der Friedenszeit vergass und auf eigene Faust seinen Krieg führte, gegen Bauer und Handelsmann, so ihre Packesel hinab gen Frankfurt leiteten.

Goykos wandte sich und wies zu der Burg empor. „Streif dem Bub die Schellen an! Bis der Mond über dem Turm steht, sind wir droben!“ —

Bleiche Strahlen brachen durch die Wolken, und im Weggras zur Seiten raschelte es. Ein Hase lief aufgeschreckt über den Weg. Hinde stutzte und prallte zurück, ein Hieb mit dem Strick brachte sie wieder voran. —

„Der Has’ bringt Unglück, lass uns nicht zur Burg!“ — murmelte Zinkra. —

„Narretei!“

„Im Tal wehen Totenhemden über der Wiese, halt’s Ross und bleib’!“

„Bah! Herbstnebel sind’s! Hühho, Hinde! greif’ aus!“

Goykos pfiff ein übel Schelmenlied, und sein Weib griff hinter sich in den Kasten, nahm das Narrenkleid heraus und streifte es über das nackte, regenfeuchte Körperchen ihres Kindes. — Und dieweil sie den Knaben an die Brust drückte und ihm zusprach, gar übermütig und spasshaft, artig und demütig zu sein, — liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie dachte im Herzen: „Es ist an der Zeit, dass sich das Schicksal erfülle, — hat schon manche brave Mutter ihr Kindlein mit Herzblut gesäugt.“ —

Hinde senkte den Kopf; langsam, ganz langsam und zögernd ging’s den Burgberg hinan. —

II.

Im falben Dämmerschein lag die Burg auf ihrem hohen, einsam ragenden Fels. Mächtige Buchen neigten ihre Häupter vor des Bergschlosses stolzer Majestät, rauschend in den letzten Schauern des Gewittersturms, welcher das phantastisch getürmte Gewölk fern ab nach Westen treibt. Der Weg windet sich steinig und hart zwischen den bemoosten Felsen empor, unwirtlich und verwahrlost, als geschehe es selten, dass ein Lastwagen zur Burg wuchtet, dass kecke Reiterschaar und zierlicher Damenzelter zu Jagd und Reiherbeize hernieder trabt.

Lautlos, einsam, grabesöd. —

Hindes Hufschlag klingt einzig durch den abendstillen Wald, und da sie vor dem geschlossenen Brückentor steht, lässt sie das struppige Haupt wie in trauriger Ergebung sinken. — Das braune Weib ist neben sie getreten und streicht liebkosend über die nasse Mähne, an welcher noch die Tropfen hernieder rollen. „Sollen wir hinein gehen, liebe, kluge Hinde?“ — flüstert sie mit bangem Seufzer.

Das Pferd schüttelt jählings den Kopf, um den Regen vollends abzustäuben, und Zinkra stöhnt schwer auf und sagt leise vor sich hin: — „die Hinde schüttelt den Kopf und sagt „nein“, — die kluge, kluge Hinde.“ — Goykos steht derweil und überfliegt mit scharfem Blick die Burg, und weil es so seine Gewohnheit und die Vorsicht die mächtigste Verbündete der fahrenden Leute ist, so klettert er neben den Brückenpfeilern an den Felsen hernieder, das Schlösslein, welches so leicht sein Gefängnis werden kann, zu umschleichen und mit Kenneraugen alles auszuwittern, was er vielleicht in Not und Gefahr brauchen kann. Ganz genau muss er die Baulichkeiten, die Bildung des Burgbergs und alle Stellen kennen, welche einem fliehenden Mann zum Vorteil gereichen können, und darum lässt er Weib und Kind, ohne dass er noch ein Wort darüber zu verlieren braucht, vor der Zugbrücke warten, bis er seinen Kundschaftsgang vollendet.

Und Zinkra setzt sich auf den Stein neben Hinde, nimmt ihr Knäblein vor sich, dass ihr Haupt mit der leis klingenden Münzkappe an seiner kleinen Schulter ruht, und schaut glanzlosen Blicks auf die Burg, welche wie ein düsteres, schwarzschattiges Rätsel vor ihr liegt. — Seine Lösung wird die nächste Stunde bringen, und wenn die Morgensonne wieder über den Landen aufgeht und um den finstern Turm ihre Strahlen webt, dann hört sie vielleicht ein Seufzen und Weinen aus ihm empor schallen. — —

Zinkra fuhr heftig mit der Hand über die Stirn, als wolle sie gewaltsam solche Gedanken fortwischen, sie zwang sich dazu, auch ihrerseits diese fremde Umgebung prüfend anzuschaun. Mondlicht fiel momentan durch das treibende Heer kleiner Lämmerwölkchen und beleuchtete die Steinmassen der dicken Mauern, welche trotz all ihrer gewaltigen Trutzigkeit dennoch das Gepräge des Verfalls trugen. Zwei kleine Turmaufsätze des Brückentores waren entweder zerschossen oder vom Sturm herniedergebrochen und noch nicht wieder aufgebaut, im Burggraben lag Schutt und Steinicht, und die äussersten Befestigungswerke schienen längst dem Zusammensturze preisgegeben zu sein. Die Burg musste wohl einen verarmten Edelmann herbergen, welchem die weitläufig gebaute Wiege der Ahnen ein zu unbequemer Wohnsitz geworden, und welcher darum gewissermassen nur noch den Kern inmitten überflüssiger Schalen benutzte. Ein stumpfer, wuchtiger Turm ragt hoch über das Felsennest empor, ein bedeutend kleinerer und schlankerer ist ihm gegenüber aufgeführt, um, wie Zinkra mit gutem Verständnis vermutet, zum Auslug über den jenseitigen Burggraben und die nahen Talschluchten zu dienen, welche von dem eigentlichen Bergfried nicht übersehen werden können. Er steht allem Anscheine nach frei, nur von dem Zinnengang aus zugänglich. —

Irregang berührt leise die Hand der Mutter und weist nach dem Torbogen empor: „Was ist dies für ein hölzernes Bildnis, Mutter, welches man an den Steinen aufgehängt hat?“ flüstert er.

Zinkra steht auf und tritt näher. Sonst prangen steingehauene Wappen über der Brücke, hier ist nur ein holzgeschnitten Wappenbild, welches schon arg verwittert dreinschaut, am Pfeiler aufgehängt. Ein aufrecht schreitender Löwe scheint sein Zeichen zu sein, und aus dem Helm steigen zwei schön gewundene Hörner. Drumher aber sind wunderliche Schriftzeichen gereiht, und weil jetzt das Mondlicht voll und hell darauf scheint, so hätte Zinkra sie wohl sesen können, wenn sie jemals solche Kunst erlernt hätte. Aber Goykos wird es leichtlich entziffern, denn er hat einst am schweren Beinbruch im Kloster gelegen, als er noch ein junger Bursch war und die Seinen ihn verlassen haben und weiter gezogen sind. Da wollten die frommen Brüder flugs sein Haupt scheren lassen, auf dass er bei ihnen bleibe, die Klosterforsten zu begehen und die Karpfen aus dem Teiche zu fischen, denn darauf verstand er sich mit gar geheimen Wundermitteln. Und die Zeit, da er siech darnieder gelegen, haben sie weislich ausgenutzt, die Mönche, und haben ihm lesen und schreiben gelehrt, weil er ein heller Kopf war und wohl angetan, solche Weisheit zu erfassen. Aber als der Goykos wieder hat springen und tanzen können, da ist der alte Wandertrieb mächtig in ihm erwacht, und er hat seine Lumpen heimlich wieder im Dachkämmerlein zusammengesucht, hat sie in die Jagdtasche gepackt und ist zum Tann hinab, ohne jemals mit einem Wildbrätlein heimzukehren. Der Mönche Gelehrsamkeit aber hat er zu kleinem Teile mit sich genommen, und hat sie ihm gute Dienste getan, wenn er bei fürnehmen Herren eingekehrt ist, und seine erstaunlichen Gaukelkünste, auf einem Pergament beschrieben und konterfeit, Ritter und hohen Ratspersonen demütiglich dargereicht hat.

So wartete Zinkra, bis der Zigeuner leise und lautlos wie ein Schatten wieder zwischen dem Buschwerk auftauchte und zu ihr sprach: „Hier pfeift der Wind durch manch ein ungeflicktes Loch! Die Mäuslein, so früher am Speck genagt, fallen sich jetzt gegenseitig an im Hungergrimme, und die Goldgülden, so früher im Kasten lagen, sind rund geworden und durch die Finger gerollt.“ —

„So wird’s einen schmalen Lohn geben für unsere Müh!“ — seufzte Zinkra, und sie wies nach dem Holzschild und sprach: „Wes Namens mag der Edle sein?“ —

Goykos trat hastig herzu: „Ein hölzern Schild? So ist die Burg wohl nicht von einem reichen Vater auf den Sohn gekommen, ist vielleicht eines Drittgeborenen Erbteil, ein überflüssig, ausgebranntes Nest, das ein tatkräftiger Rittersmann wieder hoch bringen soll zu Würd’ und Ansehn! Und selbe Schrift?“ — Der Gaukler schüttelte das Haupt und sagte: „Eine solche Sprach wird nicht zu Land geführt, und vermeine ich, dass es ein hochgelehrt Latein sein muss, das mir in allen Worten fremd ist, welches ich aber reichlich im Kloster gehört. Werden es schon drinnen erfahren, wie das alte Raubnest heisst, und ob es dem leibhaftigen Satanas oder nur einem, der sich ihm verschrieben, zugehört!“ Und lachend rückte er den zerrissenen, haubenartigen Hut, von welchem klappernde Schnüre von Muskatnüssen, Pfeffer und stark riechenden Nelken herniederhingen, auf das Ohr, fasste den schweren Metallklopfer und führte etliche dröhnende Schläge gegen das Tor.

Zinkra presste tief atmend die Hände gegen die Brust. Sie hatte das Gefühl gehabt, als müsse sie ihrem Manne jählings die Rechte halten mit dem Angstruf: „Lass ab vom Klopfen! Dreh um und bring uns fort!“ Aber sie kannte des Goykos starren Sinn, und sie biss die Zähne zusammen und dachte: „So es mein Schicksal ist, wird sich’s erfüllen, und ob ich auch fliehen möchte bis an das Ende der Welt!“

Der Zigeuner lauschte; es blieb totenstill in der Burg, und da er abermals gegen die Metallplatte schlug, dass sie dumpf erdröhnte, stampften jenseits der Mauer Schritte herzu, ein Schieber ward aufgetan und ein bärtig Männerhaupt lugte mit feistem, gerötetem Angesicht hervor. — „Fahrende Leut’! Gaukler und Spassmacher seid ihr?“ — lachte er mit weinschwerer Stimme:

„In drei Teufels Namen, da kehrt ihr zur guten Stunde auf dem Darsberge ein! Und zeitlebens will ich mit den Hunden fressen, wenn ich euch fortjag’ vom Tor, denn es ist eine artige Kurzweil, zuzuschauen, wie sich Gesindel das Genick bricht!

Sein Lachen hatte trotz der rohen Worte einen Klang heiterer Gutmütigkeit, und als die schweren Bohlen polterten, die Pforte sich auftat, und der riesenhafte Sprecher mit gespreizten Beinen und eingestemmten Armen vor des Goykos Familie stand, da lupfte der Zigeuner respektvoll die Kappe und sprach: „Ihr seid ein gütiger und edler Herr, und wir wollen all unsere Kunst aufbieten, um solch mächtigen Edlen, wie Ihr allhier in dieser Burg sitzet, wohlzugefallen! Seid Ihr der strenge Ritter selbst? Stattlich und fein wie ein solcher seht Ihr aus!“ — Und der Gaukler neigte sich mit schlauem Lächeln noch tiefer, dieweil der Burgwart ein geschmeichelt Grunzen hören liess und den Bart martialisch zwischen den Fingern zwirbelte. —

„Wäre mir neu, dass ein Edelmann eines Schliessers Amt verwalte“ — antwortete er, sich räuspernd, „aber solches Pöstlein gibt er dennoch nur dem Obersten unter seinen Knechten, und dem Gescheitesten ... und die Pest will ich kriegen, wenn ich nicht der Gescheiteste und Tapferste bin. Aber ein Lumpenkerl wie du kann nicht wissen, wie’s in vornehmen Burgen Brauch ist, darum will ich dir nicht zur Straf’ das Kreuz abschlagen, sondern dich mit heilen Knochen einlassen! — Heda! führ’ deine Schindmähr’ über die Brücken, sonst möchte sie am End’ ein Wolf anfallen und sich an solchem Geripp’ einen Schaden fressen!“ — und diesen Witz mächtig belachend, trat der Mann etliche Schritte vor, währenddes Goykos die Hinde am Strick nach sich zog. — Gleichsam, als gäbe sie sich selber einen Stoss, wankte Zinkra über die Schwelle, und Irregang hielt sich angstvoll an ihrem buntfarbigen Flitterrocke fest und glitt mit seinen nackten Füsschen, schmerzhaft zusammenzuckend, über das Steinicht.

Der Burgwart griff Zinkra mit derber Faust unter das Kinn und drehte ihr Antlitz nach dem Mondschein: „Pech und Schwefel über solch schwarze Hexenaugen!“ lachte er, „damit kannst du heute abend Glück machen, du braunes Schätzlein, denn der Vogt ist ein lebensfroher Herr, dessen Hauskreuz bei der edeln Frau von Jossa am Siechbette wachen muss! Da ist er wieder ein lockrer Zeisig wie einst, als er noch auf die Brautschau ging, und hat auch Silbergülden die Fülle, denn unser Ritter ist auf sieben Tage nach dem verhassten Zwingenberg geritten, um einen Tauschhandel briefen zu lassen, und derweil führt der Vogt das Regiment in der Burg.“ — Und der Sprecher fuchtelte mit den Armen durch die Luft und schnalzte fröhlich mit der Zunge: „Da gibt’s lustige Zeiten jetzt, statt Brunnwasser — Gernsheimer Alten — statt Haberbrei — Hirschziemer und speckgebratene Häslein! Denn der Vogt hält’s mit uns, weil der Jossa toll ist und geizig wie sieben alte Krämer, und uns knapp hält jahraus, jahrein, obwohl’s in Scheun’ und Keller von Fässern und Getreide voll liegt und das Wild im Forst sich gegenseitig totdrückt! Aber er lässt lieber die Gebäude zusammenfallen, ehe er einen Nagel drangibt! — Nun ist die Katz aus dem Haus und die Mäuslein tanzen auf Tisch und Bänken umher! Wer wehrt’s uns? Die Jossain liegt schwer darnieder und das Junkerlein? Hehe! Ist noch ein klein Bübchen und freut sich der Kurzweil in der Küche! So wahr ich leb’!“ —

Zinkra lauschte hoch auf bei den Worten des Schliessers, welchen der Wein redselig und mitteilsam gemacht, aber ihr Blick überflog scharf prüfend jeglich Mauerwerk, dazwischen sie hinschritten, als wolle sie genau den Weg kennen, welcher sie einzig zur Freiheit zurückführen konnte. — Zuerst durchschritten sie einen langgestreckten Vorhof, der Barbacan genannt, traten durch ein zweites Tor in einen doppelten Zwinger mit schlechterhaltenen Zinnenmauern und gelangten endlich durch das von einer Pechnase verteidigte innerste Tor in den eigentlichen Schlosshof. — Der Burgmann schien recht zu haben, sein Ritter liess lieber die Mauern zusammenfallen, ehe er einen Nagel einschlagen liess. Wüst und verwahrlost, in den tiefen Schatten der Nacht noch unheimlicher, sah alles aus.

Die Türen hingen in schlotternden Riegeln, das Pflaster war lückenhaft, die Verzierungen an den Wänden lagen niedergebrochen zur Erde.

Im Burghof selber schien es wohnlicher. Drei prachtvolle, hochgewachsene Lindenbäume standen in seiner Mitte, die Wipfel hoch über die Gebäude hebend. Das Herrenhaus, schmal und spitzgieblig, lag dunkel, ebenso die Stallungen und Kammern der Mannen, nur aus der grossen Küche, deren Tor weit offen stand, fiel ein mächtiger, grellflackernder Feuerschein, tönte lautes Gelächter, Gesang und Gejubel schriller Weiberstimmen.

Unter dem Schlot brannte ein loderndes Holzfeuer, welches russige Kessel erhitzte und mit seinen Rauchwolken den Duft eines starken Würzeweins in den Hof hinaus schickte. An langer Holztafel der Nordwand sassen ungefähr zwölf Reisige, zu oberst ein fetter kleiner Mann mit grauem Knebelbart, gebogener Nase und funkelnden Äuglein, einen Federhut schief auf dem Kopf und einen grünfarbenen Mantel über die Schultern geschlagen. —

Neben ihm lag ein langer, spindeldürrer Magister mit rotentzündeten, zusammengekniffenen Augen gegen die Wand zurück, und um den Tisch her liefen die Mägde lachend und schwadronierend, die leeren Kannen am Feuer zu füllen, oder den Eberbraten auf der geschweiften Holzschüssel mit heissem Fett neu zu übergiessen. Der Wein schien bereits seine Wirkung zu tun, die Köpfe waren rot und die Reden laut und schreiend. —

Der Torwart trat zu Tisch und verkündete es wie eine Heldentat, dass er fahrend Volk, so vorhin so herrisch an das Tor geklopft, eingelassen habe, damit sie Kurzweil in der Halle schaffen möchten. Ein beifällig und lärmend Halloh erhob sich, nur der Magister schlug mit seiner knöchernen Faust auf die Tafelplatte und überschrie die weinschweren Stimmen.

„Was unterfängt sich Lambert der Kettenhund! Denkt, weil ihn des Vogtes milde Hand heut aus seinem Torhaus herausgezogen und ihn an unsern Tisch gesetzt, kann er kläffen und bläffen wie ein Herrischer selbst! Führt fahrend Volk herein, als hätte er zu befehlen, nnd ist doch nicht besser wie ein Wetterhahn auf dem Turm, so ein dumm Vieh ist, und’s nur anzuzeigen hat, wenn ein Wind daher gefahren kommt!“ —

„Kettenhund heisset er mich und ein dummes Vieh, dieser Giftmischer und kauderwelsche Hansnarr?“ tobte der Schliesser entgegen, reckte und dehnte mit rollenden Augen seine derbe Gestalt und hob drohend die Faust; der Vogt aber erfasste diese, zwang sie nieder und sprach begütigend:

„Wisse wohl, Lambert, dass ein Kettenhund ein gar getreulich Tier ist, und der Wetterhahn den ganzen Bergfried tief unter sich schaut, — darum brauchst du keinen Eifrer tot zu schlagen. Dass du fahrend Volk einbringst, ist ein nicht gar so übel Ding, denn du hast Lebensart und weisst es wohl, dass die grossen Herren bei Wein und Braten dem Hanswurst die Zahl sieben grad sein lassen!“

„Dennoch hätt’ der Knecht den Vogt fragen müssen!“ zeterte der Magister.

„Selber Knecht ist des Vogts Amadeus oberster Marschall heut und schafft ihm Kurzweil nach seinem Sinn! Darum lasset solch töricht Streiten und du, mein braver Pförtner, walte deines Amts, tu’ die Tür auf und lass uns schauen, welch ein Ungeziefer du von der Landstrass’ aufgelesen!“

„Das will ich gehorsam tun!“ nickte der Torwart mit grollender Stimme, „aber ein Schandbub will ich heissen, wenn ich dem Lateiner nicht noch alle Knochen im Leibe zu Staub zerschlage, Gott straf’ mich der Sünd’!“ und er wandte sich kurz um, nach der Hoftür zurück zu stampfen. Wie ein leibhaftiger Graf oder Herzog war der Vogt Amadeus anzuschauen, als er breitbeinig auf dem Fellsessel sass, die rotgearbeitete Hand auf das Knie stützte, und den Hut so verwogen auf dem linken Ohre trug, dass die verwitterten, ehemals rot gewesenen Hahnenfedern kopfüber in die Luft starrten. Mit leutseligem Schmunzeln blickte er auf Goykos den Zigeuner, welcher seine Klapperhaube ehrerbietig abgezogen hatte, sich ununterbrochen verneigte und in wohlgesetzter Rede sprach: „Vieledler Herr, junger und schöner Herr, reichsfreier, ernsttugendsamer und hochedler Herr Ritter! Eine armselige Kreatur, Goykos der Wunderkünstler, der fernher aus einem Lande kommt, da die Rose von Jericho wächset und die Palmen, davon die Kreuzfahrer euch Wunder erzählt, — neiget vor dir hochedlem Grafen und Herrn das Haupt, und er flehet dich an, wie das jammervolle Gewürm den König Löwe erflehet: Lasse deine Huld gross sein, dass du uns ein fröhlich Narrenspiel allhier in deinem Schlosse gestatten wolltest. Siehe, wir haben schon unsere Künste gezeigt vor Königen, vor Herzögen und Fürsten, aber es war keiner von allen so mächtig und hochlöblich wie du, und darum wollen wir vor dir das Beste zeigen, was wir können!“

Der Burgvogt Amadeus hörte mit eitel Wohlbehagen solche Rede, nickte mit dem Haupt, dass ihm die Hahnenfedern um die Ohren wirbelten, und blickte sich im Kreise seiner Untergebenen um, als kämen ihm wirklich all die Ehren und Titel zu, welche des Zigeuners Ansprache ihm so reichlich verliehen. Sein Marschall Lambert kratzte sich behaglich hinter den Ohren, die Burgmannen kamen sich sämtlich wie hohe Herren vor, weil sich der Goykos auch vor ihnen ehrfurchtsvoll verbeugte, sie seine edlen Wohltäter nannte und um ihre Fürsprache bei dem gnädigen Ritter bat, und die dicke Schaffnerin blähte sich vollends vor Hochmut, weil Zinkra ihr den Saum des Rockes geküsst hatte, wie einer Königin.

Der Vogt schaute noch einen Augenblick voll ernster Würde auf den Gaukler nieder, musterte dessen schönes Weib mit begehrlichem Blicke und sprach mit einer Handbewegung, so hohe Gunst und Herablassung ausdrückte: „Es mag dir eine seltene Ehre sein, Gaukler, vor Herrschaften und würdigen Manns- und Weibspersonen zu spielen, wie du sie jetzt vor dir siehst. — Wirst du uns des Erstaunlichen und Närrischen genug zeigen, so will ich dich belohnen, denn ich kann’s; wirst du aber unsere Langmut durch plumpe Bauernspässe missbrauchen, so lasse ich dich peitschen, denn also ist es ritterliche Hantierung und Sitte in den Burgen der Grossen.“

Ein allgemeines Beifallsmurmeln und Knurren erhob sich, da Amadeus sich nach solch trefflicher Rede stolz umschaute, und Goykos warf mit einem hellen Juhuschrei seine Haube in die Lust, fing sie wieder auf mit einem buntgemalten Stäblein, stellte selbes auf die Nase und hielt’s im Gleichgewicht. Dazu fing er an zu springen und zu tanzen, ohne dass Stock und Kappe hernieder fielen, und die Zuschauer johlten laut auf vor Lachen und vergassen all des feierlichen Ernstes, der zuvor geherrscht. Als aber der kleine Irregang mit gellendem: „Jû nârro!“ plötzlich gar wundersam wie ein Fröschlein mit verrenkten Gliedern hinter seiner Mutter hervor kugelte und sich rund in dem freigelassenen Platz der Halle herumschnellte, da sprach die dicke Schaffnerin: „Ich hol’ das Junkherrlein, auf dass er solche Kurzweil schaue!“ und wollte gravitätischen Schrittes davon. Herr Amadeus aber hielt sie sorgsam am Gewand und flüsterte: „Machet es aber fein heimlich, Frau Margaret, auf dass meine Hausehre nichts von selbem Firlefanz erfahre!“ — Und dabei sah der Vogt gar nicht mehr so herrisch aus wie zuvor und rückte den Schlapphut sänftiglich auf die Mitte des Hauptes.

Frau Margaret aber schritt nickend davon, und da sie wiederkam, führte sie einen Edelknaben an der Hand, stark und kräftig gebaut, um eines Hauptes höher denn Jung Irregang, dem fiel ein goldblond Lockenhaar auf die Schultern, und sein Gesicht war rosig, frisch und fröhlich, mit zwei blauen, guten Augen darin. — Viel Kraft und starke Muskeln schien er zu haben, und seine Bewegungen waren von gedrungener vierschrötiger Derbheit. Er trug ein schlichtes Wämmslein von Hirschleder, aber einen linnenen Kragen darüber aufgeschlagen und ein kunstlos Wehrgehäng’ um die Hüften. Mit grossen, starren Blicken des Erstaunens schaute er auf die Gaukler, und da er neben dem Vogt niedergesessen war, und Irregang abermals seine Purzelbäume begann, da sass er wie gelähmt vor Bewunderung, und erst ganz allmählich fand er sich in die Fröhlichkeit der andern.

Der schwarzäugige Bub, mit dem blassen, feingeschnittenen Gesichtchen, den verwilderten Locken und dem grellbunten Narrenkleide, daran die Schellen rasselten, schien ihm eine Erscheinung aus anderer Welt, und als Irregang gar die Geige spielte, voll ausgelassener Lustigkeit dazu tanzte und seine derbspasshaften Liedlein sang, da nickte er leuchtenden Auges Beifall, als der Vogt dem Bürschlein lachend winkte, ihm den Humpen reichte und sprach: „Trink, du fröhlich Kasparlein! deine Weisen werden noch ergötzlicher sein, wenn du voll des süssen Weines bist!“ —

Irregang trank mit durstigem Zug, und während dessen streichelte der kleine Junker schüchtern sein fremdartig Gewand und betastete neugierig den glimmernden Zierrat darauf.

Hatte Jorg von Jossa doch noch niemals fahrend Volk geschaut, denn Burg Darsberg lag fernab der Strasse in tiefster Weltvergessenheit, und solange der Ritter daheim war, blieben ihre Pforten geschlossen für jedermann.

Der Lärm und die Lustbarkeit in der Halle hatten schon eine gute Weile gewährt, als Goykos sich abermals vor dem Vogt neigte und bat, aus seiner Karre allerhand Gerät zu holen, um nun erst die schönsten und erstaunlichsten Kunststücke zu zeigen!“ — Das ward ihm gern gewährt, und einer der Dienstbaren geleitete ihn in den Hof zurück, auf dass er den Weg zu seinem Rösslein fände. Und das war wohl gut, denn der Jagdgesell musste weidlich lachen, da er den Zigeuner so dumm und wirr im Schlosshof tappen sah, — das listige Lächeln des Gauklers aber sah er nicht dabei. Derweil hatte Zinkra Mühe gehabt, sich der Liebkosungen des Vogtes freundlich zu erwehren. Auf viel absonderliche Weise machte sie auf fremden Instrumenten Musik und hatte dann zu schallendem Gelächter aus des Lamberts spitzem Hut fünf echte Hühnereier, bunte Steinkugeln, zwei Eisenküchlein und einer Magd Brusttuch hervorgeholt. Auch an der Schaffnerin Ledertasche knusperte sie herum, und als alle schauten, zog sie zu grossem Staunen rot Band herfür, so viel, dass es nachher nimmer wieder Platz in der Tasche fand. — Da man sich aber genug des Rätsels verwundert hatte, hielt Frau Margaret das braune Weib am Rock, dass dessen Glöcklein zart erklangen, wies die Hand entgegen und sprach: „So du eine junge Freiheit bist, sage mir, was solche Linien hier verheissen!“ — Da sagte Zinkra die Zukunft, und die Matrone kreischte auf und sprach: „Hat mir schon eine andere Taterin den zweiten Eheherrn verheissen! Christe Blut, nun wird’s wahr!“ Kaum dass sie noch sprach, stand auch schon der kleine Junker Jorg neben der Zigeunerin, schaute sie treuherzig an und bat: „Künde mir auch!“ — Da schaute Zinkra lächelnd in des Knaben Hand, aber ihr Antlitz ward fahl und starr, und ihre Lippen weiss wie Schnee. Und sie wankte und griff hastig nach Irregangs Hand, — legte beider Knaben Rechte zusammen und stiess keuchend hervor: — „Da! — schaut da!“ — —

Aller Köpfe neigten sich, und man sah ein seltsam Zeichen in beiden Kinderhänden, vier feine, rote Linien die den römischen Buchstaben W bildeten. —

Wie gebannt hing Zinkras Blick am Antlitz des Junkers, und sie legte die zitternde Hand auf sein Haupt und murmelte: „So wirst Du des Irregangs Genosse sein!“ —

III.

Nicht ein jedes Auge vermochte allsogleich die Form der zarten Hautlinien herauszufinden. Mit gläsernem Blick starrte der Vogt darauf nieder und sprach mit einem Kuss auf der Gauklerin entblössten Nacken: „Was sollen wir denn schauen, du brauner Schatz? Dass beide Büblein ihre Finger spreizen? Dass es an jeglicher Hand deren fünfe sind? oder sonst ein Miraculum?“ und dabei legte er, auf den Füssen schwankend, den Arm keck um Zinkra. Der Magister aber nickte mit dem gelehrten Haupt und sprach gravitätisch: „Woher kommt dir eine solche Weisheit, Weib, dass du einen römischen Buchstab kennest? und wie magst du selbes Zeichen deuten?“ Da riss sich die Zigeunerin gewaltsam aus ihrem dumpfem Sinnen empor, machte sich los aus des Amadeus Armen, lachte und sprach: „Es ist nicht zum letzten Male, dass das Jungherrlein heute neben dem Irregang steht. Der Buchstab W wird beider Schicksal sein, er steht geschrieben auf der rollenden Kugel des Glücks und beide jagen danach und kämpfen darum. Wer siegt? das wird die Zeit lehren!“ und Zinkras Augen glühten wie im Fieber, sie wand sich geschickt aus den Fesseln des immer lüsterner dreischauenden Vogts, warf die Arme über das Haupt und wirbelte im Tanz in die Mitte der Halle zurück. Goykos aber, welcher just wieder in der Hoftüre erschien, legte viel haarscharfe Messer auf den Estrich umher, die Schneide noch oben, und die Zuschauer überkam ein Gruseln, da sie’s sahen. Mit den nackten Füssen sich rasend schnell im Kreise drehend, bewegte sich die junge Zigeunerin, zwischen den Klingen kaum den Platz findend, um die Fussspitzen aufzustellen, und dabei hing ihr Auge unverwandt an der gewölbten Decke, darunter die Rauchwolken des Kamins herzogen. — Lautlos starrten die Leute der Burg ein solches Schauspiel an, und da die Zigeunerin mit weitem Satz endlich aus den Messern heraussprang, vor dem Publikum das Knie beugte und die Arme über der atemlos wogenden Brust kreuzte, da erhob sich ein brüllender Beifallslärm, und Amadeus winkte der Tänzerin, zog sie mit derber Zärtlichkeit auf eine Knie und bot ihr den Humpen dar.

„Also hat der König und edle Held Huon de Bordeaux auch das Türkenmädel Bandamor, so vor ihm den Reigen geführt, an den Tisch gezogen, hat sie gespeist mit gebratenem Galander und getränkt mit Sinôpel, wie man lesen kann in der Historie von des Richard Löwenherz Kreuzfahrt. Da unsere Galander aber noch in freier Luft fliegen und den Wildmeister Hanno mit ihrem Spottliedlein äffen, kann der Vogt Amadeus an den Pfoten saugen und muss sich den Bauch mit Hirschfleisch füllen; gebet darum der Gauklerin anstatt des Vogelbrätleins eine Schnitte Ziemer! Und dieweil mein Kellermeister das Fässlein mit Sinôpel hat leer werden lassen, zu seiner eignen Mast, so muss mir statt seiner die kleine Hexe hier die Borgeraste kredenzen! Heda! trink’s doppelt, Weib! — Galander oder Ziemer, Sinôpel oder Würzewein — Huon oder Amadeus, ist dem Beelzbub ganz einerlei!“ — und er lachte mit dröhnender Stimme und kniff Zinkra in die bleiche Wange, die sich Sträubende immer inniger herzend. — Aber weder Tanz noch Wein noch alle Lustbarkeit der Halle und alle Scherze, welche die Taterin selbst noch eingelernterweise zum besten gab, verliehen ihrem Auge den früheren Glanz zurück. — Starr und tot war der Blick geworden, das erste Flackerfeuer jäher Aufregung war erloschen, und dieweil Goykos zum Schreck der kreischenden Mägde Feuer verschlang und dann aus seinem Mund lebendige Schlänglein zog, versank Zinkra in ein regungsloses Anschauen des Junkers Jorg, just, als wolle sie gewaltsam einen Blick in die Zukunft erzwingen. Vor ihrem geistigen Auge wuchs der blondlockige Knabe empor zur hohen Rittergestalt. Der Harnisch glänzt auf seiner Brust, Federn umwallen seinen Helm, ein schnaufend Ross bäumt stolz auf unter ihm, und wo er seine Strasse zieht, weichen die Leute ehrerbietig aus und ziehen die Kappe. Die kleine Hand, welche jetzt in zitternder Aufregung das Holzschwert umklammert, wird gross werden zur starken Männerfaust, und diese wird zweischneidigen Stahl führen. — Ein W ist in diese Hand geschrieben, ein Zeichen, welches dem Irregang Glück oder Unglück bringt? — Wie das? — Werden jene zarten Fingerchen einst in rohem Griff ihres Lieblings Gurgel fassen? werden sie die Waffe nach seinem Herzen zücken, werden sie den Stab über dem Haupt des fahrenden Mannes brechen? Fahrenden Mannes? Nein, Irregang wird ja sesshaft werden in Ehr und voller Genüge; und über seiner Mutter Leichnam sührt ihn der Weg zum Glück. O dass jene dunklen Schleier der Zukunft sich heben wollten, dem Auge der Geängstigten das Schicksal zu zeigen, welches beide Knaben einst zusammen, und in finstren Wirrsalen wieder auseinander führen wird!

Ihr Blick brennt auf dem Antlitz Jorgs, und sie sieht, wie der Sohn des Ritters in jäh aufwallender Zärtlichkeit empor springt, zu dem Irregang hineilt und die Arme um das schmächtige Körperchen des Zigeunerbuben schlingt, ihn stürmisch zu liebkosen und zu herzen! —

„Du sollst bei mir bleiben, Du lustiger, kleiner Gesell!“ ruft er mit glühenden Wangen: „Du sollst mich all diese Kunststücke lehren, und ich teile dafür alles mit dir, was ich habe! Mein Rösslein, aus Holz geschnitten und bunt bemalt, mein Kugelspiel und Blaserohr, auch die Ritterfiguren, die man am Faden zieht! — Sprich, fremder Bub, hast du es auch gelernt zu fechten und zu parieren, wenn ich dir hier mit meinem Schirmschwert zu Leibe geh’?“

Der Irregang schüttelte ernsthaft das Haupt: „Solches ist ritterliche Hantierung und keines Spassmachers Art! Aber wenn wir auf der Heide rasten, so darf ich den Bogen spannen und mit dem Speer werfen. Doch schafft mir solche Übung keine Kurzweil, da mein Arm noch zu schwach ist.“ —

„So musst du Steine werfen und ringen, auf dass er stark werde! Schau da meine Muskeln! wenn ich zuschlage, streckt’s schon einen Rüden zu Boden. Weisst du, mit den Kampfspielen halt ich’s lieber, als mit den Magistern! Und zur Jagd reit’ ich öfter, denn zum Bruder Godewin ins Kloster, wo ich mit dem Griffel meine Wachstäfelein beschreiben muss.“ —

„Ich möchte wohl bei dir bleiben“ — nickte Irregang traurig, „aber die Hinde scharrt den Boden und führt uns weiter!“ —

„So mein Herr Vater hier wäre, würd’ ich ihn bitten, dich in der Burg zu halten zu meinem Spielkamerad!“ —

„Das geziemet sich nicht für eines Gauklers Sohn!“ flüsterte der Kleine mit altklugem Gesichtchen: „Dein Ritter würd’ mich zu den Hunden sperren!“ —

„So kröch’ ich zu dir in den Zwinger!“ trotzte Jorg mit einem Griff nach seinem Schirmschwert, und dann umhalste er den Knaben abermals und küsste ihn: „Wenn du von dannen ziehst, will ich an dich denken, und wenn ich gross bin und ein freier Ritter, so lass ich mir vom Trossknecht ein Schlachtross satteln und zieh’ hinaus in die Welt, um dich zu suchen!“ —

„Wirst du mich alsdann noch kennen?“ —

„Solch ein närrisch Kleid wie du, trägt wohl kein andrer Bub’ im Land, und wenn ich dennoch mehrere Hanswursteln schauen sollt’, so sag ich: Weis’ deine Hand! trägst du ein römisch W darin, so bist du der Irregang!“ —

„Und dann nimmst du mich mit dir!“

„Dann gehen wir zusammen in fremdes Land und suchen Aventiure und das Glück, — wie Boge und Wolfdietrich in der Historie.“ —

„Und wer das Glück gewinnt?“ —

„Ei, der behält’s!“ —

„Ich teil’s mit dir!“ sprach Irregang.

„Der Magister sagt, das Glück sei ein Weib, teilt man’s, so tötet man’s.“ —

„Ein Weib? — ein einz’ges nur? Warum gibt’s nicht für jedermann ein Glück?“ —

Da schüttelte Jorg die blonden Locken aus der Stirn und legte die Hände rückwärts zusammen.

„Das weiss ich nicht! In der Kemnate haben sie sich jüngst eine Legende erzählt, die auch vom Glücksweib handelte, und da waren ihrer zwei Gesellen, die danach jagten. Hatten beide sich verschworen, selbes Weib zu gewinnen. Und waren doch zuvor Freunde gewesen, die Gold und Ehr’ brüderlich geteilt hatten; da aber das Weib ins Spiel kam, konnten sie nimmer teilen, sondern mussten kämpfen.“ —

„Blieb einer tot?“ —

„Da das Ende kam, nahm mich Frau Margaret bei der Hand und führte mich ins Schlafgemach, denn es war sehr spät geworden.“ —

„Hör’“ — sprach Irregang — „wenn wir einer solchen Teufelin begegnen, soll sie keiner begehren, auf dass sie uns nicht den schlimmen Weg bereite!“ —

„Und schlagen ein Kreuz vor ihr, wie vor dem bösen Feind!“ — Jorg bot plötzlich mit ernsthaft würdevollem Angesicht die Hand entgegen und fuhr fort: „Ich werde niemals mein Schwert wider dich kehren, ich schwör’s!“ —

„Du wirst ein Ritter sein, ich ein Hansnarr, der keine Rüstung tragen darf“ — murmelte Irregang mit düster gesenktem Blick: „aber ich halte auch dir die Treue, wenn du sie mir hältst!“ —

„Du darfst nicht Harnisch, Schwert und Helm tragen? Ei, womit wirst du dich wehren, wenn dich einer kampflich angeht?“

Da bekam des Kindes Zigeunergesicht einen gar seltsamen Ausdruck und zeigte zum erstenmal eine Ähnlichkeit mit seinem Vater: „Fahrend Volk muss sich schlagen lassen und sich ducken. Aber es kann sich rächen, wenn es klug ist. Wenn wir auf unsrer Fahrt Feinde hatten, verbargen wir uns während des hellen Tags im Forst, weil wir uns im offnen Kampf nicht rühren dürfen, — wenn aber die Nacht kam, dann schlich der Vater herzu an seine Peiniger nnd sprach: „Für jeden Schlag einen Stich, — für jeden Hieb einen Biss!“ — und dann hat er ihnen Schaden getan, dass sie seiner gedenken mussten.“

„Nein, da ists mir lieber, im ehrlichen Zweikampf dreinzuschlagen, zu ringen, oder den Speer zu werfen im hellen Sonnenlicht! Überfall und Hinterlist sind feig. Wenn du aber bei mir bliebst, Jung Irregang, so würdest du auch ein Rittersmann werden und das Schwert führen!“

„Hoho!“ lachte des Lambert tiefe Stimme hinter ihnen: „Was redet der Junker für artige Märlein! Ist noch niemals aus einem Spatz ein Aar geworden, wenn man solch Gelbschnäblein auch zehnmal in den Adlerhorst einsetzen wollte! Ist gelenk wie eine Blindschleich’, der braune Bub’, aber Kraft sitzt nicht drinn! Wird zeitlebens ein Kasparlein bleiben und nicht von seiner Art lassen, denn Nachtvolk muss kriechen und schleichen, und wenn’s auch ans Tageslicht herauf wollt’, es kann’s nicht, die Sonn’ sticht ihm die Augen aus.“ —

Irregang liess den Kopf tief auf die nackte Brust herabsinken; sein Blick schweifte unter den dunklen Wimpern zu Jorg empor: „So werden alle Leute zu dir sagen, und dein Wort wird dir leid sein, und wirst nimmer daran denken auszureiten, um des Irregang Spur zu finden.“

Da zog der junge Jossa eine finstere Stirn und sprach: „Wenn du nicht zu den Türken oder den Kreuzigern gehst, werd’ ich dir folgen! Schau, ich habe eine Armbrust droben, die mir lieb ist, ich schenke sie dir, weil du mir gefällst!“

„So geb’ ich dir mein vierfarben Hütlein dafür! Die Mutter hat noch Flicken und näht mir ein neues!“ — erwiderte der kleine Zigeuner nach kurzem Sinnen: „Und so will ich’s halten immerdar, denn ich denk — hast du mich lieb, so lieb’ ich dich auch, und hassest du mich, so hasse ich dich wieder!“ —

Jorg schritt eilends durch die Halle, die Armbrust aus dem Herrnhaus zu holen, und als er wiederkehrte, schaute ihm Irregang leuchtenden Auges entgegen, zog seine Schellenkappe vom Hanpt und bot sie zur Gegengabe dar. — Er wusste, dass sein Vater ihn darum schlagen würde, aber solche Prügel litt er gern, weil er sah, dass sein neuer Freund schier närrisch tat vor Freude über solch ungewohnten Tand, und dass er so gut und freundlich zu ihm war, wie noch nie ein anderes Kind gegen den Sohn eines fahrenden Mannes. —

In dem weiten Raum war währenddessen eine tiefe, feierliche Stille nach dem wüsten Beifallslärm eingetreten. Goykos hatte viel des Erstaunlichen gezeigt, und nun trat sein Weib herfür und sprach: „Habet Ihr hochlöblichen Ritter bisher unserer Kurzweil Huld gespendet, so möget Ihr nun als zum letzten ein Kunststück sehen, welches auf der ganzen Welt kein Gaukler uns nachtut, und so Ihr es geschaut, Ihr reichen und mächtigen Herrn, so wollet fein darauf sinnen, dass Ihr uns armem Volke ein Scherflein reicht, und wir wollen zu Tal fahren und es Euch segnen und gedenken in unsres Herzens Freud’ und Dankbarkeit!“

„Heda, was soll’s werden?!“ rief der Vogt, dessen Blicke immer heisser auf ihr brannten, mit lallender Stimme, „ist es wahrlich ein Wunderbares, was ihr zeigt, so will ich euch lohnen wie ein Fürst, denn ich hab Geld wie ein solcher und bin just so fürnehm, wie sechs Könige zusammen! Eia, was will der Goykos mit den Messern schaffen?!“

„Seht, edler Herr“ — rief der Zigeuner keck, „jetzt wird sich jenes Weib gegen die hölzerne Tür stellen und die Arme ausspannen, wie Ihr es seht, und ich will die Messer nach ihr werfen, dass sie wie ein Strahlenkranz rings um ihr Haupt stehen, und doch soll kein Wurf fehl gehn! Haarscharf neben Wang’ und Schädel sollen die Klingen in das Holz treffen, und kein Tröpflein Blut wird fliessen und mit keiner Wimper wird Zinkra zucken, dass es Angst oder Schreck bedeute!“ —

„Hoho!“ schrie der Vogt, schüttelte das Haupt und kratzte sich hinter dem Ohr, dass sein Hut weit in den Nacken flog: „Das ist ein Unding, Bursch. Bin selber ein Meister im Messerwerfen, das ein gefährlich Waffenspiel ist und im Zweikampf auf Leben und Tod geht! Heda, Wildmeister! Hast’s damals mit angesehn, wie ich beim Maigang in Werlau drunten Händel bekam! Um des Gildmeister Pfaffus wild’ Mägdlein kam’s, so mit einem Liebsten nicht Genüge hatte! Da begehrte ich dem Krämerlein auf, dem Hänfling, vermaldeiten, und“ — —

„Beim Satanas, Vogt — er hat dran denken müssen! Seh dich noch stehn unter den Linden ... nackte Brust und ohne Hauptwehr ... mit Muskeln wie Schiffstaue, — als einzig Rüststück ein kleines Schildlein zum parieren! Und man gab einem jeden von euch drei lange Dolchmesser, die zischten durch die Luft wie Blitzfunken — —

„Hähä! — und der Amadeus sprang und schnellte zur Seite, so rasch und behende wie ein Seiltänzer, dass des Krämers Klinge fern ins Erdreich fuhr, oder von des Gegners Schild gefasst wurde, wie ein Fisch, so auf Köder stösst!“ —

„Wie des Lanzelot, des wackren Ritter Tapferkeit, da er gegen Galagandreiz sein Leben durch die Messer schirmte!“ nickte der Magister mit schriller Stimme und hochgelehrtem Gesicht.

„Der Lanzelot war ein Held, und ich bin’s ihm gleich!“ schrie Amadeus, mit Wucht auf den Tisch schlagend, „denn meine Klingen fuhren dem Quacksalber zwischen die Rippen und in die Eingeweid’, dass er des Aufstehns vergass!“

„Bist ein tapfrer Mann, Amadeus!“ nickte der Lambert mit schläfriger Miene.

„Gott verzeih mir die Sünd’, aber ich will nicht selig werden, wann ich nicht der beste Messerwerfer war, der jemals sich wider den Dolch geschirmet, und jener Lausbub, jener Landstreicher da will ein Ding vollführen, das nicht zu machen ist, so wahr als ein Brunnesel keinen Psaltrion spielt!“