Imperator - Simon Scarrow - E-Book

Imperator E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Rom, A.D. 55: Kaiser Claudius ist tot, auf dem Thron regiert der grausame Nero. Als Präfekt Cato und Centurio Macro von einem Feldzug zurückkehren, finden sie Rom im Chaos vor. Denn auch Neros Rivale Britannicus giert nach dem Thron. Verzweifelt versuchen Cato und Macro, eine Armee von tapferen, loyalen Kämpfern zusammenzustellen. Doch in dem Machtkampf, der nun entbrennt, droht Rom in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Für die beiden Blutsbrüder beginnt ein Kampf, bei dem nicht nur ihr Leben, sondern die Zukunft des römischen Reiches auf dem Spiel steht …

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Seitenzahl: 602

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ZUM BUCH

»Cato ging in seine Schreibstube und blickte aus dem Fenster. Immer mehr Männer und Wagen trafen ein. Einige wenige Gardisten, die in Rom geblieben waren, empfingen ihre Kameraden mit dem üblichen launigen Geplänkel. Cato fragte sich, ob sich diese Männer tatsächlich in verfeindete politische Gruppierungen aufspalten ließen und notfalls sogar bereit wären, gegeneinander das Schwert zu erheben. Es erschien ihm undenkbar, doch er wusste, dass es in der römischen Geschichte immer wieder blutige Bürgerkriege gegeben hatte. Die Armeen von Sulla und Marius, Pompeius und Caesar, Octavian und Marcus Antonius hatten sich erbitterte Kämpfe geliefert. Sie waren ihren Anführern in die Schlacht gefolgt, die ihnen unter dem Vorwand des Patriotismus ewigen Ruhm und reiche Kriegsbeute versprochen hatten. War es jetzt wieder soweit?«

Am Ende des Buches findet sich ein ausführliches Werkverzeichnis von Simon Scarrow.

ZUM AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter https://simonscarrow.co.uk

SIMON SCARROW

Imperator

Roman

Aus dem Englischen von Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe DAY OF THE CAESARS erschien 2017 bei Headline Publishing Group, London
Vollständige deutsche Erstausgabe 08/2018
Copyright © 2017 by Simon Scarrow
Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Redaktion: Lars Zwickies
Umschlagillustration: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von © Arcangel/Collaboration JS
Umsetzung Ebook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-20812-7V003
www.heyne.de

Für John Carr, der die Bücherrunde ins Leben gerufen hat, und für meine anderen langjährigen Lesekameraden: Ted, Jason, Phil, Andy, Peter, Trevor, John, Nick, Jeremy und Lawrence.

KAPITEL 1

Rom, 54 n. Chr.

Es begann, wie so oft, mit ein paar Bechern Wein. Streit und Prügeleien waren keine Seltenheit im Subura-Viertel, schon gar nicht in der Schenke RomulusunddieWölfin, die bekannt war für billigen Alkohol, fröhliche Huren und Leute, die Informationen über die Teilnehmer an den Wagenrennen verkauften. Es war eines der größten Wirtshäuser in dem Elendsviertel und nahm das ganze Erdgeschoss des Hauses an der Ecke eines kleinen Platzes ein. Hinter dem langen Tresen führte der Besitzer namens Tribonius eine kleine Gruppe von kräftig geschminkten Frauen an, die den Gästen Getränke und eine bescheidene Auswahl an Speisen servierten und darüber hinaus für all jene mit speziellen fleischlichen Gelüsten auch andere Dienste anboten. Zwei bullige Männer bei den Eingängen sorgten dafür, dass niemand mit einer Waffe hereinkam. Manche Wirte verzichteten auf diese Vorsichtsmaßnahme, aus Angst, Kundschaft zu verlieren. Doch Tribonius war seit über zwanzig Jahren in dem Geschäft und hatte genügend Stammgäste, die diese Einschränkung in Kauf nahmen, um die Freuden zu genießen, die seine Schenke bot.

An diesem Abend, einen knappen Monat nach dem Tod von Kaiser Claudius, regnete es, und die Straßen von Rom glänzten, während die Regentropfen stetig niederprasselten. Die Nachricht von Claudius’ Ableben war im einfachen Volk mit Sorge aufgenommen worden, was für das Geschäft im Romulus und die Wölfin nicht gerade günstig war. Die Menschen blieben nach Möglichkeit zu Hause, aus Angst vor Auseinandersetzungen zwischen den Unterstützern von Nero und Britannicus. Der alte Kaiser mochte ein wenig zerstreut und ungeschickt gewesen sein, doch er hatte dafür gesorgt, dass das Volk genug zu essen hatte und seine Vergnügungen bekam. Noch wichtiger war, dass unter seiner Regentschaft Ruhe und Ordnung geherrscht hatten, während die Herrschaft seiner beiden Vorgänger von Grausamkeit und Skrupellosigkeit geprägt gewesen war. Wenn jedoch der mächtigste Herrscher der Welt zwei potenzielle Nachfolger hatte, so musste es zwangsläufig zu Spannungen kommen.

Mit seinen sechzehn Jahren war Nero drei Jahre älter als Britannicus. Nero war nicht Claudius’ leiblicher Sohn, sondern das Kind seiner Gemahlin Agrippina, die ihrerseits die Tochter von Claudius’ Bruder war. Die Heirat zwischen Onkel und Nichte hatte eine Gesetzesänderung notwendig gemacht, doch die Senatoren waren gerne bereit, über eine Kleinigkeit wie Inzest hinwegzusehen, wenn sie sich damit die Gunst des Kaisers sicherten. Es hatte nicht lange gedauert, bis Claudius Nero adoptierte. Sein leiblicher Sohn Britannicus war jedoch weniger erfreut über den Stiefbruder, der zunehmend in die Favoritenrolle gelangte, da seine Mutter den Kaiser geschickt zu beeinflussen verstand. Und so hatte Claudius in den letzten Jahren seiner Regentschaft unbeabsichtigt eine Rivalität heraufbeschworen, die den Frieden in Rom bedrohte. Die Kaiserin hatte nach Claudius’ Tod sofort verkündet, dass ihr Sohn der neue Kaiser sei, doch es war allgemein bekannt, dass Britannicus und seine Verbündeten die Situation nicht akzeptierten. Entsprechend besorgt verfolgte das einfache Volk den Ausgang des Konflikts.

Einige Prätorianer mit schweren Umhängen überquerten den Platz und schritten zielstrebig auf das Wirtshaus zu. Die Männer scherzten und lachten. Sie hatten allen Grund dazu, da sie die besondere Gunst eines jeden Kaisers genossen und für ihre treuen Dienste stets reich belohnt wurden. Der neue Kaiser hielt sich an diese Tradition. Jeder einzelne Prätorianer in Rom war mit einem kleinen Vermögen bedacht worden, sodass ihre Geldbeutel prall gefüllt waren. Tribonius blickte mit einem breiten Lächeln auf, als die Soldaten hereinkamen, ihre durchnässten Umhänge abnahmen und an einen Haken hängten. Dann traten sie an den Tresen und bestellten die erste Runde. Frisch geprägte Münzen wurden auf das fleckige, zerschrammte Holz geknallt, worauf aus dem Hinterzimmer eilig Becher und Weinkrüge gebracht und den durstigen Soldaten gereicht wurden.

Sie waren nicht die ersten Gardisten, die an diesem Abend das Wirtshaus besuchten. Kurz davor war eine kleinere Gruppe gekommen, die auf den Bänken zu beiden Seiten eines Ecktisches saß. Ihre Stimmung war weitaus weniger ausgelassen, obwohl sie ebenfalls in den Genuss der kaiserlichen Großzügigkeit gekommen waren. Ihr Anführer blickte zu den Prätorianern am Tresen und zog die Stirn in Falten.

»Verdammte Narren«, brummte er. »Glauben, sie hätten was zu feiern.«

»Na ja, ein Jahressold extra ist nicht zu verachten«, meinte der Mann neben ihm mit einem schmalen Lächeln und hob seinen Becher. »Auf den neuen Kaiser.«

Seine Kameraden nahmen den Trinkspruch mit mürrischem Schweigen auf. »Was ist los, Jungs?«, fuhr der Mann voller Sarkasmus fort. »Trinkt niemand mit mir auf unseren geliebten Nero? Die sind alle so miesepetrig wie du, Priscus.«

Der Anführer wandte den Blick von den Männern am Tresen ab. »Ja, Piso, wir haben auch keinen Grund zum Jubel, mit diesem aalglatten Wunderknaben auf dem Thron. Du dienst schon genauso lange im Palast wie ich, also hast du Nero aus nächster Nähe gesehen. Du weißt, wie er ist. Er schlägt sich den Wanst mit den raffiniertesten Leckereien voll und umgibt sich am liebsten mit seinen Dichtern und Schauspielern. Und er kann verdammt fies sein. Erinnerst du dich, wie wir ihn einmal zu einem anonymen Ausflug in die Stadt begleiten mussten? Er fing einen Streit mit einem alten Kerl an und befahl uns, den Alten festzuhalten, damit er ihn niederstechen konnte.«

Piso schüttelte den Kopf, als er sich an den Vorfall erinnerte. »Du hast recht, das war nicht unbedingt unser stolzester Tag.«

»Nein«, brummte Priscus mit zusammengebissenen Zähnen. »Sicher nicht. Und als Kaiser wird er noch schlimmer. Du wirst schon sehen.«

»Wenigstens hat er uns anständig bezahlt.«

»Ja, einige von uns«, erwiderte Priscus. »Die Kameraden, die in Hispanien gekämpft haben, werden nicht erfreut sein, wenn sie nach Rom zurückkommen und leer ausgehen.«

»Da kann ich dir nicht widersprechen. Aber glaubst du, Neros kleiner Bruder wäre als Kaiser viel besser?«

Priscus überlegte einen Moment und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht nicht viel. Aber Britannicus ist kein Dummkopf, und er wurde von klein auf darauf vorbereitet, das Reich zu regieren. Außerdem ist er Claudius’ Fleisch und Blut und damit sein rechtmäßiger Erbe. Und nun wird der arme Bursche von der hinterhältigen Agrippina und diesem schleimigen Mistkerl Pallas abserviert.«

Als der Name des engsten Beraters des neuen Kaisers fiel, sah sich Piso besorgt um. Die Schenke war der ideale Ort für die Spitzel des Kaisers, um Gespräche zu belauschen und Unruhestifter ihren Auftraggebern im Palast zu melden. Pallas kannte ebenso wenig Nachsicht mit Leuten, die ihn kritisierten, wie mit jenen, die es wagten, den Kaiser selbst zu beleidigen. Doch im Moment schien niemand zu lauschen, und Piso nahm einen Schluck Wein, bevor er seinem Freund einen warnenden Blick zuwarf. »Hüte deine Zunge, Priscus, sonst bringst du dich und uns alle in Schwierigkeiten. Ich hätte auch lieber Britannicus auf dem Thron gesehen, aber jetzt ist nun einmal Nero Kaiser geworden, das können wir nicht ändern.«

Priscus lächelte. »Du vielleicht nicht. Aber es gibt Leute, die etwas unternehmen werden.«

»Was soll das heißen?«

Bevor Priscus antworten konnte, wurden sie von lautem Gelächter direkt hinter ihnen unterbrochen.

»Burschen, da ist unser Freund Priscus und sein trauriger Haufen!«

Priscus erkannte die Stimme sofort, drehte sich jedoch nicht um. Er stellte seinen Becher ab und sagte laut und deutlich: »Biblius, warum scherst du dich nicht zum Teufel und lässt mich in Ruhe meinen Wein trinken?«

»Ich soll mich zum Teufel scheren?« Der Mann ging um den Tisch herum und sah auf Priscus und seine Kameraden hinunter. »Begrüßt man so einen alten Freund, der Wein mitbringt?«

Er zog den Korken aus dem Krug unter seinem Arm und füllte Priscus’ Becher randvoll, bevor dieser reagieren konnte. Dann erhob er seinen Becher.

»Also, Jungs. Wer trinkt mit mir auf unseren Wohltäter? Auf Kaiser Nero – mögen die Götter ihn schützen!« Er leerte seinen Becher in einem Zug, warf ihn mit lautem Klirren auf den Boden und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ein guter Tropfen.«

Kein Einziger hatte in seinen Trinkspruch eingestimmt, und er schaute in die Runde und hob eine Augenbraue. »Was soll das? Ihr trinkt nicht auf unseren Kaiser? Irgendwie habe ich den Verdacht, euch fehlt es an der nötigen Loyalität.« Er wandte sich seinen Freunden zu, die ein paar Schritte entfernt am Tresen standen. »Was meint ihr, Burschen? Ich glaube, diese Bande hält nicht viel von Nero. Manche würden darin mehr als nur mangelnde Loyalität sehen, nämlich Verrat. Vielleicht haben sie ja gehofft, dass dieser kleine Wicht Britannicus auf den Thron kommt. Aber unser Mann hat nun mal gesiegt, und eurer verloren. Die Entscheidung ist gefallen, und ihr solltet schnell aufhören zu jammern und euch damit abfinden.«

Priscus stand langsam auf, erhob seinen Becher und wandte sich Biblius zu. »Verzeih, Bruder. Wo habe ich nur meine Manieren?«

Er neigte den Becher, und ein dünner Strahl dunkelroten Weins ergoss sich über Biblius’ Hand und seinen Arm bis hinauf zum Kopf. Priscus schüttelte den Becher leicht, um das Gefäß bis zum letzten Tropfen zu leeren. Dann zog er seine Hand zurück und sah Biblius schweigend an. Dessen Miene verfinsterte sich.

»Das wirst du bereuen, Priscus.«

»Wirklich?«

Priscus knallte dem Soldaten den Becher ins Gesicht und zertrümmerte das Gefäß ebenso wie Biblius’ Nase. Der taumelte mit blutüberströmtem Gesicht zurück, und Priscus rief seinen Freunden zu: »Worauf wartet ihr? Denen zeigen wir’s!«

Mit lautem Gebrüll sprangen seine Kameraden auf und warfen den Tisch um, bevor sie auf die anderen Prätorianer losgingen, die ihre Fäuste wie Hämmer erhoben. Priscus konzentrierte sich weiter auf Biblius. Er hatte den Mann schon immer für ein dummes Großmaul gehalten, und jetzt war der Moment gekommen, um ihm eine Lektion zu erteilen. Er sprang vor, versetzte ihm einen Kinnhaken und ließ einen Hieb in die Magengrube und einen Schlag gegen den Kiefer folgen, der Biblius nach hinten taumeln ließ.

Der Gardist funkelte Priscus wütend an. »Du bist tot!«, brüllte er. »Mausetot!«

Doch bevor er seine Drohung wahrmachen konnte, griff Priscus erneut an. Biblius riss den Kopf zurück, um dem Schlag auszuweichen, war jedoch nicht schnell genug, sodass ihn die Faust an der Kehle traf. Priscus spürte, wie der Knorpel nachgab, und Biblius stöhnte auf und fasste sich, nach Luft ringend, an die Kehle. Mit erhobenen Händen und leicht geduckt wartete Priscus auf die Reaktion seines Gegners. Doch Biblius wich ein paar Schritte zurück, sein Mund ging auf und zu, und seine Augen quollen aus den Höhlen hervor. Dann stolperte er gegen einen Hocker, stürzte nach hinten und knallte mit dem Kopf auf die Steinplatten. Er lag da und starrte zur Decke, seine Augenlider flatterten, dann zuckte er noch einmal und rührte sich nicht mehr.

Priscus trat zögernd zu ihm, während beim Tresen der Kampf zwischen den beiden Gruppen in vollem Gange war. Niemand achtete auf ihn, und er stieß Biblius mit der Stiefelspitze an.

»Steh auf!«

Es kam keine Reaktion, deshalb trat er den Mann etwas fester. »Auf mit dir, du Mistkerl, dann zeig ich dir, wie es Neros Anhängern ergeht.«

Biblius nahm den Tritt widerstandslos hin, und Priscus überkam ein erster Anflug von Angst. Er öffnete seine Fäuste und ging neben dem Mann in die Knie.

»Biblius?«

»Er ist tot!«

Priscus hob den Kopf und sah ein Serviermädchen auf ihn herabschauen. Sie hob schockiert die Hand an den Mund.

»Du hast ihn umgebracht!«

»Nein. Ich …«

»Er ist TOT!«, rief sie laut.

Einige Prätorianer unterbrachen die Schlägerei und sahen zu ihm herüber. Priscus blickte kopfschüttelnd auf den Mann hinunter, den er niedergeschlagen hatte. Er wusste, dass das Mädchen recht hatte.

»Aber es war ein Unfall …«

Biblius war tot. So sicher, wie die Sonne morgens aufging. Und es gab nur eine Strafe für einen Soldaten, der einen Waffenbruder tötete. Er richtete sich auf und wich rückwärts zur Tür zurück.

»Du hast ihn umgebracht.« Einer von Biblius’ Männern deutete mit dem Finger auf Priscus.

Priscus drehte sich um und rannte ohne Umhang auf die Straße hinaus in den kalten Regen. Ohne nachzudenken lief er in die entgegengesetzte Richtung des Prätorianerlagers, weg von den aufgeregten Stimmen aus der Schenke.

Er war noch nicht weit gekommen, als er jemanden rufen hörte: »Da rennt er!« Er sprintete, was das Zeug hielt, bis er eine dunkle Gasse vor sich sah. Rasch tauchte er in die Gasse ein, bog wenig später rechts ab, dann nach links, und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Bald verloren sich die Stimmen und Schritte der Verfolger hinter ihm, doch er lief noch eine ganze Weile weiter. Erst in einer Straße beim Forum blieb er stehen und drückte sich, nach Luft ringend, in einen dunklen Hauseingang.

Er hatte einen Mann getötet. Es war ein Unfall gewesen, ein simpler Unfall. Doch die militärischen Regeln waren streng. Wenn er gefasst wurde, war er so gut wie tot. Vor allem, wenn bekannt wurde, wie ablehnend er Kaiser Nero gegenüberstand. Die Führung der Prätorianergarde war ohnehin schon nervös wegen der Spaltung in den eigenen Reihen. Sie würden an ihm ein Exempel statuieren, um einerseits zu demonstrieren, wie es Soldaten erging, die sich gegen Nero stellten, und ihn andererseits für den Mord an einem Waffenbruder zu bestrafen.

Es gab nur einen Ort, an dem er Zuflucht finden konnte. Dort würde er Männer antreffen, die seine Ansichten teilten. Sie würden ihn verstecken, bis sich die Lage beruhigte. Zusammen mit ihnen würde er auf den richtigen Moment warten, um den Thronräuber Nero zu stürzen und seine Unterstützer zu töten. Sie würden nicht erfreut sein über das, was Priscus getan hatte, doch sie waren auf ihn und seine herausragenden Fähigkeiten angewiesen und konnten es sich nicht leisten, ihm Zuflucht zu verweigern.

Als er wieder bei Atem war, hatte es aufgehört zu regnen, und Priscus wusste, wie er vorgehen würde. Er trat aus dem Hauseingang und schritt ruhig die Straße entlang, wie ein Mann mit einem reinen Gewissen. Er wusste genau, wo er hinwollte und wohin ihn die Zukunft führen würde.

KAPITEL 2

Senator Sempronius hatte Freunde zu einem festlichen Mahl geladen, als die ungebetenen Gäste an seine Haustür klopften. Es war ein bescheidenes Haus für einen Aristokraten seines Ranges, doch Sempronius hatte seinen Namen nie benutzt, um eine lukrative Konzession zur Einziehung von Steuern zu erhalten oder sich andere Vorteile zu verschaffen. Er hatte sogar seiner einzigen Tochter erlaubt, unter ihrem Stand zu heiraten und Quintus Licinius Cato, einen jungen, vielversprechenden Offizier, zum Mann zu nehmen. Obwohl Julia nicht lange nach der Hochzeit verstorben war, hatte sie dem Senator einen Enkelsohn geschenkt, der den Namen der Familie weitertragen würde.

Der Tod von Kaiser Claudius vor einem knappen Monat hatte Sempronius nicht wirklich überrascht. Der Kaiser war alt und kränklich gewesen und hatte sich kaum noch in der Öffentlichkeit gezeigt. Er sei friedlich entschlafen, hatte es geheißen, im Kreise seiner Familie und seiner engsten Berater. Sein Nachfolger war fast im selben Moment verkündet worden, was manch zynischeren Bewohner der Hauptstadt anmerken ließ, dass die Ernennung eines neuen Kaisers einiger Vorbereitung bedurfte und dass man Claudius’ Leichnam wahrscheinlich in einem Nebenzimmer habe verwesen lassen, während die Gefolgsleute seines Nachfolgers ihrem Kandidaten den Thron sicherten.

Und so war Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus dem römischen Volk als neuer Herrscher präsentiert worden. Es gab jedoch Gerüchte, wonach Claudius von seiner jungen Frau Agrippina ermordet worden sei. Vergiftet. Sie habe ihrem Sohn den Kaiserthron sichern wollen, obwohl es kein Geheimnis war, dass viele einflussreiche Persönlichkeiten entschieden gegen Nero eingestellt waren. Einige von ihnen fanden sich an diesem kalten Dezemberabend im Haus von Senator Sempronius ein.

Die Regenwolken hatten sich verzogen, und der Nachthimmel war klar. An den Rändern des großen Gartens hinter dem Haus waren Tische und Speisesofas aufgestellt worden, und die Gäste des Senators wärmten sich an den Feuerschalen und nahmen sich von dem Gebäck, das auf mehreren Tellern serviert worden war. Der Gastgeber hatte den Ehrenplatz auf einem Podium eingenommen, wo er von besonders angesehenen Gästen umgeben war. Zu seiner Rechten lag Britannicus – ein mürrisch dreinblickender, intelligenter Junge, der die Kruste von einem Stück Wildpastete pickte. Hinter seiner Liege stand sein Leibsklave, ein hünenhafter ehemaliger Gladiator, dem man die Zunge herausgeschnitten hatte, um sicherzustellen, dass er niemals etwas von dem, was er hörte, verraten konnte.

Sempronius saß nach links gebeugt und diskutierte mit einem stämmigen Senator mit kurz geschnittenem Haar und dessen Frau über die jüngsten Nachrichten aus Hispanien, als seine Aufmerksamkeit von Croton, seinem Bediensteten, abgelenkt wurde, der ihm aus dem Korridor zur Eingangstür zuwinkte. Sempronius tupfte sich die Lippen mit den Fingerspitzen ab. »Bitte, entschuldige mich einen Moment, Vespasian. Ich glaube, ich werde gebraucht.«

Sein Gast runzelte die Stirn. »Was gibt’s?«

Sempronius deutete zu seinem Bediensteten, und Vespasians Gemahlin nickte verständnisvoll. »Wenn man Gäste hat, kommt man selbst nie zur Ruhe. Das kenne ich.«

»Ja. Aber lass dich nicht stören, Domitia, und genieße die kleinen Leckereien. Ich glaube, du wirst feststellen, dass meine Köchin in der Kunst des Backens unerreicht ist.«

Mit einem Lächeln erhob sich Sempronius von seiner Liege, wischte sich die Krümel von der Tunika und ging zu Croton, der ihn mit sorgenvoller Miene erwartete.

»Was ist los?«, fragte der Senator. »Geht es um den verdammten Leierspieler? Ist er mit der Bezahlung nicht einverstanden?«

»Das ist es nicht, Herr. Ein Mann vom Palast ist hier. Er sagt, Pallas habe ihn geschickt.«

»Pallas?« Sempronius zog die Stirn in Falten. Was konnte der ehemalige Sklave, der seit Langem als kaiserlicher Sekretär tätig war, zu dieser späten Stunde von ihm wollen? Zweifellos ließ der Mann ein bisschen die Muskeln spielen, nun, da der Bursche, auf dessen Seite er sich geschlagen hatte, auf den Thron gelangt war. Pallas war bereits unter Claudius ein reicher Mann geworden und bestimmt entschlossen, sein Vermögen und seinen Einfluss unter Nero weiter zu vergrößern. Es war eines der unerhörten Merkmale dieser Zeit, dass freigelassene Sklaven – wenn sie nur verschlagen und hinterlistig genug waren – oftmals über mehr Macht und Einfluss verfügten als der Senat. Die Angehörigen dieser ehrwürdigen Institution hatten Rom seit der Zeit regiert, als die letzten Könige abgesetzt worden waren – bis die Kaiser die Herrschaft übernommen hatten. Heute standen die Senatoren ganz im Schatten des Herrschers, wenngleich manche immer noch von einer Rückkehr zu den glorreichen Tagen der Republik träumten. Damals hatte man noch den römischen Idealen gedient, und nicht einer Reihe von Despoten, die sich als Götter aufspielten, und deren Verhalten oft unberechenbar, grausam und dumm war.

»Also gut. Dann wollen wir mal sehen, was er will.«

Der Senator folgte Croton durch das Haus zur Eingangshalle. Ein dünner Mann in der blauen Tunika des kaiserlichen Haushalts wartete bei der mit Ziernägeln beschlagenen Tür. Er verbeugte sich flüchtig, ehe er sprach.

»Senator Sempronius, ich überbringe dir Grüße von Marcus Antonius Pallas, dem Ersten Freigelassenen des Kaisers.«

»Erster Freigelassener?« Diesen Titel hatte Sempronius noch nie gehört. Pallas arbeitete offensichtlich daran, seine Stellung an Neros Seite zu festigen.

»Ja, Herr. Ich soll dir von meinem Herrn mitteilen, dass der Kaiser und sein Gefolge dir die Ehre eines Besuchs in deinem Haus erweisen wollen.«

Sempronius’ Herzschlag beschleunigte sich. »Hat er gesagt, warum?«

»Ich soll dir sagen, es handelt sich um einen Höflichkeitsbesuch, Herr.« Das leise Lächeln des Sklaven verriet, dass er die Besorgnis des Senators über die Nachricht vorhergesehen hatte. »Mein Herr sagt, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«

»Ich bin nicht beunruhigt, verdammt!«, versetzte Sempronius gereizt. »Für wen hält sich dieser Emporkömmling von einem Freigelassenen?«

Der Sklave öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, überlegte es sich dann aber anders und verbeugte sich ehrerbietig. Sempronius funkelte den Mann wütend an und zwang sich zur Ruhe. »Also gut, wann kommt der Kaiser? Ich schicke meine Köchin gleich morgen früh zum Markt. Gibt es etwas, das er besonders gerne isst?«

»Herr, er kommt heute Abend.«

»Heute Abend?«

Der Senator wechselte einen kurzen Blick mit Croton. Sie hatten das heutige Festmahl tagelang vorbereitet, und nun mussten sie alles abbrechen und die Gäste wegschicken.

»Sie müssen jeden Moment hier sein, Herr. Das kaiserliche Gefolge war bereits am Fuße des Hügels, als sie mich vorausschickten, um die Ankunft des Kaisers anzukündigen.«

Der Fuß des Viminalhügels war höchstens eine Viertelmeile entfernt, und während Sempronius noch überlegte, wie lange es dauern würde, bis der Kaiser mit seinem Gefolge an seine Tür klopfte, hörte er bereits das Trampeln von genagelten Stiefeln von der Straße und eine Stimme, die die Umstehenden aufforderte, den Weg freizumachen. Er hatte keine Zeit mehr, um sich auf den unerwarteten Besuch vorzubereiten. Der Senator schluckte nervös und nickte Croton zu.

»Öffne die Tür.«

Der Bedienstete schob den Eisenriegel aus der Halterung und zog die schwere Tür mit einem leisen Knarren nach innen auf. Kalte Luft wehte in die Eingangshalle und trug den Gestank von Abwässern und verfaultem Gemüse von der Straße herein. Die niedrigen Flammen in den kleinen Feuerschalen, die zu beiden Seiten der Tür hingen, warfen einen schwachen Lichtschein auf die gepflasterte Straße, die am Haus des Senators vorbeiführte. Zur Linken fiel sie zum Forum ab, und keine dreißig Schritte entfernt erblickte Sempronius einen Prätorianer, der eine Fackel hochhielt, gefolgt vom Helmbusch eines Offiziers und den schimmernden Rüstungen eines kleinen Trupps Soldaten. Dahinter schaukelten zwei Sänften sanft hin und her, deren Träger sich abmühten, mit den Gardisten Schritt zu halten. Zwischen dem Haus und dem kaiserlichen Gefolge standen – vom Licht einer Schenke an der Ecke erhellt – mehrere Jugendliche, die Daumen herausfordernd in die breiten Ledergürtel gehakt. Einige hielten noch ihre Trinkbecher in den Händen.

»He, ihr da! Aus dem Weg!«, rief ihnen der Prätorianeroffizier zu. »Sonst versohle ich euch den Arsch mit meinem Schwert. Los!«

Der Größte der jungen Burschen, dessen pockennarbiges Gesicht von dunklen Locken umrahmt war, trat vor und neigte den Kopf zur Seite.

»Was ist das denn? Kriegen wir etwa Besuch in unserer Straße? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir sie eingeladen hätten.«

Die anderen, deren Stimmung von billigem Wein befeuert war, lachten und spotteten über die herannahenden Prätorianer.

»Wer hat euch gesagt, dass ihr in unser Viertel kommen sollt?«

»Der Kaiser! Und jetzt macht, dass ihr verschwindet, wenn ihr nicht den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden wollt.«

Einer der Burschen hob die Finger an den Mund und stieß einen spöttischen Pfiff aus. Der Anführer der Bande leerte seinen Becher und schleuderte ihn in Richtung der Soldaten. Das Gefäß traf den Helm des Offiziers und zersplitterte in zahllose Scherben.

»Ihr kleinen Mistkerle!«, brüllte der Offizier. »Euch werde ich’s zeigen!«

Er zückte sein Schwert, schob den Mann mit der Fackel beiseite und stürmte auf die jungen Männer zu. Der Anführer drehte sich zu seinen Freunden um.

»Zeit zu verduften, Leute!«

Mit spöttischen Rufen flitzten sie an Sempronius’ Haus vorbei und bogen in eine schmale Gasse ein, bis ihr Gelächter in der Ferne verklang. Der Offizier schob fluchend sein Schwert in die Scheide und führte den Trupp zum Hauseingang, wo er einen Befehl brüllte. Die Gardisten hielten an, und der befehlshabende Offizier wartete einen Moment, ehe er seine Anweisungen gab. Die Männer trotteten paarweise davon, um zur Bewachung der Straße und der Seitengassen in Position zu gehen. Sobald alle auf ihren Posten waren, winkte der Offizier die Träger mit den Sänften herbei, dann wandte er sich Sempronius zu und salutierte.

»Sextus Afranius Burrus, Präfekt der Prätorianergarde.«

Sempronius hatte den Mann noch nie gesehen, doch der Name war ihm bekannt. Burrus gehörte zu den Offizieren, die in den letzten Monaten von Claudius’ Regentschaft auf den Rat von Pallas und der Kaiserin hin befördert worden waren. Er zählte zu jenen, die Neros Machtübernahme unterstützt hatten.

Der Senator hatte keine Zeit mehr, den Gruß zu erwidern, denn die erste Sänfte hatte bereits den Hauseingang erreicht. Der führende Träger gab eine Anweisung, worauf die Sänfte vorsichtig abgesetzt wurde. Sempronius hörte einen leisen Wortwechsel, dann schob sich eine Hand zwischen den Falten des Stoffs hervor, der die Sänfte umgab, und zog den Vorhang zurück. Einen Moment lang sah man nur leuchtend rote Lederstiefel, ehe sich der Kaiser aus der Sänfte schwang und sich streckte. Er ignorierte Sempronius und reichte seiner Mutter die Hand. Im nächsten Augenblick stand Agrippina an seiner Seite. Ihr kunstvoll arrangiertes Haar war ein wenig in Unordnung geraten, und sie zog ihre Stola etwas enger um die Schultern. Sempronius erblickte einen kleinen roten Fleck, wie eine Bissspur, an ihrem Hals, und blickte rasch zur Seite.

Nero legte seiner Mutter den Arm um die Taille und wandte sich dem Senator zu.

»Ah! Mein lieber Senator Sempronius!«, sagte er in einem Ton, als hätte er ihn zufällig auf der Straße getroffen. »Freut mich, dich zu sehen.«

Sempronius verbeugte sich. »Die Freude ist ganz meinerseits, o Caesar.«

»Davon bin ich überzeugt. Aber lassen wir doch die Förmlichkeiten. Wir sind ja jetzt alle Freunde.«

»Das ist mir eine große Ehre.«

Nero machte eine wegwerfende Geste. »Man hat mir gesagt, dass du heute Abend Gäste hast. Ein Fest.«

Sempronius nickte. »Eine bescheidene Zusammenkunft.«

»Gewiss, nach den Maßstäben des Palasts. Wie ich höre, ist auch mein Stiefbruder unter deinen Gästen.«

»Ja, o Caesar.«

Nero trat einen Schritt näher, sodass ihre Gesichter höchstens einen Fuß voneinander entfernt waren. Er musterte den Senator schweigend, dann neigte er den Kopf zur Seite und tippte ihm auf die Brust. »Wie gesagt, wir wollen heute ganz zwanglos sein. Du kannst mich heute Abend einfach nur Nero nennen.«

Aus der zweiten Sänfte war ebenfalls eine Gestalt gestiegen, die nun nach vorne trat. Im Lichtschein der Feuerschalen sah Sempronius, dass es Pallas war. Der kaiserliche Sekretär trug eine Tunika aus purpurner Seide unter einem Umhang aus Wolle. An seinen Fingern glänzten Edelsteine und Gold.

Nero wandte sich ihm zu. »Britannicus ist hier, wie du gesagt hast.«

Pallas lächelte schmallippig. »Natürlich. Die Frage ist: Warum ist er hier?«

Die Frage war an Sempronius gerichtet, doch der Sekretär lächelte weiter den Kaiser an, als wäre der Senator nur irgendein Lakai. Sempronius schluckte schwer und schwieg, bis Pallas seine dunklen Augen auf ihn richtete.

»Nun, Senator?«

»Ich habe eng mit Kaiser Claudius zusammengearbeitet und kenne Britannicus von klein auf. Es war damals meine Pflicht, mich ein bisschen um ihn zu kümmern, und das sehe ich heute noch so. Ich glaube, ich bin es seinem Vater schuldig, der immer sehr gütig zu mir war.«

»Sehr edel von dir«, lächelte Nero. »Ich bin sicher, mein verstorbener Vater wäre dir dankbar für deine fürsorgliche Haltung gegenüber seinem Sohn. Wenn du jetzt so freundlich wärst, uns an deinem Fest teilhaben zu lassen. Wir sind hungrig. Kommt!«

Ohne auf eine Einladung zu warten, traten der Kaiser und seine Mutter ein und schritten durch die kleine Eingangshalle zu dem Korridor, der zum Garten führte. Pallas wies Burrus an, niemanden ohne seine Erlaubnis aus dem Haus oder hinein zu lassen, dann folgte er den beiden ins Haus. Sempronius eilte hinterher und schloss zum kaiserlichen Sekretär auf.

»Ich wäre gerne vorher verständigt worden«, sagte er leise, aber scharf.

»Und ich wäre gerne davon verständigt worden, wo sich Britannicus aufhält. Er hat den Palast verlassen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Er wurde erst vermisst, als sich die kaiserliche Familie zum Essen versammelte. Einer seiner Sklaven hat dann sehr schnell die Wahrheit ausgespuckt. In dieser Situation wirst du verstehen, dass es uns verdächtig erscheint, wenn Britannicus plötzlich aus dem Palast verschwindet.«

Sempronius warf ihm einen Seitenblick zu. Wenn der Prinz unter Verdacht stand, dann galt das wohl genauso für jene, mit denen er sich traf.

»Es ist doch nichts dabei, dass er die Einladung angenommen hat, zu meinem Fest zu kommen. Wie gesagt, wir sind gut befreundet.«

»Befreundet.« Pallas nickte. »Das ist gut. In Zeiten wie diesen sind echte Freunde besonders wertvoll. Man muss wissen, wem man vertrauen kann und wem nicht, und dementsprechend handeln. Das gilt für uns alle, mein lieber Senator Sempronius, vom ärmsten Bewohner eines Elendsviertels bis zum Kaiser persönlich. Verstehst du?«

»Absolut.«

Pallas klopfte ihm auf die Schulter. »Sehr gut. Aber jetzt haben wir Britannicus ja gefunden und müssen uns keine Sorgen mehr machen.«

Sie traten direkt hinter Nero und seiner Mutter aus dem Gang. Von einem Moment auf den anderen verstummte das Stimmengewirr, und es herrschte Stille, bis auf das leise Plätschern des Wassers in einem Brunnen. Sempronius sah zu dem erhöhten Essbereich hinüber und sah Britannicus besorgt aufblicken.

Agrippina klatschte in die Hände. »Was für ein reizendes Fest!«, rief sie aus. »Ihr habt ein bisschen ländliche Atmosphäre in unsere muffige Stadt gezaubert. Und so viele bekannte Gesichter!«

Sie eilte zu den Gästen, die ihr am nächsten saßen, und begrüßte sie mit ihren Namen. Die Angesprochenen erhoben sich respektvoll.

»Bitte, nehmt Platz. Wir wollten nur kurz vorbeischauen und ein bisschen mit euch feiern. Senator Granicus, welche Freude. Und du, meine liebe Cornelia.«

Nero trat an die Seite seiner Mutter und schritt mit ihr zu dem Podium, auf dem sich Sempronius’ Ehrengäste niedergelassen hatten. Der Senator drehte sich um und winkte dem Bediensteten zu. »Schnell, hol noch zwei Liegen für unseren Tisch.«

Nero hörte die Bemerkung und schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, mein Freund. Wir setzen uns gern irgendwohin, wo noch Platz ist. Nur keine Umstände.«

Vespasian und seine Frau hatten sich bereits von ihren Liegen erhoben und gingen beiseite, als Agrippina zu ihnen kam.

»Seid ihr sicher?«

Vespasian verbeugte sich. »Selbstverständlich. Wir finden schon einen Platz.«

»Sehr freundlich von euch.« Agrippina wandte sich mit einem schnippischen Lächeln an Domitia. »Was für einen höflichen Gemahl du hast. So zuvorkommend.«

»Ja«, antwortete Domitia kurz angebunden. »Das ist er.«

Agrippina drehte sich um, legte sich anmutig auf das Speisesofa und klopfte auf das Kissen neben sich. »Komm, Nero. Setz dich zu deiner Mutter.«

Er kam der Aufforderung nach und betrachtete die Teller mit dem frischen Gebäck. Pallas trat – seinem niedrigeren Status entsprechend – zurück und verschränkte die Hände. Agrippina schaute in die Runde der Gäste, unter denen immer noch betretenes Schweigen herrschte.

»Esst ruhig weiter. Sempronius, bitte, nimm Platz. So ist es besser.«

Ein Gast begann leise zu sprechen, und bald wurden die Stimmen ringsum wieder lauter, während die Gäste sich von dem Gebäck nahmen und es auf ihre Silberteller legten. Agrippina wartete, bis sie und Nero nicht länger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen, dann wandte sie sich Britannicus zu. Das Gesicht des Prinzen zeigte keine Regung, doch Sempronius sah, dass seine Hände zitterten. Seine Stiefmutter beugte sich vor und bot ihm ihre Wange dar. »Gib mir einen Kuss, mein Lieber.«

Britannicus bemühte sich, seine Nervosität und seine Abneigung im Zaum zu halten, schluckte schwer, beugte sich vor, berührte mit den Lippen flüchtig ihre gepuderte Wange und wich sofort wieder zurück.

»Also, da wären wir ja alle wieder beisammen.« Agrippina klatschte in die Hände. »Eine glückliche Familie …«

KAPITEL 3

Die Gruppe rund um den Kaiser plauderte eine Weile, bis der erste Gang beendet war und Sempronius dem Bediensteten mit einer Geste bedeutete, die Teller mit dem Gebäck abzuräumen. Der junge Kaiser beherrschte das Gespräch, schwärmte von den Vorzügen der griechischen Kultur und verlieh seinem Wunsch Ausdruck, mehr Poesie und Musik in das Leben des römischen Volkes zu bringen. Es war eines seiner Lieblingsthemen, wie Sempronius schon bei verschiedenen Anlässen hatte feststellen können. Er hatte sich mittlerweile an Neros geschwollenes Gerede gewöhnt und ließ es gelangweilt über sich ergehen.

Der Kaiser wischte sich ein paar Krümel aus dem dünnen Kinnbart, kaute hastig und schluckte den Bissen hinunter, um mit seinen Ausführungen fortfahren zu können. »Das heißt natürlich nicht, dass die feineren Künste auch für den Pöbel geeignet sind. Ganz und gar nicht. Der Pöbel mag vielleicht seinen Spaß an einer deftigen Komödie oder einer einfachen Melodie haben, aber im Großen und Ganzen will er lieber blutige Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen sehen. Gewiss, auch damit kann man sich bisweilen vergnügen, aber was ein Mann wert ist, zeigt sich doch viel eher in seinem Verständnis für die hohe Kunst. Würdest du mir nicht zustimmen, Sempronius?«

»Wie könnte ich einer so bestechenden Argumentation nicht zustimmen?«

»Ganz recht. Und Tatsache ist nun einmal, dass die meisten Menschen gar nicht imstande sind, die Kunst zu schätzen. Dazu benötigt man eine gewisse Sensibilität, ein ästhetisches Gespür, das man entweder hat oder nicht. Man kann es nicht erlernen.«

»Ach, wirklich?«, warf Britannicus ein und beugte sich vor, um seinen Bruder besser sehen zu können, der teilweise von Sempronius verdeckt war. »Dann sag mir, wird ein Mensch etwa mit der Fähigkeit geboren, ein Musikinstrument zu spielen – die Leier beispielsweise? Wenn du recht hast, wie kommt es dann, dass man das Leierspiel erst lernen muss?«

Nero seufzte. »Du nimmst alles, wie immer, zu wörtlich, Bruder. Natürlich muss man ein Instrument erst lernen, aber die Begabung, dem Instrument große Kunst zu entlocken, ist angeboren. So wie die Fähigkeit, zu singen.«

»Ach so, dann hättest du es so ausdrücken müssen.«

Nero runzelte die Stirn. »Manchmal ist dein pedantisches Gehabe schwer zu ertragen.«

»Ich wiederum finde deine unpräzise Ausdrucksweise manchmal schwer zu ertragen, Bruder. Ich hätte mir mehr von dir erwartet, nachdem Seneca dein Mentor und Lehrer geworden ist.«

Nero kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich fürchte, du vergisst dich, Bruder. Du sprichst mit dem Kaiser, also gib acht, was du sagst.«

»Das tue ich immer. Und ich erinnere mich auch daran, wie du in den vergangenen Tagen immer wieder darauf hingewiesen hast, dass du in deiner Regentschaft auf eine freie Meinungsäußerung Wert legen wirst und Schluss machen willst mit der Verfolgung von Personen aufgrund ihrer Ansichten. Das gehört alles zu dem Goldenen Zeitalter, das du ausgerufen hast, stimmt’s?«

Nero schwieg einen Moment lang, ehe er antwortete. »Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, du machst dich über mich lustig.«

»Dann kennst du mich schlecht.«

»Ich habe dich gewarnt. Ich habe lange Geduld gehabt mit deinen spitzfindigen Bemerkungen, mein lieber Bruder. Treib es bloß nicht zu weit. Es stimmt, dass ich in einem strengen Haus ohne Bücher aufgewachsen bin, während du immer die besten Lehrer hattest, die dein Vater finden konnte. Es ist auch wahr, dass ich eine lieblose Kindheit hatte, während meine Mutter im Exil ihr Dasein fristen musste. Du hingegen hattest das Privileg, im Palast als Sohn des Kaisers aufzuwachsen. Aber die Dinge haben sich geändert. Dein Vater – unser Vater – ist tot, und ich bin Kaiser. Ich habe die Macht, über Leben und Tod aller zu entscheiden, die in meinem Reich leben.«

Britannicus zuckte mit den Schultern. »So viel zum Goldenen Zeitalter der freien Meinungsäußerung.«

»Du solltest mich nicht provozieren, mein lieber Britannicus. Auch meine Geduld hat Grenzen.«

In dem Bemühen, den Frieden zu wahren, wandte sich Sempronius an den Kaiser. »Du hast vom Singen gesprochen. Singst du noch, so wie als Kind? Du hattest schon damals eine hervorragende Stimme.«

Nero sah ihn stirnrunzelnd an. Es gefiel ihm gar nicht, von der Auseinandersetzung mit seinem Bruder abgelenkt zu werden. »Ich singe noch, ja. Und zufällig sehr gut. Ich habe eine natürliche Begabung dafür.«

Britannicus konnte sich ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen, und Nero zuckte zusammen, als hätte man ihn ins Gesicht geschlagen.

»Mein Stiefbruder teilt dein Urteil über meinen Gesang offenbar nicht. Vielleicht glaubt er ja, dass er es besser kann als ich. Ist es so?«

Britannicus zuckte mit den Schultern und griff nach seinem Trinkkelch. Er nahm einen Schluck und leckte sich über die Lippen, ließ Neros Frage jedoch unbeantwortet. Die Luft zwischen den beiden jungen Leuten knisterte vor Anspannung, und Sempronius fühlte sich äußerst unwohl zwischen den beiden Streithähnen. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und unternahm einen Versuch, das peinliche Schweigen zu durchbrechen.

»Ich habe euch beide singen gehört und muss sagen, ihr habt beide ausgezeichnete Stimmen. Das ist eine Begabung, auf die man stolz sein kann.«

»Wie kann man auf etwas stolz sein, das einem von den Göttern gegeben wurde?«, erwiderte Nero. »Ein wahrer Künstler ringt um die Vollendung, die das Ergebnis seiner eigenen Bemühungen ist. Ohne Hilfe seitens der Götter oder der Mitmenschen. Das Leben eines Künstlers ist ein ständiger Kampf. Das ist nur wenigen bewusst. Aber ich kann es keinen Augenblick lang vergessen.«

»Natürlich.« Sempronius nickte verständnisvoll. »Du trägst die Last der Welt auf deinen Schultern, o Caesar. Das ganze Imperium blickt auf dich und erwartet eine starke und gerechte Herrschaft von dir. Die Bewohner dieser wunderbaren Stadt erwarten von dir eine ausreichende Versorgung mit Getreide und die großartigsten Vergnügungen, die man auf dieser Welt finden kann. Das verlangt nach so großer Weisheit, wie ein Mensch sie nur aufbringen kann.«

Britannicus hob mitfühlend die Augenbrauen. »Aber mein Bruder ist ja nicht irgendein Mensch. Er hat die Seele eines Künstlers und empfindet den Tod einer jeden Kreatur als Tragödie. Vielleicht wäre es ein Segen, ihn von den langweiligen Aufgaben eines Herrschers zu entbinden, damit er seiner wahren Bestimmung folgen und das römische Volk mit seiner Musik und Poesie beschenken kann. Seine Stimme soll sich dem Gesang widmen können, und nicht schnöde Verordnungen und Erlässe verkünden.«

»Es reicht!«, schnaubte Nero. »Ich habe genug von deinem beißenden Spott, Bruder. Du hast das Herz einer Schlange. Und wenn du sprichst, höre ich auch das Zischen einer Schlange …« Er hielt einen Moment inne, und sein Gesicht nahm einen verschlagenen Ausdruck an. »Es gibt nur einen Weg, das Talent meines Bruders auf die Probe zu stellen, mein lieber Sempronius. Ein Gesangswettstreit.«

»Ein Wettstreit?« Sempronius zuckte zusammen. »Hier? Jetzt?«

»Warum nicht?« Nero erhob sich, stellte sich auf die Liege und klatschte in die Hände. »Meine Freunde! Ich bitte um eure Aufmerksamkeit!«

Erneut wurde es still ringsum, und die Gäste wandten sich neugierig dem Kaiser zu.

»Setz dich«, raunte Agrippina ihrem Sohn zu. »Du machst dich zum Narren. Du bist der Kaiser und musst eine gewisse Würde wahren.«

»Ich muss diesem Bengel zeigen, dass er sich mir nicht länger widersetzen kann«, erwiderte Nero. »Ich muss ihm eine Lektion erteilen.«

»Aber …«

Er richtete seinen Finger auf sie. »Schweig, Mutter.«

Agrippina zog die Stirn in Falten und wollte etwas erwidern, hielt sich aber zurück und beugte anmutig den Kopf. »Wie du wünschst, mein Lieber.«

»Genau. Wie ich wünsche. Ich sage jetzt den anderen, was sie zu tun haben.« Nero neigte den Kopf leicht zurück, um seine Autorität zu unterstreichen, dann holte er Atem und wandte sich an die Gäste. »Meine lieben Freunde, es ist gute Tradition, zwischen den Gängen für Unterhaltung zu sorgen. Deshalb habe ich nun beschlossen, für euch zu singen. Wie ihr wisst, sagt man mir nach, eine recht ordentliche Stimme zu besitzen.« Er lächelte, und Pallas, der hinter ihm stand, klatschte laut. Agrippina folgte seinem Beispiel, Sempronius ebenso. Einige andere verstanden den Wink und spendeten ebenfalls Beifall, bis sich auch die Begriffsstutzigeren anschlossen. Der junge Kaiser genoss den Applaus, dann winkte er mit den Händen ab, um sein Publikum zum Schweigen zu bringen.

»Weniger bekannt ist, dass auch mein Bruder Britannicus Ambitionen hat, sich als Sänger zu beweisen.«

Der junge Prinz bemühte sich, gelassen zu bleiben, und zeigte keine Reaktion auf Neros Worte.

»Wie alle Eltern wissen, wetteifern Geschwister gerne miteinander, und heute Abend werden mein Bruder und ich für euch singen. Mit eurer Anerkennung sollt ihr den besseren Sänger küren. Und der Preis …« Nero zögerte einen Moment, dann fiel sein Blick auf seine Mutter, und er grinste schelmisch. »Der Preis wird dieser Ring sein!«

Bevor sie reagieren konnte, beugte er sich zu ihr, nahm ihre Hand und zog ihr einen großen rubinbesetzten Ring vom Finger. Er hielt das kostbare Schmuckstück hoch. »Ein Preis, der eines Prinzen oder eines Kaisers würdig ist.«

Agrippina runzelte kurz die Stirn, dann lachte sie gezwungen.

Pallas klatschte erneut Beifall, und die Gäste, die nun wussten, was von ihnen erwartet wurde, schlossen sich ihm an.

»Prinz Britannicus wird euch ein Lied seiner Wahl vortragen, wenngleich er bei seinem begrenzten Repertoire keine große Auswahl haben wird. Sing, Bruder, sing!«

Britannicus schüttelte den Kopf. »Das werde ich nicht tun«, sagte er mit fester Stimme.

»Was hast du gesagt?«

»Ich werde nicht singen. Nicht für dich.«

Nero schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Für sie.«

»Ich werde es nicht tun.«

»Doch, du wirst, Bruder. Weil dein Kaiser es dir befiehlt, und das Wort des Kaisers ist Gesetz.«

Britannicus sah ihn spöttisch an. »Dein Wort ist für mich bedeutungslos. Du hattest niemals Anspruch auf den Kaiserthron. Mein Vater war der Kaiser. Dein Vater war ein nichtsnutziger Lump, der seinen frühen Tod verdient hat. Du bist nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem ein Kaiser sein muss. In deinen Adern fließt kein kaiserliches Blut.«

Nero funkelte ihn wütend an. »Vorsicht, Bruder, du gehst zu weit. Ich habe unserem Vater mein Wort gegeben, dich zu schützen, wenn er nicht mehr lebt. Aber wenn du es zu weit treibst, könnte ich mich gezwungen sehen, mein Versprechen zu brechen.«

»Das würdest du nicht wagen. Noch nicht. Nicht solange deine Herrschaft noch nicht gefestigt ist. Du würdest es nicht wagen, mir etwas anzutun.«

»Noch nicht. Aber wer weiß, wie lange es so bleibt? Ein Jahr, vielleicht zwei. Sobald meine Herrschaft auf festem Boden steht, kann ich mit dir machen, was ich will. Bis dahin werde ich dich nicht anrühren. Aber es ist mir ein Leichtes, diejenigen zu verletzen, die dir nahestehen.« Er wandte sich einem Prätorianer zu, der bei Pallas stand. »Zieh dein Schwert und setze es diesem Hundesohn an die Kehle.« Er deutete auf Britannicus’ Leibwächter. Dieser blickte zu seinem Herrn, doch bevor Britannicus reagieren konnte, hatte der Prätorianer sein Schwert gezückt, trat zu dem Leibwächter und setzte ihm die Spitze unters Kinn. Ein zweiter Prätorianer packte die Hände des Mannes und hielt sie hinter seinem Rücken fest. Der Leibwächter sah Britannicus flehend an.

»Lass ihn los«, befahl der Prinz.

»Gerne, wenn du singst. Wenn nicht, stirbt er.«

Sempronius, der die Szene schweigend verfolgt hatte, hüstelte und blickte zum Kaiser auf. »Dies ist mein Zuhause, o Caesar. Das sind meine Gäste. Mein Haus ist kein Ort, an dem Blut vergossen werden soll. Ich bitte dich, lass den Mann frei. Genieße das Mahl. Es wird Musik und Gesang geben, dafür habe ich bereits gesorgt. Das muss wirklich nicht sein.«

»Ich will es so. Das genügt. Und jetzt sing, Bruder. Wenn du willst, dass dein Mann am Leben bleibt.«

Britannicus faltete die Hände und neigte den Kopf, als bitte er die Götter, einzuschreiten und diese Auseinandersetzung zu beenden. Dann ließ er resignierend die Schultern sinken und nickte. Er erhob sich von seiner Liege und trat ein paar Schritte vor. Niemand sprach ein Wort. Niemand rührte sich. Alle starrten ihn an und warteten darauf, dass er dem Befehl seines Stiefbruders folgte.

Britannicus straffte den Rücken, hob das Kinn, holte Atem und begann. Seine Stimme war klar, und er sang in wunderbar melodischem Tonfall.

Ich erwache mit den ersten Strahlen der Sonne,

spüre die warme Umarmung des Tages,

ich erhebe mich von meinem Lager

und gehe schweren Herzens meinen Weg.

Aus dem fernen Britannien werde ich heimwärts gerufen

durch einen Brief, von Mutters Tränen feucht,

das Schwert soll ich niederlegen,

nun nicht mehr Soldat, nur noch der Sohn.

Die Ehre gebietet, den Verlust zu betrauern,

mein Herz gebrochen vom Tod

des Einen, der mir Leben und Ziel gegeben,

dessen letztes Wort mein Name war.

Im Kreis der Meinen bin ich bald,

wo die Mutter wartet, den Sohn zu umarmen,

eh die Familie sich trifft, um den Toten zu begraben

und zu ehren den Ruhm, den mein Vater erwarb …

Er ließ das letzte Wort langsam verklingen und beugte den Kopf.

Nach einer kurzen Pause begann jemand zu klatschen. Sempronius blickte sich um und sah, dass es Vespasian war, der begeistert applaudierte. Andere folgten seinem Beispiel, bis fast alle Gäste dem jungen Sänger Beifall zollten. Britannicus zeigte zunächst keine Reaktion, doch als der Applaus weiter anschwoll, verbeugte er sich und nickte seinem Publikum dankbar zu. Schließlich drehte er sich um und sah Nero direkt in die Augen. Der Kaiser war starr vor Zorn und hatte seine Hände zu Fäusten geballt, während sein Bruder an seinen Platz zurückkehrte. Der Beifall verklang, und Agrippina griff nach der Hand ihres Sohnes und drückte sie auffordernd.

»Um aller Götter willen, sag etwas. Steh nicht so da.«

Nero löste sich aus seiner Erstarrung und hob eine Hand. »Ein schönes Lied, bewegend vorgetragen von meinem lieben Bruder. So bewegend, dass es mich schier überwältigt hat. Ich empfinde den gleichen Schmerz über den Verlust unseres Vaters.« Er hob die Hand, um seine Augen zu bedecken, und seine Schultern zitterten theatralisch. »Ja … meine Trauer ist so groß, dass ich im Moment nicht singen kann. So kommt eine Tragödie zur anderen. Ich hätte euch ein Lied gesungen, dass euch vor Rührung hätte weinen lassen. Aber ich glaube, dass man einem Publikum ein solches Übermaß an bewegenden Gefühlen nicht zumuten sollte. Deshalb will ich den Gefühlen, die mein Bruder hervorgerufen hat, nicht noch größere hinzufügen. Damit würde ich euch allen das Herz brechen. Besser, ich erspare euch die Tränen … Doch es besteht wohl kein Zweifel, dass mein Gesang jenen von Britannicus bei Weitem übertrifft, also habe ich den Wettbewerb gewonnen.« Er warf den Ring in die Luft und fing ihn auf. »Der Preis gebührt mir.«

»Bravo!«, rief Pallas aus. »Kaiser Nero ist der Sieger!«

»Hat daran irgendjemand gezweifelt?« Nero schwang die Beine von der Liege und erhob sich. »Komm, kleiner Bruder, ich habe einen speziellen Preis für dich. Du sollst nicht mit leeren Händen in den Palast zurückkehren.«

Britannicus sah, dass die Prätorianer seinen Leibwächter nach wie vor festhielten, und bedeutete ihm mit einer Geste, keinen Widerstand zu leisten. Nero legte den Arm um die Schultern seines jüngeren Bruders und führte ihn auf einem gepflasterten Weg zwischen den Blumenbeeten zu einer Hecke im hinteren Bereich des Gartens. Sempronius sah ihnen besorgt nach, bis sich Agrippina räusperte und das Wort ergriff.

»Nun, wir hatten ein wenig Unterhaltung. Wäre es nicht Zeit für den nächsten Gang? Ein guter Gastgeber lässt seine Gäste doch nicht warten, oder?«

»Verzeihung, o Agrippina.« Sempronius gab dem Bediensteten ein Zeichen. Sogleich gab Croton den Haussklaven Anweisungen, und Augenblicke später kamen die Ersten mit Silbertellern aus der Küche und verteilten sie auf den Tischen. Weitere Sklaven servierten gebratenes Fleisch, Fisch und Käse. Das erste Tablett wurde zu dem Tisch gebracht, der dem Gastgeber und seinen Ehrengästen vorbehalten war, und Sempronius deutete taktvoll auf die Kaiserin, worauf der Sklave das Tablett vor ihr hinstellte.

»Ah! Gebratene Ente. Mit Garum gewürzt, wenn ich mich nicht irre.«

»Das stimmt. Eine Spezialität meiner Köchin.«

»Ich kann es kaum erwarten …«

Sie wurde von einem Schrei aus dem hinteren Bereich des Hofes unterbrochen. Sempronius blickte über die Schulter zurück, da durchschnitt ein zweiter, noch lauterer Schrei die Nachtluft.

»Bitte!«, rief Britannicus. »Nicht! Bitte!«

Sein Flehen wurde vom Gelächter seines Stiefbruders begleitet.

Sempronius wollte schon aufstehen, zögerte dann jedoch und blickte erst zu Agrippina, dann zu Pallas. Sie schienen die verzweifelten Schreie jedoch völlig zu ignorieren.

»Wie gesagt«, fuhr Agrippina fort, »ich kann es kaum erwarten, von diesen Köstlichkeiten zu probieren.« Sie griff nach ihrem Messer, spießte eine der kleinen gebratenen Enten auf, schüttelte sie auf ihren Teller und begann mit anmutigen Bewegungen zu essen.

»Nein!«, kreischte Britannicus. »Neiiin!«

Der Senator schaute hilfesuchend in die Runde, doch fast alle blickten starr vor sich hin. Nur Vespasian schickte sich sichtlich erzürnt an, aufzustehen und etwas zu unternehmen. Bevor er es jedoch tun konnte, griff Domitia nach seiner Hand und zog ihn entschlossen zu sich. Der Einzige außer ihm, der eine Reaktion zeigte, war ein hagerer, älterer Mann in der Tunika eines Senators, der sich wütend umblickte, ehe er sprach.

»Unternimmt denn niemand etwas? Niemand?«

Agrippina richtete warnend den Zeigefinger auf ihn. »Senator Amrillus, bitte sei still. Du ruinierst die Stimmung. Sempronius’ Köchin verwöhnt uns heute, das garantiere ich dir. Diese Ente ist einfach himmlisch. Du solltest sie probieren und aufhören, hier eine Szene zu machen.« In deutlich schärferem Ton fügte sie hinzu: »Setz dich.«

Am anderen Ende des Hofes flehte Britannicus immer verzweifelter um Gnade. Hin und wieder fluchte Nero oder lachte spöttisch, während sich die Gäste – mit Ausnahme von Amrillus – zwangen, sich dem Essen zuzuwenden, wenn auch unter betretenem Schweigen. Nach einer Weile verstummten die Schreie. Es folgte ein letzter, wilder Schrei der Ekstase von Nero, und ein tiefes, animalisches Grunzen, dann war nur noch das Schluchzen seines jüngeren Stiefbruders zu hören.

Sempronius riskierte einen Blick über die Schulter und sah den Kaiser hinter der Hecke hervorkommen und ins Licht der Feuerschalen und Fackeln treten, die das Fest beleuchteten. Nero blieb stehen, rückte seine Tunika zurecht und zog den Saum nach unten, dann schlenderte er zurück zu den Gästen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Der Senator blickte hastig zur Seite, während die Stiefel des jungen Mannes auf dem Weg knirschten. Nero blieb bei seiner Liege stehen, machte jedoch keine Anstalten, sich niederzulassen. Er sprach kurz mit den Prätorianern und befahl ihnen, den Leibwächter seines Bruders loszulassen. Sie befolgten die Aufforderung, doch der Gardist, der die Hände des Mannes hinter dem Rücken festgehalten hatte, gab ihm einen Stoß und trat ihm in die Kniekehlen. Der Leibwächter sackte zu Boden.

»Ich habe genug Spaß gehabt, Mutter. Mein Bruder hat eine Lektion erhalten, die er nicht so schnell vergessen wird. Jetzt bin ich müde und will schlafen. Wir kehren zurück zum Palast.«

»Jetzt schon?« Agrippina zupfte ein Stück Fleisch von der Ente ab und steckte es in den Mund. »Wir können unser Mahl doch noch beenden, oder?«

»Nein, Mutter, wir gehen jetzt gleich. Ich langweile mich.«

Nero bemerkte, dass es die Gäste vermieden, ihn anzusehen, und blickte zu Britannicus, der humpelnd hinter der Hecke hervorkam. Seine Knie waren zerkratzt und blutig, und er zuckte bei jedem Schritt zusammen, während die letzten Tränen über seine Wangen liefen.

»Das ist ungeheuerlich!«, rief Amrillus. »Ein verdammter Skandal. Tut denn niemand etwas?« Er schaute herausfordernd in die Runde, doch keiner wagte es, ihm beizustehen. Ein Freund beschwor ihn leise, zu schweigen. Amrillus spuckte verächtlich aus. »Feiglinge! Ist Rom so tief gesunken? Tun wir jetzt alle so, als wäre nichts geschehen, während sich direkt neben uns abscheuliche Dinge zutragen? Na?«

Es gab keine Antwort, und Nero lachte spöttisch. »Ach, halt den Mund, du alter Narr. Wir haben doch nur ein bisschen Spaß gemacht.«

»Spaß?«, fauchte Amrillus. »Wenn ich ein junger Mann wäre, würde ich dich windelweich prügeln. Komm, Junia, wir gehen.« Er griff nach der Hand seiner Frau und half ihr mühsam auf die Beine, dann gingen die beiden alten Leute zwischen den übrigen Gästen hindurch und verschwanden in dem Korridor, der zur Haustür führte.

Agrippina rief Pallas leise zu sich, und der Freigelassene beugte sich zu ihr. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Pallas nickte und gab die Anweisung an die zwei Prätorianer weiter. Die Soldaten folgten Amrillus und seiner Frau hinaus. Dann erhob sich Agrippina, hakte sich bei ihrem Sohn unter und schritt mit ihm und Pallas hinaus, ohne Sempronius für seine Gastfreundschaft zu danken oder sich von den übrigen Gästen zu verabschieden. Britannicus blieb auf halbem Weg stehen, ließ sich auf eine steinerne Bank sinken und barg den Kopf in beiden Händen, als ihm aufs Neue die Tränen kamen. Sein Leibwächter eilte zu ihm und kniete sich vor ihn, um ihn zu trösten und zu beruhigen.

Ein Gast stand auf, und einige andere folgten seinem Beispiel. Sie hatten es plötzlich eilig, das Haus zu verlassen, während Sempronius sich betrübt von ihnen verabschiedete.

»Was sagst du nun?«, fragte Domitia und reichte dem Senator die Hand. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass niemand mithörte. Ihr Mann sprach in gedämpftem Ton mit drei anderen Senatoren.

Sempronius schüttelte den Kopf. »Du spielst mit dem Feuer. Ich will nichts zu tun haben mit dem, was du vorhast. Es war schlimm genug, dass du meine Tochter hineingezogen hast. Das werde ich dir nie verzeihen.«

Domitia ließ sich nicht beirren. »Julia hat das aus Liebe zu Rom getan. Das solltest du nie vergessen. Wenn nur ein Bruchteil von uns ihren Mut und ihr gesundes Urteilsvermögen hätte, dann müssten wir nie wieder so etwas wie heute Abend erleben. So fängt es immer an, Sempronius. Wir haben das Gleiche mit Caligula erlebt und mit seinem Onkel Tiberius. Selbst Claudius hat bisweilen diese Grausamkeit an den Tag gelegt, die seiner Familie zu eigen ist.«

»Ich will das nicht hören. Ich will es nicht wissen. Du sprichst von Verrat, und damit bringst du uns alle ins Grab. Und nicht nur jene, die gegen Nero sind. Du bringst auch andere in Gefahr, die damit nichts zu tun haben. Zum Beispiel deinen Gemahl. Diejenigen, die man wegen Verrats hinrichtet, sind selten die einzigen Opfer.«

»Verrat?«, schnaubte Domitia. »Ich habe immer gedacht, Verrat bedeutet, das eigene Volk zu hintergehen. Dabei verraten wir Rom schon seit fast hundert Jahren, Sempronius. Wir verraten unsere Pflicht, seit wir es zulassen, dass diese Kaiser Rom von einer Generation an die nächste weitergeben, als wäre es ihr Familienerbe. Du siehst ja, wohin uns das geführt hat. Wir sind den Launen eines verrückten, grausamen Mannes ausgesetzt, für den unser Leben nicht mehr zählt als das einer Fliege. Wenn Vespasian nicht so verdammt ehrenhaft wäre, dann würde er sich auf unsere Seite stellen. Wir müssen uns von diesen Kaisern befreien.«

»Diesmal wird es anders«, erwiderte Sempronius verzweifelt. »Nero hat versprochen, den Gerichten und dem Senat ihre Macht zurückzugeben.«

»Und das glaubst du ihm? Alle Tyrannen versprechen Gerechtigkeit, wenn sie an die Macht kommen. Hast du je gehört, dass auch nur einer von ihnen sein Versprechen gehalten hätte? Nein? Das habe ich mir gedacht. Nero ist kein bisschen anders als seine Vorgänger. Nur ein Narr würde etwas anderes erwarten. Er ist ein Teil der Krankheit, unter der Rom schon so lange leidet. Bisher hat noch jeder Kaiser seine Macht missbraucht und seinen niedrigen Gelüsten gefrönt. Wenn das noch lange so weitergeht, werden wir uns irgendwann so an diese Exzesse gewöhnen, dass wir sie ohne Weiteres akzeptieren.«

Sempronius deutete mit einem Kopfnicken auf Britannicus. »Glaubst du, er wäre anders?«

»Britannicus glaubt an die Republik. Das hat sein Vater zum Ende hin auch getan. Das war der wahre Grund, warum Claudius ermordet wurde.«

»Das behauptest du.«

Domitia sah ihm in die Augen und schnalzte mit der Zunge. »Du kannst nicht ewig tatenlos zusehen, Sempronius. Irgendwann musst du dich entscheiden, wo du stehst.«

»Irgendwann, aber nicht heute.«

»Ich glaube, der Tag der Entscheidung ist näher als du denkst. Und dann zählt nur noch, ob du auf der Seite stehst, die triumphiert. Die Verlierer können in solchen Momenten nicht mit Nachsicht rechnen. Denk darüber nach.« Als ihr Gemahl zu ihr trat, beugte sie sich vor und küsste Sempronius freundschaftlich auf die Wange. »Gute Nacht, mein lieber Senator.«

Sie trat beiseite, und Vespasian schüttelte dem Gastgeber die Hand. »Das war ein … ereignisreicher Abend, gelinde gesagt.«

»In der Tat. Deine Frau und ich haben gerade darüber gesprochen.«

»Dann gehen wir jetzt. Wir sehen uns morgen im Senat, nehme ich an?«

»Ich werde dort sein.«

Vespasian drehte sich um und deutete auf Britannicus. »Was ist mit ihm?«

»Ich kümmere mich darum, dass er sicher zurück in den Palast kommt.«

»Gut.«

Vespasian legte seiner Frau die Hand an die Hüfte und geleitete sie zum Hauseingang.

»Wir sehen uns bestimmt bald wieder«, sagte Domitia. »Ich freue mich schon.«

Sempronius lächelte schwach und wartete, bis sie außer Sichtweite waren, dann ließ er sich auf sein Sofa sinken und rieb sich die Stirn.

»Bei allen Göttern«, murmelte er. »Was soll ich nur tun? Was?«

KAPITEL 4

Fast konnten sie die Angst in der Stadt riechen, als sie das Stadttor erreichten. Die diensthabenden Prätorianer hoben die Speere und Schilde, als die beiden Offiziere im Licht der Abenddämmerung näher kamen.

»Immer mit der Ruhe, Burschen«, rief Centurio Macro und winkte ihnen freundschaftlich zu. »Wir sind auf derselben Seite. Ihr könnt die Speere runternehmen.«

Der befehlshabende Optio wartete, bis er die zwei Männer deutlich sehen konnte, ehe er seinen Männern signalisierte, die Waffen zu senken. »Tut mir leid, Herr. Wir haben die strikte Anweisung, jeden zu überprüfen, der Rom betreten oder verlassen will.«

»Oh?« Macro blieb vor dem Tor stehen. Sein Begleiter, ein hochgewachsener junger Offizier mit einer auffälligen Narbe von der Stirn bis zur Wange, blickte zur Mauer auf und bemerkte die zusätzlichen Wachposten auf dem Steg und in den Türmen. Er schlug seinen Umhang zurück, sodass die Zierschleife an seinem Kettenhemd zu sehen war, die ihn als hochrangigen Offizier auswies. Der Optio nahm sogleich Haltung an.

»Tut mir leid, Herr. Ich hatte keine Ahnung, dass du einen so hohen Rang innehast. Es wäre mir eine Ehre, wenn du meine Abteilung inspizierst.«

Cato schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Wir sind nicht im Dienst. Wir kommen nach Hause und wollen ein bisschen ausruhen.« Er hielt inne und musterte den Optio einen Moment lang. »Kennen wir uns nicht? Ja, jetzt weiß ich’s. Wir haben uns unterhalten, als der Centurio und ich aus Britannien zurückkamen. Gannicus, stimmt’s?«

»Ja, Herr.« Der Optio grinste erfreut, dass man sich an ihn und seinen Namen erinnerte. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Herr. Ich hätte gedacht, dass ihr wieder in Britannien seid.«

»Schön wär’s. Wir kommen gerade aus Hispanien. War ziemlich hart.«

»Wart ihr bei dem Feldzug in Asturica dabei, Herr?«

»Das waren wir«, antwortete Macro und klopfte sich auf die Brust. »Zweite Kohorte der Prätorianergarde.«

Die Augen des Optio leuchteten. »Die Zweite? Dann habt ihr den Rebellen den Hintern versohlt?«

»Das haben wir.«

Der Optio salutierte respektvoll. »Ist mir eine Ehre.« Er verbeugte sich vor Macro und Cato.

Cato lächelte bescheiden, und Macro lachte.

»Übrigens, Gannicus, falls du jetzt denkst, der Präfekt hier gehört zu den Offizieren, die nur darauf aus sind, eine gute Figur abzugeben, während wir anderen die Drecksarbeit machen, dann irrst du dich. Cato hat sich von ganz unten hochgedient. Er ist einer von uns.«

»Nur der Sold ist jetzt ein bisschen höher als früher«, fügte Cato hinzu, und die drei Soldaten lachten, ehe er fortfuhr: »Was sind das für Dinge, die man über Claudius’ Tod hört? In Ostia kursieren Gerüchte, dass er möglicherweise keines natürlichen Todes gestorben ist.«

Der Gesichtsausdruck des Optio änderte sich schlagartig. Er trat einen halben Schritt zurück und sagte in kühlem, förmlichem Ton: »Das sagen die Feinde des neuen Kaisers, Herr. An eurer Stelle würde ich diese Gerüchte nicht verbreiten. Die Burschen in der Prätorianergarde sind sehr zufrieden mit Nero und sehen es gar nicht gern, wenn jemand behauptet, er habe seinen alten Herrn um die Ecke gebracht.«

Cato musterte den Optio eindringlich und nickte. »Danke für die Warnung.«

»Ich wollte es nur gesagt haben. Im Moment ist es das Beste, nicht zu viel zu reden. Bis sich die Lage beruhigt hat.«

»Heißt das, es herrscht Unruhe?«

»Dazu will ich mich nicht äußern, Herr.« Der Optio drehte sich um und winkte seinen Männern zu. »Lasst sie passieren!«