Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mordechai Strigler schuf mit seiner Tetralogie »Verloschene Lichter« ein literarisches Denkmal für die Opfer der Schoah. Nach »Majdanek« erscheint jetzt der zweite Band aus der Reihe, diesmal über das Arbeitslager der HASAG in Skarzysko-Kamienna. Schon kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald im April 1945 begann Strigler, seine Erfahrungen in den Lagern des besetzten Polens literarisch zu verarbeiten und zu veröffentlichen. Er war damit einer der ersten Schoah-Überlebenden, die darüber schrieben. In seinen Büchern experimentiert Strigler mit einer Schreibform, die eine Mischung aus Chronik, Geschichte, Belletristik und Lyrik ist. Er selbst »hofft lediglich, auf diese Art eine tiefere Dokumentation abgeben zu können von dem, was jeder Teil seines Körpers und seiner Seele in sich aufgesogen hat«. »Die sechs Millionen hören auf, eine Ziffer zu sein, wenn man Striglers Buch liest. Auch die Überlebenden des Holocausts bestehen nicht mehr einfach nur aus Geretteten. Jeder von ihnen war in seiner eigenen Hölle gewesen.« Shmuel Niger, Literaturkritiker, 1948
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 547
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Mordechai Strigler
In den Fabriken des Todes
Verloschene Lichter II
Ein früher Zeitzeugenbericht
vom Arbeitslager Skarżysko-Kamienna
Herausgegeben von Frank Beer
Aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel
Der Herausgeber dankt Frau Leah Strigler für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der deutschen Ausgabe sowie Frau Brigitte Bilz und Frau Ruthild Stobbe fürs Korrekturlesen.
Deutsche Erstausgabe
© 2017 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe
www.zuklampen.de
© der Originalausgabe by
Mordekhai Shtrigler
Titel der Originalausgabe:
In di fabrikn fun toyt. Bukh tsvey fun dem tsikl »oysgebrente likht«
(In den Fabriken des Todes. Band II der Reihe »Verloschene Lichter«)
Unión Central Israelita Polaca en la Argentina
(Zentralverband der Polnischen Juden in Argentinien), Buenos Aires 1948
© Foto S.59: mit freundlicher Genehmigung
des Museums Orla Bialego, Skarżysko-Kamienna
Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de
Umschlaggestaltung: Hildendesign · München · www.hildendesign.de
Foto Umschlagabbildung: © Stefan Hilden
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-86674-667-1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.
Cover
Titel
Impressum
Vorwort des Herausgebers
Einführung des Verfassers
In den Fabriken des Todes
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Kapitel neunundzwanzig
Kapitel dreißig
Buchempfehlung
Fußnoten
Das Zwangsarbeitslager für Juden im polnischen Skarżysko-Kamienna wurde auf Initiative der Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) nahe einer Munitionsfabrik im August 1942 eingerichtet.1 Nach der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht im September 1939 war die 1926 gegründete staatliche Fabrik kommissarisch durch die HASAG übernommen worden. Zwischen 1939 und 1943 war Egon Dalski2 Generaldirektor der Fabrik in Skarżysko-Kamienna, danach Paul Geldmacher. Die HASAG war 1863 als kleine Lampenfirma in Leipzig gegründet worden. 1932 wurde Paul Budin, NSDAP-Parteigenosse und SS-Sturmbannführer, zum Generaldirektor der HASAG ernannt. Ab 1933 lieferte das Unternehmen Munition für Infanterie und Luftwaffe der Wehrmacht. Während des Krieges betrieb die HASAG acht Werke in Deutschland. Sie beschäftigte zum einen Zivilarbeiter aus ganz Europa, zum anderen Zwangsarbeiter aus Konzentrationslagern. Im letzten Kriegsjahr durchliefen mehr als 20000 jüdische Gefangene die Arbeitslager der HASAG in Deutschland. Die Munitionsfabrik in Skarżysko-Kamienna wurde nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion Hauptlieferant für Munition im Generalgouvernement. So arbeiteten am 1. Februar 1942 in Skarżysko-Kamienna 10267 Menschen. Das Zwangsarbeitslager bestand aus den Werkslagern A, B und C und wurde am 1. August 1944 aufgelöst.
Das Lager unterstand dem SS- und Polizeiführer des Distrikts Radom, Herbert Böttcher3. Die SS erhielt für jeden jüdischen Gefangenen vier bis fünf Złoty von der HASAG, abzüglich Unterhaltskosten von 1,6 Złoty. Die Gesamtzahl der Juden im Lager Skarżysko-Kamienna wird auf 25000 bis 30000 geschätzt, von denen 18000 bis 23000 aufgrund der nationalsozialistischen Politik der »Vernichtung durch Arbeit« sowie durch Erschießungen ums Leben kamen. Der Historiker Eugen Kogon bezeichnet Skarżysko-Kamienna daher als Vernichtungslager.4
Die jüdischen Lagerhäftlinge wurden durch einen aus Volksdeutschen und Ukrainern bestehenden Werkschutz bewacht, den nacheinander die Deutschen Kurt Krause und Walter Pollmer befehligten. Der Werkschutz unterstand der Werksleitung, von der er besoldet wurde. Kommandant der drei Lager war bis Ende 1943 Anton Ipfling5. Den jüdischen Lagerältesten stand eine jüdische Polizeieinheit unter der Führung von Leizer Teperman und Josef Krzepicki zur Verfügung. Die interne Lagerverwaltung von Werkslager C leiteten Fela Markowiczowa und ihr Schwager Heniek Ajzenberg6.
Werk C war wegen der Gefährlichkeit der dort zu verrichtenden Arbeit berüchtigt. Allein im Oktober 1942 starb jeder siebte Häftling in Werk C.7 Die zur Füllung von Unterwasserminen verwendete Pikrinsäure ließ die Haut gelb werden und führte zu schweren Vergiftungen, da die Juden ohne Schutzkleidung arbeiten mussten. Meist starben die Häftlinge bei dieser Arbeit binnen drei Monaten. Mordechai Strigler berichtet in Den Fabriken des Todes ausführlich über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Werk C.
Ende Juli 1944 wurde das Lager evakuiert. Es fanden Selektionen statt, denen etwa 600 Menschen zum Opfer fielen. Die verbliebenen rund 6000 Häftlinge wurden ins Lager Buchenwald (1500 Männer)8, ins Leipziger HASAG-Werk (1200 Frauen) und etwa 3000 in die HASAG-Werke von Częstochowa verlegt.
1948 wurden in Leipzig 25 Mitarbeiter der HASAG in Kamienna vor Gericht gestellt.9 Aus der amerikanischen Besatzungszone reisten viele ehemalige jüdische Zwangsarbeiter an, um als Zeugen auszusagen. Das Gericht verhängte mehrere Todesstrafen und langjährige Haftstrafen. Weitere Verfahren gegen Beschuldigte wurden in der Bundesrepublik geführt. Paul Budin, der während des Krieges zum Wehrwirtschaftsführer ernannt wurde, hat vermutlich im April 1945 Selbstmord begangen, als er beim Heranrücken der amerikanischen Armee das Gebäude der Hauptverwaltung der HASAG in Leipzig in die Luft sprengte. Der Chef des Werkes Skarżysko-Kamienna, Egon Dalski, konnte nach dem Krieg untertauchen und wurde nie gefasst. Wem aber hatte das Unternehmen während des Krieges gehört? Laut dem Verzeichnis der in der ordentlichen Hauptversammlung der Hugo Schneider Aktiengesellschaft vom 11. Oktober 1943 erschienenen Aktionäre10 befanden sich achtzig Prozent des Grundkapitals in der Hand dreier Banken: Deutsche Bank, Allgemeine Deutsche Credit Anstalt und Dresdner Bank. Die beiden letzteren stellten je zwei Aufsichtsratsmitglieder.
Mordechai Strigler kam am 28. Juli 1943 mit einem Häftlingstransport vom Konzentrationslager Majdanek nach Skarżysko-Kamienna. Über die ersten fünf Wochen seines einjährigen Aufenthalts an diesem Ort berichtet er in diesem Buch. Strigler schrieb bereits im Lager über alles Erlebte, doch gingen seine Aufzeichnungen verloren. Nach seiner Befreiung im KZ Buchenwald im April 1945 sagte er dort erstmals vor einer Untersuchungskommission über das Lager Skarżysko-Kamienna aus.11
Strigler ging im Sommer 1945 nach Paris und schrieb zunächst ein Buch über seine Erlebnisse im KZ Majdanek, das bereits 1947 in Buenos Aires auf Jiddisch erschien.12 Daraufhin entstand In den Fabriken des Todes als zweiter Band der Tetralogie Verloschene Lichter mit einer Beschreibung seiner Zeit im Lager Skarżysko-Kamienna. Auch die weiteren beiden Bände Werk C und Schicksale handeln von diesem Lager.
Im Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 sagte der Zeuge Israel Fersztendig über Werk C aus: »Ich habe die Anklage des Generalstaatsanwaltes gehört … Als er die Konzentrationslager aufzählte, nannte er die schlimmsten, also Auschwitz, Majdanek, Treblinka … Aber er ließ eines aus, von dem ich glaube, es dürfe als eines der grausamsten in seiner Liste nicht fehlen: Skarżysko-Kamienna, Werk C. Jeder Bericht über die Nazi-Barbareien muss dieses Lager berücksichtigen.«13
Strigler wurde nach Erscheinen dieses zweiten Bandes seiner Tetralogie aufgrund seiner schonungslosen Darstellung der entsolidarisierten Häftlingsgesellschaft und der nur auf den eigenen Vorteil bedachten jüdischen Lagerleitung von zahlreichen Überlebenden des Holocausts angefeindet. Während sein erstes Buch schon früh ins Hebräische und später auch ins Französische und Deutsche übersetzt wurde, blieb In den Fabriken des Todes fast siebzig Jahre lang in Vergessenheit. Strigler teilt in diesem Buch dem Leser auch ein ansonsten wohlgehütetes Geheimnis mit: Im KZ Buchenwald verurteilte 1944 ein jüdisches Häftlingsgericht zwanzig jüdische Polizisten aus dem Lager Skarżysko-Kamienna, darunter die Chefs Teperman und Krzepicki, nach ihrem Eintreffen zum Tode. Von zwei der Verurteilten wurde berichtet, dass sie von einer Häftlingsgruppe mit Holzpantinen erschlagen wurden. Wie die anderen umkamen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. SS-Chef Heinrich Himmler hatte dieses Schicksal des Kapos einkalkuliert: »In dem Moment, wo wir mit ihm unzufrieden sind, ist der nicht mehr Kapo, schläft der wieder bei seinen Männern. Dass er dann von denen in der ersten Nacht totgeschlagen wird, das weiß er.«14
I
Dieses Buch ist in halb-belletristischer Form geschrieben. Alle Geschehnisse, Bilder und Vorkommnisse sind aber auf der Basis der persönlichen Erlebnisse des Verfassers geschrieben.
Außer in den verschiedenen Lagern im von den Nazis besetzten Polen und in Deutschland lebte der Verfasser fünfzehn Monate in der HASAG-Fabrik15 in Skarżysko-Kamienna bei Radom. Dort schrieb er heimlich eine Menge und sammelte alle Materialien, die später für eine genaue Geschichtsschreibung dieses Tales der Tränen hätten nützlich sein können. Leider gingen all diese Aufzeichnungen, genau wie die anderen Werke des Verfassers, als Folge der Verschleppung von einem Lager zum nächsten verloren.
Dieses Buch ist deshalb aus dem Gedächtnis geschrieben und zeigt nur einen Bruchteil dessen, was faktisch passiert ist. Ich glaube, es leben noch, verstreut über die Welt, einige wenige Menschen, welche das »Werk C« länger als ich mitgemacht haben, und ich strebe an, die genaue Geschichte jener grauenhaften Hölle zusammenzustellen. Hier begnüge ich mich derweil mit einem schlichten, kurzen und nüchternen Überblick über die HASAG in Skarżysko als Einführung zum Buch. Der Leser wird dadurch herangeführt an die Schilderungen des eigentlichen Buches, die ein getreues Abbild der persönlichen Erlebnisse und Beobachtungen sind.
***
Beim Einmarsch der deutschen Armee in Polen im Jahre 1939 fand sie neben den großen Textilfabriken und der Schwerindustrie im Westteil des Landes auch etliche Waffenfabriken vor. Die polnische Regierung, die übrigens verhältnismäßig kleine Mengen Waffen produzierte, ließ die Fabriken in unbeschädigtem Zustand zurück. Die Deutschen konnten deshalb sofort mit der weiteren Produktion der verschiedenen Mordwerkzeuge beginnen. Es gelang ihnen auch, dank ihrer gut organisierten Verwaltung und mit Hilfe brutalster Ausbeutung der Arbeitskräfte, diese Fabriken zu vergrößern und in Kriegsproduktionszentren von hochrangiger Bedeutung zu verwandeln. Unterstützt wurden sie von einer Reihe polnischer Meister, welche die Fabriken zu polnischer Zeit beaufsichtigt hatten und sich beim Einmarsch der Deutschen als langjährige deutsche Spione erwiesen oder Volksdeutsche waren. Sie kannten in den Fabriken jeden Winkel, die technischen Möglichkeiten, die zu polnischen Zeiten nicht ausgenutzt wurden, und die Arbeiter, auf welche man sich verlassen konnte.
Genau deshalb leisteten solche Fabriken wie Częstochowa, Skarżysko-Kamienna, Radom, Kielce, Bliżyn, Starachowice, Stalowa Wola, Pięty, Ostrowiec und andere Waffenfabriken, die sich auf engstem Raum in der polnischen »Zentralen Industrieregion« (C. O. P.)16 befanden, einen großen Beitrag zur nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie bei ihrem Angriff auf den Osten.
Soweit ich weiß, wurden die Fabriken gleich vom ersten Moment an zum größten Teil von privaten Unternehmen der deutschen Kriegsindustrie unter kommissarischer Leitung übernommen. Unter ihnen die »Hermann-Göring-Werke« und die Aktiengesellschaft von Hugo Schneider (Eisen- und Metallwerke Hugo Schneider, auch »HASAG« genannt) mit der Zentrale in Leipzig. Als Generaldirektor aller HASAG-Fabriken fungierte Paul Budin und alle Bekanntmachungen und Befehle waren mit seinem Namen unterschrieben. Dieser Überblick ist der HASAG-Abteilung in Skarżysko gewidmet (die Granatenproduktion dort wurde mit der Chiffre KAM gestempelt). Es soll aber noch einmal angemerkt werden, dass das, was ich hier und in meinen anderen Werken schreibe, nur ein blasser Widerschein dessen ist, was in den HASAG-Fabriken tatsächlich vorgekommen ist.
II
Die Fabrik in Skarżysko war in drei Abteilungen unterteilt, die etliche Kilometer voneinander entfernt lagen. Sie wurden mit Werk A, Werk B und Werk C bezeichnet. Vom Einmarsch der Deutschen in Polen (Ende 1939) bis Mitte 1941 arbeiteten in der Fabrik nur polnische Zwangsarbeiter sowie Freiwillige (die Angst hatten, nach Deutschland zur Zwangsarbeit geschickt zu werden). Man brachte jeden Tag auch eine gewisse Anzahl Juden aus dem Skarżysker Ghetto. Sie arbeiteten aber nur beim Aufräumen der großen Fabrikhöfe, beim Aufbau der Baracken, die abseits im Wald lagen, in welchem sich die Fabrik befand und bei weiteren solcher Außenarbeiten. In den Fabrikhallen selbst und zu der Waffenproduktion setzte man keine Juden ein. Sie wurden üblicherweise sehr früh zur Arbeit gebracht und am Abend zum Übernachten ins Ghetto zurückgeführt. Sie konnten deshalb keine große Ahnung von den Verhältnissen in der Fabrik haben.
Erst um den November 1941 erlaubte die SS der HASAG-Leitung, Juden in den verschiedenen polnischen Städten und Städtchen für die Verwendung in der Fabrik zu rekrutieren. Die Erlaubnis wurde aufgrund einer allgemeinen Vereinbarung von Seiten der SS mit halbzivilen Unternehmungen aller Art erteilt. Laut dem Gesetz des Generalgouverneurs über Polen, Reichsminister Dr.Hans Frank, mussten alle Juden zu körperlicher Zwangsarbeit für den deutschen Staat herangezogen werden. Die Juden wurden dadurch im ganzen Gebiet des sog. »Generalgouvernements« (den ehemaligen polnischen Bezirken von Warschau, Kielce, Lublin, Radom, Krakau und später auch Lemberg) automatisch Sklaveneigentum der SS und der Gestapo. Nur jene Firmen, Fabriken und Unternehmen konnten Juden und Zwangsarbeiter nutzen, die vom deutschen Arbeitsamt eine Anzahl Juden zugeteilt bekamen und die der SS den täglichen Lohn für die jüdischen Arbeitskräfte bezahlten.
Die Gestapo und die SS sahen deshalb in den Arbeitsjuden eine Einnahmequelle und die Firmen, die für das Privileg der Nutzung bezahlten, wollten den Arbeitstag der Juden bis aufs Äußerste ausnutzen. Sie wussten sehr wohl, dass man einen Juden wie ein Arbeitstier einsetzen konnte, um das sich niemand sorgte. Niemand würde sich um den Schutz seines Lebens kümmern. Wenn er fiel, würde man einen anderen schicken. Dadurch wurden die Juden von allen Seiten ausgenutzt.
Wenn ein Jude geschwächt war und die von ihm geforderte Norm nicht erfüllen konnte, oder wenn er krank wurde und nicht zur täglichen Arbeit kommen konnte, war er für die Fabrik den Lohn, den die SS verlangte, nicht mehr wert und er wurde »den entsprechenden Stellen« gemeldet. Die SS wiederum, die sah, dass von ihm kein täglicher Nutzen mehr zu erwarten war, pflegte jeden Arbeitsunfähigen unverzüglich zu erschießen. Alle paar Tage gab es in der Fabrik eine »Auswahl« (Selektion) der Schwächeren. Sie wurden zum sogenannten »Schießstand« gebracht, einem Ort, an dem die hergestellten Produkte getestet wurden. Dort gab es eine spezielle Stelle, wo die Juden erschossen und begraben wurden. Viele wurden auch tief im Wald auf dem Fabrikgelände, gegenüber der Halle 96 von Werk C erschossen und versteckt. Ein paar hundert Juden wurden im Lager zwischen den Zäunen begraben. Es hing davon ab, unter welchen Umständen sie getötet wurden.
Das zwang die Juden, sich nach allen Kräften anzustrengen, um nur ja produktiv und tauglich zu sein. Dieses System, das ich aus Dutzenden von Lagern kenne, bildete sich in der HASAG am deutlichsten heraus. Aber lasst uns chronologisch vorgehen.
Anfang 1942 begann man in großem Umfang, polnische Arbeiter nach Deutschland zu schicken. In Deutschland stand damals die Kriegsproduktion in höchster Blüte. Neue Fabriken wurden errichtet. Man brauchte immer mehr Menschen. Auch die HASAG-Direktion begann, neue Abteilungen zu schaffen, in die man die deutschen Arbeiter vom Leipziger Stammwerk als Meister schickte. Deshalb war in Leipzig wie auch in den Abteilungen ein großer Mangel an Arbeitskräften zu spüren, den man durch Zwangsarbeiter aus den besetzten Ostländern zu beseitigen suchte. Obwohl Juden unter das Zwangsarbeitsgesetz fielen, wurden sie nicht nach Deutschland geschickt. Der Plan zur Ausrottung des europäischen Judentums war schon genau ausgearbeitet und man wollte sie nicht zersplittern und verstreuen, sondern man konzentrierte sie in dem zukünftigen großen Massengrab: dem ehemaligen polnischen Staat. Man wählte deshalb in den polnischen und ukrainischen Fabriken einen Teil der qualifizierten und nichtqualifizierten Kräfte aus und schickte diese nach Deutschland, um die früheren deutschen Arbeiter zu ersetzen, die zum Militärdienst mussten oder als Meister in den Zweigstellen eingesetzt wurden. Daher kamen viele Meister und Fabrikleiter in die polnischen Fabriken, die wegen des Krieges mit Sowjetrussland eine immer größere Rolle in der deutschen Kriegswirtschaft spielten. Die HASAG betrieb deshalb viel Propaganda, um zusätzlich zu den Zwangsverpflichtungen frische Arbeiter für die Fabriken anzuwerben. In den HASAG-eigenen Journalen, die mir später in die Hände fielen, fand ich Beschreibungen und Illustrationen des herrlichen, paradiesischen Lebens der östlichen Arbeiter in den baumreichen Gegenden, in denen die HASAG-Abteilungen errichtet wurden. (Die Munitionsfabriken befanden sich größtenteils in den Wäldern, wo sie vor Bombenangriffen verborgen waren.) Damals wurde der Plan geboren, vor Ort die polnischen Arbeiter durch Juden zu ersetzen, damit die Polen in umso größerer Zahl nach Deutschland geschickt werden konnten. Insbesondere geschah dies, als die Produktion von Pikrin und Trotyl17 im großen Maßstab begann. Das sind Gifte, die Herz und Lunge angreifen und die polnischen Arbeiter fingen deshalb an, sich vor der Arbeit zu drücken. Es gab daher viele, die aus Angst vor Verfolgung von Seiten der Gestapo in die Wälder gingen und Partisanengruppen bildeten. Die Leitung begann zu begreifen, dass die Polen besser arbeiten würden, wenn sie in Deutschland wären und dass für die schwersten und schädlichsten Arbeiten genauso gut Juden eingeteilt werden konnten. Es bedurfte bloß der Erlaubnis der Radomer Gestapo – deren Chef Schipper die Juden seines Distriktes als sein Eigentum betrachtete –, um die Maschinerie des Judenfanges in Bewegung zu setzen.
III
Es begannen die großen Massendeportationen von Juden in den Osten. Bald wussten alle Juden, dass man zum Vergiften in die Gaskammern geschickt wurde. Die jüdische Bevölkerung in den Ghettos suchte deshalb verzweifelt nach einem Ausweg, sich zu retten. Als vorläufige Möglichkeit der Rettung erwies sich die Aufnahme in einem kriegswichtigen Arbeitslager. Man glaubte, dass die Beschäftigten an so wichtigen Stellen geschont würden.
In jenen Tagen, als in der Radom-Kielcer Gegend die sogenannte »Judenaussiedlung« begann, fuhr der Lagerführer der Skarżysker HASAG, SS-Sturmführer Ipfling, über die jüdischen Schtetl, spielte die Rolle eines rettenden Engels und begann, »Freiwillige« zu sammeln. Er streute mittels ausgewählter Leute Informationen, dass die Juden sowieso der Tod erwarte. Im günstigsten Fall werde die Jugend in schreckliche Konzentrationslager geschickt. Dagegen könnten sie sicher sein, dass niemand sie aus der Fabrik herausholen würde.
In Opatów erklärte er zum Beispiel:
Es gibt noch eine Rettung für die arbeitswillige jüdische Jugend! Wer sich retten will, kann sich zur Arbeit in den HASAG-Fabriken einschreiben, wo sein Leben sicher ist. (Laut der Erzählung von Jidl Arnsztejn von Opatów und anderen.)
Warum aber mussten sie in jener Zeit der vollkommenen Rechtlosigkeit der Juden agitieren, um »Freiwillige« zu finden, als Juden schon vogelfrei und ohne Ausnahme zum Tode verurteilt waren? Wenn wir die weiteren Handlungen der geschäftsmäßig raffinierten SS betrachten werden, wird uns gar nichts mehr wundern.
So erklärte zum Beispiel der erwähnte Ipfling in Tsoyzmer (Sandomierz, an der Weichsel) beim Suchen nach Freiwilligen für seine Fabrik (laut der Erzählung von Moniek Kuperblum, Yekhiel Cinamon und anderen), auf die jüdische Jugend wie auch auf die jüdische Allgemeinheit warte der sichere Tod. Bestenfalls erwarte sie ein langsamer Martertod in einem KZ anstatt eines baldigen Umkommens in den Gaskammern. Selbst wenn man sie in ein Lager brächte, würden sie gar nichts von ihrem Vermögen mitnehmen können. Was sie mitnehmen würden, was sie mühsam bis dorthin geschleppt hätten, würde man dort konfiszieren. Denn selbst wenn man dort jemanden am Leben lasse, ziehe man ihn vorher vollständig nackt aus. Er dagegen erlaube allen, die sich bei ihm freiwillig einschrieben, ihre Packen Wäsche, die beste Kleidung, Essen und, im Vertrauen, sogar Geld und Wertsachen mitzunehmen. Sie könnten auch sicher sein, dass hier im Ghetto alles liquidiert werde. Nur das, was sie mitnähmen, werde ihnen bleiben. Sie würden dort besser und menschlicher leben können. Es würde ihnen auch ein täglicher Arbeitslohn zugesagt. Auch komme für seine Arbeiter nicht in Betracht, die Zivilkleidung gegen Häftlingskleidung zu tauschen. Bei ihm könne man lange Haare tragen und wenn junge Frauen sich freiwillig meldeten, könnten sie mitkommen zum Arbeiten und würden dort mit ihren Männern gemeinsam wohnen. Es sei der einzige Weg für sie, wo sie wie Menschen würden leben können, versicherte er.
In der ersten Zeit zeigten diese Reden aber keine große Wirkung. Nachdem aus jeder Stadt ein paar Juden deportiert waren, legte sich der Sturm für eine Weile. Im Ghetto kamen die Juden aus ihren Verstecken und begannen von neuem, sich zu regen und zu handeln. Man zögerte. Die Juden hatten sowieso kein großes Vertrauen in irgendeines der Worte, die ein Deutscher sagte, besonders, da es im ärgsten Ghetto noch erträglicher war als im besten Lager. Man wollte nicht darüber nachdenken, was weiter sein würde. Es gab deshalb keine genügend große Anzahl Freiwilliger und Ipfling musste mit seinem Werkschutz (Fabrikmiliz) kommen und die fehlende Zahl mit Gewalt einsammeln. Auch sie bedienten sich der allgemeinen SS-Methode und nahmen den Judenrat zu Hilfe. Die jüdische Polizei in jedem Ghetto musste ein gewisses Kontingent jüdischer Männer für die HASAG-Fabrik bereitstellen.
Aus dem oben genannten Tsoyzmer weiß ich zum Beispiel, dass der Judenrat zu diesem Zweck in erster Linie verschiedene Unterweltler und Abenteurer auslieferte, die angeblich der Gemeinde geschadet hatten. Dabei wurden auch solche Personen mitgeschickt, mit denen die Mitglieder des Judenrates persönliche Rechnungen zu begleichen hatten. Der Rest rekrutierte sich aus den armen Massen, die nicht so viel Geld besaßen, um sich bei den Beamten der Judenräte auskaufen zu können. Sie hatten nichts zu verlieren, wohl wissend, dass sie bei jedem Feuer die ersten sein würden, und sie meldeten sich daher freiwillig oder widersetzten sich nicht, wenn man sie holen kam. Das gleiche spielte sich in vielen Städtchen in jedem Kreis ab.
Nach und nach kamen Nachrichten aus der Lubliner Gegend, wo die Aktion »judenrein« früher und unbarmherziger begonnen hatte, und vertrieben den geringsten optimistischen Zweifel am weiteren jüdischen Schicksal. Sie ließen das Blut in den Adern gerinnen und man begann, in der Luft die nahe Todesgefahr für alle zu spüren. Damals begannen sich immer mehr und mehr freiwillig zur Arbeit zu melden, in der sie die Rettung vor dem sicheren Tod sahen.
Zur Zentrale für die Werbung Freiwilliger wurde das deutsche Arbeitsamt in Ostrowiec bei Kielce. Für die Freiwilligen wurden spezielle Autos bereitgestellt, auf die sie ihr ganzes Hab und Gut aufladen und in ihr neues HASAG-Heim mitnehmen konnten. Der Trubel versetzte alle in Aufregung und es zeigte sich, dass in wenigen Tagen von allen umliegenden Städten nichts mehr bleiben würde.
Väter und Mütter, die sich unter keinen Umständen von ihren eigenen vier Wänden trennen konnten oder die man aufgrund ihres Alters nicht mehr zur Arbeit annehmen wollte, standen mit tränengefüllten Augen und sahen zu, wie die bewachten Autobusse das schönste, was sie in ihrer Stube besaßen und in das man viele Jahre Mühe, Hoffnung und Blut investiert hatte, wegbrachten. Die Kraft, laut zu weinen, war nicht mehr da und so glänzte in den Augen nur still die Frage: Werden wir uns wiedersehen? In anderen Stuben beriet man lange und kam zu dem Schluss, dass man die Rollen verteilen musste: Ein Teil der Familie, die Jüngeren, sollten in die HASAG gehen und ein Teil sollte derweil im Ghetto bleiben. Würde es in der HASAG schlecht sein, wäre zumindest jemand im Ghetto, der ein Essenspaket oder ein Bündel Wäsche schicken könnte. Und wenn es einem gelänge zu fliehen, sollte er jemanden haben, zu dem er kommen könne, es sei denn, man sei schon nicht mehr am Leben. Und umgekehrt: Sollte es »heiß« werden in den Ghettos, hätte man Familie in der HASAG, die schon die Bedingungen kennen und wissen würden, an welche Tür zu klopfen wäre, die sich bemühen konnten, die Verwandten und Zurückgebliebenen herzubringen oder sie sogar aus den Todestransporten herauszuholen. So vergingen in allen Städten mit Ghettos Tage voller Furcht, voller konfusem Entsetzen und nüchterner, klarer Berechnung, wie man wenigstens irgendeinen aus der Familie retten könne, und man hielt sich für jeden Ausweg ein Türchen offen.
IV
Ungefähr im Mai 1942 begannen Tausende aufgegriffener Juden und Freiwillige in die Skarżysker HASAG zu strömen, aus Städten wie Bodzentyn, Raków, Stopnica, Opatów, Pokrzywnica, Staszów usw.
Bei der Ankunft wurden alle einer strengen Durchsuchung durch Mitglieder des deutschen, ukrainischen und polnischen Werkschutzes unterzogen. Sie nahmen aus den Packen alles, was ihr Herz begehrte, ließen aber vieles übrig, um die anderen, die nachkommen würden, zu locken. Sie wussten, dass die Ghettobewohner über verschiedene Umwege in Briefkontakt mit ihren Nächsten im Lager standen, und sie würden sich sicher bei Gefahr hierher durchschlagen. Dann sollten auch sie alles mitbringen, was sie besaßen, denn »etwas lassen sie doch übrig«. Letztendlich würde es später ja doch in der HASAG verbleiben.
Die SS und der Werkschutz des Lagers hatten noch andere Ideen, wie man die Juden ausnutzen konnte. Die erste war die Mitteilung, dass jeder von zu Hause Päckchen mit Essen und Wäsche geschickt bekommen konnte. Man brauche nur den Verwandten einen Brief zu schreiben, was sie schicken sollten und ihn dem Werkschutz zu geben. Der würde speziell zu dem Zweck über die Städte fahren. Die Juden des Lagers verstanden durchaus die Absicht solcher Wohltäter. Sie rechneten sich aber auch aus, was in einigen Tagen oder Wochen aus ihrem dortigen Vermögen werden würde. Es war deshalb ihr Hauptanliegen, möglichst viel aus ihren Händen zu bekommen. Niemand konnte oder wollte in die nahe Zukunft blicken, um zu erkennen, dass genau das in sich eine große Gefahr für denjenigen barg, der solche Gelegenheit wahrnahm.
Alle paar Tage fuhren große Lastwagen mit Werkschutzleuten los, schleppten aus den Ghettos alles nur Mögliche heraus und brachten es ins Lager. Um das Vertrauen der Lagerbewohner zu gewinnen, nahmen sie bei jeder Fahrt etliche Juden des Lagers mit, die bei den Stadtbewohnern dafür werben sollten, möglichst viel zu schicken. Die Werkschutzleute bekamen vor Ort kostbare Geschenke, damit »sie die Juden besser behandelten«. Erst später durchsuchten sie die Päckchen und nahmen alles, was für sie von besonderem Wert war, sowie die schmackhaften Leckerbissen heraus. Die Juden aber, die den größten Teil ihres Päckchens bekamen, waren daran interessiert, dass möglichst oft in die Ghettos gefahren wurde. Es gab im Lager auch Juden aus den Städten, die im Laufe der Zeit vollständig liquidiert worden waren und die von ihrem vogelfrei gewordenen Vermögen noch etwas retten wollten. Die »beste« Möglichkeit war, mit einem Werkschutzmann zu dem leerstehenden oder von Polen besetzten Haus zu fahren, ihn mit einer gewissen Summe zu entlohnen, um dafür das versteckte Gold oder Geld, das irgendwo eingegraben war, mitnehmen zu können. Schon zu jener Zeit gab es Fälle von Erschießungen, aber im Allgemeinen behandelte man die Juden noch nicht gezielt unmenschlich. Es sah so aus, als ob man hier mit dem Besitz von Geld und Artikeln, für die man bei den Polen und dem Werkschutz etwas Essen kaufen konnte, durchhalten könne, bis die Zeiten sich vielleicht ändern würden. Der Werkschutz wusste derweil um jeden Einzelnen, der etwas besaß, und behielt ihn im Auge, um es bei der erstbesten Gelegenheit ausnutzen zu können.
V
Der Generaldirektor aller drei Skarżysker Fabriken war der SS-Standartenführer Dalski. In Polen war er Pułkownik18 der Armee.19 In Friedenszeiten war er der Direktor derselben staatlichen Munitionsfabrik und er trug die Hauptschuld an allem, was dort passierte. (Er und Budin sollen von den Amerikanern im Mai 1945 in Thüringen gefangengenommen worden sein.)20 Der Chef des Werkschutzes (Werkschutzleiter) war der Hauptsturmführer Krause (später, Anfang 1944, kam für ihn Sturmführer Pollmer). Damals gab es noch den Oberwachführer Bartenschlager (er war bis zur letzten Minute in der Częstochower HASAG) und den SA-Leutnant Eisenschmidt. Ihnen zur Seite stand der Zivilmeister Heinrich als Leiter des »Judeneinsatzes«. Diese alle, zusammen mit den anderen, die ich noch genauer beschreiben werde, begingen die Hauptverbrechen in Werk A und teilweise in Werk C. Zu ihrer Unterstützung errichteten sie einen ganzen Apparat mit jüdischer Polizei, mit einem eigenen Kommandanten und einem Lagerältesten. Zu Beginn war der Kommandant von Werk A ein Lemberger Jude, Zalcman, der später von der SS erschossen wurde. Kommandant der Polizei war der Radomer Jude Teperman (umgekommen zusammen mit dem späteren Kommandanten von Werk A, Krzepicki, und anderen jüdischen Provokateuren durch die geheime jüdische Organisation in Buchenwald im August 1944.21 Näheres dazu in meinem Buch Megilla Buchenwald22). Die jüdische Polizei in Werk A umfasste anfangs dreißig und später siebzig Personen. Ihr Ressort war die nächtliche Zusatzbewachung des Lagers, die Essensausgabe, das pünktliche Bereitstellen der Arbeiter in der geforderten Anzahl zur Arbeit und oft auch die Zuteilung der Arbeitsplätze. Nach der SS und dem Werkschutz waren sie die mächtigsten Menschen im Lager. Es gab auch Juden im internen Lagerbüro, Kommandanten der Lebensmittelversorgung, der Kleidung und anderer solcher Funktionen. Ihnen untergeordnet waren die jüdischen Vorarbeiter und die nachrangigen Lagerfunktionäre. Die SS benutzte gerade sie oftmals für ihre dunklen Zwecke. Es muss dazu bemerkt werden, dass die jüdische Polizei und die Kommandanten sich überwiegend aus denen rekrutierten, die als erstes ins Lager gekommen waren und deshalb die Verhältnisse kannten und wussten, bei wem man sich einschmeicheln musste, um eine Funktionärskarriere zu machen. Wie ich schon angemerkt habe, wurden in der überwiegenden Mehrheit die Unterweltler der kleinen und größeren Städte aus den Ghettos als erste weggeschickt. Sie konnten deshalb als erste einen Polizeihut ergattern, weil sie auch kein Problem damit hatten, die Befehle der SS auszuführen. Sie waren dafür die richtigen Männer am richtigen Ort. Dazu kam ein Teil der assimilierten jüdischen Intelligenz, die schon immer auf die jüdischen Massen wie auf niedere Wesen herabgeschaut hatte und ihnen deshalb leichten Gewissens verschiedene Foltern antun oder sie in den Tod schicken konnte (wie ich schon in Majdanek23 aufgezeigt habe). Das war ein allgemeiner Charakterzug aller Polizeileute in den verschiedenen Ghettos und Lagern. Es gab aber auch einige wenige Ausnahmen, sowohl in psychologischer wie auch in moralischer Hinsicht, über die ich mich speziell auslassen werde.
Die Menschen, die mit späteren Transporten kamen, hatten unter ihren eigenen Landsleuten zu leiden, die früher gekommen waren und sich mit der Zeit hochgedient hatten. Es gab auch gewisse Handlungen der Polizei aus Verbitterung, Hass und Rachsucht. Der Verfasser dieser Zeilen betrachtet es als seine Pflicht, dies in literarischer Form in seinen weiteren Schriften aufzuzeigen.
Es reicht aus, ein paar Beispiele anzuführen, wie die Menschen in der HASAG ausgesiebt wurden:
Opatów bei Kielce hatte ein Kontingent von 700 Menschen für die HASAG bereitzustellen. Da aber der Judenrat nicht die erforderliche Anzahl erreichte, ergriffen die Wachmannschaften selber, wen immer sie in die Hände bekamen. Selbst eine beträchtliche Anzahl Kinder von zehn bis zwölf Jahren fingen sie und schleppten sie mit. (Ein kleiner Teil dieser Kinder durchlief in willkürlicher Folge eine Reihe von Lagern und wurde später gerettet.)
Von jener Gruppe lebten im August 1944 noch ungefähr siebzig Mann. Das war der höchste Anteil, weil die Opatower es geschafft hatten, mehr Geld einzuschmuggeln und sich besser zu halten. Aus anderen Transporten mit Tausenden Menschen sind im Verlauf einer kurzen Zeit nur Einzelne geblieben.
Die Opatower Gruppe zum Beispiel wurde in Werk A dem Pressen der schweren Granaten (Kaliber 15,2cm) und dem Transport der Produktion zugeteilt. Für die Jugendlichen wurden selbstverständlich keine Ausnahmen gemacht. Ein großer Teil der hergebrachten Juden wurde in der halbverfallenen ehemaligen technischen Schule bei Skarżysko, der sog. »Ekonomia«, zusammengedrängt. Nicht alle fanden Platz auf den fünfgeschossigen Pritschen, die wie enge Krippen zusammengezimmert waren. Etliche hundert Mann mussten auf der Erde schlafen. Das Dach war offen und bei dem geringsten Regen war die Baracke voll Wasser, sodass alle im Matsch herumstapfen mussten. Die weniger glücklichen, die keinen Ort auf den harten Brettern finden konnten, mussten sich in den Schmutz legen. So war es verständlich, dass ein reger Handel mit den Plätzen entstand, und der Polizist, der die Aufsicht über sie hatte, konnte die Plätze zu einem beliebigen Preis verkaufen. Alle waren schrecklich verlaust und die Kleidung zerfiel schnell in Stücke. Es war nicht möglich, das Hemd zu waschen, da es kein Wasser gab und an einem schweren Arbeitstag, durchschnittlich vierzehn bis siebzehn Stunden, fehlte auch die Zeit dafür und die Geduld. Es war natürlich, dass die Leute fielen wie die Fliegen oder so geschwächt wurden, dass sie resignierten (laut Baruch Goldberg, Warschau, und Chanina Balter, Opatów).
Am 3. Oktober 1942 fand die »Vertreibung« der Juden statt, die sich noch im Ghetto von Skarżysko befanden. Man trieb alle auf einem Platz zusammen und teilte die gesunden oder »protegierten« Männer und Frauen gesondert ab. Am selben Tag führten Bartenschlager und Eisenschmidt die erste große Selektion in Werk A durch. Von den 4000 Juden, die sich damals dort befanden, wurden mit Hilfe des Werkschutzes und der Zivilmeister ungefähr 1000 Juden ausgewählt. Das waren in der Mehrzahl von der schweren Arbeit ausgemergelte, schlecht aussehende und dürftig gekleidete Menschen. Sie wurden vom Lager in den Wald hinausgeführt, in Richtung Werk C. Auf dem Weg erschoss der Werkschutz etliche Hundert mit Maschinengewehren und brachte den Rest zum Sammelplatz des Ghettos. Sie wurden an jenem Tag zusammen mit den Juden von Skarżysko nach Treblinka24 geschickt. An ihrer Stelle brachte man die jungen, gesunden Männer und Frauen, die ausgewählt worden waren, ins Lager (laut Josl Goldberg, geb. 1926 in Skarżysko).
Es ist mir nicht gelungen zu erforschen, ob die Gerüchte wahr sind, dass der Austausch für eine riesige Summe Geldes von Seiten interessierter Personen für die SS durchgeführt wurde.
Das war der Beginn der massiven Grausamkeiten.
VI
Damals fing der härtere Kurs im Lager an. Es gab strenge Durchsuchungen, bei denen man jedem alles wegnahm, was nur irgendeinen Wert hatte. Mehr als einmal unterbrach man die Arbeit, trieb die Juden in eine große Fabrikhalle und durchsuchte jeden einzelnen.
In den Baracken ließ niemand etwas zurück, weil in der Enge alles verschwand. Jeder trug ständig sein Päckchen mit sich zur Arbeit und zurück. So war es leicht, jedem das abzunehmen, was dem Durchsuchenden gefiel. Die Aktion führte der erwähnte Heinrich durch.
Vor der Durchsuchung wurde angeordnet, dass jeder Geld, Gold und Wertsachen abgeben müsse. Wer dies nicht tue und bei wem später etwas gefunden würde, werde an Ort und Stelle erschossen. Nach den ersten Erschießungen durch Bartenschlager gaben viele unter dem unmittelbaren Eindruck des Todes ihr Geld selbst ab. Die psychologische Wirkung des Anblicks von Blut lässt kein langes Überlegen zu, sondern sucht das Gesehene unmittelbar zu vermeiden. Wenn man leben wird, tröstete man sich, wird es neues Geld geben. Viele begriffen aber, dass eine Existenz mit leeren Händen in der HASAG sowieso den sicheren Tod bedeutete, nur auf schrecklichere Weise. Also gaben sie nichts ab. Sie versteckten ihr Geld an den unvorstellbarsten Orten, so hatten sie später die Möglichkeit, für teures Geld ein Stück Brot bei den polnischen Vorarbeitern zu kaufen und sich damit zu stärken. Es gab andere, die aus Neid jenen nachspionierten, die die Möglichkeit hatten, jeden Tag ein Stück zusätzliches Brot zu essen, und es dem Werkschutz meldeten. Der Beobachtete wurde dann in die deutsche Wachstube geholt und so lange gepeinigt und gequält, bis er buchstäblich nicht nur sein Geld, sondern auch seine Seele herausgab. Oft musste er die Namen seiner Bekannten, die auch noch etwas besaßen, preisgeben. In jedem Lager gab es solche jüdischen »Zuträger«, die Hunderte ihrer Brüder verrieten. (Ein Teil der Skarżysker Denunzianten kam später durch jüdische Hände des Buchenwalder »Untergrundes« um.)
Unter den Werkschutzleuten gab es welche, die auf eigene Faust Massen von Juden ermordeten. So ermordeten der Ukrainer Iwanejko25 und sein Kamerad Koslowski26 im Verlauf ihres Dienstes bei der HASAG an die tausend Juden. Das geschah unter verschiedenen Umständen, hauptsächlich taten sie es zum Zweck des Mordens. Außerdem gab es solche Gespenster wie den Werkschutzmann Schneider (Deutscher), Czapek (Ukrainer), die Brüder Sawczuk (Polen) und viele andere Teufel, deren Namen ich nicht genau feststellen konnte. Die ersten beiden Genannten erschossen offiziell nur diejenigen, die schlecht aussahen und deshalb als Arbeitsunfähige betrachtet wurden (um »schlecht auszusehen« reichte es, in abgerissener Aufmachung zu gehen), sie ermordeten aber auch viele heldenhafte, gutaussehende und gutgekleidete Burschen. Wenn sie so gut aussahen, bewies das, dass sie Geld hatten. Und so wurden die guten Stiefel oder Röcke ihre Todesengel. So befand man sich zwischen zwei Feuern. Man zitterte davor, schlecht und abgezehrt auszusehen, noch schlimmer war es aber, wenn man zu gut auftrat. Viele Opfer gab es unter denen, die nicht das richtige Maß finden konnten.
Inzwischen wurde in der Radomer Gegend bekannt, dass im Distrikt vier spezielle »Judenstädte« eingerichtet werden. Alle Juden, wurde in den offiziellen Mitteilungen gesagt, die illegal versteckt in den verschiedenen Städten und Städtchen, in Dörfern und Wäldern lebten, könnten sich ohne Scheu in diesen speziell ausgesuchten Judenstädten melden, wo »die letzten Reste konzentriert werden und am Leben bleiben«. Dieser hinterhältige Trick wurde von den Deutschen in allen Gegenden des besetzten Polen angewendet und ich werde darüber noch gesondert berichten. Das diente der Gestapo dazu, viele versteckte Juden aus ihren Unterschlupfen hervorzulocken und sie an einem Ort zu konzentrieren, damit sie sie später leichter einfangen konnten. Dazu wurden in der Radomer Gegend die vier Städte Radomsko, Szydłowiec, Ujazd und Sandomierz bestimmt. Die Judenstädte sollten offiziell vor eventuellen Judenaktionen geschützt sein. Da die Juden, die irgendwo versteckt waren, wenig Zutrauen zu den verschiedenen Machenschaften der Gestapo hatten, beschlossen die raffinierten Mörder, diese Städte tatsächlich vorerst in Ruhe zu lassen.
Im ganzen polnischen Staatsgebiet bildeten sich in diesen festgelegten Orten wieder Judenräte und jüdische Polizei und alle Einrichtungen eines Ghettos, wie in den »guten alten Zeiten«, vor der Verschickung der ersten Transporte. Es war, als hätten die Gestapo und die deutsche Polizei absichtlich ihre Blicke von diesen neu eingerichteten Städten abgewendet. Die Kontrolle über die Ghettotore wurde schwächer und Bauern konnten leicht mit Lebensmitteln vom Dorf ins Ghetto gelangen. So begann in den ersten Tagen der Handel wieder aufzublühen, man begann wieder Geld zu verdienen und irgendwie zu leben. Wer geblieben war, vergaß oder wollte vergessen, welche Zerstörungen vor einem Monat geschehen waren und fing wieder an, ein paar Bretter, einen Tisch zusammenzutragen und sich eine Art Wohnung einzurichten.
Der despotische Herrscher über Polen, Generalgouverneur Hans Frank, hielt ungefähr zu jener Zeit eine Rede in Krakau, wo er einen Bericht über verschiedene Verwaltungsprobleme in seinem Reich abgab, und erklärte unter anderem:
Juden sieht man im Generalgouvernement keine mehr. Und wenn doch noch welche da sind, ist es nicht mehr der Wuchertyp, der unser deutsches Arbeiterblut ausgesaugt hat. Heute arbeiten sie.
So wuchs das Fünkchen Optimismus in den Juden wieder. Man begann zu glauben, dass das Weltgewissen irgendwo dort erwacht sei, dass man sicher Hitler ein Ultimatum gestellt habe, dass er »aufgrund verschiedener Drohungen« zugesagt habe, die Juden nicht mehr in den Tod zu schicken und sie besser zu behandeln. Solche und ähnliche Gerüchte kreisten um die Gründung der Judenstädte und die Gestapo verbreitete und unterstützte solche Vermutungen.
Es gab Gestapooffiziere, die »ihre« Juden hatten, denen sie »alles« mitteilten, sehr vertraulich, unter der Drohung, eine Kugel in den Kopf zu bekommen, sollten sie jemandem davon erzählen. Sie selbst »hätten davon gehört« in sehr hohen Kreisen. Dabei lachten sie sich ins Fäustchen, wohl wissend, dass im Ghetto innerhalb einer halben Stunde sogar die Kinder in den Wiegen davon reden würden und dass die kürzlich im Angesicht der gefährlichen Tage erwachte Vorsicht und Aufmerksamkeit dadurch geschwächt würde.
Und wenn die Versteckten auch in der ersten Zeit solchen zirkulierenden Gerüchten nicht trauten, mussten sie doch allmählich glauben, dass sich etwas geändert habe, da das Ghetto schon eine Woche ruhig war, schon zwei Wochen …
Die Gründung der Judenstädte hatte eine noch stärkere magische Wirkung auf die Bewohner der Lager. Wenn sie früher alles in dem resignierten Bewusstsein durchstanden, sie hätten keinen anderen Ausweg, so lockten genau diese Ghettos jetzt wie Wunderwelten und zogen sie an. Man hörte davon, dass es auch in Radom und anderen Städten noch Juden gebe, man dort frei lebe. Das hieß doch, dass, wer zum Opfer wurde, bereits gefallen war, und wer nicht, schon irgendwie bis zum Ende des Krieges durchkommen würde. Warum also hierbleiben?
Auf die ausgehungerten, gequälten und übermüdeten, ständig im Schmutz, in Exkrementen und unter der Peitsche in den Lagern Lebenden wirkten solche Nachrichten wie berauschende Getränke. Von Mund zu Mund verbreiteten sich Gerüchte, ausgeschmückt durch die Flügel der Fantasie, dass »Gott Mitleid mit den letzten Überbleibseln seines Volkes gehabt« und »an den Toren von Szydłowiec Er ihnen Brot bis zur Sättigung gegeben habe«. Warum also hier unter den verurteilten Opfern bleiben?
Es begann eine Massenflucht aus dem Lager, obwohl ein großer Teil auf dem Weg von den Deutschen erwischt oder von polnischen Einwohnern auf den Wegen abgefangen, den Deutschen ausgeliefert und von diesen erschossen wurde. Das Leben im Lager war so unerträglich geworden, dass viele begannen, die Erlösung jenseits des Zaunes zu suchen, mit dem einem Prozent Hoffnung, bis zum nahen Szydłowiec oder zum etwas weiter entfernten Sandomierz zu gelangen und sich dort zu »legalisieren«.
Bartenschlager machte damals gemäß allen KZ-Gesetzen für jeden Geflohenen zehn Mann verantwortlich. In der ersten Zeit ließ er nach jeder Flucht das ganze Lager Aufstellung nehmen, suchte etliche der schönsten jungen Männer heraus und erschoss sie an Ort und Stelle als Warnung. Es nützte aber nichts, es verstärkte bloß den Fluchtdrang. Hunderte wurden auf den Wegen erschossen und doch folgten ihnen Hunderte nach. Es reichte aus zu hören, dass jemand bei Nacht nicht in die Baracke zurückgekommen war, und tausende Herzen schlugen voll sehnsüchtiger Unruhe auf den harten Liegen.
Es kam so weit, dass es die Mitglieder des Judenrates aufschreckte. Wenn es einem der Geflohenen gelang, sich bis zum Ghetto einer Judenstadt durchzuschlagen, hatten sie Angst, ihn offiziell zu registrieren. Es gab sogar Fälle, dass die jüdische Polizei aus Angst die Geflohenen wieder in die Hände der Deutschen auslieferte, denn »sie sollten um Himmelswillen kein Unheil für alle« mit sich bringen.
Dazu kam, dass die Werkschutzleute Iwanejko, Kozlowski und Schneider unter den Juden solche ausspähten, die noch etwas besser angezogen waren oder solche, bei denen man vermuten konnte, dass sie noch etwas Geld hatten. (Es halfen ihnen dabei unter anderem die Verräter Mendel Wajntraub aus Zwoleń, Józef Wajsblum und Zenek Milsztajn aus Suchedniów und Mosze Sztark aus Radom. Über sie ausführlicher später.)27 Sie riefen sie heraus, brachten sie zu den Zäunen, erschossen sie »beim Versuch zu fliehen« und raubten sie aus.
Es gab auch Werkschutzleute, die das Fluchtbegehren auf andere Art ausnutzten:
Sie befreundeten sich mit den frisch Angekommenen. Die Neuen wurden meist zu den schwersten Arbeiten geschickt, wo man nicht lange durchhalten konnte. Sie waren daher die ersten, die an Flucht dachten. Es fanden sich aus dem Kreis der Polen und einiger Juden Unterhändler ein, die einen »freundlichen« Werkschutz ausmachten, der bereit war, für den Preis von etlichen Tausend Złoty beim Überwinden der Zäune behilflich zu sein. Der Fliehende musste nur noch achtgeben, an welchem Ort der bestimmte Werkschutz Wache hielt. Solche Fälle endeten immer gleich:
Das Geld wurde dem Werkschutz ausgezahlt. Der Jude fand sich an den Zäunen ein, fragte noch einmal beim Wachmann nach, ob er mit der erhaltenen Summe vollständig zufrieden sei. Dann verabschiedeten sie sich »aufrichtig« voneinander. Der Werkschutz stellte sich zehn Schritte entfernt auf, um zu beobachten, ob niemand etwas sah. Der Jude näherte sich langsam und sicher dem Zaun. Aber dann − eine unerwartete Kugel in den Kopf verhinderte in letzter Minute das Hinüberspringen auf die andere Seite.
Später bekam ein solcher Werkschutzmann noch eine spezielle Auszeichnung, einen kurzen Urlaub und eine finanzielle Belohnung für das Ergreifen eines flüchtenden Juden. Über die hunderte Fälle von Erschießungen »außer der Reihe« bei der Arbeit und ähnliche Vergehen will ich hier jetzt nicht berichten.
VII
Ende 1942 wurde die Judenstadt in Radomsko liquidiert. Der größte Teil der Juden wurde nach Treblinka geschickt, ein kleiner Teil der gesunden Jugend wurde für die HASAG ausgesucht. Einige hundert Mann wurden nach Skarżysko gebracht und auf alle drei Werke verteilt. Es waren hauptsächlich ehemalige Ghettopolizisten mit ihren Familien. Es kamen auch ein Teil der reichen Intellektuellen, die es geschafft hatten, bis zur letzten Minute im Ghetto zu bleiben und sich später in die HASAG zu retten. Etlichen von ihnen gelang es, sich einen Posten bei der Polizei oder eine andere Lagerfunktion zu erkämpfen. Einem von ihnen, dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Krzepicki, gelang es sogar, dank seiner brutalen Auftritte und seiner »guten« Beziehungen zur SS-Leitung, den Kommandantenposten in Werk A zu übernehmen.
Als Lagerführer von Werk A wurde der unter dem Namen »der Bucklige« bekannte deutsche Wachmann Kühnemann bestimmt. Er war bis Kriegsende Aufseher in der Fabrik Schlieben bei Leipzig und zeichnete sich durch seine sadistischen Neigungen und Tötungen aus. Als interner Alleinherrscher über das Lager fand er in den jüdischen Unterweltlern eine große Hilfe und er gab ihnen unbegrenzte Macht, die zu Lasten ihrer gepeinigten Brüder ging.
Aus jener Zeit gibt es einen Fall, der es wert ist, hier geschildert zu werden:
Zwei Radomsker Juden waren mit einigen Personen zusammen geflohen. Ein ukrainischer Werkschutzmann, Katula, jagte ihnen nach und fasste sie. Er brachte sie zum allgemeinen Schießplatz von Werk C. Auf dem Weg warfen sich die beiden auf ihn. Einen erschoss Katula, aber dem zweiten gelang es, mit einem kleinen Taschenmesser Katula die Kehle durchzuschneiden und zu fliehen. Der Werkschutz ergriff daraufhin willkürlich drei Juden in der Fabrik und erschoss sie beim Fabriktor. Am selben Tag ließ der Werkschutzleiter alle Juden von Lager A Aufstellung nehmen. Man erwartete sehr schwere Sanktionen. Aber es endete lediglich mit einer strengen Durchsuchung, bei der man alle Taschenmesser konfiszierte. Es ist der einzige Fall eines aktiven Widerstandes mithilfe eines Messers in Werk A, der mir bekannt ist. Es gab auch einzelne Fälle, in denen es einem Verwundeten gelang, sich zu retten, wenn der Werkschutz meinte, er sei schon tot. Von einigen von ihnen kenne ich die erzählten Einzelheiten genau.
Im Januar 1943 brach Typhus im Lager aus. Die jüdische Lagerleitung wählte eine abgesonderte Baracke speziell für die Kranken aus. Man ließ sie dort liegen ohne jedwede medizinische Hilfe oder Aufsicht. So lagen sie im eigenen Kot und Schmutz, bis sie starben. Es gab niemanden, der die Toten hinaustrug, so lagen sie mehrere Tage zwischen den noch Lebenden und verpesteten die ganze Luft in der Baracke. Bartenschlager machte es sich damals zur Aufgabe, die Typhus-Epidemie zu beenden. Er selbst erschoss eigenhändig über hundert Kranke und befahl dem Werkschutz, jeden bei dem bloßen Verdacht auf die Krankheit zu erschießen. Auf diese Weise wurden viele Menschen auf dem Weg zu oder von der Arbeit erschossen. Es reichte aus, dass ein Werkschutzmann bei jemandem eine gewisse Schwäche beim Gehen oder eine auffallende Unbeweglichkeit bemerkte. Bartenschlager ordnete auch an, man solle ihm alle Menschen melden, die von der Krankheit genesen waren. Das war die Aufgabe der deutschen Zivilmeister, die feststellen konnten, wer einige Tage nicht zur Arbeit gekommen war. Einen besonderen Eifer bewies der Meister Dumin. Alle diese gesunden und kräftigen Männer, deren genaue Zahl mir nicht bekannt ist, brachte man hinaus zum Werk C und Bartenschlager erschoss bei deren Exekution mehr als alle Werkschutzleute zusammen. Danach gingen Menschen selbst mit schwersten Krankheiten zur Arbeit, bis sie auf dem Weg starben.
VIII
Von den Juden in Werk A (deren Zahl immer zwischen 4000 und 7000 Personen lag) waren an die Hälfte Frauen. Außer einigen protegierten Frauen in mittleren oder älteren Jahren (Mütter oder Schwiegermütter eines Kommandanten, Polizisten oder Funktionärs) waren alle sehr jung. Das Durchschnittsalter lag zwischen 16 und 35 Jahren. Jede einzelne war meist schon etliche Male ausgewählt worden, sodass der allergrößte Teil von ihnen schön und gesund war. Man kann sich deshalb die sexuellen Übergriffe auf die Frauen von Seiten mancher deutscher und polnischer Meister, wie auch von Seiten der jüdischen Kommandanten vorstellen. Man kann auch die Demoralisierung verstehen, die sich in solch schrecklicher und chaotischer Atmosphäre verbreitete und auch in den weiteren Büchern auf der Basis eigener Erfahrungen und Beobachtungen geschildert wird. Ich will hier nur als Beispiel folgenden Fall anführen:
Am 3. Januar 1943 veranstalteten die »Prominenten« der Lagerleitung eine kleine Feier. Nach einem ausgiebigen Trinkgelage erschienen Bartenschlager und Eisenschmidt im Lager. Es war zwölf Uhr am Mittag. Die Frauen der Nachtschicht schliefen alle. Die zwei Betrunkenen drangen in die Frauenbaracke ein und weckten sie. Sie befahlen den Frauen, sich in ihrem halbnackten Zustand aufzustellen und suchten lang zwischen ihnen, schließlich wählten sie die drei schönsten Frauen des Lagers aus (eine gewisse Milchman aus Suchedniów, eine zweite, Zylberberg, aus Opatów und eine dritte, deren Namen nicht bekannt ist28). Sie erlaubten ihnen nicht, sich etwas anzuziehen, sondern brachten sie dreiviertel nackt durch das Lager zu sich. Dort befahl man ihnen, sich ganz auszuziehen, und jede von ihnen wurde mehrere Male geschändet. Gegen vier Uhr nachmittags führte Bartenschlager zwei der erwähnten Frauen in den Wald und erschoss sie, nackt wie sie waren. Dann ließ er zwei Männer aus dem Lager herrufen, befahl ihnen, sie zu begraben und ein weiteres Grab vorzubereiten. In der Nacht brachte er die dritte, die er auch eigenhändig erschoss (laut Aussage meines Freundes Baruch Goldberg und anderer). Das ist nur einer von zig Fällen aus Werk A und B, die ich von äußerst glaubwürdigen Zeugen hörte. Hauptsächlich will ich aber davon erzählen, was ich selber sah. Hier will ich es nur in groben Zügen berichten:
Es gab mehrere Fälle, in denen Werkschutzleute, Meister und ähnliche Offizielle sich jüdische Frauen aussuchten, für kurze oder längere Zeit mit ihnen eine Beziehung unterhielten und sie dann eigenhändig erschossen oder ins Werk C schickten. Noch heute blutet mir das Herz bei der Erinnerung an unsere schauderhafte Schande, ich muss es aber tun, wenigstens flüchtig und nur streifend, um den Leser zumindest ein wenig hineinzuführen in jene Atmosphäre, die in meinen Werken geschildert wird.
So hatte zum Beispiel in Werk B ein Meister ein Auge auf das schönste Mädchen im Werk geworfen. Er nahm sie zum Aufräumen seines Büros zu sich und benutzte sie längere Zeit. Nach einiger Zeit wurde sie schwanger. Er nutzte daraufhin die Gelegenheit, als es eine Selektion gab und man eine größere Gruppe kranker, erschöpfter und halbnackter Leute aussuchte, und stellte sie kaltblütig mit in die Reihe. Sie warf sich ihm zu Füßen, küsste seine glänzenden Stiefel und bat ihn mit eindringlichen Worten, sie leben zu lassen. Sie rief ihm in Erinnerung, dass sie erst 21 Jahre sei und noch so frisch und gesund. In ihrer Verwirrung erinnerte sie ihn mit lauter Stimme, dass er sie doch erst gestern noch so liebkost habe und fragte, warum er heute ihr Leben wolle? Aber er lächelte nur schief und entgegnete ihr zynisch: Dort, Jüdin, wird es dir besser gehen. Er nahm gelassen seinen Revolver heraus und vor aller Augen erschoss er die »verfluchte, hysterische Jüdin«.
Einige solcher Fälle − nicht alle endeten mit dem Tod − sind mir bekannt und dienen als Hintergrund für gewisse Kapitel dieses Buches.
IX
Am 10. Januar fand die Liquidation der Judenstadt Szydłowiec statt. Im Lager wusste man an dem Tag noch von nichts, aber die deutsche Lagerleitung hatte entsprechende Informationen. Gleich morgens gab es eine Bekanntmachung: Da viele Juden fliehen, weil sie unbedingt ins Szydłower Ghetto gelangen wollen, habe die Lagerleitung beschlossen, alle zu registrieren, die freiwillig ins Ghetto fahren wollen. Sie alle würden dorthin heimgeschickt, sodass im Lager Chaos, Fälle von Flucht und unnötige Erschießungen vermieden würden und die restlichen ungestört arbeiten könnten.
Aber kaum jemand der »Unzufriedenen« wollte sich melden, niemand traute den merkwürdigen »befreienden« Zusicherungen, die so plötzlich kamen. Deshalb musste der Werkschutz mit Hilfe der Polizei mit Gewalt »freiwillige« Rückkehrer nach Szydłowiec einfangen. In Werk A sammelte man auf diese Weise 160 Mann und schickte sie mit dem Zug nach Szydłowiec, von dort kamen sie automatisch mit dem Transport nach Treblinka. Am selben Tag griff man auch in Werk C 300 »Freiwillige« und schickte sie nach Szydłowiec.
Auch diesmal brachten sie von Szydłowiec andere Menschen zurück, gesündere und junge, die sie auf dem Szydłower Sammelplatz auswählten. Das waren ungefähr tausend Menschen. Auch hier muss das gleiche angemerkt werden wie beim Tausch in Skarżysko. Niemand kann mit Sicherheit feststellen, ob das nur die Arbeit eines einzelnen Akteurs war.
Die letzte der offiziellen Judenstädte war Sandomierz (aus der vierten Stadt Ujazd schickte man die Juden irgendwo anders hin, deshalb kenne ich das Datum der Liquidation nicht). Mit den unterschiedlichsten Mitteln gelang es den dortigen Juden, sich dort bis in die ersten Monate des Jahres 1943 aufzuhalten. Als sie aber hörten, was mit den anderen Judenstädten geschah, verstanden sie, dass ihnen der Boden unter den Füßen brannte, und sie fingen an, verschiedene andere Auswege zu suchen. Einzelne bauten sich tiefe Bunker in den benachbarten Wäldern, schafften Lebensmittel und andere Einrichtungsgegenstände hin (sogar Radioapparate, um Nachrichten hören zu können und zu erfahren, wie die politische Situation ist), um dort längere Zeit auszuhalten und zogen sich dorthin zurück. Wir erhielten von solchen Menschen in den Bunkern noch im Jahr 1944 vereinzelte Grüße. Der größte Teil aber wurde von polnischen Suchern, die auf leichten Verdienst aus waren, entdeckt und den Deutschen ausgeliefert.
Andere ließen sich von der dortigen Firma »Rolnik29« in einem Lager kasernieren, weil der deutsche Direktor ihnen versicherte, dass »seinen« Juden nichts geschehen werde, solange er lebe. Zu ihm gingen viele vom Judenrat, von der Ghettopolizei und solche, die eine große Summe Geld besaßen, sich dort einzukaufen. Sie fanden es zu schade, sich von dem heimischen Städtchen und der geliebten Weichsel zu trennen, und wollten auf diese Weise in der Nähe ihres ehemaligen, inzwischen zerstörten Hauses bleiben. Im Übrigen konnte man sich manchmal von dort zu einem Bauern, den man kannte und bei dem man ein Vermögen versteckt hatte, durchschlagen und bei ihm etwas gegen Essen tauschen.
Auch von denen gab es ständig Nachrichten. Es gab zwar Selektionen, aber ein Teil der Menschen blieb dort bis Mitte 1944. Was mit ihnen beim Angriff der Russen auf die Weichsel in jener Richtung (bei Baranow) geschah, ist mir nicht bekannt.
Nicht alle aber konnten in den »Rolnik« hineinkommen, besonders, da viele kein Zutrauen zum eigenen Ort hatten. Es sah so aus, als ob man, wenn man gerettet werden wollte, einmal an einen anderen Ort verlegt worden sein musste. So als müsse man seiner Pflicht des Verschicktwerdens nachkommen. (In dem instinktiven Gefühl lag faktisch ein Stück Wahrheit: Selbst die Juden, die die Deutschen noch eine Weile leben lassen wollten, wurden an andere Orte geschickt. So schickte man uns zum Beispiel von Zamość nach Majdanek und später »borgte« man sich eine Gruppe Menschen von Majdanek für das Lager in Zamość, um unsere unterbrochene Arbeit zu beenden. Sie wollten nicht, dass man am eigenen Geburtsort blieb, der einem vertraut war und wo man bei der Flucht schnell ein sicheres Versteck finden konnte.) Deshalb meldeten sich eine Gruppe Jugendlicher und einige Mädchen freiwillig, um in die HASAG nach Skarżysko geschickt zu werden. Viele hatten erst kürzlich, oder auch gerade deswegen, geheiratet. So fiel der Abschied schwer. Man nahm ein Kissen, ein Päckchen mit ein paar Hemden, versteckte ein paar Goldstücke im Schuh oder im Stiefelabsatz und folgte seinem Schicksal.
Mit den Sandomierern endete das Kapitel der Transporte aus den Judenstädten ins Werk A. Bei jedem Transport gab es dort eine doppelte Selektion: Zum einen suchte man Menschen zum sofortigen Tod aus, zum anderen wählte man diejenigen, die noch von einigem Nutzen sein konnten, und schickte sie hinüber ins Todeslager von Werk C. Dort wurde ihnen das letzte bisschen Kraft genommen, bis sie erloschen.
Unter den drei Werken war Werk A das größte, in dem auch die größte Anzahl Juden war (zwischen 4000 und 7000), dann kam das Werk C mit seinen giftigen Arbeiten mit einer durchschnittlichen Anzahl von 1500 bis 3000 Juden und das kleinste, das Werk B, mit einer Anzahl von 500 bis 800 Juden (die Zahlen änderten sich wegen der Todesfälle ständig und sie hingen davon ab, ob frische Transporte ankamen oder nicht).
Der »Garten Eden« des Lagers war das bisher beschriebene Werk A, alle träumten davon, dorthin zu kommen. Und tatsächlich herrschten dort im Vergleich zu Werk C fantastische Bedingungen. Es reichte aber aus, sich irgendwie zu versündigen, dass man als Strafe erschossen oder, noch schlimmer, ins Werk C hinübergeschickt wurde, um beim Pikrin oder Trotyl zu arbeiten.
X
Das Lager von Werk A lag nahe am Weg in die Stadt. Durch die Zäune konnte man Fuhrwerke und Autobusse fahren sehen, Menschen gingen auf den Bürgersteigen. Das verstärkte die Sehnsucht nach Freiheit, aber gleichzeitig beruhigte es ein wenig. Es bedeutete, dass man noch Kontakt mit der freien Welt hatte, wenn auch nur durch Blicke. Man befand sich in ihr, konnte sie sehen, nur die Drahtzäune trennten einen von ihr ab. Das Werk C dagegen war eingeschlossen in der Tiefe eines abgesonderten Waldes. Nicht weit vom Lager A gab es verschiedene Geschäfte und die HASAG-Bäckerei. Oft gelang es, mit einem Polizisten Kontakt aufzunehmen und etwas ins Lager hereinzuschmuggeln. Die Fabrik dort war größer und es arbeiteten dort mehr zivile Arbeiter. Als man begann, die polnischen jungen Menschen nach Deutschland zu verschicken, ließen sich viele junge Polen aus aristokratischen Häusern als Arbeiter in der Fabrik einschreiben. Die meisten von ihnen genossen Protektion und kamen ins Werk A, wo die Arbeit leichter und sauberer war. Sie brachten von zu Hause das beste Essen mit und aßen mittags nicht die Fabriksuppe. Es gab Juden, die ihnen die Arbeit machten oder mithalfen, und dafür bekamen sie ihre Suppenportion und manchmal ein Stück Brot. Daher konnten sich viele länger auf den Beinen halten. In Werk C kam das seltener vor.
Da sich in Werk A mehr Intellektuelle befanden, die einen großen Bekanntenkreis und viele Beziehungen hatten, gelang es manchmal, natürlich zu einem hohen Preis, durch einen von ihnen Kontakte zu einem aus der verstreuten Familie oder zu einem Christen zu knüpfen, bei dem man das Vermögen versteckt hatte, und bekam etwas davon gebracht. Auch hier gab es Unverfrorenheit und Unterschlagung, aber doch hielt es einige Menschen am Leben.
In Werk A waren auch die polnischen Arbeiter ein bisschen milder als die von Werk C, wo die Polen selbst Hunderte Juden erschlugen. Die Polen in Werk A waren größtenteils Neulinge bei der Arbeit, die sich nur in Sicherheit bringen wollten. Deshalb waren sie zurückhaltender. Einige von ihnen brachten Brot zum Verkaufen oder nahmen Briefchen an, um sie an arische Adressen zu schicken. Einige wurden dabei erwischt und in ein Konzentrationslager geschickt. Der Pole Nowak aus Skarżysko wurde sogar öffentlich gehängt, weil er Brot in die Fabrik brachte, um es den Juden zu verkaufen.30
Da aber niemand den schrecklichen Hungertod sterben wollte, gab man das Letzte her, um Brot zu bekommen. Man nutzte auch die entfernteste Möglichkeit, um manchmal noch etwas herauszubekommen, mit Bittbriefen oder Zusagen für spätere, freie Zeiten. Die Polen wiederum reizten die hohen Preise und deshalb riskierten sie den Schmuggel mit Brot und Briefchen. So war die Situation bis zu meiner Ankunft im Juni31 1943.
XI
Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1941 begannen die Deutschen, das Werk C auszubauen und es in eine Fabrik im großen Maßstab zu verwandeln. Für die Aufbauarbeiten nutzte man die Juden von Skarżysko. Einer der ersten Juden, Zajonc aus Łódź, leitete die Bauarbeiten bis zur letzten Minute. Im Dezember 1941 brachte man die ersten Transporte aufgegriffener Juden, die von den Gemeinden bereitgestellt wurden. Die Juden arbeiteten im sogenannten Waldkommando. Ihre Arbeit bestand im Fällen der alten Bäume des dichten Waldes von Skarżysko und im Vorbereiten des Platzes für die neuen Fabrikhallen und für das Judenlager. Die ersten paar Hundert Juden schliefen derweil in einer großen Baracke der Fabrik. Das Essen bestand aus 200 Gramm Brot täglich und einem Dreiviertelliter Wassersuppe. Von dem Schmutz bekamen sie Läuse, die die Menschen buchstäblich bei lebendigem Leib auffraßen. Die Fabrikleitung kümmerte sich nicht um die minimalsten Bedürfnisse der Juden. Ihr reichte es, wenn die Arbeit ausgeführt wurde und darüber hinaus konnte mit ihnen geschehen, was wolle. Die internen Arbeiten lagen in jüdischer Hand, es gab nur zwei Polizisten der städtischen Gendarmerie-Abteilung, die über die Juden wachten. Erst einige Zeit später wurde ein Werkschutz aus deutschen, ukrainischen und polnischen Wachleuten organisiert. Leiter der Bauarbeiten war zu jener Zeit der Ingenieur Schmitz aus Leipzig. Er leitete auch den Ausbau einer neuen Bahnlinie von Werk A nach Werk C, sowie das Errichten von Baracken für seine speziellen Arbeiten in der Fabrik.
Das deutsche Arbeitsamt in Ostrowiec beschäftigte sich, wie schon erwähnt, mit dem Zuteilen jüdischer Zwangsarbeiter an alle Fabriken in der »Zentralen Industrieregion«. Von dort aus wurden die jüdischen Kontingente auf die verschiedenen Munitionszentren verteilt. Der Stellvertreter des Inspektors im dortigen Arbeitsamt, Seifmann, der schon wusste, was mit den Juden geplant war, warb bei den Ghetto-Bewohnern, sich freiwillig für die Lager einzuschreiben, sogar zu der schwersten Arbeit! (Das war eine eigenartige Methode der Deutschen, die ich nur von jener Gegend hörte. In allen anderen Gebieten fragte man die Juden nicht, noch sagte man ihnen im Vorhinein, was sie tun sollten.)
Sollte jemand am Leben bleiben, fügte er leise hinzu, würden es nur die Juden der Waffenfabriken sein. Das würden überhaupt die letzten Juden sein. (Laut Ingenieur Jakob Kurc aus Warschau, hergebracht von Staszów, gestorben nach der Befreiung in Buchenwald.)
In den ersten jüdischen Ghettos machte sich Ernüchterung breit. Bis jetzt versteckte sich jeder, damit man ihn nicht zur Arbeit aufgriff, baute sich sogar tiefe Bunker. Die politische Situation aber zeigte, dass der Krieg sich lange hinziehen würde und die Geschehnisse in den Städten bewiesen, dass die Ghettos nicht lange bestehen bleiben würden. Daher begann man zu verstehen, dass es nur einen Ausweg gab, sich zu retten: Anstatt die gut ausgebauten Keller zu nutzen, raus aus dem Ghetto! Und so meldeten sich mehr Freiwillige als gefordert. Der Judenrat wurde zum Vermittler zwischen ihnen und dem Arbeitsamt. Die Gemeindeleute erkannten darin eine Einnahmequelle. Man begann, die begrenzte Anzahl an Arbeitsplätzen zu immer höheren Preisen zu versteigern. Immer größere Summen Geld flossen vom Ghetto in die Taschen der Organisatoren des Judenrates und der Beamten des Arbeitsamtes in Ostrowiec. Man musste dem Inspektor größere Summen Geld und Gold zustecken, damit er sich um neue Plätze kümmern sollte, wo man die Juden des Ghettos noch unterbringen konnte.