In den Fesseln des Freibeuters - Rebecca Michéle - E-Book
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In den Fesseln des Freibeuters E-Book

Rebecca Michéle

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Beschreibung

Ist er im Herzen ein Gentleman? Das Historical-Romance-Highlight »In den Fesseln des Freibeuters« von Rebecca Michéle jetzt als eBook bei venusbooks. Cornwall, 1756. Eloise ist am Boden zerstört: Ihr Verlobter Ryan Mitchell wird auf der Überfahrt in die Kolonien von dem berüchtigten Piraten Dark Flynn überfallen – und kehrt nie zurück. Jahre später willigt sie schweren Herzens in die Heirat mit einem reichen Plantagenbesitzer ein, um das Vermögen der Familie zu retten. Doch auf der Reise durch die Karibik wird ihr Schiff von Piraten angegriffen – und sie findet sich als Geisel von Dark Flynn wieder! Obwohl die temperamentvolle Eloise nichts als Rache im Sinn hat, muss sie sich schon bald eingestehen, dass der geheimnisvolle Pirat ihr Herz zum Beben bringt … Aber kann sie sich wirklich den Avancen des Mannes hingeben, der schon einmal ihr Glück zerstört hat? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »In den Fesseln des Freibeuters« von Rebecca Michéle. Lesen ist sexy: venusbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 465

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Über dieses Buch:

Cornwall, 1756. Eloise ist am Boden zerstört: Ihr Verlobter Ryan Mitchell wird auf der Überfahrt in die Kolonien von dem berüchtigten Piraten Dark Flynn überfallen – und kehrt nie zurück. Jahre später willigt sie schweren Herzens in die Heirat mit einem reichen Plantagenbesitzer ein, um das Vermögen der Familie zu retten. Doch auf der Reise durch die Karibik wird ihr Schiff von Piraten angegriffen – und sie findet sich als Geisel von Dark Flynn wieder! Obwohl die temperamentvolle Eloise nichts als Rache im Sinn hat, muss sie sich schon bald eingestehen, dass der geheimnisvolle Pirat ihr Herz zum Beben bringt … Aber kann sie sich wirklich den Avancen des Mannes hingeben, der schon einmal ihr Glück zerstört hat?

Über die Autorin:

Rebecca Michéle, 1963 in Rottweil in Baden-Württemberg geboren, eroberte mit ihren historischen Liebesromanen eine große Leserschaft. In ihrer Freizeit trainiert die leidenschaftliche Turniertänzerin selbst Tänzer.

Bei venusbooks erschienen bereits Rebecca Michéles Romane:

»In den Armen des Fürsten«

»In der Gewalt des Ritters«

Die Website der Autorin: www.rebecca-michele.de

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eBook-Neuausgabe Juli 2020

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Geliebter Freibeuter« bei Knaur Taschenbuch.

Copyright © der Originalausgabe 2010 bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images © shutterstock / CURAphotography / Alexander Demyanov / Digiselector sowie © Pixabay / Pexels / rujhan_basir / diego_torres

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)

ISBN 978-3-95885-940-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rebecca Michéle

In den Fesseln des Freibeuters

Roman

venusbooks

Prolog

Cornwall, England, Juni 1756

»Ich sage dir zum letzten Mal ‒ du wirst dich meinen Wünschen fügen!«

Thomas Mitchell stemmte beide Hände auf die Tischplatte und richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf. Vor Zorn schwoll eine Ader an seiner Schläfe an, und seine Augen waren zu Schlitzen verengt.

»Es ist wohl weniger dein Wunsch als ein Befehl.«

Thomas Mitchell gegenüber stand sein Sohn Ryan. Obwohl erst sechzehn Jahre alt, war er seinem Vater, was die Größe betraf, durchaus ebenbürtig. Auch seine Schultern waren muskulös, sein Körper indes war schlank, mit schmalen Hüften, und hatte kein Gramm Fett zu viel. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war unverkennbar, und beide besaßen den gleichen starken Willen.

Mit der flachen Hand schlug Mitchell auf die Tischplatte.

»Du bist mein Sohn und schuldest mir Gehorsam! Außerdem bist du noch ein grüner, dummer Junge. Heiraten! Pah!« Er spie das Wort wie einen ungenießbaren Schluck Wein aus. »Wen du als deine Braut heimführst, bestimme immer noch ich. Und es wird ganz gewiss nicht Eloise Gilbert sein, nicht einmal, wenn sie die letzte Frau auf der Welt wäre.«

Ryan schluckte eine heftige Erwiderung hinunter. Auch wenn Thomas Mitchell sich als Despot aufspielte, war er immer noch sein Vater, den er zu respektieren hatte. Außerdem wusste Ryan, dass eine weitere Diskussion sinnlos war, denn im letzten Jahr hatten sie regelmäßig solche Gespräche geführt, immer mit demselben Ergebnis: Thomas Mitchell verbot seinem Sohn, sich weiter mit der Nachbarstochter Eloise Gilbert zu treffen oder gar daran zu denken, das äußerst hübsche Mädchen zu heiraten. Weder Ryan noch Eloise hielten sich an das Verbot und fanden immer wieder Gelegenheiten, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen. Ryan war fest entschlossen, Eloise zu seiner Frau zu machen, sobald sie beide volljährig wären – auch ohne den Segen ihrer Eltern, denn auch Lord und Lady Gilbert stellten sich gegen ihre Verbindung.

Doch heute hatte Ryans Vater besonders schwere Geschütze aufgefahren.

Ryan atmete tief durch, dann gelang es ihm, ruhig zu sagen: »Also gut, ich gebe deinem Wunsch nach und werde fahren. Wenn ich jedoch zurückkomme, dann wird mich nichts und niemand ‒ auch du nicht, Vater ‒ davon abhalten, Eloise zu heiraten, ob mit oder ohne Zustimmung von dir.«

Thomas Mitchell stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Ihm lag nichts an einem Zwist mit seinem einzigen Sohn, aber Ryan war nicht nur viel zu jung zum Heiraten, sein törichtes Herz schlug auch für die falsche Frau. Da Mitchell jedoch wusste, wie starrköpfig Ryan sein konnte, schickte er ihn auf einem seiner Schiffe in die Kolonien. Die Reise würde ungefähr ein Jahr dauern. Zwölf Monate waren lang ‒ da konnte viel geschehen. Ryan sowie die Tochter von diesem hochnäsigen Lord Gilbert würden während dieser Zeit erkennen, dass ihre gegenseitige Zuneigung doch nicht so stark war, wie sie in ihrem jugendlichen Überschwang angenommen hatten. Liebe? Was wussten diese Kinder schon von Liebe. Mitchell lächelte grimmig. Eloise mochte zwar das sein, was man landläufig als gute Partie bezeichnete, aber er hatte selbst genug Geld und war auf eine Mitgift seiner künftigen Schwiegertochter nicht angewiesen. Und wenn ‒ bevor sich ein Mitchell mit einer Gilbert verband, würde eher die Hölle einfrieren.

Vor etwas mehr als hundert Jahren hatte der damalige Lord Gilbert einer Tochter der Mitchells den Kopf verdreht, ihr die Ehe versprochen, sie geschwängert und dann sitzenlassen. Plötzlich war keine Rede mehr von Vermählung, im Gegenteil: Lord Gilbert hatte die Frechheit besessen, zu behaupten, das Mädchen habe sich ihm regelrecht aufgedrängt und das Kind könnte von irgendjemandem stammen. Dem Mädchen blieb nur der Weg ins Wasser. Diese Geschichte wurde von Generation zu Generation weitererzählt, und seitdem hassten die Mitchells die Gilberts. Begegnete man sich zufällig irgendwo ‒ was zum Glück selten genug geschah ‒, ignorierte man einander. Doch leider hatte nun sein Sohn Ryan ein Auge auf Eloise Gilbert geworfen. Thomas Mitchell wusste nicht, wo und wann sich die beiden ineinander verliebt hatten, aber er würde alles in seiner Macht Stehende tun, einen weiteren Kontakt zu unterbinden.

Klack … Klack … Klack …

Eloise schreckte aus einem leichten Schlummer hoch und sah sich verwirrt um. Was war das für ein Geräusch? Klack … Klack … Ihr Blick wanderte zum Fenster. Offenbar warf jemand kleine Steinchen an die Scheibe. Rasch stand sie auf und öffnete einen Flügel.

»Eloise! Endlich! Ich muss dich sprechen.«

Ihr Herz tat einen freudigen Sprung, und leise rief sie: »Bist du verrückt, hierherzukommen? Wenn mein Vater dich entdeckt …«

Der junge Mann bedeutete Eloise, zu schweigen und in den Hof herunterzukommen. Lautlos schlüpfte sie in ihre Pantoffeln und warf sich den Morgenmantel über. Ihre frühere Kinderfrau, mittlerweile ihre Zofe, drehte sich im Bett herum und murmelte: »Was ist los?«

»Schlaf weiter, Kate, ich habe nur Durst und hole mir einen Krug Wasser aus der Küche.«

Eloise befürchtete, Kate könne das laute Pochen ihres Herzens hören, aber Kate rollte sich auf die Seite und schlief binnen weniger Augenblicke wieder ein.

Als Eloise den Hof betrat, löste sich Ryan aus dem Schatten einer Hauswand.

»Du bist verrückt, mitten in der Nacht zu erscheinen!«, wiederholte Eloise, aber Ryan legte seine Hände um ihre schmale Taille und zog sie dicht an sich heran. Er sog tief den Geruch ihres offenen, nach Vanille duftenden Haares ein, hauchte leichte Küsse auf ihren Scheitel, bis seine Lippen den Weg zu ihrem Mund fanden und er mit einem gierigen Kuss Eloises Einwände erstickte. Ryan merkte, wie heftig seine Lenden auf den spärlich bekleideten Körper seiner Liebsten reagierten. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft schob er Eloise schließlich sanft von sich.

»Ich muss fort«, sagte er. »Mein Vater schickt mich als erster Maat auf einem seiner Schiffe in die Kolonien.«

Erschrocken wich Eloise einen Schritt zurück.

»Fort? Übers Meer? Wann?«

»Noch heute Nacht. Ich bin auf dem Weg nach Falmouth, die Endeavor läuft morgen früh mit der Flut aus.« Ryan zögerte kurz. »Wir werden Monate unterwegs sein, vielleicht sogar ein ganzes Jahr.«

Eloise schluckte und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Er sollte sie nicht weinen sehen. Schnell schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.

»Ich werde auf dich warten. Egal, wie lange es dauert, ich werde mein ganzes Leben lang auf dich warten. Ich liebe dich, Ryan Mitchell.«

Nun konnte und wollte Ryan nicht länger gegen seine Leidenschaft ankämpfen. Er riss Eloise in seine Arme, und seine Zunge erkundete ihre feuchte Mundhöhle. Eloise stöhnte erregt, und wie von selbst zogen ihre Hände sein Hemd aus dem Hosenbund, tasteten sich zu seiner Brust hoch und streichelten zart seine Brustwarzen, die sich unter ihrer Berührung sofort versteiften.

»Eloise, Liebes, hör auf, sonst kann ich für nichts mehr garantieren!«

Bisher hatten die beiden jungen Menschen die letzte Grenze nicht überschritten. Obwohl es Ryan unsäglich schwerfiel, Eloises alabasterweißen Körper nicht ganz zu besitzen, wollte er sie erst zu seiner Frau machen, wenn sie durch einen Priester vor Gott zusammengeführt worden waren.

Eloise, die sich in der süßen Unschuld ihrer Jugend nach Ryan sehnte, runzelte unwillig die Brauen, als er sie erneut von sich schob.

»Nicht hier und nicht jetzt, Liebes. Ich werde dich nicht kompromittieren.«

»Aber du musst fort … So weit weg …« Eloise konnte nicht mehr an sich halten. Eine dicke Träne kullerte über ihre Wange. Schnell küsste Ryan sie fort.

»Vater schickt mich weg, damit ich ein Mann werde. Wenn ich zurückkomme, wirst du meine Frau, Eloise, auch gegen den Willen unserer Familien. Wenn es sein muss, fliehen wir zusammen nach Schottland. Das schwöre ich beim Grab meiner Mutter.«

»Ach, Ryan, Ryan … Nimm mich mit! Ich kann mich als Junge verkleiden und auf das Schiff schleichen …«

Er lachte leise und hauchte einen Kuss auf ihre Nasenspitze.

»So weit kommt es noch. Nein, mein Schatz, in spätestens einem Jahr werde ich als Mann vor deine Eltern treten und um deine Hand anhalten. Ich werde beweisen, dass ich kein dummer Junge bin, und meinem Vater wird nichts anderes übrig bleiben, als uns seinen Segen zu geben. Ich bin schließlich sein einziger Sohn und Erbe.«

»Es ist aber so lange … So unendlich lange …«

Ein letzter Kuss, dann riss sich Ryan von Eloise los und huschte leise davon. Sie konnte seine Silhouette nur noch wenige Augenblicke erkennen, dann wurde Ryan von der Dunkelheit verschluckt.

»Ich warte auf dich«, flüsterte sie in die Stille der Nacht. »Wie lange es auch dauert, eines Tages werde ich deine Frau werden, Ryan Mitchell.«

Drei Monate später erschütterte eine schreckliche Nachricht die Grafschaft: Die Endeavor, das Schiff, mit dem Ryan in die Kolonien segelte, war in der Karibik von Piraten angegriffen und versenkt worden. Dem etwas kleineren, wendigen Begleitschiff war es gelungen zu entkommen, aber auf der Endeavor gab es keine Überlebenden. Der seit Jahren berüchtigte Captain Dark Flynn, der immer wieder Handelsschiffe im Atlantik und in der Karibik aufbrachte, plünderte und versenkte, war dafür bekannt, niemals Zeugen seines schändlichen Tuns am Leben zu lassen. An diesem furchtbaren Tag hatten dreiundneunzig Seeleute, Händler und Passagiere ihr nasses Grab auf dem Meeresgrund gefunden. Unter ihnen Ryan Mitchell.

Als Eloise die Nachricht erhielt, brach sie ohnmächtig zusammen und dachte, nun wäre auch ihr Leben beendet.

Kapitel 1

Cornwall England, Oktober 1766

»Du siehst wunderschön aus!« Kate steckte die letzte rotblonde Flechte hinter Eloises Ohr fest und trat dann beinahe ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück.

»Die Männer werden dir zu Füßen liegen.«

Eloise betrachte sich im Spiegel der Frisierkommode. Kerzenschein tauchte ihr Gesicht in ein warmes Licht und ließ ihre Augen strahlen. Dennoch zuckte sie gleichgültig mit den Schultern und murmelte: »Als ob mir das wichtig wäre.«

Kate, die Eloise seit dem Tag ihrer Geburt umsorgte und immer an ihrer Seite war, unterdrückte einen Seufzer und schwieg. Während sie der grazilen, aber an den richtigen Stellen wohlproportionierten jungen Frau in das hellgrüne Seidenkleid half, dessen Ausschnitt den Ansatz von Eloises vollen und festen Brüsten in gerade noch schicklicherweise enthüllte, bedauerte sie, dass ihr Schützling keinerlei Heiratsabsichten hegte. Eloise Gilbert war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt und galt damit schon als alte Jungfer. Es war beileibe nicht so, dass keiner Eloise zur Frau haben wollte, im Gegenteil! Allein im vergangenen Jahr hatte sie vier Heiratsanträge abgelehnt.

»Es ist zehn Jahre her, Eloise, du musst endlich beginnen, ein neues Leben zu führen.« Bevor Kate nachgedacht hatte, waren ihr die Worte entschlüpft.

Über Eloises Gesicht fiel ein Schatten, und ihre Mundwinkel zuckten.

»Zehn Jahre …«, wiederholte sie gedehnt. »Um genau zu sein, sind es zehn Jahre, zwei Monate und neun Tage. Mir ist, als wäre unsere Trennung gestern gewesen. Wenn ich die Augen schließe, dann spüre ich immer noch seinen Kuss auf meinen Lippen, seinen Abschiedskuss …«

Mitfühlend legte Kate einen Arm um Eloises Schultern. Obwohl kein Name gefallen war, wussten beide, wer Eloises Erinnerung beherrschte.

»Er hätte nicht gewollt, dass du dein Leben lang um ihn trauerst«, sagte Kate mit sanfter Stimme. »Eine Frau sollte heiraten und Kinder bekommen …«

»Ach ja, Kate?«, unterbrach Eloise, den Anflug eines Lächelns auf den Lippen. »Warum hast du dann nie geheiratet?«

»Im Gegensatz zu dir ergab sich bei mir nie die Gelegenheit. Bei mir haben die Männer nie Schlange gestanden, da ich weder ein hübsches Gesicht und noch weniger eine entsprechende Mitgift zu bieten hatte. Dann kam ich zu deinen Eltern in Stellung und durfte mich um das schönste und liebenswerte Mädchen der Welt kümmern. Auch wenn du nicht mein eigen Fleisch und Blut bist, ich könnte eine leibliche Tochter nicht mehr lieben.«

Gerührt drückte Eloise Kates Hand und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Es wäre so schön gewesen, wenn du Ryans und meine Kinder auch hättest erziehen können, aber das Schicksal hat es anders gewollt.« Für einen Moment presste Eloise die Lippen zusammen, und in ihren grünen Augen funkelte Zorn. »Es war so ungerecht, dass wir uns nicht lieben durften, nur weil vor langer Zeit einmal eine Mitchell eine unglückliche Liaison mit einem Gilbert hatte und seitdem die Familien in Zwist lebten. Ich hätte einfach mit Ryan durchbrennen sollen, aber er gehorchte dem Befehl seines Vaters … ein Befehl, der seinen Tod bedeutete …«

»Ihr wart damals viel zu jung«, erinnerte Kate sie. »Ich habe dir schon oft gesagt, dass ich Ryans Entschluss, die Reise zu unternehmen, richtig fand, und ich bin sicher, wäre das furchtbare Unglück nicht geschehen, wäre dein Ryan als gestandener Mann zurückgekehrt, und eure Eltern hätten die Erlaubnis zur Hochzeit gegeben.«

»Es war kein Unglück, es war Mord! Ryan wurde von einem grausamen und habgierigen Piraten ermordet. Für den Rest meines Lebens werde ich diesen Dark Flynn hassen! Niemandem gelingt es, diesen Verbrecher zu fassen und ihm endlich den Prozess zu machen.« Erregt ging Eloise im Zimmer auf und ab. »Wie sehr wünsche ich mir, ein Mann zu sein und diesen Piraten ausfindig zu machen! Auge in Auge würde ich ihm gegenüberstehen, und dann würde er für das, was er Ryan angetan hat, büßen.«

Solche Reden waren Kate nicht neu. Nachdem bei Eloise der erste Schock über Ryans Tod verebbt war, waren die Gedanken an Vergeltung der einzige Rettungsanker, mit dem Eloise ihren Schmerz und ihre Trauer ertragen konnte.

»Der Überfall hatte aber auch die Versöhnung der verfeindeten Familien zur Folge«, gab Kate zu bedenken. »Nichts auf der Welt ist so furchtbar, als dass nicht auch ein bisschen Gutes dabei wäre. Ich bin sicher, Ryan hätte sich darüber gefreut.«

Kate war die Einzige, die so zu Eloise sprechen durfte, und die junge Frau wusste, dass Kate im Grunde genommen recht hatte. In der Tat hatte Ryans Tod dazu geführt, dass Lord Gilbert, Eloises Vater, seinem Erzfeind Thomas Mitchell kondolierte und die beiden Männer den lange zurückliegenden Streit ihrer Vorfahren begruben. Mrs. Mitchell war ein geachtetes Mitglied des Kirchenpflegekomitees geworden, dessen Vorsitzende Lady Gilbert war. Zwar verkehrten die Mitchells nach wie vor nicht in Milton Green, dem Heim der Gilberts, denn sie waren nur einfache Kaufleute ohne adlige Abstammung, auch wenn Thomas Mitchell über ein erhebliches Vermögen verfügte.

»Es wird Zeit hinunterzugehen, Eloise.« Kate riss sie aus ihren Gedanken. »Ich glaube, die ersten Gäste treffen gerade ein.«

Lord und Lady Gilbert hatten zu einem zwanglosen Dinner und einer kleinen musikalischen Soiree geladen. Bekannte und Nachbarn wurden erwartet, und Eloise hoffte, der Abend möge rasch vorübergehen. Sie konnte die Blicke mancher Damen, die sich fragten, warum sie immer noch nicht verheiratet war, nur schwer ertragen, ohne eine spitze und eindeutig unangemessene Bemerkung zu machen. Noch schlimmer war jedoch, dass ihre Eltern bestimmt wieder einen einzelnen Herrn eingeladen und diesen als Eloises Tischnachbarn bestimmt hatten. Wenn Lord Gilbert Eloises Entschluss, sich nicht zu vermählen, bisher auch respektiert hatte, so ließ ihre Mutter keine Gelegenheit aus, Eloise mit heiratsfähigen und gut situierten Männern in Kontakt zu bringen.

Eloise sollte recht behalten. Kaum hatte sie die Halle, in der die Gäste mit Champagner empfangen wurden, betreten, stellte der Vater ihr einen Mann vor, der nur wenig jünger als er selbst war.

»Sir David Morgan!«, sagte Eloise überrascht. »Ich dachte, Ihr lebt auf Jamaika?«

Der große, schlanke Mann, dessen dunkelbraunes Haar an den Schläfen bereits ergraut war, lächelte erfreut.

»Es ist mir eine Ehre, Miss Gilbert, dass Ihr Euch an meine Wenigkeit erinnert. In der Tat lebe ich auf dieser schönen Insel, aber die Geschäfte erfordern es von Zeit zu Zeit, die Heimat aufzusuchen.«

Lord David Morgan war ein langjähriger Bekannter von Eloises Vater. Vor acht Jahren hatte er auf der Karibikinsel Jamaika eine Zuckerrohrplantage aufgebaut und war bereits vor drei Jahren bei einer seiner Reisen nach England Gast in Milton Green gewesen. Schon damals hatte er Interesse an der schönen Eloise bekundet, die ihm jedoch die kalte Schulter zeigte. Umso mehr freute sich David darüber, heute ihr Tischherr sein zu dürfen. Er war nicht mehr der Jüngste, und es war an der Zeit, zu heiraten und Erben in die Welt zu setzen. Seine Zuckerrohrplantage brauchte eine Hausherrin, und er wünschte sich eine Frau, die ihm die Nächte versüßte. Eloise war zweifellos eine attraktive Frau, auch wenn sie nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend stand. David beschloss, die Zeit bis zu seiner Abreise zu nutzen, nachdrücklich um sie zu werben.

Er wich Eloise nicht mehr von der Seite, und diese war viel zu gut erzogen, um sich anmerken zu lassen, dass sie David Morgans Monologe langweilten. Sie war froh, als endlich der Gong ertönte und die Gesellschaft sich ins Speisezimmer begab. Zu Eloises Rechten nahm Reverend Pendryn Platz, ein großer Musikliebhaber und gern gesehener Gast in Milton Green. So konnte sich Eloise immer wieder für ein paar Augenblicke Morgans Aufmerksamkeiten entziehen, indem sie mit Reverend Pendryn ein Gespräch über die geplante Restaurierung des normannischen Taufbeckens begann.

»Es bleibt nur zu hoffen, Sir David, dass Eure Schiffe ungeschoren über den Atlantik gelangen«, hörte Eloise ihren Vater sagen. »Die Piraten werden immer dreister, und ich verstehe nicht, warum die englische Marine ihrer nicht habhaft werden kann.«

Bei dem Wort Piraten wurde Eloises Interesse geweckt, und sie lauschte aufmerksam.

»Keine Sorge, Sir Gilbert, die Burschen werden es nicht wagen, eines meiner Schiffe anzugreifen«, entgegnete Sir David entschlossen und grimmig. »Wir segeln im Konvoi mit vier Fregatten. Sie sehen alle aus wie gewöhnliche Handelsschiffe, aber zwei von ihnen sind bis unter die Mastspitzen mit Kanonen bestückt. Die Piraten sollen ruhig kommen ‒ bevor sie überhaupt kapieren, was geschieht, werden meine Schiffe die Angreifer mit ihren Zehnpfundern bereits auf dem Meeresgrund geschossen und die Piraten in die Hölle geschickt haben.«

Die anwesenden Männer nickten zustimmend, während einige Damen ob dieser derben Wortwahl die Brauen runzelten.

»Ihr habt vollkommen recht, Sir David«, rief ein Gast. »Erst vor zwei Monaten ist wieder ein Schiff, das den Hafen von Falmouth verlassen hat, gekapert, geplündert und versenkt worden. Es soll erneut die Tat von diesem unsäglichen Dark Flynn gewesen sein …«

»Schon wieder Dark Flynn!« Morgans Faust krachte auf die Tischplatte. »Der ist der Schlimmste von allen! Ich wünschte, ich würde ihn zu fassen bekommen, dann würde ich ihn höchstpersönlich an der Rah aufknüpfen.«

Auch Eloise war bei der Nennung des Namens zusammengezuckt. Captain Dark Flynn … der Mann, der Ryan getötet hatte! Zum ersten Mal an diesem Abend empfand sie eine Art von Sympathie für ihren Tischherrn, denn sie teilte seinen Zorn auf den dreisten Piraten. Spontan legte sie ihre linke Hand auf seinen Armelaufschlag.

»Ich wünsche Euch, dass Ihr diesem Ungeheuer niemals begegnen werdet, Sir David«, sagte sie besorgt. »Soweit ich gehört habe, hat noch nie jemand eine Konfrontation mit Dark Flynn überlebt. Der Pirat soll schon weit über hundert Menschen ermordet haben.«

»Eure Sorge ehrt mich, Lady Eloise«, antwortete Sir David und sah Eloise so tief in die Augen, dass sie schnell den Kopf zur Seite drehte. Glücklicherweise fuhr ihr Vater fort: »Niemand kennt sein Gesicht!« Lord Gilbert seufzte besorgt. »Man stelle sich vor, der Pirat könnte auf der Straße einfach so an einem von uns vorbeigehen, und wir würden den Verbrecher nicht erkennen.«

Eloise sah ihren Vater erstaunt an.

»Wieso weiß niemand, wie Dark Flynn aussieht? Er treibt doch schon so viele Jahre sein Unwesen.«

»Er trägt eine Maske«, antwortete Sir David. »Offenbar ist er Vorjahren bei einem Kampf so schwer verletzt worden, dass niemand den Anblick seines zerstörten Gesichtes ertragen würde.«

Eloise zog die Unterlippe zwischen die Zähne, überlegte einen Moment und sagte dann verwundert:

»Das verstehe ich nicht. Entweder erkennt man den Piraten an seiner Maske oder an seinem vernarbten Gesicht. Ob mit oder ohne Maske, ist doch eigentlich egal…«

»Ihr solltet Euch nicht mit solch unerfreulichen Dingen belasten, Lady Eloise.« Sir David schnitt ihr das Wort ab und runzelte unwillig die Stirn. »Das ist wahrlich nicht der richtige Gesprächsstoff für Damen.«

»Ich finde auch, wir sollten das Thema wechseln«, warf Eloises Mutter ein und bedachte ihre Tochter mit einem vorwurfsvollen Blick. »Sir David, bitte berichtet doch ein wenig von Jamaika. Stimmt es, dass dort immer die Sonne scheint und man im Meer baden kann?«

Die anwesenden Damen lächelten verlegen und senkten beschämt den Blick. Es war eine ungeheuerliche Vorstellung, sich im Badekostüm fremden Augen zu zeigen und zu schwimmen. Auch wenn diese neue Mode sogar hier in Cornwall in den letzten Jahren immer mehr Zuspruch fand.

Das Tischgespräch drehte sich nun um die Frage, ob es von Vor- oder Nachteil war, auf einer Karibikinsel zu leben, und kurze Zeit später wurde der musikalische Teil des Abends eröffnet. Beinahe jede der anwesenden Damen trug etwas dazu bei, auch Eloise kam nicht umhin, ein Lied zu singen. Eigentlich sang sie recht gerne. Sie hatte eine schöne Stimme und ein sicheres Gespür dafür, die richtigen Töne zu treffen. Heute war sie aber recht lustlos bei der Sache, denn David Morgan ließ sie nicht aus den Augen. Eloise fühlte sich durch seine Blicke nicht geschmeichelt, sondern peinlich berührt. Sie war froh, als sich die ersten Gäste verabschiedeten und sie sich in ihr Zimmer zurückziehen konnte.

Am nächsten Vormittag wurde ein Brief von David Morgan abgegeben, in dem er sich für den reizenden Abend bedankte und Eloise um die Gunst einer nachmittäglichen Ausfahrt bat. Bevor Eloise den Brief verschwinden lassen konnte, hatte ihre Mutter die wenigen Zeilen bereits gelesen.

»Wie nett von Sir David«, rief sie entzückt.

»Du erwartest aber nicht von mir, dass ich mit ihm ausfahre, Mutter?«

Lady Gilbert sah ihre Tochter entrüstet an.

»Selbstverständlich wirst du seine Einladung annehmen. Kate wird euch natürlich begleiten, wenngleich ich bei Sir David sicher bin, dass er ein Gentleman ist.«

»Ich möchte aber nicht …«, wagte Eloise einen zweiten Versuch, aber Lady Gilbert fiel ihr ins Wort.

»Es wäre mehr als unhöflich, die Einladung abzulehnen, Tochter.« Immer, wenn Lady Gilbert Eloise Tochter nannte, wusste diese, dass es besser war, sich auf keine weitere Diskussion einzulassen.

Bisher waren ihre Eltern voller Verständnis für Eloises Trauer um Ryan Mitchell gewesen und hatten sie nie dazu gedrängt, einen Heiratsantrag anzunehmen. David Morgan stellte diesbezüglich ohnehin keine Gefahr dar, da er in der Karibik lebte und in vier Wochen wieder abreisen würde. Deshalb stimmte Eloise der Einladung zu, woraufhin Lady Gilbert gleich ein paar Zeilen an Sir David schrieb und dem wartenden Boten mitgab. Ihr Gesichtsausdruck war mehr als zufrieden.

Es blieb nicht bei der einen Einladung. David Morgan führte Eloise nach Plymouth ins Theater und in die Oper, gemeinsam besuchten sie Nachbarn zum Tee oder zum Abendessen, oder sie fuhren in Sir Davids offenem Wagen durch die liebliche Landschaft von Südcornwall. Auch wenn Kate als Anstandsdame stets dabei war, sprach es sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Grafschaft herum: Die schöne und stolze Miss Eloise Gilbert, die bisher jedem Mann einen Korb gegeben hatte, und der vermögende Sir David Morgan waren ein Paar, und jeder wartete auf die Bekanntgabe der Verlobung.

Jeder, nur nicht Eloise. Zugegebenermaßen war David Morgan ein charmanter und interessanter Plauderer, und trotz seines Alters ‒ im nächsten Frühjahr würde er seinen fünfzigsten Geburtstag feiern ‒ konnte man ihn als attraktiv bezeichnen. Dennoch trat er Eloise nie zu nahe, und in ihren Gesprächen äußerte sich Sir David niemals über die Zukunft. Jedenfalls nicht über eine Zukunft, in der Eloise einen Platz finden sollte. Wenn er sehr anschaulich von Jamaika erzählte, leuchteten seine Augen, und Eloise spürte, wie sie auf die ferne Insel neugierig zu werden begann.

Gegenüber Kate gab Eloise zu, Sir David sympathisch zu finden.

»Er wäre ein guter Ehemann für dich«, bemerkte Kate und lächelte, aber Eloise schüttelte den Kopf.

»Ich gebe es zu, ich bin gern in seiner Gesellschaft, aber ich vermisse Sir David nicht, wenn wir uns nicht sehen. Davon abgesehen könnte er mein Vater sein, und er lebt in Jamaika. Bald wird er abreisen, und wer weiß, wann wir ihn Wiedersehen werden.«

Besorgt betrachtete Kate ihren Schützling. Gut, Sir David war deutlich älter, aber das musste nicht unbedingt von Nachteil sein. Kate wünschte so sehr, dass Eloise glücklich wurde, aber solange Eloise ihre Jugendliebe Ryan Mitchell nicht vergessen konnte, würde es keinem anderen Mann gelingen, ihr Herz zu erobern.

Vier Tage, bevor Sir David England verlassen wollte, rief Lord Gilbert Eloise in sein Arbeitszimmer. Er wirkte ungewöhnlich ernst, und auch Eloises Mutter sah man an, dass etwas auf ihrem Herzen lastete. Lord Gilbert kam gleich zur Sache.

»Heute Vormittag hat Sir David bei mir um deine Hand angehalten, und ich habe ihm die Zustimmung gegeben. Morgen werden wir die Verlobung bekanntgeben, und im Frühjahr wirst du zu ihm nach Jamaika reisen.«

»Was?« Wie von einer Nadel gestochen fuhr Eloise in die Höhe. »Hätte Sir David nicht erst mal mich fragen sollen, ob ich ihn überhaupt heiraten will?«

Eloise war wütend, dass Morgan einfach zu ihrem Vater gegangen war, und noch wütender, dass dieser einer Heirat bereits zugestimmt hatte.

»Warum solltest du David Morgan nicht heiraten wollen?« Lady Gilberts Stimme klang so ruhig wie immer. »Auch wenn er ein wenig älter ist als du, so erwartet dich an seiner Seite ein unbeschwertes und sorgenfreies Leben.«

»Aber ich liebe ihn nicht!« In Eloises grünen Augen funkelten die kleinen goldenen Einsprengsel wie Sterne, was immer dann geschah, wenn sie sehr aufgeregt war.

»Mein liebes Kind, beruhige dich bitte und setz dich wieder.« Widerstrebend tat Eloise, wie ihr Vater ihr geheißen hatte. Sie faltete die Hände im Schoß und sah die Eltern erwartungsvoll an. »Seit zehn Jahren haben deine Mutter und ich Nachsicht geübt, als du jeden Mann, der Interesse an dir zeigte, abgewiesen hast. Wir haben deine Trauer um deine Jugendliebe respektiert, aber nun ist unsere Geduld zu Ende. Natürlich möchten wir dein Glück und werden dich nicht in eine Ehe zwingen, wenn du diese nicht eingehen möchtest. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass du sechsundzwanzig Jahre alt bist, und es ist an der Zeit zu heiraten, bevor es zu spät ist. Ich kenne und schätze Sir David seit Jahren und kann dir versichern, Tochter, du wirst keinen besseren Ehemann als ihn finden.«

Obwohl alles in Eloise in Aufruhr war, blieb sie äußerlich ruhig.

»Das würde bedeuten, ich muss euch verlassen und in Jamaika leben, nicht wahr?«

Lady Gilbert lächelte wehmütig.

»Irgendwann ist die Zeit eben gekommen, dass die Kinder ihr Elternhaus verlassen. Wenn es jedoch das Beste für dich ist, dann werden wir dich ziehen lassen, obwohl uns die Trennung sehr schwerfallen wird.«

»Du sprichst, als hättest du den Satz auswendig gelernt«, entgegnete Eloise und sah von einem zum andern. »Mutter … Vater … ich finde es seltsam, dass ihr so plötzlich auf diese Heirat pocht, obwohl ihr wisst, dass ich Sir David nicht liebe. Mein Herz gehört für alle Zeit einem anderen Mann.«

Lord Gilbert trommelte mit den Fingern auf die Lehne des Sessels. Er wirkte nervös.

»Tochter, diesen Unsinn haben wir uns nun lange genug angehört! Ryan Mitchell ist seit über zehn Jahren tot, und ihr wart damals noch Kinder. Viel zu jung, um zu wissen, was Liebe überhaupt ist. Es war eine Schwärmerei, nichts weiter, und nun ist es an der Zeit, diese endgültig zu vergessen.«

In Eloises Hals bildete sich ein Kloß, aber sie würde vor dem Vater nicht in Tränen ausbrechen. Manchmal fragte sie sich ja selbst, wie es sein konnte, dass der Schmerz über Ryans Verlust einfach nicht geringer werden wollte.

»Mutter war auch erst siebzehn, als sie dich heiratete«, wandte sie mit leiser Stimme ein. »Ihr habt mir immer erzählt, ihr habt aus Liebe geheiratet, und jetzt erwartet ihr, dass ich einen Mann wähle, für den ich nicht mehr als eine gewisse Sympathie empfinde, aber doch niemals Liebe.«

Die Eltern wechselten einen langen Blick, in dem eine stille Übereinkunft lag, dann sagte Eloises Mutter: »Sag es ihr. Sie hat ein Recht darauf, es zu erfahren.«

»Was zu erfahren?«, fragte Eloise gespannt.

Lord Gilbert fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und seufzte, dann sagte er: »Du weißt, dass Sir David sehr vermögend ist. Milton Green steht vor dem Bankrott. Wenn uns niemand finanziell unter die Arme greift, dann werden wir den Besitz in den nächsten Monaten verlieren.«

Eloise glaubte, sich verhört zu haben. Sie beugte sich vor und flüsterte: »Das kann ich nicht glauben! Wie konnte das geschehen?«

»Nun, die Ernten der letzten drei Jahre waren schlecht. Ich musste Kredite aufnehmen, um unseren Lebensstandard zu halten. Dann habe ich an der Börse spekuliert, nur leider hörte ich auf falsche Ratgeber. Nun stehen die Gläubiger Schlange, und es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als Milton Green zu veräußern.«

Diese Nachricht war ein größerer Schlag für Eloise als der Heiratsantrag von David Morgan. Milton Green befand sich seit Generationen im Besitz der Gilberts, es war ihr Zuhause, hier war sie geboren und aufgewachsen. Sie kannte jeden Winkel des weitläufigen zweistöckigen Gebäudes aus der Tudorzeit, und sie liebte die einsamen, verschwiegenen Plätze im Park. Trotz dieser schockierenden Neuigkeit arbeitete Eloises Gehirn fieberhaft, und sie schlussfolgerte: »Wenn ich David Morgan heirate, dann gibt er dir das nötige Geld, damit du den Besitz behalten kannst, nicht wahr, Vater?«

Lord Gilbert nickte, und Eloise bemerkte plötzlich zwei tiefe Falten, die sich neben den Nasenflügeln in sein Gesicht eingegraben hatten. Waren diese gestern auch schon da gewesen? Ihr Vater sah plötzlich so alt aus …

Lady Gilbert trat an Eloises Seite und legte eine Hand auf ihre Schulter.

»Glaub mir, Tochter, wir würden dir niemals zu einer Heirat mit jemandem raten, wenn wir nicht davon überzeugt wären, dass du glücklich werden wirst. Sir David ist der richtige Ehemann für dich, und die Liebe kommt mit der Zeit.«

Letzteres bezweifelte Eloise sehr, und sie wusste, sie würde niemals einen Mann so sehr wie Ryan lieben können. Folglich war es gleichgültig, wem sie ihre Hand reichte. Die Aussicht, etwas von der Welt zu sehen und in ein exotisches Land zu reisen, ließ Eloise indes nicht völlig unberührt.

Langsam stand sie auf und wandte sich zur Tür.

»Ich werde darüber nachdenken, diese Zeit müsst ihr mir zugestehen.« Den Türknauf bereits in der Hand, drehte sie sich noch einmal zu den Eltern um. »Es tut mir leid, dass ich von den finanziellen Schwierigkeiten nichts bemerkt habe. Vielleicht habt ihr recht, und ich habe tatsächlich zu lange in einer eigenen Welt gelebt.«

Kapitel 2

Cornwall, England, April 1767

Je näher der Tag kam, an dem Eloise nach Jamaika aufbrechen sollte, und je hektischer es in Milton Green zuging, desto ruhiger wurde Eloise. Es war ihr, als ob all die Kisten und Truhen, die sich gepackt in ihrem Zimmer stapelten, nicht ihre Sachen, sondern die von jemand anderem enthielten. Eine Aussteuer an Tisch- und Bettwäsche hatte sie seit langem zusammengetragen, in den letzten Wochen hatte sie nun auf jedes Teil in eine Ecke das Monogramm E.M. eingestickt. Bald würde sie den Namen Morgan tragen, dennoch berührte dies alles nicht Eloises Herz.

Die Verlobung von Miss Eloise Gilbert und Sir David Morgan im vergangenen Herbst hatte niemanden in der Grafschaft besonders überrascht. Da Morgan aber so schnell wie möglich nach Jamaika zurückmusste, Eloise ihn jedoch nicht sofort begleiten konnte, war die Abreise auf den kommenden April festgesetzt worden, wenn die Winterstürme auf dem Atlantik vorbei sein würden. Seitdem hatte Eloise zwei Briefe von David erhalten. In einem bat er Eloise, nicht viele ihrer eigenen Kleider mit nach Jamaika zu bringen.

… Das Klima und die Temperaturen auf der Insel sind völlig anders, als Du es in England gewöhnt bist. Es ist darum erforderlich, die Kleidung dem anzupassen. Es gibt hier eine sehr gute Schneiderin, die für alle englischen Damen näht. Sie wird Dir nach Deiner Ankunft eine komplette Garderobe fertigen …

Trotzdem bestand Lady Gilbert darauf, Eloise vor der Abreise völlig neu einzukleiden.

»Es soll niemand sagen, wir könnten es uns nicht leisten, unsere Tochter standesgemäß auszustatten.«

Kaum war die Verlobung verkündet, hatte David Morgan noch vor seiner Abreise Lord Gilbert eine größere Summe zukommen lassen, die diesem ermöglichte, alle Schulden zu tilgen. Somit war Milton Green vor dem Bankrott gerettet, und Lord Gilbert würde bei der Auswahl seiner Geschäftspartner künftig kritischer sein.

Manchmal dachte Eloise, dass sie es war, die ihr Zuhause erhalten hatte, dennoch würde sie selbst es verlassen. Ihr Platz war an der Seite ihres zukünftigen Ehemanns. David hatte versprochen, mindestens alle zwei Jahre nach England zu reisen, schon aus geschäftlichen Gründen. Trotzdem spürte Eloise Wehmut, wenn sie daran dachte, dass die Eltern nicht bei der Hochzeit dabei sein konnten, und dass es sehr lange dauern würde, bis sie sie wiedersah.

Einziger Trost war, dass Kate sie in die Karibik begleitete. Nichts in der Welt hätte Kate dazu bringen können, Eloise allein die Reise antreten zu lassen, und David erhob keine Einwände.

»Kate ist noch rüstig genug, sich zu gegebener Zeit um unsere Kinder zu kümmern«, hatte er gesagt, als Eloise ihn bat, Kate mitnehmen zu dürfen.

Eigene Kinder … Wenn Eloise daran dachte, so ein kleines Wesen in den Armen zu halten, wurde es ihr warm ums Herz. Ja, sie sehnte sich nach einem Kind, aber wenn sie daran dachte, welch körperlicher Akt dafür erforderlich war, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Weder die Mutter noch Kate hatten jemals mit Eloise darüber gesprochen, wie ein Kind gezeugt wurde, aber sie war auf dem Land aufgewachsen und hatte oft Tiere bei der Paarung beobachtet. Auch die Erinnerung an Ryans Zärtlichkeiten und die Reaktionen seines Körpers auf ihre Liebkosungen hatten Eloise ahnen lassen, welche Intimitäten es zwischen Mann und Frau gab. Wenn Eloise von Zweifeln, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, geplagt wurde, nahm Kate sie in die Arme und sagte: »Mein Mädchen, jede Ehe ist ein Wagnis, auch wenn man unsterblich ineinander verliebt ist. Niemand weiß, was die Zeit bringt und wie sich Menschen entwickeln.«

»Aber ich kenne David doch so gut wie gar nicht …«, wandte Eloise ein.

»Auch wenn man sich Jahre kennt, ist das keine Garantie für eine glückliche Ehe. Sir David scheint mir ein verständnisvoller Mann zu sein, und ich bin sicher, ihr werdet im Laufe der Zeit zusammenfinden.«

Wenn ich nur nicht immer das Gefühl hätte, Ryan zu verraten, dachte Eloise, behielt diesen Gedanken aber für sich, denn Kate würde dafür wenig Verständnis zeigen. Eloise wusste, sie musste mit der Vergangenheit abschließen, denn nur so hatte die sie Chance, ein erfülltes Leben zu führen.

An einem sonnigen und warmen Tag Ende April fuhren Eloise, ihre Eltern und Kate nach Falmouth. Begleitet wurde die Kutsche von drei Wagen mit Eloises Aussteuer. Lady Gilbert hatte Eloise lächelnd einen hölzernen Kasten überreicht, und Eloises Augen leuchteten, als sie den Deckel öffnete. Auf dunkelgrünem Samt lag ein vollständiges Essbesteck für zwölf Personen aus purem Silber. Die Griffe waren kunstvoll mit Serpentine ausgelegt. Dieser schwarze, glänzende Stein kam in ganz Europa nur am Lizard Point in Cornwall, der südlichsten Spitze Großbritanniens, und in Portugal vor und war sehr wertvoll.

»Mutter, es ist wunderschön!«, rief Eloise. »Ist es nicht zu wertvoll?«

Lady Gilbert lächelte.

»Das Besteck ist ein Unikat und befindet sich seit dem sechzehnten Jahrhundert im Besitz der Familie, liebe Eloise. Es wird stets von Mutter zu Tochter beziehungsweise Schwiegertochter bei deren Vermählung weitergegeben.«

Gerührt drückte Eloise die Hand ihrer Mutter.

»Ich werde es in Ehren halten, das verspreche ich, und irgendwann meiner Tochter geben, so Gott mir eine solche schenken wird.«

Außer dem Besteck befanden sich in Eloises Aussteuer noch mehr Kostbarkeiten: Familienschmuck, silberne Platten und Becher, stilisierte Weingläser aus Muranoglas und eine Schatulle mit einem Barvermögen von eintausend Pfund. Das war eine Menge Geld, aber Lord Gilbert war es wichtig, dass Eloise ihr eigenes Geld besaß und nicht völlig von ihrem Ehemann abhängig war.

Der Landsitz Milton Green lag eine halbe Stunde landeinwärts von der Küste, daher war Eloise schon oft in Falmouth gewesen. Sie mochte die hektische Betriebsamkeit am Hafen, wenn Schiffe be- und entladen wurden, sich Matrosen und Händler auf den Kais tummelten und die Wirte der zahlreichen Gasthäuser vor die Tür traten und Ausschau nach Gästen hielten. Der großartige natürliche Hafen von Falmouth war neben dem Hafen von Plymouth in der Grafschaft Devon der einzige im Südwesten Englands, von dem aus Schiffe nach Übersee ausliefen. Vor rund zweihundert Jahren hatte sich das einst verschlafene Fischerdorf in einen wichtigen Umschlag- und Handelsplatz entwickelt, und die Stadt war heute die wohlhabendste in der ganzen Grafschaft.

Das Schiff, mit dem Eloise und Kate reisen sollten, trug den klangvollen Namen Queen Beth zu Ehren der großen Königin, unter deren Regentschaft England zur führenden Macht auf den Weltmeeren geworden war. Es war ein Dreimaster mit vier großzügigen Decks und zahlreichen Laderäumen. Die Queen Beth war in erster Linie ein Handelsschiff mit einem Gewicht von zweihundertachtzig Tonnen und an die sechzig Fuß Länge, verfügte jedoch über je sechs Kanonen auf jeder Breitseite und wurde von rund einem Dutzend Soldaten und einem Offizier als Oberbefehlshaber der britischen Marine begleitet, um bei einem eventuellen Angriff gewappnet zu sein. Seit die Überfälle durch Piraten zugenommen hatten, wurden immer mehr Handelsschiffe mit Kanonen und Handfeuerwaffen ausgestattet. Lord Gilbert hätte seine Tochter niemals ohne einen derartigen Schutz reisen lassen, auch wenn die Passage dadurch wesentlich mehr kostete als auf einem einfachen Handelssegler.

Der Erste Offizier führte die Passagiere und Eloises Eltern an Bord. Sie stiegen einen schmalen Niedergang, die Treppe, hinunter und betraten eine großzügig geschnittene Kabine mit holzvertäfelten Wänden. Links und rechts befanden sich zwei in die Wände eingelassene Kojen, es gab drei Wandschränke und einen großen Tisch mit vier fest mit dem Boden verschraubten Stühlen.

»Einen schönen guten Morgen und herzlich willkommen auf der Queen Beth!« Ein kräftiger Mann mittleren Alters begrüßte die kleine Gruppe mit einer Verbeugung. »Mein Name ist Captain William Carrick, und ich freue mich, dass Ihr Eure Tochter meiner Obhut anvertraut, Mylord.« Captain Carrick deutete bei Lady Gilbert und Eloise einen Handkuss an und fuhr fort: »Wenn die Damen mit meiner bescheidenen Kajüte vorliebnehmen möchten. Meine Mannschaft und ich werden alles tun, damit sich die Damen an Bord wohl fühlen und eine angenehme Reise genießen können.«

»Wir vertreiben Euch doch nicht etwa aus Eurer Kajüte?«, rief Eloise und sah sich um. »Das können wir auf keinen Fall zulassen …«

»Es ist eine Selbstverständlichkeit«, unterbrach der Captain mit einem freundlichen Lächeln. »Bei einer solchen Fahrt halte ich mich nur zum Schlafen unter Deck auf und habe mein Lager bereits in der Kajüte des Ersten Offiziers, Mister Fenston, aufgeschlagen.«

Lord Gilbert nickte wohlgefällig. Für ihn war es selbstverständlich, dass seine Tochter die beste Unterkunft an Bord erhielt.

»Wie lange werdet Ihr für die Überfahrt benötigen, Captain?«, fragte er interessiert.

»Bei gutem Wind und wenn wir nicht in Stürme geraten, ungefähr sechs bis sieben Wochen. Wir werden ein paar Tage auf den Azoren anlegen, um unsere Vorräte aufzufüllen, dann die restliche Strecke durchsegeln. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, Mylord, mein Schiff und ich haben den Weg in den vergangenen drei Jahren bereits fünf Mal zurückgelegt.«

Eloises Vater nickte wohlwollend, bemerkte dann aber doch mit Sorge in der Stimme: »Wie sind Eure Erfahrungen mit den Piraten, die besonders rund um die karibischen Inseln ihr Unwesen treiben? Ich sehe, Euer Schiff ist für einen Kampf gerüstet, dennoch würde ich es begrüßen, wenn eine Konfrontation vermieden werden könnte.«

Captain Carrick blickte besorgt von Lady Gilbert zu Eloise. Er war unsicher, ob dieses Thema vor den Damen erörtert werden konnte, aber Eloise ermunterte ihn: »Sprecht ruhig offen, Captain. Meine Zofe und ich wissen, welche Gefahren eine solche Reise birgt.«

»Selbstverständlich werden wir alles tun, um einer Begegnung mit den Freibeutern auszuweichen, Mylord. Das hat meiner Meinung nach nichts mit Feigheit zu tun, sondern wir sind ein Handels- und kein Kriegsschiff. Zwar ist die Queen Beth auch für einen Kampf gerüstet, aber meine Männer und ich verabscheuen Gewalt. Sollte es nötig sein, werden wir uns allerdings gegen einen Angriff wehren. Vielleicht habt Ihr von dem Piraten Dark Flynn gehört, der in diesen Gewässern sein Unwesen treibt. Dieser Verbrecher scheint das ganze Territorium zu beherrschen und verfügt über Schlupfwinkel auf einigen der zahlreichen Karibikinseln.«

Bei der Erwähnung des Namens von Ryans Mörder ‒ etwas anderes war dieser Pirat für Eloise nicht ‒ fühlte Eloise einen Klumpen im Magen, und sie ballte die Hände zu Fäusten.

»Sir David Morgan, mein … Verlobter …, hat berichtet, dass es niemandem gelingt, diesem Piraten das Handwerk zu legen.«

»Möge Gott verhüten, dass wir diesem Scheusal begegnen!« Zum ersten Mal hatte Kate das Wort ergriffen, und sie schauderte. Captain Carrick versuchte, einen unbekümmerten Eindruck zu vermitteln.

»Ich glaube nicht, dass wir Gefahr laufen, ausgerechnet von Dark Flynn angegriffen zu werden, denn wir führen nicht die Waren mit uns, auf die Flynn aus ist. Seit einigen Jahren hat sich der Freibeuter auf die Kaperung von Schiffen spezialisiert, die …«

»Ihr habt völlig recht, Captain, dieser Pirat wird es nicht wagen, Euer Schiff anzugreifen!« Mit ungewöhnlich scharfer Stimme fiel Lord Gilbert dem Captain ins Wort, und Eloise schien es, als würde der Vater den Captain durchdringend ansehen, damit dieser schwieg. Was wollte der Vater vor ihr verheimlichen? Bevor Eloise nachfragen konnte, fuhr Lord Gilbert schnell fort: »Ich denke, es ist an der Zeit, von Bord zu gehen.« Er wandte sich Eloise zu und streckte die Hände aus, die Eloise ergriff und fest drückte. »Wir sagen nicht Lebewohl, meine Tochter, sondern wir werden euch bald besuchen, oder du und dein Mann kommt wieder nach England.«

Eloise schluckte den Kloß im Hals hinunter, konnte aber nicht verhindern, dass eine Träne über ihre Wange kullerte, als ihre Mutter sie umarmte und zärtlich auf die Wange küsste.

Kurz nachdem die Eltern den Segler verlassen hatten, hörten Eloise und Kate laute Befehle an Deck. Durch das Bullauge der Kajüte konnten sie beobachten, wie die Leinen gelöst und an Bord geworfen wurden. Ein lautes rasselndes Geräusch sagte Eloise, dass der Anker gelichtet wurde, und kurz darauf ging ein Ruck durch das Schiff. Die Kaimauer entfernte sich, und langsam wurden die Häuser immer kleiner.

Eloise wandte sich um und lächelte Kate aufmunternd an, die sich ängstlich an den Pfosten, der die Kajüte in der Mitte teilte, klammerte.

»Es geht los, Kate!«, rief Eloise, und alle Bedenken fielen von ihr ab. Das Abenteuer hatte begonnen, und es sollte das größte Abenteuer ihres Lebens werden!

Nach drei Tagen hatten sich Eloise und Kate an das ständige Schwanken des Bodens unter ihren Füßen ebenso gewöhnt wie an die für ihre Ohren unbekannten Geräusche an Bord. Beide Frauen waren bisher von der Seekrankheit verschont geblieben, aber sie hatten auch noch nicht das blaue Meer, wie der offene Atlantik in der Seemannssprache genannt wurde, erreicht. Eloise und Kate waren die einzigen weiblichen Passagiere an Bord. Außer ihnen reisten der schottische Arzt und Forscher Alan Longmuir, der auf Jamaika in einem neu erbauten Hospital arbeiten wollte, und zwei jüngere Gentlemen, die von ihren Vätern kein Erbe zu erwarten hatten und auf der Suche nach günstigem Land in der Karibik waren, mit ihnen. Eloise und Kate blieben die meiste Zeit unter sich, häufig speisten sie mit Captain Carrick und dem Ersten Offizier, Mister Fenston, zu Abend. Die Verpflegung war ausgezeichnet, jeden Tag gab es gebratenes Fleisch und wohlschmeckenden Wein, und Eloise schlief in der schmalen Koje besser, als sie erwartet hätte. Täglich begaben sich die beiden Frauen zwei- oder dreimal an Deck. Bis sie die Inselwelt der Azoren erreichten, war das Wetter zwar ruhig, aber regnerisch und sehr kühl, dennoch liebte es Eloise, in ihren dicken Mantel gehüllt an der Reling zu stehen und dem Spiel der Wellen zuzuschauen. Sie war an der Küste geboren und hatte ihr ganzes Leben am Meer verbracht, dennoch überwältigte sie das Gefühl der unbändigen Freiheit, die auf dem Meer herrschte. Möwen, die das Schiff die ersten Tage begleitet hatten, waren längst zu ihren Brut- und Niststätten an Land zurückgekehrt, und zweimal sah Eloise in der Ferne Delfine aus dem Wasser springen. Dies alles war so friedlich und schön, dass Eloise jegliche Gedanken an Stürme, Piraten und andere Widrigkeiten vergaß und sich zum ersten Mal seit ihrer Verlobung sicher war, den richtigen Weg gewählt zu haben. Sie empfand für David zwar keine Liebe, nicht einmal Freundschaft, denn selbst dafür kannte sie ihn zu wenig, aber sie würde ihren Beitrag leisten, ihm eine gute Ehefrau und ‒ wenn Gott es wollte ‒ Mutter seiner Kinder zu sein.

Kate und sie vertrieben sich die Zeit mit Näh- und Stickarbeiten. Dabei malten sie sich aus, wie das Leben auf Jamaika wohl werden würde.

»Gibt es dort eigentlich große und haarige Insekten?«, fragte Kate. »Etwa auch Spinnen oder gar Schlangen?«

Eloise lachte und sah Kate leicht spöttisch an.

»Oh, ich bin sicher, wir werden das Haus mit Spinnen, so groß wie Untertassen, teilen müssen, und in der Nacht schleichen sich die Schlangen ins Haus und rollen sich auf dem Sofa zusammen. Wenn du Pech hast, bevorzugen sie aber auch dein warmes Bett.«

Entsetzt schlug Kate eine Hand vor den Mund und bemerkte dann erst das belustigte Funkeln in Eloises Augen. Sie griff nach einem Kissen und warf es spielerisch nach der jungen Frau.

»Wie kannst du mir einen solchen Schrecken einjagen!«

Eloise kicherte, doch dann wurde sie wieder ernst.

»Über die Fauna hat David mir nichts geschrieben, daher weiß ich nicht, welche Tierarten uns auf der Insel erwarten. Wir sollten mit dem Captain sprechen. Er war ja bereits dort und kann uns sicher unsere Fragen beantworten.«

Am selben Abend sprachen sie Captain Carrick auf die Flora und Fauna Jamaikas an, als sie sich zum Abendessen niedersetzen, aber der Captain konnte nur unzureichende Antworten geben.

»Es tut mir leid, aber ich habe mich nie mit der Pflanzen- oder Tierwelt beschäftigt. Ich kann den Damen aber versichern, dass mir bei keinem meiner Aufenthalte bisher eine besonders große Spinne, eine Schlange oder sonstiges gefährliches Getier begegnet ist. Allerdings sollten die Damen die Oberläufe von Flüssen und die Süßwasserseen meiden, denn dort wimmelt es von Krokodilen.«

»Oje, oje …«, jammerte Kate, die Krokodile nur vom Hörensagen kannte und noch nie eines gesehen hatte.

»Ich bin sicher, sie werden uns nicht in den Häusern besuchen«, warf Eloise schnell ein.

Captain Carrick nickte ihr aufmunternd zu.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Gilbert. Ich kenne die Plantage von Sir Morgan. Sie ist nicht nur groß und modern erbaut, sondern sie verfügt auch über alle Sicherheitsmaßnahmen, die in dieser Gegend nötig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Krokodil die acht Fuß hohe Mauer, deren Tor immer verschlossen ist, überwinden sollte.«

»Das klingt ja nach einem Gefängnis«, entgegnete Eloise erstaunt. »Warum muss eine Zuckerrohrplantage mit einer Mauer umgeben werden?«

Captain Carrick wurde es erst jetzt bewusst, dass er das Thema besser nicht angesprochen hätte. Er wusste, dass die Plantage zum Schutz vor den Einheimischen so stark befestigt worden war, aber offenbar hatte Sir Morgans Verlobte davon keine Ahnung. Nun, es war nicht seine Aufgabe, die Dame über die Geschäfte ihres zukünftigen Mannes aufzuklären. Er nahm die Serviette ab und stand auf.

»Wenn die Damen mich bitte entschuldigen möchten? Ich habe noch auf der Brücke zu tun. Lady Gilbert … Miss Kate …«

Als der Captain die Kajüte verlassen hatte, lehnte sich Eloise mit gerunzelter Stirn zurück. Was als harmlose Plauderei begonnen hatte, war zu einem Thema geworden, über das der Captain offensichtlich nicht gerne sprach.

Je weiter die Queen Beth nach Südwesten segelte, desto wärmer wurde es. Bald schon konnten Eloise und Kate bei ihren täglichen Spaziergängen auf Deck auf einen Mantel verzichten, und Eloise genoss es, ihr Gesicht der Sonne zuzuwenden.

»Du willst wohl Sommersprossen und eine braune Haut wie die armen Bauersleute bekommen«, ermahnte Kate sie mit erhobenem Zeigefinger und bat sie, wenigstens einen Sonnenhut zu tragen.

Eloise lachte.

»Ach, Kate, auf Jamaika scheint das ganze Jahr über die Sonne. Da wird es unvermeidlich sein, etwas Farbe zu bekommen.«

»Ich bin sicher, auch dort werden die Damen ihren Teint schützen.« Verächtlich zog Kate die Mundwinkel nach unten. »Deine Eltern haben mich gebeten, auf dich aufzupassen, darum bitte ich dich jetzt, dich in den Schatten zu begeben. Eine Dame setzt sich niemals der direkten Sonne aus.«

Seufzend kam Eloise der Aufforderung nach. Eine Dame … sie war als Dame geboren und erzogen worden, doch manchmal zweifelte sie daran, ob sie für ein solches Leben auch bestimmt war. Eloise konnte sich ihr Gefühl nicht näher erklären, aber hier auf dem Schiff fühlte sie sich frei von jeglichen Konventionen, und sie wünschte sich, ewig weiterzusegeln. Hier musste sie keine Einladungen zum Tee annehmen, bei denen ältliche Damen den neuesten Klatsch austauschten, mit abgespreiztem kleinem Finger die Tasse hielten und die vorteilhaftesten Ehen diskutierten. Eloise hatte keine genaue Vorstellung davon, was sie als Ehefrau von David Morgan erwartete, aber sie hoffte, dass das Leben auf einer Karibikinsel weniger konventionell als im steifen England sein würde.

Trotzdem … wenn diese Reise doch ewig dauern könnte …

Kapitel 3

Mehr aus Langeweile als aus Interesse begann Eloise, in den wenigen Büchern, die sich in der Kapitänskajüte befanden, zu stöbern. Es waren natürlich weder Romane noch sonst erbauliche Literatur, sondern ausschließlich Bücher über die Schifffahrt. So erfuhr Eloise einiges über die Unterschiede von Fregatten, Schaluppen, Schonern und Brigantinen. Sie las über das Navigieren auf hoher See und das Setzen der Segel, um vor dem Wind zu kreuzen. Obwohl sie die meisten Fachausdrücke nicht verstand, wusste sie bald, wie ein Sextant anzuwenden war und wie man die Fadentiefe bestimmte. Je mehr sie las, desto mehr wurde Eloises Interesse für die Seefahrt geweckt. Kate schüttelte lächelnd den Kopf über Eloises Eifer.

»Nun ja, immerhin ist Jamaika eine Insel. Wer weiß, vielleicht werden dir diese Kenntnisse eines Tages von Nutzen sein.«

Vor sechs Tagen hatten sie die Azoren verlassen, seitdem segelte die Queen Beth übers Meer, ohne Land gesehen zu haben. An einem Vormittag standen Eloise und Kate an der Reling und blickten in die Ferne. Plötzlich stutzte Eloise. War das nicht ein Segel da vorn? Oder handelte es sich um eine Lichtspiegelung? Sie kniff die Augen zusammen, doch das Bild blieb nicht nur, sondern wurde größer und deutlicher. Tatsächlich, vor ihnen kreuzte ein Segler. Seit den Azoren hatten sie kein Schiff gesehen, und gerade, als Eloise jemanden darauf aufmerksam machen wollten, erschallte der Ruf aus dem Ausguck: »Schiff voraus! Drei Strich Steuerbord!«

Sofort wurde es an Bord lebendig. Matrosen liefen an die Reling, und Captain Carrick trat neben die Frauen.

»Bitte begebt Euch in Eure Kajüte.« In seinen Augen las Eloise Sorge. »Verriegelt die Tür und bleibt dort, egal, was geschieht.«

»Sind das Piraten?«, rief Kate erschrocken und klammerte sich an Eloises Arm.

Die Gesichtszüge des Captains blieben unbeweglich, als er antwortete: »Es ist nicht auszuschließen, darum bitte ich Euch, sofort das Deck zu verlassen. Öffnet die Tür der Kajüte nur dann, wenn ich persönlich den Befehl dazu gebe.«

»Es könnte aber auch ein Handelsschiff sein …« Eloise kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn Captain Carrick nahm ihren Arm und schob sie sanft, aber bestimmt zum Niedergang.

Die Frauen folgten dem Befehl und legten den Riegel der Tür vor. Leider lag das Bullauge der Kajüte im Heck des Schiffes, so dass sie den fremden Segler nicht beobachten konnten. Es verging eine bange Stunde, in der auf Deck alles ruhig blieb, dann ertönte plötzlich ein schriller Pfeifton.

Kate griff sich an die Brust und keuchte: »O mein Gott, werden wir jetzt angegriffen?«

Eloise überlegte kurz, dann schüttelte sie erleichtert den Kopf.

»Das ist das Signal für Ahoi, es scheint sich also um ein friedliches Schiff zu handeln.«

»Woher willst du das wissen?« Kate sah ihren Schützling skeptisch an.

»Habe ich in einem dieser Bücher gelesen.« Eloise ging zu Tür. »Ich werde mal nachsehen.«

»Der Captain hat befohlen, wir sollen in der Kajüte bleiben!«

Eloise grinste und schob den Riegel zur Seite.

»Das hat er nur gesagt, weil er sich nicht sicher war, ob wir in Gefahr schweben. Du kannst gerne hier unten bleiben, wenn du Angst hast. Mich aber interessiert es, wer auf dem fremden Schiff ist.«

Kate war nicht dazu zu bewegen, Eloise zu begleiten, konnte sie aber auch nicht daran hindern, an Deck zu gehen. Wenn sich Eloise etwas in den Kopf gesetzt hatte, so führte sie das aus, dies war noch nie anders gewesen.

Da Eloise wusste, dass Captain Carrick über ihr Erscheinen an Deck wenig erfreut sein würde, schlich sie sich leise den schmalen Niedergang hinauf und lief dann schnell hinter einen hölzernen Aufbau auf dem Achterdeck.

Die Mannschaft befand sich vorn am Bug, so dass Eloise von hier aus einen guten Ausblick hatte, ohne selbst bemerkt zu werden.

Der fremde Segler war nun so nahe herangekommen, dass Eloise die Flagge erkennen konnte. Es handelte sich um ein niederländisches Handelsschiff, etwa in der Größe der Queen Beth, das allerdings nicht mit Kanonen bestückt war. Eloise erkannte an vielen Stellen geflickte Segel und Schäden an der Takelage. Nach einiger Zeit kam das Schiff längsseits, und ein Mann trat an die Reling. Er legte beide Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief mit einem starken Akzent: »Ahoi, Captain der Queen Beth, ich bin Captain van Ubbenkotte der Fleute Marejke.«

Captain Carrick antwortete in der gleichen Art und Weise und fügte hinzu: »Euer Schiff sieht beschädigt aus, Captain van Ubbenkotte. Seid Ihr in Schwierigkeiten geraten?«

»Vor Kuba fielen wir Piraten in die Hände, Captain. Das war vor vier Tagen. Da wir nicht bewaffnet sind, mussten wir uns ergeben und wurden vollständig ausgeraubt. Ich und meine Mannschaft können von Glück sagen, dass niemand getötet wurde und die Piraten uns das Schiff gelassen haben.«

»Verdammt!« Captain Carrick schlug mit der Faust auf die Reling, dann rief er lauter: »Konntet Ihr erkennen, wer es war?«

Der Captain der Marejke überlegte kurz und antwortete dann: