Intelligentes Stressmanagement - Vera F. Birkenbihl - E-Book

Intelligentes Stressmanagement E-Book

Vera F. Birkenbihl

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Beschreibung

Was haben Führungskräfte, berufstätige Eltern oder Schüler gemeinsam? Richtig: Stress. In unserer von Schnelllebigkeit und Leistungsdruck geprägten Gesellschaft ist er ein ständiger Begleiter, der sich nicht so leicht abschütteln lässt. Doch nicht jede Form von Stress ist gleich: Die anerkannte Management-Koryphäe Vera F. Birkenbihl erklärt die Unterschiede zwischen positivem und negativem Stress und erläutert alles Wissenswerte über dessen Entstehung und Folgen. Anhand konkreter Beispiele und mit zahlreichen kreativen Aufgaben und Übungen zeigt Sie, wie Sie den Stress ihn Ihrem Leben intelligent managen und in den Griff bekommen – für ein entspanntes und achtsames Leben!

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Seitenzahl: 193

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VERA F. BIRKENBIHL

INTELLIGENTES STRESSMANAGEMENT

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VERA F. BIRKENBIHL

INTELLIGENTES STRESSMANAGEMENT

So finden Sie die richtige Balance für ein erfülltes Leben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

21. Auflage 2023

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die Vorauflage ist unter dem Titel „Freude durch Stress“ bei mvg erschienen. Die Vorauflage dieses Titels wiederum ist unter dem Titel „Stress im Griff“ erschienen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: shutterstock_1040938696

Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0225-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-598-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-599-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

Teil I: Stress

Kapitel 1 – Das Reptiliengehirn: Sein oder Nichtsein

Kapitel 2 – Angst oder Freude

Kapitel 3 – Das Denkhirn: Mensch sein

Kapitel 4 – Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität

Kapitel 5 – Energien-Haushalt

Teil II: Anti-Stress

Kapitel 6 – Inventur: Sechs Stress-Tests

Kapitel 7 – Distress dosieren

Kapitel 8 – Eustress suchen

Kapitel 9 – Letzte Notizen und Denkanstöße

Teil III: Anhang

A. Auswertung der Stress-Tests

B. Merkblatt: Motivation und Frustration

C. Merkblatt: Der Defizit-Mensch

D. Merkblatt: Das Gehirn

E. Die Ärger-Inventur

F. Mini-Lexikon (Definitionen)

G. Bibliographie

H. Querverweisnotizen

Vorwort

Die Götter gaben uns ein langes Leben, aber wir haben es verkürzt.

(SENECA)

Der Mensch (Homo) hält sich für die Krone der Schöpfung. Er hält sich für ein wissendes (sapiens) Lebewesen und damit auch für ein weises. Er begründet diese Aussage damit, dass sein Gehirn weiter entwickelt sei als das aller übrigen Lebewesen auf diesem Planeten. Weiterhin führt er als Argument an, der Mensch könne seine Situation kritisch und analytisch durchdenken, er könne sich selbst mit einer gewissen Distanz beurteilen und Entscheidungen aufgrund harter, nüchterner Fakten treffen.

Was er dabei außer Acht lässt, ist die Tatsache, dass er nicht nur ein hochintelligentes Gehirn in seinem Schädel herumträgt, sondern auch den uralten Gehirnstamm, der heute noch mit Höhlenmensch-Reaktionen auf Gefahren des Atomzeitalters antwortet.

Die Elefanten, Tiger und Kaninchen dieser Welt sind nicht wissend, im Sinne eines Homo sapiens. Aber sie haben auch keine »Zivilisation« geschaffen, die das Glück des Einzelnen sowie das Überleben dieses Planeten so beharrlich bedroht, wie der Mensch dies tut. Vielleicht sind dies nur »Kinderkrankheiten«? Vielleicht wird er noch »erwachsen«, vielleicht kann er es noch lernen, sich in die Rolle des wahren Homo sapiens hineinzuentwickeln?

Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass das »Phänomen Stress« (VESTER) eines der Hauptprobleme des modernen Menschen geworden ist. Es ist eine traurige Tatsache, dass wir mit dem Fortschritt, den modernsten Entwicklungen und unserer Kultur auch dieses Problem in die unterentwickelten Länder hineingetragen haben. Heißt das aber, dass Fortschritt und Weiterentwicklung unbedingt mit den Leiden der Stress-Krankheiten bezahlt werden müssen?

Ich meine: Nein! Die Analyse hat gezeigt, dass Völker, die nicht unter zu viel schädlichem Stress leiden, noch in der Lage sind, die Bedürfnisse ihres Gehirns zu befriedigen. Der moderne Mensch hingegen, der vor lauter Popmusik und Atomexplosionen die »Stimme der Natur« nicht mehr wahrnehmen kann, gefährdet nicht nur die Balance der Ökologie in seiner Umwelt, sondern leidet auch in immer gefährlicher werdenden Maßen an seiner Innenwelt-Verschmutzung.

In den alten Hindu-Schriften gibt es folgendes Gleichnis (aus den Schriften RAMAKRISHNAS):

Ein JNANI (= einer, der Gott kennt) und ein PREMIKÄ (= einer, der Gott liebt) wandern durch einen Wald. Plötzlich taucht ein Tiger auf. Der, der Gott liebt, will fliehen. Aber der andere hält ihn zurück: »Ich kenne Gott«, sagt er, »und ich weiß, dass er uns beschützen wird!« Da aber erwidert der andere: »Zwar kenne ich Gott nicht so gut wie du, aber ich liebe ihn. Deswegen möchte ich es ihm leichter machen, mir zu helfen.«

Auch wir stehen heute vor dieser Entscheidung: Wollen wir den Dingen ihren Lauf lassen, wollen wir uns gewissen Gefahren aussetzen in dem blinden Vertrauen, Gott werde uns helfen, das Schicksal wolle es so oder es werde schon irgendwie weitergehen – oder wollen wir uns bemühen, uns selbst zu helfen?!

Hans SELYE, der »Vater der Stressforschung«, meint, die höchste Pflicht des Menschen bestehe darin (113) –

das eigene Ich seinem inneren Vermögen entsprechend so weit wie möglich zum Ausdruck zu bringen und ein Gefühl selbstbewusster Sicherheit zu erlangen. Um dies zu erreichen, müssen wir zuallererst unser eigenes, optimales Stressniveau ermitteln . . .

Nur diese Inventur ermöglicht es dem Einzelnen, nicht nur Freude trotz Stress, sondern sogar Freude durch Stress zu erleben. Wollen Sie das? Können Sie das überhaupt noch wollen? Können Sie die Maxime »Jeder ist seines Glückes Schmied« akzeptieren? Oder sind Sie bereits so stressgeschädigt, dass Sie nur noch meinen können, es habe ja doch »alles keinen Sinn mehr«? (Siehe Stress-Test Nr. 2, Kapitel 6.)

Ich persönlich akzeptiere Sartres These, dass der Mensch nur ist, was er aus sich macht, und dass ein intelligenter Homo sapiens sich bewusst »auf sein Ziel hin-entwickeln« wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Einzelne es in der Hand hat, ob er sich durch Unwissenheit, Faulheit oder Unfähigkeit vorzeitig vom Stress vergewaltigen lassen will oder ob er ihn zähmen und für sich nutzbar machen kann!

Desweiteren hat ja jeder Einzelne nicht nur das eigene Glück, sondern auch das seiner Mitmenschen in der Hand. Wie wir noch sehen werden, bestimmen Eltern die Distress-Position ihrer Kinder; Lehrer bestimmen, ob Kinder freudig oder »gestresst« lernen werden; Chefs bestimmen, ob ihre Mitarbeiter tiefe Befriedigung oder Magengeschwüre entwickeln, und Partner bestimmen die Zufriedenheit oder das Glück des anderen! Daher trägt jeder Einzelne nicht nur die Verantwortung für sich selbst (die er hinwegleugnen dürfte), sondern auch Verantwortung all jenen gegenüber, mit denen er im täglichen Kontakt lebt.

Es ist eines der Kriterien menschlicher Reife, sich mit seinen Pflichten und Verantwortungen freudig auseinanderzusetzen. Gleichermaßen ist es ein Zeichen für menschenunwürdiges Verhalten, seine Verantwortungen wegzuleugnen, nach dem Motto: Was ich nicht bewusst zur Kenntnis nehme, wird schon wieder »weggehen« …

Sie müssen die Entscheidung selbst treffen: Ob Sie die »Vogel-Strauß-Politik« bezüglich Ihres persönlichen Stress-Geschehens betreiben wollen oder aber ob Sie, eines wahren Homo sapiens würdig, bereit sind, sich mit gewissen Tatsachen vertraut zu machen, um das Problem weise und »wissend« anzugehen.

Deswegen sei es mir gestattet, SELYES Motto zu seinem ersten Stress-Buch als Widmung für dieses Buch zu verwenden:

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die sich nicht scheuen, den Stress eines ausgefüllten Lebens in vollen Zügen zu genießen, und die nicht so naiv sind anzunehmen, dass dies ohne geistige Bemühung geschehen könne!

Abschließend noch einige Hinweise zur Benutzung des Bandes: Damit Sie rasch die Informationen finden, die Sie suchen, habe ich auf eine übersichtliche Gliederung besonderen Wert gelegt. Darüber hinaus erleichtert der Anhang den Zugang zu den wichtigen Informationen. So finden Sie dort »Merkblätter« zu Zentralbegriffen.

Weitere Begriffe werden im Mini-Lexikon (Anhang E) definiert. Die Zahlen in Klammern (meist hinter Autorennamen) weisen auf wichtige Titel in der ausführlichen, durchnummerierten Bibliographie hin. Schließlich können Sie in den »Querverweis-Notizen« (Anhang G) die wichtigste Literatur (aufgegliedert nach deutsch- und englischsprachigen Büchern und Zeitschriften) für einige Grundbegriffe ermitteln. Selbstverständlich fehlt auch ein ausführliches Register nicht.

März 1977, Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur 5. Auflage (April 1985)

Dieses Büchlein erschien zum ersten Mal vor genau zehn Jahren. Inzwischen haben mir viele Leser-Reaktionen bestätigt, dass es eine echte Lebenshilfe sein kann. Aber es gibt einen Gedankengang, den ich in der Zwischenzeit in meinen Seminaren entwickelt habe, der bisher im Buch selbst fehlte. Aus technischen Gründen haben wir diese neue Information in Form eines im Okt. 1981 (Industriemagazin) erschienenen Artikels in den Anhang übernommen (Anhang E).

Mein Vorschlag: Lesen Sie Anhang E (die Ärger-Inventur), nachdem Sie Teil II beendet haben. Sie werden durch einen kleinen Hinweis daran erinnert.

Vorwort zur 12. Auflage (August 1998)

Auch diese Auflage wird »bereichert«, weil ich das EnergieModell (Kapitel 5) den neuen Forschungsergebnissen (der Psycho-Neuro-Immunologie) angepasst habe. Ich wünsche Ihnen vor allem viel D- und E-Energien!

Teil I: Stress

Kapitel 1

Das Reptiliengehirn: Sein oder Nichtsein

Stress – eine neue Definition

Wer in der Fachliteratur nach einer Stress-Definition sucht, wird reichlich belohnt: Je länger er sucht, desto mehr Definitionen findet er! Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass Hunderte von Forschern in nun mehr als 50 Jahren in Tausenden von Versuchen und Testreihen einzelne Puzzlestückchen zum Gesamtbild »Stress« zusammengetragen haben und dass jede der vielen Definitionen ein Stückchen Wahrheit beinhaltet. Erst jetzt wird es langsam möglich, das Puzzle zusammenzusetzen, um sich ein Bild zu verschaffen; allerdings bleiben auch heute noch einzelne Flecken übrig, die noch nicht erfasst werden konnten.

Was sich jedoch ganz klar aus den Forschungen der Medizin, der Biochemie und der Neurophysiologie ergibt, ist folgende Tatsache:

Wenn das Überleben, die eigene Sicherheit oder die Arterhaltung gefährdet werden, reagiert zunächst einmal jeder Organismus gleich: Er begibt sich in einen Zustand des Kampfes oder der Flucht, um der Gefahr zu entrinnen. Stößt er später wieder auf dieselbe Situation, trachtet er, diese zu vermeiden.

Dieser Mechanismus funktioniert bei einer Eidechse genauso wie beim Homo sapiens, weil beide einen besonderen Gehirnteil besitzen, der ihn auslöst; wiewohl wir bei Menschen natürlich noch zusätzlich weitere Gehirnteile finden, die es ihm ermöglichen, über solche Vorgänge (unter Zuhilfenahme eben dieser Gehirnteile!) auch nachzudenken.

Das urzeitliche Tier-Wesen, das unser aller Vorahne war, kannte nur klar umrissene Gefahrenmomente: ein wildes Tier, zu große Kälte, Abwesenheit von Nahrung u. ä. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Stress-Definition noch einfach gewesen:

Je komplizierter und komplexer ein Organismus aber wird, desto komplizierter und komplexer werden auch seine Bedürfnisse. Daher kann ein moderner Mensch »Stress« empfinden, wenn man ein Stück Papier zerreißt, auf dem er eben eine Zeichnung angefertigt hat. Der Urmensch kannte kein Papier, er konnte noch nicht zeichnen (Höhlenmalereien entstanden erst viel später), und er kannte auch noch keinen Stolz auf eigene, kreative Leistungen.

Weiter spielen Lernprozesse bei der Stress-Definition eine sehr wichtige Rolle. Herr Ahorst kann eine Situation als bedrohlich empfinden, in der man ihn zwingt, zu viele Entscheidungen treffen zu müssen, Herr Berg hingegen kann unter »Stress« leiden, weil er zu wenige Entscheidungen treffen darf!

Um die Vielfalt des Stress-Geschehens zu verstehen, müssen wir daher einige Informationen zur Kenntnis nehmen, ohne die eine individuelle, für jeden Einzelnen persönlich zutreffende Stress-Analyse unmöglich ist. Nur wenn Sie die dem täglichen Erleben zugrundeliegenden »gemeinsamen Nenner« kennen, können Sie die Schlussfolgerungen ziehen, die Ihnen helfen werden, Ihren persönlichen Stress richtig zu definieren!

Stress und Stress

Das Gehirn: Schlüssel des Stress-Geschehens

Wir deuteten bereits an, dass der Mensch mehr Gehirn hat als die Echse. Daher unterscheiden wir das URhirn (auch Althirn genannt), dessen Funktionen sich von dem eines Echsenhirns kaum unterscheiden – und das NEUhirn (auch Großhirnrinde, Rindenhirn oder Kortex genannt), das die Entstehung des Homo sapiens ermöglicht hat. Des Weiteren müssen wir noch das limbische System (auch Viszeralhirn genannt) in unsere Diskussion miteinbeziehen, da dieses die alten und neuen Gehirnteile miteinander verbindet. Hier laufen außerdem einige wesentliche, lebensnotwendige Gehirnfunktionen ab, die für das Stress-Geschehen von ungeheurer Wichtigkeit sind. (Wer sich für detailliertere Angaben über das Gehirn interessiert, sei auf Anhang D, Seite 210 ff. verwiesen!)

Da wir hier keine exakte Gehirnforschung betreiben, sondern lediglich notwendiges Wissen für die Lösung des Stress-Problems in einfache Denkmodelle umsetzen wollen, werden wir das Neuhirn von nun an einfach als das »Denkhirn« bezeichnen (weil seine wichtigste Funktion das Denken darstellt), das Urhirn jedoch als das »Reptiliengehirn«, wenn wir Funktionen besprechen, die denen des Reptils tatsächlich entsprechen. Unser Ausdruck »Reptiliengehirn« bezieht das limbische System mit ein.

Im täglichen Leben gehen wir oft von einer völlig falschen Grundannahme aus: Der Mensch hat ein Denkhirn, demzufolge denkt er, demzufolge beruht sein gesamtes Verhalten (inklusive aller Entscheidungen, die er trifft) auf den Funktionen eben dieses Denkhirns. Dies ist ein Irrtum, der eine gefährliche Schlussfolgerung nach sich zieht: Da mein Mitmensch auch ein Denkhirn hat und denken kann, nehme ich automatisch an, dass auch sein Verhalten auf Denkprozessen beruht; daher gehe ich von der Annahme aus, dass jeder Aspekt seines Verhaltens von ihm gewünscht und vorher bedacht wurde.

Diese Annahme ist deshalb so gefährlich, weil sie uns eine falsche Einstellung zu uns selbst und zu anderen vermittelt. Wir können viele Situationen nicht halb so realistisch einschätzen, wie wir meinen, weil dieser Denkfehler uns gewissen Fakten gegenüber »blind und taub« macht.

Denn: Das Denkhirn kann nur dann funktionieren, wenn die Basisbedürfnisse der alten Hirnteile befriedigt worden sind. Je weniger dies der Fall ist (zum Beispiel durch Krankheit, Müdigkeit, Gefährdung der inneren Sicherheit etc.), desto mehr Energien werden dem Denkhirn »entzogen«, weil das Reptiliengehirn diese Energien zur Wiederherstellung der biologischen Homöostase1 benötigt (siehe Kapitel 5). Erst ein gesunder und ausgeglichener Mensch kann beginnen, sein Denkhirn wirklich richtig einzusetzen.

Also ist für die Selbst-Inventur ein Verständnis dieser Basis-Bedürfnisse der erste wichtige Schritt.

Basisbedürfnisse des Reptiliengehirns

Dass der Mensch Nahrungs- und Sauerstoffzufuhr benötigt, dass die Nahrung verdaut und wieder ausgeschieden werden muss und dass auch der fleißigste Mensch zwischendurch schlafen muss, um zu überleben, setzen wir als bekannt voraus.

Darüber hinaus aber müssen gewisse weitere Grundbedürfnisse befriedigt werden, wenn leibliches und seelisches Wohl nicht akut gefährdet werden sollen. Eine totale Nichtbefriedigung dieser Bedürfnisse (siehe unten) führt sogar zum Tode.

1. Hunger nach Stimulierung

Außer Nahrung und Sauerstoff braucht ein Organismus einen ständigen Strom von Reizen (= Stimulus, Mehrzahl Stimuli), die von den Sinnesorganen zum Gehirn geleitet und dort analysiert werden. Machen Sie einmal folgendes Experiment: Verbinden Sie sich die Augen, stopfen Sie sich Ohropax in die Ohren, ziehen Sie drei oder vier Paar dicke Handschuhe (Fäustlinge!) an und bewegen Sie sich dann einige Minuten lang in Ihrer Wohnung (unter Aufsicht einer Hilfsperson, die Verletzungen verhindert!).

Wiewohl Sie noch immer eine ungeheure Menge an Stimuli erhalten (Wahrnehmung des eigenen Körpergefühls; vermindertes, aber noch vorhandenes Tastempfinden; Körpertemperatur; Wahrnehmung der eigenen Position zum Raum, also ob Sie stehen, sitzen oder liegen), fühlen Sie sich extrem behindert, um nicht zu sagen verunsichert. Denn: Der ständige Reizstrom soll dem Organismus dazu verhelfen, sich in Bezug auf seine Umwelt ständig orientieren zu können. Wird diese Orientierung unterbrochen, so signalisiert das Reptiliengehirn dies sofort durch die sogenannte OR (= Orientierungs-Reaktion), die von manchen Autoren auch die Kampf-, Flucht- oder die Stress-Reaktion genannt wird. Nichtbefriedigung des Hungers nach Stimulierung bedeutet also akuten Distress, woran wir sehen, dass dieses Bedürfnis tatsächlich lebenswichtig ist.

2. Hunger nach Lust

Nun hat jeder Stimulus, der im Gehirn eintrifft, eine Doppelfunktion: Zum einen ermöglicht er die Orientierung in Zeit und Raum, zum anderen aber muss er gewisse Lust- oder Unlustareale im limbischen System durchlaufen, wo er elektrische Erregungen auslöst. Diese wiederum lösen in uns »Gefühle« von Lust oder Unlust aus. Wobei hier ausdrücklich betont werden soll, dass die Lustgefühle sexuellen Erlebens nur einen Aspekt lustvollen Befindens darstellen. Wir nennen die verschiedensten Gefühle, die durch Stimulierungen der Lustareale produziert werden: angenehmes Wohlbefinden, Zufriedenheit, positive Er- oder Aufregung, Freude, sexuelle Lust, Ekstase und anderes. Die diversen Gefühlsregungen, die durch Erregungen der Unlustareale produziert werden, nennen wir hingegen: Angst, Unsicherheit, Hemmungen, Scham, Schuldgefühle, Wut, Zorn, (negative) Aggression, Panik, Schmerz, Trauer, Unwohlsein. Es ist eine traurige Tatsache, dass unsere modernen Sprachen mehr Worte für Unlustgefühle besitzen als für lustbetonte Empfindungen! (Lokalisierung der Lustareale, siehe Anhang D, Seite 215) Welchen Sinn und Zweck erfüllen nun diese lebensnotwendigen Lustareale, die übrigens untrennbar mit Herzschlag, Atemfunktion und anderen Überlebens-Mechanismen gekoppelt sind?

Sie erlauben Lernprozesse, ohne die das Überleben des Einzelnen sowie der Art nicht möglich wäre! Nehmen wir an, sie setzen sich ahnungslos (im Badeanzug) in Brennnesseln! Erstens veranlassen die sofortigen Unlustgefühle Sie, sich so schnell wie möglich wieder zu erheben. Diese Reptiliengehirn-Reaktion geht übrigens wesentlich schneller vonstatten, als Sie dies gedanklich bewältigen können. Zweitens merken Sie sich für die Zukunft, dass Brennnesseln »brennen«, das heißt, dass Sie dieses Erlebnis nie wiederholen möchten!

Genauso veranlassen natürlich Erlebnisse, die Lustgefühle auslösen, Sie, solche wieder zu suchen.

Die Stimulierung der Lustareale ist nicht nur lebensnotwendig, sie hat sogar noch vor der Nahrungsaufnahme Vorrang. Dies beweisen Experimente, bei denen man einem Organismus winzige kleine Sonden in die Lustareale setzt, sodass es ihm möglich ist, sich durch Auslösen eines minimalen Mikro-Stromstoßes selbst zu stimulieren. Versuche mit Tieren (und gehirngeschädigten Menschen) haben eindeutig bewiesen, dass ein Organismus über dieser sogenannten intrakrani-ellen Selbststimulierung alles um sich herum total vergisst! Er drückt nur noch den Knopf oder die Taste, er frisst nicht, er schläft nicht und kopuliert nicht mehr, bis er vor Erschöpfung umfällt! (CAMPBELL [24]).

Diese Tatsache hat den Gehirnforscher CAMPBELL veranlasst, folgende Schlussfolgerung zu ziehen: Die Stimulierung der Lustareale hat den höchsten Überlebenswert. Daher muss der Organismus ständig versuchen, sich solche Stimulierungen zu verschaffen. Dies geschieht zum einen durch die Reizaufnahme aus der Umwelt, einschließlich der Stimulierung jener Sinnesorgane (Geschmacksknospen zum Beispiel), die bei der Nahrungsaufnahme ermöglicht werden. Zum anderen aber auch durch Gedanken und Vorstellungen2, die physiologisch wie ein Sinnesanreiz verarbeitet werden müssen. Also tut der Organismus »nur«, was Lust verschafft beziehungsweise Unlust vermeidet oder abzustellen vermag. Hiermit sind nun auch physiologische Beweise für FREUDS Aussage, dass Organismen nur Lust suchen, erbracht worden. (Schließlich war ja FREUD auch Physiologe!)

3. Hunger nach Berührung

Die interessanteste Sinnesreiz-Aufnahme stellt wohl die Berührung dar. CAMPBELL (24) sagt hierzu (Seite 138 f.):

Es deuten einige Anzeichen darauf hin, dass der Berührungssinn als erster der äußeren Sinne schon vor der Geburt des Menschen von Bedeutung ist und dass er diese Bedeutung im Laufe unseres Lebens als Erwachsene natürlich beibehält…

Eine Berührung wird … registriert… Alle taktilen Rezeptoren3 besitzen ein sehr rasches Adaptionsvermögen4; das kann man leicht nachprüfen, indem man die Spitze eines Fingers auf eine grobe Oberfläche legt und den Finger (dann) vollkommen ruhig hält. Spätestens nach einer Minute vermag man nicht mehr wahrzunehmen, wie die Oberfläche beschaffen ist, und man merkt nur noch undeutlich, dass man überhaupt etwas berührt. Doch schon eine winzige Bewegung der Fingerspitze reicht, um andere Rezeptoren zu reizen, und schon können wir den Gegenstand wieder für kurze Zeit deutlich wahrnehmen.

Dass wir uns beim Streicheln und Liebkosen und beim Geschlechtsverkehr fortwährend bewegen, ist auf diesen neurophysiologischen Sachverhalt zurückzuführen …

Wiewohl es schon seit Jahrzehnten bekannt ist, dass die menschliche Berührung reinen Überlebenswert besitzt (SPITZ [121] und andere), wird an diesem Sachverhalt in bedenklicher Weise vorbeigelebt und, schlimmer noch, vorbei-erzogen! Es ist, als würde man sagen: Nahrungsaufnahme ist »weich«, »unreif« und eines modernen Menschen (insbesondere Mannes) nicht würdig! Denn:

Da wir ja fähig sind zu lernen, kann man uns durch sogenannte Erziehungsprozesse dazu verbilden, auch natürliche, gesundmachende und beglückende Lebenssituationen später mit Unlust zu assoziieren (siehe Kapitel 2).

Distress

Jetzt können wir die Stress-Definition von Neuem angehen. Wir verweisen noch einmal auf die Tatsache, dass schädlicher Distress und lebensnotwendiger Eustress zwei völlig verschiedene Arten von Stress bedeuten, sodass wir zwei Definitionen benötigen.

Es gibt angeborene (allen Menschen gemeine) Bedürfnisse oder Triebe und individuell erlernte (in denen sich jeder Einzelne vom Mitmenschen unterscheidet).

Wenden wir uns zunächst den angeborenen Trieben zu. Sie dienen der Selbst- und Arterhaltung, die durch Stimulierungen, Nahrungsaufnahme, -Verarbeitung, -ausscheidung, Schlaf, Sauerstoffaufnahme und Erregungen der Lustareale gewährleistet wird. Der Organismus trachtet danach, die biologische Homöostase sowie die Orientierung unbedingt zu erhalten. Jegliche Gefährdung hingegen bedeutet bereits akuten Distress. Solange die Sicherheit nicht wiederhergestellt ist, werden wir vom Reptiliengehirn »regiert«, da dieses erst dann wieder Energien an die höheren Gehirn-Anteile abgibt, wenn die Selbsterhaltung abgesichert ist. ROHRACHER (104) sagt dazu: »Der Stamm regiert, die Rinde schweigt!«

Ein Nicht-wahrhaben-Wollen dieser Tatsache macht sie leider nicht ungültig! Nur ein echtes Sich-Auseinandersetzen kann uns helfen, den Distress zu dosieren, sodass wir dann noch Zeit und Energien übrig haben, um uns auf die Suche nach Eustress zu konzentrieren!

Die Stress-Reaktion

Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass die sogenannte Stress-Reaktion genau genommen immer eine Distress-Reaktion darstellt. Was passiert nun, wenn das Reptiliengehirn bei Gefahr auf Kampf oder Flucht »umschaltet«?

Wir wollen wieder ein vereinfachtes Denkmodell benutzen: Stellen Sie sich vor, im Reptiliengehirn sitzt ein »Wächter«, der nichts anderes zu tun hat, als bei potenzieller Gefahr sofort einen »Panikknopf« zu drücken. Da ja alles Neue, Unbekannte, noch nie Erlebte möglicherweise eine Gefahr für den Organismus darstellen könnte, drückt dieser »Wächter« auch bei Reizen, die er nicht sofort als bekannt und ungefährlicheinstufen kann, besagten »Panikknopf«. Deswegen bezeichnete SOKOLOW (117) den »Wächter« als Neuheits-Entdeckungs-Mechanismus (NEM), dessen Signal immer und automatisch die Stress-Reaktion ablaufen lässt. Da diese Reaktion ja unter anderem auch die Orientierung neu absichern soll, nennt man sie auch die Orientierungs-Reaktion (OR). Eine detailliertere Beschreibung findet sich im Anhang D.

Die OR ist eine ungeheuer starke Reaktion, durch die unter anderem Herzschlag, Pulsfrequenz, Blutverteilung im Körper und die Blutzusammensetzung sofort beeinflusst werden. Möglich wird dies dadurch, dass das Panik-Signal das Stammhirn veranlasst, sofort gewisse Hormone in den Blutstrom zu leiten. Hormone sind chemische »Boten«, die den Organen, zu denen sie geleitet werden, »sagen«, was diese jetzt zu »tun« haben. Alle Hormone der Kampf- oder Flucht-Reaktion sind Nebennierenausschüttungen (zum Beispiel Adrenalin, das dem Körper blitzschnell Extra-Energien zur Verfügung stellt). Diese Hormone müssen von den Sexual-Hormonen unterschieden werden (siehe Kapitel 4, Seite 69 ff.). Bewusst nehmen wir wahr, dass wir schneller atmen, dass wir schwitzen, dass wir zittern, dass wir die Fäuste ballen, dass unsere Stimme bebt, dass wir die Augen aufreißen und vieles mehr. (Für Details siehe Anhang D, Seite 210.)

Nun gibt es in unserem Organismus zwei Nervensysteme, die man zusammengefasst als das vegetative Nervensystem bezeichnet. Es ist für folgende Funktionen zuständig: Der Parasympathikus überwacht Ruhe, Verdauung und andere autonome Vorgänge. Der Sympathikus hingegen wird bei Alarm sofort aktiviert und blockiert alle Vorgänge des Parasympathikus, bis die Gefahr vorüber ist.5 Das haben Sie selbst schon oft beobachten können: Ein Mensch ist zum Beispiel »voll mit dem Kauen beschäftigt«. Eine Gefahrensituation ergibt sich in der Nähe (vielleicht hat jemand die brennende Flambierpfanne vom Wagen gestoßen). Der Mensch hört sofort zu kauen auf! Erst wenn die Gefahrensituation behoben ist, merkt er, dass er den Mund noch voll Speisen hat.

Sinn und Zweck der OR ist es, den Körper sofort kampf- oder fluchtbereit zu machen. Dies geschieht erstens, indem man ihm Extra-Energien zuführt und den Energieverbrauch jener Organe, die für Kampf oder Flucht nicht unmittelbar gebraucht werden, auf ein absolutes Minimum reduziert. Zweitens werden die Sinnesorgane der Augen und Ohren »geschärft«, sodass einem keine gefährlichen Signale entgehen können. Drittens werden Abwehrkräfte des Organismus mobilisiert, damit der Körper eventuelle Verletzungen besser überstehen kann.