Isabellas Baum - Melisande Arven - E-Book

Isabellas Baum E-Book

Melisande Arven

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Beschreibung

Prinz Vincent Magnus von Kant und Vorbrück soll heiraten. Der hat aber gar keine Lust dazu. Bis er eine Reise antreten muss und dabei eine unbekannte Schönheit trifft, die ständig ihre Schuhe verliert.

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Isabellas Baum

Eine Aschenputtel-Geschichte aus der Sicht des Prinzen

Isabellas Baum von Melisande Arven

Herausgeber: FoxArt Verlag

Postfach 43, 90560 Markt Heroldsberg, 

[email protected]

© 2017 Melisande Arven

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Herzogfieber
Schlupffersen
Wildschweinjagd
Mitternacht

Für Lennis und Timathea – mit viel Liebe!!!

Ich war überall schwarz.

Meine Hände, Finger. Selbst unter die Nägel hatte sich der Ruß geschoben. Der feine Staub hing mir in den Haaren und mein Gesicht war über und über voll mit einer dicken Schicht, die mir in den Augen brannte. Ich saß taub vor Schmerz nahe der Glut. Aller Hoffnung beraubt und bis unter die Schädeldecke angefüllt mit purer Verzweiflung. Ich krümmte mich in dem Aschehaufen zusammen. Es kümmerte mich nicht, dass ich davon noch schmutziger wurde. Hier war es warm. Ich zitterte am ganzen Leib und mein Magen verursachte mir großes Unwohlsein.

Sie hatte mich geschlagen. Mein Körper spürte die Folgen davon nicht. Aber mein Verstand meldete es mir irgendwo am Ende des Tunnels. Mein Atem ging schwer. Ich hatte mich hier versteckt. Ich wollte unsichtbar sein. Schwarz und unkenntlich. Und hier würde ich bleiben. In der Asche!

Herzogfieber

Für gewöhnlich haben Stammbäume etwas ungemein Langweiliges. Vor allem, wenn man sie auswendig lernen muss. Für diese Geschichte sind sie aber unglaublich wichtig. Sonst wäre sehr wahrscheinlich niemals geschehen, was sich hier niederzuschreiben lohnen würde. Und die Auflistung von Ahnenfolgen wird auch gar nicht so gähnend öde, wie es den Anschein macht.

Ein Herzog

Ein Herzog ist, wenn nicht mit regierender Gewalt ausgestattet, mit Durchlaucht anzusprechen.

Seine Nachkommen haben im Allgemeinen die Berechtigung den Titel Prinz, beziehungsweise Prinzessin, zu führen.

Das Herzogtum von Kant und Vorbrück war ein betuchtes altes Geschlecht, wie es sich für die oberen Adelskreise gehörte. Außerdem pflegte die herzogliche Familie stets Kontakt zum Kaiserhaus, was ihr zusätzlichen Einfluss verlieh.

Hundert Jahre vor unserer Geschichte lebte seine Durchlaucht Maximilian von Kant und Vorbrück. Er war ein genügsamer Mann mit großem Appetit. Besondere Vorliebe besaß er für Wildbraten aller Art. Und am allerbesten schmeckte es ihm, wenn er Hase, Reh und Wildschwein selbst bei einer tüchtigen Jagd erlegte.

Maximilian hatte eine Zwillingsschwester. Sie hieß Margarete und trug eine mächtige Nase im Gesicht, welche sie durch ausladende, monströse Frisuren auszugleichen versuchte. Jedenfalls verliebte sich Margarete von Kant und Vorbrück während einer der beliebten Jagdpartien in den Freiherrn Berthold von Lindburg.

Eine solche Verbindung wäre unter normalen Umständen niemals gebilligt worden. Der soziale Abstieg der herzoglichen Prinzessin wäre einer alles erschütternden Lawine gleichgekommen. Aber die Vorsehung hatte entschieden, dem Glück des Liebespaares auf die Sprünge zu helfen. So rettete der Freiherr von Lindburg dem Herzog Maximilian das Leben, indem er ihn vor dem Ertrinken im großen Weiher hinter dem Hause bewahrte. Maximilian gestattete daraufhin die Vermählung seiner Schwester mit dem glücklichen Berthold und dieser führte sie heim. Mächtige Nase hin oder her.

So, das war bisher nicht kompliziert, nicht wahr? Dann weiter!

Margarete heiratete also Berthold. Sie bekamen zwei Söhne.

Seine Durchlaucht, der Herzog, fand auch eine würdige Gattin. Elsa – mit spitzem Kinn und lachenden blauen Augen. Auch ihnen wurden Erben geboren.

Herzog Maximilian behielt es aus geschwisterlicher Liebe zu Margarete bei, sie jedes Jahr zur Jagdsaison zu besuchen und einige Tage auf ihrem Gut zu verweilen. Aus Gewohnheit wurde Tradition. Über Generationen ist es daher Brauch, dass der Herzog von Kant und Vorbrück die Freiherren von Lindburg beehrt, um auf das Wild in den Wäldern loszugehen. Ein Brauch, der weder in Frage gestellt, noch je versäumt wurde.

In diesem Jahr unserer Geschichte, in dem wir den Faden aufnehmen wollen, wäre Herzog Georg Ludwig es bisher auch niemals eingefallen, mit alten Sitten zu brechen. Doch er lag, geplagt von schlimmer Grippe, mit Wadenwickeln im Bett und schlürfte heiße Suppe. Die Herzogin saß an seiner Seite und seufzte immer wieder kopfschüttelnd:

„Du mein lieber Gorgilein!“

Der Herzog hätte in zwei Tagen die Familie Lindburg besucht. Oder besser gesagt, die Witwe Lindburg, jetzt Freifrau von Feldstetten, erneut verwitwet. Eine Dame mit mächtiger Nase, die wohl ein Erbgeschenk mütterlicherseits war und zwei reizenden Töchtern, die viel zu früh Vater und auch Stiefvater verloren hatten.

Die Damen wären sicherlich bitter enttäuscht, wenn der Herzog nicht als Schirmherr der Jagd beiwohnen würde. Aber er sollte sich nun endlich eingestehen, dass sein hartnäckiger Infekt niemals binnen 48 Stunden kuriert sein würde. Er musste der Freifrau von Feldstetten mit Bedauern absagen, bevor sie sich seinetwegen in Unkosten stürzte.

Für gewöhnlich wurden die gesellschaftlichen Abende mit üppigem Essen und gar einem kleinen Tanzvergnügen für die jungen Leute gestaltet.

Herzog Ludwig runzelte nachdenklich die Stirn. Ihm war eben ein Gedanke gekommen. Vielleicht waren es die enttäuschten Gesichter der Freiinnen ob ihres geplatzten privaten Balls, die er vor Augen hatte. Vielleicht war es das heitere Lachen, welches vom Hof durch das halboffene Fenster drang. Nach der Ungezwungenheit und Lautstärke zu urteilen, gehörte es seinen Söhnen. Möglicherweise war es wiederum das Eingreifen der Vorsehung, die zwei Menschen zu ihrem Glück verhelfen wollte.

Was der Grund für des Herzogs Einfall auch war, er selbst hielt ihn jedenfalls für brillant. Er richtete sich etwas auf und drückte seiner Gattin die Hand.

„Maria, sieh doch zu, dass Vincent zu mir herauf kommt! Ich habe ihm etwas zu sagen.“

Die Herzogin lächelte, erhob sich und ging zu Tür, um jemanden nach dem Prinzen zu schicken. Sie bewegte sich nahezu lautlos und das Sonnenlicht, das in den Raum drang, verfing sich in ihrem silbergrauen Haar, welches sie nicht im Mindesten alt oder verwelkt aussehen ließ. Es unterstrich auf sehr vornehme Weise den kühlen Teint ihrer Haut und damit ihre gesamte schlanke Erscheinung. Sie und seine Durchlaucht hatten sich vor nun mehr als 30 Jahren an einem Winterabend kennengelernt. Schon zu dieser Zeit war die damalige Prinzessin unnahbar und schweigsam arrogant erschienen. Der eisige Schnee jenes Tages, der auf ihrem Hut und den Schultern lag, hatte diesen Eindruck verstärkt. Aber auch den Herzog für immer verzaubert. Mittlerweile wusste er natürlich zu sagen, dass die Herzogin keineswegs kalt und gefühlsarm war. Sie liebte mit ganzer Seele und war ihm eine treue Gefährtin in all den vergangenen Jahren. Maria Philippa sprach nach wie vor nicht mehr als nötig. Das hatte sein Gutes. Denn der Herzog selbst redete nur zu gerne und oft zu viel.

Die beiden Söhne schienen sich je einen Elternteil ausgesucht zu haben, was die Charaktereigenschaften und auch das Äußere betraf.

Vincent glich vom Wesen her der Mutter. Optisch war er mehr nach dem Vater geraten und als er nun ins Zimmer trat, war es dem Herzog, als sähe er in sein früheres Ich. Zwei hellblaue Augen blickten ihm mit einer gewissen Ernsthaftigkeit entgegen. Aber der Schein trügte, denn Vincent Magnus saß der Schalk im Nacken, welchen er allerdings genauso wie die Herzogin nur den engsten Familienmitgliedern zeigte. Sein blondes Haar wippte mit jedem Schritt am Stirnansatz auf und nieder. Der Prinz war großgewachsen. In seiner gutsitzenden Jacke und der straffen Haltung der Schultern genau der junge Mann von Welt, welchem man Achtung und Respekt zollte. Ein würdiger Nachfolger des Herzogtum derer von Kant und Vorbrück. Er war 23 Jahre alt. Sein Studium hatte er abgeschlossen und konnte sich nun den Annehmlichkeiten des Lebens widmen.

Hinter Vincent eilte der zweite Sprössling herein. Das Ebenbild der Herzogin mit schwarzem Schopf, lachenden dunklen Augen und tiefen sympathischen Grübchen wenn er grinste. Da Edwin Siegbert des Herzog Georgs heiteres, fast schon kindliches Gemüt hatte, grinste er eigentlich die meiste Zeit. Edwin war der jüngere Sohn und durfte sich deshalb weit mehr seiner Albernheiten erlauben.

Beide junge Herren trugen Reitkleidung und ein Hauch von Pferdegeruch mit sich.

„Papa! Fühlen Sie sich ein wenig besser?“ Prinz Vincent trat an die Seite des Bettes und setzte sich selbstverständlich und ungezwungen, trotz benutzter Reiterhose auf die Bettkante. Ein Zeichen der Vertrautheit innerhalb der Familie.

„Nein! Scheinbar will mich diese vermaledeite Krankheit bis Neujahr unschädlich machen.“ Der Herzog hustete angestrengt und schloss erschöpft die Augen. „Du musst mir einen Gefallen tun, mein Junge! Unter normalen Umständen wären Mama und ich am Freitag zur Jagdwoche auf dem Land der Freifrau von Feldstetten gereist. Aber das ist mir einfach nicht möglich, wie du siehst. Noch nie ist ein Kant und Vorbrück diesem Ereignis fern geblieben.“ Georg hob die Lider und sah seinen Sohn mit glasigen Augen an. „Du musst also diese Reise unternehmen! Es wird ja eine vergnügliche Angelegenheit werden, deshalb erbitte ich nichts was dir Magenschmerzen verursachen könnte. Sei so gut und vertrete mich angemessen!“

Vincent zog leicht die Mundwinkel nach oben.

„Mein lieber Herr Papa, wenn Sie diese Sache als Bitte statt als Order verpacken, muss es einen Haken geben. Und zwar einen zentnerschweren.“ Jetzt zeigte er lächelnd die Zähne. „Was haben Sie verschwiegen?“

„Ist doch kristallklar! Die Freifrau hat zwei heiratsfähige Töchter!“, meldete sich Edwin von der Fußseite des Bettes, während er sich lässig gegen den Pfosten lehnte.

„Eddie! Du ewiger Ränkeschmied!“, schimpfte Herzog Georg.

Der jüngere Sohn zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Vincent hingegen seufzte.

„Sie sind weitaus mehr bewandert, wenn es um das Ränkeschmieden geht, Papa. Bitte erlauben Sie mir die Frage, warum haben wir es so eilig mit der Brautschau? Seit ich mit dem Studium fertig bin, gibt es nahezu kein anderes Thema mehr für mich.“

„Willst du denn nicht heiraten, Vinn?“

„Doch, eines Tages, wenn…“

„Du weißt, dass deine Eltern sehr spät mit Kindern gesegnet wurden. Und nun sind wir - und erzähle deiner Mutter bloß nicht, dass ich das gesagt habe - alt geworden. Ich möchte es noch erleben, dass du eine liebe, schöne Frau an deiner Seite hast, die ihr Leben mit dir teilt. Das kann doch so falsch nicht sein.“

„Natürlich nicht. Trotzdem…“

„Vincent, fahr zur Jagd! Für Diskussionen habe ich jetzt keine Kraft.“ Der Herzog wedelte ungeduldig mit der Hand.

Der junge Prinz knurrte verhalten und stand auf.

„Ich werde dich würdig repräsentieren. Versprochen.“

„Gut. Nimm Eddie mit! Er wird dafür sorgen, dass du dich wirklich amüsierst. Reite, tanze und trinke! Und bring deiner Mama was Schönes mit!“

Vincent zog die Falten des Bettlakens glatt, auf dem er gesessen hatte.

„Ja, Vater.“

Der kranke Herzog runzelte missmutig die Stirn. Ihm war bewusst, dass Vincent unzufrieden und frustriert war. Außerdem nannte er ihn nur ‚Vater‘, wenn er etwas besonders ernst nahm oder sich ärgerte. Im aktuellen Fall traf wohl beides zu,

Vincent verließ mit eiligen Schritten das Schlafzimmer und hätte seinem Bruder beinahe die Tür gegen die Stirn geknallt.

„Pardon, darf ich vielleicht auch noch mit hinaus?“, meinte dieser in seiner unkomplizierten Art.

Herzog Georg hoffte, dass Vincents Unmut schnell verrauchen würde. Edwin konnte ihm dabei eine große Hilfe sein.

Vincent ließ den Türgriff los und trabte den Gang hinunter, während sein Bruder versuchte mit ihm Schritt zu halten.

„Was regst du dich denn so über Papas Pläne auf? Er wird dir immer das letzte Wort in dieser Angelegenheit lassen und dich nicht willenlos vor den Traualtar schleppen.“

„Es geht nicht um Meinungsfreiheiten bei der Suche nach einer potentiellen Ehefrau. Es geht um das, was es aus mir macht. Hast du einmal darauf geachtet? Ich bin ein Preisbulle, der geschätzt, bewertet und umlagert wird.“ Vincent blieb abrupt stehen, dass Edwin fast in ihn hineingelaufen wäre. „Bestes Beispiel, Gräfin Fallweldes Geburtstagsfeier. Wie viele junge Damen waren anwesend? Ein Dutzend? Beim Souper hätte ich mich beinahe an jedem Happen verschluckt. Oder wie würdest du dich fühlen, wenn ständig darauf geachtet wird was du dir in den Mund schiebst? Ich bin das so leid!“ Der junge blonde Mann fuhr sich stöhnend über die Augen. „Bei der Freifrau von Feldstetten wird es nicht anders sein. Wahrscheinlich sogar noch schlimmer! Wir werden eine geschlagene Woche mit ihr und den reizenden Freiinnen unter einem Dach wohnen. Wir werden mit noch mehr Mädchen und deren Müttern zusammentreffen, die sich auf Männerjagd befinden. Nicht zum Aushalten!“

Edwin nagte während der ganzen Tirade an seiner Unterlippe. Nachdem Vincent fertig war, schüttelte er kichernd den Kopf.

„Du bist vielleicht ein eingebildeter Löffel!“

„Oh bitte, meinst du das im Ernst? Ich bin nicht eingebildet, nur… realistisch.“

„Realistisch, pessimistisch! Ist doch alles das Gleiche!“ Edwin lachte. „Es könnte doch sein, dass dir eine der beiden Freiinnen unglaublich gut gefällt. Dann wird dir die Woche viel zu kurz vorkommen.“

„Jede Frau, die hinter meinem Titel her ist, interessiert mich kein bisschen. Im Gegenteil, ich finde das widerlich und absolut unsympathisch. Da kann sie noch so ein hübsches Gesicht haben.“

„Das scheint allerdings bei den beiden Freiinnen der Fall zu sein. Man hört so manches über ihre augenschmeichelnden Erscheinungen. Wie heißen die Madamchen noch gleich? Tamara und Adelheid?“

„Was du wieder alles weißt!“ Vincents Gesichtszüge tauten langsam auf.

Für gewöhnlich war Edwin tatsächlich eine gut informierte Quelle. Aber diesmal hatte er nicht in allen Punkten Recht.

„Sie heißen im Übrigen Therese und Adela. Hast du unseren altehrbaren Stammbaum nicht richtig auswendig gelernt?“ Jetzt lächelte der ältere Prinz schelmisch.

„Ach, die Nebenlinien nimmt doch keiner so genau.“

„Diese schon! Aus welchem anderen Grund ist aus diesem Jagdbesuch eine eiserne Pflicht geworden?“

„Pff, es hat sich bisher einfach niemand getraut diese Bilanz einmal anzutasten, indem eine Einladung ausgeschlagen wurde. Warum sollte man das auch? Es gibt gutes Essen, heitere Gesellschaft und die Landschaft rund um das Anwesen soll atemberaubend schön sein.“

„Du willst also unbedingt hin?“

„Man müsste mich nicht an den Haaren packen und hinschleifen, wenn du das meinst.“ Edwin zwinkerte. „Na los, Vinn! Tu es nicht nur für Papa! Mach das für dich! Du wirst es nicht bereuen. Dafür bin ich schließlich mit von der Partie!“

Vincent legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ist das ein Versprechen, weswegen ich mir Sorgen machen müsste?“

Der Bruder wollte sich beschweren, aber er sah das Blitzen in den blauen Augen seines Gegenübers und zog eine Spaßgrimasse.

„Die Sorgen lassen wir zuhause.“, posaunte er gutgelaunt. „Mit den Weibsbildern werden wir schon fertig. Die sollen gaffen, bis ihnen die Augen schmerzen. Ich überlasse dich ohnehin nur einem Mädchen mit Charakter und einer gehörigen Portion Humor. Wer sollte dich sonst zum Lachen bringen?“

„Gut gesagt, Bruderherz. Nur muss sie Papa auch gefallen. Und…“ Vincent senkte den Blick und hob unbewusst die Schultern.

Edwin duckte sich, um ihm wieder ins Gesicht sehen zu können.

„Was? Und?“

„Nunja…“ Der große Blonde wirkte ein wenig verlegen. „Ich habe noch nie darüber gesprochen. Aber wenn es irgendwie möglich wäre, dann… nun, dann möchte ich gerne eine junge Frau heiraten, in die ich verliebt bin und die meine Gefühle erwidert. Das mag ein utopischer Wunsch sein, aber unmöglich ist es nicht.“ Er sah wieder auf. „Oder?“

Vincent hoffte, dass Edwin jetzt keinen seiner Scherze machte. Das würde ihn verletzen. Nachdem diese Worte ausgesprochen waren, stellte er überrascht fest, wie sehr sich dieser Wunsch in ihm gefestigt hatte. Wie sehr sich daher seine Abneigung gegen die Verkuppelei und die damit verbundenen Intrigen und Absprachen steigerte.

Edwin war eine ganze Zeit lang sehr still. Schließlich räusperte er sich.

„Hm, ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, Vinn. Aber eines weiß ich. Um eine solche Vertrautheit zwischen zwei Menschen wachsen zu lassen, die notwendig ist, damit daraus Liebe wird, braucht man Zeit. Die ist ein Attribut, welche dir nicht grenzenlos zur Verfügung steht.“

Vincent nickte verbissen. Natürlich wusste er das. Im schlimmsten Fall würde ihm eine Gattin einfach zugeführt. Eine adelige, gebildete Frau mit guten Genen, die sich je nach der Gebärfreudigkeit ihrer weiblichen Verwandten als geeignet zeigte.

Edwin schien das zu erraten.

„Papa ist doch im Grunde sehr umgänglich und verständnisvoll. Warum teilst du ihm nicht mit, was dir durch den Kopf geht?“

„Ich kann schlecht Verständnis für eine Sache erwarten, die er nie so angehen musste. Du weißt, dass er Mutter erst drei Tage vor der Hochzeit kennengelernt hat.“ Er knurrte unfein. „Nicht jeder hat das Glück sich bei so einer Begegnung vom Fleck weg zu verlieben.“

„Papa würde das selbst auch niemals zugegeben haben. Wenn Großmutter es nicht nach vier Tassen Punsch erzählt hätte, wüssten wir nichts davon.“

„Eben! Es ist vielmehr zu erwarten, dass er sagt: ‚Hab dich nicht so mein Junge! Ich hatte auch nicht die Wahl. Erst kommt die Hochzeit, dann stellt sich die Liebe ein.‘“

„Und nun? Wirst du mit Vater Streit anfangen und nicht zur Jagd reisen?“

„Er würde es mir im Leben nicht verzeihen. Natürlich muss ich fahren.“ Vincent setzte sich wieder in Bewegung und schlüpfte im Laufen aus den Ärmeln seiner Reitjacke.

„Wo gehst du hin?“, rief Edwin ihm hinterher.

„Zu Großmutter. Ich hätte Grund genug mit ihr hundert Tassen Punsch zu trinken. Und dann lasse ich packen.“

Die alte Herzogin war die Großmama väterlicherseits. Ihre Ohren waren trotz ihrer vielen Lebensjahre noch so sensibel wie die eines Luchses und ihr Verstand und ihre Zunge scharf wie ein Rasiermesser. Nur die Beine wollten mit ihrem Temperament nicht mehr ganz mithalten. Deshalb stützte sie sich auf den unentbehrlichen und gefürchteten weißen Hornstock, den die mütterliche Durchlaucht auch gerne verwendete, um müßige Dienerfüße auf Trapp zu halten.

„Was ist denn das für eine Miene, Vincent Magnus? So große Läuse kann es schwerlich geben, um deine Leber zu quälen.“ Kleine dunkle Augen funkelten unter dem Spitzenhäubchen hervor und musterten den eintretenden Prinzen eingehend.

„Für heute reichten ein paar von Papas Worten.“ Vincent nahm die rechte Hand der alten Dame und deutete einen Kuss an.

„Dann schafft er es fieberkrank noch Unruhe zu stiften? Dafür muss ich ihm fast applaudieren.“ Die Großmutter ließ ihr leises Kichern hören und rückte auf der Bank zur Seite, damit ihr Enkel sich setzen konnte.

„Ich werde verreisen. Nach Feldstetten. Dieses Jahr ist es offenbar an mir die Kant und Vorbrücks zu repräsentieren.“ Vincent strich beiläufig über den Stoff seiner Hose, als wollte er einen Fleck entfernen. „Das würde mich auch nicht weiter stören, wenn Papa endlich die Jagd nach einer Braut aufgeben würde. Ich gehe in Wahrheit nicht das Wild schießen, sondern soll zusehen, dass ich eine Heiratskandidatin ins Visier nehme.“

„Und das schmeckt dir nicht.“

„Nein! Ich fühle mich bedrängt. Beinahe erdrückt. Wenn die Freiinnen von Feldstetten ebenfalls davon Wind bekommen haben, hören sie nur noch die Hochzeitsglocken klingeln.“

Die Altherzogin zog die Augenbrauen hoch.

„Wo bleibt deine unerschütterliche Entschlossenheit, Vincent Magnus? Du bist ein junger Mann voller Prinzipien gepaart mit einem sehr harten Dickschädel. Das hat sich schon gezeigt, als du kaum laufen konntest. Ich denke, dass niemand, nicht einmal dein Vater, etwas von dir einfordern kann, von dem du nicht überzeugt bist.“ Die alte Dame lächelte. „Du musst dich entschließen, die Situation zu beherrschen, anstatt zuzulassen von ihr beherrscht zu werden. Ich glaube, du weißt, wie du das zustande bringst. Mach den Haushalt der Freifrau zu deinem eigenen. Mach von Anfang an deutlich, wer der Herr im Ring ist und gib das auch bei allen gesellschaftlichen Anlässen zu verstehen. Einen solchen Prinzen werden die Damen eher fürchten, als belagern.“ Sie zupfte an Vincents Ärmel. „Und die Mädchen, die sich davon nicht abschrecken lassen, solltest du näher unter die Lupe nehmen! Das sind Charaktere, die das Zeug zur Herzogin haben.“

Vincent nickte bedächtig. Er hatte jedes Wort aufmerksam aufgenommen. Ihm war von vornherein bewusst gewesen, dass die Großmutter ihm nicht nach dem Mund reden würde. Aber deshalb war er auch nicht gekommen. Er hatte sich Rat holen wollen und ihn erhalten. Seine Laune hatte sich wesentlich gebessert, als er in seine Räume ging und den Leibdiener anwies, Reisevorbereitungen zu treffen.

Beim abendlichen Tischgespräch drehte sich, dank des Bruders, leider auch alles um den Aufenthalt in Feldstetten. Vincent wollte den Informationen, welche die Herzogin weiterzugeben hatte nicht mit Abneigung gegenüberstehen. Er musste gut gerüstet sein, um bestehen zu können.

Edwin hatte gefragt, warum die Jagdzusammenkunft seit einigen Jahren auf Feldstetten und nicht wie all die Jahrzehnte zuvor in Lindburg weilte.

Die Herzogin legte das Besteck beiseite und rügte ihren Sohn spielerisch mit dem drohenden Zeigefinger.

„Das solltest du aus den Annalen wissen Edwin!“ Doch sie lachte und Edwin stimmte schuldbewusst mit der Schulter zuckend ein. „Die Freifrau von Feldstetten hatte zweimal das schlimme Los des Witwenstandes ereilt. Ihren ersten Gemahl, den Freiherrn Adalbert von Lindburg, trug sie bereits vor zehn Jahren zu Grabe. Danach heiratete sie Burghardt von Feldstetten und zog selbstverständlich mit ihren beiden Töchtern auf dessen Landsitz. Leider verstarb der Freiherr kurze Zeit später und die arme Frau blieb erneut allein zurück.“ Maria Philippa von Kant und Vorbrück seufzte und schüttelte über so viel Pech den Kopf. „Soweit ich weiß, ist das Herrschaftshaus von Lindburg veräußert worden. Aber die Ländereien befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft derer von Feldstetten und sind für die traditionsbewusste Freifrau unantastbar. Ihr werdet also genügend Terrain zum Jagen haben.“

„Was ist die Freifrau für ein Mensch? Ist sie umgänglich?“, mischte sich Vincent ein.

„Nun, einer Herzogsfamilie gegenüber benimmt sich wohl jeder umgänglich. Aber ich glaube, sie ist eine patente Dame mit einem Hang zur Nüchternheit. So hat es dein Vater immer ausgedrückt, wenn er ihre Humorlosigkeit beschreiben wollte. Obwohl die Freifrau nicht steif oder verbittert wirkt. Sie ist eine aufmerksame und reizende Gastgeberin.“

Edwin zwinkerte Vincent zu. Die stumme Geste sagte, wenn man den Herzogsohn gut kannte mehr als tausend Worte. Im Grunde meinte er damit, dass die Freifrau von Feldstetten eine staubtrockene Tugendwächterin sein musste, deren ungemütlicher Adlerblick überall war und jeden gesellschaftlichen Ausrutscher sofort bemerkte. Prinz Vincent verzog scherzend den Mund und war derselben Ansicht.

Er behielt den kühnen Rat seiner Großmutter im Gedächtnis. Edwin hatte ihn heute einen arroganten Löffel genannt. Vincent wusste genau, dass er selbst zwar einen gesunden Stolz besaß, aber einen Hang zur Überheblichkeit hatte er nun wahrlich nicht. Wenn er allerdings als strenger und unnahbarer Prinz im Feldstettener Haushalt auftreten wollte, war er sich nicht sicher, ob ihm die Bezeichnung arrogant nicht sehr schnell angehängt werden würde. Er brauchte anscheinend zukünftig ein dickes Fell.

Das Leben war nicht gut zu mir. Die meiste Zeit musste ich mich um mich selbst kümmern. Ich weiß, was es bedeutet großes Leid zu erfahren und jeden Pfennig einzeln umzudrehen. Meine Eltern waren hochverschuldet gewesen. Als ich in die Gesellschaft eingeführt wurde, setzten sie alles auf eine Karte und nahmen Geld auf, um mir einen gebührlichen Auftakt zu ermöglichen. Natürlich in der Hoffnung, dass ich einem wohlhabenden Herren gefallen könnte.

Das Beste, das mir tatsächlich je passierte, war die Begegnung mit meinem Mann, denn ich liebte ihn zärtlich. Seit langer Zeit spielte die Frage nach finanzieller Sicherheit keine Rolle und ich genoss es, gutgekleidet und eine fleißige Gastgeberin zu sein. Vor allem, dass die Familie meines Mannes Beziehungen zum Herzogshaus pflegte, sogar in Form von entfernter Verwandtschaft, bedeutete eine große Genugtuung.

Doch diese Zeit war längst vorbei. Mein einziger Trost bestand darin, dass dieses herzogliche Blut auch in den Adern meiner Töchter floss. Sie waren zu Höherem berufen. Ihnen musste es gelingen in die höchste Aristokratie einzuheiraten.

Nun hatte ich wieder einen Haushalt, aus dem das Geld schneller sickerte, als es hinein kam. Zu allem Überfluss hat mir der Besitz meines zweiten Ehegatten dieses Anhängsel beschert. Diesen dunkelhaarigen Parasit, der alle meine Pläne und Wünsche gefährdete.

Da es bereits Oktober war, regnete es großzügig am Tag der Reise. Die beiden Brüder hatten geplant, den gesamten Weg selbst zu reiten. Da die Mutter eine Erkältung oder Schlimmeres fürchtete und nicht noch ein Familienmitglied ans Bett gefesselt sehen wollte, entschieden sich die Prinzen gehorsam die zweitägige Fahrt in der Kutsche zu unternehmen.

Nachdem sie die erste Etappe gut überstanden hatten und im warmen Gasthof ein schmackhaftes Abendessen einnahmen, mussten sie gestehen, dass sie der Herzogin für die Einwände Dank schuldeten. Der Wind pfiff an der Hausfassade vorbei und die Regentropfen trommelten unermüdlich gegen die Fensterscheiben. Das Gefolge der beiden edlen Herren ging seinen Aufgaben nach. Die Kammerdiener der Prinzen, welche ironischerweise Alfred und Alfrid hießen, kümmerten sich um die vom langen Sitzen zerknautschten Hosen und Sakkos. Horst Bieber, der Kutscher und Jannek Dornhelm, der Gehilfe, waren in den Stallungen und versorgten die Tiere. Sie stritten mit den Angestellten des Gasthofes über die Qualität des hiesigen Bieres. Außerdem waren noch die beiden Jagdgesellen Philip Eichinger und Pelé von Buhlwinkel mit dabei. Weniger aus Notwendigkeit, mehr um dem herzoglichen Gefolge ein bisschen Imposanz zu verleihen. Beide verstanden es vortrefflich zu schießen, würden aber bei der angesetzten Drückerjagd kaum zum Einsatz kommen. Man hatte den Herrschaften, darunter auch den Damen, den Vorzug zu lassen.

„Ich habe herausgefunden, dass Theresa und Adela Zwillinge sind.“, ließ Edwin verlauten.

„Wirklich?“ Vincent winkte der Bedienung nach mehr Wein.

„Ja, tatsächlich! Sie sollen sich wie ein Ei dem anderen zum Verwechseln ähnlich sehen.“

„Na, das kann ja heiter werden!“

„Sieh dich nur vor, dass du nicht die gleichen Komplimente machst!“

„Da ich vorhabe, mit Komplimenten recht sparsam zu sein, sollte mir das nicht sonderlich schwerfallen.“ grinste Vincent und prostete seinem Bruder zu.

„Ist streng und patronenhaft aufzutreten wirklich die beste Idee, Vinn? Hört sich nicht nach einem spaßigen Aufenthalt an.“

„Du hast mir deine Unterstützung versprochen, Eddie! Lass mich jetzt nicht fallen!“

„Das werde ich nicht. Aber lass mich ganz ehrlich sein, auch mir ist daran gelegen, dass du eine einzigartige Frau findest. Wenn du dich unnahbar zeigst, schreckst du wahrscheinlich auch die netten Mädchen ab.“

„Großmutter ist anderer Meinung. Doch lass auch mich ehrlich sein, ich bin nicht händeringend auf der Suche nach einer Braut.“ Vincent zuckte entschuldigend mit den Schultern und zeigte ein reuevolles Lächeln.

Er hatte nicht so tiefe Grübchen wie Edwin, aber zwischen seinen Vorderzähnen zeigte sich eine sympathische, winzige Lücke, die seinem Lächeln etwas Freches verlieh. Sie ließ ihn als makellosen Prinzen nicht ganz so perfekt erscheinen. „Zumindest nicht jetzt.“

Edwin mochte ein Clown sein. Aber er hatte ein feines Gespür für die unausgesprochenen Worte und Empfindungen anderer Menschen. Und niemanden kannte er besser als seinen Bruder. Er würde es schon richtig machen.

Als die Reisegruppe am frühen Abend des nächsten Tages schließlich vor dem Haupthaus des Feldstettener Anwesens stand, staunten die Prinzen nicht schlecht. Es war ein äußerst stattliches Gebäude mit einem blitzsauberen Vorhof. Kein Blatt wagte es offensichtlich auf die Pflastersteine zu fallen und kein Kiesel tanzte aus der Reihe. Die mannshohen Buchsbäume, welche die Einfahrt säumten, waren kunstvoll in Fasane, Hasen und Eber verwandelt worden, wohl in Anlehnung an die bevorstehende Jagd. Die Fassade des Herrenhauses war schneeweiß und die schwarzen Fensterrahmen glänzten in der Abendsonne. Es schien fast zu perfekt und tadellos zu sein. Der Anblick wirkte beinahe steril.

Nur Sekunden nachdem die Kutsche vor dem Eingang zum Stehen kam, quoll ein ganzer Menschenstrom aus dem Haus und reihte sich entlang des Weges auf.

Vincent versuchte einen entspannten und irgendwie erhabenen Gesichtsausdruck darzubieten, als Edwin sich leicht zu ihm neigte.

„Wetten, dass wir gleich gebeten werden, im Haus die Schuhe auszuziehen?“, raunte er aus dem Mundwinkel.

„Schhh!“ Vincent musste sich ein Lachen verkneifen und rang um seine gelassene Mimik.

Als sein Blick schließlich die Frau einfing, die hinaus auf das Pflaster trat, fiel es ihm allerdings nicht schwer, ernst dreinzuschauen. Zwar umspielte ein freundlicher Zug die Lippen der Dame, aber trotzdem strahlte sie etwas aus, das Heiterkeit grundsätzlich verbat. Sie hatte den Herbst ihres Lebens erreicht und die hochgetürmte Frisur war von unzähligen hellgrauen Strähnen durchzogen. Ihre dunklen Augen blickten fest auf die Ankömmlinge und ruhten über der berüchtigten großen Nase, die man nur übersah, wenn man sich auf das geschmackvolle grüne Kleid und die herrlichen Ohrringe konzentrierte.

Da die beiden Gäste dem männlichen Geschlecht angehörten und sich um Modebelange herzlich wenig scherten, hatte die Freifrau von Feldstetten leider kein Glück ihre Gesichtsmitte vergessen zu lassen. Aber die Herren waren aus bestem Hause. Sie ließen das Starren und neigten höflich die Köpfe, als die Dame mit unvermittelter Geschwindigkeit auf sie zueilte.

„Meine verehrten Herren! Ich fühle mich aufs Äußerste beglückt, dass Sie die Reise zu meinem bescheidenen Heim der Mühe wert gefunden haben. Und das, während seine Durchlaucht der Herzog schlimm erkrankt ist.“

„Es war seiner Durchlaucht ein großes Anliegen, dass auch dieses Jahr die Gesellschaft auf Feldstetten durch die Kant und Vorbrücks bereichert wird. So haben wir endlich die Möglichkeit auch Sie, verehrte Freifrau, kennenzulernen.“ Vincent lächelte kühl. „Darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen? Prinz Edwin Siegbert.“

Die Freifrauaugen leuchteten entzückt, die Nase rückte dabei fast aus dem Fokus und sie machte eine ausladende Armbewegung hinter sich.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Sicher haben die Herrn Prinzen schon von meinen Töchtern gehört. Das hier sind…“

„Liebe Mama! Das haben wir doch besprochen!“

Zwei junge Mädchen drängelten sich eifrig an der Freifrau vorbei und bauten sich selbstbewusst vor den Kant und Vorbrücks auf und knicksten einwandfrei.

„Einen wunderschönen guten Abend.“, sagte das eine.

„Wir sind Adela und Therese. Hoch erfreut.“, meldete sich das andere.

Bevor Vincent oder Edwin auch nur ein Wort erwidern konnten, richteten sich die zarten Geschöpfe wieder auf und verpflichteten weiter:

„Wir haben uns zu Ihrer werten Unterhaltung ein kleines Spiel ausgedacht. Deshalb haben wir die liebe Mama unschön unterbrochen.“, zwitscherte die Linke.

„Sie müssen im Laufe der Woche herausfinden, wer von uns welche ist. Und raten gilt nicht. Sie müssen sich sicher sein.“, flötete die Rechte.

Darauf folgte ein reizendes Kicherlachen. Vincent war über so viel Courage ganz sprachlos geworden. War das die Sorte, von der Großmutter gesprochen hatte? Wohl eher nicht!

Er unterdrückte ein Seufzen. Aber er musste zugeben, dass die Freiinnen ziemlich hübsch waren und dass die gestellte Aufgabe nicht leicht war. Denn auf den ersten Blick ließ sich kein Unterschied zwischen beiden feststellen.

Sie mussten achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein. Besaßen eine vornehme, blasse Haut und glitzernde dunkle Augen. Ihre Haare leuchteten im Abendlicht in einem schönen hellbraun. Das Mädchen, welches zuerst gesprochen hatte, trug ein rotes Kleid, das schmeichelnd die Figur umspielte. Die Schwester präsentierte in Schnitt und Verzierung die gleiche Garderobe, nur dass hier der Stoff in sattem Gelb strahlte.

Vincent bemerkte, dass er in das Starren verfallen war, welches er bei der Freifrau noch vermeiden konnte. Mit großer Selbstüberwindung riss er sich aus seiner Versteinerung.

„Ist das wahr?“, ließ er abgebrüht verlauten und zeigte ein durchlauchtes Lächeln, das nicht die Augen erreichte. In diesem Moment hasste sich Vincent. Diesen selbstverliebten, verwöhnten Blaublütler zu mimen, sagte ihm definitiv nicht zu.

Den jungen Damen erschien das nicht von Belang zu sein. Sie bettelten förmlich um direkten Blickkontakt und ihre rosigen Bäckchen spannten sich in seligem Dauergrinsen.

Vincent straffte die Schultern.

„Verehrte Freifrau, die Reise war lang. Dürfen mein Bruder und ich mit einem Abendessen rechnen? Oder ziehen Sie es vor, uns hier draußen zu unterhalten?“

„Aber nein! Bitte kommen Sie herein und lassen Sie sich bewirten!“ Die Herrin des Hauses machte auf dem Absatz kehrt. „Mücke! Wir dinieren! Jetzt sofort!“

Mit dem Befehl war offensichtlich der leitende Hausdiener gemeint, der in der Reihe des wartenden Gesindes stand und sich hastig verneigte. Alles setzte sich in Gang und trottete Richtung Haustür. Die Röcke der Mädchen raschelten eifrig, als wollten sie zur Eile mahnen.

Edwin schüttelte sich unmerklich.

„Uh, du bist ja wirklich kalt wie ein Fisch. Du hättest Schauspieler werden sollen.“

„Die Darbietung der Freiinnen war auch nicht übel. Was hältst du von ihnen?“ Vincent konnte auf seine Frage keine Antwort bekommen, denn im Vestibül wurde sein Arm von der gelben und Edwins von der roten Jungfer in Beschlag genommen. Eine gewisse Hektik war ausgebrochen, die zwar zu verbergen versucht wurde, aber an den umsichtigen Prinzen nicht unbemerkt vorbei ging.