Treppenflug - Melisande Arven - E-Book

Treppenflug E-Book

Melisande Arven

0,0

Beschreibung

Fynn ist blind. Lilly ist taub. Na und? Eine Geschichte über eine Jugendliebe und die Kraft des Glaubens. Fynnegan Bergmann purzelt die Schultreppe hinunter. Eine zierliche, Person mit langen Haaren, die einfach wunderbar duftet fängt ihn unfreiwillig auf. Seitdem ist für Fynn die Welt nicht mehr so wie vorher. Wie findet man ein Mädchen wieder, dass man nicht sehen konnte, aber dessen Figur und Parfüm einem nicht mehr aus dem Kopf gehen? Lilly Matjeson wurde durch den aufgeschlossenen und gutaussehenden Fynn aus der Parallelklasse in einen Unfall verwickelt. Nun schlägt ihr Herz wie ein Trommelwirbel, wenn sie ihn zufällig auf dem Schulgang sieht. Aber wie soll sie auf sich aufmerksam machen, denn sie kann weder hören noch richtig sprechen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 387

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Treppenflug

 

 

für mein Röschen,

das nun im Himmel spielt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herausgeber: FoxArt Verlag

Postfach 43, 90560 Markt Heroldsberg,

[email protected]

 

© 2016 Melisande Arven

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Wer wir sind
Alltag
Schulfete
Komplexe
Landesgartenschau
Kirchgang
Jugendfreizeit
Augenoperation
Sommerseminar
Hochzeit

Wer wir sind

Mein Name ist Lilly.

Mein Vater nennt mich Tiger-Lilly. Wie das Indianermädchen aus Peter Pan. Früher hab ich das sehr gemocht aber jetzt wo ich älter bin, naja. Wir leben in einer Kleinstadt. Es ist nichts Besonderes hier. Wir haben Geschäfte, Schulen und einen Park. Ich führe ein bisher wenig aufregendes Leben. Bin meist lieber für mich.

Aber ich habe ein Problem. Ein großes sogar. Und keine Lösung. Ich bin verliebt. Furchtbar schlimm wahrscheinlich.

Er heißt Fynn. Ich kenne ihn schon lange. Eigentlich seit ich denken kann. Und er kennt mich. Also er weiß das es mich gibt, sagen wir so.

Und das eigentliche Problem?

Fynn kann nicht sehen.

Ich kann nicht gut sprechen.

Ich bin eigentlich immer stumm wie ein Fisch und hören kann ich nur mit diesem blöden Gerät im Ohr und trotzdem klingt alles als hätte man mich mit Watte ausgestopft.

Verständigung gleich null.

Fynns Familie hofft auf ein Forschungsprojekt. Wenn alles gutgeht könnte er vielleicht wieder ein wenig sehen. Aber die Aufnahmelise ist lang. Das kann noch ewig dauern. Und so viel Zeit habe ich leider nicht.

Denn da gibt es noch Cleo. Und die hat keine Sorgen mit ihrer Stimme. Im Gegenteil, sie benutzt sie wann immer es geht. Und Fynn sieht wirklich ganz toll aus. Das finde nicht nur ich. Mindestens die Hälfte aller weiblichen Wesen in meinem Alter sind dieser Meinung.

Warum ich mich in Fynn verliebt habe? Eigentlich ist es eine ganz blöde Geschichte. In meinem Leben gibt es viele davon:

Es war in der Weihnachtszeit.

Zeit des Frieden, der Liebe und der Besonnenheit.

Nicht wenn man in meiner Familie lebt. Wir sind ein Großkonzern. Drei Häuser scharen sich um einen recht großen Garten.

Der Oberdrache, wie mein ältester Cousin Martin sagt, wohnt in dem Haus das der Straße zugewandt ist. Meine Oma.

Die Unterdrachen wie meine Eltern und die übrigen Onkel und Tanten dahinter.

Die Babydrachen, die Kinder der Unterdrachen, drücken sie so durch und versuchen in ihren Zimmern eine Festung des Privatlebens aufzubauen oder zu verteidigen.

Weihnachten. Wir hatten einen Baum gekauft auf den Rübezahl hätte stolz sein können. Eigentlich wollten fast alle dieses Jahr eine Blautanne kaufen weil die nicht so piekt. Aber der Oberdrache hatte gefaucht und dann wurde wieder die obligatorische Fichte besorgt. Begründung: nadelt nicht so sehr.

Gefeiert wurde der Heilige Abend bei meiner Tante Betty und sie hatte extra ihre Schränke im Wohnzimmer verrückt damit der ‚Wald‘ darin Platz hat.

Ich liebe Weihnachten. Ich mag den Duft, die Stimmung, einfach alles. Aber Matsch und Glatteis, das hasse ich. Aber gerade deswegen bin ich ja über Fynn gestolpert. Oder besser gesagt, er über mich.

Es waren noch ein paar Tage bis zu den Ferien. Zu unserem ehrbaren Schulgebäude führen breite Stufen zum Haupteingang hinauf. Eigentlich werden die von unserem Hausmeister peinlichst gekehrt und mit Sand überhäuft aber an diesem Morgen hatte er wohl die Grippe oder so was. Auf jeden Fall waren die Treppen rutschig.

Es schneite an diesem Tag und ich hatte meine Mütze tief ins Gesicht gezogen und beschloss auf jeden Fall das Geländer in Anspruch zu nehmen. Wer vor mir oder hinter mir lief hatte ich gar nicht beachtet. Ich weiß auch gar nicht wie es passierte, mit einem Mal kippte der Vordermann nach hinten, fiel mir in den Bauch und riss mich mit auf den harten Boden.

Ich hatte mir nicht wehgetan. Aber mir war ein furchtbarer Schreck in die Glieder gefahren. Ich fasste unbewusst nach den Armen der Gestalt die halb auf mir lag und zog meine Mütze höher. Jetzt erkannte ich Fynn Bergmann und sah an seinen Lippen, dass er wohl fluchte. Ihm war sogar die Sonnenbrille runtergefallen.

Er tat mir leid. Schnell drückte ich ihn zur Seite und reichte ihm die Brille die neben uns lag. Ich bemerkte, dass er sich die Jeans am Knie aufgerissen hatte und Blut heraus sickerte. Fast unbewusst berührte ich die Stelle.

„Oh Mann, ganze Arbeit.“, sagte Fynn und tastete selber danach. „Hast du dir wehgetan?“, fragte er mich.

Ich klopfte ihm nur aufmunternd auf die Schulter und half ihm aufstehen. Er grinste.

„Ich hasse Schnee. Vielleicht hätte ich mir Spikes anziehen sollen.“

Ich musste lächeln und reichte ihm seinen Stock.

„Fehlt dir wirklich nichts?“, meinte er wieder.

Ich knirschte mit den Zähnen. Zum Kuckuck das war wirklich schwierig. Der würde mich noch für total bescheuert halten wenn ich nicht antwortete. Mir fiel also nichts Besseres ein, als ihm ganz kurz über die Hand zu streichen. Dann hakte ich mich bei ihm ein und wir erklommen die Treppen gemeinsam.

Sein Arm war warm und ich spürte seinen tiefen Atem. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen. Aber er lächelte tapfer. Es war ein schönes Lächeln. Und er war groß und gut gebaut. Als wir uns wieder losließen strich er sich die Haare aus dem Gesicht.

„Danke. Ich sag Bescheid wenn ich mal wieder wo runterfallen will okay?“

Ich rückte meinen Rucksack zurecht und drückte kurz seine Hand. Er drückte sie zurück. Natürlich wunderte er sich warum ich verflixt nochmal nicht antwortete. Das konnte ich deutlich sehen. Aber was sollte ich ändern? Ich sah, dass seine Freunde anrückten und floh.

Aber seitdem klopft mein Herz wenn ich ihn sehe. Und mit jedem Mal wird es mehr.

Es gibt viele Dinge die ich auf den Tod nicht leiden kann. Neben dem Umstand, dass ich in ständiger Nacht lebe, ist es mein Name. Keine Ahnung was meine Eltern geritten hat mich Fynnegan zu nennen.

Der Name bedeutet ‚kenntnisreich‘, sollte also eigentlich Jemand tragen der was in der Birne hat. Wenn man so meine Noten anschaut kann ich hauptsächlich in Mathe punkten. Ich möchte trotzdem gern Schriftsteller werden. Ich hab so viele Ideen im Kopf, dass ich manchmal nicht weiß wohin damit. Aber ich kann die Dinge immer nur so beschreiben wie ich sie mir vorstelle.

Ich glaube die Leute die nicht so sehen wie ich, also nur mit den Gedanken, können gar nicht verstehen was ich da schreibe. Obwohl ich nicht blind geboren bin. Ich weiß wie Bäume aussehen und was blau und grün ist. Die Nacht kam später.

Aber schreiben?

Naja.

Alle Welt meint deshalb ich bin versessen darauf Chemiker zu werden und alles in die Luft zu jagen was mir in die Finger kommt.

In die Schule gehe ich ganz gern. Da ist es wenigstens laut. Ich darf auf eine normale Schule gehen. Meine Eltern haben darum gekämpft wie die Löwen.

Und gute Kumpels hab ich auch, die mich beraten was zurzeit in ist, die mit mir Klamotten kaufen gehen (meine Mummy kann ich das auf keinen Fall übernehmen lassen) und mir was Ordentliches bestellen wenn wir abends ausgehen und ich die Speisekarte nicht lesen kann. Wir gehen sogar zusammen ins Kino. Weil ich den Sound so mag.

In der Klasse scheine ich beliebt zu sein. Nun, kann schlecht sehen wenn mir Jemand eine Fratze schneidet. Eine Freundin hatte ich noch nie. Zwar scheine ich bei Mädchen ganz gut anzukommen und aufs Äußere achte ich aus bekannten Gründen eh nicht, aber da ich nur auf Gerüche und Stimmen reagieren kann ist das nicht so leicht Interesse an einem weiblichen netten Wesen zu entwickeln.

Jedenfalls war das so bis kurz vor Weihnachten.

Ich bin vor der Schule die Treppe runter gesegelt. Kam ich mir vielleicht blöd vor. Außerdem hatte ich mir verflixt wehgetan. Mein Knie blutete. Aber das hatte ich am Anfang gar nicht so bemerkt. Ich bin nämlich auf einem Mädchen gelandet.

Und da ist es irgendwie passiert. Ich spürte ihre Figur und ihre Größe. Ihre langen Haare hatten kurz über mein Gesicht gestreichelt. Es war ganz weich. Aber was mich seitdem nicht mehr los lässt ist ihr Duft. Das klingt jetzt ziemlich blöd aber ich hab ihn vom ersten Moment eingesogen wie ein Ertrinkender und er hat mich völlig durcheinander gebracht.

Sie half mir aufstehen und ich fragte sie ob es ihr gutgehe. Aber sie antwortete nicht. Ich spürte, dass sie mir auf die Schulter klopfte. Ich riss ein paar Witze, denn jetzt bemerkte ich den Schmerz in meinem Bein. Sie war etwas kleiner als ich, das konnte ich fühlen als sie mir meinen Stock zurückgab.

„Fehlt dir wirklich nichts?“, hatte ich sie gefragt.

Aber statt einer Antwort legte sie ihre Hand auf meine Hand. Das hat mich fast umgehauen. Mein Hirn setzte aus als wir zusammen die Treppe hoch gingen. Ich glaube ich schwafelte irgendeinen Quatsch.

Bevor ich sie nach ihrem Namen fragen konnte war sie auch schon verschwunden und Mark schlug mir in den Rücken das ich fast einen Herzkasper bekam. Ich hasse es wenn er sowas macht.

„Wo ist das Mädchen? Steht noch Mädchen mit langen Haaren hinter mir?“, flüsterte ich.

„Keine Seele Alter. Was ist mit deiner Hose passiert?“

„Bin die Treppe runtergefallen. Ein Mädchen fing mich unfreiwillig auf. Sie scheint verschwunden zu sein. Siehst du wirklich niemanden?“

Mark schien den Hals zu recken.

„Nein, keinen. Kannst du gehen, du humpelst.“

„Geht schon. Es brennt ein bisschen.“ Ich war ein wenig verzweifelt.

Wie sollte ich sie jetzt wiederfinden? Außerdem war ich skeptisch. Was wenn sich die Unbekannte als zierliche Mama heraus stellte oder als frühentwickelte Fünftklässlerin? Aber der Duft ihres Parfüms war eigentlich zu jugendlich für eine Erwachsene und ihr Körper viel zu irre für eine elfjährige.

„Ich besorg dir ein Pflaster beim Hausmeister.“, meldete sich Bastian.

„Ne, jetzt mach doch keinen Scheiß.“, brummte ich.

„Mann du hast keine Ahnung wie böse das aussieht. Deine Hose ist schon ganz rot am Knie.“, wandte Bastian ein.

„Bin gleich zurück.“ Er spurtete davon.

„Wenn die Kleine so aussieht wie du dürfte es kein Problem sein sie zu finden.“, meinte Mark der wohl meinen zerknirschten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Sie hat mir nicht geantwortet als ich sie fragte ob ihr was fehlt. War ein bisschen komisch.“

Tja so ungefähr ist das an dem Tag abgelaufen. Aber keiner der Mädchen sah in der Pause irgendwie so aus als ob ein Typ sie als Airbag gebraucht hätte. Jedenfalls versicherten mir das die Jungs.

Mittlerweile ist das neue Jahr angebrochen und ich habe die Hoffnung aufgegeben.

Alltag

Mein Geburtstag steht ins Haus. Ich habe den Eindruck, dass meine fürsorgliche Mama sich mehr deswegen reinstresst als das Geburtstagskind. Sie wird wieder eine ihrer klebrigen Torten machen und sich wie jedes Jahr darüber beschweren, dass es immer kniffliger wird die Kerzen darauf zu bringen. Ich glaube wenn es möglich wäre würde sie das noch tun wenn ich die 80 schaffe.

Ich mag keine Feiern in denen es um mich geht. Grundsätzlich kann ich große Menschenanhäufungen nicht leiden. Vielleicht habe ich da einen Knacks wegen meiner riesigen Familie und man könnte auch einwerfen, ich solle mich nicht so anstellen da ich ja den Lärm eh nicht höre. Aber bei Geburtstagen oder Abschlussfeiern klopft mir nur immer jeder aufmunternd auf den Rücken und Fremde und entfernte Bekannte sprechen betont deutlich und spitzen die Münder weil man ihnen gesteckt hat das ich Lippen lesen kann.

Ich liebe Geschenke. Das wird sich wohl auch nicht ändern bis ich 80 Jahre alt bin. Dieses Jahr fällt mein Geburtstag auf einen Mittwoch. Evelyn und ich werden am Abend in die Stadt gehen und zusammen was trinken. Sie hat es bereits hinter sich und ist im Sommer 17 geworden.

Ich kenne sie seit dem Kindergarten. Also schon eine halbe Ewigkeit. Deshalb kann sie auch meine Gebärdensprache und sie ist die beste Freundin die es gibt. Wenn man mal von Glubschi absieht. Okay das ist nur mein dicker Goldfisch. Aber er gibt wenigstens keine Widerworte wenn ich das mal echt nicht brauchen kann.

Wenn es darum geht ist Evelyn wirklich nie um ein paar verbale Backpfeifen verlegen.

Am Samstag wird also dann pappiger Kuchen gegessen und meine vielen Cousinen werden mein Zimmer belagern. Mittlerweile kann man es sogar wieder betreten. Die letzten Wochen vor Weihnachten stapelten sich dort etliche Schachteln die darauf warteten verpackt zu werden. Mein ganzes Taschengeld war dafür drauf gegangen.

Ich habe bei Herrn Mayer Extraschichten geschoben um diese Gaben nicht stehlen zu müssen. Es ist in den letzten Wochen ziemlich viel los in der Bibliothek. Vor allem unsere Videoecke brummt. Das liegt wahrscheinlich am Schnee. Die Leute lieben es an dunklen Winterabenden mit heißem Tee und Plätzchen auf dem Sofa zu sitzen und sich einen netten Film anzukucken. Ich habe gestern erst nachgesehen. Liebesschnulzen stehen ganz oben auf der Liste der meistgeliehenen Filme.

Das übliche Weihnachtsprogramm im Fernsehen ist auch brav abgeleistet worden. Ich habe fleißig ‚Sissi‘ und ‚Drei Nüsse für Aschenbrödel‘ geguckt.

Es ist Montag kurz vor sieben und ich stehe vor dem Spiegel mit einer Bürste bewaffnet. Ich striegle meine Haare wie eine Irre da sie sich über Nacht ständig verknoten. Seit letzter Woche bin ich wieder auf die Kunststoffbürste umgestiegen. Mama hatte mir so eine Edle aus Naturborsten gekauft. Sie sollte die Haare schonen und schön glänzend machen. Ich hab das Teil eigentlich gemocht nur der große Nachteil war, dass sich mein gesamter Schopf jedes Mal elektrostatisch aufgeladen hat und mir die Haare abstanden und ich regelmäßig einen Schlag bekam wenn ich die Türklinke anfasste.

Heute ist es ziemlich kalt. Wenn ich das richtig gesehen habe hat es über Nacht Neuschnee gegeben. Wie viele Schichten kann man eigentlich übereinander tragen ohne wie eine Tonne auszusehen und jeglichen weiblichen Reiz zu verlieren? Mama kriegt fast einen Anfall wenn ich kein Unterhemd trage und beim Bücken die ‚Nieren‘ zu sehen sind. Habe folgsam einen Rolli angezogen und trage ein Top darunter. Zudem habe ich einen immensen Schal um meinen Hals gewickelt. Das dürfte jeden zufriedenstellen.

Als ich zum Frühstück hinuntergehe muss ich feststellen, dass ich mal wieder die Letzte bin. Papa hat das Radio offensichtlich angemacht den Mama dreht leicht genervt am Lautstärkeregler herum. Sie sieht mich und lächelt. Ich nicke grüßend und steuere die Kaffeemaschine an. Das Ding ist eine Gabe Gottes. Das hat Mama auch gesagt und Papa hatte nur gebrummelt:

„Und ich dachte ich hätte sie dir geschenkt.“

Phillip isst wieder halb im Stehen wie es seine Art ist. Ein Bein auf dem Boden, das Andere leicht auf den Stuhl gelehnt bereit jeden Moment loszustechen.

Sein heller Haarflaum wackelt jedes Mal lustig wenn er sich einen Löffel Cornflakes in den Mund schiebt. Ich entscheide mich heute für eine Scheibe Brot und Marmelade. Dann versuche ich dem Gespräch am Tisch zu folgen. Es geht um die Schulaufführung.

„Du kannst doch auch mit Tobi allein in die Stadt gehen. Ich gebe dir Geld mit und ihr kauft das ein was ihr braucht. Wenn du mir den Kassenzettel mitbringst geht das schon in Ordnung.“, meint Mama.

„Aber wegen dem Schnee sind wir ja dann ewig unterwegs. Gestern ist der 33. Bus gar nicht gefahren.“, sagt Phillip.

„Ich denke nicht, dass ich mit dem Auto schneller sein werde. Außerdem will ich nicht in die Stadt fahren. Da ist so viel los. Ich kriege nie einen Parkplatz. Dann müsst ihr halt laufen.“

„Mann, es geht nur um ein bisschen Tonpapier.“

„Na eben. Das könnt ihr doch mühelos tragen.“

Phillip zieht einen Flunsch. Seine Klasse führt ein Scherenschnitttheater auf. Eigentlich finde ich das eine tolle Idee.

Es ist jedenfalls mal was anderes, als dieses ewige Gerangel auf der Bühne. Vor allem weil die Darsteller ihre Rollen meistens nicht sehr ernst nehmen und alles in einem pubertären Gegacker ausartet, während Frau Rieber hinter der Bühne die Pulsadern platzen. Das war in meinem Jahrgang so und wird auch in Phillips Klasse nicht anders sein.

Ich lächle.

„Ich möchte mit Evelyn nach Hauswirtschaft in die Stadt gehen. Ich kann dir das Papier mitbringen.“

Phillip zieht die Lippen auseinander.

„Echt?“

„Naja, wofür hat man sonst eine Schwester mit einem Herz aus Gold?“, frage ich.

„Ich würde auch gerne wissen was dich zu dieser ehrenhaften Tat anstiftet Lilly.“ Mamas Augen leuchten amüsiert während sie sich Milch in den Kaffee gibt.

„Evelyn braucht neue Stiefel. Sie sagt sie kriegt nasse Socken.“

„Und was brauchst du?“

Ich rümpfe die Nase.

„Ich werde mir nichts kaufen! Ich kann mir gar nichts leisten weil alles für Geschenke drauf gegangen ist. Ich kann Herrn Mayer nicht bitten mir nochmal den Stundenlohn zu erhöhen.“

Papa schmunzelt. Aber er sagt nichts. Ein kluger Mann genießt und schweigt. Das ist eines seiner Lieblingssprüche.

„Ich brauche 10 Bögen schwarzes Tonpapier in Din A3 und eine Schachtel Reiszwecken.“, kommt Phillip zur Sache.

Er steckt sich einen neuen Löffel in den Mund und beäugt mich kritisch. Es arbeitet hinter seinen hellblauen Augen. Ich warte gespannt, bis er runtergeschluckt hat.

„Als Dank werde ich für dich heute die Spülmaschine ausräumen.“

„Wow.“ Ich beiße in mein Brot und visiere die Uhr an.

„Mama kannst du mir bitte für heute nochmal eine Schürze leihen?“

„Ach ja. Ihr backt heute Nusszopf nicht?“

„Ja. Eigentlich wollten wir lieber Apfelstrudel machen. Aber wir haben den Hefeteig noch nicht durchgenommen. Und da bleibt uns wohl nichts anderes übrig.“

Oweia. Jedes Mal wenn ich mit Oma Hefeteig gemacht habe ist der nicht aufgegangen.

Ich gehe zur Schublade in der sich die Handtücher befinden und nehme die blaue Schürze heraus. Vorsichtshalber falte ich sie noch schnell auseinander. Es gibt nämlich noch eine Ähnliche auf der ‚Mamas Liebling‘ steht. Onkel Gustav hat sie Papa geschenkt damit er mehr in der Küche hilft.

Als ich dann aus dem Haus gehe wirft Mama noch einen prüfenden Blick auf meine Ohren. Das hat sie sich so angewöhnt. Ich verdrehe die Augen während ich mir die Mütze aufstülpe.

Ja, ich trage mein hässliches Hörgerät Frau 007!

Dann stapfe ich los durch den Schnee in Richtung Schule. Phillip ist schon längst vorgerannt. Jetzt fällt mir ein, dass ich Mama gar nicht nach Geld für den Einkauf in der Papierabteilung gefragt habe. Ein Grund mehr den Kassenzettel nicht zu vergessen.

Als ich unsere Lehranstalt erreicht habe sehe ich auch schon Evelyn die gerade ihr Fahrrad ankettet. Sie fährt bei jedem Wetter mit dem Drahtesel. Auch wenn sie bei diesem Schnee schon einige Schrammen eingefangen hat. Da kennt sie nichts.

Ich pfeife sie an und sie dreht sich um. Ich schüttle missbilligend den Kopf.

„Du hast schon wieder keine Mütze auf! Wie lange ist deine letzte Stirnhöhlenvereiterung her?“

„Lass den Quatsch. Ich brauche nix auf dem Kopf.“

„Es gibt doch auch Ohrenwärmer. Die sind wieder in. Da lacht niemand über dich wenn du die trägst.“

„Du klingst wie meine Mom.“, knurrt Evelyn und schultert ihren Rucksack.

Ich grinse. Ich weiß genau warum sie lieber die klirrende Kälte und den Fahrtwind erträgt. Ihre Haare sind ihr heilig. Oder besser gesagt ihre Frisur. Heute hat sie sich für einen blauen Pony entschieden der ihr schräg ins Gesicht fällt. Die übrigen schwarzen Franzen hat sie sich mit Gel aufgerichtet. Sie trägt eine Kurzhaarfrisur seid ihre Haare an einem Silvesterabend Feuer gefangen hatten. Damals war sie neun. Aber es steht ihr super.

Auf dem Weg zum Klassenzimmer beichte ich ihr, dass ich Phillip noch einen Gefallen tun muss. Ich merke ihr Schnaufen. Aber ich weiß genau sie wird mir sogar die Reiszwecken höchstpersönlich aussuchen.

Dann wird sie abgelenkt weil Tom um die Ecke kommt. Die beiden sind nun ein Jahr zusammen, seit der Grillparty ihrer Eltern. Und Tom ist ein ganz anständiger Kerl mit hübschen Augen.

Ich schäle mich aus der Jacke und kämpfe mit meinem Schal als ER in mein Sichtfeld tritt.

Sofort werfe ich mich gegen die Wand und presse meinen Rucksack fest an mich. Mein Herz verwandelt sich in einen Trommelwirbel. Ach was, in ein ganzes Orchester. Wie kann der mich nur so aus der Fassung bringen?

Dann bemerke ich, dass meine Reaktion völliger Blödsinn ist. Ich brauche mich doch gar nicht verstecken. Zum einen weil er mich ja eh nicht sieht. Zum anderen weil er sich gar nicht an mich erinnert. Er plaudert mit seinen Kumpels während er seinen weißen Stock mit der Faust zusammenschiebt.

Er hat ein so schönes Lächeln. Sein dunkelbraunes Haar spitzt unter seiner Mütze hervor. Er hat einen lässigen Gang und man würde nie im Leben drauf kommen das er nicht sehen kann. Er trägt seine Sonnenbrille aber ich weiß, dass seine Augen haselnussbraun sind. Da seine Sehbehinderung nicht angeboren ist sehen sie fast normal aus. Er ist schneller vorüber als mir lieb ist und ich lasse meinen Blick langsam hinter ihm her tanzen.

Nicht einmal Evelyn habe ich von meinem heimlichen Schwarm erzählt. Er scheint mir unerreichbar. Vor allem wenn ich sehe, dass Cleo unser hübscher Sonnenschein ungezwungen auf die Gruppe zugeht und das quatschen anfängt.

Ich frage mich ob ich das wohl auch täte wenn es mir vergönnt wäre. Smalltalk halten. Ich muss kurz die Augen schließen weil es in meinem Inneren sticht. Wie sollte ich auf mich aufmerksam machen? Und selbst wenn mir das gelänge, wie geht’s dann weiter? Da er seine Umgebung ja nur durch Laute und Gerüche und Berührungen wahrnehmen kann bin ich absolut die Falsche zum kommunizieren.

Ein Streich des Schicksals. Ich habe aufgehört zu zählen wie oft ich das schon im Kopf durchgespielt habe. Evelyn sagt ich bin hübsch. Sie meint ich sehe aus wie eine Fee mit meiner hellen Haut, den himmelblauen Augen und meinem langen weißblonden Haar.

Es gibt tatsächlich Anhänger des männlichen Geschlechts die sich nach mir umdrehen. Das zumindest darf ich hin und wieder geschmeichelt feststellen. Doch auch damit kann ich in Bezug auf Fynn überhaupt nichts ausrichten. Also lächle ich melancholisch und hänge meine Jacke auf.

In der ersten Stunde steht Erdkunde auf dem Stundenplan. Ich mag das Fach. Ich liebe Reisen und andere Länder. Gut, wenn man durchnimmt in welchen Abschnitten Deutschlands Kohle gefördert wird ist das nicht besonders exotisch. Aber immerhin. Ich zwinge mich dazu aufmerksam das Bild von der Tafel abzumalen. Warum sieht das bei mir nur immer so aus als hätte ein Fünfjähriger den Stift gehalten?

Ich schiele zu Evelyn und muss feststellen, dass ihre wenigen Striche auf dem Blatt absolut perfekt aussehen. Sie bemerkt meinen Blick.

„Hast du was?“, fragt sie besorgt.

Ich schüttle den Kopf.

„Du wirkst so geknickt seit wir das Klassenzimmer betreten haben.“, stellt sie fest und legt ihren Stift übertrieben sorgfältig auf den Tisch.

„Ich kann einfach nicht zeichnen.“

„Naja, Hauptsache du erkennst es wieder wenn du es für die Probe lernen musst.“ Ihre Haarstacheln kitzeln meine Wangen weil sie sich zu mir rüber beugt.

Dann hebt sie direkt unter meiner Nase ihre langen Wimpern.

„Das ist es aber nicht Schätzchen. Du grübelst. Ich weiß immer genau wenn du ein Karussell im Hirn hast.“ Sie setzt sich wieder aufrecht bevor Frau Gabler einen Schrei loslässt.

„Und um was dreht es sich?“ Ihre Augen lassen mich nicht los. Es ist fast der Selbe Röntgenblick wie Mamas.

„Ist zu kompliziert als das ich es hier erklären könnte.“

„Na ein Glück verbringen wir den Nachmittag zusammen.“ Evelyn grinst.

„Du wirst es mir doch sagen?“

Das war nicht unbedingt eine Frage. Ich nicke langsam. Vielleicht hat sie ja einen Vorschlag.

Es gibt Tage an denen ich mich frage warum ich eigentlich in die Schule gegangen bin. Heute war so ein Tag. Mir wären Zuhause bestimmt tausende Sachen eingefallen die weitaus sinnvoller gewesen wären. Die Zeit im Klassenzimmer wollte schier nicht vorbei gehen.

Die Jungs gehen heute in die Stadt. Haben mich gefragt ob ich mit möchte. Leider hat Mummy wieder mal einen Termin bei Doktor Kawashima ausgemacht ohne mich zu fragen. Ich kann es nicht leiden wenn sie sich nicht mit mir abspricht. Aber es ist überfällig, dass ich da mal wieder auftauche also hab ich nichts gesagt.

Der Termin ist um drei Uhr. Mark hat allerdings versprochen mich abzuholen und dann treffen wir die anderen ein wenig später.

Als ich zuhause bin reißt mir mein Schwesterherz schon die Tür vor der Nase auf.

„Fynn, endlich. Ich hatte schon Angst ich muss das Essen wieder aufwärmen und dann wäre es bestimmt Matschebrei geworden.“

„Sag nur du hast schon wieder ein neues Rezept ausprobiert?“ frage ich vorsichtig und schlüpfe aus den Schuhen.

„Ja. Ist vielleicht ein bisschen scharf. Aber mit ordentlich viel Reis mag es gehen.“ Cindy zerrt mich ins Esszimmer.

Es riecht schon gewaltig nach Curry.

„Mama kommt später um dich zum Arzt zu fahren. Sie sagt sie wird erst am Abend wieder in Restaurant gehen.“

„Sie braucht nicht auf mich zu warten. Ich bin dann mit den Jungs in der Stadt.“

„Auch gut. Dann hat sie halt mal ein wenig Zeit für sich. Da wird sie bestimmt nicht meckern.“ Ich höre ihr Lachen.

Sie stellt mir einen Teller hin.

„Danke.“

Meine Schwester ist drei Jahre älter als ich. Sie wird Köchin und nimmt unsere Küche so oft in Anspruch wie es nur irgendwie geht. Meine Eltern führen eine kleine Bar in der man ab Mittag auch warme Mahlzeiten bekommt.

Cindy liebt es für unsre Speisekarte neue Kreationen zu erfinden und ich muss sagen, das eine oder andere ist verdammt lecker. Natürlich ist das auch Papa zu verdanken der die Rezepte meistens noch ein wenig verändert hat bevor er sie selbst für die Gäste zubereitet.

Ich kann auch kochen. Meine Lasagne ist Weltberühmt. Und Eintopf kriege ich auch hin.

Ich kaue prüfend an dem was ich mir in den Mund gesteckt habe. Cindy hat Recht. Es ist scharf. Aber nicht so übel.

„Na was sagst du?“, kommt prompt Cindys Frage.

Ich schmatze noch einmal abschätzend.

„Ich schmecke Hühnchen, Pfirsich, Mandeln, Ingwer, Zwiebeln und jede Menge Currypulver. Und du hast irgendeinen Likör da rein.“

„Nicht schlecht kleiner Meister. Meinst du es ist zu gewagt?“

„Hm, nun für jemanden der es gerne exotisch mag ist es perfekt. Ich finde es gut. Aber du kennst Papa. Der hat‘s doch lieber bodenständig.“

Cindy seufzt. Ich greife nach ihrer Hand.

„Trotzdem super! Kannst du mir öfter machen.“

Sie zwickt mir in die Nase.

„Du siehst gut aus Fynn. Du warst beim Friseur.“

„Ja. Ich weiß nur nicht ob mir der nicht ein wenig zu viel abgeschnitten hat. Es fühlt sich so kahl an.“

„Ich finde es gut, dass man deine Ohren wieder sehen kann. Glaub mir, es steht dir.“

Ich drehe grübelnd den Löffel in der Hand. Ich hab meine große Schwester echt gern. Sie kann ich Sachen fragen, die ich vor anderen nicht mal denken möchte.

„Cindy?“

„Was ist?“

„Würdest du mich… also ich meine, würdest du mich als unscheinbar bezeichnen?“

„Unscheinbar?“

„Ja du weißt schon. Als gewöhnlich. Als durchschnittlich oder gar weniger.“

„Hey was ist los?“ Sie berührt meinen Arm. „Du bist doch sonst nicht so leicht zu erschüttern. Wo ist dein Selbstbewusstsein?“

„Ich bin nicht erschüttert. Ich hab nur schon lange keinen Check-up mehr gehabt.“

„Na dann sag das doch gleich!“

Der Check-up.

Ein ernstes Ritual das ich wenn möglich zweimal im Jahr durchgeführt haben will. Als Kinder haben wir das öfter gemacht.

Ich wollte immer wissen ob andere in meinem Alter größer, kleiner, dicker, dünner oder athletischer waren. Größere Nasen hatten oder ein spitzeres Kinn, längere Finger, schiefe Zähne, ein Muttermal.

Dank Cindy kenne ich jeden Punkt auf meinem Arm. Jede Narbe die ich mir mal zugezogen habe hat sie mir beschrieben. Ob sie mich verschandelt. Sie sagt mir auch immer wenn ich einen Pickel habe oder etwas schief sitzt. Sie nimmt das alles sehr ernst.

Ich bin im letzten Jahr ziemlich gewachsen und ich habe auch gemerkt, dass sich meine Gesichtszüge noch einmal verändert haben.

Die Zeit bis zum Arzttermin verbummle ich irgendwie genauso lustlos wie die Zeit in der Schule. Als Mama schließlich kommt um mich abzuholen bis ich fast froh für die Abwechslung.

Die Praxis kenne ich in- und auswendig. Ich kann nicht sagen, wie oft ich schon hier war. Und leider immer aus nicht erfreulichen Gründen. Ich würde hier wahrscheinlich genauso ungern hingehen wie zum Kieferorthopäden, wenn nicht Dr. Kawashima wäre.

Neben meiner Schwester den fröhlichsten Menschen dieser Erde. Und dem kleinsten. Er reicht mir die Hand und ich höre sein Lachen.

„Fynn-kun! Wie geht’s es dir?“

So nennt er mich immer.

Kun ist ein Namensanhängsel mit dem Japaner Leute ansprechen die jünger sind als sie selbst, etwas anders als das besser bekannte -san.

„Ganz okay. Danke. Sie haben eine neue Sprechstundenhilfe?“

„Ja, ja. Frau Hefler ist nun in Mutterschaftsurlaub gegangen. Sie sagte von sich selber, sie habe schon fast nicht mehr hinter die Theke gepasst. Aber jetzt setz dich mal auf den Stuhl!“

Ich gehorche und Dr. Kawashima beginnt mit der Untersuchung. Mama stellt ihre üblichen Fragen. Nichts ist routinierter als das. Aber dann klopft mir der kleine Mann auf die Schulter.

„Ich habe Neuigkeiten für dich Fynn-kun. Natürlich kann ich noch nichts versprechen, aber vielleicht habe ich jemanden gefunden der dich als Probanden akzeptieren würde.“

Mir wird ganz heiß. Darauf warte ich schon so lange. Der Arzt dreht sich halb zu Mummy um.

„Es ist noch nicht gelungen eine Netzhautverpflanzung durch zu führen und keiner kann sagen ob es gelingt und ob man nicht ein hohes Risiko eingeht.“

„Als ob das bei mir noch ne Rolle spielt.“, knurre ich trocken.

„Sag das nicht, Fynn-kun. Du hast deine Augen noch. Auch wenn sie dir keine Dienste mehr leisten. Aber das ist besser als eine schwarze Höhle im Schädel oder ein Glasauge vorweisen zu müssen. Bei Operationen sind Infektionen nie auszuschließen.“ Dr. Kawashima spielt mit seinem Kugelschreiber während er spricht.

„Im Grunde ist Netzhautverpflanzung auch das falsche Wort. Eigentlich wird Pigmentepithel unter die Netzhaut gespritzt. Bisher hat man oft damit zu kämpfen das der Körper die Zellen nicht abstößt.

Eine Change bietet das sogenannte HLA-Matching. Das heißt, man braucht ein Spendeorgan oder Gewebe das mit Fynns DNA übereinstimmt. Und das muss erst einmal gefunden werden.

Und noch eine Sache könnte uns das ganz verderben. Du bist sehr jung. Bisher hat mein Kollege sich lediglich um altersbedingte Makuladegeneration bekümmert. Und er hat auch noch nie mit jemandem gearbeitet dessen Ablösung mehr als 5 Jahre her ist. Wie alt bist du genau?“

„Ich bin 17. Muss ich mich irgendwo anmelden? Ich will unbedingt dabei sein wenn es soweit ist.“

Ich merke wie der Doktor lächelt.

„Wenn deine Eltern einverstanden sind, werde ich das alles in die Wege leiten. Und ich werde für dich beten.“

Mein Herz trommelt. Ich habe schon so viel darüber gelesen. Und es stimmt. Bisher haben solche Versuche noch nicht recht geklappt beim Menschen.

Es gibt Methoden, einen Chip einzupflanzen um es Blinden zu ermöglichen zumindest Schatten und Umrisse zu sehen. Aber eine Netzhaut ersetzt das dennoch nicht.

Nichts ist so gut wie das Original.

Nichts ist so gut wie gute alte Biomasse.

Diese Neuigkeit wühlt mich auf. Meistens versuche ich mich zu zügeln wenn es um diese Dinge geht. Ich habe lernen müssen mich im Bezug auf meine Augen lieber nicht zu viel und schon gar nicht zu früh zu freuen.

Hab das so oft bereut. Und vielleicht werde ich es wieder.

Stocksauer drehe ich den Kopf und blitze meine Cousins an die nur breit grinsend vor mir stehen. Als meine Kusine Leni ebenfalls in die Schachtel guckt die ich gerade ausgepackt habe tut sie es mir gleich. Aber sie hat auch die Stimme dazu. Schade. Ich hätte diesen Anschiss gerne selber besorgt.

„Ihr seid wohl nicht ganz bei Trost? Was soll denn dieser Unfug? Wer hatte diese Idee?“

„Wir fanden einfach das Lilly mittlerweile zu alt für Lollies ist.“, meint Martin unbekümmert und die anderen zwei nicken.

„Sag mir nicht, dass du deiner Freundin schon mal sowas geschenkt hast!“, antworte ich.

„Doooch. Und im Gegensatz zu dir hat sie sich gefreut.“

„Ehrlich jetzt?“, frage ich verdutzt.

Ich sehe nochmals in den kleinen Karton und ziehe so wenig wie möglich von dem roten Stoff heraus. Nicht auszudenken wenn die Alten das sehen.

„Und wann soll ich das tragen? Zur Schule, unter der Jeans?“

„Irgendwann kommt der Tag da bist du froh wenn du sowas im Schrank hast.“, fachsimpelt Oliver weise.

Jetzt nehme ich das Ganze doch mit Humor und schüttle den Kopf.

„Dann bedanke ich mich herzlich.“ Ich verberge die Schachtel schnell unter den anderen Geschenken.

Rote Reizunterwäsche mit passenden Strapsen!

Mama würde nen Anfall kriegen wenn sie das gesehen hätte. Alle anderen Geschenke sind echt schön. Da gibt es nichts zu meckern.

Am besten gefällt mir Omas Gabe. Sie hat mir einen goldenen Ring mit einem blauen Stein geschenkt den sie damals zum Siebzehnten bekommen hatte.

Phillips Idee ist auch nicht schlecht. Er hat mir ein Plakat gebastelt, einen Staubsauger draufgeklebt und ihn durchgestrichen und ‚vier Wochen‘ drunter geschrieben.

Das heißt wohl, dass er sich für den nächsten Monat um den Staub in unsrem Stockwerk kümmert. Finde ich ne nette Sache solange er es nicht vergisst.

Ich habe mir eigentlich nicht konkret was gewünscht. Bis auf eine Sache. Aber die weiß niemand bis auf Evelyn. Wie es sich für eine treue Freundin gehört hat sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt als ich mit der Sache mit Fynn Bergmann heraus rückte. Sie tat weitaus mehr.

Kurzerhand ging sie mit mir zum Postkartenstand im Schreibwarengeschäft und suchte sich mit mir die allerschönste raus.

Ich schrieb in meiner hübschesten Schrift auf die weiße Rückseite:

Lieber Gott,

 

zu meinem Geburtstag wünsche ich mir,

dass ich Fynnegan Bergmann kennenlerne und er mich mag.

 

Deine

 

Lilly Helga Matjeson

Dann sind wir in die nächste Kirche gelaufen. Während Evelyn Schmiere stand bin ich dann über die Absperrung vor dem Altar geklettert und hab die Postkarte dort vor das Kreuz hingelegt.

Direkt zugestellt kann man also sagen.

Und jetzt warte ich. Was soll ein verzweifelter Mensch sonst tun?

Leni bringt mir ein Stück Torte. Wie zu erwarten war schmeckt sie erschütternd süß. Oliver und Sven vertilgen schon das zweite Stück. Es ist jedes Mal wieder erstaunlich was für einen Hunger diese Kerle entwickeln können! Selbst Phillip mit seinen zwölf Jahren hält tapfer mit.

‚Wer wachsen will, braucht Kalorien‘ sagt Papa immer bei solchen Fressattacken.

Und Mama schmunzelt dann und erwidert so leise, dass nur ich es auf ihren Lippen lesen kann, das gilt aber nur für Männer die an Höhe zunehmen wollen.

Für den Abend hab ich mir Pizzabrötchen gewünscht. Das ist jetzt auch nicht unbedingt für die schlanke Linie. Stundenlang hab ich mit Leni und Mama Schinken, Salami und Pilz in Würfel geschnitten um die Meute zu ernähren.

Onkel Ted ist aus Amerika wieder zurück und er und Freundin Anne bedeuten noch zwei Esser mehr. Oma hat sofort auf Annes Hand geschielt als die sich nach der langen Reise wieder in den Familienkreis gemischt haben. Aber ein Ring funkelt da nicht.

Der Oberdrache ist immer noch ganz giftig weil die Beiden ohne Trauschein über ihr im Haus wohnen. Ich hätte mich auch über so eine Neuigkeit gefreut. Wer geht denn nicht gerne auf Hochzeiten? Aber Onkel Ted denkt gar nicht daran sagt er immer. Heiraten sei etwas Antiquiertes und er würde es mit Anne genauso ernst meinen wie mit Trauschein und damit basta.

Ob das Anne allerdings genauso sieht weiß ich nicht. Eigentlich halte ich sie schon für einen sehr romantischen Typ. Aber genau deswegen wird sie niemals den ersten Schritt machen. Und Kinder will Ted auch nicht. Sonst könne er nicht mehr die Biege machen wenn ihn die Reiselust packt. Er ist Architekt und arbeitet selbstständig. Da kann er Urlaub nehmen wenn ihm danach ist.

Ganz anders Onkel Gustav. Er und Tante Betty erwarten ihr viertes Kind. Das Nesthäkchen. Denn Sven ist mittlerweile sechzehn.

Evelyn kommt um Sieben. Da Tom Pizzabrötchen liebt ist er mit von der Partie. Ich kann ihn super gut leiden und deshalb ist das natürlich kein Problem. Ihr Geschenk habe ich schon längst erhalten. Es sind rubinfarbene Ohrringe. Ich weiß was Evelyn damit bezwecken will. Sie sagt mir damit, dass man meine Ohren ruhig sehen soll auch wenn ich das Hörgerät trage und ich die Haare nicht immer offen tragen muss. Ich schenke ihr meistens Sachen für ihr Fahrrad zum Geburtstag. Man könnte sagen, ihr Drahtesel ist eine einzige Ode an unsre Freundschaft.

Morgen in der Klasse gebe ich eine riesen Portion Muffins aus. Das hat sich so über die Jahre eingebürgert. Irgendjemand hat damit angefangen und jetzt machen es alle.

Das bedeutet aber auch, wenn mein Ehrentag rum ist bin ich vom kochen und backen völlig fertig.

Der Sportunterricht ist vorbei. Ich bin der einzige der nicht schwitzt. Beim Ballspielen hab ich einfach nichts zu melden.

Wenn es ums werfen geht sieht es anders aus. Und Noten bekomme ich für Liegestützen und Sit-ups. Heute habe ich allerdings für Bio gebüffelt während ich auf der Bank saß.

Meine Eltern zahlen ein Vermögen für diese Braille-lern-Bücher. Und da es ja immer eine Ausgabe sein muss, die zur gesamten Klasse passt kommt Herr Lenker dabei sehr entgegen.

Eigentlich ist er ein harter Knochen von Lehrer aber in dieser Beziehung mehr als in Ordnung. Ich weiß noch wie ich als Kind geweint habe, weil ich nicht auf die Sonderschule wollte. Nicht dahin wo die Spastis sind.

Heute weiß ich das freilich besser. Es wäre für alle Beteiligten einfacher gewesen und auf der Sonderschule sind bei weitem keine sabbernden Zombies unterwegs. Aber nun hatte ich mich längst eingelebt und die nächste Bioklausur steht an.

Ich bekomme die Fragen per Tonband gestellt und antworte mit meiner Brailleschablone. Herr Lenker hat einen Bekannten der das übersetzen kann, zu meinem großen Glück. Aber ich will niemals eine Schonbehandlung haben.

Deshalb lerne ich angestrengt und zielgerichtet und habe auch das Werkfach belegt, weil ich nicht vor Hammer und Säge zurück schrecken will. Wenn Blut spritzt, was soll‘s!

Mark hat sich umgezogen und schiebt mir seine Sporttasche in den Rücken.

„Wehe du lässt mich nicht abschreiben beim Test, jetzt wo du einen Vorteil hast.“

„Haha.“

„Ja, du bist in so einer Angelegenheit leider ein sehr schlechter Banknachbar.“

„Nicht wenn du die Schrift endlich lernen würdest. Wie oft hab ich dir das schon gesagt.“

„Ach, diese Pünktchen. Das krieg ich nie ins Hirn.“

„Ich habs doch auch geschafft.“

„Weil du musstest.“

„Und du musst besser in Bio werden, und in Reli und in Geschichte und in…“

„Danke, ist angekommen.“

Wir betreten die große Aula. Wenn es so kalt ist wie heute wird es uns gnädig gestattet die Pause dort zu verbringen.

Basti ist mit seiner Flamme gleich verschwunden. Sie heißt Katrin und ist eine Klasse unter uns. Ich setze mich mit Mark in eine Ecke und wir fragen uns gegenseitig nochmal ab während wir unsere Brötchen essen.

Der Stoff scheint sich bei mir recht gut gesetzt zu haben. Leider habe ich oft den Mut zur Lücke und Herr Lenker besitzt schon ein fast akribisches Feingefühl diese Lücke zu erwischen.

Nach Bio haben wir eine Freistunde. Bis dahin heißt es durchhalten. Als der Gong ertönt gibt es kein Entrinnen. Auf zur Klausur. Vielleicht hat der Lenker heute gute Laune. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben.

Plötzlich reißt es mich förmlich herum.

Der Duft! Da ist er! Unverkennbar.

Er schwebt an mir vorbei wie eine feine Brise.

„Mark!“ Ich packe ihn am Ärmel. „Mark, wer ist grade an mir vorbei gelaufen?“

Er kichert.

„Wie du unschwer hören kannst, ist eine Gruppe Mädels auf dem Weg zur Sporthalle. Kopf hoch Kinder, immer dran denken, das Runde muss ins Eckige.“

„Halt die Klappe Mark!“, zischen ein paar weibliche Stimmen über den Flur.

„Nein Mark, wer ist grade eben an mir vorbei gekommen?“ Ich schüttele ihn verzweifelt.

„Ähh, keine Ahnung… warum?“

„Das Parfüm hab ich wieder erkannt. Verstehst du nicht, von dem Mädchen auf der Treppe. Bei meinem Sturz.“

„Ach, deine unbekannte Retterin.“

„Du bist grade wirklich eine riesen Hilfe.“, maule ich.

Er seufzt.

„Okay Lanzelot, was soll ich tun?“

„Du verarscht mich jetzt nicht gerade, oder?“

„Kein Gedanke.“

„Ach hör doch auf! Ich weiß genau das du grinst.“ Mark scheint sich umzudrehen und endlich angestrengt nach dem Mädchenschwarm zu sehen.

„Könnte sein das Lilly Matjeson soeben an dir vorbei kam.“

„Ist das nicht das taube Mädchen aus der 11c?“

„Glaube schon.“

„Hat sie lange Haare?“

„Wie ein blonder Schleier.“ Er klopft mir auf die Schulter. „Und, soll ich jetzt was reißen für dich?“

„Unterstehe dich!“ Ich denke nach.

Es würde Sinn machen. Ich hatte mich ja gewundert warum ich von meiner Helferin keine Antwort bekam. Ich hatte ja schon auf Schüchternheit getippt, aber wenn es tatsächlich Lilly gewesen war lag der Grund des Schweigens auf der Hand.

„Wie sieht sie aus?“

„Du weißt doch gar nicht ob sie es war.“

Ich seufze.

„Ist Cleo in der Nähe?“

„Ja.“

„Okay bring mich hin.“

„Einfach so?“

„Klar.“

Mark knirscht mit den Zähnen.

„Na schön.“ Er packt meinen Arm. „Wird aber ein recht eintöniges Gespräch. Ich kann fei keine Gebärdensprache.“

„Ist doch egal. Ich will doch nur sicher sein. Wie sehe ich aus?“

„Gut Herzensstürmer. Wie immer.“

„Kannst du auch einmal im Leben etwas ernst nehmen Mark?“ Ich fange an wirklich böse zu werden.

„Du wirst ihr gefallen. Keine Bange. Das meine ich ernst. So wir sind da. Kannst loslegen.“

„Cleo.“, rufe ich zaghaft.

Ich spüre das Mark seinen Arm ausstreckt und Jemanden antickt.

„Okay sie sieht dich an.“, nuschelt er in meine Richtung.

„Hi.“ Ich versuche unverkrampft zu lächeln. „“Wollte nur mal fragen wie es dir so geht.“

Und Cleo fängt an. Ich höre ihr Lächeln.

Oh, wie sie Sport hasst. Ich sage irgendwas Bedauerndes. Die Mädchen ringsherum kichern.

„Wir müssen aber jetzt wirklich los. Sonst gibt es Ärger.“, meint Cleo.

„War nett mit dir zu plaudern.“

Alles setzt sich in Bewegung.

Und da ist der Duft. Ich kann nicht anders, ich strecke den Arm aus. Haare streicheln mich.

„Lilly?“ Ich flüstere beinahe.

„Ja du hast sie erwischt.“, sagt Mark.

„Ich hoffe du hast dir wirklich nicht wehgetan nach unsrem Sturz.“ Frage ich mutig da ich immer noch nicht ganz sicher bin ob es sich um sie handelt.

„Nein. Es geht ihr gut.“ Schaltet sich eine fremde Mädchenstimme ein.

„Und wer bist du?“, will ich erstaunt wissen.

„Ich bin Evelyn. Ich kann Lillys Gebärdensprache verstehen, … und da du sie nicht sehen kannst…“

„Okay. Ähhm, ich hab dich wahrscheinlich ganz schön erschreckt was Lilly?“

„Hast du nicht. Sie hofft deinem Knie geht es besser.“

„Klar. Wollte nur nochmal Danke sagen, dass du mir so geholfen hast.“

Mann, mein Herz trommelt so wild das es mich fast auf den Boden reißt. Ich bin doch hoffentlich nicht rot geworden.

„Sie ist erstaunt, dass du dich daran noch erinnerst. Das ist doch schon so lange her.“

„Naja, weißt du… ich…ähh, der Tag…der…“

Mark mischt sich ein.

„Er war ganz kirre weil er dich an diesem Tag nicht mehr gefunden hat. Er wollte unbedingt…“

Ich trete ihm heftig auf den Fuß.

„Wir wollen euch nicht aufhalten. Ihr müsst doch zum Unterricht nicht wahr?“

„Ja leider. Naja bis dann mal.“

Ich warte nicht darauf bis ich feststellen kann ob die Mädchen sich schon entfernt hatten. Ich packe Marks Ärmel.

„Sag mal machst du das mit Absicht?“

„Hey, ich wollte dir nur helfen. Du hast gestottert. Ich hab nichts Böses getan okay?!“

Ich lasse seinen Arm los.

„Tut mir leid Mark.“ Ich fahre mir durch die Haare.

„Das war scheiße, tut mir leid.“

„Du hättest sie mal sehen sollen.“ Seine Stimme ist nun auch wieder ruhiger.

„Ihre Augen meine ich. Sie hat dich angestarrt als ob du eine lang ersehnte Erscheinung wärst.“

„Wie meinst du das?“

„Sie sah irgendwie glücklich aus.“

„Echt?“

„Ja. Sie scheint sich an den Tag auch ziemlich gut zu erinnern.“

„Wie sieht sie aus?“

„Niedlich. Blaue Augen, Sommersprossen. Und ihr Haar ist echt toll. Ganz lang und fast weiß.“

„Weiß?“

„Ja, so wie bei manchen Leuten im Norden. So ganz, ganz hellblond.“

„Ihr Nachname klingt ja auch so norwegisch. Vielleicht kommt ihre Familie da her.“

„Du willst sie auschecken?“

„Klar will ich das! Jetzt wo ich endlich weiß wer sie ist.“

„Und dann?“ Mark zieht die Worte ungewöhnlich in die Länge.

„Wie dann?“

„Hör mal Fynn, wie soll das gehen? Soll bei einem Date dann immer jemand dabei sein und für den einen Übersetzen was der andere sagt oder macht.“

Ich beiße mir auf die Lippe. Daran hatte ich gar nicht gedacht.

„Wer sagt, dass es überhaupt zu einem Date kommt?“ meine Stimme klingt belegt.

Es ist passiert. Es ist mal wieder einer der Momente eingetreten, in denen mir die Tränen in die Augen springen wollen. Ich muss dann meine Fingernägel fest in die Handballen graben um das zu verhindern.

Es ist einer der Momente, in denen ich mein Leben hasse und mir am liebsten irgendwo den Schädel einrennen würde. Oder mir die kaputte Netzhaut aus den Augen reißen will. Aber es ist auch einer der Augenblicke, die einem zeigen das man gute Freunde hat.

„Das war‘s mit meiner Bio-eins.“

„Hey Fynn. Ist schon gut. Komm ich bring dich hier weg okay?“ Mark legt seinen Arm um mich.

„Wir kaufen uns nach dem Test die größte Packung an Schockodrops die wir finden können und in der Freistunde beschreibe ich dir jeden Winkel von deinem Mädchen, wenn du willst. Jedes Detail.“

Heute finde ich sogar Frau Lenker hübsch. Jeder ist heute ganz reizend. Auch der Umstand, dass wir das anstrengende Zirkeltraining erleiden müssen kann mich nicht erschüttern.

Mit freudigem Elan wuchte ich diese rückenschädlichen Medizinbälle gegen die Wand, springe Seil wie ein junges Reh und schwinge graziös am Reg. Evelyn schaut mich schon ganz misstrauisch an. Vor ihr kann ich eigentlich keine Geheimnisse haben.

„Sag mal, hast du Drogen genommen?“ Ihre Augenbrauen sind ganz energisch zusammengezogen.

„Noch mehr von deiner guten Laune und ich kotze.“

„Du kannst sagen was du willst, heute wirst du mich nicht runterziehen.“

„Kann es sein, dass dir ein gewisser Fynnegan Bergmann im Hirn herum spukt?“

Ich grinse breit.

„Kann sein.“

„Lilly, der Kerl…“ Sie hält inne und sah mich ganz erstaunt an.

„Naja, er hat sich immerhin euren Sturz gut gemerkt.“ Sie warf das Sprungseil beiseite.

„Eigentlich ist das schon beeindruckend. Er hat scheinbar nicht aufgegeben rauszufinden wer ihm geholfen hat.“

„Oh wie gnädig das du zu seinen Gunsten sprichst.“, meine ich schnippisch und gehe zur nächsten Station.

„Wenn das Cleo wüsste.“ Evelyns Augen blitzen.

„Er sieht ja echt gut aus. Und er war nervös als er mit dir sprach. Es ist ein gutes Zeichen wenn Jungs bei so was nervös sind.“

„Warum das denn?“

„Naja, das bedeutet, dass ihnen das Gespräch wichtig ist und sie es nicht mit ihrem Machogehabe verhunzen wollen. Er wollte anscheinend wirklich, dass du ihn magst.“ Sie kneift mir in den Arm. „Und scheinbar tust du das.“

Ich merke, dass ich rot werde.