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Melisande Arven

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Beschreibung

Ruben Silbereisen ist jung, begabt, attraktiv und sitzt in der Klemme. Nach einem gemeinen Mordanschlag auf seinen Onkel und Lehrmeister, ist der freche, eingebildete Künstler auf sich allein gestellt. Wenn er wenigstens in seiner Heimatstadt wäre, oder in der Nähe davon. Aber er befindet sich in der Wildnis, ohne Geld, ohne Fortbewegungsmittel und ohne Orientierung. Im Gepäck eine Tasche mit unbezahlbarem Inhalt und im Herzen den Auftrag, den sein Onkel zu Lebzeiten angenommen hatte. Nachdem ihn ein Fremder aufgelesen hat, scheint sich seine Lage etwas gebessert zu haben. Allerdings ist jener unbekannte Reisende ein schwer zu durchschauender Sonderling, dessen Absichten nicht ganz klar sind. Und als er anfängt, von Drachenmädchen zu erzählen, die in den Wäldern und Bergen hausen und deren Fähigkeiten man sich nutzbar machen kann, ist sich Ruben sicher, dass dieser Kerl gänzlich den Verstand verloren hat. Doch je länger sie unterwegs sind, je mehr häufen sich die Anzeichen, dass der Fremde vielleicht die Wahrheit sagt. Ruben wagt schließlich den ungewissen Schritt, eines dieser Geschöpfe aufzufordern, sich seiner Angelegenheit anzunehmen.

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Kii

 von Melisande Arven

Herausgeber: FoxArt Verlag

Postfach 43, 90560 Markt Heroldsberg, 

[email protected]

© 2017 Melisande Arven

Alle Rechte vorbehalten.

Für Massl,

niemand tigert so wie du…

Inhaltsverzeichnis

Prolog
Der Fröhliche
Der Läufer
Das Ohr
Der Lehrmeister
Der See
Die Kaiserin
Epilog

Prolog

Es waren die Augen.

Eindeutig. Trotz des sonst so befremdlichen Anblicks, war es zweifelsohne dieser glimmende Blick, der es einem unmöglich machte an dem Portrait vorbei zu gehen.

Peter Kernspucker trat nach langer Betrachtung endlich davon zurück.

„Was hat dich geritten so etwas zu zeichnen?“

Er grinste in die dunkelste Ecke des Raumes und drehte sich sofort wieder zu den magischen Augen um.

„Vielleicht hatte ich eine Vision.“, kam es aus der Nische.

Peter lachte und strich mit der Hand über das bunte Leinen.

„Das muss ein wüster Traum gewesen sein.“

Die Stimme aus der Ecke schloss sich seinem Lachen an.

„Gefällt sie dir nicht?“

„Gefallen?“ Peter wandte sich erneut von der Leinwand ab. „Sie wirkt unwirklich und ich würde sagen, fast gefährlich. Ich wette, wenn sie die Lippen auseinander zieht, krieg ich ein paar nette Fangzähne zu sehen. Ehrlich! Das verkauft sich nicht.“

Der Mann im Schatten stand auf und kam mit seinem Krug herüber. Er stellte sich neben seinen Besucher. Schweigend nahm er einen tiefen Schluck und betrachtete seinerseits das Bild.

Es verging eine Weile und Peter glaubte schon, sein Freund hatte vergessen, dass er da war. Gerade als er ihn daran erinnern wollte, sah dieser ihn an.

„Ich wollte hiermit kein Idealbild einer Frau schaffen. Und schon gar nicht wollte ich es feilbieten. Das hier ist nur für mich.“ Er berührte fast zärtlich das Werk. „Und es ist näher an der Wirklichkeit, als du vielleicht denkst.“

„Naja.“, brummte Peter. „Manche Visionen werden durchaus Realität.“ In seinen Augen blitzte es lustig auf. „In diesem Fall habe ich allerdings meine Zweifel.“

Der Andere wedelte mit dem schweren Krug in seine Richtung.

„Peter Kernspucker! Du bist aus einer alten Familie voller Wissen über allerlei Illusionen und Tricksereien. Du solltest das hier besser verstehen als alle Anderen.“

„Du tust mir Ehre an.“

Sein Gegenüber machte eine leichte Verbeugung.

Peter war der letzte seiner großen Gauklerfamilie, die Jahrzehnte lang durch die Lande getingelt war und mit Kunststücken und Aufführungen die Leute zum Lachen und Staunen gebracht hatte. Er wurde insbesondere durch seine gewandte Zunge berühmt, die er weniger zum Sprechen, als eher zum Spucken von Steinen und Kirschkernen zum Einsatz brachte. Er hatte eine Treffsicherheit die legendär war.

Er traf mühelos und in hohem Bogen in jede kleine Öffnung. Sogar in das Arschloch seines Vetters, was allerdings nie bewiesen wurde.

Peter richtete sich nach der Beuge wieder auf.

„Aber ich gestehe, dass ich immer noch keinen Schimmer habe wovon du eigentlich redest.“

Der Maler, der sich wieder in dem Bild verloren hatte, riss sich erneut davon los. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust, ehe er schließlich das Wort ergriff.

„Na schön. Ich werde dir von meinem Leben erzählen, bevor wir uns kannten. Ich werde dir erzählen, wie ich einer Kaiserin Frieden brachte. Wie ich steinreich wurde und alles wieder verlor. Wie ich fast ermordet wurde und mich die Liebe meines Lebens gefunden hat.“

Nichts auf Erden,

ersetzt die Gesellschaft eines wahren Freundes.

Dann spricht man von Glück.

Kann man den Freund auch noch Geliebten nennen,

spricht man von Glückseligkeit.

Der Fröhliche

Es steht schon seit jeher fest, dass die zwei stärksten Gefühle auf der Welt Liebe und Rache sind.

Die Kaiserin war müde. Ihre Schönheit vergangen, ihre Entschlossenheit zu oft gebrochen, ihre Hoffnungen unerfüllt. Die Liebe lag zu weit zurück und hatte auch nicht lange gewährt. Was blieb war der Rachedurst. Dank ihm hatte sich die sterbende Monarchin noch einmal aufgerafft. Ihre letzten Lebenskräfte zusammen genommen, dem Todesengel Geduld befohlen.

„Der Kaiser wird mir meine Qualen büßen. Er wird mir nachweinen und wünschen, er hätte mir ein Grabmal ausgerichtet das meiner würdig ist. Er wird sich wünschen, er hätte meine Ruhestätte selbst gewählt.“, so sagte sie zu ihrem Vertrauten Frederik.

Jeder Mensch verdient Ehre. Der eine mehr, der andere weniger. Aber jeder Mensch darf auf ein gewisses Maß an Würde hoffen. Besonders diejenigen, die im Sterben liegen und wer würde einem Dahinscheidenden schon den letzten Willen verwehren?

Nur jemand, der sehr grausam ist und das war Frederick bestimmt nicht. Er zeugte von eher kindlicher, fast naiver blöder Natur, die an die Treue eines Hundes erinnerte. Aber nun waren Umstände eingetreten, die nicht mehr damit gutzumachen waren, lediglich mit dem Schwanz zu wedeln.

Frederik der Höfliche war lange gereist. Nur in Begleitung einer kleinen Garde um kein Aufsehen zu erregen. Die kostbare Fracht trug er trotz des Gewichts Tag und Nacht am Körper. Sein Hintern war wund vom reiten. Aufgrund der gebotenen Eile hatte er sich gegen den Wagen entschieden.

Er war nicht sehr passioniert zu Pferde und seine Knochen mahnten ihn künftig weit mehr körperliche Ertüchtigung zu pflegen. Aber er und seine Gefolgschaft waren am Ziel.

Die Mauern Nürnbergs erhoben sich in der Nachmittagssonne und sandten Versprechen auf ein kühles Bier und ein Lager mit Strohsack den Reisenden entgegen.

Frederik wollte sich aber erst Ruhe gönnen, wenn er den Meister gesprochen hatte. Trotz des sich neigenden Tages ging es noch wirtschaftlich zu auf den Straßen. Frederik war schon einmal in Nürnberg gewesen. Es war lange her aber an das ein oder andere konnte er sich gut erinnern. Dürers Haus hätte er gefunden. Aber der Maler war von seiner Italienreise noch nicht zurück und stand somit nicht zur Verfügung.

Meister Schellenberg musste genügen. Er hatte den Ruf eines egozentrischen Genies. Aber welcher Künstler von Bedeutung pflegte nicht seine Eigenarten?

„Der Judd?“, brüllte der schwerhörige Gastwirt über seine Theke die mit Wachs völlig verklebt war.

„Der Maler!“, berichtigte Frederik dezent und schützte sein Gesicht vor einer weiteren Speichelattacke.

„Sag ich doch, der Judd! Der ist drund’n in der Kerch und schwingt seinen Pinsel.“

Ein Lachanfall schüttelte den hageren Mann, der sich für seinen schlechten obszönen Wortwitz fast verschluckte. Frederik wagte nicht zu fragen um welches Gotteshaus es sich handelte. Sein Anzug würde eine weitere feuchte Lachsalve des Gastgebers nicht überstehen.

Er begab sich auf die Straße und stapfte auf die Türme zu, die sich über den Hausdächern in den Himmel reckten.

Nürnberg war für sein Kunsthandwerk bekannt. Der Export machte im ganzen Reich von sich Reden. Die Metropole war eine hinreichend gepflegte Stadt. Kein Wunder, dass nicht nur die Unabhängigkeit der freien Reichsstadt die Menschen vom Lande bewog hierher zu ziehen um das Glück zu versuchen.

Frederik stand schließlich vor dem Gerüst das eine Kirche einsäumte. In den letzten Jahren hatte man hier ziemlich rangeklotzt und der herrliche Bau stand kurz vor seiner Vollendung.

Die Sonne drohte allmählich hinter den Mauern zu verschwinden. Für den Herold der Königin eine frustrierende Angelegenheit. Bei der gebotenen Eile, bedeutete der Verlust eines weiteren Tages schwindende Hoffnung auf Erfolg. Was, wenn die Künstler bereits Feierabend machten?

Entschlossen trat er durch die noch türlose Pforte in den kühlen Kirchenraum. Kerzen waren erleuchtet und tatsächlich schafften einige Arbeiter unter Decke und der Schlag eines Meisels hallte durch das heilige Haus.

Frederik ging nach vorne in Richtung Altarraum. Ein Gabentisch stand dort noch nicht aber ein dunkelhaariger Mann arbeitete über Kopf auf einem Gerüst und hatte sich erschreckend weit nach vorne gebeugt um das Rankenmuster bis zur ersten Säule zu vervollständigen. Immerhin hantierte dieser Mensch mit einem Pinsel. Für Meister Schellenberg war er jedoch viel zu jung.

Frederik blieb direkt unter ihm stehen und reckte den Hals.

„Verzeihung. Ich suche Meister Schellenberg. Ist er zufällig hier am wirken?“

Ein sonderbarer Blick traf ihn. Fast lag etwas wie Verachtung darin. Obschon seiner Jugend musterte der waghalsige Akrobat Frederiks kleine Erscheinung. Er war nicht unbedingt ein Mann von großem Wuchs. Er richtete sich dennoch zu seiner vollen Größe auf, während er versuchte seinen Ärger zu kontrollieren.

Als der Angesprochene jedoch lediglich mit einem knappen Kopfnicken in die entgegengesetzte Richtung reagierte, platzten Frederik fast die Pulsadern. Er straffte seine Schultern und machte auf dem Absatz kehrt.

„Bengel!“, zischte es durch seine Zähne.

Bereute es aber sofort. Er würde sich doch nicht von einem grünen Jungen aus der Fassung bringen lassen. Ein graues Gewand huschte an ihm vorbei und er griff ungeduldig danach.

„Meister Schellenberg! Wo finde ich den Mann?“ fragte er nun bedeutend lauter.

Die Gestalt in dem unförmigen Überzieher wandte sich aus seinem frechen Griff.

„Er steht vor Euch. Allerdings liebe ich solch eine Behandlung nicht.“

Seine Stimme klang kultiviert. Endlich jemand der offensichtlich Erziehung genossen hat. Frederik beruhigte sich.

„Meister Schellenberg. Ich habe einen weiten Weg auf mich genommen um Euch zu treffen. Ich bin nicht gewohnt vertröstet oder ignoriert zu werden. Da ich mich jedoch weder angekündigt noch vorgestellt habe, bitte ich um Entschuldigung.

Mein Name ist Frederik der Höfliche, ich bin der Sekretär ihrer Majestät Kaiserin Bianca Maria, Gattin unseres Kaisers Maximilian I.

Ja, Ihr habt richtig gehört und nein, Ihr habt nichts zu befürchten. Können wir irgendwo in Ruhe reden?“

Der Maler war bei den letzten Worten etwas bleich geworden. Aber er fing sich schnell.

„Gewiss. Wir sind für heute ohnehin fertig. Bitte folgt mir in mein Atelier. Dort können wir uns ungestört unterhalten.“

Als Frederik nickte machte der Mann ein paar Riesenschritte in Richtung Altarbereich.

„Ruben! Mach Schluss! Verschließe die Farben und um himmelswillen, denke daran alle Pinsel zu reinigen.“

Der Jungspund auf dem Gerüst kam wieder zum Vorschein. Aber diesmal bleckte er sogar die Zähne.

„Wie oft muss ich noch sagen, dass ich immer peinlich darauf achte alles sauber zu machen? Das letzte Tohuwabohu war nicht meine Schuld.“

„Es zeugt von Edelmut, eine Aussage auch einfach mal stehen zu lassen, du Lümmel.“ Brummte der Meister nicht besonders überzeugend und rieb sich müde die Augen. „Komm danach sofort heim! Bummel nicht! Und bring Rosinenbrötchen mit.“

„Was, zum Bäcker muss ich auch…!“

„Genug! Ruben, tu was ich dir sage oder ich streich dir deinen Feierabendmet!“

Schellenberg riss sich den Kittel herunter und stob aus der Kirche ohne darauf zu achten, ob der königliche Bote folgte. Dieser konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Erst auf dem Platz vor der Kirche machte der grummelnde Künstler halt.

„Verzeiht sein Gebaren. Er ist in dem schwierigen Alter in dem jungen Menschen glauben ihnen gehöre die Welt. Er hält sich für ein Genie und leider ist er begabter als ihm guttut.

Andere lecken sich die Finger nach so einer Gelegenheit bei mir in die Lehre zu gehen. Er lässt sich nur dazu herab. Aber zeichnen ist die einzige Aufgabe bei der er Leidenschaft zeigt.“

Er stülpte seinen Hut auf.

„Ich wohne nicht sehr weit. Bitte hier entlang.“

Nun war in der Stadt deutlich Abendstimmung angebrochen und die Krämer und Marktfrauen packten ihre Auslagen zusammen. Der Rotzlöffel würde sich beeilen müssen um noch Leckereien zu kaufen.

Frederik musterte den Mann der neben ihm gewichtig einherschritt. Ein graumelierter Bart säumte ein markantes Gesicht ein welches das Alter des Malers nicht verriet. Seine Nase und die dunklen Augen ließen jedoch seine jüdische Herkunft vermuten. Auch in seiner Sprechweise mochte man es erkennen und überhaupt umgab ihn ein Hauch von Orient.

„Warum widmet Ihr diesem jungen Mann dann Eure Zeit?“, nahm Frederik den Faden wieder auf.

„Er ist mein Neffe. Er hat sonst niemanden auf dieser Erde, der arme Junge. Obwohl ich zugeben muss, dass er für einen Waisen ungewöhnlich viel Hochmut besitzt. Aber wie ich schon sagte, er ist begabt. Und Blut ist dicker als Farbe. Bitte hier in diese Gasse!“

Die beiden Männer verließen den großen Platz und zwängten sich an Karren vorbei in eine schmale Straße die fast das restliche Tageslicht verschluckte.

„Wo ist Euer Gefolge, Herr Frederik? Ihr seid doch nicht etwa allein gereist?“

„Nein. Meine persönliche Garde befindet sich im Gasthof nahe der Brücke am Markt an der Pegnitz. Ich bin mir sicher, zu diesem Zeitpunkt sind alle fünf so blau, dass ich, froh bin sie nicht dabei zu haben. Außerdem reise ich inkognito und habe nichts zu befürchten. Und allein muss ich sowieso mit Euch sprechen. Die Angelegenheit ist, wie soll ich sagen, delikat.“

Der Bart Meister Schellenbergs kräuselte sich. Ob belustigt oder eher skeptisch ließ sich nicht feststellen.

Bald machte er vor einem Haus halt dessen schöne Holztür ins Auge fiel. Der Maler schloss auf und ließ seinem Besuch den Vortritt. Die Diele war nichts Besonderes. Eine Kommode, Kleiderhaken und der Geruch von Rauch und Holz.

„Meine Hauswirtin hat gekocht. Gehen wir in die Stube. Das Atelier ist oben, ich kann es Euch später zeigen. Obwohl ich annehme, dass Ihr nicht hier seid um meine Werke zu betrachten.“

„Ihr besitzt eine gute Fähigkeit Menschen einzuschätzen.“

„Der Maler lebt allein von Beobachtung.“

Diesmal grinste Schellenberg deutlich. Dann brüllte er in den Flur.

„Susanna! Trag auf! Wir haben einen Gast. Nimm das gute Geschirr!“

Es zeigte sich, dass der Nürnberger Künstler klein aber behaglich lebte. Auch brachte ihm seine Arbeit wohl genug ein, um sich Personal und ein recht ansprechendes Mobiliar zu leisten. Die Polster auf denen Frederik sich niederließ waren aus edlem Stoff und obendrein sehr bequem.

Die Köchin brachte eine kräftige Brühe herein. Ihre blauen Augen glitten kurz aber gründlich über den Neuling. Wahrscheinlich wollte sie sich vergewissern, dass der Gast den Aufwand lohnte das Porzellan aus dem Schrank zu holen.

Ein scheues Dienstmädchen mit einem Gesicht wie ein Rehchen schenkte Honigwein aus.

„Ist Ruben schon zuhause?“, fragte der Hausherr.

„Ja, Meister Schellenberg. Er hat in der Küche Nusskuchen abgegeben und ist dann ins Atelier gegangen.“

„Gut. Sorg dafür dass er da bleibt. Unser Gast und ich wollen ungestört sein.“

Das Mädchen knickste artig und wollte gehen.

„Und, Maria. Lausche bloß nicht!“

Die Magd wurde leicht rot, knickste erneut und floh.

„Nun, Herr Frederik Höflich. Ihr habt meine ungeteilte Aufmerksamkeit.“

Der Angesprochene räusperte sich und entledigte sich der Ledertasche die er um die Schulter trug.

„Ich sagte bereits, die Angelegenheit sei delikat. Und genauso muss sie auch behandelt werden. Unserer Kaiserin liegt viel daran.“

Er schob vorsichtig die Tasche vor sich hin und öffnete sie. Schellenberg beugte sich interessiert nach vorn. Was der Höfling zum Vorschein brachte glitzerte und funkelte im Kerzenschein und verriet durch die vielen Edelsteine seinen unbezahlbaren Wert. Mit Sicherheit ein wunderschöner Gegenstand den man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt.

Der Nürnberger Maler pfiff durch die Zähne.

„Eine Krone.“

„Eine Tiara mit Rubinen und Smaragden und Perlen. Seit Generationen tragen die Gattinnen unserer Kaiser diesen Kopfschmuck bei ihrer Krönung und zu besonderen Anlässen. Nun, Kaiserin Bianca hat das nicht getan, da der Kaiser bei der Trauung selbst nicht zugegen war. Aber ihre Vorgängerin.“

„Darf ich?“

„Sicher. Macht Euch ruhig damit vertraut. Das wird nötig sein.“

Übervorsichtig nahm Schellenberg das zierliche goldene Gebilde in die Hände und prüfte dessen Verarbeitung. Es war ein Meisterwerk der Schmiedekunst und sehr viel schwerer als es aussah.

„Ein herrlicher Schmuck. Sicher der liebste Besitz ihrer Majestät.“

Frederik wiegte langsam mit dem Kopf.

„Die Kaiserin macht sich nicht allzu viel daraus. Zumal sie in den letzten Jahren kaum Gelegenheit hatte sie zu tragen.“

Der Meister schwieg taktvoll. Dass die Dame schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei Hofe weilte war landesweit bekannt. Es hatte ihr auch zahlreiche Spottlieder eingebracht von diesen ihm sofort einige Passagen in den Sinn kamen. Statt diese taktlos zu zitieren gab er das Diadem zurück.

„Jetzt stellt sich mir allerdings die Frage, was soll ich…“

Die Tür flog auf und der sture junge Mann platzte herein. Schellenberg ruckte herum. Zum ersten Mal seit Frederik ihn kannte war er wirklich fuchsteufelswild.

„Ruben! Hinaus! Du sitzt wohl auf deinen Ohren?“

„Ach, Oheim. Was die Maria immer brabbelt versteht doch kein Mensch. Sie nuschelte irgendwas von Essen in der Stube und geheimer Besprechung. Da dachte ich natürlich ich solle runter kommen.“

Es war erstaunlich wie frech und ungerührt der Knabe seine Lüge präsentierte. Er zuckte mir keiner Wimper.

„Wirklich Junge! Das Mädel spitzt jedes Mal die Lippen und zupft sich den Ausschnitt zu Recht wenn sie mit dir redet und flötet wie ein Engelchen. Aber wie hätte ich mir auch einbilden können, dass du diesmal auf mich hörst.“

Der Mann lehnte sich tief seufzend zurück und nun war zu erkennen, dass er schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Frederik wollte die Krone verbergen, aber die dunklen Augen des Neffen waren längst wie gebannt darauf gerichtet.

„Oioioi, Onkel. Was für Geschäfte treibst du da?“

Frederik blitzte ihn ärgerlich an.

„Du unverschämter Grünschnabel! Ich fordere etwas mehr Respekt vor diesem Zeichen der Macht. Du befindest dich im Raum mit der Krone ihrer Majestät Kaiserin Bianca Maria und ich würde jetzt gerne mit meinen Ausführungen fortfahren ohne unterbrochen zu werden.Wirst du es fertig bringen dein Maul zu halten und es künftig in dieser Angelegenheit nicht mehr zu öffnen?“

Endlich gab es eine Regung in dem sonst trotzigen Gesicht und Frederik hatte offensichtlich für Erstaunen, ja sogar Ehrfurcht gesorgt. Er war stolz auf sich.

Da nun auch der Lehrling seinen Malerkittel abgelegt hatte, musste er die Musterung des Boten über sich ergehen lassen. Er war ein großer kräftiger Bursche mit einnehmenden Augen und schwarzen langen Haaren, die er zu einem Zopf gebunden hatte. Seine Nasenflügel bebten leicht, während er den stummen Kampf mit sich und Frederik ausfocht.

Würde er in besseren Klamotten stecken und hätte er Manieren und würde er dieses Raubtier-Grinsen sein lassen, wäre er bei den Damen am Hofe sicherlich sehr beliebt.

„Setz dich Ruben und gehorche! Bitte um Vergebung, Herr Frederik. Was habe ich also mit Eurer Reise zu tun?“

Der Höfliche verstaute die Juwelen sorgsam in der Tasche und hängte sich diese wieder um. Dann faltete er übertrieben sorgfältig die Hände.

„Aus Gründen welche die Allgemeinheit nichts angehen, hat mich die Kaiserin mit einem Auftrag zu Euch geschickt. Ihr sollt diese Krone malen. Es befindet sich ein Gemälde im Gasthof das unsere Herrin vor einigen Jahren von sich hat fertigen lassen. Da sie die Krone auf diesem Bild nicht trägt, wünscht sie lediglich, dass Ihr dies nachholt. Euer Ruf der naturgetreuen Darstellung macht von sich Reden. Außerdem meinte die Kaiserin, Ihr kanntet Ihren Onkel und Euch sei zu trauen.“

Eine ungewöhnliche Mine hatte sich auf den Gesichtern der beiden Zuhörer breit gemacht. Auch hatten sie mehrmals die Blicke gewechselt und der junge Ruben verhielt sich nun äußerst professionell und sachbezogen. Der Ältere räusperte sich und lehnte sich auf die Unterarme.

„Werter Herr Frederik Höflich, das Anliegen der Kaiserin in Ehren und sei einmal dahingestellt, dass ich mit der Lorenzkirche alle Hände voll zu tun habe, ein Maler unseres Kalibers wird niemals, ich widerhole mich, niemals an dem Werk eines anderen Künstlers herum pfuschen. Das könnt Ihr vergessen. So einen Auftrag hab ich mein Lebtag nicht angenommen und das werde ich auch nicht, bis zu dem Tag an dem ich sterbe.“

Nach dieser Ansage war peinliches, betretenes Schweigen angebrochen. Nur das Knacken des Dochtes war zu hören. Frederik ließ langsam die Luft aus den Lungen.

So eine Reaktion hätte er nicht erwartet und da Schellenberg offenkundig ein Mann von Ehre war, brauchte er ihm nicht mit Geld kommen.

„Des Malers Schöpfung ist seine Seele.“ Die Stimme des Lehrlings meldete sich. „Kein Kollege unserer Zunft würde so einen Auftrag annehmen wenn er wirklich was auf sich hält. Das ist Schändung.“

Nun war es an dem Höflichen angenehm überrascht zu sein. Sollte sich hinter der patzigen Art des Flegels ein kleiner Diplomat verbergen? Seine Stimme klang ganz anders. Aber wie der Meister schon erwähnt hatte, die Malerei besaß seine ganze Aufmerksamkeit. Frederik streckte die Handflächen von sich.

„Und das soll ich nun einer sterbenden Kaiserin sagen?“

Schellenberg riss die Augen auf.

„Sie stirbt?“

„Sie ist bettlägerig. Ihre Kräfte schwinden und ich bin auf dieser Reise gehetzt wie ein Irrer um keine Minute zu säumen. Sagt mir nicht ab Meister Schellenberg! Alles was ihr tun müsst, ist die Krone auf das Portrait der Herrin zu malen.“

„Aber Ihr sagtet, dass es sich um ein älteres Bild handelt. Wer möchte den ein nicht aktuelles Abbild von sich auffrischen lassen und nimmt dabei solche Umstände in Kauf?“

„Die Beweggründe der Kaiserin sind mir nicht bekannt. Ich ersuche Euch! Lasst mich das Gemälde in Euer Atelier bringen und arbeitet daran. Der Wunsch einer Totgeweihten, Schellenberg! Bedenkt das!“

Der Maler rutschte vom Tisch weg und begann auf und ab zu gehen. Der junge Ruben beobachtete sein Vorbild unausgesetzt und sein widergekehrter Trotzblick verriet, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Aber er sollte die Arbeit auch nicht erledigen.

Die große Erscheinung Schellenbergs drehte Runde um Runde über den knarrenden Holzboden. Die Hände fest hinter dem Rücken gefasst. Himmel, es ging nur um eine kleine Pinselei. Wenn nötig müsste man nicht einmal erwähnen, dass Schellenberg daran beteiligt war. Er brauchte sein Werk auch nicht signieren. Es könnte alles unter der Hand laufen. Aber etwas in der Art und Weise wie der Mann durch das Zimmer pflügte, ließ Frederik schweigen und warten.

Es juckte ihn fordernder zu werden. Zu drohen. Aber er sah nur unsicher auf den immer finster dreinblickenden Junior und das Herz brannte ihm in der Brust den Meister anzuflehen.

Die Kaiserin hatte ihm versprochen zu essen. Bei Kräften zu bleiben bis er wieder da war. Aber es war bereits Herbst und sollte Schnee einsetzen während seiner Rückreise, konnte er nicht sagen, ob er rechtzeitig zurück sein würde.

Er zuckte zusammen, als sich das dunkle Augenpaar gegenüber plötzlich in seine bohrte. Frederik der Höfliche war kein Feigling, aber auch kein Mensch der die Konfrontation suchte. Und hier brauchte er Verbündete. So formte er wortlos die Lippen zu einem Wort.

„Bitte!“

Bei diesem engstirnigen Kerl auf Gehör zu stoßen war nicht sehr wahrscheinlich aber ein Versuch kostete auch nicht mehr. Der düstere Gesichtsausdruck blieb auch tatsächlich unberührt aber nach ein paar Augenblicken, drehte sich der Jüngling in Richtung seines Onkels.

„Oheim! Und wenn wir zur Kaiserin reisen? Dann könntest du sie selbst zeichnen. Mit der Krone.“

Frederik erschrak bei diesen Worten. Welch unvermutete Hilfestellung. Und doch so unmöglich. Die Kaiserin in ihrer Lage so vorzuführen. Und ein ganzes Portrait zu fertigen dauerte seine Zeit. Und das war es, was weder die Herrin noch er hatte. Aber Schellenberg war stehengeblieben.

„Wäre das eine Option?“

Bitte nicht!

„Wo befindet sich die Kaiserin derzeit? Meines Wissens ist sie mit ihrem Hofstaat schon lange nicht mehr im Reich.“

„Das stimmt. Sie weilt in Innsbruck.“

„Innsbruck. Oioi, Ruben, das hast du es. Wir können doch nicht…“

„Meister Schellenberg!“ Frederik schnellte auf die Beine. „Hört mich an! Mir ist vollends bewusst, was über die Kaiserin erzählt wird. Aber ich pfeif darauf. Ich bin mit ihrer Majestät damals hierhergekommen. Ich war bei ihrer Vermählung dabei. Jede Sekunde habe ich seitdem miterlebt. Hab mich mit dem Hofstaat mehrmals verpfänden lassen, als der Kaiser seine Schulden nicht zahlen konnte. Wir haben unsere Bettwäsche, die Spitzentücher und teilweise sogar unsere Schuhe hergegeben, um uns Lebensmittel zu besorgen bis wir endlich gnädigerweise ausgelöst wurden. Die Kaiserin fühlt sich all ihrer Freuden beraubt. Ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und wird wahrscheinlich den Frühling nicht mehr erleben. Sie leidet an chronischer Appetitlosigkeit. An Dörrsucht. Das sagen die Ärzte. Aber sie stirbt an einem gebrochenen, vernachlässigten Herzen. Das ist der wahre Grund. Meister! Wollte Ihr mir immer noch absagen?“

Der Läufer

Ruben wischte sich mühsam mit dem Handrücken über die Augen. Er konnte schlecht sehen, weil ihm das Blut in Strömen über das Gesicht lief und auf der Haut brannte. Außerdem musste er kämpfen, damit ihm die Sinne nicht schwanden.

Die vorangegangen Ereignisse hätten genügt, ihm das Bewusstsein zu nehmen. Aber nun war er gerannt, gestolpert, gefallen und schwer verletzt. Sein linkes Bein brachte ihn fast um vor Schmerz. Er biss die Zähne zusammen und ignorierte seinen pfeifenden Atem und den Drang einfach auf den Waldboden zu plumpsen. Hingegen aller Vernunft riss er die Tasche hoch, fuhr sich nochmals über die pochende Stirn und tränkte seinen Ärmel tiefrot. Dann schnallte er seinen Gürtel ab und band ihn sich mit einem Stück seines Mantels um den Kopf.

Die Kerle hatten ihn gut getroffen. Aber nicht gut genug und vor allem nicht zu tief. Hätte das Beil seinen Schädel erwischt, wäre es aus gewesen. Aber für eine ordentliche Fleischwunde reichte es allemal.

Nachdem er sich verarztet hatte, befahl Ruben seinem geschunden Körper die Böschung hinauf zu klettern, die er hinunter gesegelt war. Dabei hatte er ohne Zweifel keinen Stein ausgelassen. Auf allen Vieren kämpfte sich der junge Mann nach oben. Die Dämmerung war hereingebrochen und er war sich nicht sicher, ob er den Weg wieder finden würde. Aber in seinem Herzen tobte die schwärzeste Verzweiflung.

Wenn die Peiniger noch in der Nähe waren, hatte er keine Überlebensaussichten. Ruben war schon immer schnell zu Fuß gewesen. Deshalb hatten sie ihn auch nicht erwischt. Aber der Rückweg war mit dem lahmen Bein nicht mehr so flink zu bestreiten.

Er drehte während des Rennens die Tasche unter dem Mantel auf den Rücken. Einer Leibesvisitation würde das nicht standhalten, sollten sie ihm so nahe kommen. Aber es fühlte sich besser an. Er war ein Künstler. Kein Soldat. Nie im Leben hatte er ein Schwert in der Hand gehabt. Er konnte sich nicht umfassend wehren. Es sei denn, es würde ihm gelingen jemandem mit dem Pinsel ein Auge auszustechen.

Fast wollte er über sich selbst lachen. Aber das singende Blut, der salzige Geschmack seiner Lippen und allem voran, die Angst um den Oheim hielten ihn davon ab. Er lief und lief. Sein schweres Haar schlug ihm auf den Rücken, als wollte es ihn antreiben. Gedanken an Adonai sammelten sich in seinem Kopf. Er war kein fleißiger Beter. Was sollte er nur ohne den Onkel tun?

Kurz darauf nahm er Rauch war. Konnte es von ihrem Lager stammen? Es war die erste Nacht gewesen, welche die Reisegruppe nicht in einem Gasthof verbringen wollte. Und hier im Wald auf der Lichtung war es dann passiert. Ruben erkannte die Stelle und selbst bei diesem schwindenden Tageslicht bot sich eine schreckliche Szene.

Sie hatten alle Pferde mitgenommen und auch den Esel. Die ganze Ausrüstung lag über dem Boden verstreut. Schellenbergs kostbare Sammlung an Farbpulver, Muschelkalk und seine Spezialmischungen. Aber am Schlimmsten, waren die handtellergroßen roten Flecken und Spritzer die sich über die gesamte Lichtung zogen. Ruben vergaß die Gefahr. Er setzte über den laubbedeckten Boden und schlitterte auf die Feuerstelle zu, bei der er die Gestalt seines Vormunds entdeckt hatte.

„Onkel!“

Sein gellender Schrei hallte unvorsichtig durch den ganzen Wald. Er packte den Körper bei den Schultern und drehte ihn in seine Richtung.

Die Hände hingen schlaff hinunter und der Brustkorb bot einen Anblick des Grauens. Wenn es Ruben durch seinen vernebelten Verstand recht wahrnahm, bohrten sich zwei Rippen ins Freie.

„Oh, Jahwe Rapha!“, quälte es sich aus Rubens Kehle, während er seinen Verwandten umschlang.

„Junge!“, kam es ganz leise.

Der Angesprochene zuckte nach oben und blickte in die blutunderlaufenden Augen.

„Oheim! Was…?“

„Shh! Geh! Du darfst nicht hier bleiben.“

„Aber, Meister ich….“

„Nein!“

Der alte Mann umfasste sein Handgelenk mit aller Kraft, die ihm noch geblieben war.

„Du, bist jetzt der Meister!“

Ruben biss die Zähne aufeinander, dass sein Kiefer knackte.

„Hast du die Krone?“

„Ja.“

Schellenberg ließ ihn los.

„Nimm an Farben und Material was du kriegen kannst und dann flieh. Tu was du für richtig hältst.“