Die Gabe des Schweigens - Melisande Arven - E-Book

Die Gabe des Schweigens E-Book

Melisande Arven

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Beschreibung

Zehn Jahre, hatte diese junge wilde Frau in der Wildnis gelebt. Selbst die harten Winter und das unberechenbare Moor, schienen ihr nicht zum Verhängnis geworden zu sein. Lord Calvin von Jargen zu Beyloumoore, muss nach dem ersten Schock nun eine Entscheidung treffen. Zehn Jahre in der Einsamkeit. Und nun war dieses verhasste Mädchen aus seiner Kindheit wieder aufgetaucht. Calvin hätte in seinen kühnsten Träumen nicht ahnen können, welche Folgen diese Begegnung für ihn haben würde.

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Die Gabe des Schweigens

 

 

 

 

Melisande Arven

 

 

Für meine Muutsch

Danke für Liebe und Geduld

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Kapitel1_Jargen

Kapitel2_Beyloumoore

Kapitel3_Die_Lichtung

Kapitel4_Marim

Kapitel5_Schwester_Martha

Kapitel6_Verrat

Kapitel7_Liebe

Kapitel8_Wahrheit

Kapitel9_Lady_Jargen

Kapitel10_Die_Schlucht

 

 

 

 

Menschen können so grausam sein.

Getrieben durch Angst, Lüge und Pein.

Sie unterdrücken die Schwachen, um sich selbst stark zu fühlen,

scheinbar gibt es Kraft, in ihren Schmerzen zu wühlen.

Unbekanntes geht aus Einsamkeit hervor

und Fremdes schürt die Angst dafür.

Dinge, die man nicht erklären kann,

was unheimlich ist, in der Welten Wahn,

wird bekämpft, wird vernichtet,

dies, ist wovon die Geschichte berichtet.

 

 

 

 

Winona starrte mit wild schlagendem Herzen in das Gesicht ihrer alten Magd. Diese stand mit hängenden Schultern neben ihrem Bett und wiegte das Baby in ihren Armen. Ihr Gesicht war weiß geworden und an den Wangen eingefallen.

„Was hat er gesagt?“ flüsterte Winona fast unhörbar.

Immer noch zitterte sie. Der kalte Schweiß troff ihr aus allen Poren. Moureen konnte der jungen Frau nicht in die Augen sehen. Die Geburt war so Kräfte zehrend für sie gewesen. Ihr zierlicher Körper bebte, das lange Haar klebte patschnass an ihrer bleichen Haut.

„Moureen?“ Winona streckte ihre schmale Hand aus. „Was hat er gesagt? So rede doch!“

Die Alte schluckte. Sie kannte dieses Mädchen nun so viele Jahre. Wusste um alle Ängste Bescheid. Winona war ihr doch fast wie eine eigene Tochter. Ihr sanftes Wesen, die naive und zerbrechliche Seele. Wie konnte sie ihr sagen, dass Marc soeben getobt hatte? Einen Jungen hatte er sich gewünscht. Sollte sie die junge Mutter nun derart entmutigen?

Sie sah schmerzlich auf das kleine Wesen in ihren Händen. Es schlief. Der Atem ging ruhig, die kleinen Finger hielten das wollene Tuch umschlossen. Marc hatte sie nicht einmal angesehen. Wie konnte sie Winona sagen, dass er das Kind aussetzen wollte? Sie schluckte wieder. Tränen stiegen in ihre alten Augen. Sie senkte den Kopf.

Doch Winona hatte es gesehen und ließ ihren Arm sinken, den sie immer noch ausgestreckt hatte. Ihr matter Körper sank zurück in die Kissen. Ein seltsamer Schmerz kam in ihr hoch. Sie blickte ins Leere. Ein Seufzer kam aus ihrer Kehle.

„Er will sie nicht.“ Sie schloß die Augen. Ihr Gesicht verlor den Rest an Farbe. „Er will sie nicht.“

Moureens Tränen tropften auf das schlafende Baby. Schweigen bedrückte den Raum. Nur das Knacken des Feuers war zu hören. Winona bewegte sich nicht. Fast sah es so aus, als ob sie eingeschlafen sei. Doch auch aus ihren Augenwinkeln rannen schwere Tränen.

„Vielleicht….“ Moureen befahl ihrer Stimme nicht zu zittern. „Vielleicht gewöhnt er sich daran ein Mädchen zu haben. Wenn er erst einmal sieht, wie schön sie ist, denkt er bestimmt anders darüber. Du musst verstehen, er stand unter einem sehr großen Druck. Gib ihm etwas Zeit, hm?“

Winonas Gesicht hellte sich auf. Sie lächelte leicht. Moureen gab ihr das Kind und strich über ihre Wange.

„Wie willst du sie nennen?“

Die junge Frau sah zärtlich auf das neue Leben hinunter.

„Nach Marcs Mutter. Gwendoline. Das wird ihm helfen sie zu mögen.“

 

 

Jargen

 

 

 

Angst ist wie eine würgende Hand,

eine schleichende Macht, die dem Herz das Schlagen nimmt.

Furcht treibt an den Lebensrand,

und Seelenruhe unaufhaltsam durch die Finger rinnt.

Gönne Frieden, mach mir nicht so bang,

lass mich ruhen, hab doch Erbarmen,

damit ich sterben kann.

Gwendoline

 

 

 

 

Pater Marius linste prüfend in den Himmel, während er aus dem Haus trat und noch den Türknauf mit der linken Hand festhielt. Es war ein wunderbarer Tag. Zumindest, wenn man ihn am Wetter maß. Das satte Blau, dass sich über die sonnendurchflutete Stadt spannte war freundlich und warm.

Der Pater zog entschlossen die Tür hinter sich zu, rüttelte die Kutte an den Schultern zu Recht und trat auf die Straße. Die Sonne schien so kräftig, dass sogar einige goldene Strahlen den Boden dieser engen Gassen erreichten. Der Strom der emsigen Leute nahm den alten Mann sofort auf und schwemmte ihn mit sich.

Die geschäftige Zeit war angebrochen. Alles kaufte, verkaufte, schrie, gestikulierte, verhandelte, stritt, sang oder buxierte Ballast durch das Gewühl. Wer einen Blick auf den Pater warf, machte wenn möglich vor seiner braunen Kutte Platz. Wenn aber niemand aufsah, konnte es schon passieren, dass eine Schüssel Pisse oder sonstiger Dreck vor ihm ausgeschüttet wurde. Die Sonne brachte den festgetrockneten Müll auf den alten Steinen der Straße zum Schmelzen. Ein strenger Geruch breitete sich aus.

Marius schritt kräftig aus und lief zielstrebig über den Marktplatz, auf dem das Geschäftsleben in höchsten Trubel ausartete. Ein Bauer hatte seine ganze Schweineherde mitgebracht und unter größten Mühen hinter einem kleinen Bretterverhau getrieben. Auf Wunsch konnte gleich nebenan geschlachtet werden. Ein ganzer Mückenschwarm und bestimmt alle streunenden Katzen der gesamten Grafschaft, umringten die in der Hitze schmorenden blutverstockten Innereien. Es stank furchtbar.

Die Frau, die gleich gegenüber einen Stand zum Verkauf ihrer Sonnenblumen ergattert hatte, sah schon auffällig blass aus. Der Pater quetschte sich schnell am Schlachtbeil vorbei und japste erst bei der Gewürzbude wieder tief nach Luft. Ein paar hundert Meter weiter ebbte der Menschenstrom etwas ab. Der Lärm lag dem Pater jetzt im Rücken, während er mit unverminderter Zügigkeit die alte Festung ansteuerte, die gelassen über dem ganzen Gewese des Pöbels thronte.

Ihre mächtigen grauen Mauern hatten schon manchem Feind standgehalten und würden es wohl auch weiterhin tun. Die hohen Türme bohrten sich in den blauen Himmel als würde ihnen die Welt gehören. Die wachhabenden Soldaten gingen barhäuptig und träge auf der oberen Mauer auf und ab. Das Haupttor zum Innenhof war nicht geschlossen. Links und rechts saßen zwei schwitzende Wächter, die den Pater nur durchwinkten.

Der Hof war leer. Niemand verspürte bei der Mittagsglut den Drang, sich hier zu beschäftigen. Niemand hielt den alten Mönch auf, als er die Haupthalle betrat. Er kannte das alte Gemäuer. Er brauchte keinen Führer durch die finsteren Gänge und Treppen. Erst im Trakt der hohen Herrschaft versahen zwei Soldaten wieder einigermaßen treu ihren Dienst. Doch nach seinem Begehr wurde der Pater auch hier nicht gefragt. Anscheinend war er angekündigt. Ihm wurde die Tür zum Audienzzimmer geöffnet. Es war keiner hier.

Der Pater trippelte etwas fragend in den Raum. Der Boden war erst vor kurzem mit Wasser besprengt worden, um die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen. Das Holz würde auf längere Zeit solche eine Behandlung übel nehmen. Er sah jetzt schon ziemlich mitgenommen und ein wenig aufgequollen aus und knarzte unter jedem Schritt. Der Pater wagte einen Blick aus dem Fensterschlitz. Die Hitze flimmerte im Hof. Nichts regte sich und der alte Mann fragte sich langsam warum er eigentlich hier war.

Dann klappte eine Türe. Ein großer, breiter Mann trat ein. Er war jung, sein Gang gewichtig, obwohl er sich dabei richtig auslebte um ja achtungseinflössend zu erscheinen. Sein blondes Haar trug er zurückgekämmt. Hätte er sich umgedreht, könnte der Pater seinen langen Zopf sehen. Auffällig war sein handliches Kurzschwert das an seiner linken Hüfte baumelte. Seine Handgelenke waren mit Lederriemen umwunden.

Als er den Pater erblickte, machte sich so etwas wie Erleichterung in seinen ernsten Zügen breit.

„Ohh, wie gut das Ihr so schnell gekommen seid.“ Er reichte ihm die Hand und verzichtete auf achtungsvolle Gesten, die manch andere Leute vor Marius Kutte anbrachten.

„Ich wäre noch eher gekommen, aber Euer Bote schien mich verpasst zu haben. Habe nur die Mitteilung auf dem Boden gefunden, die er mir durch die Tür gesteckt hatte.“

„Dabei duldet Euer Erscheinen keinen Aufschub. Kommt, der Lord wartet.“ Er führte den Besuch durch die Tür, die sich hinter dem Audienzstuhl befand.

      „Was hat sich denn zugetragen?“ fragte der Pater.

„Der Lord ist voller Sorge. Alle wichtige Geschäfte sind bis auf weiteres abgesagt worden.“ Meinte sein Begleiter ausweichend.

„Warum aber sollte gerade ich diese Sorgen mildern können Master Hafe? Glaubt Ihr nicht, dass ich etwas besser Bescheid wissen sollte?“

„Der Lord wird es Euch persönlich mitteilen, Vater. Ich bin nicht autorisiert.“

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Es war schon seltsam, dass der Hauptmann der Garde ihn selbst führte.

Marius bemerkte, dass er in den Familientrakt geleitet wurde. Vor einer Tür wurde schließlich Halt gemacht. Master Hafe klopfte zweimal. Kurz danach wurde ein Spalt geöffnet. Der Hauptmann wisperte einige Worte hindurch, daraufhin wurde die Tür wieder leise geschlossen.

Pater Marius sah gespannt in das steinerne Gesicht des kräftigen Kerls neben sich. Aber er konnte Nichts herauslesen. Wenig später öffnete sich die Türe erneut.

Ein junger Mann trat heraus in den Gang.

Er war etwas kleiner als Master Hafe und noch jünger aber kräftig gebaut. Das dunkle Haar hatte einen kurzen Schnitt, seine grauen Augen strahlten Autorität aus. Er war ganz in leichtes Leinen gekleidet, was ihn noch jünger aussehen ließ als sonst. Dieser Junge war keine zwanzig Jahre alt und doch jene Person, die hier in Jargen und Umgebung die Befehlsgewalt alleine hatte.

„My Lord.“ Der Pater neigte sich.

„Wir haben Euch erwartet. Aber glaubt mir, es wäre mir lieber gewesen wir hätten euch nicht benötigt.“ Kam die kultivierte Stimme des jungen Mannes.

Er griff sich an die Stirn. Er sah müde aus.

„Ich bin noch nicht eingeweiht worden, Sire.“ Erwiderte der Mönch entschuldigend.

„Ach ja.“ Der Lord sah ihn wieder an. „Nachdem sämtliche Quacksalber hier ihr Bestes gegeben haben, ohne Erfolg zu erzielen, blieb mir nichts anderes übrig als Euch zu rufen.“ Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

„Meine Mutter stirbt.“

Der Pater kannte Lady Ronja von Jargen als feine, überaus schöne und kluge Frau, die zugleich zu einer nicht vermuteten Härte fähig war. Jeder der sich mit ihr unterhielt, konnte nur die ganze Zeit mit gebanntem Blick die ebenmäßigen Züge bewundern. Und wenn diese Frau das Hässlichste und Abstoßendste der Welt erzählt hätte, man wäre doch fasziniert gewesen. Sie hatte Überzeugungskraft, die nötige Würde und einen eisernen Willen. Diese Frau machte auf jeden, der sie kennenlernte Eindruck. Deshalb nannte man sie unter der Hand auch ‚die zweite Queen’.

Jetzt sah sie allerdings nicht danach aus. Ihr Kopf war tief in das Kissen gesunken. Das lange schwarze Haar ergoss sich weit über die Bettdecke hinunter und war nass vom Schwitzen. Das Gesicht der Lady war schneeweiß, ihre Augen eingefallen. Sie zitterte im Fieber.

Der Pater beugte sich leicht über sie. Er verengte die Augen. Tastete nach dem Puls. Seltsame kleine lila Flecken zeigten sich an ihren Handgelenken und am Hals. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn. So fühlte sich das immer an, wenn der Geist zu ihm redete. Der Pater nahm die Hand weg und richtete sich auf.

Der Lord stand neben ihm und hatte jede Bewegung genau beobachtet. Aber er traute sich nicht eine Frage zu stellen. Die sogenannten Ärzte hatten sich alle um die Antwort gedrückt, die schon längst im Raum stand. Und selbst er hatte gewisse Zeit gebraucht, um es sich einzugestehen.

Aber das Unumkehrbare, jetzt aus dem Munde eines Geistlichen zu hören, der seinen Bund mit Gott gemacht hatte und somit näher an den Dingen wie Tod und Leben stand, dazu fehlte ihm die Kraft.

Die Lady war seit zwei Tagen in ein tiefes Koma gefallen und alle Hoffnung, sie noch einmal vor ihrem Dahinscheiden zu sprechen, zerrann mit jedem weiteren Tag.

Calvin von Jargen war kein Narr, um das nicht zu begreifen.

 

 

 

 

Das geschlachtete Huhn verbreitete einen widerlichen Gestank. Selbst die vielen Jahre in der Burgküche konnten nicht verhindern, dass Wanda die Nase hochzog und das tote Tier nur mit den Fingerspitzen anfasste. Sie hatte ja schon vieles erlebt was Lebensmittel anging. Aber dieses Vieh musste unter Folter gelebt haben und war sicher mit großen Strapazen ums Leben gekommen. Nur so ließ sich dieser entsetzliche Geruch erklären.

Wanda strich sich mit der freien Hand die dünnen Haare aus dem Gesicht. Sie schnaufte missbilligend. Dieses ganze Elend kotzte sie an. Verzerrt und grau konnte sie ihr Spiegelbild in dem polierten Teller auf dem Tisch erkennen. Was war nur aus ihr geworden? Früher war sie ein schönes Mädchen gewesen, mit unschuldigen Träumen und offenen Augen für die Welt. Sie hatte an ihren Traumprinz geglaubt wie jedes junge Ding – und hatte ihn verpasst.

Fast unbewusst drehte die Köchin den Kopf und sah den wohlvertrauten Anblick. Ein breiter, verschwitzter Fettsack der schnarchend auf der rohen Holzbank eingeschlafen war und sich nicht mehr rühren würde, bis es Essen gab. Wanda spürte einen Stich in der Herzgegend. So war das Leben eben. Ein Überlebenskampf, der nicht danach fragte ob es gerecht zuging oder nicht.

Seufzend griff sie nach der Schüssel, streckte ihr bleiches Haar unter die Haube und trug das tote Huhn an die frische Luft. Draußen würde der Gestank vielleicht eher zu ertragen sein. Routiniert begann sie das Tier zu rupfen. Mit ein paar Gemüsestengeln, die sie am späten Nachmittag noch auf dem Markt ergattert hatte, könnte man es vielleicht einigermaßen runter kriegen.

Es war schon eine Schande, dass Graig nichts Besseres aufzutreiben vermochte. Er hatte doch den ganzen Tag Zeit gehabt etwas zu besorgen. Wahrscheinlich war es ihm wieder eine Stunde bevor sie nachhause kam eingefallen und hatte es einem streunenden Hund abgejagt. Ach, hätte sie lieber einige Reste aus der Küche mitgenommen.

Verbissen nahm sie das Huhn aus und warf die Abfälle auf den Boden. Einige hungrige Katzen hatten schon darauf gewartet. Wanda linste in den Himmel. Er war immer noch sattblau. Den ganzen Tag hatte die Frau in der Burgküche gestanden und geackert. Das schöne Wetter war ganz und gar an ihr vorüber gegangen. Und jetzt nutzte es ihr auch nichts.

Ein paar Racker aus der Nachbarschaft tollten vorbei, mit roten Backen und erhitzten Gesichtern. Wanda musste lächeln. Alle waren sie dreckig vom spielen, aber sie hatten keine Sorgen. Sie waren zu jung dafür. Sie wandte ihr Gesicht nochmals dem Himmel zu. Oh, die Zeit müsste man zurückdrehen können.

Ein knarrendes Geräusch ließ sie aufhorchen. Sie sah in die Küche. Graig hatte sich nur auf die andere Seite gedreht. Wanda nahm ihre große Kelle, pirschte sich an und schlug ihm auf den fetten Schenkel. Jaulend sprang ihr Gatte auf, sodass die Bank gegen die Wand krachte.

„Was soll das du alte Wachtel? Willst du Schläge?“

„Hol mir nen’ Kübel zum kochen. Sonst bekommst du nix zu fressen.“

Graig baute sich zur vollen Größe auf.

„Das unterliegt nich’ meinen Pflichten.“ Behauptete er wichtig.

„Ach jammer nich’ herum! Marsch! Setz deinen Arsch in Bewegung, du Schnarchzapfen.“ Sie warf ihm den Eimer vor die Füße. „Und nu troll dich! Und das du nich’ wieder Ehrenrunden drehst. Nu los!“

„Wozu hab ich’n Weib, wenn ich alles selber machen muss?“

Er bekam einen weiteren Schlag mit der Kelle. Unwillig torkelte er zur Tür hinaus.

Wanda sah ihm eine Weile hinterher. Dann machte sie Feuer und putzte das Gemüse. Es würde ja doch eine Zeit brauchen, bis der Nichtsnutz wieder zurück kam. Sie machte sich schon Hoffnungen auf ein wenig Ruhe und schnitt die Karotten klein.

„Mom! Mom bist du da?“ Wanda brummte irgendetwas genervt vor sich hin. „Mom, hab ich Dad nicht gerade gesehen? Mom?“

Eine Frau mit einem quenglichen Kind quetschte sich durch die Tür. Hinterher hupfte eine kleine Göre mit blonden Zöpfen. Die junge Frau zog ihr Kopftuch zu Recht.

„Du, ich wollte dich fragen, ob du nicht noch etwas Salz hast. Meines ist aus.“

Wanda rührte sich nicht. Sie warf den letzten Karottenstängel in den Topf bevor das kleine Mädchen ihn erwischen konnte.

„Und etwas Brot wäre auch nicht schlecht. Wir sind zu Zeit knapp bei Kasse.“

„Das du es nicht schaffst, deine eigenen Sachen beinander zu halten.“ rief Wanda ärgerlich. „Du wolltest nicht mit deinen Eltern unter einem Dach leben. Du wolltest eine eigene Wohnung mit Lay. Du hast jetzt deine eigene Familie. Wann begreifst du endlich, dass du selbst für sie aufkommen musst?“

„Ich brauche doch nur ein paar Kleinigkeiten. Du sollst mir doch nicht dein ganzes Vermögen geben.“

„Ach, jede Woche kommst du mit deinen paar Kleinigkeiten. Und jedes Mal bringst du deine Krähen mit, dass sie mir und deinem Vater die Haare von Kopf fressen.“

Wanda stand mit einem Ruck auf und schlurfte an den Herd.

„Was ist mit meinem Taugenichts von Schwiegersohn? Warum habt ihr wieder mal kein Geld?“

„Birde brauchte unbedingt ein paar Leute für ein Projekt. Da hat Lay nicht widerstehen können und hat die alte Arbeit an den Nagel gehängt und ist bei Birde eingestiegen. Wie hätte er ahnen können, dass dieses Geschäft ein Flop wird?“

„Jeder der ein bisschen Verstand besitzt weiß, dass Birde ein Scheißkerl ist und jeden zugrunde richtet. Das der immer noch frei herum läuft versteh ich nich’. Der gehört längst ins finsterste Loch.“

„Was ist nun mit dem Salz?“

„Wie wäre es, wenn du deinem Lay lieber Mal ein bisschen Pfeffer untern Hintern streuen würdest Claude?“

„Ich bitte dich lediglich um etwas Salz und um ein paar Scheiben Brot. Ist das zu viel verlangt?“

Claude schob das Kind auf die andere Hüfte.

„Was täte ich, wenn jeden Tag eine meiner Töchter käme und irgendetwas fordert? Weißt du wie viele Stunden ich arbeite? Seit dein Vater seine Finger eingebüßt hat, schufte ich wie ein Pferd und habe geglaubt, nachdem ihr nun unter der Haube seid, könnte ich etwas ausruhen. Aber nein, ich soll euch noch weiterhin durchbringen. Wie kannst du dir nur denken, dass ich begeistert davon bin?“

Wanda nahm das einzige Messer ihres Haushaltes und säbelte unwirsch ein größeres Stück aus einem Kanten Brot.

„Warum machst du es nicht wie deine Schwester? Sie versucht ihren Stolz zu behalten, indem sie selbst wirtschaftet oder begabte Männer heiratet. Wie Paul, den Kerzenmacher.“

„Paul ist ein Schwachkopf.“

„Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn er seine Frau nich’ zum Betteln zur alten Mutter schickt, verdient er schon mal meine Anerkennung.“ Sie knallte das Messer auf den Tisch. „So kann das nicht weitergehen Claude! Das ist das letzte Mal das ich dir aushelfe. Komm wieder und du fliegst mit einem Tritt hier raus, verstanden? Soweit geht meine Mutterliebe nich’. Unverschämtheiten zu pflegen, so was gibt’s nich´in meiner Familie.“

Sie nahm eine Dose vom Wandbrett.

„Komm her Tess!“

Die Enkelin gehorchte. Wanda griff nach der Schürze der Kleinen und zog sie nach oben. Ungeduldig schüttete sie einen kleinen Haufen Salz hinein, schlug den Stoff zusammen und gab ihm dem Mädchen.

„Halt gut fest!“ Dann richtete sie sich wieder auf und sah ihrer Tochter fest in die Augen.

„Gib Lay einen guten Rat von mir. Er soll lieber seinen Verstand zusammenhalten und die Arbeit tun, die ihm liegt. Falls ihm überhaupt was liegt. Nach den Sternen greifen hat bisher noch niemandem geholfen. Wenn du das nächste Mal mit deiner Familie vor dem Bankrott stehst, hätte jeder das Recht deinen Mann einen Schwachkopf zu nennen.“

Claude verzog das Gesicht. Dann nahm sie das Stück Brot und schob ihre Tochter zur Tür hinaus.

„Danke.“

Ihre Worte waren nicht sehr herzlich. Damit verschwand sie. Wanda schüttelte den Kopf.

Sowas hatte man auf die Welt gebracht. Sie rieb sich die Finger am steifen Rock sauber und wandte sich wieder dem Gemüse zu.

 

 

 

 

Langsam ließ Calvin den Löffel sinken. Seine Schwester hatte vor einigen Minuten den Raum verlassen. Gegessen hatte sie kaum und die schwarzen Dellen unter ihren Augen verrieten den mangelnden Schlaf.

„Du siehst nicht gut aus.“ Hatte Calvin gesagt.

„Ich habe mich auch schon mal besser gefühlt. Das sind wahrlich keine Tage an denen man… ich weiß auch nicht.“

Calvin rieb sich die Schläfen. Ja, was für zehrende Tage. Jeden Moment erwartete er, dass seine Mutter den letzten Atem aushauchte. Er saß wie auf Kohlen. Konnte sich nicht konzentrieren. Er zurrte seinen Umhang auf. Diese Hitze! Wie konnte die sich in den alten Steinen nur derart festsetzen?

Calvin stand auf und ging zum Fenster. Staubige Luft schlug ihm entgegen. Er kniff die Augen zusammen und linste in die grelle Sonne. Im stickigen Dunst lag die Stadt vor ihm. Schmorend und platt, fast unecht. Jede Menge Gerüche krochen von dort die Burgmauer hinauf. Fast wäre das ein Grund, die Fensteröffnungen zu verrammeln.

Der junge Lord lehnte sich an den Pfosten und atmete tief durch. Sein Blick hing immer noch versonnen in der Landschaft. Weit hinten säumten sich die schwarzen Wälder von Beyloumoore wie ein dunkles Band. Satte grüne Wiesen waren der Gluthitze ausgeliefert. Überall Hügel, nichts als Hügel. Dicht bewaldet, schwarz und tief. Das einzige gute Rohmaterial das diese Grafschaft zu bieten hatte war Holz. Es war in Mengen vorhanden. Deshalb war Beyloumoore auch schon öfter mit dem Grenzland der Schotten im Klinsch gewesen.

Lord Owen hatte vor Jahren einen Angriff erfolgreich zurück geschlagen. Und schon waren Calvins Gedanken wieder bei den Eltern. Bei der Mutter, die Stunde um Stunde mehr aus dem Leben wich. Der einzige Halt in seinem Leben. Wie mochte es ohne die Ratschläge der klugen Frau weitergehen?

Calvin stöhnte müde. Eigentlich hatte er Lust ein wenig auszureiten, um Wind und anderen Gedanken zu begegnen. Aber er fürchtete, dass während seiner Abwesenheit der Unvermeidliche geschah und deshalb blieb er.

 

Der alte Mönch Marius hatte auch in seiner kleinen Abtei wegen der Hitze zu kämpfen. Die Kerzen im Kirchenschiff bogen sich schon bedenklich zu ihren Sockeln hinunter. Diese Wärme war für Jargen mehr als ungewöhnlich. Alle Türen standen offen und der Pater hielt sich meistens im Kreuzgang auf in dem, so bildete sich der gute Mann ein, der Wind ein wenig länger Rast machte.

Er kümmerte sich liebevoll um seine Rosen, denen die Hitze gar nicht bekam. Die normale Arbeit lag brach. Marius konnte sich nicht dazu aufraffen, zumal jeder kleine Schritt bei diesen Temperaturen schon zu viel war.

Früher hatte dieses kleine Kloster 15 fleißige Männer beherbergt. Doch in den vergangen Jahren waren diese teilweise hoch betagten Mönche heimgegangen. Hinauf zu den Himmlischen, um Platz für die Nächsten zu machen. Aber es gab keine Nächsten. Marius war der Letzte und Einzige.

So verwaltete er die kleine Kirche selbst, gab Gottesdienste, schruppte den Boden, wachte über die gut sortierte Bibliothek und schnitt die Rosen. Er grübelte sehr nachdenklich vor sich hin, während er die Schere ansetzte um neue Triebe freizuschneiden.

Diese sonderbaren Ereignisse in den letzten Jahren hier in Jargen füllten ihn mit Sorge. Die verpesteten Brunnen zum Beispiel , die so viele Menschen in der Umgebung dahingerafft hatten. Der Ermordung des Lords, während des Jagdausfluges. Und nun lag Lady Ronja todkrank in ihrem Bett.

Marius hatte sofort die Anzeichen einer Vergiftung bemerkt. Die kleinen Flecken auf der Haut waren Zeuge. Warum hatten die Ärzte das nicht gesehen? Der Geist wollte nicht, dass er seinen Verdacht kundtat. Warum? So betete der Mann Gottes tief und ernst.

All diese Ereignisse führten ihn noch weiter in die Vergangenheit. Zu einer Frau die von weit her kam. Sie war nicht mehr jung gewesen, hatte aber die hellsten Augen gehabt, die er je gesehen hatte. Wie lange war das schon her? Seine Gedanken streiften zärtlich die Erinnerung an ein kleines Kind. Ein kleines Mädchen mit feuerrotem Haar und einem wachen Verstand.

Nachdenklich drehte Marius einen Rosenkopf in der Hand. Ein tiefer, schmerzvoller Seufzer entrang seiner Kehle. Jahre waren seitdem vergangen. Viele Jahre. Der Mönch fegte die Gedanken beiseite. Sie taten weh. Und sie brachten auch nicht weiter.

Er rieb sich die Schweißtropfen von der Stirn und nahm das Buch zur Hand das auf den Steinen im Schatten lag. Die kleine graue Klosterkatze hatte sich auch ins Freie gewagt und strich ihm um die Beine. Marius nahm sie mitleidig auf den Arm. Sie konnte sich ihres Fells nicht entledigen. Paula schnurrte und sank in des Paters Schoß und verschwand dabei fast in den großen Falten seiner braunen Kutte. Lesen, das war eine Beschäftigung die bei dieser Hitze noch erträglich war.

Gerade wollte der belehrte Mann in seine Zeilen sinken, als ein Gepolter aus dem Kirchenschiff in den Kreuzgang hallte. Marius warf das Buch beiseite, raffte die Kutte und rannte in die Kirche.

Er dachte schon, dass irgendein schwerer Gegenstand wegen der Temperatur nachgegeben hatte. Aber dem war nicht so. Der Mönch zog die Augenbrauen erstaunt nach oben.

„Alica Jargen.“ Er lächelte. „Ein Besuch unter der Woche. Das sehe ich gern.“

„Spottet nicht! Wo gibt es hier Kerzen? Ich brauche eine Kerze, möglichst lang. Eine Kerze schnell!“ Die Frau war ganz außer Atem.

„Ist Lady Ronja …?“

„Nein! Sprecht es nicht aus!“ Sie sank dabei fast in die Knie. Ihr Kinn fiel bis auf die Brust. Sie atmete langsam ein. „Nein.“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern. „Nein, noch lebt sie. Bitte!“ Sie sah auf. „Ich brauche eine Kerze.“

„Euer Anliegen in Ehren, aber mit einer Kerze allein ist es nicht getan.“ Der Pater lange eine weiße, dünne Wachssäule hinter dem letzten Fenster hervor.

„Aber bei Gott ist doch die letzte Hoffnung oder nicht?“

„Und die Erste Alica, die Erste und Einzige.“

Er gab ihr die Kerze. Die junge Frau starrte auf den langen Stängel in der Hand.

Ihre Augen waren schwarz wie Kohle. Sie war so schön wie ihre Mutter. Man konnte ihr herrliches Haar nicht sehen, weil sie es züchtig unter dem langen Cape verborgen hatte. Aber allein ihr Gesicht war unvergleichlich, wenn auch ihr ganzer Blick starr war wie bei einer Wahnsinnigen.

„Sie wird sterben. Sie wird sicher sterben. Dabei war sie doch immer so gesund. Irgendwie muss es doch Hilfe geben.“

Marius wies mit dem Arm auf einen Metallständer, der mit Rosen geschmückt war.

„Dort könnt ihr Eure Kerze anbringen. Sprecht ein ehrliches Gebet! Jesus Christus kann jedes Eurer Worte hören.“

Alica war ganz still geworden. Sie näherte sich der großen, dicken Kerze neben dem Altar.

Marius zog sich taktvoll zurück und begann seinen Herrn um Lösungen und Hilfe anzuflehen. Selbst die stolze Alica war so verzweifelt, dass sie in die Kirche gestürmt kam.

„Bitte my Lady!“ flüsterte er. „Was ist vorgefallen, das Eure starke Mutter derart krank wurde? Dafür muss es doch einen Grund geben.“

In Alicas Gesicht zuckte es. Sie quetschte fast die Kerze zu Mus.

„Ja. Es ist wirklich etwas Außergewöhnliches passiert….

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Woche zuvor…

 

Gwendoline hob ihren Kopf. Ein seltsames Geräusch war bis zu ihren Ohren gedrungen. Sie lauschte angespannt. Es wiederholte sich nicht und sie beruhigte sich wieder.

Es war früh am Morgen. Die Sonne bahnte sich mühsam ihren Weg durch die Baumwipfel. Ein sanfter Wind rieselte durch die Blätter. Der Bach murmelte noch verschlafen zu Gwendolines Füßen und ein vorwitziger Specht hatte sein Tagewerk bereits gut hörbar angefangen.

Gwendoline gähnte. Sie hatte schlecht geschlafen. Die Nächte waren viel zu schwül, fast tropenartig in dem sumpfigen Gebiet und die Mücken hatten sich erschreckend vermehrt.

Sie rieb sich ärgerlich einen roten, stark juckenden Stich auf dem Unterarm. Quälgeister! Sie schlug sich die Haare zurück in den Nacken und stand auf. Gerade wollte sie durch den kleinen Fluss waten, als sich das ungewohnte Geräusch wieder vernehmen ließ. Ein kurzes, sehr hohes Singen. Ein Vogel konnte das nicht sein. Sie schloss kurz die Augen, um ihre hörbare Umgebung besser wahrnehmen zu können.

Da war es wieder! Kurz und hoch. Eine Pfeife? Menschen? Sie sah sich um. Es war lange her, dass sie hier gewesen war. In diesem Wald. Der Geruch, die Farbe des Bodens. Sie konnte sich so gut an all das erinnern. Sie hatte ein starkes Verlangen verspürt, wieder einmal hierher zu kommen.

Das Pfeifen kam näher. War heute Jagd? Sie versuchte die Entfernung zu schätzen. Aber schon war der Ton wieder verhallt und alles still. Bis auf den Specht, der immer noch emsig hämmerte. Gwendoline rutschte langsam mit den Füßen ins kalte Wasser. Wohin konnte sie laufen, um nur weit genug von ihnen wegzukommen?

„Mein Herr Jesus, dachte sie, wohin muss ich gehen, damit sie mich nicht entdecken?“

„Fliehe ins Dickicht! Du musst jetzt sehr schnell sein.“

„Was…was meinst du mein Herr?“

„Lauf!“

Sie blickte verdattert um sich.

Laufen? Wieso? Und wohin überhaupt? Sie ging unsicher einige Schritte rückwärts, noch tiefer ins Wasser.

„Lauf Gwendoline!“

Nun hörte sie es. Pferde, ganz nah. Zu nah. Das Pfeifen wie ein drohendes Gewitter in der Morgenluft.

„Lauf endlich!“

Jetzt gehorchten ihre Beine. Sie drehte sich um und rannte aus dem Wasser, die kleine Anhöhe hinauf. Sie stolperte ein paar Meter weiter über eine Baumwurzel, rappelte sich auf und hastete weiter. Sie konnte die schnellen Pferde spüren, die mit ihren harten Hufen über den Waldboden donnerten.

Gwendoline musste unweigerlich einen Blick nach hinten wagen. Der Morgen war so friedvoll gewesen. Ach, sie wollte doch den Abend auch noch erleben. Sie rannte und rannte. Kam sich vor wie ein Reh auf der Flucht.

Sie wusste, wenn man sie fing, würden sie ihr den Prozess machen. Gewinnen würde sie den wohl kaum. Ihre Lunge brannte, das Herz hämmerte. Sie folgte dem Fluss, wich den Steinen und Wurzeln aus, sprang über Brombeersträucher. Tiefhängende Äste schlugen ihr ins Gesicht. Dornen rissen ihr die Beine auf. Und die Meute hinter ihr war nicht abzuschütteln. Männerstimmen brüllten. Sie hatten Hunde dabei.

„Ich kann nicht mehr. Sie werden mich bald eingeholt haben. Herr Jesus! Ich kann nicht mehr.“

Tränen der Verzweiflung brannten in ihren Augen, der Atem ging rasselnd. Sie hatte starke Schmerzen in den Füßen.

„Jesus!“

Sie hörte lautes Fluchen hinter sich. Wie weit waren die den noch entfernt, wenn sie sie sehen konnten? Sie traute sich nicht zurück zu schauen.

„Wasser!“

Hämmerte es in ihren Gedanken.

„Wasser!“

Sie lief weiter gerade aus. Die Bäume vor ihr wurden weniger. Der Waldrand! Dort draußen würde sie ohne Deckung sein.

Doch dann fiel ihr gehetzter Blick auf den Fluss, neben dem sie her rannte und der inzwischen ein reißender Strom geworden war. Das Kläffen der Hunde kam noch näher.

Sie biss die Zähne zusammen, raffte all ihre letzten Kräfte auf und als sie schließlich den Wald verließ und hinaus in das grelle Sonnenlicht kam, sprang sie ohne nachzudenken in das wilde Wasser hinein.

Sofort packte sie der Strom mit unerbitterlicher Wucht und riss sie mit sich fort. Sie ging unter in der peitschenden, schäumenden Gischt. Der Druck presste ihren Brustkorb zusammen, quälte ihre schmerzende Lunge. Sie kämpfte wie wild um ihr Leben. Warf sich aus den Fluten an die rettende Luft, nur um wieder nach unten zu sinken.

Die Wellen warfen sich übereinander, sprudelten, tosten, als wollten sie sich gegenseitig übertrumpfen. Inmitten dieser Gewalten kam Gwendoline der Wasserfall in den Sinn. Sie strampelte wie wahnsinnig. Schluckte Wasser in ihrer Hast.

„Herr, ich ersticke.“

Die Strömung wurde schneller und schneller. Gwendoline sah nichts mehr. Alles rauschte. Ihre Arme und Beine wurden taub. Sie spürte nur noch, wie sie mehrere Male gegen große Steine schlug und rücksichtslos weitergespült wurde.

Dann entstand ein starker Sog. Alles zog sich zusammen, nahm ihren geschwächten Körper mit. Ein lautes Gurgeln entstand. Dann plötzlich schwebte sie. Einen Augenblick schien sie in der Luft zu hängen.

      Der kalte Wind umfing sie, während sie in freiem Fall, kopfüber hinunter stürzte. Es pfiff in ihren Ohren. Sie wollte schreien, dann klatschte sie erneut ins Wasser und die Wogen schlossen sich über ihr. Sie nahm alles nur noch in Trance war. Aber sie ruderte sich an die Oberfläche, warf ihren Kopf aus dem Nass und rang nach Sauerstoff.

Das Ufer war nicht weit. Ein langer Ast von einem alten Baum hing im Wasser und bog sich mit der Strömung. Gwendoline packte diesen und zog sich an das rettende Land.

Sie spürte nichts mehr, hörte ihren eigenen flachen Atem nicht.

Sie brach neben dem morschen Stamm zusammen.

 

 

 

 

Calvin warf ärgerlich die Armbrust in die Ecke und plumpste auf seinen Lieblingsstuhl. Er stöhnte müde und rieb sich die Schläfen.

„Das Schicksal meint es nicht gut mit mir. Hafe, sag mir doch, wie das sein kann!“

Der Hauptmann lehnte sich mit verschränkten Armen an einen robusten Holztisch. Er war genauso nervös wie sein Lord.

„Ich hab leider keine Erklärung.“ Brummte er. „Das ist wirklich ein Schock.“

Calvin rumpelte auf.

„Ach was du nicht sagst! Es sind Jahre vergangen. Eis, Frost und Schnee. Und nicht zu vergessen, die Ungastlichkeit des Moores. Mein Vater… “ Er wurde bleich und stockte. „Das kann doch nicht sein! Wie soll ich das Mama und Alica erklären?“

„Was ist mit mir?“

Die beiden Männer drehten den Kopf.

Sie war das Ebenbild ihrer Mutter. Das dichte Haar, war kunstvoll unter einem Netz drapiert. Das Kleid betonte gekonnt jede Einzelheit ihres schlanken Körpers. Sie trat näher und der Kerzenschein fiel auf ihr makelloses, junges Gesicht. Ihre Augen waren dunkel und geheimnisvoll.

Hafe neigte sich leicht.

„Beunruhigt Euch nicht werte Lady.“ Er nahm ihren Arm und wollte sie zur Tür drehen. „Das ist eine wichtige Besprechung.“

Die Dame wischte kühl seine Hand beiseite und ging an ihm vorbei, als wäre er Luft.

„Erzähl es mir! Du siehst so erschreckt aus.“ Sie setzte sich neben den Lord.

„So?“

„Ja. Dafür muss es doch einen Grund geben.“

„Ach der Grund.“ Schnaufte Calvin und stützte sich auf seine Knie. „Haben wir einen Grund?“

Diese Frage galt dem Hauptmann.

„Zumindest haben wir einen tosenden Wasserfall und die Hoffnung, dass er tödlich ist.“ Antwortete dieser.

Der Lord zog die Augenbrauen hoch.

„Was hat der Wasserfall mit eurer Jagd zu tun?“ fragte Alica.

„Das ist Nichts für Eure zarten Ohren.“ Hafe nahm einen Schluck aus dem Becher, den er sich eben eingeschenkt hatte.

„Darf ich das bitteschön selbst entscheiden!“

Hafe streckte die Arme von sich ohne zu antworten. Alica sah ihren Bruder an. Dieser verharrte immer noch in der gleichen Stellung und stierte vor sich hin.

      „Calvin?“ Hafe ging auf ihn zu.

Der Lord nickte ganz langsam.

„Schön. Wähle dir ein paar Männer und suche das untere Flussufer ab. Ich will ganz sicher sein.“

„Wird gemacht.“ Hafe versuchte zu lächeln. „Nun Kopf hoch mein Alter.“ Er neigte sich respektvoll. „Jetzt schau zu, das du deine Gedanken ordnest und dann geh regieren. Ich mache den Rest.“

Calvin brachte ein mattes Lächeln zustande.

„In Ordnung.“ Er stand auf.

Der Hauptmann rauschte aus dem Raum. Seine ungezwungene Art, das Leben leicht zu nehmen war manchmal ebenso nervig wie sie nun willkommen war. Calvin wünschte sich, er könnte einfach so sein wie er.

Seine Schwester hatte mit starrem Blick dem Gespräch gelauscht. Jetzt fand sie die Sprache wieder.

„Wovon um alles in der Welt spricht dieser wilde Mensch?“

Calvins zaghaftes Lächeln viel zusammen.

„Alica. Das ist jetzt nicht leicht. Aber es hat den Anschein, nein es ist sogar gewiss, dass wir heute Gwendoline gesehen haben.“

Die junge Frau riss die Augen auf und fasste sich unbewusst an die heftig schlagende Brust.

„Das meinst du doch jetzt nicht ernst?“

„Ich hab dich noch nie angelogen.“ Flüsterte Calvin und wandte sich von ihr ab.

„Sie lebt noch?“

Calvin vernahm die wachsende Wut in ihrer Stimme. Er konnte nur knurren als er Antwort gab.

„Ich werde diese Farce beenden. Verlass dich darauf!“

 

 

 

 

Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sich das Mädchen Steinsplitter und Unrat aus den breiten Wunden, die auf seinen Beinen prangten. Dabei weinte es große Tränen voller Schock und Angst.

Die Hände zitterten und waren blau und aufgeschürft. Zwei Fingernägel waren so abgebrochen, dass das rohe Fleisch zum Vorschein kam.

Der Wald war wieder sonderbar still, als sei nichts geschehen. Die Wipfel bewegten sich sanft und würdevoll. Hier und da knackte es. Vögel flogen auf. Es war alles ganz normal. Nur die kühle Luft prickelte unangenehm auf Gwendolines geplagter Haut.

Sie schlotterte unter ihrem nassen Kleid. Ihr war schlecht. Womit hatte sie nur solches Leid verdient? Ihre Waden sahen schlimm aus. Einige Hautfetzen standen ab, Blut sickerte auf den schlammigen Rand des Ufers.

Mit unsicheren Fingern entfernte sie dem größten Riss zwei kleinere Kiesel. Dabei hätte sie am liebsten laut aufgeschrien und ihre Tränen versiegten auch nicht, als sie sich ihren Armen zuwandte. Ihr Gesicht hatte wohl einiges abbekommen. Sie fühlte eine dicke Beule an der Stirn und ihr linkes Ohr tat wahnsinnig weh. Tausend Spechte hämmerten in ihren Schläfen.

Warum war sie nur von ihrer Ohnmacht erwacht? Gwendoline ließ mutlos ihre Hände in den schlickigen Matsch gleiten. Was hatte das nur für einen Sinn?

Alles hatte sie bisher ertragen. Alles. Demütigung, Einsamkeit, Hunger, Kälte. Sie würde auch den Tod ertragen. Ja, in diesem Moment, hoffte sie fast das er kam. Und vorhin hatte sie wie wild um ihr Leben gekämpft.

Der stechende Schmerz in ihren Gliedern nahm zu. Irgendwie schien sie gleich auseinander zu fallen. Ächzend rappelte sie sich auf. Sie bemerkte nicht, dass ihr blaues verschlissenes Kleid noch schlimmer aussah als vorhin. Es hing ihr ohnehin nur noch bis zu den Knien, aber jetzt fehlte fast der rechte Ärmel.

Das Mädchen schleppte sich die Böschung hinauf. Sein langes rotes Haar hing nass und klebrig an seinem Rücken. Einige Haarspitzen wickelten sich gemein um einige Wunden auf den Oberarmen. Gwendoline fühlte es nicht. Ihr ganzer Geist war wie betäubt. Das Blut tropfte von ihren Fingern. Auch das nahm sie nicht wahr.

Als sie wieder ganz hinauf geklettert war, torkelte sie auf die Schlucht zu. Sie wollte nur noch schlafen. Schlafen und vergessen. Einmal versagten ihre Beine und sie ging in die Knie. Irgendwie schaffte sie es wieder hoch und tappste weiter. Die mulchige Bodenerde pappte an ihren Füßen wie Schuhe. Gwendoline konnte sie nicht anheben und schlurchte wie ein Lahmer dahin.

Vor ihr breitete sich der Abgrund aus. Es war ein Spalt, mitten in der Landschaft der den Wald teilte. Gwendoline hatte sich an die Stelle geschleppt, die nur spärlich bewaldet war.

Man konnte den Horizont sehen, der diesig in der Ferne lag und Unerforschtes zu versprechen schien. Gwendoline schlich über die Steinplatten. Ihr Herz sank immer weiter. Ein unendlich schweres Gewicht lag auf ihren Schultern. Sie hob ihren linken Fuß näher an den Rand der Schlucht. Ihre Augen gingen zu den Wolken, hinauf die hastig vom Wind getrieben wurden.

Vögel taumelten in der Luft. Das Mädchen hatte keinen Blick für all das. In ihm war es taub. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Es hatte die Lichtung nahe der Stadt besucht. Nur aus diesem Grund, hatte es gewagt, sein Versteck zu verlassen.

Mit letzter Kraft ärgerte es sich über sich selbst. Das sentimentale Vorhaben hätte ihm fast das Leben gekostet und die Lichtung hatte nun wirklich nichts von einem ehrbaren Grab, um es wie ein Pilger aufzusuchen.

Gwendoline breitete die Arme aus. Sie konnte den harten Rand der Schlucht mit den Zehen spüren. Was wäre, wenn sie einfach fallen würde?

Einfach so.

„Gwendoline.“ Meldete sich Etwas ganz, ganz weit weg.

Sie stutze.

„Gwendoline,mein Mädchen.“

Noch nie, hatte sie diese Stimme so intensiv gehört.

„Gwendoline, mein Mädchen.“

Sie riss die Augen auf.

Wo war sie? Jetzt spürte sie wieder den kalten Wind, der über ihre Arme strich. Aber in dem Wind war jemand.

„Gwendoline, was machst du hier?“

Sie musste sich zwingen nachzudenken. Was tat sie? Sie konnte keine Antwort geben. Der Schmerz kam zurück. Die Erinnerungen. Krampfhaft versuchte sie alles zu verdrängen.

„Willst du nicht leben?“

Sie hörte ihren eigenen schweren Atem.

„Warum willst du wegwerfen, was ich dir gegeben habe?“

Sie versuchte sich zu konzentrieren.

„Warum willst du nicht leben?“

Der feine Wind war immer noch da.

„Leben? Wofür?“ kamen dumpf ihre Gedanken.

„Für mich.“

Jetzt war sie aufgerüttelt.

„Für dich? Aber ich kann nicht mehr.“

„Wenn du mir vertraust, werde ich Dinge für dich möglich machen, die du dir niemals erträumt hast.“

Sie sah wieder in den Himmel. Folgte mit dem Blick den fliehenden Wolken und schwarzen Vögeln.

„Sieh, was sie mir angetan haben! Du wirst doch nicht von mir erwarten, das Leben zu nennen.“

Zitternd hob sie die Hände empor. Im Abendlicht blubberte das Blut in roten Blasen aus den tiefen Rissen. Gwendolines Lunge schmerzte so, dass sie fast umfiel.

„Kannst du das nicht sehen?“

„Ja, ich sehe es.“ Seine Antwort war so tief, dass ihr ganzer Körper davon bebte. „So wie ich die Wunden meines Sohnes am Kreuz gesehen habe.“

       Gwendoline ließ die Arme sinken. Langsam hob sie die Augenlider und atmete ihre Spannung aus. Sie spürte Gottes Gegenwart fest und unmissverständlich überall um sich herum.

Sie sah die weite Schlucht vor sich, die mit dem Abendrot durchtränkt war. Wie goldener Staub, tanzten die letzten Sonnenstrahlen auf den Baumwipfeln. Die ganze Landschaft lag in einem violetten Dunst, geheimnisvoll und glitzernd.

Gwendoline brach in Tränen aus.

„Sag mir mein himmlischer Vater, ist das immer der Preis?“

Sie zitterte so heftig und weinte so sehr, dass sie sich gar nicht mehr beruhigen konnte. Gott strich über sein geliebtes, zerbrochenes Kind und brachte seine übernatürliche Ruhe in sie zurück.

„Ich habe dir das Leben geschenkt. Nimm es mir nicht weg. Ich werde dich auf wundersame Weise gebrauchen. Ich habe dich aus einem bestimmten Grund hierher geschickt. Du musstest gesehen werden.

Ich werde Calvin, Lord von Jagen zu Beyloumoore in deine Hände geben. Ich werde dir Türen öffnen. Lehre den Lord dich zu verstehen, damit er mich verstehen kann.

Liebe ihn, damit er mich lieben kann. Mein Herz ist mit dir, mein Mädchen. Deine Einsamkeit soll ein Ende haben und ich werde immer bei dir sein. Vergiss das niemals!“

 

 

 

 

Eine schreckliche Woche war vergangen. Die Mutter war erkrankt. Calvin wusste nicht, wo ihm der Kopf stand.

Auf der Burgmauer die nach Norden zeigte, hatte sich etwas Nachtkälte angesetzt. Von frischem Wind konnte man zwar nicht reden, aber die schwarzen Schatten schienen ein wenig Abkühlung zu verschaffen.

Zwei große Rottweiler schwänzelten neugierig schnüffelnd an den alten Steinen entlang. Sie entfernten sich aber nicht zu weit von ihrem Herrn, der die Ellenbogen auf eine Zinne gelehnt hatte und in langsamen Zügen seinen Trinkpott lehrte.

Heiße Milch mit viel Honig sollte die Nerven beruhigen und schläfrig machen. Und Schlaf war etwas, dass der Lord unbedingt brauchte.

Seit dem Jagdausflug und der unerwarteten rothaarigen Entdeckung, floh er regelrecht vor ihm. Als die Krankheit der Lady bekannt wurde, war Calvin fast chronisch wach. Auch diese Nacht, zeigte sich schon wieder entsetzlich weit vorgerückt ohne, dass die erhoffte Bettschwere einsetzte.

Calvin starrte in die tiefschwarze Gegend die sich vor ihm ausbreitete. Man konnte nicht sehr weit sehen. Der mit Wolken verhangene Himmel verhinderte bloß, dass die angestaute Hitze nach oben abziehen konnte.

Alle Türen in Calvins Schlafgemach standen offen. Aber die nächtlichen Besucher mehrten sich dadurch mit erschreckender Geschwindigkeit. Was sollte man nun erdulden? Mörderische Hitze die einem fast die Haut aufrollte? Oder nervende Biester, die einen durch ihren vibrierenden Sirenenton um den Schlaf brachten?

Calvin schlug ärgerlich nach einem schwirrenden Insekt in seiner Nähe. Auch die Hunde schnappten von Zeit zu Zeit danach. Der Lord umschloss seine Trinkschale mit beiden Händen und bog den Kopf tief in den Nacken. Er stand barfuß draußen und trug nur seine Nachtsachen. Selbst der dünne, weiße Stoff schien schon zu viel zu sein.

Die Rottweiler spitzten mit einem Mal die Ohren. Es kam jemand heran. Calvin richtete sich etwas auf.

„Rock! Stone!“ murmelte er befehlend.

Die Hunde gehorchten und tummelten sich zurück zu seinen Füßen. Eine dunkle Silhouette tauchte auf.

„Ah, mein Lord. Wie ich sehe, hattet Ihr denselben Gedanken wie ich.“

„Es gibt nur zwei Sachen an die ich denken kann.“ Gab der Angesprochene zu. „An Schlaf und an Kälte. Aber beides bleibt aus.“

„Und wenn der Winter kommt wird man sich wieder diese Wärme wünschen.“ Lachte die freundliche tiefe Stimme. „Oh, vergebt mir my Lord.“

Der Mann hatte bemerkt, dass Calvin nur im Nachthemd da stand. Dieser winkte mit der Hand.

„Lasst nur Sir Marvin. Gesellschaft ist mir lieb. Meine Hunde sind nicht sehr gesprächig.“

Sein Gegenüber grinste und trat aus dem Schatten.

Calvin musste nun auflachen. Der andere kam ebenfalls in Nachtkleidung und barfuß.

„Auch einen Schluck?“ fragte der Lord.

Er war amüsiert, als er das verstörte Gesicht bemerkte.

„Nein, nein. Nicht aus meiner Schale. Hier.“ Er hob den Krug neben sich hoch. „Ich habe genug.“

Er reichte die Karaffe hinüber. Sir Marvin griff dankend zu.

Er war neben Calvin der einzige Ritter und Edelmann am Hofe. Schon dem Vater Lord Owen war er eine Stütze gewesen. Er kannte Beyloumoore wie seine Westentasche. Kampferprobt zeigten sich seine kräftigen Arme und Schultern. Er war nur ein wenig größer als Calvin. Sein gepflegtes Äußeres, die dunklen wachen Augen und der braune gut geschnittene Bart mit vereinzelten grauen Strähnen, unterstrichen seine vornehme Herkunft und seine Gelehrsamkeit. Er war ein Mann, der für einen Rat immer zur Stelle war.

„Rock! Lass das!“ meinte Calvin als der Hund ungezogen an Sir Marvins Nachthemd zog.

Dieser tätschelte nur grinsend den Kopf des Tieres.

„Nicht so wild. Die würden sich auch wünschen, ihr Fell ablegen zu können.“ Calvin schüttelte schwitzend den leichten Stoff seines Gewandes.

„Puh!“ Machte er.

„So ein Ritt in den Wald könnte wohl Abkühlung verschaffen.“ Sagte der Ritter.

„Ja, aber ich will die Burg nicht verlassen, wenn es nicht unbedingt sein muss.“ Entgegnete der junge Mann.

„Ihr habt einen guten Grund dazu. Ich wollte euch nicht daran erinnern. Es tut mir leid.“

„Es geht mir sowieso nicht aus dem Kopf.“

Er nahm wieder einen tiefen Schluck Der Honig rieselte ihm schmeichelnd die Kehle hinunter. Das tat gut.

Marvin nippte auch an seinem Krug.

„Harte Zeiten.“

„Zeiten die stählen, würde Mutter sagen.“

„Sie bewies… beweist immer eine große Stärke. Das ist wohl das Bewundernswerteste an ihr.“

„Es wird eine Stärke sein die mir fehlt.“ Gab Calvin nach einer Pause zu.

      „Ihr habt sehr viel von ihr in Euch. Verliert nicht den Mut! Auch wenn es so eng aussieht.“

Calvin lächelte ein wenig. Er zog den Unfug treibenden Rock auf die andere Seite. Dann streckte er die Glieder.

„Ich werde es jetzt noch mal mit meinen Kissen versuchen.“ Er gähnte.

Sir Marvin leerte die Kanne in einem Zug.

„Ja. Gute Nacht mein Lord.“

Calvin hakte seine Zeigefinger in die Halsbänder seiner Rottweiler.

„Ihr bleibt noch?“

Der Ritter nickte.

„Na dann.“

 

 

 

 

Ein ganzes Tablett voller Speisen wurde in die Küche zurückgegeben. Keine einzige der verschiedenen Dinge war angerührt worden.

Die Mädchen rangen sich sofort gierig um die Teller und Wanda hatte Mühe, für sich ein paar gute Brocken abzubekommen. In den letzten Tagen, speiste das Gesinde besser als die Herrschaft.

Die Köchin ließ einige Hühnerschenkel in ihren privaten Töpfen verschwinden und krallte sich noch einen Schopf Weitrauben. Ihr und ihrem Magen war es recht, dass die hohen Leute kaum Lust zu Essen hatten. Sie fragte nicht. Das hatte sie in all den Jahren verlernt.

Aber man munkelte, dass die Lady krank war.

Nachdenklich betrachtete sie die Obstplatte. Dann legte sie die Weintrauben zurück. Sie würde sie ja doch nicht runter kriegen.

Vielleicht hatte die Herrin später Bedarf nach Vitaminen.

Schließlich verrichtete die alte Köchin ihre restliche Arbeit und ging dann nachhause. Mit scheppernden Töpfchen, bahnte sie sich humpelnd einen Weg durch das Gewirr.

Ihre Wohnung war nicht weit entfernt. Sie befand sich in einer Seitenstraße. Das Haus gegenüber konnte man mit fünf großen Schritten erreichen und wenn es stürmte, konnte es sein, dass einem die verfaulten Schindeln auf den Kopf fielen. Die vorspringenden Dächer zwischen der schmalen Häuserschlucht berührten sich fast und ließen nur einen schmalen Streifen blauen Himmels sehen.

      In der Nähe gab es einen Brunnen. Der Weg dorthin war sogar gepflastert.

Die Köchin schlurchte am Bäcker vorbei der soeben seine Auslage in die Backstube schaffte. Er machte ebenfalls Feierabend. Wanda grinste leicht. Heute musste sie mit ihm nicht um ein paar Brotkrumen feilschen.

Halsabschneider!

Sie klapperte weiter bis sie in die nächste Straße einbog.

Jeden Tag war es derselbe Anblick. Morsches Holz, blätternder Lehm an den alten Wänden, die sich bauchig und arg zugetan jedes Jahr mehr zueinander neigten. Bald würde man nicht mehr durch die Gasse passen, oder das Haus stürzte zusammen, weil es sich nicht mehr beherrschen konnte die Front des gegenüber liegenden Palastes zu küssen.

Wanda stieß die Türe auf. Ein schneller Blick zeigte ihr, dass sich Graig nicht zu Hause befand. Sie konnte sich ausmalen in welchen Zustand er wieder kommen würde. Wie um alles in der Welt finanzierte er sich nur seinen Alkohol?

Wanda stellte ihre Töpfe ab und machte Feuer.

Na schön.

Dann konnte sie wenigstens ihr Festmahl alleine genießen. Sie beeilte sich. Als der traute Gatte schließlich völlig blau angetorkelt kam, war die Küche sauber und Wanda satt.

 

 

 

 

Die Stille war erdrückend.

Calvin warf die Schreibfeder von sich. Er gähnte ausgiebig, streckte die Arme von sich und lehnte sich müde gegen die Lehne seines breiten Holzstuhles.

Eigentlich war es seine Absicht gewesen, heute einmal zeitig schlafen zu gehen. Es war mal wieder nichts draus geworden. Seufzend zog er sich die Stiefel von den Füßen.

Den ganzen Tag waren seine armen Zehen in diesem Leder eingesperrt. Sie schmerzten genauso wie der Rest seines Körpers. Er war fertig. Was mochte heute noch kommen? Hoffentlich nichts weiter, als ein kühles Bad und weiche Kissen. Calvin griff nach seinem Umhang. Umlegen brauchte er ihn zu dieser späten Stunde nicht mehr.

Es klopfte. Der müde Lord bemerkte es erst nach dem dritten Klopfzeichen.

Mr. Garven trat ein. Ein Mann mittleren Alters, etwas untersetzt, bereits grau an den Schläfen. Er führte den Finanzhaushalt am Hofe. Doch seine Anwesenheit zu dieser Zeit war ungewöhnlich.

„Sire.“ Er verbeugte sich leicht und trat näher.

Calvin nickte ein wenig irritiert und winkte schläfrig mit der Hand.

„Es tut mir leid Sire. Ich …ähm… bekam Kopfschmerzen heute Nacht und wollte den Medicus noch sehen, nachdem er mit der Visite bei der Lady fertig ist.“

Calvin blinzelte auf. Sein Herz schlug mit einem Mal schneller. Er hielt die Luft an.

Garven sah ihm direkt ins Gesicht.

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“ Meinte er langsam.

Calvin sackte in sich zusammen.

„So war das ihr letzter Abend auf Erden?“ Der Lord stützte den Kopf auf seine Hand.

Er versuchte ruhig zu atmen. Das war alles, an was er in diesem Augenblick denken konnte. Atmen, ganz ruhig! Der immer gefürchtete Schmerz trat nicht ein.

Nur eine dumpfe und furchtbare Leere.

„Ihr habt mein aufrichtiges Beileid mein Lord.“

Calvin hob den Kopf. Irgendwie hatte er die Kraft aufzustehen.

„Danke.“ Seine Stimme klang gepresst. „Setzt die Fahnen auf Halbmast. Last die Trompeter auf der Ostmauer blasen.“

Der Lord entließ seinen Getreuen.

Kaum war dieser gegangen und außer Reichweite, setzte der junge Mann wie wild aus dem Raum und rannte in den Familientrakt.

Eine Arztgehilfin sah ihn und sank auf den Boden.

„Friede euch Herr!“ flüsterte sie.

Calvin nickte schwer und lehnte sich keuchend gegen die Wand. Er hatte die Türe erreicht. Die Schwäche kam zurück. Er konnte sie nicht öffnen.

Die Assistentin half. Sie drückte die Klinke und wartete bis der Lord ins Zimmer ging. Der Medicus bemerkte den Eintretenden und zog sich vom Bett zurück.

Da lag sie.

Still, bleich und unansprechbar.

Calvin kniete neben ihr nieder. Die Hände waren kalt. Und das Schmerzlichste, die Finger schlossen sich nicht um seine. Das Warten hatte ein Ende. War das etwas Gutes? Gewissheit zu haben und nun neue Schritte einleiten zu können?

Calvin schüttelte über seine Gedanken den Kopf. Seine Mutter war gestorben!

Er hörte leise die Stimme des Arztes.

„Ich werde noch eine Weile hier sein mein Lord. Wenn Ihr einen Schlaftrunk brauchen solltet, dann sendet nach mir.“

„Ich denke…vielleicht für Alica.“ antwortete Calvin gedrückt. Er stand auf und gab dem Mädchen des Arztes ein Zeichen. „Geh zu meiner Schwester. Sie soll aufstehen. Sie soll herkommen.“

Als er allein war, trat er ans Fenster. Seine Mutter hatte stets das Zimmer mit dem großen Erker bewohnt. Dieser hatte, im Gegensatz zu anderen Räumen, eine breite Fensterfront mit Glasflügeln aus runden, grünen Scheiben, die man öffnen konnte.

Calvin riss die Fenster auf. Wenn es nach ihm gegangen wäre, er hätte am liebsten geradewegs die Mauer hinunter gekotzt. Aber er hatte gelernt, sich zu beherrschen.

Als er Schritte hörte, drehte er sich um und sah die Schwester mit vielen Falten auf der Stirn. Der Blick in ihren Augen hätte ihn fast auf den Steinboden nieder gezogen. Er fasste nach der Fensterbank.

„Ist es so spät?“ Ihre Stimme klang beinah wie die eines Kindes.

„Ja, viel zu spät.“

Langsam ging die neue Lady von Jargen an das Bett. Sie traute sich nicht die Hand der Mutter zu nehmen. Aber sie strich zärtlich über das Laken.

„Gegangen.“ Sie raffte das Kinn.

Ihre Augen wurden noch dunkler, als sie es schon waren.

„Keine Tränen Alica?“

Sie nickte.

„Keine Tränen! So wie Mutter immer sagte.“ Sie sah ihren Bruder an. „Wirst du mit mir trinken Calvin?“

Er versuchte zu lächeln und nahm ihren dargebotenen Arm.

„Ich werde nicht hysterisch werden und Mutter beleidigen. Aber über einen Toast würde sie sich freuen. Das weiß ich.“

Die Geschwister schritten auf den Gang hinaus.

 

 

 

 

„Er hat mir eine runter gehauen! Kannst du dir das vorstellen? Schlug mich ins Gesicht. Vor den Kindern. Macht lauter Scheiß und ich muss es büssen. Alter Schweinekerl! Tess fing das Weinen an. Ich wusste ja nich’ wie ich’s erklären sollte.“ Claude fuhr sich zitternd über das graue Gesicht.

„Wo is sie jetzt?“ fragte Wanda.

„Bei Larica. Konnte sie nich’ mit zu dir bringen.“ Die junge Frau schob das Kleinkind von ihrem Schoß auf die Sitzbank. „Hab doch nur gesagt das’ so nich’ weitergeht.“

„Wirklich nur das?“

Wanda besserte ein Kleidungsstück aus und stach sich dabei hundertmal in den Finger, weil ihre Augen schon so schlecht waren.

„Hab ihm gesagt, dass er Familie hat. Dafür muss er sorgen. N’ Lump ist er. Ist wieder kein Brot im Haus. Die Stelle beim Schlachter wollt er nich’. Sagt er braucht nich’ in blutigen Innereien zu wühlen. Ja muss ich nun arbeiten gehen, mit dem Kleenen?“ Sie nickte leicht zu ihrem Sohn. „Larica hat´s gut. Jeden Tag gibt’s Suppe und Sonntag sogar manchmal Fleisch.“

„Obwohl sie einen Schwachkopf zum Mann hat?“ lauerte Wanda.

„Wenn ich meinen Alten jetzt einen Schwachkopf nenne wird’s auch nich’ besser.“ Schniefte Claude. „Hast ja recht gehabt. Aber meine Kinder.“ Sie heulte los. „Was mach ich mit meinen Kindern?“

Der Junge neben ihr starrte sie entsetzt an. Daraufhin versuchte Claude sich wieder etwas zusammen zu nehmen. Wanda seufzte. Sie legte ihr Nähzeug beiseite.

„Will, komm her!“ rief sie zu ihrem Enkel.

Das Kind wackelte auf die Oma zu.

„Lass ihn heute Abend hier!“ Wanda nahm den Jungen auf den Arm. „Rede mit Lay in Ruhe und hol ihn Morgen ab.“

Claude wischte sich die Tränen ab.

„Das Elend! Ich hab‘s satt. Kreuzdunnernochmal!“

„Hör auf gegen den Herrn Gott zu fluchen! Bringt Unglück!“ schimpfte Wanda.

„Kann‘s noch dicker kommen?“ motzte die Tochter und ordnete ihre Haare. Wanda hob energisch den Zeigefinger.

„Schau an was mir blieb! Dein Vater kann seine Kralle nich’ mehr gebrauchen. Meine Knochen poltern mir im Leib durcheinander und trotzdem muss ich arbeiten. Jeden Tag schleppe ich mich den Burgberg hinauf und bin froh, dass ich es noch schaffe. Geht das eines Tages nich’ mehr, dann weiß ich nich’ was werden soll. Nur gut, dass Larica gesagt hat sie will uns Alte bald zu sich nehmen.“

Sie streichelte das Kind auf ihrem Schoß, damit es nicht durch ihre heftigen Worte erschrak.

„Claude! Such dir etwas! Ich kann dich nicht durchbringen. Wie oft hab ich dir das schon gesagt?“

„Ich hab halt gedacht, wenn die Kinder älter sind. Aber es reicht anscheinend nich’“ sie putzte sich die Nase und schob ihre blonden Haare unter die Haube.

„Is sowieso trostlos in letzter Zeit. Jetzt wo die Lady nich’ mehr is.“

„Ja, ja.“ Wanda sah auf den schläfrigen Buben hinunter.

„Hab gewusst, dass sie stirbt. Nur so plötzlich? Da fallen nun viele Feste aus.“ Meinte Claude. „Ist ja nur schön zu wissen, dass andere Leute auch kein Glück haben.“

Sie stand auf.

„Und was esse ich heute Abend?“

Wanda sagte kein Wort.

Sie brachte das Kind in die Schlafkammer. Dann nahm sie einen Brotlaib, zwei Äpfel und zog die Tochter an der Schürze näher. Routiniert schüttete sie einen kleinen Salzhaufen hinein und schob alles in Claudes Arme und anschließend sie selbst zur Tür hinaus.

 

 

 

 

Der Lord trat in den Hof direkt in das trügerische Sonnenlicht des hellen Tages. Sein Gesicht war so weiß, dass er in der dunklen Kleidung wie ein Toter aussah. Würdevoll und so gefasst wie möglich, schlang er seinen weiten Umhang in großen Falten um sich herum und überquerte den Platz.

Links und rechts standen die Leibwachen mit erhobenen Fackeln. Calvin hatte sich schnell um die Beerdigung der Mutter gekümmert.

Zu ihren Lebzeiten, als sie noch im Tiefschlaf lag, war es dem jungen Sohn zuwider gewesen die Familiengruft freilegen zu lassen. Aber nun war es ja unvermeidbar geblieben.

Ein Knappe wartete bei Calvins Pferd. Dieser ging langsam und gewichtig darauf zu. An seiner Hand führte er die Schwester. Sie trug ebenfalls schwarz. Ihre Augen glühten, das restliche Gesicht wirkte wie versteinert. Doch niemand konnte das sehen, weil sie einen langen Schleier trug. Wie eine Puppe ging sie artig an Calvins Hand. Auch ihr Pferd stand bereit.

Die Getreuen waren anwesend und neigten respektvoll den Kopf als das Geschwisterpaar vorüber kam.

Der Knappe half Alica in den Sattel. Calvin schwang sich natürlich selbst auf. Seine grauen Augen fixierten die Trage, auf der Ronjas Leichnam lag. Ein riesiges Bündel weißer Lilien thronte überschwänglich am Fußende. An Calvins Brust hing ebenfalls eine solche Blume. Sie schien das einzig Lebendige an ihm zu sein.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Tote wurde voran getragen. Dann folgten die Kinder von Ronja Jargen. Anschließend trabte Marius auf seinem grauen Hengst.

Es war ein langer Trupp. Sämtliche Getreue, Verwalter und Beamte schlossen sich an. Master Hafe führte die Ehrendgarde. Sonst war es ruhig. Calvin erlebte alles wie im Traum.

Der Weg zur Familiengruft schien unendlich und doch traf der Zug dort irgendwann ein. Einzig der Lord und Alica mit dem Pater und den Trägern traten hinunter. Die Flöten trällerten eine andere Melodie.

Calvin hatte nicht vor, stumpfsinnige Worte zu verlieren. Jeder in Jargen wusste, wer seine Mutter war.

Ein letzter Blick auf die Verstorbene war auch nicht vorgesehen. Denn die einst so schöne Frau, sah in ihrem Tod nicht mehr blühend aus. Die lila Flecken auf ihrer Haut waren fast Handteller groß und ihre Lippen aufgedunsen.

Calvin dachte nur mit Schrecken daran. Deshalb legte er nur die Hand auf die weißen Tücher. Im Innern sprach der die letzten Worte zu der Frau, die ihm so viel bedeutet hatte. Zärtlich nahm er die Lilie von seinem Hemd und steckte sie in Kopfhöhe auf die Bahre. Seine grauen Augen begannen zu schimmern. Aber er durfte nicht weinen. Deshalb neigte er den Kopf und drückte einen langen Kuss auf die bedeckte Stirn. Damit trat er zurück und ließ seine Schwester heran.

Sie kniete sich neben den Leichnam und presste beide Hände gegen das Holz auf dem er lag. Ihre Stirn sank gegen das Steinpodest, auf dem die Trage stand. Niemand konnte sehen, wie sich ihre Lippen bewegten und niemand konnte hören was sie flüsterten:

„Leb wohl Mummy.“

Der Pater musste ihr danach auf die Füße helfen. Die starke Fassade der Lady begann zu bröckeln. Sie klammerte sich hilflos an den alten Mann.

„Es ist keine Sünde wenn Ihr weint. Man muss sich seiner Tränen nicht schämen.“ Raunte dieser ihr milde ins Ohr.

Alicas Kopf ruckte nach oben.

„Keine Tränen!“ sagte sie fest.

Aber als sie die Gruft verließ, hing sie immer noch wie ein kranker Fisch an Marius Arm.

Calvin hatte niemanden der ihn stützte. Er war froh, dass er wieder sein Pferd erreichen konnte und dort Halt fand der niemanden auffiel. Er saß auf und wickelte den Umhang fest um sich.

Er fühlte sich verwundbar und furchtbar klein.

Wie damals als er ein kleiner Junge war und den Vater zu Grabe getragen hatte.

 

 

 

 

Larica öffnete ihrer Schwester. Es war noch recht früh am Morgen. Auch Lay stand hinter seiner Frau und sah nicht ganz ausgeschlafen aus. Larica führte sie wortlos in das Haus.

Ihr ältester Sohn hüpfte mit hinein. Zwei kleine Mädchen und vier Jungen tummelten sich in der Küche. Den zwei Besuchern wurde ein Platz am Holztisch angeboten.

Sofort krabbelten ein paar Kinder auf Claudes Schoß.

„Weg!“ brüllte der größte Junge. „Ich darf auf Tante Claudes Knie sitzen.“

„Aber John!“ ermahnte ihn die Mutter. „So lass sie doch zufrieden.“