Wasserfeuer - Melisande Arven - E-Book
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Melisande Arven

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Beschreibung

Wir brauchen das Wasser. Es ist für uns genauso wichtig wie Luft. Deshalb wohnen wir stets an den Ufern des Ux in Pfahlhäusern und auf Flösen, Leben vom Fischfang oder vom Perlentauchen. Wir sind die Bnaur-Dux - Menschen, die Wasser atmen. Im Grunde ist diese Bezeichnung nicht ganz richtig, denn wir können genausowenig Wasser atmen wie andere Leute. Irgendwas in unserem Blut und unseren Fettzellen in der Haut ist anders, um Sauerstoff zu speichern. Bisher konnte mir das nie jemand richtig erklären. Jedenfalls erleiden wir höchst selten Erstickungsanfälle oder laufen Gefahr zu ertrinken. Aber wir sind nicht unverwundbar in den Tiefen des Flusses. Das Wasser kann uns töten wenn wir nicht achtgeben. Es gibt jedoch welche unter uns, die noch viel mehr können. Sie verfügen über eine seltene Gabe. Niemand spricht davon, höchstens nur mit einem Flüstern. Es ist wie ein großes Geheimnis. Wir nennen diejenigen, die damit gesegnet sind Ztaa Samro - Feuerschwimmer. Nur die Männer unter uns erben diese Kraft. Nie hat es eine weiblichen Bnaur gegeben, die Wasser zum singen brachte. Aber bei mir geschieht es. Und ich bin kein Mann! Mein Name ist Noeg. Ich wurde nach der rosafarbenen Blüte des Wasserklees benannt, der in endlosen Feldern nahe den Ufern auf der Oberfläche des Ux wächst und mit jeder Welle auf und nieder wippt. Ich bin eine Perlentaucherin. Ich wollte nie etwas anderes sein. Aber es hat sich alles geändert. Dies ist meine Geschichte.

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Wasserfeuer

Für Anna,

die meine Liebe zum Lesen und Schreiben teilt

Lieber Leser,

Ich wünsche Dir viel Spaß mit dem Buch.

Gerne kannst Du mich auch auf meiner Webseite besuchen:

www.melisande-arven.de,

Herausgeber FoxArt Verlag

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog

Wir brauchen das Wasser. Es ist für uns genauso wichtig wie Luft. Deshalb wohnen wir stets an den Ufern des Ux in Pfahlhäusern und auf Flößen, leben vom Fischfang oder vom Perlentauchen. Wir sind die Bnaur-Dux - Menschen, die Wasser atmen. Im Grunde ist diese Bezeichnung nicht ganz richtig, denn wir können genauso wenig Wasser atmen wie andere Leute. Irgendwas in unserem Blut und unseren Fettzellen in der Haut ist anders, um Sauerstoff zu speichern. Bisher konnte mir das nie jemand richtig erklären. Jedenfalls erleiden wir höchst selten Erstickungsanfälle oder laufen Gefahr zu ertrinken.

Aber wir sind nicht unverwundbar in den Tiefen des Flusses. Das Wasser kann uns töten, wenn wir nicht achtgeben.

Es gibt jedoch welche unter uns, die noch viel mehr können. Sie verfügen über eine seltene Gabe. Niemand spricht davon, höchstens nur mit einem Flüstern. Es ist wie ein großes Geheimnis. Wir nennen diejenigen, die damit gesegnet, sind Ztaa-Samro - Feuerschwimmer. Nur die Männer unter uns erben diese Kraft. Nie hat es eine weibliche Bnaur gegeben, die Wasser zum Singen brachte.

Aber bei mir geschieht es. Und ich bin kein Mann!

Mein Name ist Noeg. Ich wurde nach der rosafarbenen Blüte des Wasserklees benannt, der in endlosen Feldern nahe den Ufern auf der Oberfläche des Ux wächst und mit jeder Welle auf und nieder wippt. Ich bin eine Perlentaucherin. Ich wollte nie etwas anderes sein. Aber es hat sich alles geändert.

Dies ist meine Geschichte.

Erklärungsleitfaden für Begriffe aus der Kultur des Flusslandes:

 

Anrede:

 

-Asa                  

höfliche Anrede für eine unverheiratete Frau

-Asu                  

höfliche Anrede für eine verheiratete Frau

-Us                  

höfliche Anrede für einen unverheirateten Mann

-Usu                  

höfliche Anrede für einen verheirateten Mann

-Sui                  

Anrede für die eigene Ehefrau

-Sun                  

Anrede für den eigenen Ehemann

 

 

Städte:

 

Guún                  

Bnaur-Dux-Siedlung an der siebten Flussbiegung

Ghem                  

Hauptstadt des Flusslandes, die Stadt aus grünem Stein

Chát                  

Bnaur-Dux-Siedlung an der zweiten Flussbiegung

Ssezo                  

Bnaur-Dux-Siedlung an der vierten Flussbiegung

Úmsch                  

Hafenstadt am Meer

Redné                  

Kleinstadt nahe dem weißen Kloster

 

Tierwelt:

Xamees

ringförmig wachsende silberweiße Muscheln

Burflossen

dunkelgraue Speisefische, die in riesigen Schwärmen zu finden sind

Súks

kleine gefräßige Vögel mit gelbem Gefieder und blauem Schnabel

Muid

schwarzer Skorpion mit tödlichem Gift

Okemaj-Hai

blauschwarzer Hai, der bis zu fünf Meter lang wird

Nadgrundeln

Pflanzenwelt:

Zaka, die Lebenpflanze

hellgrünes farnartiges Gewächs

Banbaum

knorriger, kleiner Baum, der rote süße Beeren trägt

Tikkú

Sonstige Begrifflichkeiten:

Sal

die Währungseinheit im Flussland

Sonnenwechsel

ein Sonnenwechsel entspricht einem Tag

Luúm

die alte Sprache der Gelehrten und Geistlichen

Der Ausspruch‚ Großer Donner!‘

Kapitel 1

Der Strand glitzerte strahlend weiß in der Sonne, dass er in den Augen stach. Ungehindert dessen saß der alte Toog inmitten der weißen Sandbank und formte mit einem Stöckchen eine seiner berühmten Skulpturen. Er brauchte mehrere Stunden dafür und am Morgen würde sie wieder zerstört sein.

Hinter ihm türmten sich Dünen wie eine Barriere zwischen dem angrenzenden Wald und dem Wasser. Wenn der Wind flusswärts wehte, brachte er einen Geruch von Nadelholz mit sich.

Rechter Hand stieß ein breiter Felsvorsprung in die Fluten des Ux, jenem unendlich langen, friedlichem Strom, der seit Jahrhunderten das Land durchschnitt. Auf der schön gemaserten Steinnase ruhte die kleine Stadt Guún, bestehend aus einstöckigen Häusern und unzähligen Brücken, Stegen und Pfahlbauten, die sich in die Landschaft schmiegten und den Fluss mit dem Festland verbanden.

Flöße und Gondeln tanzten auf den sanften Wellen und ihre bunten Zierwimpel winkten wie emsige Ärmchen in der schillernden Luft.

Die Hitze glitt allmählich vorüber und Toog wischte sich mit seiner Mütze über die Stirn. Im gleißenden Licht modellierte er sorgfältig die Mundpartie eines Frauengesichts. Es war ein anmutiges Geschöpf, welches der blinde Alte heute geschaffen hatte. Eine grazile Gestalt, die seitlich kniend am Strand saß und gen Wasser blickte. Die eine Hand auf den weißen Sand gestützt, die andere im Schoß ruhend. Langes welliges Haar fiel dem Kunstwerk üppig über die Schultern bis hin zu den Hüften und das akkurat geführte Stöckchen bescherte der jungen Frau ein verstecktes, nachdenkliches Lächeln.

Súks, kleine gelbe Vögel mit blauen Schnäbeln stürzten mit aufgeregtem Schnattern aus dem Himmel ans Ufer. Ein deutliches Zeichen, dass Fisch- oder Muschelfleisch nicht fern war. Toog hörte wie Schritte durch die glucksenden Wellen wateten, Wasser aus vollgesogener Kleidung plätscherte und noch mehr Súks über den Muschelkalk hopsten.

Ein Mädchen war aus dem Ux aufgetaucht und bahnte sich unbeeindruckt der flatternden Vögel seinen Weg zum Strand und dem Korb, der neben dem Handtuch und den Schuhen stand. Die hübsche Rothaarige zog im Gehen zwei volle Beutel von den Schultern und schürzte die Augen, als sie den Alten bemerkte.

„Toog-Usu, soll ich das etwa sein?“

„Jetzt sag mir nicht, dass ich dich nicht gut getroffen habe!“, brummte der kleine Mann und sein Bart zog sich durch ein breites Grinsen auseinander.

Das Mädchen legte seine Last in den Korb, schloss den Deckel um die Beute vor den frechen Súks zu schützen und kam näher, während es sich die Haare mit dem Handtuch trocknete.

„Warum hast dich heute für mich entschieden?“, fragte es.

„Ach weißt du, ich habe dich schon lange nicht mehr modelliert. Als ich dich heute Morgen getroffen habe, war mir danach.“

Sein nasses Gegenüber beugte sich zu der Sandfigur und studierte eingehend das entstehende Gesicht.

„Es ist interessant, wie andere Leute einen sehen.“

„Meine Hände müssen seit Jahren für mich sehen, Noeg-Asa. Und diese Hände lügen nicht.“

Noeg lachte und warf sich die Haare in den Nacken, die in der grellen Sonne in einem satten orange-rot leuchteten.

Alle Bnaur-Dux waren braungebrannt vom ständigen Leben im Freien und so zeigte sich auch Noegs Haut in einem prächtigen dunklen Farbton. Auf Armen und Beinen spannten sich trainierte Muskeln vom vielen Schwimmen.

Sie trug nur die leichte cremeweiße Tunika, die der traditionellen Alltagskleidung als Untergewand diente. Sie wurde aus Amsifasern gewebt, war strapazierfähig und doch anschmiegsam. Für die Frauen war sie wie ein trägerloser Schlauch gefertigt, der am Oberkörper sehr fest saß, um die Brust zu stützen. Er wurde erst ab der Hüfte weiter und endete in einem knielangen glockigen Rock. Oberhalb der Brust war eine ovale Öse eingearbeitet, durch welche das Nackenband gezogen wurde, um die Tunika am Rutschen zu hindern. Die Bänder waren bemalt oder aufwendig bestickt.

Noeg tupfte mit dem Handtuch über den Stoff. An ihren Armen klimperte Schmuck aus Xamee-Muscheln. Sie waren tief auf dem Grund des Ux zu finden, schimmerten silberweiß und waren wegen ihrer schönen Form sehr begehrt. Sie wuchsen kreisrund mit wellenförmigen Erhebungen, waren extrem hart und ließen sich gut verarbeiten.

Noegs linke Hand wies die Bnaur-Dux üblichen Tätowierungen der Lebensringe auf. Ab der Vollendung des achten Jahres erhielt man zum Geburtstag je einen weiteren Ring. Angefangen über dem Fingernagel am Zeigefinger, schließlich über die Hand, das Handgelenk, den Arm. Noegs dunkelblaue Ringe reichten bis zur Hälfte ihres Handrückens. Zwölf an der Zahl. Sie wurden mit einer feinen Nadel und dem Sud der Víig-Alge eingestochen. Der Vorgang ging schnell und die Haut wurde betäubt. Trotzdem mutete man den Kindern unter acht diese Prozedur nicht zu.

Der linke Arm zählte als Verlängerung des Herzens und die Ringe wanderten ihm symbolisch entgegen.

Noeg war groß gewachsen wie alle Bnaur-Dux. Ihre hellblauen Augen stachen in ihrem braunen Gesicht hervor wie zwei Fenster zum Himmel. Auf der linken Wange hatte sie eine kleine Narbe, die ihrer feinen Mimik aber keinen Abbruch tat. Wenn sie morgens Zeit hatte, schminkte sie sich mit dem vielseitig verwendeten und geschätzten Víig-Sud, indem sie eine dünne Linie über dem Wimpernkranz bis zur Schläfe zog.

Die Bnaur-Dux verehrten Blau. Weil die Farbe für Gesundheit stand, fand sie sich in vielen Facetten des alltäglichen Lebens wieder.

„Hast du eine blaue Perle gefunden?“, fragte Toog.

„Leider nein! Erfolgreich war ich trotzdem. Ich bin heute bis zum Guganu-Graben gekommen. Meine Taschen sind so voll, dass ich Schwierigkeiten hatte aufzutauchen.“ Noeg kicherte und rieb sich die Beine mit Sand trocken.

„Da wird Teiw aber froh sein.“, bemerkte Toog.

„Und Papa. Morgen ist Floßmarkt. Wir müssen noch einige Eimer an Xamees verkaufen, um die Hochzeit zu bezahlen.“

„Heiraten ist teuer.“

„Und Teiw ein einziges Nervenbündel. Ich würde dasselbe über Mama sagen, wenn ich mich trauen würde.“ Noeg klopfte die Waden sauber und stand auf. „Vielleicht komme ich wieder und schaue mir dein fertiges Werk an.“

„Wenn du es tust, bring was zu trinken mit!“ Toog deutete an seine Kehle, was ein Zeichen für den Wunsch nach Schnaps war. An seinem Arm ringelten sich die blauen Linien fast bis zur Schulter hinauf. Toog war einer der ältesten Menschen in Guún.

Noeg warf sich das Schaltuch um die Schultern, überkreuzte die langen Enden und klemmte sie mit einem Ledergürtel um die Taille fest. Dann packte sie beherzt den schweren Korb und stapfte die Anhöhe hinauf in Richtung Stadt. Obwohl die Hitze endlich nachließ und die Sonne sank, war es bis zum Abendläuten, welches die Nachtruhe einleitete, noch ein wenig hin. In den schaukelnden Gondeln im Hafen saßen bereits die Fischer, um sich für den Fang vorzubereiten. Noeg schwang sich zur Hängebrücke hinauf und balancierte zum Tor.

Aus vielen Häusern stieg Rauch auf und hier und da roch es verführerisch. Die Frauen kochten das Essen für ihre Männer, welche die kommenden Stunden auf dem Ux verbringen würden.

Noeg hopste in eine Gasse und umrundete spielende Kinder die bunte Steine auf dem Boden schusserten. Ihre Finger waren ganz grün. Es regnete selten an der siebten Flussbiegung in der Guún angesiedelt war. Die hellgrünen Pollen der Reún-Staude lagen praktisch überall und flogen in kleinen Wolken auf, wenn man sie berührte oder Wind wehte.

Noeg hatte ihr Haus erreicht. Das Flachdach wurde von einer riesigen Zeder überschattet, deren Äste bei Sturm lautstark dagegen trommelten. Noeg hievte ihre Last die kleinen Stufen zur Veranda hinauf und wunderte sich, dass Opi nicht in der Hängematte lag. Dafür waren vier verschlungene Beine hinter den Pflanzenkübeln zu entdecken und die junge Frau stellte ihre Ausbeute mit gewisser Lautstärke auf den Holzpanelen ab.

„Zel! Lass meine Schwester atmen und hilf mir!“

Nach zwei, drei Herzschlägen lugte ein blonder Kopf hinter den roten Blüten hervor.

„Ich werde mich nie an deine Fähigkeit gewöhnen aus dem Nichts aufzutauchen.“, brummte es herüber. Der Mann wollte aufstehen, aber eine Hand presste sich auf seine Schulter. Noegs Schwester stützte sich ruckartig daran hoch, sodass Zel zurück auf den Boden plumpste.

„Noeg! Hast du eine blaue Perle gefunden?“

„Leider nein!“ Noeg zog die Schuhe aus.

Das andere Mädchen brachte seine Haarpracht in Ordnung und sah auf den Korb.

„Du hättest mich mitnehmen sollen! Ich habe morgens nach dir gefragt, aber Omi sagte du seist schon längst fort. Warum hast du nicht auf mich gewartet?“

„Weil ich dich nicht wecken wollte. Wenn du noch weniger schläfst, werden wir es alle bereuen.“

„Jaaaaa, ich weiß, ich bin unerträglich! Aber ich mache es wieder gut. Ich habe Banmus gemacht.“

„Hey! Ich dachte, das wäre für mich.“ Zel trat hinter seine Braut und umschlang ihren Bauch.

„Ich denke, Noeg hat es mehr verdient als du!“

„Danke Teiw!“ Noeg rieb sich den steifen Nacken. „Wo sind denn alle?“

„Auf dem Markt. Die Deels haben eine Herde Wellschweine geschlachtet. Mama wird gerade feilschen was das Zeug hält.“ lachte Teiw.

Sie war die mittlere Tochter im Haushalt. Sie hatte zwei Lebensringe weniger als Noeg. Beide Schwestern sahen sich ähnlich, nur das die Jüngere dunkelrote Locken hatte und bald in den Stand der Ehe treten würde. Sie und Zel kannten sich seit frühester Kindheit und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie heirateten. Der Bräutigam war ein humorvoller Kerl mit breiten Schultern und hellblonder Mähne, die ihm ständig in den Augen hing. Er übte den Beruf des Schreiners aus und konnte neben Möbeln sehr gute Einmanngondeln bauen, was ihn zu einem gut betuchten Mann machte. Teiw durfte man beglückwünschen.

Noegs Herz hatte auch schon einmal geliebt.

Síis.

Einen Jungen mit herrlichen Augen. Noeg musste nur die Lider schließen, um sich an das Glitzern in seiner grünen Iris zu erinnern. Mit der Erinnerung kam auch der dumpfe Schmerz. Es war eine jener Seelenpein, die ein Leben lang anhalten würde. Noeg und Síis hatten als Babies in derselben Wiege gelegen, mehr geteilt, als sie später wissen wollten und nahezu jeden freien Moment miteinander verbracht. Sie hatten sich nachts raus geschlichen, um Leuchtkäfer zu fangen, da man ihnen nachsagte, dass man durch sie Edelsteine in den Bergen fand. Sie hatten einen Esel nackt geschoren, weil sie beweisen wollten, dass Tiere Gänsehaut bekommen konnten. Im Hafen hatten sie eine Gondel in Brand gesteckt, damit sie um Mitternacht unter Wasser sehen konnten, wie eine Seekuh ihr Junges zur Welt brachte.

Vor sechs Jahren musste Guún einen Angriff von Flusslagerern hinnehmen. Als diese nach erbarmungslosem Wüten weitergezogen waren, befand sich Síis unter den vielen Toten. Noeg trauerte so sehr, dass sie für hundert Sonnenwechsel kein Wort sprach.

Teiw verband mit Zel eine ähnliche Vertrautheit. Noeg freute sich über ihr Glück. Trotzdem fragte sie sich mehr als einmal, ob sie nicht mittlerweile Síis Sui, seine Ehefrau wäre, wenn er noch leben würde.

Zel trug den Muschelkorb ins Haus und Teiw brachte ihrer Schwester zu essen. Als sie später die Beute ausleerten und die Xamees grob wuschen, kamen die restlichen Familienmitglieder heim.

Das Jüngste von ihnen, die kleine Wua, krabbelte auf Noegs Schoß.

„Ich habe einen Muid gesehen!“, verkündete sie.

Noegs Augen wurden weit.

„So?“

„Nur einen toten. Er war auf ein Holzbrett gespießt. Ich frage mich, wer sich einen Skorpion an die Wand hängen möchte.“, lachte Vater Trae und berührte Noegs Haar. „Du arbeitest zu viel, mein Mädchen! Teiws Hochzeit soll dich nicht umbringen.“

„Und dich nicht ruinieren! Es ist in Ordnung, Papa.“

Die Glocken läuteten. Die Gondeln würden nun hinausfahren. Jeder in Guún fasste sich in diesem Moment mit den Fingerspitzen an die Stirn. Ein Zeichen der Dankbarkeit und des Gedenkens an die Fischer, die auf dem Fluss die Nacht verbrachten.

Noeg ging nach dem Abendessen mit ihrer Mutter in die Küche und öffnete ihre Handfläche.

„Sieh mal!“

„Oh Noeg!“, hauchte Wíig und schürzte die Lippen. „Das ist…, willst du sie dir nicht aufheben?“

„Nein. Teiw soll sie haben.“ In Noegs Hand lagen zwei kleine Xameeperlen. Sie waren so rar, dass man nur mit äußerst viel Glück welche fand. Die Muscheln öffneten sich nie, um ein Sandkorn einfangen zu können. Eine Perle konnte nur entstehen, wenn zwei Xamees an einer der kleinen Fühleröffnungen zusammenwuchsen.

Wíig nahm die Kostbarkeiten vorsichtig an sich.

„Das wird es wesentlich leichter machen, das Brautkleid zu leihen. Danke Noeg!“

Heiraten war bei den Bnaur ein riesiges Ereignis von höchster gesellschaftlicher Bedeutung. Die gesamte Stadt würde an dem Fest teilnehmen und es gab im Ort nur ein einziges prächtiges Hochzeitskleid, das vom Bürgermeister persönlich aufbewahrt und gegen eine stattliche Gebühr verliehen wurde. Es war der kostbarste Besitz der Stadt. Die Versicherung. Denn das Kleid war über und über mit den seltenen Perlen bestickt. Von Generation zu Generation wurden welche hinzu gefügt. Das Kleid war grundsätzlich natürlich blau. Aber durch den weißen Besatz schimmerte der Stoff nur noch hindurch und war eine schwere Angelegenheit für die Braut.

Noeg brachte das Nesthäkchen Wua ins Bett und setzte sich anschließend hinaus auf die Veranda, um die Muscheln für den Verkauf herzurichten. Die Sterne waren aufgezogen und die Zikaden zirpten durch die Nacht. Zel und Teiw gingen die abfallende Straße hinunter. Da sie noch kein gemeinsames Bett teilten, musste der junge Mann in sein Elternhaus zurück und Teiw begleitete ihn ein Stück. Sie würde trotzdem sehr spät wieder kommen und am folgenden Tag verschlafen. Noeg grinste. Sie konnte ihrer Schwester nicht böse sein.

Nachdem sie ihre Ware verpackt hatte, schwang sie sich auf das Geländer der Veranda. Unter ihr fiel der Fels, auf dem das Haus stand steil ab. Man würde sich wahrscheinlich den Hals brechen, wenn man hinunter fiel. Dort verlief die Waldstraße und Noeg sah Toog, der in diesem Moment zu seiner Hütte aufstieg.

-Jetzt habe ich ihn ganz vergessen-

In der Ferne funkelten die Lichter in der Dunkelheit und stimmten Noeg ein bisschen wehmütig. Die Liebe zu ihrer Schwester war nicht der einzige Grund, warum sie Tag und Nacht arbeitete und mehr unter Wasser lebte als an der Luft. Die pausenlose Beschäftigung lenkte von unangenehmen Gedanken ab. Teiw würde nach der Trauung selbstverständlich in Zels Haushalt ziehen. Obwohl es nicht weit weg war, es änderte trotzdem eine Menge.

Es gab niemanden in Guún dem Noeg die Hand fürs Leben reichen würde und selbst wenn es so wäre, seitdem der Vater nicht mehr als Fischer das täglich Brot verdiente, sondern sich auf das Muschelsuchen spezialisiert hatte, war er zwar nachts daheim, aber er brauchte seine Töchter, damit die Ausbeute groß genug ausfiel, um davon leben zu können. Und die Seveú Familie hatte nun mal keine Söhne.

Frauen galten in der Gesellschaft nicht viel. Außer im eigenen Haushalt hatten sie nichts zu melden. Sie durften keine wichtigen Entscheidungen treffen, Wahlen wurden von den Männern abgehalten und lesen und schreiben zu lernen war auch nicht unbedingt vorgesehen. Wenigstens in diesem Punkt hatte sich Großvater Lail als fortschrittlich denkend erwiesen. Er hatte es den Enkelinnen beigebracht.

Noeg wusste trotzdem nicht, was ihr das nutzen sollte. Sie konnte die Regeln der Gesellschaft nicht brechen und würde eines Tages wie ihre Mutter und Schwester heiraten und Kinder gebären.

Eine tiefe Traurigkeit lebte in ihr. Sie war schon lange da. Nicht erst seit Síis Tod. Es war, als ob ihr irgendetwas fehlte. Ein seltsames Sehnen, das sie nicht benennen konnte. Niemand wusste davon. Durch den Verlust ihres Kindheitsfreundes fiel es ihr nur viel schwerer, dieses zu verbergen. Deshalb hing Noeg so an Teiw. Denn sie war laut, schrill und voller Lebensfreude.

Toogs Schritte verhallten in der Gasse. Noeg sprang vom Geländer, nahm die Lampe und stahl sich die Straße hinunter, bevor Opi die Hängematte aufsuchte und sie in ein Gespräch verwickelte. Auf halbem Weg merkte sie, dass sie keine Schuhe trug. Aber was sollte es. Am Strand würde sie die nicht brauchen.

Ihr plastisches Abbild sah geduldig auf die schwarzen Wellen des Ux hinaus. Obwohl der Abendwind bereits an der Nasenspitze und den Fingerkuppen der Figur knabberte, musste Noeg zugeben, dass Toog sie besser getroffen hatte, als ein Sehender.

„Na, bist du zufrieden?“, fragte sie ihr stilles Gegenüber.

Es gab eine Zeit, da war sie eifersüchtig auf Teiw. Weil sie von Dingen wusste, die ihr noch unbekannt waren. Die Lippen eines Mannes zu spüren, zum Beispiel. Aber dieses Gefühl hatte nicht lange angehalten. Noeg war zu beschäftigt gewesen. Trotzdem, sie vermisste Síis. Mehr als all die Jahre zuvor.

Noeg war nicht danach in die Stadt zurückzukehren. Als Frau des Nachts draußen zu bleiben wurde im Allgemeinen nicht gerne gesehen. Trotzdem wanderte sie zum Hafen und weiter über die steinige Landzunge, an dem der Schilfbewuchs dichter wurde. Dort war es leise und friedlich. Noeg drückte einige Halme platt, löschte die Lampe und kuschelte sich auf den Boden.

Noeg wusste, sie musste für sich herausfinden, was sie von der Zukunft erwartete. Sie war nicht die Sorte von Frau, die sich mit einfachen Erklärungen abfertigen ließ. Irgendetwas in ihr wollte aufbegehren. Gegen alle Traditionen und Gesellschaften. Es wollte etwas an die Oberfläche drängen, das sie manchmal fast laut schreien ließ und nur mit Mühe im Zaum zu halten war.

Das Flöten von Enten, die in der Nähe ihr Frühstück suchten, weckte Noeg. Der Dunst zog vom Fluss über das Ufer und die Sonne war noch nicht am Horizont zu sehen. Nur der ankündigende rostrote Streifen lag in der Ferne und Noeg gähnte ausgiebig. Heute auf dem Floßmarkt wartete viel Arbeit. Es hieß zeitig dort zu sein, um einen guten Platz zu ergattern, denn nicht jeder Interessent machte sich die Mühe, aus seiner Gondel zu steigen, um das Floß zu betreten. Ein Fleck am Rand war immer der Bessere.

Noeg zog ihre Finger durch die Haare. Sie hatten ihr den Gefallen getan, sich über Nacht nicht wild zu verknoten. Gekonnt zwirbelte sie sie zu einer Tolle auf dem Kopf. Dann stakste sie vorsichtig über die glitschigen Steine zum Wasser und begann sich zu waschen. Warum waren ihre Hände so kalt? Die Nacht war nicht frostig gewesen. Als sie die Hände durch das Wasser gleiten ließ, hatte sie das Gefühl ein leichtes Zischen zu hören.

-Was ist denn nur los?-

Noeg befühlte ihre Wangen. Sie senkte die Finger und hielt sie erneut in den Ux. Ihr Herzschlag erhöhte sich ohne Grund. Fast so, als würde ihr ganzer Körper, ihr ganzes Sein sich über den Kontakt freuen. Noeg beugte den Kopf nahe zur Oberfläche und sah ihr Spielbild verzerrt in den Wellen. Träumte sie etwa noch? Dann spreizte sie die Finger auseinander und drückte sie wieder zusammen, als wollte sie nach dem Wasser greifen. Plötzlich drang ein hoher, sehr klarer Ton an ihr Ohr. Wie ein Singen. Und es kam aus dem Wasser! Es schien direkt zwischen ihren Fingern zu entstehen.

Noeg riss die Arme zurück, stolperte nach hinten und landete unsanft auf einem Stein.

-Großer Donner! Was ist das?-

Wenn ihre Extremitäten vorhin kalt gewesen waren, knirschten sie jetzt wie Eiszapfen. Von außen sahen sie völlig normal aus, aber Noeg musste die Hände zu Fäusten geballt an ihre Brust drücken und beugte sich ächzend darüber. Sie hatte Schmerzen. Das waren keine Umstände, die ihren Herzschlag wieder normalisierten.

Das seltsame Singen hallte in ihrem Rippenbogen nach wie ein Echo.

Das war…! Das konnte doch nicht…!

Noegs Gedanken überschlugen sich. Sie war keine Idiotin. Obwohl es kaum Informationen über das mystische Geheimnis der Feuerschwimmer gab, das wenige, von dem sie wusste, reichte aus.

Langsam ließ Noegs rasender Puls nach. Sie traute sich, bebend ihre Hände zu betrachten. Die Finger zitterten unkontrolliert, aber diese beißende Kälte schien nachzulassen. Noegs Blick wanderte zum Wasserspiegel, der von den ersten Sonnenstrahlen erfasst wurde.

Niemals, nie im Leben hatte sie Angst vor dem Ux gehabt. Nicht einmal in der Nacht, wenn er eine undurchsichtige schwarze Masse war. Und unsagbar kalt. Die Tiefenströmung nahm in der Nacht ab, dadurch konnte sich die Wärme der unterirdischen heißen Quellen nicht mehr gut verteilen.

Noeg fürchtete den Fluss auch nicht während eines Sturms, wenn er schäumte und grollte. Aber in diesem Moment hätte sie die durchsichtige Oberfläche nicht berührt und wenn man ihr mit dem Tod gedroht hätte.

Sie schloss die Augen. Es war ein wunderschöner Klang gewesen, den sie gehört hatte. Gleich einem warmen Seufzen, ein Ausdruck von tiefem Gefühl, ein Raunen oder Vibrieren. Anders als alles, was sie je vernommen hatte. Noeg kamen unwillkürlich die Tränen. Sie war hoffnungslos überfordert. Sie wusste nicht, wie lange sie brauchte, bis sie es schaffte auf die Beine zu kommen. Aber nachdem es ihr gelungen war, rannte sie.

Rannte, als wenn ein Rudel Wölfe hinter ihr her wäre und sie blieb nicht stehen, bis sie im Türrahmen zur Küche angekommen war. Mutter Wíig drehte erstaunt den Kopf.

„Noeg! Papa hat schon gegessen und dich überall gesucht. Wo warst du denn?“

„Ich… ich weiß nicht.“

Wíig unterbrach ihre Arbeit.

„Das weißt du nicht? Geht es dir gut?“

„Ähh…“

„Was ist mein Herz? Du bist doch zu viel getaucht die letzten Tage!“

„Nein, ich…, Mama, fühl meine Hände! Sind sie kalt?“

„Eher das Gegenteil. Möchtest du dich lieber hinlegen? Teiw kann euren Vater begleiten. Ich sollte sie ohnehin wecken.“

„Nein! Ich will mit auf das Floß! Wenn ich was gegessen habe, bin ich wieder auf dem Damm.“ Noeg schüttelte unbemerkt ihren Arm und suchte ihre Lederstiefeletten.

Aus dem Badezimmer drangen Geräusche, die verrieten, dass Teiw aufgestanden war. Noeg klopfte.

„Kann ich rein?“

„Ja. Aber mach die Tür schnell zu!“

Noeg gehorchte und sah sofort, dass schon wieder Handtücher fehlten. Der kleine Raum war holzgetäfelt und in der Mitte stand ein runder, großer Zuber in dem zwei Menschen problemlos Platz fanden. Das einzige Fenster zeigte zur Rückwand des Hauses und der mächtige Stamm der Zeder trotzte jedem vermeintlichen Spanner.

Teiw spülte sich mit einer Schale Wasser über den Kopf und grinste Noeg an. Diese schälte sich aus der Tunika und schlüpfte aus dem dünnen Beinkleid, welches ihr bis zu den Waden reichte.

Die beiden Mädchen waren sinnliche Geschöpfe mit schönen Brüsten und wiegenden Hüften. Ihr naturverbundenes wildes Leben zeigte sich allerdings hier und da in zahlreichen Blessuren. Noeg hatte eine armdicke Narbe auf ihrem Oberkörper. Sie wand sich wie ein Band von ihrem Rückrad bis nach vorn über die Rippen und die eingedrückte Haut glänzte rotweiß.

Das Fenster klapperte im Wind und einige Reún-Pollen fanden ihren Weg in den Raum. Noeg verschränkte die Arme.

„Seit wann ist er fort?“

Teiw seufzte, besaß aber die Frechheit weiterhin zu grinsen.

„Er ist noch nicht lange weg.“ Sie hob abwehrend beide Hände aus dem Zuber. „Aber er war auch nicht lange hier.“

„Ja, das wird Mama bestimmt verstehen.“ Noeg verdrehte die Augen.

„Wirst du mich verraten?“ Teiw setzte ihre unschuldigste Miene auf.

„Hab ich das je getan?“ Die Ältere wollte in die Holzwanne steigen, als sie plötzlich erstarrte und auf das Badewasser starrte.

„Was ist los?“, wunderte sich Teiw und versuchte Noegs Blick zu folgen. Dann hob sie vorwurfsvoll den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. „Zel und ich haben es hier drin nicht getan, falls du das befürchtest.“

„Wie? Nein…!“

-Es wird doch nicht wieder passieren!-

Noeg gab sich einen Ruck und glitt in das Wasser. Es geschah nichts! Kein Zischen, kein Singen. Gut!

Noeg schloss unendlich erleichtert die Augen.

„Ich kann mir vorstellen, wie es dir geht.“, hörte sie Teiws Stimme. „Immerhin bist du die Älteste und … geht es dir gut?“

Noeg sah wieder auf.

„Mach dir um mich keine Gedanken!“ Sie lächelte reuig. „Sag mal, wie viele Zugeständnisse machst du Zel bereits?“

Teiw schrubbte sich das Knie.

„Ich habe ihn noch nie unbekleidet gesehen. Wir halten uns brav an die Sitten. Obwohl ich ihm heute erlaubte meinen Rücken einzuseifen.“

„Bitte keine Details!“, lachte Noeg.

„Wir müssen jemanden für dich finden Schwesterchen!

„Wenn du das Kuppeln anfängst, reiße ich dir beide Beine aus. Was für eine Braut wärst du dann?“ Noeg begann sich um ihre Haare zu kümmern, während Teiw aus der Wanne stieg.

„Egal was passiert, ich werde immer in deiner Nähe sein, Noeg.“, meinte sie liebevoll.

Dann klopfte es ungestüm an der Tür.

„Mädchen! Macht mal zu! Wir kommen sonst in Zeitnot.“

„Ja Papa!“, schrien die Schwestern zurück und Teiw warf Noeg das letzte Handtuch zu.

„Die Arbeit ruft.“

Vater Trae war es gelungen den letzten Verkaufsplatz am Rand des Floßes für sich zu behaupten. Bevor hitzige Debatten darüber entstanden, wer nun den Fuß eher auf der begehrten Stelle hatte, setzte sich das Seveú Oberhaupt auf seine Decke und die rothaarigen Töchter taten es ihm gleich.

Das Marktfloß war im Hafen von Guún und bestand aus starken Balken, die zu einer riesigen Fläche zusammen getaut und mit Ketten fest am Grund des Ux verankert waren. Es besaß kein Dach, da die wiederkehrenden Stürme es davon reißen würden. Aber die emsigen Verkäufer sorgten selbst für Schatten und brachten Schirme oder kleine Pavillons mit, um darunter auszuharren.

Noeg stellte ihren gelben Baldachin auf und war froh, dass der Wind heute mäßig wehte. Die Úndea Jungen hatten dahinter ihren Stand errichtet. Sie verkauften Jagdmesser, Beile und Essbesteck und grinsten die schönen Seveú Schwestern an, denn nicht jeder Vater erlaubte seinen Töchtern bei den Floßmärkten mitzumischen. Doch Trae wusste, dass Noeg und Teiw gute Verkäuferinnen waren und er pfiff genauso wie sein Vater vor ihm auf die Erwartungen, welche die Gesellschaft hatte.

Die Gondeln voll von potentiellen Käufern kamen schnell und zahlreich. Manche waren am Vorabend aufgebrochen, um den monatlichen Verkauf nicht zu verpassen. Die Insassen stammten aus Luht, Seig und Flaw von der sechsten Flussbiegung oder vom gegenüber liegenden Ufer aus Redné oder Èrk. Dort lebten keine Bnaur-Dux und nur diesen war es durch ihre besonderen Fähigkeiten möglich an Schätze zu kommen, die andere Menschen niemals beschaffen konnten. Allen voran die Xamee-Muscheln.

Die Gondeln wurden sachte mit langstieligen Rudern heran gelenkt. Der Ux besaß keine starke Strömung und war ein äußerst behäbiger, friedsamer Wasserlauf. Fegte allerdings ein Sturm über das Land, verwandelte er sich in ein gefährliches, todbringendes Monster, voll von Wirbeln und schäumenden Wellen.

Noeg verkaufte mit hartem Verhandlungsgeschick Säckchen um Säckchen der kreisrunden Muscheln und bemerkte erst nach einiger Zeit, dass ihre Hände wieder ungewöhnlich kühl waren. Sie befühlte verstohlen ihre Stirn, indem sie vorgab die Haare in Ordnung zu bringen. Genauso wie am Schilfufer am Morgen schien Fieber ausgeschlossen. Noeg rutschte unruhig hin und her. Keine Armlänge entfernt ging es in die Tiefen des Ux hinunter. Wenn sie das Wasser berührte, konnte sie nicht sagen, was passieren würde.

Sie schnaufte tief durch, schüttelte sich und ignorierte das störende, angsteinflößende Phänomen so gut es ging.

Bis Syó Lor in seiner knallroten Gondel auftauchte. Er unterhielt ein wahres Schmuckimperium rund um den Ux und darüber hinaus. Für gewöhnlich war er der Erste an den Markttagen, um große Mengen an Material einzukaufen. Er war selbst ein Bnaur-Dux, aber die Zeiten an denen er nach Muscheln und Perlen tauchte, waren längst vorbei.

Noeg konnte allerdings immer weniger an etwas anderes denken, als ins Wasser zu springen. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um das eisige Brennen ihrer Finger zu ertragen. Bevor der Großhändler anlegte, riss sie sich aus purer Verzweiflung eines ihrer schönen Armbänder herunter und ließ es über den Floßrand fallen.

„Oh nein! Ich habe mein Armband gerade verloren. Ich hole es schnell wieder.“, rief sie und kam sich absolut kindisch vor. Aber was sollte sie machen? Schnell legte sie ihr Schaltuch ab und stürzte sich kopfüber in den Fluss, ohne auf ihren Vater oder Teiw zu achten.

Das kühle Wasser umfing Noeg und sie ließ sofort die Luft aus den Lungen, um bis auf den Grund zu kommen und schwamm in kräftigen Zügen in die Mitte der Ankervorrichtung. Die mächtigen Ketten bewegten sich leicht im grünblauen Schummerlicht. Noeg legte sich auf den Rücken ins Flussbett und hielt sich beide Handflächen vor das Gesicht. Ein Schwarm Burflossen glitt unbeeindruckt an ihr vorüber. Noegs Herzschlag tobte durch ihre Brust und kostete sie ungemein viel Kraft. Sie krümmte die Finger bedingt durch den rasenden Schmerz.

-Bitte, bitte! Hör auf mir weh zu tun!-

Das leise Zischen kam und dann zog das kristallklare Singen durch ihre Armbewegung und schwebte mit der leichten Strömung davon.

Noeg richtete sich auf und wagte es, mit der rechten Hand eine große Schleife über dem Kopf zu drehen. Ein Wirbel entstand der fauchte und blubberte. Ehe Noeg sich versah, riss sie ihre eigene Bewegung nach oben und schleuderte sie in einem Salto herum. Sie krachte unsanft gegen eine der verankerten Ketten und der Sog tanzte noch eine Weile singend in einer Kreisbewegung um sie herum. Sie traute sich, ihn zu berühren und sofort sammelten sich einzelne Bläschen um ihre Fingerkuppen, als würden sie davon angezogen. Sie hatten eine rötliche Farbe.

Noeg schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Die Kälte in ihren Händen hatte deutlich nachgelassen. Das war immerhin etwas. Noeg öffnete langsam die Lider. Der Wirbel war verschwunden und von der Plattform kam niemand herunter, um nach seltsamen Vorkommnissen zu sehen.

Noeg nahm ihren ganzen Mut zusammen. Sie musste es einfach wissen! Konnte sie tatsächlich Wasserfeuer erzeugen? So unwahrscheinlich das auch sein mochte? Alle Anzeichen sprachen dafür. Also streckte sie in einer fließenden Geste die Arme nach vorn, griff nach dem Wasser, als wollte sie sich daran festhalten und damit schoss sie vorwärts wie in einem Strudel. Der gurgelnde Singsang wurde verräterisch laut, der Ux schien sich wie silberne Fäden vor Noeg zu teilen. Die unvergleichliche Stimme des Wassers trug ihren Körper, spülte ihn in einem vibrierenden Strom dahin, bis Noeg ihre Hände kreuzte. Dadurch fing sie an, sich in einer Schraubenbewegung vorwärts zu drehen, die Töne änderten sich, die rotgefärbten Bläschen rotierten mit gleicher Geschwindigkeit, als würden sie einen Tunnel ins Wasser graben.

Noeg spreizte die Finger, es zischte wiederum und dann sprühten gleißende, rotgelbe Blitze hervor, die sie noch schneller werden ließen. Es züngelte in wildem Flackern wohin Noeg sah und sie brauste dahin wie ein Pfeil. Der Gesang war erhebend, feierlich und einfach nur wunderschön.

Doch mit einem Mal tauchte eine dunkle Erhebung vor Noeg auf. War das… ein Fels? Noeg wusste nicht wie man stoppte und tat daher, was jeder andere instinktiv gemacht hätte. Sie schlug die Arme über den Kopf, kniff die Augen zusammen und hoffte, dass sie sich nicht zu sehr verletzen würde. Sie prallte gegen etwas, überschlug sich mehrere Male und blieb schließlich schwer schnaufend liegen. Ihr war schwindlig und sie brauchte einige Zeit, um festzustellen, wo oben und unten war. Sie hörte, dass ein Schwarm Súks in der Nähe schnatterte. Schwerfällig hob Noeg den Kopf. Sie lag auf einer Sandbank in der Sonne. Der dunkle Schatten war also lediglich der ansteigende Strand gewesen und sie war aus dem Wasser ins Freie gerollt.

Noeg stemmte sich nach oben, dabei fiel ihr Blick auf ihre Haut und sie stieß einen kurzen Schrei aus. Angefangen bei ihren Fingerspitzen bis zu den Ellenbogen zeigten sich kleine Kreise überall auf den Armen. Sie sahen aus, als hätte sich dort ein Krake festgesaugt und tiefe runde Dellen hinterlassen. Noeg strich sich prüfend über das absurde Muster. Schmerzen hatte sie keine, aber wie sollte sie diese Male erklären? Jetzt fiel ihr auf, dass sie ihr Armband gar nicht mehr gesucht hatte und drehte den Kopf, um nach dem Hafen zu schauen. Aber – er war nicht mehr da!

-Großer Donner! Wo bin ich?-

Noeg wirbelte herum. Der kleine Strand an den sie gespült worden war, endete jäh an einer steilen dunklen Klippe, die wie eine schwarze Wand in den Himmel ragte. Auf ihrem höchsten Punkt thronten die kleine Stadt Redné und auch das wunderschöne weiße Kloster, welches wie ein gleißend heller Fleck in der Sonne strahlte. Der Ux war ein breiter Fluss. An mancher Stelle konnte man kaum bis zum anderen Ufer sehen.

Redné lag Guún genau gegenüber und mit der Gondel benötigte ein guter Fährmann fast zwei Stunden! Noeg war auf der anderen Seite gelandet! Sie achtete wieder auf ihre Hände. Vor Jahren hatte sie gehört, dass man die Ztaa-Samro, die Feuerschwimmer auch fliegende Fische nannte.

Noeg zog die Knie an und schlang die Arme um sich selbst. Wasserfeuer galt als eine Gabe von höchstem Gut. In diesem Moment fühlte sie sich wie der einsamste Mensch entlang des stark bevölkerten Flusses. Denn sie konnte niemandem Fragen stellen, von niemandem Rat holen, was nun zu tun sei. Sie war eine Bnaur-Dux! Ein Mädchen aus einer unbedeutenden Stadt. Wer würde ihr schon helfen? Und was würde das für ihre Familie bedeuten? Noeg wischte sich über die Wangen. Ihr Augenmakeup war offensichtlich über ihr ganzes Gesicht verlaufen und färbte ihre Finger blau. Sie nahm ein Häufchen Sand und rieb damit die blaue Maske ab. Papa und Teiw machten sich bestimmt Sorgen. Sie musste zurück. Das würde nur auf eine Weise gehen. Noeg schüttelte den Kopf und lachte zynisch über sich selbst. Das war doch einfach nur völliger Wahnsinn!

Teiw und Trae konnten inzwischen ein kleines Vermögen vorweisen und hatten gar nicht nach dem Verbleib von Noeg gefragt. Entweder waren sie durch die Kauflust von Syó Lor so eingenommen gewesen oder Noegs ungewöhnlicher Ausflug war tatsächlich derart kurz gewesen, dass er nicht weiter auffiel. Die ältere Seveú Tochter verbarg die Arme schnell unter dem Schaltuch und bemerkte nicht, dass Eení Ùndea sich von ihr verabschiedete. Er war ein kräftiger Kerl mit wüsten langen Haaren, wie die Bnaurfrauen es liebten und viele liebten Eení-Us.

Während der Rest von Noegs Familie in Hochstimmung war, konnte sie nur völlig entgeistert eine fröhliche Fassade aufrecht erhalten. Nachdem sie ihre nassen Kleider angehängt hatte, wollte sie erschöpft in den Sessel im Wohnraum plumpsen, als sie erschrocken wieder aufsprang. Ein riesiger schwarzer Skorpion auf einem derben Holzbrett präsentierte sich auf dem Sitz gegenüber.

„Opi!“, rief Noeg. „Du hast doch nicht wirklich dieses Biest gekauft?“

Der Senior des Hauses lugte unbedarft um die Ecke.

„Och, Wua wollte ihn unbedingt haben.“ Er lachte. „Vielleicht hält er Artgenossen davon ab, sich uns zu nähern.“

„Oder das Gegenteil ist der Fall. Das ist ein Weibchen. Haben die nicht diesen roten Strich am Kopf?“

„Ich denke schon. Aber was macht es? Der Muid ist tot. Der kann keine Duftstoffe mehr absondern.“

„Ist mir egal. Er ist hässlich. Wo möchte ihn Wua schon aufhängen?“

Der Großvater kam heran und setzte sich zu seiner Enkelin.

„Ich hätte dir auch etwas mitgebracht. Aber du äußerst so selten Wünsche.“

Noeg nagte an ihrer Unterlippe und achtete darauf, dass die Decke, in die sie sich gekuschelt hatte, ihren Oberkörper bedeckte. Die runden Male auf der Haut waren zwar schwächer geworden, aber noch nicht verschwunden.

„Du kannst mir stattdessen eine Frage beantworten, Opi.“

„Nun?“

„Wenn… wenn Männer herausfinden, dass sie die Fähigkeit haben Wasserfeuer zu machen, was wird dann von ihnen erwartet? Was tun sie damit?“

„Das ist eine schwere Frage, Noeg-Schatz. Und noch schwerer zu beantworten.“ Wie erwartet hatte der alte Lail Seveú seine Stimme gesenkt. Man sprach über die Feuerschwimmer nun mal nicht laut.

„Warum fragst du mich danach? Hast du einen gesehen?“

„Vielleicht.“, gab Noeg zögernd zu.

Der Großvater lehnte sich zurück und rieb sich das bärtige Kinn.

„Man sagt, dass Ztaa-Samro zum Dienen berufen sind. Wie das allerdings zu verstehen ist, kann ich nicht sagen. Wo hast du denn so einen Feuerschwimmer beobachtet?“

„In der Nähe von Redné. Wenn es wirklich einer war.“

Lail nickte. Er beugte sich zu dem Mädchen und tastete nach seiner Hand unter der Decke.

„Wenn du Sorgen hast, Noeg, kannst du immer mit mir sprechen. Ich hoffe, das weißt du.“

„Danke, Opi.“ Noeg war mit einem Mal furchtbar müde. Deshalb wünschte sie angenehme Bettruhe.

Sie teilte die Schlafkammer mit Teiw und Wua. Obwohl jede von ihnen ein eigenes schmales Bett hatte, krabbelte die jüngste der Schwestern meistens auf Noegs Matratze und beanspruchte mehr als die Hälfte für sich. Teiw schlief schon. Am nächsten Tag würde sie und Mama beim Rathaus für das Brautkleid vorsprechen. Zwar wusste ganz Guún seit vielen Sonnenwechseln von der Hochzeit, aber es war Sitte formell um das Gewand zu bitten. Und natürlich die Leihgebühr zu entrichten.

Teiw lag auf dem Bauch und hatte den Kopf auf die Arme gebettet. Ihr langes Haar kringelte sich um ihre nackten Schultern. Nachts wurde es recht kalt an der Küste und Noeg zog Teiw fürsorglich die Decke bis zu ihren Ohren hinauf.

Sie war dankbar, dass ihre Schwestern schlummerten. So konnte sie sich ungesehen aus ihrem Überwurf schälen, ohne dass jemand die Kreise auf ihren Armen sah. Sie löschte das Licht und drückte Wua ein bisschen zur Seite. Die Äste der Zeder strichen hörbar über das Dach.

-Berufen, um zu dienen-

Noeg presste ihre Handflächen zusammen. Ihre Temperatur war normal. Das beruhigte ungemein. Das Feuer, welches heute mit ihr geschwommen war, war nur ein kleines gewesen. Aber es hatte eine Ahnung davon spüren lassen, welche gewaltige Kraft in ihm wohnte. Fast so, als könne es das Flussbett ausheben oder die Felsen zum bersten bringen. Wasserfeuer war mit Sicherheit kein Spielzeug!

-Aber wieso kann ich es? Ich bin doch eine Frau!-

Wua wälzte sich herum und ihr Arm landete unsanft auf Noegs Gesicht. Diese schob den zarten Körper wieder zurück und schloss die Augen. Es gab einen Weg für sie. Sie musste ihn nur gehen!

Eine kaiserliche Gondel trieb flussaufwärts. Sie war schwarz mit goldenen Verzierungen und die langen Ruder schwangen anmutig auf und nieder wie dünne rote Flügel. Eine weiße Flagge flatterte am Bug und trug das unverkennbare Wappen.

Kaiser Nenua herrschte über das gesamte Land entlang des Ux. Man sagte von ihm, er sei ein Visionär und ein Mann von wissbegierigem, weltoffenem Wesen. Trotzdem bekam ihn der Normalsterbliche nie zu sehen. Er residierte mit Kaiserin Tsaag und dem Hofstaat in Ghem, der Stadt aus grünem Stein, nahe dem Niew-Gebirge. Die Gegend rund um die erste Flussbiegung war bekannt für ihren Prasiolithquarz-Anteil im Fels und so schimmerten die riesigen Berge grünlich, wenn die Sonne sie berührte.

Ghem war wie eine Wächterin auf einem Plateau über den Wassern des Ux errichtet worden und ihr enormer Hafen machte bis in die letzten Ausläufer des Flusses von sich reden. Genauso wie der kaiserliche Palast, den nur die wenigsten je mit eigenen Augen bewundern konnten. Der größte Teil der Flussbevölkerung setzte niemals einen Fuß in die Hauptstadt. Juristische Angelegenheiten wurden vom Provinzobersten geklärt und selbst bei ihm vorstellig zu werden, konnte eine gewisse Zeit dauern.

Teiw wusch Tischdecken und Bettwäsche am Ufer und sah der prächtigen Gondel nach, die langsam in der Ferne kleiner und kleiner wurde. Sie und Noeg hatten sich als kleine Mädchen vorgestellt, sie würden eines Tages Prinzessinnen werden und in so einer seltenen Gondel dahinfahren und würdevoll den Leuten am Ufer zuwinken. Teiw schüttelte bei der Erinnerung schmunzelnd den Kopf. Was waren sie doch für einfältige Kinder gewesen! Noeg war oft der Initiator fabelhafter Ideen. Mit Síis hätte sie bestimmt ganz Guún in Schutt und Asche gelegt, wenn der Junge noch an ihrer Seite wäre.

Teiw wusste, dass ihre Schwester traurig war. Die Aussicht auf ein stilles, eintöniges Familienleben machte das nicht besser. Teiw selbst würde wahrscheinlich auch so denken. Aber sie hatte Zel. Mit ihm ein ruhiges Leben zu führen erfüllte sie mittlerweile mit großer Zufriedenheit.

Teiw drehte sich um, da sie Schritte hörte. Ihr Bräutigam lief über den Strand auf sie zu. Der Tag neigte sich. Zel hatte Feierabend. Er grinste und zog Teiw hoch, als er vor ihr stand und hob sie sich auf die Hüfte um sich Küsse zu holen. Er scherte sich nicht darum, dass einige Frauen wenige Meter entfernt ihre Wäsche im Fluss schrubbten. Während einer Atempause fragte Teiw:

„Hast du Noeg gesehen?“

„Nein. Heute noch kein einziges Mal. Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Ich weiß nicht. Sie verschwindet in letzter Zeit spurlos und kommt spät zurück.“

„Das ist doch normal für sie.“, wandte Zel ein.

„Ja. Aber diesmal ist es anders. Sie geht nicht auf Muschelsuche und doch ist sie nass, wenn sie kommt. Sie ist erschöpft und ständig scheint ihr kalt zu sein, weil sie nur noch mit Decke herum läuft.“

„Vielleicht hat sie einen Geliebten.“

„Das hätte sie mir erzählt.“, schnupfte Teiw. Das würde Noeg ihr doch nicht verheimlichen.

Zel strich seiner Zukünftigen über die Wange.

„Frag sie! Das wird das Beste sein.“

Teiw nickte.

„Wahrscheinlich. Jetzt lass mich runter! Ich muss die Wäsche fertig machen, ehe es dunkel wird.“

„Ohh.“

„Es sei denn, du willst mir helfen. Ich zwinge dich dazu, glaub mir, ich mach das!“

„Nur wenn du willst, dass meine Mutter dich jagt.“

„Du bist ein verwöhnter Bengel Zel Lúvia! Das ist es, was ich deiner Mutter sagen werde.“ Teiw strampelte sich frei, während Zel lachte und sie gewinnen ließ.

Noeg lernte schnell, denn sie war fleißig. Inzwischen gelang es ihr spielend sich gezielt durch das Wasser tragen zu lassen. Sie tanzte, drehte und wand sich in den Fluten wie eine Nixe. Auch das Anhalten war kein Problem mehr. Nur mit dem Feuer wollte es nicht recht klappen. Sie konnte es erzeugen, aber die Flammen wurden nicht größer, sondern züngelten nur im Umkreis ihrer Arme. Sie besaßen jedoch eine Strahlkraft, dass es in den Augen stach und Noeg veranlasste, nur während des Tages zu üben, weil man es bei Nacht selbst über große Entfernung bemerken würde. Natürlich war ihr bewusst, dass sie sich seltsam verhielt und ihre Familie argwöhnisch wurde. Aber Noeg bemerkte eine Veränderung in sich. Das große Loch in ihrer Seele schien sich zu füllen. Manchmal erwischte sie sich selbst dabei, wie sie selig vor sich hin lächelte und dabei ein warmes Glücksgefühl verspürte. Das Schwimmen im Feuer vertrieb ihre Traurigkeit. Es war wie ein Schatz. Sie hatte Angst diesen wieder zu verlieren.

Fünf Sonnenwechsel vor der Hochzeit verlangte die Tradition, dass die Brauteltern ein Essen für die Angehörigen des Bräutigams veranstalteten. Man überreichte sich Geschenke und besprach die letzten Details des großen Ereignisses. Da man selbstverständlich nur das Beste auf den Tisch brachte, ging Mutter Wíig am Morgen einkaufen. Noeg begleitete sie, um beim Tragen zu helfen und sie wollte nach einem neuen Stirnreif für sich suchen. Zu großen Festen trugen die Frauen ihr Haar zu einem Zopf geflochten, in dem Blumen und Bänder eingewebt waren. Das lange Ende wurde nach oben geschlagen und am Hinterkopf in den breiten Messingreif gesteckt, welcher wie ein Stirnband auf dem Haar saß.

Wua hatte ebenfalls den Wunsch nach Schmuck geäußert und deshalb wanderten die drei Damen langsam durch den Ortskern und sahen sich die Auslagen an. Die meisten Geschäfte waren so klein und eng, dass nur ein Mensch darin Platz hatte und die Ware wurde an der Hausfassade oder am Wegesrand präsentiert.

Noeg fand sehr schnell einen bezahlbaren Haarschmuck, in dem hübsche Muster eingeschlagen waren. Als Wua sich in zwei weiße Ohrringe aus Hanvaholz verliebte und mit Wíig darüber diskutierte, setzte sich Noeg auf den Rand eines kleinen Steinbassins, die es überall in der Stadt gab. Es war bald Mittag und die Hitze flimmerte in den Gassen. Da niemand in der Nähe war, ließ das Mädchen seine Finger durch das Wasser gleiten und verspielt ein paar rote Bläschen auf und nieder hüpfen. Der Gesang, der entstand, war nicht lauter als ein Flüstern. Schließlich zog Noeg die Schuhe aus und steckte seufzend die Füße ins kalte Nass. Wua zeterte bereits auf der anderen Seite, da Mutter offenbar nicht nachgeben wollte.

Noeg beobachtete die Szene und war drauf und dran eine persönliche Wette darüber abzuschließen, wer nun gewinnen würde. Sie ließ entspannt ihre Zehen im Wasser wippen. Plötzlich drang der mittlerweile sehr vertraute Zischlaut an ihre Ohren und sie sah sofort auf ihre Füße. Ein Wirbel war entstanden und als Noeg ein wenig mehr strampelte, fing das kleine Becken an zu zittern, das Singen wurde verräterisch laut und Flammen wirbelten im Kreis durch das Bassin, so schnell, wie sie es noch nie gesehen hatte. Mit einem Ruck zog sie ihre Beine zurück, bevor der Stein zerplatzte oder Leute aufmerksam wurden.

Das war ja interessant!

Bisher war ihr nie in den Sinn gekommen, dass womöglich der ganze Körper nötig war, um Wasserfeuer in seiner ganzen Kraft zu entfachen. Nun hatte Noeg ihre Antwort gefunden, warum es immer so klein geblieben war. Sie rieb sich nachdenklich über die Knöchel. Der Vorgang erfüllte sie längst nicht mehr mit derselben Angst und dem Unbehagen wie am Anfang. Trotzdem war ihr mulmig, da sie nicht wusste, was dieses seltene Feuer tatsächlich konnte. Und schon gar nicht wollte ihr einfallen, wie sie damit anderen Menschen helfen sollte.

Wíig kam mit einer verheulten Wua über die Straße gelaufen und rüttelte entnervt ihre Taschen.

„Möchtest du schon nach Hause gehen, Noeg? Nimm die Krebse hier und sag Teiw, sie soll Brühe aufsetzen! Und zum Donnerwetter, nimm Wua mit! Ich bin am Durchdrehen.“

Noeg beugte sich zu ihrer Schwester hinunter.

„Hast du bekommen, was du wolltest, du kleine Krabbelkröte?“

„Nein!“ Wua verwandelte sich erneut in einen Springbrunnen.

„Pass auf! Wenn du jetzt artig bist, schminke ich dich nachher so wie Teiw und ich das immer machen.“

Die Kleine wischte sich über das Näschen.

„So richtig mit Viig und auch die Lippen rot?“

„Wenn du magst.“

Wua schniefte noch einmal, weil sie das Drama liebte, dann nahm sie Wíig selbstständig den Beutel ab.

Auf der Veranda angekommen griff Teiw sofort nach Noegs Händen und zerrte sie ins Haus.

„Ich hasse meine Haare! Ich bin fett und sehe aus wie eine Nadgrundel! Du musst mir helfen!“

Offensichtlich gab es noch jemanden, der einen Hang zur Theatralik hatte.

„Beruhige dich! Du hast schon Stressflecken am Hals. Es sind noch Stunden hin, bis die Gäste kommen. Hier! Du sollst Krebssuppe machen!“

„Iiiiiiich? Heute? Es wird alles nach Salz schmecken oder mir anbrennen.“

Noeg brachte die Lebensmittel in die Küche und sah nach, ob das Feuer brannte. Großmutter Asle saß am Tisch und schnippelte Gemüse. Sie war eine stille Frau, der das linke Auge fehlte. Ein Ruder war ihr vor vielen Jahren während eines Sturms auf dem Ux ins Gesicht gegangen und hatte ihr eine schlimme Verletzung zugefügt.

Als die lärmenden Mädchen herein kamen, zeigte sie ein Schmunzeln, ohne von der Arbeit aufzusehen.

„Kinder! Die Dachbalken werden gleich nachgeben. Vielleicht wäre es recht so, dann müssten wir uns um Gäste keine Gedanken machen.“

Wua fing an Gemüsewürfel zu futtern, während Teiw hingegen ihrer Litanei die Schalentiere in einen Topf warf. Sie war eine ausgezeichnete Köchin und würde auch in ihrem Ausnahmezustand etwas Köstliches zustande bringen. Noeg machte sich daran, das Haus aufzuräumen, verpackte die Geschenke und wand schließlich die traditionellen Piuweidenkränze, welche man an die Tür und in die Fenster hing. Sie standen für Gastfreundschaft. Es juckte ihr in den Fingern, sich in den Ux zu stürzen und die neuen Erkenntnisse des Tages auszuprobieren. Aber heute würde Teiw sie brauchen. Sie musste bleiben. Außerdem liebte sie Zel wie einen Bruder und er war mit Sicherheit nervös. Auch er würde sie brauchen.

Seit Noeg regelmäßig das Wasser zum Singen brachte, wurden ihre Hände nicht mehr eiskalt. Ein Umstand, dem sie nicht hinterher trauerte. So konnte sie sich ausgiebig der Körperpflege widmen, als das Festessen bereit stand. Wua kommandierte ganz Dame jeden Pinselstrich, der in ihr Gesicht gesetzt wurde und ließ sich in ihr mit Silberfäden durchwebtes Schaltuch kleiden. Das Familienessen war zweifellos festlich, aber noch lange kein Anlass, den besten Putz aus dem Schrank zu holen. Noeg entschied sich für ein Tuch, das mit roten Obsíablüten bestickt war. Teiw kämmte ihr die Haare.

„Du bist in letzter Zeit so still, Noeg. Bist du vielleicht…, also kann es sein,…?“ Teiw neigte ihre Lippen näher zu Noegs Ohr und flüsterte damit Wua es nicht hörte. „Gibt es da jemanden? Hast du einen Geliebten?“

Noeg zuckte überrascht.

„Nein! Wie kommst du denn darauf?“

„Nun, du verhältst dich so wie ich, als ich mich in Zel verliebte. Und da dachte ich…“

„Ich hätte es dir gesagt.“

Teiw grinste.

„Ha! Das wusste ich!“ Sie tätschelte Noegs Kopf. „Was ist es dann?“

Die Ältere umklammerte ihre Knie und seufzte. Wenn es jemanden gab, mit dem sie über ihr Geheimnis sprechen würde, dann war es Teiw.

„Wirst du mir versprechen darüber zu schweigen? Über alles das ich dir erzähle?“

„Ich schwöre es!“

„Gut. Dann komm morgen mit mir zum Strand!“

Teiw lächelte erleichtert. Sie zupfte noch ein paar Locken hier und da, dann trat sie zufrieden zurück.

„Du bist fertig.“

Noeg stand auf und kniff Teiw ins Kinn. Bevor sie noch etwas sagen konnte, kam der Vater ins Haus. Die Töchter stürmten ihm entgegen und nahmen ihm die Körbe ab. Er war auch an einem Tag wie diesem tauchen. Die Arbeit ruhte niemals.

„Papa! Hast du eine blaue Perle gefunden?“

„Leider nein. Sind meine Sachen bereit? Ich habe nicht mehr viel Zeit zum Umziehen.“ Trae eilte ins Bad und der Großvater kletterte aus der Hängematte, um die Familie Lúvia zu begrüßen. Noeg gesellte sich zu ihm.

„Ich hoffe, ihr habt den Muid gut versteckt.“

„Das wäre doch ein toller Härtetest, ob die unseren Clan aushalten.“, brummte der alte Lail.

Noeg nickte. Die Lúvias waren nette, wenn auch etwas dekadente Leute.

„Guten Abend, Lail-Usu. Noeg-Asa, du bist heute besonders hinreißend.“ Eení Úndea winkte von unten zur Veranda herauf.

„Danke, Eení-Us. Feierabend für heute?“, lächelte Noeg.

„Jaaa.“ Der junge Mann grinste und wischte sich das feuchte Haar aus der Stirn. „Komm morgen in unserem Laden vorbei! Ich habe schöne Waak-Kehlen erlegt. Rasiermesserscharf.“

„Hast du eine blaue Perle gefunden?“

„Leider nein. Aber wenn, dann hätte ich sie dir geschenkt.“

Noeg schnaubte grinsend.

„Im Leben nicht.“

„Hm, hast Recht.“ Eení schwenkte seinen Beutel und verschwand in der Gasse.

Noeg spürte den Seitenblick ihres Großvaters.

„Was?“, fragte sie.

„Er ist ein anständiger gutaussehender Kerl.“

„Er ist stark und fleißig.“

„Aber mehr auch nicht, was?“ Lail lächelte.

Noeg zuckte mit den Schultern. Leuchtkäfer schwirrten durch die Nacht und der Duft von Teiws Suppe machte Hunger.

„Síis war ein guter Junge.“, sagte Lail plötzlich in die Stille.

„Das war er.“ Noeg schloss die Augen, dann wandte sie sich zur Seite. „Opi! Dank dir wissen Teiw, Wua und ich, dass es nicht das höchste Gut ist, einen Ehemann zu finden.“

„Ja!“, meinte der Senior stolz.

„Gut. Aber warum fängst du dann immer wieder damit an?“

„Ich vermute wegen Teiw. Ihr ist es vergönnt ihre Jugendliebe zu heiraten.“

„Ich bin doch keine hundert Jahre alt Opi. Ich werde schon jemanden finden.“

Zels Eltern tauchten in der Dunkelheit auf. Die beiden Söhne gingen schwer bepackt hinter ihnen.

„Oh weh! Die Mutter trägt tatsächlich eine Yít!“, rief Lail erstaunt.

„Ich gehe schnell und sage Mama Bescheid. Dann schafft sie es noch ihre anzulegen.“

Die Yít war die traditionelle königsblaue Tracht, die jeder Bnaur-Dux im Schrank hatte. Sie bestand ebenfalls aus Amsifasern, wurde allerdings so fein gewebt, dass sie durchscheinend war und die Frauen trugen sie ärmellos über der Tunika. Eine weiße Kordel, auf die Xamees gefädelt waren, wurde fest um den Körper geschnürt, damit das Gewand nicht rutschte. Die Kordel wurde unterhalb der Brust angesetzt und wie ein Korsett bis zu den Hüften gewickelt. Das Kleid war vorne knielang, die Schleppe reichte allerdings bis auf den Boden. Die überreich aufgenähten Muscheln klimperten bei jedem Schritt, was vor allem beim Tanzen ein schönes Klangspiel gab. Die Herren trugen die Yít als ärmelloses Hemd über den Beinkleidern und dazu schwere Ledergürtel die mit Nieten beschlagen waren.

Wíig öffnete den Mund, um sich über den zusätzlichen Aufwand aufzuregen, besann sich dann eines Besseren und floh in das elterliche Schlafzimmer.

Zel kam herein, die Abendglocken läuteten und er zwinkerte Noeg unter seiner Hand an, während er seine Stirn berührte.

„Das wird ein Eiertanz.“, flüsterte er.

„Keine Sorge! Wenn es schief geht, wir lieben Omelette.“, kicherte Noeg.

Zel lachte und schob ihr die Gaben in die Arme, damit er seine Braut drücken konnte. Das Essen verlief gut, da es vorzüglich war und Trae ein paar unterhaltsame Geschichten zum Besten geben konnte. Als die Eltern süßen Dukamais mit Kompott aßen, verkrümelten sich die Jüngeren auf die Veranda. Sie setzten sich auf die Brüstung und tranken Schnaps, den Rehs mitgebracht hatte. Er war Zels jüngerer Bruder.

„Ich habe gehört, dass die Leihgebühr für das Brautkleid wieder gestiegen ist.“, meinte dieser und schenkte Noeg nach.

„Der Bürgermeister sagte, die Abgaben an den Kaiser sind erhöht worden. Es sei nicht seine Schuld, dass er so viel verlangen muss.“ knirschte Teiw. „Tja, der Palast verschlingt Unsummen. Die Herrschaft dort kümmert es wenig, wenn unbedeutende Leute wie wir versuchen unser Leben zu bestreiten.“

„Du würdest selbst den Kaiser anschnauzen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest.“, stichelte Zel und kassierte einen Boxhieb.

Im Haus ging es friedlich zu. Hin und wieder ließ sich sogar Gelächter vernehmen. Als Großvater erschien, um in die Hängematte zu steigen, waren die letzten Planungen offensichtlich abgeschlossen. Rehs versteckte die Schnapsflasche und jeder, der daraus getrunken hatte, musste sich verstohlen am Geländer festhalten. Tikúu-Schnaps hatte es in sich.

Zels Eltern gingen in ihr Haus hinunter. Der Bräutigam bot an beim Aufräumen zu helfen. Noeg quittierte dieses löbliche Verhalten mit einem Schnauben. Er und Teiw würden keinen Handgriff machen, sondern sich irgendwohin verlaufen und wie gewöhnlich übereinander herfallen. Noeg schüttelte sich und schwankte in den Wohnraum, um mit der Mutter und Omi abzutragen. Trae sah glücklich aus. Dann war alles in Ordnung.

Spät in der Nacht kämmte sich Noeg die Haare aus und kroch auf die Matratze. Wenn sie sich nicht gänzlich irrte, war ihr schlecht. Zum Donner mit diesem blöden Schnaps!

Verschlafen torkelte Noeg am Morgen aus dem Bett. Ihr Kopf fühlte sich immer noch schwer und aufgeblasen an. Teiw schien ihre Kissen nicht berührt zu haben. Sie war gar nicht im Zimmer gewesen. Noeg wollte ihr diese Freiheit lassen und nicht ständig an dem Benehmen ihrer Schwester herumnörgeln. Sie war verliebt und in ein paar Tagen durften sie und Zel sowieso tun und lassen, was ihnen gefiel. Auch sämtliche Dinge, die für reichen Nachwuchs sorgten.

Noeg machte Frühstück für die schlafende Familie und ging anschließend zum Strand. Sie hoffte, Teiw würde nicht vergessen, dass sie ausgemacht hatten sich dort zu treffen. Mittlerweile wäre es Noeg mehr als lieb, endlich über ihre Gabe sprechen zu können. Die Fischer waren längst zurück. Toog saß im Dünenmeer und bastelte eine Figur. Kinder tummelten sich am Flussufer und spielten. Ihre kleinen braunen Körper glänzten in der Sonne und die Mädchen pflückten emsig Noegblüten, um sich daraus Haarschmuck zu machen.

Der Vormittag verstrich. Teiw kam nicht. Noeg lag auf dem Rücken im Sand und trotzte der Hitze. Schaltuch und Stiefeletten hatte sie längst ausgezogen. Die Mütter riefen ihre Kinder zum Mittagessen. Noeg war enttäuscht. Ihr war heiß. Schließlich stand sie auf, watete durch den Klee und tauchte unter, als der Wasserstand ihre Hüften erreichte. Sie ließ sich sofort von einem Strudel in die Tiefe tragen und spähte umher, ob ein Bnaur in der Nähe war, um Dinge aus dem Ux zu sammeln. Da Noeg niemanden sah, legte sie an Geschwindigkeit zu und rauschte bis über die Mitte des Flusses zu einem Felsen, der mehr der Küste von Redné zugewandt war. Dort hatte Noeg schon des Öfteren Rast gemacht. Sie nannte den großen Steinbrocken ‚Nase‘, weil er genauso aussah. Wie ein riesiger Zinken mit zwei ungleichen Nasenlöchern. Gondeln trieben keine im Umkreis und Noeg zottelte sehr nervös durch ihre Haare.

-Ich habe so Muffensausen!-

Aber was nutzte es? Das Wasserfeuer war in ihr und sie musste lernen, es sich zum Freund und Vertrauten zu machen. Wollte man etwas erlernen, blieb nichts weiter, als fleißig zu üben. Noeg knotete sich das Nackenband fester und versuchte ihren Atem zu kontrollieren.

-Dann wollen wir mal!-

Sie ließ sich ins Wasser gleiten und schwamm bis zum Fuß des Nasenfelsens. Der Ux leuchtete türkisblau und die Sonne spann goldene Strahlen in den Wellen. Es war ein schöner Anblick. Noeg schöpfte daraus Kraft.

Sie begann langsam. Der fließende Gesang setzte ein, die zartroten Flammen blitzten auf und Noeg ließ sich in eine leichte Drehbewegung fallen. Bis jetzt war alles wie sie es kannte. Noeg schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. Dann aber bewegte sie die Zehen, erlaubte der zitternden Kraft durch sie hindurch zu fließen. Das Wasser um sie herum begann zu tirilieren wie eine Opernsängerin, der Sog wurde unfassbar stark. Noeg wurde schneller und schneller, ihr Herzschlag dagegen immer langsamer und ruhiger und sie wusste in dem Moment, dass sie dazu berufen war einen Teil ihres Lebens im Wasserfeuer zu verbringen.

Ein wahrer Feuersturm brach los wie ein gleißender Schweif. Wie eine lodernde lange Bahn zogen sich die rotgelben Zungen hinter Noeg her. Der Ux stand in Flammen. Noeg konnte nicht anders. Sie grinste breit und glücklich, trieb mit ungeminderter Geschwindigkeit ein wenig nach oben, legte die Arme seitlich am Körper an, um etwas Verrücktes auszuprobieren.

Noeg schoss aus den Fluten, schwebte in einem eleganten Bogen durch die Luft, tauchte wieder ein und machte es gleich noch einmal. Fliegende Fische! Daher wohl der Name. Noeg konnte es immer noch nicht recht fassen. Sie war eine Ztaa-Samro! Eine Feuerschwimmerin! Eine Frau!

Kapitel 2