Isardreh - Michael Gerwien - E-Book

Isardreh E-Book

Michael Gerwien

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

An einem windigen, regnerischen Samstagabend entdecken Exkommissar Max Raintaler und sein Freund Franz Wurmdobler die Leiche des erfolgreichen Filmproduzenten Waldemar Brachtinger. Offensichtlich wurde er in seinem Büro in der Filmstadt vor den Toren Münchens im Nobelvorort Grünwald ermordet. Die Spur führt zunächst in die Kreise der oft neidischen und emotional aufgeladenen Filmbranche, aber auch nach München hinein. Als dann auch noch Max‘ langjährige Lebensgefährtin entführt wird, gerät der Exkommissar unter Druck.

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Seitenzahl: 312

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Michael Gerwien

Isardreh

Kriminalroman

Zum Buch

Mord in der Münchner Filmstadt Exkommissar Max Raintaler und Hauptkommissar Franz Wurmdobler entdecken die Leiche des erfolgreichen Filmproduzenten Waldemar Brachtinger. Offensichtlich wurde er in seinem Büro in der Filmstadt im Nobelvorort Grünwald ermordet. Da Brachtinger unzählige Liebschaften und immer Ärger mit abgelehnten Schauspielern, Regisseuren und Konkurrenten hatte, bekommen es Max und Franz mit einem weitläufigen Kreis an Verdächtigen zu tun. Die Spur führt zunächst in die Kreise der oft neidischen und emotional aufgeladenen Filmbranche, aber auch nach München hinein, wo der Produzent ganz in der Nähe des Friedensengels die sündhaft teure Bogenhausener Familienvilla seiner Vorfahren bewohnte. Als während der Ermittlungen auch noch Monika Schindler, Max Raintalers langjährige Lebensgefährtin, von Unbekannten entführt wird, geraten Max und Franz unter Druck. Auch hier führt die Spur über einen Umweg zum Starnberger See direkt in die Filmstadt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Fällen?

Michael Gerwien lebt in München. Er arbeitet dort als Autor von Kriminalromanen, Thrillern, Kurzgeschichten und Romanen. Seine Lesungen begleitet er selbst mit Musik.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © SusaZoom / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-7534-4

Vorbemerkung

Riesengroßen und ganz lieben Dank an meinen Sohn Patrick und an meine langjährige Lektorin Claudia Senghaas für die tolle Mitarbeit an all meinen Max-Raintaler-Büchern und für die großartige Unterstützung. Ohne euch beide wäre dieses umfangreiche Krimireihen-Projekt so nicht möglich gewesen.

1

»Da, siehst du es?« Der klein gewachsene glatzköpfige Hauptkommissar Franz Wurmdobler zeigte aufgeregt auf das Leuchtdisplay des länglichen Messgerätes in seiner Hand.

»Nein.« Sein alter Freund, Ex-Kommissar Max Raintaler, schüttelte den Kopf. »Ich sehe nicht das Geringste, Franzi.« Der jetzige Privatdetektiv trat einen Schritt zurück, damit Franz noch besser messen konnte.

»Aber das Ding hier schlägt aus wie wild. Da drüben muss ein Geist in der Nähe sein.« Franz ging noch tiefer in die Ecke des dunklen Kellerraumes unterhalb des riesigen Bürokomplexes in der Münchener Filmstadt in Grünwald hinein, wohin ihn der bekannte Filmproduzent Waldemar Brachtinger vorhin am frühen Samstagabend gerufen hatte. Jetzt war bereits 18 Uhr durch, und sie standen immer noch hier.

Das Licht hatten sie absichtlich ausgeschaltet, weil Franz’ neues Spielzeug, ein hochmodernes Suchgerät, um Geister aufzuspüren, angeblich nur im Dunkeln funktionierte. So hatte er es Max zumindest erklärt.

»Im Keller von unserem Bürogebäude spukt es schon wieder«, hatte Waldemar am Telefon gemeint. »Ein Poltergeist. Du hast mir doch beim letzten Stammtischtreffen von deinem neuen Hobby, der Geisterjagd, erzählt.«

Normalerweise wäre das zwar kein Fall für einen Mordermittler, hatte Franz daraufhin geantwortet, aber Waldemar habe schon recht, die Geisterjagd sei auf jeden Fall seine neueste Leidenschaft. Deshalb würde er natürlich gerne gleich einmal mit dem Max Raintaler vorbeikommen, den Waldemar bereits ebenfalls vom Stammtisch her kenne. Der sportliche Blonde mit den stahlblauen Augen.

»Du mit deinen seltsamen Ideen.« Max, der grundsätzlich immer neugierig war, wenn es etwas zu ermitteln gab und deshalb mitgekommen war, verdrehte genervt die Augen. Wäre er diesmal doch nur daheim geblieben. Das Ganze war für ihn nichts weiter als ein riesen Schmarrn. »Einmal willst du Kanzler werden«, fuhr er fort. »Dann machst du eine Diät im Kurhotel, bei der du nur Schweinsbraten in dich reinschaufelst, und jetzt fängst du auch noch damit an, mit einem albernen Geisteranzeigegerät einen angeblichen Poltergeist zu jagen.«

»Du wirst es schon noch erleben, dass es diesen Geist wirklich gibt.« Franz zeigte auf das Display seines Geistersuchgerätes, auf dem die Anzeigenadel inzwischen völlig verrücktspielte. »Schau nur hin, wie das Ding ausschlägt.«

»Wenn du mich fragst, ist es kaputt«, erwiderte Max. »Mir ist das jetzt auch echt zu blöd, Franzi. Hier sind keine Geister. Auch keine Poltergeister. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, Herrschaftszeiten noch mal. Ich fahr lieber gleich mit der Trambahn heim und leg mich hin, servus.«

Max drehte sich um, ging zur Kellertreppe hinüber und wollte gerade seinen Fuß auf die erste Stufe setzen, als er von hinten einen Schlag auf den Kopf bekam. Noch im selben Moment wurde es schwarz um ihn herum.

Als er wieder aufwachte, erkannte er die Umrisse von Franz’ Gesicht im Halbdunkel, der sich mit besorgter Miene zu ihm hinunterbeugte.

»Geht’s wieder?« Franz’ Stimme klang weit entfernt.

»Was ist los?« Max schüttelte sich.

»Wach schon auf.« Franz schlug ihm leicht links und rechts mit der flachen Hand ins Gesicht.

»Aufhören«, stammelte Max immer noch verwirrt. »Ich kann Karate.«

»Ich bin’s, Depp. Wach endlich auf!« Franz ließ nicht locker.

»Hör du lieber auf, mir Watschn zu geben, selber Depp, und leuchte mir nicht mit der bescheuerten Taschenlampe ins Gesicht. Ich hab Kopfweh.« Max verzog sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes.

»Dann bleib jetzt wach.«

»Was ist denn passiert?«

»Du bist umgekippt. Warum, weiß ich nicht.«

»Ich glaub, ich hab eins draufgekriegt. Warst du das? Hast du mir auf den Kopf gehauen? Spinnst du jetzt ganz?« Max richtete sich wütend auf und schubste Franz weg.

»Glaub mir, ich hatte Besseres zu tun.« Franz hob abwehrend die Hände. »Da hinten war tatsächlich ein Geist.« Er zeigte in die Ecke, in deren Richtung sein Messgerät zuvor so kräftig ausgeschlagen hatte.

»Geh, du spinnst doch nur noch. Geh mal zum Arzt.« Max rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hinterkopf. »Oder noch besser zum Psychiater.« Er lehnte sich an das Treppengeländer neben sich. »Warum stehen wir eigentlich immer noch im Dunkeln?«

»Den Arzt würde ich eher dir empfehlen mit deinen Kopfschmerzen.« Franz schaltete das Licht ein.

Sie sahen sich ausführlich in dem großen Kellerraum um.

»Keiner da außer uns.« Max wankte immer noch leicht benommen hin und her. Er konnte normalerweise einiges einstecken, aber der Schlag gerade eben war zu viel des Guten gewesen. »Ärzte machen einen erst krank«, fügte er hinzu. »Das weißt du genau. Wer war das wohl? Wer hat mir auf den Kopf gehauen?«

»Ich hab keine Ahnung. Bestimmt der Geist. Er ist nicht mehr da, wahrscheinlich geflohen.« Franz zuckte die Achseln. »Auf jeden Fall schlägt mein Gerät nicht mehr aus.«

»Das hat sicher den Geist aufgegeben. Wortspiel!« Max grinste schief. »Hast du nicht gesehen, wie jemand hinter mir stand und zugeschlagen hat?«

»Ich hab auf mein Gerät geschaut, und es war dunkel, wie du weißt. Gehört hab ich auch nichts, nur dein Stöhnen gerade. Außerdem, wenn Ärzte einen krank machen, warum willst du mich dann hinschicken?«

»Ist ja wieder gut, Franzi. Vergiss es.« Max schüttelte den Kopf, um es gleich wieder bleiben zu lassen. Es fühlte sich an, als würde sein Gehirn von innen wie eine Flipperkugel gegen die Schädeldecke schlagen. »Seit wann können Geister eigentlich zuschlagen? Ich dachte, die sind durchsichtig.«

»Woher soll ich das wissen? Das müssten wir einen Fachmann fragen. Ich bin schließlich Anfänger.« Franz zuckte die Achseln.

»Bestimmt war das im Eck gar kein Geist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der sich hier versteckt hat.«

»Warum sollte jemand das tun?«

»Keine Ahnung.« Max zuckte die Achseln. »Am besten kontaktieren wir mal deinen Waldemar, und frag auch gleich mal in deinem Geistershop nach, ob die Geräte auch bei ganz normalen Sterblichen ausschlagen, oder ob du es umtauschen kannst. Gegen eine Angel zum Beispiel. Das wäre wenigstens was Sinnvolles.«

»Ich weiß nicht.« Franz schüttelte langsam den Kopf. »Geht es wieder?«

»Passt schon.« Max rieb sich vorsichtig den Hinterkopf. »Lass uns zu Waldemar in sein Büro hinaufgehen.« Er hielt inne. »Moment, die Kellertür steht halb offen. Hatten wir die vorhin nicht hinter uns zugezogen?«

»Doch, sie war zu. Ganz sicher.«

»Dann komm schnell. Der Kerl muss da oben raus sein.« Max rannte voraus, Franz folgte ihm, so schnell es sein Bierbauch zuließ.

Als sie in Waldemars mit dem klassischen Hirschgeweih und alten Fotografien ehemaliger Filmstars eingerichteten Büro ankamen, fanden sie ihn auf dem hellen Parkettboden in einer Blutlache liegend vor. Die zimmerhohe Terrassentür stand sperrangelweit offen. Ein kalter Wind fegte ein paar braun gewordene Blätter herein. Max machte zwei schnelle Schritte auf Waldemar zu, entdeckte eine stark blutende Stichwunde in der Herzgegend, tastete nach seinem Puls und stellte fest, dass keiner mehr da war.

»Er wird uns leider keine Antworten mehr geben können.« Er schüttelte vorsichtig seinen Kopf, der nach wie vor schmerzte. Dann stand er auf und eilte zur Terrassentür hinaus, durch die der Täter geflüchtet sein musste.

Er entdeckte ein offen stehendes Gartentor, das in den kleinen Wald hinter dem Gebäude führte, lief hinüber und schließlich durch das Tor hindurch. Draußen suchte er auf dem Boden nach Fußspuren, entdeckte keine, sah sich nach dem Flüchtigen um, lauschte in den Wald hinein, ob er möglicherweise einen Ast knacken hörte. Er suchte noch eine Weile lang erfolglos weiter und kehrte schließlich unverrichteter Dinge zu Franz ins Haus zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor der nächste Herbstschauer aus den dunklen Wolken über ihnen fiel.

»So ein Mist«, hauchte er atemlos, nachdem er wieder bei Franz im Büro stand. »Niemand zu sehen. Dein Waldemar wird umgebracht, während zwei der besten Ermittler Münchens in seinem Keller nach Geistern suchen. Das sollten wir so vielleicht nicht unbedingt an die Presse weitergeben.«

»Stimmt. Die würden uns nur fertigmachen.« Franz nickte betroffen. Er war kreidebleich im Gesicht. »Herrgott noch mal, Max. Wir waren gerade eine halbe Stunde im Keller und vorhin, als wir hier ankamen, hat Waldemar noch gelebt.«

»Unfassbar.« Max nickte ebenfalls. »Und ein sauberes Sauwetter haben wir auch noch. Es schüttet, als würde morgen die Welt untergehen.« Er zeigte auf den immer stärker werdenden Regen, der im Garten für zahlreiche kleine und große Pfützen sorgte.

»Das Grau in Grau Anfang November konnte ich noch nie leiden«, sagte Franz. »Schon gar nicht in der Dämmerung. Da kriegst du auch ganz ohne Mordopfer Depressionen.«

»Wohl wahr.« Max nickte. »Aber wir haben erst Ende Oktober.«

»Ist doch dasselbe.«

»Finde ich nicht.«

»Wie auch immer, du alter Erbsenzähler. Ich hab den Krankenwagen schon gerufen und sag jetzt noch im Revier Bescheid, dass wir Waldemar gerade besuchen wollten, die Haustür offenstand, und wir ihn so vorfanden, wie er hier liegt.« Franz steckte geistesabwesend sein inzwischen nicht mehr leuchtendes Geistermessgerät in seine Manteltasche, das er die ganze Zeit über fest in der Hand gehalten hatte. »Sie sollen uns die Spurensicherung schicken«, fuhr er fort. »Von unserer missglückten Geisterjagd muss wirklich niemand etwas wissen.«

»Ich geh solang noch mal in den Keller und schau nach, ob es da irgendein Fenster oder eine Tür ins Freie gibt, die wir vorhin im Dunkeln übersehen haben. Irgendwie muss der Täter ja reingekommen sein.«

»Wieso?«

»Weil er mich ausgeknockt hat und offensichtlich zusammen mit uns im dunklen Keller war, bevor er über die Kellertür hier heraufkam. Schon vergessen?«

»Ach so, stimmt ja, sorry, Max. Ich brauch noch ein paar Minuten, bis ich wieder voll da bin.« Franz starrte nachdenklich auf Waldemars toten Körper. Offenbar konnte er immer noch nicht so ganz begreifen, was geschehen war.

»Kein Thema.«

»Wir sollten auf jeden Fall auch sein Haus beim Friedensengel durchsuchen«, fuhr Franz fort. »Vielleicht sind dort Hinweise auf die Tat zu finden.«

»Unbedingt, Franzi.« Max nickte.

»Er wohnte dort in der Villa, in der bereits seine Eltern gelebt hatten und vor denen seine Großeltern.«

»Ein alteingesessener Bogenhausener also. Die sind ja bekanntermaßen alle was Besseres.«

»Nicht alle, aber viele. Schauspielerinnen und Schauspieler, Unternehmerinnen und Unternehmer, Erbinnen und Erben, Tennisspielerinnen und Tennisspieler und so weiter.«

»Sag ich doch. Lauter Geldige und Geldiginnen.«

2

Als Max zurück im Keller war, schaltete er so viele Lampen an, wie er finden konnte, und stieß nach einigem Suchen prompt auf einen mit Filz gepolsterten Ausgang genau in der Ecke, in der Franz vorhin seinen Geist vermutet hatte. Die Tür war zu, aber nicht abgesperrt. Der Täter musste also hereingekommen sein, kurz bevor sie den Keller betraten. Wahrscheinlich wollte er gerade nach oben, als sie die Kellertreppe hinunterstiegen, und er versteckte sich deshalb vor ihnen.

Max war Profi genug, um die Klinke nur vorsichtig mit einem der Papiertaschentücher anzufassen, die ihm seine Teilzeitlebensabschnittsgefährtin Monika heute Morgen wegen des stürmischen Herbstwetters mitgegeben hatte.

Er stieg die Außentreppe hinauf, die geradewegs neben die Garageneinfahrt führte, wo der gesamte Boden asphaltiert war. Mit Fußspuren war also auch hier nicht zu rechnen, genau wie hinter dem Haus.

Er machte sich auf den Rückweg in Waldemars Büro und hoffte, dass die Kollegen von der Spurensicherung mit ihrer professionellen Ausrüstung mehr Glück mit der Spurensuche hätten als er.

»Es war wohl so«, erklärte er Franz, als er wieder bei ihm war, »er ist unten zur Kellertür rein, die aus irgendeinem Grund nicht verschlossen war. Möglicherweise hatte er einen Schlüssel. Kurz darauf kamen wir die Treppe runter, und er versteckte sich vor uns, weil es zu auffällig gewesen wäre, die Tür erneut zu öffnen. Da wären wir ihm gleich hinterher oder hätten ihn zumindest gesehen. Als du das Licht wegen deinem Geistergerät ausgemacht hast, wollte er nach oben schleichen, aber ich war ihm im Weg. Er schlägt mir also auf den Kopf und steigt gleich darauf die Treppe nach oben. Du hörst ihn nicht, weil du zu seinem Glück so sehr auf dein Gerät konzentriert bist, dass du nichts anderes mitkriegst. Oben sticht er dann Waldemar ab und verschwindet durch die Terrassentür in den Garten.«

»So muss es gewesen sein.« Franz schüttelte den Kopf. »Unglaublich. Was für ein saublöder Zufall, dass der Mörder ausgerechnet dann hier hereinkommt, wenn wir nach Geistern suchen sollen.«

»Synchronizität«, meinte Max. »Herrschaftszeiten, so nah waren wir wohl noch nie an einer Tat dran.«

»Was soll das heißen mit diesem Synchronzeugs?«

»Du bist doch der Esoterikfachmann von uns beiden.«

»Bin ich das?« Franz schaute überrascht drein.

»Kannst es ja mal im Internet nachlesen. Auf jeden Fall bedeutet es wohl, dass es zeitgleiche Ereignisse gibt, die ohne ersichtlichen Grund passieren. So ganz genau hab ich es auch nicht kapiert. Da müsste man schon ein Wissenschaftler sein.«

»Dann schau ich wohl doch lieber mal im Internet nach.« Franz schüttelte zweifelnd den Kopf. »Wissenschaftler sind wir beide nicht.«

»Auf keinen Fall.« Max nickte.

»Mann, wir hätten Waldemar vielleicht sogar noch retten können, wenn wir schneller reagiert hätten.« Franz sprach langsam. Er stand nach wie vor unter Schock. Der Tote war nicht sein bester Freund gewesen, aber immerhin ein Freund, und jetzt lebte er nicht mehr. So etwas ließ niemanden kalt. Schon gar nicht den für einen Kriminalkommissar außergewöhnlich sensiblen und eigentlich so gut wie immer menschenfreundlichen Franz.

»Wie hätten wir denn wissen sollen, dass er in Gefahr ist? Einen Mord während unserer Anwesenheit lassen wir natürlich nicht auf uns sitzen, oder?« Max sah Franz fragend an, der sich inzwischen rechts des riesigen Schreibtisches aus dunkelbraunem Holz auf eines der schwarzen Besuchersofas im Landhausstil gesetzt hatte.

Gemütlich sah es nicht gerade aus in Waldemars Büro. Aber wer hart arbeitete, brauchte auch keine Gemütlichkeit um sich herum, sondern kühle Sachlichkeit, die die Konzentration förderte. Zumindest hatte Max das so irgendwo einmal gehört oder gelesen. Sein eigenes Büro als Privatdetektiv hatte er bei sich daheim eingerichtet. Es bestand aus seinem Smartphone und seinem Küchentisch, falls tatsächlich mal etwas zu schreiben war. Seine Klienten traf er meistens in Monikas kleiner Kneipe. Da war mehr Platz, und Monika brachte jederzeit ein Getränk, wenn er sich nicht gar selbst bediente. Ihm war klar, dass man von ihm das Sparen lernen konnte.

»Natürlich lassen wir das nicht auf uns sitzen.« Franz nickte. »Ich werde dich offiziell als Verstärkung eintragen. Fragt sich nur, wo wir mit den Ermittlungen anfangen sollen. Ich hab mich schon mal ein wenig umgesehen. Seine ganzen Papiere, Bank- und Kreditkarten. Es ist alles noch da.«

»Dann war es also auf jeden Fall kein Raubmord?«

»Eher nicht.« Franz schüttelte den Kopf. »Es sein denn, er hatte hier irgendwo zum Beispiel Bargeld oder wichtige Papiere herumliegen, von denen wir nichts wissen können.«

»Logisch, um wissen zu können, was fehlt, musst du erst mal wissen, was vorher überhaupt da war.«

»Eben.« Franz nickte.

»War er verheiratet?«

»Waldemar war eingeschworener Single. Er hatte aber zahlreiche Freundinnen, und von einer Tochter hat er auch mal was erwähnt.«

»Lässt du sie informieren?«

»Sicher, ich ruf gleich im Revier an, dass ihr jemand Bescheid gibt.« Franz nickte.

»Die zahlreichen Freundinnen sind wohl normal in seiner Position im Filmgeschäft.« Max nickte wissend. »Da gibt es doch sicher etliche von ihnen, die sich von einer Affäre mit ihm etwas versprochen haben.«

»Was sollten sie sich denn davon versprechen?«, fragte Franz.

»Ruhm, Ehre, Filmrollen. Lass deine Fantasie spielen, Franzi. Du bist doch sonst nicht so naiv.« Max sah seinen besten Freund und Ex-Kollegen verwundert an. Es verblüffte ihn immer wieder. Nie konnte er so recht vorausahnen, was in Franz’ Kopf vorging.

»Na ja, stimmt schon.« Franz nickte erneut. »Ich war übrigens so frei und hab mich auf den Schock hin an seinem Whiskey bedient.« Er zeigte auf das halb mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllte Wasserglas, das vor ihm auf dem gläsernen Couchtisch stand. »Er selbst wird ihn nicht mehr brauchen. Magst du auch einen? Es ist ein 30 Jahre alter Single Malt. Schade drum, wenn man ihn einfach so verkommen lassen würde.«

»Bei einem 30 Jahre alten Single Malt für Singles kann ich auf gar keinen Fall Nein sagen. Das käme einer Sünde gleich.« Max setzte sich zu ihm auf das andere Besuchersofa.

»Das ist wohl wahr.« Franz holte ein zweites Glas aus der Vitrine neben ihnen und schenkte Max ein. Seine Bewegungen waren langsam, so als wäre er nicht ganz bei der Sache.

Sie stießen an.

»Prost, Franzi«, sagte Max.

»Auf diejenigen von uns, die nicht mehr unter uns sind«, erwiderte Franz. Er war deutlich ergriffen. Tränen stiegen ihm in die Augen.

»Wer könnte es gewesen sein?«, fragte Max, nachdem sie getrunken hatten.

»Ganz ehrlich?« Franz sah ihn lange an. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. So wie ich es im Moment sehe, kann es jeder gewesen sein.«

Sie tranken erneut. Dann schenkte ihnen Franz noch einmal nach.

Wenig später stand Jan Reiter, der Leiter der Spurensicherung, mit seinen Kollegen vor der Tür. Franz führte sie hinein, zeigte ihnen, wo die Leiche lag, erklärte Jan, worauf es ihnen ankam, dass sie zwei Gläser benützt hatten, übertrug ihm die Verantwortung für den Tatort und verabschiedete sich anschließend mit dem Hinweis darauf, dass Max und er sie in Ruhe arbeiten lassen würden. So gäbe es erfahrungsgemäß die besten Untersuchungsergebnisse.

»Passt schon«, meinte Jan daraufhin.

Dann gingen sie zur Tür hinaus.

Max und Franz waren sich einig, dass sie gleich morgen in aller Früh die Arbeit aufnehmen und den Mörder von Waldemar zur Strecke bringen wollten. Das war schließlich Ehrensache in diesem ganz besonderen, fast schon privaten Fall. Dann lägen hoffentlich auch schon die ersten Ergebnisse von Jans Team und vom Leichenbeschauer auf Franzis Schreibtisch, und sie würden sich damit leichter bei den Ermittlungen tun. Obwohl morgen Sonntag war.

3

»Du kanntest diesen Waldemar doch näher«, sagte Max zu Franz, als sie im strömenden Regen aus der berühmten Filmstadt vor den Toren Münchens hinausfuhren. »Fällt dir wirklich kein Grund ein, warum er getötet worden sein könnte? Wer hatte etwas gegen ihn?«

»Ich weiß es nicht.« Franz bog in die von hohen Bäumen flankierte Hauptstraße ein. »Ich kannte ihn nur vom Stammtisch her. Er war eigentlich immer gut drauf und gab auch gern mal einen aus. Geld hatte er schließlich genug.«

»Was ist mit seinen Frauengeschichten? Seitensprünge? Betrug? Erzwungener Sex, wie dieser amerikanische Filmproduzent vor ein paar Jahren, der dann alles mit ein paar Millionen geregelt hat?« Max sah seinen Freund von der Seite an. »Du sagtest doch, er hätte unzählige Freundinnen gehabt. Mit unzufriedenen Schauspielern, Drehbuchautoren oder Regisseuren hatte er sicher auch hin und wieder den einen oder anderen Streit. Es geht beim Film schließlich um riesige Summen.«

»Mir ist tatsächlich nichts Ungereimtes über ihn bekannt, Max. Auch wenn du mir das nicht glaubst.« Franz starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe. Er nahm dabei aus den Augenwinkeln im Rückspiegel das Pferdedenkmal vor dem Filmgelände wahr, das sie gerade hinter sich ließen. »Eine neue Freundin hatte er, glaube ich. Aber ich kenne sie nicht näher.«

»Aha.«

Sie fuhren schweigend in die Stadt hinein. Die Scheibenwischer des Autos liefen auf Hochtouren, trotzdem war die Sicht denkbar schlecht. Max fragte sich, wann es zuletzt ein solches Mistwetter gegeben hatte, doch so weit er auch zurückdachte, er konnte sich nicht erinnern. Typisch Herbst halt.

Am Tiroler Platz bog Franz nach links zum Tierpark hinunter ab, wo Max’ Freundin Monika ganz in der Nähe ihre Kleine Kneipe hatte, von der ihn Franz vorhin auf dem Hinweg zu Waldemar abgeholt hatte.

»Du willst doch zurück zu Moni, oder?«, erkundigte er sich.

»Sicher.« Max nickte. »Kommst du auf einen Schluck mit rein? Vielleicht hat sie ein paar ihrer genialen Fleischpflanzerl für dich übrig.«

»Klingt sehr verführerisch. Insbesondere weil mich meine Sandra zurzeit wieder mal an der ultrakurzen Leine hält, was das Essen betrifft.« Franz leckte sich mit der Zunge über die Lippen.

»Joghurt und Früchte?« Max musste grinsen. Da er ihn seit dem Kindergarten kannte, wusste er genau, wie ungern sich Franz von jeher gesund ernährte. Obwohl es ihm sicher nicht geschadet hätte. Aber es schmeckte ihm einfach nicht. Da war nichts zu machen.

»Schlimmer. Ihr neuester Plan für mich ist eine Schrottkur.«

»Eine Schrottkur? Will sie dich zum alten Eisen geben?« Max schüttelte grinsend den Kopf. Natürlich wusste er, dass es keine Schrottkur gab. Fragte sich nur, ob Franz das auch wusste.

»So ähnlich.« Franz grinste unsicher. Er schien nicht genau zu wissen, was Max meinte, wollte das aber wohl auf keinen Fall zugeben.

»Ich glaube eher, dass sie eine Schrothkur mit dir machen will.« Max grinste immer noch. »Das ist so eine spezielle salz- und fettlose Diät mit Reis-, Gries- und Haferbrei.«

»Ist das etwa kein Schrott, Herr Oberschlaumeier?« Franz grinste.

»Doch, könnte man so sagen.« Max schüttelte erneut den Kopf und lächelte amüsiert. Auf seine ganz spezielle Art und Weise war Franz einfach unschlagbar. Nichts auf der Welt könnte sie jemals auseinanderbringen. Er wusste, dass Franz genauso dachte. »Also kommst du noch mit?«

»Na klar. Ein dreifaches Hoch auf Fett und Bier und Bratensaft.«

Franz parkte seinen Wagen direkt vor der Tür zu Monikas kleiner Kneipe in der Nähe des Flauchers. Dann gingen sie mit über den Kopf gezogenen Jacken hinein. Für den wunderschönen kleinen Biergarten vor dem Lokal war es leider schon zu kalt und heute sowieso viel zu nass. Da würden sie wohl bis zum nächsten Frühjahr warten müssen, um eine schöne Halbe an der frischen Luft zu genießen.

»Hallo, ihr zwei!«, begrüßte Monika sie fröhlich. Sie hatte pünktlich um 22 Uhr geschlossen und war jetzt damit beschäftigt, den Tresen ihres mit viel dunklem Holz eingerichteten Schankraumes zu putzen. »Sauwetter, stimmt’s?«

»Hallo, Moni.« Max umarmte sie und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. »Das kannst du laut sagen. Typisch Herbst halt. Bald ist Weihnachten. Schau mal, wen ich dir mitgebracht habe. Einen hungrigen Gesellen, der ohne deine Fleischpflanzerl nicht einschlafen kann.«

»Servus, Moni«, sagte Franz.

»Ihr habt Glück. Ich hab noch welche da. Sie sind allerdings kalt.« Monika legte ihren Putzlappen beiseite und wusch sich die Hände. »Wie war es in Grünwald? Wolltet ihr nicht irgendwo auf dem Filmgelände Franzis neues Geistersuchgerät ausprobieren? Das sagtet ihr doch, als ihr vorhin verschwunden seid.«

»Wollten wir, und dabei haben wir gerade einen Toten gefunden«, erwiderte Max.

»Wieso wundert mich das nicht?« Sie sah von einem zum anderen. Dann blieb ihr Blick an Max hängen.

»Es ist der Filmproduzent Waldemar Brachtinger.« Er kniff ernst die Lippen zusammen. »Er lag in seinem Büro draußen auf dem Filmgelände. Ich bekam vorher auch noch kräftig eins auf die Nuss.«

»Der Waldemar Brachtinger ist tot? Bei dem wart ihr also.« Sie machte ein erschrockenes Gesicht. »Mein Gott, er hat wirklich tolle Filme gemacht. Ich habe sie geliebt.«

»Stimmt«, fügte Franz hinzu. »Sandra und ich haben sie auch immer gerne gesehen. Sein Name stand für Qualität, was nicht jeder von sich behaupten kann. Erst recht nicht im Filmgeschäft.«

»Schlimm?« Monika sah Max neugierig an.

»Der Kopf?« Er tippte sich gegen die Stirn.

»Nein, dein rechtes Knie.« Sie lachte leise. »Natürlich dein Kopf, Depp.«

»Ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr.« Er setzte ein vorwurfsvolles Gesicht auf. »Geht schon wieder. Ich könnte eine Kopfschmerztablette gebrauchen.«

»Kriegst du. Ach, weil ihr gerade den Brachtinger erwähnt habt.« Monika machte eine kleine Pause. Offensichtlich dachte sie nach.

»Ja?« Franz sah sie erwartungsvoll an.

»Also neulich, da saßen hier zwei Schauspieler«, sagte sie schließlich. »Nichts großartig Berühmtes, glaube ich, aber in Deutschland wohl doch ziemlich bekannt. Sie kommen gelegentlich her und schienen diesen Brachtinger zu kennen. Sie haben nur über ihn geschimpft. Brachtinger hätte sie betrogen. Er wäre ein ganz übler Ganove und so weiter.«

»Totaler Schwachsinn. So war Waldemar nicht«, protestierte Franz. »So gut kenne ich ihn auf jeden Fall.« Er schüttelte energisch den Kopf.

»Daran kannst du dich noch so gut erinnern, Moni? Wie das?« Max sah sie lange an und zog dabei verwundert die Brauen hoch. Dass sie normalerweise ein gutes Gedächtnis hatte, wusste er. Aber im oftmals hektischen Kneipenbetrieb ging so manches unter. Das wusste er auch.

»Sie hatten bereits fünf Halbe und unterhielten sich eigentlich ganz privat unter Eingeweihten. Nur halt ein bisserl zu laut. Deswegen habe ich alles unfreiwillig mitgehört.« Monika grinste flüchtig. »Außerdem schien Brachtinger verschiedene Liebschaften auf beiden Seiten des Flusses zu haben, meinten sie. Scheinbar war das ein offenes Geheimnis.«

»Er war bisexuell?« Max staunte.

»Schaut so aus.« Sie nickte zum wiederholten Mal.

»Das wussten die beiden also auch. Weißt du, wie sie heißen?« Max sah sie gespannt an. Die Namen wären natürlich hilfreich gewesen, weil sie ihnen eine Menge Nachforschungen erspart hätten.

»Nein.« Monika schüttelte den Kopf. »Aber sie waren, wie gesagt, schon öfter hier. Wenn ich sie das nächste Mal sehe, rufe ich euch sofort an.«

»Das wäre super, Moni«, meinte Franz. »Du weißt selbst, dass wir bei einer Mordermittlung auch der kleinsten Spur nachgehen müssen.«

»Natürlich.« Sie nickte. »Ich kenne euch zwei Supercops schließlich nicht erst seit gestern.«

»Was die beiden da gesagt haben, ist übrigens nichts als Schmarrn.« Franz schüttelte erneut den Kopf. »Der Waldemar hatte nichts mit Männern. Das hätte ich mitbekommen. Was waren das denn nur für Deppen? Bestimmt irgendwelche Neider.«

»Ich sage nur, was ich gehört habe«, meinte Monika achselzuckend. »So, und jetzt hole ich erst mal eure Fleischpflanzerl, für jeden ein Bierchen und eine Kopfschmerztablette für Max, einverstanden?«

»Perfekt, Moni«, freute sich Franz. »Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.«

4

Monika kam mit vollen Händen aus ihrer winzigen Küche zurück, in der sie jeden Tag ein paar kleine, typisch bayerische Schmankerl zum Bier zubereitete. Leberkäs, Fleischpflanzerl, Würschtel und so weiter. Sonntags gab es dann auch schon mal einen schönen Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Krautsalat. Morgen zum Beispiel war es wieder soweit. Sie würde den Braten gleich in der Früh in den Ofen schieben, damit er langsam vor sich hin garen konnte. So wurde er erfahrungsgemäß am zartesten.

Jetzt hatte sie zwei männerfaustgroße Fleischpflanzerl für jeden dabei. Auf den Tellern befanden sich ebenfalls je eine Brezn, ein kleiner Klecks Kartoffelsalat sowie ein großer Klecks Mayonnaise und ein noch größerer Klecks Ketchup.

»Kein Senf?«, erkundigte sich Max verwundert.

»Steht vor deiner Nase.« Monika zeigte auf den Tresen. »Ich möchte nur ein einziges Mal erleben, dass du nichts zu meckern hast.«

»Der Moment kommt dann, wenn alles passt.« Er grinste frech.

Im selben Moment, als Franz hocherfreut seinen ersten Bissen machen wollte, strömte eine bunte, lauthals singende Gruppe chinesische Touristen zur Tür herein. Sie hatten jeweils kleine verschiedenfarbige Papierwimpel in der Hand und winkten unentwegt damit. Gut die Hälfte von ihnen trug Kameras um den Hals. Es gab sie also tatsächlich, die lebendigen Klischees, und sie irrten auch noch spätabends im Herbst durch die abgelegeneren Gegenden Münchens, wie hier unten am Tierpark.

»Da schau her. Die sind richtig gut drauf«, entfuhr es Max spontan. »Daran sollten wir uns mal ein Beispiel nehmen, Franzi.«

»Übertriebene Fröhlichkeit schadet dem Denken.« Franz biss gierig in sein Fleischpflanzerl.

»Wir haben geschlossen.« Monika lief mit erhobenen Armen auf den schmächtigen Anführer zu. »Sorry, we are closed.«

»Aber diese Männer trinken und essen auch«, erwiderte der kleine Mann mit dem Tiroler Hut auf dem Kopf, während er auf Max und Franz zeigte.

»Privat, private, leider«, erwiderte Monika. »Kommen Sie bitte morgen Mittag wieder. Dann ist offen, tomorrow open. Tonight not.«

»Kein Bier? Wir kommen von weither aus China.« Er machte ein enttäuschtes Gesicht.

»Heute nicht mehr, leider.« Monika schüttelte bedauernd den Kopf. »Morgen gibt’s wieder Bier.«

»Morgen?«

»Morgen, jawohl. Morgen Mittag.« Monika musste sich ein Lachen verbeißen. Er schien ein wenig schwer von Begriff zu sein oder er war bereits sauber angetrunken.

»Okay.« Er nickte.

Die ganze Gruppe machte kehrt und verschwand wieder.

»Franz schwört übrigens auf sein Geistersuchgerät«, kam Max auf ihren Mordfall zurück, sobald sie wieder alleine waren. »Ich halte es für einen ausgemachten Schmarrn.«

»Kein Schmarrn.« Franz hob oberlehrerhaft den Zeigefinger. »Immerhin hat es ausgeschlagen.«

»Aber ohne Geist.«

»Auf jeden Fall frage ich gleich am Montag in der Früh bei Waldemars Produktionsfirma nach, mit wem genau er in letzter Zeit Streit hatte. Vielleicht geht es diesmal ja ganz schnell mit der Tätersuche.« Franz biss erneut in sein Fleischpflanzerl und verzog gleich darauf verzückt das Gesicht. »Ein Traum, Moni. Wie immer.«

»Freut mich, wenn es dir schmeckt.« Monika lächelte geschmeichelt.

»Mir schmeckt es auch«, meinte Max.

»Freut mich, Max. Etwas anderes hättest du auch nicht sagen dürfen, Freundchen.« Monika gab ihm ein Bussi auf die Wange. Sie lachte und zeigte dabei wie jedes Mal ihre tadellosen, strahlend weißen Zähne.

Ein perfekter Kontrast zu ihrem eher dunklen Teint, den blauen Augen und ihren pechschwarzen Haare. Alles gute Gründe, warum Max bereits seit langer Zeit so schwer verliebt in sie war. Allerdings durfte er das ihr gegenüber nicht zu offen zeigen, weil sie sich dann sofort bedrängt gefühlt hätte. Sie war beileibe kein einfacher Charakter. Aber wer war das schon. Er selbst sicher auch nicht.

Max lachte mit, und auch Franz stimmte ein.

Für einen kurzen Moment vergaßen alle drei den Mord an Waldemar.

»So kenne ich meine Moni. Immer bestens gelaunt.« Max trank zufrieden einen Schluck Bier. Er fragte sich dabei, ob es wirklich nötig war, dass er jede noch so kleine Kleinigkeit kommentierte. Schließlich könnte er doch auch einfach mal die Klappe halten. Möglicherweise würde es ihm seine Umwelt danken.

»Was bleibt einem anderes übrig mit einem ewigen Pessimisten wie dir an der Seite«, gab ihm Monika prompt zurück.

»Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, Leute. Diese Fleischpflanzerl schmecken tatsächlich einfach nur himmlisch. Ich glaube, ich hätte lieber dich statt Sandra heiraten sollen, Moni.« Franz verdrehte genussvoll die Augen.

»Dazu gehören immer noch zwei.« Monika lachte erneut.

»Das meine ich aber auch«, sagte Max. »Wenn nicht sogar drei.« Er zeigte auf sich.

»Oder vier. Vergesst mir die gute Sandra nicht.« Franz grinste. »Sie ist zwar nicht hier, aber ich habe sie immer in meinem Herzen dabei.«

»Wer’s glaubt, wird selig«, meinte Max und hörte auf zu grinsen. »Hast du vorhin im Auto nicht kurz erwähnt, dass Waldemar eine neue Freundin hatte?«

»Ich glaube nicht. Oder doch?« Franz legte nachdenklich die Stirn in Falten. Auch er hörte schlagartig auf zu grinsen. »Moment, du hast recht. Er hat einmal etwas von einer Verena erzählt. Soweit ich mich erinnere, hatte sie ihm früher immer nur in seinem Stammsalon beim Viktualienmarkt die Haare geschnitten. Recht viel mehr weiß ich leider nicht über sie.«

»Früher?« Max sah ihn erstaunt an. »Was soll das heißen?«

»Bis sie etwas miteinander anfingen. Dann hat sie nicht mehr nur seine Haare geschnitten.«

»Wann war das?«

»Vor ein paar Monaten, denke ich. Ich hätte sie gerne mal näher kennengelernt, aber es kam jedes Mal etwas dazwischen.«

»Kannst du über deine anderen Stammtischbrüder rausfinden, wie sie heißt und wo sie wohnt?«

»Bestimmt.«

»Sehr gut.« Max rieb sich zufrieden die Hände. »Dann würde ich sie mal so ganz allgemein befragen. Vielleicht findet sich bei ihr eine erste Spur. Was meinst du?«

»Gute Idee.« Franz nickte und schnappte sich das nächste Fleischpflanzerl.

5

Monikas Wecker zeigte 8.30 Uhr an.

»Mir brummt immer noch der Schädel«, meinte Max. Er hatte sie beim Schlafen beobachtet und dann aus Langeweile und Kaffeedurst damit begonnen, ihr ins Gesicht zu pusten, bis sie schließlich davon aufgewacht war.

»Dann nimm noch mal eine Kopfschmerztablette«, erwiderte sie verschlafen und gähnte laut.

»Wo hast du sie hin?«

»Ins Bad.«

»Hol ich mir gleich. Soll ich schon mal einen Kaffee durchlaufen lassen?«, fragte er. »Ich kenn mich zwar nicht so gut mit deiner Kaffeemaschine aus, aber ich könnte es versuchen.« Er wusste genau, dass sie es niemals zulassen würde, dass er mit ihren Sachen herumhantierte. Was das betraf, war sie schon immer eigen gewesen. Deshalb konnte er auch gefahrlos anfragen. Im schlechtesten Fall stieg er damit in ihrer Gunst, weil er Hilfsbereitschaft signalisierte, auch wenn sie in Wahrheit nur vorgetäuscht war.

»Nein, lass. Das mache ich lieber selbst«, erwiderte Monika erwartungsgemäß und stand auf.

»Soll ich solang Semmeln holen gehen? Wird zwar wehtun mit den Kopfschmerzen, aber ich würde es machen.«

»Ich hab genug Brot da. Hol dir deine Tablette und setz dich in die Küche. Der Kaffee ist gleich fertig.« Monika verließ das kleine Schlafzimmer, das zu ihrer Wohnung über ihrer kleinen Kneipe gehörte. »Und hör auf, mich mit deiner gespielten Pseudoschleimerei zu verarschen. Ich bin nicht blöd.«

»Wie meinst du das?«

»So wie ich es sage.«

»Na gut. Da will man helfen, und dann ist es auch wieder nicht recht.« Max zuckte die Achseln. Natürlich wusste er ganz genau, was sie meinte.

Er zog sich an, ging ins Bad, putzte sich die Zähne, schluckte frei nach dem Motto »viel hilft viel« sicherheitshalber drei Kopfschmerztabletten auf einmal und setzte sich anschließend zu Monika in die Küche. Als er zum Fenster raus sah, stellte er zufrieden fest, dass es aufgehört hatte zu regnen. Die Apokalypse schien ein vorzeitiges Ende zu nehmen. Die zehn Tage Dauerregen, die hinter ihnen lagen, waren auch mehr als genug.

Monika hatte den Tisch bereits gedeckt. Toast, Schwarzbrot, Butter, Schinken, Käse, Tomaten, Salatgurke, Lachs, Oliven, Honig, Marmelade.

»Hey, das sieht aus wie im Urlaubshotel in Italien«, freute er sich. »Und das ist jetzt keine Pseudoschleimerei, damit du es weißt.«

»Der Kaffee ist gleich fertig.« Sie ignorierte seine im leicht vorwurfsvollen Ton vorgetragene Einlassung. Wahrscheinlich hatte sie wie immer keine Lust, auf seine Provokation einzugehen. Beide wussten, dass es nur im Streit enden würde, wenn sie es täte. »Magst du ein weichgekochtes Ei?«, fragte sie ihn stattdessen.

»Gerne.« Er nickte.

»Eins? Zwei?« Sie sah ihn fragend an.

»Eins. Nein, doch lieber zwei.«

»Also zwei?«

»Zwei.« Er nickte erneut.

»Sicher?«

»Ja.«

»Gut, dann also zwei.«

Max’ Smartphone machte sich mit der Mundharmonikamelodie von Spiel mir das Lied vom Tod bemerkbar. Er hatte sie deshalb darauf installiert, weil er dachte, dass sie einfach perfekt zu einem Ex-Kommissar und Privatdetektiv passte. Außerdem liebte er den Film. Der beste Western aller Zeiten, pflegte er zu sagen, wenn das Gespräch darauf kam, und das meinte er auch so.

»Raintaler, wer stört?«, meldete er sich, nachdem er das Gespräch angenommen hatte.

»Franzi hier. Gut geschlafen?«, kam es vom anderen Ende der Leitung.

»Geht so. Was gibt’s Neues?«

»Verena Neuner. Sie wohnt ganz in der Nähe des Frisiersalons am Viktualienmarkt, in dem sie arbeitet, nämlich im Tal.«

»Das freut mich für die gute Frau Neuner.« Max lauschte mit offen stehendem Mund in den Hörer hinein.

»Waldemars Freundin?« Franz lachte leise.

»Ach ja, richtig. Entschuldige, ich bin noch nicht ganz wach.« Max schüttelte verwirrt den Kopf. »Schickst du mir bitte ihre genaue Adresse und die Telefonnummer aufs Handy, dann schau ich gleich nachher bei ihr vorbei.«

»Sicher. Bis dann, Max. Schönen Sonntag.«

»Gleichfalls.«

»So früh schon hinter anderen Frauen her?« Monika setzte, neugierig dreinblickend, die gekochten Eier für Max in zwei weiße Eierbecher aus Porzellan.

»Hör schon auf, Moni. Das war der Franzi. Du hast doch gestern mitbekommen, dass der tote Waldemar eine neue Freundin hatte. Ich werde gleich nach dem Frühstück zu ihr fahren und sie befragen. Oh je, bestimmt weiß sie noch nicht einmal, dass er nicht mehr lebt.« Er zog leicht genervt die Stirn in Falten. Näheren Freunden, Verwandten oder guten Bekannten der Opfer vom Tod ihrer Liebsten zu berichten, gehörte schon früher als Kommissar bei der Kripo nicht unbedingt zu seinen bevorzugten Tätigkeiten. Viele brachen dabei zusammen, und er war nun mal nicht der beste Seelentröster auf dieser Welt. Er hätte sich selbst zwar durchaus als einfühlsam bezeichnet, aber die innerliche Abgeklärtheit fehlte ihm einfach bei diesem heiklen Thema, und so ließ er die Dinge zu nah an sich heran, was die Situation nicht unbedingt besser machte. Weder für ihn noch für die anderen.

»Es sei denn, sie hat ihn eigenhändig umgebracht oder umbringen lassen.« Monika brachte es wieder mal gnadenlos auf den Punkt.

»So ist es, Madame Watson.« Max nickte. Er dachte noch eine Weile nach, dann machte er sich mit großem Appetit über das reichhaltige Frühstück her.

Monika hatte natürlich wieder mal recht. Waldemars Freundin zu befragen, war auch deshalb so wichtig, weil allgemein bekannt war, dass statistisch gesehen die größte Anzahl von Morden ihren Ursprung im privaten Umfeld der Opfer hatte. Oft musste man deshalb gar nicht besonders weit nach den Tätern suchen.

»Hilfst du mir heute Abend beim Ausschenken, oder soll ich Annie anrufen?«, fragte sie ihn.