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Ein lauschiger Abend im Biergarten. Die Abendzeitung wird an den Tisch gebracht, an dem Franz Wurmdobler mit seinen besten Freunden und Kollegen eine kleine Feier wegen seiner bevorstehenden Pensionierung ausrichtet. Der Aufmacher der Zeitung: Franz soll in jungen Jahren ein Mädchen vergewaltigt haben. Max Raintaler und sein Kollege Bernd Müller glauben nicht an Franz‘ Schuld und nehmen die Ermittlungen auf. Dabei geraten sie in einen Strudel von Mord und Lügen in der Welt der Schönen und Reichen. Es wird gefährlich!
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Seitenzahl: 320
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Michael Gerwien
Letztes Busserl im Hofbräuhaus
Kriminalroman
Mord in der Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft Ein lauschiger Freitagabend Anfang Juni. Franz Wurmdobler feiert seine bevorstehende Pensionierung im Biergarten am Hauptbahnhof mit seinen engsten Freunden und Kollegen. Dabei kommt ihm eine Meldung in der Abendzeitung sehr ungelegen, in der behauptet wird, dass er in seinen Studentenjahren eine gewisse Rosi Steininger vergewaltigt haben soll, die Frau eines verstorbenen Promianwaltes. Der Artikel stammt von Harry Meiser, einem windigen Schreiberling – und ist gelogen. Nachdem Rosi bekanntmacht, dass sie den Artikel aus schlechtem Gewissen widerrufen möchte, wird sie umgebracht und Franz von Harry beschuldigt, ihr Mörder zu sein, obwohl er ein Alibi für die Tatzeit hat. Jetzt sind Hauptkommissar Bernd Müller und Max Raintaler gefordert, den wahren Täter zu finden. Die Spur führt sie direkt in die Münchner Bussi, Bussi-Gesellschaft. Wird es den beiden gelingen, den Fall vor ihrer bevorstehenden Doppelhochzeit zu lösen?
Michael Gerwien lebt in München. Er schreibt dort Kriminalromane, Thriller, Kurzgeschichten und Romane.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
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sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © exclusive-design / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-7856-7
Riesengroßen und ganz lieben Dank an meinen Sohn Patrick und an meine langjährige Lektorin Claudia Senghaas für die tolle Mitarbeit an all meinen Max-Raintaler-Büchern und für die großartige Unterstützung. Ohne euch beide wäre dieses umfangreiche Krimireihen-Projekt so nicht möglich gewesen.
Selten war ein Biergartenabend so lauschig gewesen wie an diesem ganz besonderen Freitag Anfang Juni, an dem der kleine dicke Hauptkommissar Franz Wurmdobler seine besten Freunde zu seiner Abschiedsfeier vom Polizeidienst an einen extragroßen Tisch geladen hatte. Der Himmel in tiefes Rot und Orange gefärbt, ging die Sonne hinter den Häuserfassaden im Westen unter, ein laues Lüftchen wehte, und das bunte Münchner Völkchen ringsumher feierte essend und trinkend fröhlich ins Wochenende hinein. Überall war lautes Lachen, eifriges Diskutieren und Gläserklirren zu vernehmen.
Der blonde Ex-Kommissar Max Raintaler, Franz’ engster früherer Kollege und sein Kindergartenfreund, kam gerade noch rechtzeitig an den großen runden Tisch, um die kurze und prägnante Ansprache des baldigen Ex-Chefs der Münchner Abteilung für Mord und Gewaltverbrechen zu hören. Er setzte sich neben seine Teilzeitlebensabschnittsgefährtin, die attraktive dunkelhaarige Monika Schindler, und hörte zu.
»40 Jahre schuften sind genug, jetzt kommt die Zeit zum Genießen«, rief Franz mit erhobenem Maßkrug in die Runde. Zur Feier des Tages hatte er seine geliebte Trachtenlederhose und ein weißes Hemd samt Weste angezogen. »Und damit meine ich nicht nur die fröhlichen Abende in unserem schönen Biergarten hier am Hauptbahnhof. Lasst es euch alle schmecken. Die Rechnung geht heute auf mich.«
Begeisterter Applaus. Kurze Reden wurden in Bayern schon immer gern gehört. Man konzentrierte sich hier bei den Feierlichkeiten lieber auf das Wesentliche: essen und vor allem trinken.
»Gibt es denn noch etwas anderes als Biergärten und Kneipen, das du genießt, Franzi?« Der athletisch gebaute Bernd Müller, Franz’ langjähriger Kollege, der wegen seiner gelegentlich recht harten Verhörmethoden von allen im Revier »der scharfe Bernd« genannt wurde, lachte, und alle anderen am Tisch lachten mit.
»Natürlich.« Franz würdigte ihn kaum eines Blickes. »So einiges. Man hat schließlich eine Kultur. Fußball und die Spielfilme im Fernsehen zum Beispiel, Schwimmen und Bergwandern und so weiter.« Er trank einen großen Schluck von seinem Bier.
»Vor allem Bergwandern. Ich gangad auf die Kampenwand, wenn ich mit meiner Wampen kannt, oder?« Josef Stirner, langjähriger schnauzbärtiger Freund von Franz und Max, konnte sich den uralten Kalauer anscheinend nicht verbeißen. »Nicht bös gemeint, Franzi«, fügte er noch kopfschüttelnd hinzu. »Aber du und Bergwandern? Wirklich nicht. Eher geht eine Herde Elefanten durch ein Nadelöhr.«
Die ganze Runde lachte und kicherte erneut. Franz mochte tatsächlich alles Mögliche gewesen sein, aber auch nur annähernd sportlich war der langjährige Kettenraucher, Biertrinker und Gourmand ganz gewiss nicht. Jedermann am Tisch kannte seine sprichwörtliche Bewegungsallergie, und sein riesiger Kugelbauch war selbst beim besten Willen nicht zu übersehen.
»Aber schwimmen tut er wirklich gern, unser Franzi«, warf Max ein. »Sogar von selbst.« Monika stieß ihm daraufhin kräftig ihren Ellenbogen in die Seite.
»Muss das sein?«, zischte sie. »Seid halt nicht so g’schert.«
»Genau, Fett schwimmt oben«, prustete Franz’ geliebte Frau, die schlanke und durchtrainierte Sandra im selben Moment heraus. »Tut mir leid, Franzi, aber es stimmt ja.« Sie kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen, was sonst gar nicht ihre Art war. Bestimmt hatte sie bereits etwas tiefer ins Glas geschaut.
Wieder lautes Gelächter der anderen. Sogar Monika musste grinsen.
»Ja, wollt ihr mich jetzt alle verarschen?«, beschwerte sich Franz halb amüsiert, halb leicht eingeschnappt. Sicher bekam auch er, wie jeder andere, lieber Komplimente als Sticheleien zu hören, wusste Max, auch wenn diese gerade ganz bestimmt nicht so giftig gemeint waren, wie sie sich anhörten.
»Logisch wollen wir dich verarschen. Weil wir dich lieben.« Max nickte augenzwinkernd. »Servus übrigens, Franzi. Gratuliere zum baldigen Ruhestand. Kannst ja dann bald bei mir im Detektivbüro einsteigen.«
»Auch Servus, Max. Schön, dass du da bist.« Franz nickte ihm fröhlich zu. »Das mit dem Detektivbüro überleg ich mir tatsächlich. Ich geb dir Bescheid.«
»Prost auf unseren allseits geliebten Franzi!«, meinte Max und hob seinen Maßkrug. Irgendwann musste es auch wieder gut sein mit den frechen Sprüchen. Schließlich war Franz immer ein guter und verlässlicher Freund gewesen und ein verdienter Kripobeamter obendrein. »Herrschaftszeiten, wenn es dich nicht gäbe, müsste man dich glatt erfinden, oida Spezi. Viel Glück für die Zukunft wünsch ich dir.«
»Du bist der Beste, Franzi«, rief Monika, sichtlich erleichtert darüber, dass nicht mehr gestichelt wurde. Max wusste, dass sie das nicht mochte. Sie verstand immer einen guten Spaß, aber nicht auf Kosten anderer.
»Ein Prosit auf Franzi und alles Gute!«, schloss sich Josef an, und anschließend ließ der ganze Tisch den angehenden Pensionär gemeinsam hochleben.
Als da außer den bereits Genannten anwesend waren: Annie, Monikas beste Freundin und gleichzeitig Bernds Freundin, sowie Josefs Freundin Marion. Das war dann insgesamt der engste und wichtigste Kreis. Die offizielle große Verabschiedung mit den Kollegen vom Revier würde noch kommen, hatte Franz Max am Telefon erzählt.
»Das kann doch nicht wahr sein«, meinte Bernd auf einmal kopfschüttelnd und mit bleichem Gesicht. Er winkte den Zeitungsverkäufer, der an den Tischen vorbeilief, zu sich her, kaufte ihm eine Abendzeitung ab und hielt die Schlagzeile auf der ersten Seite in die Runde. Daneben erkannte man unschwer Franz, wie er gerade jemandem Handschellen anlegte.
»Das ist sicher nur ein schlechter Witz«, meinte Josef abwinkend.
»Natürlich.« Max nickte.
»Will dir jemand schaden, Franzi? Hast du Feinde, von denen wir nichts wissen?« Bernd hielt Franz die Zeitung hin. Der las flüchtig.
»Jetzt ist es aber wieder gut mit euren schrägen Scherzen«, erwiderte er sichtlich erschrocken. Er wusste offensichtlich nicht, ob er nur so dasitzen oder lostoben sollte. »Das ist jetzt nicht mehr witzig.«
»Finde ich auch«, sagte Sandra, die mitgelesen hatte, und nahm ihn in den Arm. »Das ist geschmacklos.«
»Was steht denn da?«, fragte Monika, die bisher noch nichts lesen konnte.
Bernd hielt ihr die erste Seite hin.
»Chef der Münchner Mordkommission hat junge Frau vergewaltigt«, las sie laut vor. »Das ist nicht wahr, oder?« Sie sah Franz fragend an.
»Spinnst du? Natürlich nicht«, erwiderte er aufgebracht.
Monika las weiter laut vor: »Hauptkommissar Franz Wurmdobler, der kurz vor der Pensionierung steht, hat vor vielen Jahren eine frisch verheiratete Frau vergewaltigt. Die Geschädigte, Rosi Steininger, geborene Demplinger, ist erst jetzt mit der Wahrheit herausgerückt, weil sie bisher Angst gehabt hatte, der Karriere ihres erst kürzlich bei einem Autounfall verstorbenen Mannes, dem angesehenen Strafverteidiger Herbert Steininger, mit einer solchen Geschichte zu schaden.«
»Wer schreibt denn einen solchen unbewiesenen Dreck«, echauffierte sich Max. »Und vor allem hat der Steininger damals sicher noch gar keine große Karriere gehabt. Es sei denn, er ist ein gutes Stück älter als wir gewesen.«
»Geschrieben hat das Ganze ein gewisser Harry Meiser«, erwiderte Moni. »Da bist du sprachlos.«
»Aber der spinnt doch komplett!« Franz’ Stimme hatte schlagartig nichts mehr von der vorherigen Fröhlichkeit an sich. »Wann und wo soll denn das überhaupt gewesen sein mit der Frau Steiniger?«
»Zu Studentenzeiten, steht hier«, erwiderte Monika. »Auf dem Heimweg von einem Faschingsball. Sonst nix.«
»Geh, der hat doch eine Meise, dieser Meiser«, winkte Max ab. »Warum soll der Franz denn damals eine frisch verheiratete Frau vergewaltigt haben? Der war schon immer eher schüchtern und freundlich. Hat die Welt jemals einen solchen hirnrissigen Schwachsinn gehört? Diesen Schreiberling musst du verklagen, Franzi, und die Rosi Steininger am besten gleich mit.« Max war klar, dass Franz nie und nimmer getan haben konnte, was ihm in dem Zeitungsartikel vorgeworfen wurde.
»Aber wirklich. So ein ausgemachter Schmarrn«, mischte sich Anneliese ins Gespräch. »So was würde der Franzi niemals tun. Das weiß jeder, der ihn auch nur ein bisschen kennt.«
»Diese Rosi Steininger will dir eindeutig schaden«, sagte Josef.
»Fragt sich bloß, warum«, fügte Bernd nachdenklich hinzu.
»Ich habe ihr jedenfalls nichts getan.« Franz war inzwischen kreidebleich im Gesicht. »Ich kenne sie nicht mal. Vielleicht steckt ja jemand anders dahinter.«
»Ein rachsüchtiger Klient, den du in den Knast gebracht hast«, meinte Max. Ihm schien das die naheliegendste Erklärung zu sein. Bei dieser Klientel war auf jeden Fall genug kriminelle Energie vorhanden, um so eine Verleumdungskampagne durchzuziehen.
»Oder ein Neider aus dem Revier, der auf deine Position scharf ist.« Sandra schien schlagartig wieder nüchtern zu sein.
»Aber was hätte das für einen Sinn? Ich werde doch sowieso pensioniert.« Franz schüttelte ungläubig den Kopf. »So etwas ist mir auch noch nicht untergekommen.«
»Wir sollten uns ganz schnell über diesen Schreiberling schlaumachen, diesen Harry Meiser.« Max sprach gedämpft, aber dennoch so laut, dass ihn jeder am Tisch hören konnte. »Der weiß sicher mehr. Vielleicht hat er sogar selbst etwas damit zu tun, aber zumindest muss er uns seine Informanten nennen. Es sei denn, das Ganze ist allein auf Rosi Steiningers Mist gewachsen. Dann fragt sich allerdings tatsächlich, warum.«
»Das machen die Typen von der Presse doch nicht«, erwiderte Franz. »Die halten ihre Informanten geheim, wie es nur geht. Da sind die nicht anders als wir. Wenn die jeden Informanten ausplaudern würden, erzählte ihnen bald keiner mehr was.«
»Das macht der ganz bestimmt, glaub mir. Der verrät mir alles.« Bernds sehr bestimmter Blick ließ keine Zweifel am Ernst seiner Aussage aufkommen.
»Was, wenn ich es wirklich war?« Franz sprach leise. Seine Stimme bebte. Er starrte lange auf die Tischplatte, dann sprach er mit brüchiger Stimme weiter. »Wir haben alle viel getrunken damals als Studenten.«
»Nicht nur damals. Aber das warst du garantiert nicht, Schatz.« Sandra nahm ihn fester in den Arm. »Ich kenn dich betrunken und nüchtern, fröhlich und grantig, aber so was würdest du niemals tun. Selbst im größten Vollrausch nicht.«
»Bist du dir da ganz sicher?« Er sah sie zweifelnd an.
»Absolut. Außerdem hättest du längst im Schlaf darüber geredet oder es wäre sonst wie in dir hochgekommen, wenn du es getan hättest.«
»Ich rede im Schlaf?«
»Du erzählst ganze Romane im Schlaf.«
»Warum hast du mir nie davon erzählt?«
»Damit du auf keinen Fall damit aufhörst. Da waren bisher immer sehr amüsante Sachen dabei.« Sie musste trotz der ernsten Situation grinsen.
»Aha.« Franz sah sie lange an. »Darüber reden wir noch.«
»Geht’s weiter mit eurem Kindergartenschmarrn. Jetzt müssen wir erst mal diesen Meiser ausfindig machen«, sagte Max, der den Ernst der Lage schnell erkannt hatte. Eine derartige Beschuldigung in der Zeitung konnte ganz üble Konsequenzen nach sich ziehen. »Am besten so schnell wie möglich.«
»Ich kümmere mich darum.« Bernd erhob sich von seinem Platz. »Ich nehme mal an, dass die Feierlichkeiten zu einem günstigeren Zeitpunkt fortgesetzt werden.«
»Auf jeden Fall.« Franz nickte. »Danke, Bernd.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte Anneliese Bernd.
»Nein, Annie.« Bernd schüttelte den Kopf, vergaß dabei aber nicht, ihr ein verliebtes Lächeln zuzuwerfen. »Das ist beruflich. Bleib du hier und geh dann mit Moni und den anderen heim.«
»Okay.« Anneliese ahnte wohl, dass sie sich im Moment besser zurückhielt. Bernd ließ grundsätzlich nichts auf seinen Franz kommen. Er liebte den knuffigen kleinen Hauptkommissar mehr, als er zeigen konnte und wollte. Jeder wusste das. Nur Bernd wusste nicht, dass es alle wussten.
»Macht’s gut, Leute, ich melde mich«, sagte er und machte sich auf den Weg.
»Wer von deinen Verhafteten könnte denn so rachsüchtig sein, dass er so etwas tut?«, fragte Josef, nachdem Bernd verschwunden war. Er sah Franz gespannt an. »Sicher gibt es etliche Kriminelle, die dafür infrage kommen.«
»Ehrlich gesagt fällt mir da gerade niemand Spezielles ein«, erwiderte Franz. »Es waren so viele, die mir etwas nachtragen könnten. Hast du eine Idee, Max?«
»Ich überleg schon die ganze Zeit.« Max trank einen Schluck. »Aber entweder hab ich nur einen Namen vor Augen oder nur ein Gesicht. Am besten gehst du mal die Listen deiner infrage kommenden Kunden im Computer in deinem Büro durch. Wenn du willst, helfe ich dir dabei. Vielleicht hat Bernd auch Erfolg bei diesem Harry Meiser.«
»Wenn die mich am Montag überhaupt noch reinlassen ins Büro. Auch meine Chefs lesen Zeitung.« Franz grinste humorlos.
»Dann geh am besten gleich morgen früh hin. Die meisten lesen ihre Wochenendzeitung erst beim Frühstück. Und das fällt am Samstag bekanntermaßen später aus als unter der Woche.«
»Gute Idee, mach ich.«
»Schade um den schönen Abend«, sagte Anneliese.
»Wirklich schade.« Monika nickte. »Hoffentlich habt ihr den Fall bis zu unserer Hochzeit am 1. Juli im Hofbräuhaus aufgeklärt, Max. Sonst müssen wir verschieben.«
»Da wird nix verschoben. Am 1. wird wie geplant geheiratet. Wir kriegen den Kerl oder die Frau, die dahinterstecken, auf jeden Fall vorher. Keine Angst.« Max, der sich zu Monikas Entsetzen anlässlich der bevorstehenden Feierlichkeit die Haare bereits letzte Woche ganz kurz hatte schneiden lassen, blickte entschlossen in die Runde. Er hatte nicht vor, Ruhe zu geben, bis diese unerquickliche Sache restlos aufgeklärt war.
»Hoffentlich hast du recht«, betonte Franz.
»Sind wir erfolgreiche Ermittler oder nicht, Franzi?« Max stand auf ging über den knirschenden Kies am Boden zu ihm hinüber, nahm ihn in den Arm und drückte ihn an sich. »Das kriegen wir alles wieder hin. Ich verspreche es dir.«
»Okay.« Franz nickte. »Danke, Max.« Tränen stiegen ihm in die Augen.
Nicht auszudenken, was ihm alles passieren kann, wenn wir den miesen Täter, der ihm das antut, nicht schnell genug finden, sagte sich Max. Wenn es ganz dumm kommt, kann er sogar seine Pension in den Wind schießen.
»Ich bin gespannt, was Bernd aus diesem Harry Meiser herausbekommt«, sagte er laut.
»Das bin ich auch«, erwiderte Franz.
Ein unrasierter, um die 30 Jahre alter Mann mit kurzen braunen Locken und runder Nickelbrille auf der Nase öffnete die Haustür im zweiten Stock des heruntergekommenen Mietshauses in der Haidhauser Pariser Straße nicht weit vom Ostbahnhof. Er zog den roten Frotteebademantel, den er anhatte, fester um seine schmale Gestalt und sah Bernd neugierig aus seinen dunkelbraunen Augen an.
»Sind Sie Harry Meiser, der Journalist?«, fragte ihn Bernd, der die Adresse vorhin von den Kollegen des Kriminaldauerdienstes bekommen hatte.
»Wer will das wissen?« Harrys Gesichtsausdruck schwankte zwischen abweisend und genervt.
»Bernd Müller ist mein Name.«
»Und was kann ich für Sie tun, Herr Müller?«
»Sind Sie nun der Herr Meiser oder nicht?«, fragte Bernd.
»Sicher bin ich das. Steht hier auch dick und breit.« Harry zeigte mit dem Finger auf das Namensschild an der Tür. Er beäugte den ungebetenen Gast misstrauisch. »Lesen können Sie ja, oder?«
»Werden Sie mal nicht frech«, ranzte ihn Bernd an. »Haben Sie diesen Artikel geschrieben?« Er hielt ihm die erste Seite der Abendzeitung mit der Schlagzeile über Franz vor die Nase.
»Und wenn? Ist es jetzt schon verboten, die Wahrheit zu schreiben?« Harry schnaubte genervt.
»Die Wahrheit?« Bernd sah ihn erstaunt an. »Seit wann schreibt ihr Schmierfinken denn die Wahrheit? Das wäre ja ganz was Neues.«
»Ich muss mir das nicht anhören«, erwiderte Harry und machte Anstalten, seine Wohnungstür wieder zu schließen.
Bernd schob jedoch blitzschnell seinen Fuß in den offenen Schlitz, dann drückte er die Tür mit dem ganzen Gewicht seines massigen Körpers auf und betrat die Wohnung.
»Hey, das dürfen Sie nicht. Ich zeige Sie an.« Harry stellte sich ihm in den Weg. Er zitterte. Womöglich vor Angst oder vor Wut oder vor beidem. Oder ihm war einfach nur kalt, was an dem warmen Abend allerdings verwunderlich gewesen wäre.
»Natürlich darf ich das.« Bernd machte die Tür hinter sich zu. »Ich bin von der Kripo, und mir hat jemand gesagt, dass Sie Drogen in Ihrer Wohnung haben. Das nennt man bei uns Gefahr im Verzug.«
»Zeigen Sie mir erst mal Ihren Dienstausweis.«
»Der hängt hier.« Bernd öffnete seine Jacke und gab damit den Blick auf sein Achselholster frei.
»Das kann ja jeder sagen.« Harry sah ängstlich aus, dennoch schien er sich nicht so leicht beeindrucken zu lassen.
»Na gut.« Bernd hielt ihm seinen wirklichen Dienstausweis hin. Er sah ein, dass das vernünftiger war, zumal er es mit einem Journalisten zu tun hatte, wenn auch mit einem der übleren Sorte.
»Hauptkommissar Müller, tatsächlich ein Bulle also.« Harry lief rot an. Ob aus Ärger oder schlechtem Gewissen, konnte Bernd nicht sagen. »Nichts als Blödsinn, was Sie da sagen«, fuhr Harry fort. »Ich habe keine Drogen. Ich bin Antialkoholiker, und mit Drogen habe ich schon gleich gar nichts am Hut.« Seine Stimme klang aufgeregt bis hysterisch.
»Das glaubst du doch selbst nicht.« Bernd grinste humorlos. »Jetzt pass mal auf, Freundchen. Du erzählst mir auf der Stelle, wer dir diesen Schmarrn über Hauptkommissar Wurmdobler erzählt hat.« Er baute sich bedrohlich zu seiner ganzen Größe vor dem dürren Harry auf. »Oder hast du den Mist selbst erfunden?«
»Steht alles im Artikel. Rosi Steininger hat es mir selbst erzählt.« Harry setzte sich auf seine abgewetzte Couch.
»Sie ganz allein? Oder gab es noch den einen oder anderen Zeugen, der ihre Geschichte bestätigt hat?«
»Sie ganz allein.« Harry hörte nicht auf zu zittern.
Möglicherweise hat er tatsächlich ein schlechtes Gewissen und deshalb Angst, dachte Bernd, oder er ist auf Entzug. Dann wäre mein Versuchsballon mit den Drogen sogar zufällig auch noch richtig gewesen.
»Recherchieren Sie immer so sauber, dass Sie aufgrund von reinem Hörensagen Einzelner wilde Theorien aufstellen und angesehene Menschen öffentlich an den Pranger stellen? Geht’s noch?« Bernd konnte nur immer wieder den Kopf schütteln. Eine Zierde für seine Zunft war der klapprige Vogel vor ihm ganz sicher nicht. »Sie wissen ganz genau, dass Sie lediglich eine unbewiesene Behauptung dieser Rosi Steininger haben und keinen einzigen Beweis. So was nenne ich einen miesen kriminellen Schmierfinken.«
Er sah sich in dem engen Einzimmerapartment um. Überall lagen Kleidungsstücke, Zeitungen und benutztes Geschirr auf den Stühlen, dem Tisch und dem Boden herum. Die Tapeten und Gardinen waren total vergilbt. Die ganze Bude starrte vor Dreck und Staub. Wohnten so tatsächlich angesehene Journalisten einer der größten Tageszeitungen Münchens, oder war der Kerl hier nur ein jämmerlicher Versager, der ausnahmsweise an eine aufregende Story gekommen war? So eine Art One-Hit-Wonder im journalistischen Bereich.
»Sind Sie sich sicher, dass Sie keine Drogen nehmen? Sie zittern ja wie Espenlaub. Haben Sie Fieber?«
»Ich nehme keine Drogen, verdammt noch mal, und ich habe auch kein scheiß Fieber«, fluchte Harry. »Mir ist kalt, weil ich nur einen verfickten Morgenmantel anhabe. Ich wollte gerade duschen. Das ist alles.« Er deckte sich mit der fleckigen beigefarbenen Wolldecke zu, die neben ihm auf der Couch lag.
»Für einen von der schreibenden Zunft haben Sie eine reichlich primitive Ausdrucksweise. Leiden Sie unter dem Tourette-Syndrom, oder seid ihr privat alle so drauf?« Bernd wusste natürlich, dass er gerade eine rein provozierende Bemerkung machte, aber irgendwie musste er den Kerl schließlich aus der Reserve locken.
»Was in drei Teufels Namen wollen Sie von mir, Herr Polizist?« Harry riss die Augen weit auf. Er machte den Eindruck, als würde er jeden Moment ausrasten.
»Die Adresse von Rosi Steininger.«
»Such sie dir doch selbst in euren scheiß Computern raus, Himmel, Arsch und Zwirn.«
»Gut, dann machen wir es jetzt so. Ich schaue mich bei dir nach Drogen um, und du rührst dich nicht vom Fleck, Freundchen.« Bernd klang jetzt alles andere als freundlich.
»Was soll denn dieser pampige Ton?«, entrüstete sich Harry.
»Du hast mich noch nicht pampig erlebt, Kleiner, glaub mir«, erwiderte Bernd. Er nahm einen Stapel Zeitungen von einem Stuhl und ließ ihn auf den Boden fallen. Dasselbe machte er mit einem benutzten Teller, der, warum auch immer, auf dem Stuhl daneben stand. Er zersprang in 1000 Scherben.
»Hören Sie auf, Mann«, rief Harry vom Sofa aus. »Sie spinnen doch. Das hat hier alles seine Ordnung.«
»Ordnung? Dass ich nicht lache. Hier sieht es aus wie auf dem Sperrmüll. Duschst du eigentlich öfter? Die ganze Bude hier stinkt wie eine Kloake.«
»Frechheit«, brachte Harry halbherzig hervor.
»Ja, da schau her«, sagte Bernd und hob eine Einwegspritze vom Boden auf. »Wenn das mal kein Junkiewerkzeug ist. Also Adresse her, oder wir zwei fahren jetzt aufs Revier. Mach schon, Mann, ich finde sie sowieso raus. Du sparst mir einfach nur Zeit.«
»Na gut.« Harry schnaufte ergeben. »Frau Steininger wohnt im Lehel, nicht weit vom Max-II-Denkmal am Sankt-Anna-Platz. Die Hausnummer weiß ich nicht mehr. Das Haus liegt auf jeden Fall gleich rechts gegenüber der Kirche.«
»Das ist doch was.« Bernd legte die Spritze auf den Boden zurück. »Du weißt natürlich, dass du mit dem Heroin, das du dir reinpumpst, auf einem schmalen Grat unterwegs bist?«
»Ich nehme keine Drogen. Wie oft denn noch? Ich bin zuckerkrank, die Spritze ist für Insulin.« Harrys Blick kreiste unstet in seinem Zimmer hin und her, oft genug ein klares Zeichen dafür, dass jemand log.
»Und ich bin der Papst.« Bernd schüttelte den Kopf. Er hatte in seiner Karriere bereits einige Junkies gesehen, und Harry war garantiert einer. Da biss die Maus keinen Faden ab. »Wir sehen uns noch, Herr Meiser. Ganz sicher.«
Er verließ Harrys Wohnung und rief Franz an.
»Hallo, Franzi, ich war gerade bei diesem Meiser. Er scheint ein Junkie zu sein, vielleicht wurde er von irgendwem damit erpresst, den Schmarrn über dich zu schreiben, und der Chefredakteur bei der Zeitung fand das Thema dann so spektakulär, dass er es zum Aufmacher machte. Außerdem behauptet Meiser, dass das Ganze tatsächlich ausschließlich auf dem Mist von Rosi Steininger gewachsen ist. Soll ich gleich mal zu ihr hinfahren?«
»Nein«, erwiderte Franz. »Genieß du dein wohlverdientes Wochenende. Max geht morgen früh zu ihr. Wollte er sowieso machen.«
»Wie du meinst. Ich dachte, es eilt.«
»Passt schon. Die läuft uns nicht weg.«
»Das stimmt auch wieder. Wenn, dann hat sie es wohl längst getan.«
»Wie meinst du das?«
»Aus Angst vor den Konsequenzen ihrer dreisten Lügen.« Manchmal ist der gute Franzi regelrecht ein wenig begriffsstutzig, dachte Bernd. Im Moment ist das sicher die Aufregung.
»Richtig. Natürlich«, erwiderte Franz. »Mit dem Chefredakteur der Zeitung werde ich am Montag auf jeden Fall ein Hühnchen rupfen. Unbewiesene Aussagen als Wahrheit hinzustellen geht gar nicht. Das gibt eine saftige Klage von unserer Rechtsabteilung, wenn die keine Gegendarstellung drucken.«
»Macht Sinn. Warum gehst du nicht jetzt gleich ins Büro? Wir könnten uns dort treffen und gemeinsam weiter an der Sache arbeiten.« Bernd war bereit, alles zu tun, damit sein geliebter Chef so schnell wie möglich offiziell reingewaschen wurde. Er wusste, dass Franz nie und nimmer schuldig sein konnte.
»Ich glaub, dazu hab ich zu viel gebechert. Ich mache es lieber, wenn ich nüchtern bin, damit mir bei der Verdächtigenliste auch keiner durchflutscht. Außerdem möchte ich mich in meinem Zustand von niemandem dort erwischen lassen.«
»Gut, Franzi, dann bis morgen.« Bernd blieb stehen, um sich besser auf das Auflegen und Verstauen des Handys konzentrieren zu können. Oft genug hatte er es bei ähnlicher Gelegenheit im Gehen an der Tasche vorbeigesteckt, und es war ihm auf den Boden gefallen.
»Aber du hast morgen frei«, sagte Franz. »Morgen ist Samstag.«
»Nicht, wenn mein Chef falsch beschuldigt wird.«
»Danke, Bernd. Ich weiß das zu schätzen.« Franz’ Stimme klang gerührt. »Ist aber echt nicht nötig.«
Sie legten auf.
Bernd machte sich Richtung U-Bahnstation am Ostbahnhof auf den Heimweg zu seiner Wohnung in Neuhausen.
Nach wenigen Metern bekam er eine Nachricht von Anneliese aufs Handy. Sie würde sich sehr freuen, wenn er noch bei ihr vorbeikäme, hatte sie geschrieben. Das Haus, in dem sie lebte, wäre für einen alleine einfach zu groß. Seit ihre Tochter ausgezogen wäre, würde ihr das umso mehr auffallen.
Max und Monika waren auf dem Weg zu ihr nach Hause, weil sie morgen früh aufstehen und das Samstagsgeschäft in ihrer kleinen Thalkirchner Kneipe vorbereiten musste. Er wollte ihr dabei helfen. Am Wochenende war mehr zu tun als unter der Woche. Vor allem bei einem solch wunderbaren Biergartenwetter wie derzeit. Außerdem musste sie den verlorenen Umsatz von heute wieder reinholen. Sie hatte den Laden extra wegen Franz’ Abschiedsfeier nicht geöffnet.
Der Abend heute wäre viel zu schön, um in irgendeiner muffigen U-Bahn oder im Bus zu sitzen, hatte sie vorhin gemeint, und so hatten sie beschlossen, sich zu Fuß auf den Weg zu machen.
Während sie Arm in Arm im Dämmerlicht nebeneinanderher spazierten, diskutierten sie eifrig über die Vorkommnisse gerade im Biergarten.
»Jetzt mal ganz im Ernst«, sagte Monika. »Der Franzi könnte so etwas niemals tun, was ihm diese Rosi Steininger da vorwirft.«
»Das wissen wir, aber wissen es der Richter, der Staatsanwalt und Franzis Vorgesetzten? Die können ihm wegen seiner Pension ganz schön die Hölle heißmachen, wenn er für schuldig erklärt wird.« Max dachte an seine eigenen Erfahrungen, als er vor einigen Jahren quasi aus dem Staatsdienst geworfen wurde, weil er einem echten Kriminellen von ganz oben in der Stadtverwaltung zu nahegekommen war. Zum Glück wusste er zu viel über den Kerl, und so hatten sie sich auf eine Art Vorruhestandsregelung bei vollen Pensionsbezügen für Max geeinigt.
»Unglaublich.« Sie schüttelte den Kopf. »Du musst unbedingt etwas unternehmen, Max.«
»Morgen früh helfe ich dir erst mal und dann gehe ich zu dieser Rosi Steininger.«
»Du musst mir aber nicht helfen. Ich schaffe das schon.«
»Schauen wir mal.«
Als sie den Goetheplatz überquerten, bekam Max eine Nachricht auf sein Smartphone. Er zog es aus seiner dunkelbraunen leichten Sommerjacke und sah nach.
»Ich fahre jetzt nach Hause zu Annie«, schrieb Bernd. »Der Schmierfink Meiser behauptet, er habe seine Infos direkt von Rosi Steininger. Franzi meinte, dass du morgen sowieso bei ihr vorbeigehst.«
»Passt«, schrieb Max zurück. »Melde mich morgen, sobald ich mehr weiß.«
»Sie wohnt am Sankt-Anna-Platz. Die Hausnummer such ich dir noch raus.«
»Alles gut.«
Max steckte sein Handy wieder ein.
Ein Autokorso fuhr laut hupend an ihnen vorbei. Das Brautpaar, wegen dem der ganze Aufstand veranstaltet wurde, fuhr im blumengeschmückten SUV voraus und winkte den Passanten fröhlich zu.
»In drei Wochen sind wir dran«, meinte Max grinsend.
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich Ja gesagt habe.« Monika grinste ebenfalls.
»Wir können die Hochzeit immer noch absagen, wenn du mich auf einmal doch nicht mehr willst.« Max vermied es, sie anzuschauen, und blickte lieber geradeaus auf die Straße.
»Sei nicht so empfindlich«, erwiderte sie. »War bloß ein Spaß.«
»Sehr lustiger Spaß.« Er zuckte humorlos die Schultern.
»Hör schon auf, alter Brummbär. Ich freu mich genauso wie du darauf.«
»Ehrlich?« Seit Jahren hatte er ihr einen Antrag nach dem anderen gemacht, die sie allesamt abgelehnt und ihn immer wieder auf später verströstet hatte. Er merkte gerade, dass dieser Stachel immer noch sehr tief bei ihm saß.
»Ganz ehrlich.« Sie zog ihn zu sich her und küsste ihn lange und verliebt.
»Na gut, ich glaub dir. Ausnahmsweise.«
»Wie war es denn heute Nachmittag im Hofbräuhaus? Klappt jetzt alles mit dem Menü, das wir uns überlegt haben?«
»Alles gut. Es wird rein bayerisch, so wie wir es wollten. Die Vietnamesische Hochzeitssuppe zur Vorspeise habe ich ihnen ausgeredet, auch wenn sie zurzeit noch so angesagt sein soll.«
»Sehr gut. Wenn wir asiatisch essen wollen, gehen wir zum Thailänder oder Chinesen oder zum Vietnamesen, aber sicher nicht ins Hofbräuhaus.«
»Genauso hab ich es denen auch gesagt.«
»Ich liebe es, wenn wir einer Meinung sind.« Sie lachte leise.
»Was selten genug der Fall ist.«
Jetzt lachten alle beide.
»Außerdem hasse ich Koriander«, fügte sie hinzu.
»Tatsächlich? Wusste ich gar nicht.« Er lachte erneut.
»Hast du die Band zusammen, mit der du spielen willst?«
»Hab ich. Allerdings haben wir uns darauf geeinigt, dass ich nur ein bis zwei Einlagen von Johnny Cash spiele. Schließlich ist es unsere Hochzeit, da will ich ausgiebig mitfeiern und nicht auf der Bühne sitzen und arbeiten.« Max zog ein Papiertaschentuch aus seiner Jacke und schnäuzte kräftig hinein.
»Musik ist keine Arbeit, sondern Spaß.«
»Nicht, wenn Leute zuhören. Das kann echt in Arbeit ausarten.« Er schnäuzte sich erneut.
»Erkältet?« Monika sah ihn alarmiert an. »Werd mir jetzt bloß nicht krank. Das kann gerade wirklich niemand gebrauchen.«
»Keine Angst, ist nur meine übliche Pollenallergie.«
»Was fliegt denn gerade?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte die Schultern. »Irgendwas wird es schon sein.«
»Na gut.« Sie atmete erleichtert auf. »Ich bin so froh, dass du das alles organisierst mit der Hochzeit. Das Geschäft in meiner Kneipe wird immer mehr. Bald kann ich wegen Reichtum schließen.«
»Passt schon.« Er winkte großzügig ab. »Aber ab morgen werde ich erst mal rauszufinden versuchen, wer Franzi an den Karren fahren will. Das wird seine Zeit brauchen.«
»Da stelle ich mich keinesfalls in den Weg.« Monika kannte Franz zwar nicht ganz so lange wie Max, der bereits mit ihm in den Kindergarten gegangen war, aber trotzdem fühlte sie sich ihm ebenso eng verbunden. »Hab ich dir eigentlich erzählt, dass Annie am Montag mit mir in die Stadt geht?«
»Kaffee trinken?« Er sah sie neugierig an.
»Nein, Brautkleid aussuchen.« Sie setzte ein verklärtes Gesicht auf.
»Wohin?«
»Wir werden was finden. Möglicherweise in die Maximilianstraße. Ich verlass mich da ganz auf sie. Mit solchen Sachen kennt sie sich bestens aus.«
»Da bin ich mir sicher.« Max nickte wissend. Monika hatte ihm einmal erzählt, dass Anneliese mindestens dreimal die Woche zum Shoppen in irgendeine Boutique ging. Tatsächlich kam sie alle naselang mit einem neuen Edelkleidungsstück daher. Geld genug dafür hatte sie seit ihrer Scheidung vor einigen Jahren, bei der sie von ihrem wohlhabenden Ex-Mann Bernhard finanziell reichlich bedacht wurde.
Was für eine Laune des Schicksals mochte es wohl sein, dass sie nun ausgerechnet mit dem scharfen Bernd zusammen war, der den gleichen Vornamen wie ihr früherer Mann trug?
Ein Betrunkener im schmuddeligen Jeansanzug kam aus einem Bierstüberl herausgestolpert und fiel ihnen genau vor die Füße auf den Gehsteig.
»Lass dich hier nie wieder blicken, du asozialer Hartz-Vier-Penner«, rief ihm ein älterer Mann mit Glatze und bekleckerter Schürze von der Tür aus hinterher.
»Weil es bei dir gar so vornehm zugeht, Stefan.« Der Gestürzte rappelte sich mühsam hoch. Seine langen, verklebten blonden Haare hingen ihm dabei ins Gesicht. Er blutete leicht aus der Nase.
»Willst du jetzt auch noch frech werden?«, grantelte Stefan weiter. »Meinst du, weil du Georg Steiger heißt wie dein depperter Vater, der ach so tolle Filmschauspieler, kannst du dir alles erlauben?«
»Lass meinen Vater da raus. Du bist und bleibst ein Arschloch, Stefan. Wenn einer mit einem großen Geldbeutel daherkommt, schleimst du ihn von oben bis unten zu. Aber wehe, man hat einmal zufällig sein Geld daheim vergessen. Ekelhaft bist du. Leck mich!« Georg zog ein schmutziges Taschentuch aus seiner Hosentasche und drückte es gegen seine Nase.
»Zufällig vergisst du dein Geld andauernd, du hirnloser Vogel. Und was heißt da daheim? Wo willst du denn daheim sein außer unter der Isarbrücke? Mir reicht es mit dir, endgültig.« Stefan ging in sein Lokal zurück und knallte die Tür hinter sich zu.
»Der Typ ist ein echtes Arschloch«, erklärte Georg derweil Max und Monika, die sich die Szene einigermaßen interessiert angeschaut hatten.
»Haben Sie sich wehgetan?«, fragte ihn Monika. »Ihre Nase blutet ganz schön.«
»Halb so wild.« Georg winkte ab. »Ich rolle mich immer ab wie eine Katze. Hab früher mal Judo gemacht. Wenn der bescheuerte Stefan das wüsste, würde er nicht so mit mir umgehen. Aber ich bin halt ein friedlicher Mensch.«
»Bestimmt.« Monika nickte. »Was heißt, Sie rollen sich immer ab?«
»Ich bin schon oft irgendwo rausgeflogen. Egal, dann geh ich halt zum Stanislaus am Viktualienmarkt. Dort hab ich immer Kredit. Der hat ein Herz für jeden.« Georg klopfte mit seiner freien Hand seine schmutzige Hose aus.
»Was ist los?«, wollte Max wissen. »Job verloren?«
»Das wollen Sie nicht hören.« Georg schüttelte den Kopf.
»Sonst hätte ich aber nicht gefragt.«
»Also gut.« Georg atmete tief durch. »Meine Frau hat mich verlassen, weil wir nur noch gestritten haben und weil sie mir nach 20 Jahren in meinem Job als Lagerist gekündigt haben. Rationalisierung, Sie wissen Bescheid.«
»Hab davon gehört.« Max nickte. »Und dann?«
»Nachdem sie ausgezogen war, konnte ich unsere Wohnung nicht mehr bezahlen und bin auf der Straße gelandet.« Georg steckte sein Taschentuch wieder ein, weil seine Nase aufgehört hatte zu bluten. »Wenn ich jetzt irgendwo nach einem Job frage, wollen sie erst mal wissen, wo ich wohne, und wenn ich eine Wohnung mieten will, sagen sie, dass ich eine Gehaltsabrechnung oder zumindest ein kleines Vermögen vorweisen müsste. Beides habe ich nicht, also lebe ich weiter auf der Straße. So, und jetzt dürfen Sie so schlecht von mir denken, wie Sie wollen.«
»Und im Winter?«, erkundigte sich Monika.
»Friere ich wie alle anderen, die auf der Straße leben und nicht ins Obdachlosenasyl wollen oder können.« Georg zuckte die Achseln.
»Aber kann da nicht jeder rein?«
»Die verlangen Eintritt, und oft sind sie überbelegt.« Georg schüttelte den Kopf. »Vor allem bei richtig miesem Wetter.«
»Wusste ich nicht«, meinte Max nachdenklich.
»Das wissen die wenigsten.« Georg nickte und drehte sich zum Gehen um. »Einen schönen Abend wünsche ich den Herrschaften noch, und danke, dass Sie mit mir geredet haben.«
»Moment mal, nicht so schnell.« Max hielt ihn am Arm fest. Dann holte er seinen Geldbeutel heraus, entnahm ihm zwei Hunderter und hielt sie Georg hin.
»Was soll das jetzt?« Georg sah ihn irritiert an.
»Kaufen Sie sich was Gescheites zu essen.«
»Aber das ist viel zu viel. Das kann ich nicht annehmen.« Georg wandte sich ab.
»Doch, das können Sie.« Monika nahm Max die Scheine ab und drückte sie Georg in die Hand. »Ist sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein.«
»Ehrlich?« Georg blickte fassungslos von Monika zu Max und wieder zurück.
»Ehrlich«, meinte Max. »Machen Sie sich einen schönen Abend.«
»Ich fasse es nicht.« Georg stiegen die Tränen in die Augen. »Vielen Dank, die Dame und der Herr. Es gibt also noch Menschen auf dieser Welt.«
»Passt schon, Servus.« Max winkte ihm noch einmal zu, dann gingen er und Monika weiter.
»Erstaunlich, wie wenig es braucht, um komplett abzustürzen«, meinte Max nachdenklich, nachdem sie eine Weile lang in Richtung Isar gegangen waren. »Wirklich geholfen ist dem armen Kerl mit dem Geld auch nicht.«
»Stimmt«, erwiderte Monika, während sie geschickt einem Radler auswich, der offenkundig meinte, er müsse unbedingt ohne Licht auf dem Gehsteig fahren und sie dabei fast umbringen.
»Wie wär’s mit der Straße?«, rief ihm Max hinterher, was ihm aber lediglich einen rückwärtsgewandten Stinkefinger des rücksichtslosen Rasers einbrachte. »Was ist nur aus dieser Welt geworden?«, fragte er Monika daraufhin kopfschüttelnd.
»Deppen hat es immer gegeben«, erwiderte sie. »Bloß haben wir früher über sie gelacht.«
»Herrschaftszeiten, da könntest du glatt recht haben.« Max kratzte sich am Hinterkopf. »Je älter ich werde, umso weniger lache ich. Das fällt mir immer mehr auf. Werde ich ein alter Grantler?«
»Warst du schon immer«, erwiderte sie leichthin. »Aber es hat ihm bestimmt ein wenig geholfen.«
»Dass er uns fast totfährt?« Er ließ erstaunt seinen Mund halb offen stehen.
»Nein, ich meine diesen Georg von vorhin.« Sie zog ihn schnell über die nächste gerade rot werdende Ampel. »Bestimmt hilft das Geld ihm nicht aus seinem Leben auf der Straße heraus, wie du sagst. Aber er kann sich davon zumindest einen schönen Abend machen.«
»Ich glaub eher, dass er erst mal überall Schulden zurückzahlen muss. Ob da zwei Hunderter reichen, weiß ich nicht.« Max setzte ein skeptisches Gesicht auf.
»Kann natürlich auch sein.« Sie nickte.
»Wie man es dreht und wendet, manche Dinge bleiben wohl einfach so, wie sie sind. Sie lassen sich nicht ändern, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht.«
»Werden wir jetzt philosophisch?« Sie sah ihn amüsiert an.
»Ich hör immer werden.« Er blickte ebenso amüsiert zurück. »Seit Jahren nennt mich jeder den ›Aristoteles von Sendling‹. Weißt du doch.«
Sie lachte.
»Ein bisschen was tut sich aber dennoch immer mal wieder«, meinte sie dann. »So ganz allgemein gesehen. Sonst würde sich gar nichts auf der Welt ändern.«
»Aber bestimmte Dinge ändern sich eben nicht.«
»Auch wieder wahr. Lass uns schneller gehen, Max. Mir ist kalt. Ich hab keine Jacke dabei.«
»Da hast du’s«, meinte er lächelnd. »Bestimmte Dinge ändern sich nie.«
»Wäre es dir etwa lieber, wenn ich erfriere?«
Franz öffnete die Tür zu seinem kleinen Büro. Er schwitzte, weil er zu Fuß hergelaufen war, um den sonnigen Samstagmorgen zu genießen. Außerdem sollte ihm die Bewegung an der frischen Luft dabei helfen, seine Gedanken zu ordnen und noch mal ganz genau zu überlegen, ob möglicherweise nicht doch etwas an der Geschichte dieser Rosi Steininger dran war. Hatte sie aber nicht.
Er konnte sich wirklich nicht an Rosi erinnern, wusste absolut rein gar nichts über sie. Vor allem darüber, dass er sie nach irgendeiner großen Faschingsparty in Schwabing nach Hause gebracht und auf dem Weg begrabscht und vergewaltigt haben sollte.
Gut, dass Max die Befragung des angeblichen Opfers übernahm. Er selbst hätte sich wahrscheinlich nur schwer beherrschen können angesichts der wilden Behauptung, die Rosi da über ihn in die Welt setzte.
Möglich wäre es andererseits natürlich schon gewesen, was sie erzählte. Sie alle hatten damals viel getrunken, und er konnte sich allein deswegen nicht an alles erinnern. Aber es war wohl eher doch nicht die Wahrheit. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Selbst wenn er ihr dennoch im Suff etwas angetan haben sollte, hätte sich doch irgendwann eine Art unbewusstes schlechtes Gewissen bei ihm melden müssen, und sei es nur in Form irgendwelcher Erinnerungsfetzen oder halbgarer Albträume.