Isis - Harry Eilenstein - E-Book

Isis E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Isis ist sicherlich die bekannteste aller Göttinnen. Aber es gibt viel über sie zu entdecken, wenn man sich einmal auf die Reise in die Vergangenheit macht: ägyptische Rituale, Gebete an Isis aus den Pyramiden, Hymnen an Isis aus den ägyptischen Tempeln, Verse über Isis aus der Zeit der Mysterien, Beschreibungen des griechischen Delphi-Priesters Plutarch, Isis-Visionen aus einem Roman des Römers Apuleius ... Die Geschichte der Isis beginnt nicht erst bei der Gründung Ägyptens, sondern reicht noch weiter zurück in die Jungsteinzeit - bis zu der Throngöttin in den ersten Tempeln der Menschen, die um 10.000 v.Chr. am Oberlauf des Euphrats in Göbekli Tepe errichtet wurden. Dies war zu der Zeit, als die Menschen noch von der Jagd lebten. Bei dieser Reise in die Jungsteinzeit wird sichtbar, dass die Throngöttin Isis auch die Panthergöttin gewesen ist, die Kuhgöttin, die Geiergöttin, die Himmelsgöttin, die Mutter des Ersten Wesens und vieles mehr. Doch auch hier endet die Reise noch nicht, denn letztlich ist Isis ein Zweig an dem einen Göttinnen-Baum, dessen große Äste in der Jungsteinzeit zu finden sind und dessen Stamm die Große Mutter aus der Altsteinzeit ist. Wozu ist eine solche Reise in die Vergangenheit gut? Letztlich hat sie einen Sinn, wenn sie das Leben im Hier und Jetzt glücklicher machen kann und wenn sie helfen kann, auch die kollektiven Aufgaben der heutigen Zeit zu lösen. Hier kehrt sich die Reise zu Isis um und der Blick des Reisenden wendet sich vom Außen auf sich selber, von der Vergangenheit auf die Zukunft.

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Bücher von Harry Eilenstein:

Astrologie (496 S.)

Photo-Astrologie (64 S.)

Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)

Der Lebenskraftkörper (230 S.)

Die Chakren (100 S.)

Meditation (140 S.)

Drachenfeuer (124 S.)

Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)

Schwitzhütten (524 S.)

Hathor und Re:

Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

Isis (504 S.)

Muttergöttin und Schamanen (140 S.)

Göbekli Tepe (472 S.)

Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)

Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)

Christus (60 S.)

Odin (284 S.)

Der Kessel von Gundestrup (220 S.)

Cernunnos (680 S.)

Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

Eltern der Erde (450 S.)

Blüten des Lebensbaumes:

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Über die Freude (100 S.)

Das Geheimnis des Seelenfriedens (252 S.)

Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Das Beziehungsmandala (52 S.)

für Isis

Inhaltsverzeichnis

Isis

Isis in den ägyptischen Mythen

Isis

Hathor

Hymnen und Legenden der Göttin Isis

Isis in den Pyramidentexten

Isis in den Sargtexten

Isis im Totenbuch

Isis-Zaubersprüche

Die Mythe von Ra und Isis

Die Mythe von Hathor und Re

Isis im Bestattungsritual

Isis-Hymnen aus ihrem Tempel in Philae

Das tägliche Tempelritual

Die griechisch-römische Isis-Überlieferung

Plutarch

Apuleius von Madaura

Die ägyptischen Göttinnen

Die Throngöttin

Die Hausgöttinnen

Die Himmelsgöttinnen

Die Muttergöttinnen

Die Geburtsgöttinnen

Die Kuhgöttinnen

Die Antilopen- und Gazellengöttinnen

Die Wassergöttinnen

Die Schlangengöttinnen

Die Vogelgöttinnen

Die Sternengöttinnen

Die Göttin der Richtigkeit

Die beschützenden Göttinnen

Das Gesamtbild der ägyptischen Göttin

Vorgeschichte der Isis

Die Throngöttin

Die Löwengöttin

die zweifache Göttin

Die Ernährerin

Die Mutter

Die Geburtsgöttin

Die Kuhgöttin

Die rote Göttin

Die Mutter der Erde

Die Geliebte

Die Wassergöttin

Die Himmelsgöttin

Das „Große Haus“

Die Vogelgöttin

Die Baumgöttin

Der Apfel der Göttin

Die Schlangengöttin

Die Skorpiongöttin

Das Feuer

Die Sternengöttin

Die Seelenblüte

Die Sonnenmutter

Die mehrfache Schicksalsgöttin

Die Göttin der Richtigkeit

Die Jenseitsreise der Göttin

Die Wolfsgöttin

Jungsteinzeitliche Mythen

Analogien

Megalisierung

Die Wurzeln der Isis-Rituale in der Jungsteinzeit

Neuerungen in der Mittelsteinzeit

Altsteinzeitliche Bilder

Übersicht über die Entwicklung der Muttergöttin

Die Entwicklung der Darstellung der Göttin

Erleuchtete und Mysterienkulte

Mithras

Kybele und Attis

Samothrake

Dionysos

Orpheus

Sol Invictus und Liber Pater

Keltische Einweihung

Die Mysterien von Eleusis

Zusammenfassung

Isis-Hymnen aus der Zeit der Mysterien

Isis die Allmutter

Warum Isis?

Isis und Maria

Die mythologischen Bilder der Göttin im Tierkreis

Isis in den Märchen

Isis im Tarot

Isis im Zeitalter der Globalisierung

Isis-Anrufungen und Isis-Lieder aus neuerer Zeit

Biographie der Isis

Isis

Isis ist zumindestens in der europäisch-indogermanischen Kultur die vermutlich bekannteste Göttin. Sie wurde von ca. 200 v.Chr. bis 300 n.Chr. im gesamten Mittelmeerraum als die Allmutter angesehen, die in sich alle Göttinnen vereinte und zugleich deren Ursprung war. Sie war die Göttin, die im gesamten Römischen Reich und darüber hinaus verehrt wurde.

Durch die Ausbreitung des Christentums und des Islam geriet sie nach und nach in Vergessenheit bis sie in etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder zunehmend das Interesse der Menschen weckte. Zu den Kreisen, die die Göttin Isis für sich wiederentdeckten, gehörten vor allem Künstler, die neu entstandenen Feministinnen und auch verschiedene spirituell-magische Gruppen wie die Rosenkreuzer und der Golden Dawn. Insbesondere in dem naturverbundenen Neuheidentum in England („Wicca“), das sich aus spirituellen, ökologischen und feministischen Wurzeln bildete, spielt die Göttin auch heute eine große Rolle.

Ein kurzer Blick auf das Bücherangebot unter dem Stichwort „Isis“ bei amazon zeigt, wie beliebt die Göttin inzwischen wieder geworden ist. Das Bücherangebot reicht von ägyptologischen Sachbüchern über Isis-Romane bis zu Büchern, die nicht mehr allzuviel mit der ursprünglichen ägyptischen Isis zu tun haben.

Warum also noch ein Buch über Isis? Ich möchte mit dem vorliegenden Buch versuchen, zunächst einen Überblick über die Göttin Isis aus ägyptologischer Sicht zu geben, dann die Herkunft der ägyptischen, mesopotamischen und indogermanischen Göttinnen aus den religiösen Vorstellungen der Jungsteinzeit in Mesopotamien und noch weiter zurück aus der Großen Mutter der Altsteinzeit darzustellen, anschließend die frühen ausführlichen Texte von Apuleius und Plutarch über Isis zu übersetzen und schließlich Anregungen zu geben, wie man selber mit Isis in Kontakt kommen kann.

Meines Erachtens ist die gründliche religionsgeschichtliche, archäologische und sprachwissenschaftliche Erforschung einer Gottheit die solideste Grundlage für jede Beschäftigung mit einer Gottheit. Wenn es jedoch bei dieser rein akademischen Auseinandersetzung bleibt, hat man das Beste versäumt – Religion beschreibt vor allem Erlebnismöglichkeiten und nicht nur die weltanschauliche Vergangenheit der Menschen.

Wenn die religionshistorischen Betrachtungen und die Anleitungen zu Meditationen und Anrufungen der Isis dem einen oder anderen der Leserinnen und Leser dieses Buches helfen, selber wieder einen lebendigen Kontakt zu Isis zu finden und sie auf diese Weise eine ganz konkrete Hilfe im Leben wird, dann hat es sich für mich gelohnt, dieses Buch zu schreiben.

Harry Eilenstein

A Isis in den ägyptischen Mythen

A 1. Isis

Der Name Isis

Der Name Isis lautete auf Altägyptisch „Aset“. Die Form „Isis“ ist die griechische Aussprache des Namens der Göttin. Das „-is“ am Ende von Isis und das „-et“ am Ende von Aset sind die Feminin-Endung im Griechischen bzw. Altägyptischen.

Im Altägyptischen gab es wie in allen hamitischen und semitischen Sprachen (Arabisch, Hebräisch u.a.) keine Stammsilben, sondern Stammkonsonanten. Durch die Veränderung der Vokale wurden die Fälle, Plural, Zeiten usw. ausgedrückt.

Ähnliche Formen gibt es auch in den indogermanischen Sprachen – so verändert z.B. auch das deutsche Wort „sprechen“ des öfteren seinen Stammvokal: sprechen, Sprache, Spruch, gesprochen, spricht, spräche, Sprüche …

Isis (segnend/heilend)

In der Grundform haben alle Worte in den Sprachen mit Stammkonsonanten den Vokal „a“, da dieser der am einfachsten auszusprechende Vokal ist („Grundvokal“). Im Altägyptischen wurde daher z.B. das „ntjrt“ geschriebene Wort für „Göttin“ mit Vokalen in der Grundform (Nominativ, Singular) „Anatjarat“ ausgesprochen.

Diese Grundform findet sich auch in einigen anderen Sprachen wie z.B. im Indischen, in der z.B. das älteste Epos „Mahabharata“ („Große Erzählung“) oder der Großkönig „Maharadscha“ heißt. Dieselben „a“-Grundformen finden sich auch im Arabischen – z.B. in dem Wort „Ramadan“ („Fastenzeit“).

Mit der Zeit ist im Ägyptischen die Femininendung „-at“ unbetont geworden, sodaß sie zu „-et“ wurde. Der Stammkonsonant „s“ des Namens Isis wurde aber weiterhin als „As“ ausgesprochen. So wurde aus dem ursprünglichen „Asat“ ein „Aset“.

Die genauen Vokale z.B. beim Genitiv sind leider nur aus der Spätzeit bekannt, als die Ägypter ihre Sprache z.T. auch mit griechischen Buchstaben schrieben. In dieser Zeit wurde Isis meist „Iset“ geschrieben. Der Vokal „i-“ am Anfang wird wahrscheinlich der Vokativ-Vokal sein, also die Anrufungsform. Im Deutschen würde man dazu „O Isis!“ sagen. Die vollständige ägyptische Form würde „Ich Aset!“ lauten. (Der Partikel „ich“ ist hier nicht die deutsche 1. Person Singular, sondern das die ägyptische Anrufungsformel.) Die beiden Worte „Ich Aset“ wurde zunächst zu „I Aset“ und verschmolzen schließlich „Iset“, woraus in der Spätzeit die griechischen Form „Isis“ wurde.

Eine solche Entwicklung ist bei einer Göttin, die man oft um Hilfe anrief, verständlich, da man ihren Namen meist in der anrufenden Vokativ-Form („Iset“) und nicht in der neutralen, beschreibenden Grundform („Aset“) benutzte.

„Isis“

Der Stammkonsonant „s“ des Namens Isis/Aset bedeutet "Sitz/ Thron". Da der Thron das Zeichen der Göttin ist, das sie auf ihrem Kopf trägt und mit dem auch ihr Name geschrieben wird, wird „Sitz/ Thron“ auch ihr ursprünglicher Name sein.

„Isis“

In der Hieroglyphenschreibweise ist der Thron der eigentliche Name der Göttin. Der Halbkreis neben ihm, der ein Brot darstellt, ist die Hieroglyphe für „t“, die hier die Feminin-Endung ist. Am Ende des Namens der Göttin erscheint oft noch das Bild einer Göttin als „erklärendes Zeichen“, das verdeutlicht, daß es sich bei dem durch die Konsonanten „s·t“ bezeichneten Wort um die Göttin Isis und nicht z.B. um den Thron des Pharaos handelt, den man ebenfalls „s·t“ schreiben würde, dem man aber ein anderes Determinativ-Zeichen hinzufügen würde.

Für die Bedeutung „Thron“ des Namens Isis gibt es zunächst einmal mehrere denkbare Ursprünge:

Isis im Altes Reich

„Us“

Das „Alte Reich“ Ägyptens inklusive der Frühzeit dauerte von 3.150 v.Chr. bis 2.216 v.Chr. Die ältesten und wichtigsten Texte aus dieser Zeit sind die Inschriften der Pyramiden. In ihnen wird Isis 41mal vor allem als Helferin des Pharaos im Jenseits erwähnt. Sie erscheint im Alten Reich allgemein als schützende Muttergöttin. Zu dieser Zeit war sie u.a. die Ortsgöttin von Sebennytos im nördlichen Delta.

Mit Isis war der Kult eines Symboles verbunden, das später auf den Mondgott Chons überging. Es handelte sich hierbei um ein wulstartiges Gebilde, das bei Prozessionen der Isis sowie dem Mondgott Chons vorangetragen wurde. Dieses Symbol wurde „Us“ genannt.

Das „Us“-Bündel ist ein Toter, der wie in der vordynastischen Zeit in Hockerhaltung in ein (Rinder-)Fell gehüllt ist. Demnach wäre Isis schon vor dem Alten Reich eine Schutzgöttin der Toten gewesen, was auch ihrer Funktion in ihren Mythen entsprechen würde.

Mit diesem Ursprung des Us würde es auch im Einklang stehen, daß Chons, der als Mondgott eng mit Tod und Wiedergeburt (Mondphasen) verbunden war, von ihr dieses Symbol übernommen hat.

Osiris

Osiris

Dieses Kuhfell tritt auch als Hieroglyphe in dem Namen des Toten- und Korngottes Osiris auf und bezeichnet ihn dadurch als das Urbild des von der kuhgestaltigen Göttin wieder-geborenen Toten (siehe die rechte der beiden Schreibweisen: das Zeichen über dem Auge). Osiris wird durch diese Schreibweise als toter (und anschließend wiedergeborener) Gott dargestellt.

Osiris ist auch in der hieroglyphischen Schreibweise eng mit Isis verbunden, da sein Name im allgemeinen mit dem Thron der Isis und dem Auge geschrieben wurde (die linke der beiden angeführten Schreibweisen).

Da das Auge ein Symbol der Seele war, wurde Osiris durch diese beiden Schreibweisen als „von Isis wiedergeborene Seele“ (links) bzw. als „Toter im Rinderfell und seine Seele“ dargestellt. Beide Schreibweisen zusammen stellen den toten (rechts) und den wiedergeborenen Osiris (links) dar.

Das Rinderfell, in das die Toten in Ägypten schon in der Zeit vor der Reichsgründung gehüllt worden sind, findet sich auch im Kult des Totengottes Osiris wieder: Das Rind war in der Gestalt des Apis-Stieres eng mit Osiris verbunden. Diese Verbindung war so eng und so wichtig, daß sich beide Gottheiten in der Spätzeit des ägyptischen Reiches zu Serapis verbanden: „(O-)sir(-is)-Apis“.

Sem-Priester (Schamane) auf der Jenseitsreise

Das „Us“-Symbol taucht auch in der ägyptischen Bestattungszeremonie an zentraler Stelle auf. Der Sem-Priester, dessen Name „Helfer“ bedeutet, reist während der Bestattung ins Jenseits und holt von dort die Seele des Verstorbenen in seine Mumie bzw. Statue zurück. Dabei hüllt er sich ebenfalls in ein Rinderfell, da er sich symbolisch wie die Toten im Jenseits befindet. Der Sem-Priester ist der Schamane der Ägypter gewesen.

Die enge Verbindung der Göttin Isis mit dem Totengott Osiris, mit den Toten allgemein, mit dem Rind, mit dem Schamanen und mit dessen Jenseitsreise zeigt deutlich, daß sie ursprünglich vor allem eine mit dem Tod verbundene Göttin gewesen ist.

„Ba“ (Seelenvogel)

Isis wurde schon in frühester Zeit auch als die Mutter des Falkengottes Horus angesehen. Der Falke mit einem Menschenkopf war das Symbol der Ägypter für „Seele“. Der Vogel als Seelensymbol ist weltweit verbreitet, da man bei einem Nahtod-Erlebnis in der Regel seinen eigenen materiellen Körper verläßt und dann über ihm schwebt und ihn von oben her betrachten kann. Dieser Zustand wird oft „Astralreise“ genannt. Man wird davon ausgehen können, daß es solche Nahtod-Erlebnisse schon immer gegeben haben wird – zumal das Leben in der Steinzeit viel gefährlicher war als heute ...

Wenn nun ein Mensch in der Altsteinzeit seinem Bruder nach einem Nahtod-Erlebnis erzählen wollte, was ihm geschehen war, wird er gesagt haben: „Ich war außerhalb von mir und ich war wie ein Vogel.“ Auf diese Weise ist das weltweit verbreitete Motiv der Seele als Vogel, Vogel mit Menschenkopf, Mensch mit Federkleid, Mensch mit Flügeln (Engel) usw. entstanden.

In der ägyptischen Religion ist der Falkengott Horus das Urbild der Seele, Osiris das Urbild des Toten und Isis das Urbild der Jenseitsgöttin, die die Seele nach dem Tod eines Menschen im Jenseits wiedergebiert.

Dieses Erlebnis ist auch die Grundlage des Schamanismus, denn man wird in allen Kulturen dadurch zum Schamanen, daß man ein Nahtod-Erlebnis hatte und anschließend geübt hat, willentlich seinen eigenen Körper zu verlassen.

Bei einem solchen Nahtod-Erlebnis gelangt man nach dem Verlassen des eigenen Körpers an die Grenze zum Jenseits, an der man meistens die eigenen verstorbenen Ahnen und die eigene Seele trifft. Daher hat ein Schamane die Möglichkeit, die Lebenden mit den Toten zu verbinden und den Rat und die Hilfe der Toten für die Lebenden zu holen. Der Schamane ist die zentrale Gestalt aller frühen Religionen gewesen. In der ägyptischen Religion findet er sich als der Sem („Helfer“) genannte Priester.

Der Hauptkultort des Osiris war Busiris im östlichen Nildelta, wo auch der älteste Tempel dieses Gottes stand. Osiris wurde dort als der Urahn der Pharaonen und als der erste Pharao des ägyptischen Reiches angesehen. Zugleich war er auch der Gott, der das Getreide verkörperte.

Durch das weltweit verbreitete Gleichnis zwischen dem Getreide und den Menschen war er auch der Gott der Wiedergeburt.

Das Getreide-Mensch-Gleichnis

Getreide

Mensch

Aussaat

Zeugung

Keimen

Geburt

Wachsen

Leben

Ernten

Tod

Lagern

Aufenthalt im Jenseits

Aussaat

(Wieder-)Zeugung

Keimen

(Wieder-)Geburt

Es war das Ziel eines jeden Ägypters und einer jeden Ägypterin, nach seinem/ihrem Tod auch ein Osiris zu werden, d.h. wie Osiris wiedergeboren zu werden. Daher wurde z.B. ein Ägypter mit dem Namen „Ani“ nach seinem Tod „Osiris Ani“ genannt, um die erfolgreiche Wiedergeburt des „Ani“ im Jenseits auszudrücken.

Innerhalb dieses Bildes war die Göttin diejenige, die die Toten wiedergebar. Daher wurde auch Isis in Busiris, dem Hauptkultort des Osiris, verehrt. Beide wurden zu den „Eltern“ des Pharaos. Dieses Motiv der Isis und des Osiris als Eltern erstreckte sich auch auf alle anderen Ägypter, auch wenn es vor allem im Zusammenhang mit dem Pharao beschrieben wurde.

Der wichtigste Unterschied zwischen den „normalen Ägyptern“ und dem Pharao bestand darin, daß Isis und Osiris erst nach dem Tod durch die Wiedergeburt zu den Eltern eines jeden Menschen wurden, während die beiden Gottheiten schon zu Lebzeiten des Pharaos bei dessen Krönung zu dessen Eltern wurde. Dies liegt darin begründet, daß das Krönungsritual eine symbolische Jenseitsreise war, durch die der Kontakt des Pharaos mit den Göttern hergestellt wurde. Erst ab seiner Krönung lebte der Falkengott Horus, der Sohn von Isis und Osiris, in dem Pharao.

Der Falkengott Horus war die göttliche „Zweitseele“ des Pharaos, während der normale Ägypter nur den normalen menschenköpfigen Falken (der kein Gott war) in sich trug.

Da Osiris jedes Jahr bei der Ernte des Getreides starb und von Isis jedes Jahr beim Keimen des neuen Getreides wiedergeboren wurde, war Isis als diejenige, die den Korngott wiedergebiert, auch die Ernährerin des ägyptischen Volkes.

Diese Vorstellungen über Isis und Osiris sind das gesamte ägyptische Reich über prägend für beide Gottheiten gewesen.

In der Hauptstadt On bei Kairo, das von den Griechen „Heliopolis“ („Sonnenstadt“) genannt wurde, verehrten die Ägypter Isis als Teil einer Familie: Isis, ihre Schwester Nephthys, der Korn- und Totengott Osiris sowie dessen Bruder Seth, der der Gott der Wildnis war.

Da alle vier Gottheiten zugleich von der Himmelgöttin Nut geboren wurden und der Erdgott Geb ihr Vater war, waren alle vier Gottheiten Vierlinge. Es kam sogar noch ein fünfter Gott hinzu, der zugleich mit ihnen geboren wurde: Horus, der schon vor der Geburt der vier Götter durch Isis und Osiris im Leib ihrer Mutter Nut miteinander gezeugt und geboren worden war. Dies ist eine Mythe, durch die versucht worden war, die Vielheit der ägyptischen Götter in einer Familienstruktur zu ordnen.

Außer Horus hatte Isis noch fünf weitere Kinder: Zum einen Ihi, den Gott der Musik, der ursprünglich ein Sohn der Hathor gewesen war, die als mit Isis identisch angesehen wurde, und zum anderen die zusammen mit ihrem Sohn Horus gezeugten vier "Horussöhne". Diese vier Gottheiten beschützten die in Krügen einbalsamierten Eingeweide der Toten und sie waren auch die Stützen des Himmels in den vier Himmelsrichtungen. Sie hießen Mesti (mit einem Menschenkopf), Hapi (mit einem Paviankopf), Tuamutef (mit einem Falkenkopf) und Qebsenuf (mit einem Schakalkopf).

Die sechs Kinder der Isis

Horus

Ihi

Mesti

Hapi

Tuamutef

Qebsenuf

Diese Familie wurde schließlich noch durch den Schakalgott Anubis ergänzt, der als der Sohn des Osiris und der Nephthys angesehen wurde.

Götterfamilie von On

In den Pyramidentexten wurde Isis als die „Göttin des Nordens“ angesehen. Dies wird darauf zurückzuführen sein, daß die frühen Völker im Mittelmeerraum den Weltenbaum, der Himmel und Erde verbindet, oft am Nordpol, also genau unter dem nördlichen Polarstern vermuteten, da sich dort die Achse befindet, um die sich die Sterne am Himmel drehen (Erdachse). Der Weltenbaum ist in der ägyptischen Mythologie fast immer mit der Göttin Hathor verbunden, die als identisch mit Isis aufgefaßt wurde. Die Verbindung zwischen der Himmelsgöttin Hathor und dem Weltenbaum als dem Weg von der Erde zum Himmel und somit zu der Himmelsgöttin führte dazu, daß Hathor sehr oft auch als Baumgöttin dargestellt wurde.

Die Göttin Isis wurde fast immer als Frau abgebildet. Da man sie aber als mit vielen anderen Göttinnen identisch ansah, wurde sie auch den Tieren dieser anderen Göttinnen verknüpft:

mit der Kuh der Himmels- und Muttergöttin Hathor,

mit der Gazelle der Göttin Anuket,

mit der Sau der Göttin Nut,

mit dem Skorpion der Skorpiongöttin Selket und

mit der Schwalbe als Seelenvogel.

Die Kuh und die Gazelle waren als Herdentiere die Symbole der Fruchtbarkeit der Isis. Dies war die wesentliche Eigenschaft aller Muttergöttinnen, da diese im Diesseits die Lebenden gebaren und vor allem im Jenseits die Toten wiedergebaren.

Die Himmelsgöttin Nut trug den Beinamen „Sau, die ihre Ferkel frißt“. Dieser ungewöhnliche Beiname ergab sich daraus, daß die Sonne jeden Abend stirbt und in die Unterwelt eingeht und jeden Morgen wiedergeboren wird und aus der Unterwelt zurückkehrt. Die Beobachtung, daß Säue oft die gerade von ihnen geborenen Ferkel wieder fressen, führte zu der Assoziation zwischen (der abendlichen) Nut und den Säuen. Die Göttin Nut fraß am Abend ihr eigenes Kind, also den Sonnengott, so wie eine Sau manchmal ihre Ferkel frißt.

Da die Himmelsgöttin Nut am Morgen die Sonne gebiert, befindet sich ihr Schoß im Osten, und weil sie die Sonne am Abend wieder verschlingt, ist ihr Mund im Westen. Aus diesem mythologischen Motiv ergibt sich unter anderem, daß die Sonne während der Nacht in der Himmelgöttin geborgen liegt wie ein noch ungeborener Mensch im Bauch seiner Mutter.

Der Skorpion der Göttin Selket wurde vor allem mit dem Tod assoziiert und der Vogel (Schwalbe) mit der Seele.

Die mit der Göttin Isis verbundenen Tiere entsprechen also ihrem bereits beschriebenen Charakter als Göttin der Wiedergeburt.

Isis wurde oft mit der Himmelsgöttin Nut gleichgesetzt und erhielt dann deren Flügel, mit denen sie oft im Inneren der steinernen Sarkophage in der Weise abgebildet ist, daß die Mumie des Toten auf dem Bauch der innen auf den Boden des Sarkophags eingravierten Göttin liegt und sie die Mumie mit ihren innen auf die Seitenflächen eingravierten Flügel-Armen umarmt und beschützt – ein Bild der Geborgenheit bei der Großen Mutter.

Als Muttergöttinnen waren Isis und ihre Schwester Nephthys auch die Beschützerinnen der Geburt und wurden in dieser Funktion als identisch mit der Geburtsgöttin Meschenet angesehen. Diese Göttin war eine Personifizierung der beiden Ziegel, auf die sich bei den Ägyptern eine Gebärende hockte, damit unter ihr mehr Platz für das neugeborene Kind war. Meschenet ist im Grunde die Bezeichnung und das Bild für die Geburtsschutz-Funktion der Großen Mutter.

Da der Totengott und Schöpfergott Ptah von Memphis, das am Anfang des Nildeltas liegt, dem Osiris in vielerlei Hinsicht glich, wurde auch er als mit Osiris identisch angesehen. Die zu ihm gehörende Muttergöttin war Hathor, die der Isis entsprach. Der in Memphis dem Horus analoge Falkengott war Sokar, der Seelenvogel des Ptah.

Mittleres Reich

Das Mittlere Reich dauerte (einschließlich der Übergangszeiten) von 2.216 v.Chr. bis 1.648 v.Chr.

Die bisherigen Charakterzüge der Isis blieben bis in die nachchristliche Zeit erhalten. In der schriftlichen Überlieferung, die in dieser Epoche deutlich umfangreicher wurde, traten nun auch einige andere Merkmale der Göttin Isis hervor, die es aber wohl auch schon im Alten Reich gegeben haben wird.

Wie man unter anderem an der Mythe, in der Isis den Osiris wiederbelebt und ihren Sohn Horus beschützt, erkennen kann, galt die Göttin auch als die "Zauberreiche". Es ist eine Geschichte überliefert worden, in der geschildert wird, wie sie zur mächtigsten Zauberin wurde:

Die Geschichte beginnt mit dem Satz: "Es gab nichts im Himmel und auf Erden, was Isis nicht wußte" – außer dem geheimen Namen des Sonnengottes Re, durch dessen magische Kraft er der Herr der Welt war. Isis nahm deshalb eines Tages ein paar Tropfen Speichel, die dem alternden Re (= Abendsonne) aus dem Mund gefallen waren, vermischte sie mit Lehm, formte eine Schlange daraus und belebte sie durch die Mundöffnungszeremonie, mit der auch die Seelen bei der Bestattung in ihre Mumien bzw. Statuen gerufen wurden. Dann sandte Isis die Schlange (Schlangen sind die Feinde des Re, insbesondere die Apophisschlange in der Unterwelt) zu dem Sonnengott, der schon bald von ihr gebissen wurde. Re wurde daraufhin ganz schwach und hatte große Schmerzen, aber niemand konnte ihm helfen. Da ließ er Isis holen und bat sie, ihn zu heilen. Sie verlangte dafür, daß er ihr seinen geheimen Namen sage. Lange Zeit weigerte sich Re, aber schließlich waren seine Schmerzen so groß (= Re in der Unterwelt), daß er Isis seinen geheimen Namen ins Ohr flüsterte. Da heilte sie Re (= wiedergeborene Morgensonne) und wurde zur mächtigsten Göttin.

Daher bezogen sich viele Zaubersprüche auf diese und andere ihrer Taten und deshalb wurde sie in Gefahr oft um Hilfe angerufen.

Diese Mythe zeigt die Auseinandersetzung darüber, ob in Ägypten wie im frühen Alten Reich die Göttin die zentrale religiöse Gestalt war oder ob der Sonnengott Re die oberste Gottheit war.

In Koptos in Oberägypten wurde der Gott Min verehrt, der wie Osiris ein Gott der Fruchtbarkeit der Felder war. Min wurde mit aufgerichtetem Penis dargestellt, um seine Zeugungskraft zu betonen. Bei Osiris wurde diese Zeugungskraft dadurch betont, daß Isis zunächst den Penis des nach seinem Tod zerstückelten Osiris nicht wiederfinden konnte, den sie aber brauchte, um Osiris heilen und sich mit ihm zu vereinen zu können, da die Ägypter davon ausgingen, daß vor der Wiedergeburt zumindest bei den männlichen Toten auch eine Wiederzeugung stattfand.

So wie die Fruchtbarkeit der Göttin durch die Kuh dargestellt wurde, so war der Stier das Symbol der Zeugungskraft des Gottes. Symbolisch vereinte sich nach der Bestattung der Tote als Stier mit der Göttin als Kuh. Daher war im ägyptischen Totenkult das Stieropfer so wichtig – entweder als reales Opfer (wenn die Hinterbliebenen sich dies leisten konnten) oder als symbolisches Opfer. Aufgrund dieser Symbolik wurde ein wiedergeborener Toter auch „Ka-mut-ef“, d.h. „Stier seiner Mutter“ genannt: Der Tote hatte sich als Stier mit der Göttin vereint, woraufhin diese ihn dann wiedergebar und dadurch zu seiner Mutter wurde.

Dadurch, daß Osiris und Min letztlich dieselbe Gottheit waren, wurde Isis auch als die Frau/Mutter des Min angesehen.

Die Jenseitssymbolik der Ägypter enthielt drei wichtige Elemente: die Wiederzeugung, die Wiedergeburt und das Wiederstillen. Die Ankunft im Jenseits wurde als eine genaue Analogie zu der Geburt im Diesseits aufgefaßt: Der Tote zeugte sich zusammen mit der Jenseitsgöttin, wurde dann von ihr wiedergeboren und anschließend von ihr gestillt. Dieses Wiederstillen wurde oft dargestellt, indem der Tote als Kind oder als Erwachsener in der Größe eines Kind auf dem Schoß der Göttin saß und an ihrer Brust saugte oder indem der Tote als Erwachsener von der Baumgöttin, die als der Weltenbaum mit dem Oberleib und dem Kopf der Göttin an seinem Stamm gestaltet war, gestillt wurde.

Diese drei Symboliken finden sich auch in dem Krönungsritual, in dem der angehende Pharao u.a. einen Trank, in der Regel Milch, zu sich nahm, der die Milch der Isis symbolisierte. Der Pharao wurde durch dieses Ritual recht konkret zu dem Sohn der Isis.

Aus der Wiederzeugungsymbolik leitete sich der Beiname „Göttin der Liebe“ der Isis und der Hathor ab.

Zudem wurde bei dem Tod eines Pharaos das Umstürzen des Weltenbaumes rituell dargestellt, wodurch die Verbindung zwischen den Göttern und den Menschen unterbrochen wurde bis bei der Krönung der Weltenbaum wieder aufgerichtet worden war.

Als Mutter des Korngottes Osiris war Isis auch die Göttin, die jedes Jahr nach der Überschwemmung des Nils (Juni bis September) das Getreide und die Pflanzen neu gebar.

bei Beginn der Nilflut ist der Stern Sirius kurz vor Sonnenaufgang über dem Horizont sichtbar.

Da man in Ägypten die nahende Nilflut daran erkennen konnte, daß der Stern Sothis (Sirius) im Juni morgens früh kurz vor Sonnenaufgang das erste mal wieder zu sehen war, wurde Isis auch mit dem Stern Sothis gleichgesetzt. Um das Bild vollständig zu machen, wurde das Sternbild Orion („Sah“), das gleich neben der Sirius/Sothis steht, dem Gott Osiris gleichgesetzt.

Daher sahen die Ägypter am winterlichen Nachthimmel die Göttin Isis (Sirius) und den Gott Osiris (Orion) als Beschützer der als Sterne im dunklen Bauch der nächtlichen Himmelgöttin Nut aufgefaßten Seelen der Toten: das hellleuchtende Sternbild des Osiris und der hell-strahlende, blinkende Stern der Isis inmitten der Seelen-Sterne.

Dieser Charakterzug der Isis hat sich bis in die griechische Zeit hinein erhalten, in der sie manchmal mit einem Stern gekrönt und auf einem Hund sitzend dargestellt wurde, da die Griechen die Sirus "Hundsstern" nannten, der zu dem von den Griechen "Himmelsjäger" genannten Orion gehörte. Der „Hund“ Sirus war die Entsprechung zu dem Schakalgott Anubis, dem Sohn des Osiris und der Nephthys. Wolf, Hund, Fuchs und Schakal waren allgemein die Führer auf dem Weg ins Jenseits. Da das Jenseits als das Fremde und Unbekannte eine Analogie zu der Wildnis im Diesseits war, wurde aus dem Totengott mit dem Hund als seinem Begleiter sehr oft der Jäger mit seinem Jagdhund.

Neues Reich

Das Neue Reich dauerte einschließlich der Übergangszeiten von 1648 v.Chr. bis 664 v.Chr. Die bisherige Symbolik der Isis wurde beibehalten, aber einige Charakterzüge traten in dieser Epoche deutlich als vorher zutage.

Im Neuen Reich wurde Isis auch als Schlange mit Menschenkopf dargestellt, da man sie nun auch der schlangengestaltigen Natur- und Erntegöttin Thermutis gleichsetzte. Der mit dieser Göttin verbundene Korngott Nepre wurde dementsprechend als eine Gestalt des Osiris-Min aufgefaßt.

Die Dreiheit „Muttergöttin – Totengott – Seelenvogelgott“ ist das grundlegende Motiv der gesamten ägyptischen Mythologie.

Isis als der Stern Sothis (Sirus), der die Nilflut ankündigte, war auch eng mit der Antilopengöttin Satis verbunden, die die Göttin von Elephantine war, dem südlichsten Gau des alten Ägyptens. Da der dort befindliche Nil-Katarakt als die „Quelle“ des Nils angesehen wurde, sah man Isis auch als den Ursprung des Nils und als die Mutter des Nilgottes Hapi an, der wiederum dem Osiris gleichgesetzt wurde.

Spätzeit und griechisch-römische Zeit

Diese letzte Epoche des Alten Ägyptens dauerte von 664 v.Chr. bis 395 n.Chr. In dieser Zeit bestand die alte Kultur und Religion der Ägypter noch fort, aber sie verband sich nach und nach mit den Religionen und Mythen der anderen Mittelmeerstaaten. Dabei wurde die ägyptische Religion von den meisten Mittelmeervölkern als die Quelle aller Weisheit angesehen.

Durch den Kult der Isis-Sothis in Elephantine, der südlichen Grenzstadt Ägyptens, wurde die Göttin in der Spätzeit zur "Herrin Unternubiens" (Sudan), die noch bis nach Punt (Äthiopien) hinein Kultstätten besaß.

Die Göttin Hathor war während des Mittleren Reiches von der Mutter des Sonnengottes Re zu dessen Tochter umgedeutet worden und wurde schließlich als das am Himmel sichtbare Sonnenauge aufgefaßt. Da das Auge eines der Symbole der Seele war und der Sonnengott als König der Seelen aufgefaßt wurde, wurde Hathor von der Mutter der Seelen und des Sonnengottes zu Sonne zu der Tochter und der Seele des Sonnengottes.

Da Isis und Hathor letztlich dieselbe Göttin gewesen sind, wurde Isis ab dem Mittleren Reich manchmal auch als Sonnengöttin angesehen. Manchmal wurde Isis, da sie wie der ibisköpfige Mondgott Thot magiekundig war, auch als Mond aufgefaßt. Diese Auffassung erhielt aber erst in der Spätzeit durch die Griechen eine größere Bedeutung, die den Osiris als Analogie zu ihrem Sonnengott Helios und Isis als Analogie zu ihrer Mondgöttin Selene auffaßten.

Da aus dem wiedergeborenen Osiris in Verbindung mit dem Stiergott Apis der Heilgott Serapis geworden war, sah man auch Isis, da sie die Frau, Mutter, Beschützerin und Heilerin des Osiris war, als eine Göttin der Heilkunst an, die wie Serapis die Ärzte beschützte. Dieser Übergang von der Wiedergeburtssymbolik zur Heilungssymbolik ist der Mythologie weit verbreitet. Der Tod wird hier sozusagen als die größte Krankheit aufgefaßt – und wer die größte Krankheit heilen kann, kann auch all die kleineren Krankheiten heilen …

Die Priester und Priesterinnen des Serapis und der Isis waren auch selber Heiler und Magier, die u.a. das Wetter beeinflußt haben sollen. Dieser Wetterzauber bestand meistens darin, daß sich die Priesterin ihre Haare flocht bzw. nicht kämmte, da für die Ägypter Knoten ein wichtiges magisches Hilfsmittel gewesen sind.

Isis hat aber durch ihre Kenntnisse in der Magie und vor allem durch ihr Wiedergebären der Toten auch schon vorher eine enge Verbindung zum Heilen gehabt. Isis wurde schon immer z.B. zur Heilung von Schlangen- und Skorpionbissen angerufen.

Durch ihren Kult in der Hafenstadt Alexandria wurde sie auch zur Erfinderin des Schiffsbaus und der Seefahrt sowie zur Beschützerin der Seeleute. Diese Verbindung wurde dadurch erleichtert, daß man den Himmel als ein großes Meer auffaßte und Isis durch ihre Gleichsetzung mit Nut und Hathor auch eine Göttin des Himmelsmeeres war.

Isis war nun die vielfältigste und wichtigste der ägyptischen Göttinnen geworden: Mutter, Königsmutter, Geburtsgöttin (Meschenet), Schicksalsgöttin (Hathor), Jenseitsgöttin (Osiris, Nut, Hathor), Himmelsgöttin (Nut, Hathor), Göttin des Tanzes und des ekstatischen Kultes (Hathor), Natur-, Fruchtbarkeits- und Erntegöttin (Thermutis, Osiris), Mutter des Nils (Satis), Gattin des Osiris, Himmelsmeer (Nut), Beschützerin der Seefahrer, die Zauberreiche, Herrin der Skorpione (Selket), Beschützerin des Thrones, Mutter des Horus, Mutter des Ihi, Mutter des Min, Mutter des Hundegottes Wepwawet und der vier Horussöhne, Sonnenauge, Mondauge, Klagende, Göttin der Weisheit und der Schrift (Thot), die Große Göttin, die göttliche Mutter, die Göttermutter, die Lebende ...

So wurde sie im Römischen Reich zur Allgöttin, "reich an Gestalten und Namen", zur Natur- und Muttergöttin, die "das schöne/wahre Wesen aller Götter" ist.

Als junge Isis wurde sie Aphrodite und Astarte gleichgesetzt und nackt dargestellt; als Tyche trug sie das Füllhorn; als Demeter sah man sie in der Mondsichel und in den Ähren; als Hekate hielt sie die Fackel; als "Mutter der Götter" war sie Cybele; als Göttin der Isisfeste, die mit den Eleusinischen Mysterien zusammenflossen, hielt sie die Ciste, den Kasten, auf dem eine Schlange als Zeichen der Wiedergeburt ruhte; als Allgöttin war sie die "Tausendnamige", die "Mutter aller Dinge", die "Herrin aller Elemente" und der "Uranfang der Zeiten".

Die Isisweihe im Römischen Reich trug Züge der Re- und Osiris-Legenden, aber ebenso auch Merkmale des Kultes des Attis, des Mithras und der anderen Auferstehungsgottheiten des damaligen Mittelmeerraumes. Dadurch näherte sich Isis auch dem Charakter der sumerischen Göttin Inanna an. Der Novize bzw. die Novizin, die geweiht werden sollte, ging mit einem "Himmelsgewand" bekleidet, wie die Sonne symbolisch den Weg durch die Nacht und die Unterwelt, um Reinheit und Seligkeit zu erlangen. Schließlich gelangte der Novize bzw. die Novizin als Lichtgott/Lichtgöttin zur Mitte des Tempels vor die Statue der Göttin Isis.

Viele ihrer Namen und Eigenschaften sind von Maria, der Mutter Jesu', übernommen und christlich umgedeutet worden, da nur die Übernahme des Isiskultes unter anderem Namen es dem Christentum ermöglichte, sein Glaubensdogma gegen die Verehrung dieser Göttin durchzusetzen, obwohl das Christentum per kaiserlichem Erlaß um 391 n.Chr. zur einzigen im Römischen Reich zugelassenen Religion erklärt worden war.

Der letzte Tempel der Isis auf Philae ganz im Süden des ägyptischen Reiches wurde erst um ca. 650 n.Chr. vom Islam geschlossen, da er innerhalb des Römischen Reiches eine Sondergenehmigung für die Ausübung des Isis-Kultes besessen hatte.

Das Isisblut-Symbol

„Isisblut“

Das sogenannte "Isisblut", ein zu Isis gehöriges Symbol, ist wie eine Schleife geformt und ähnelt dem Lebenszeichen Ankh. Es ist ein allgemeines Schutzsymbol, das oft zusammen mit dem Djedpfeiler (Dauer), seltener dem Uas (Macht) auftritt.

Es war der Isis zugeordnet – so wie der Djed-Pfeiler zu Osiris gehörte. Dazu trug wohl auch der Gleichklang zwischen den Namen "Djed" und dem Wort "Tet", dem ägyptischen Namen des "Isisblutes", bei.

Die Bezeichnung "Isisblut" stammt von dem Anfang des Weihespruches für den Tet aus dem Totenbuch: "Dein Blut gehört Dir, Isis!" Dieser Text wird ursprünglich wahrscheinlich einmal ein Schutzzauber gegen eine Fehlgeburt oder gegen zu starke Monatsblutungen gewesen sein.

Das Symbol selber ist vermutlich eine stilisierte Monatsbinde (Menstruation).

Die folgenden Bilder sind verschiedene Darstellungen der Göttin Isis:

segnende Isis

Isis beschützt Osiris

geflügelte Isis (Thronlehne)

geflügelte Isis (Amulett)

Isis säugt den Horusknaben

Isis und Nephthys beschützen ihren Bruder Osiris

Isis mit der Sistrum-Rassel der Hathor (griechische Zeit)

klagende Isis

Isis säugt Horus

Isis säugt Horus

A 2. Hathor

Das Bild der Göttin Isis wird deutlicher, wenn man auch die Göttin Hathor betrachtet, die von den Ägyptern als mit Isis identisch empfunden worden ist.

Hathor

Der Name dieser Göttin bedeutet „Haus des Horus“. Dadurch, daß „Haus“ auch die Bedeutung „Gebärmutter/Uterus“ hatte und Horus das Urbild des Seelenvogels war, bezeichnete der Name die Göttin sie zugleich als Mutter- und als Himmelsgöttin sowie auch als diejenige, die im Jenseits den Seelen ihre Wiedergeburt schenkt.

„Hathor“ ist ein beschreibender Name, also ein Name, der auf eine Eigenschaft oder eine Funktion hinweist, so wie sich solche Namen in jedem Kult gerne als „Titel“ oder traditionelle Redewendungen herausbilden.

Hathor wurde als Frau mit Kuhohren dargestellt, deren Krone aus einem Kuhhörnerpaar bestand, zwischen denen sie die Sonnenscheibe trug, die sie jeden Morgen wiedergebar. Es gibt auch Darstellungen der Hathor als Kuh und in der Spätzeit auch als Frau mit einem Kuhkopf.

Die Göttin hatte schon in den ersten Überlieferungen, die aus der Frühzeit (1.- 2. Dynastie) stammen, einen komplexen Charakter. Die Entwicklung ihrer Wesenszüge läßt sich in etwa wie folgt rekonstruieren:

Am Anfang wird sie wie Nut als Himmelsgöttin, Himmelsmeer und Himmelskuh die Allmutter und die zentrale Gottheit gewesen sein. Sie war die „wichtigste Gottheit“, aber nicht die „oberste Gottheit“, da dies eine Hierarchie voraussetzten würde, von der aber im Zusammenhang mit der Himmelsgöttin nie die Rede ist – die Hierarchie war erst eine Erfindung des Sonnengottes, d.h. des Königtums.

Als Himmelsgöttin war Hathor auch die Mutter der Sonne, des Mondes und der Sterne (=Seelen). Wie bei Nut wurde auch bei ihr besonders die Sonne als ihr Sohn hervorgehoben, den sie zwischen ihren Hörnern zum Himmel emporhob.

Als Himmels- und Kuhgöttin war sie die Mutter der Seelen, die in der Gestalt von Sternen und Vögeln dargestellt werden konnten. Aus dieser Vorstellung leitet sich der Horusfalke, ursprünglich der Archetyp der Seele des Schamanen und später dann des Stammesführers bzw. Pharaos, ab. Aus diesem Bild entstand auch ihr Name: Hathor bedeutet „Haus des Horus-Falken“ (= Himmel) sowie im übertragenden Sinne „Gebärerin der Seele“.

Da sie die wichtigste Göttin war, war jede Fruchtbarkeit ein Teil ihrer Mutterschaft und jede Geburt ihre Schöpfung, die unter ihrem Schutz stand. Hathors Fruchtbarkeit wurde durch die Kuh symbolisiert und findet sich in ganz Ägypten in dieser Bedeutung wieder. Auf diese Fruchtbarkeit weist auch ihr Kultnamen, „Nebet Hetepet“ hin, der sowohl „Herrin des Ortes Hetepet“ als auch „Herrin der Gebärmütter“ bedeutet.

Als Mutter der Seelen sowie des Königs-Seelenvogels und Himmelsboten Horus wachte sie auch über den Weg zwischen Himmel und Erde, der in der damaligen Kosmologie in erster Linie durch den Weltenbaum dargestellt wurde. Er war der Weg, auf dem Horus dem Pharao bei seiner Krönung von der Himmelsgöttin dessen Herrschaft und die Weisheit und den Segen der Göttin brachte und auf dem der Schamane bei den Bestattungen zu Hathor reiste. Der Weltenbaum ist gewissermaßen die Nabelschnur, durch die die Schöpfung auf der Erde mit der Himmels-Muttergöttin verbunden bleibt.

Es ist dann kein großer Schritt mehr gewesen, den Baum in der Mitte der Welt als eine Erscheinungsform der Hathor anzusehen.

Hathor als Baumgöttin

Diese Vorstellung wurde durch das älteste Kultsymbol der Hathor verdeutlicht: Auf einem stufenförmigen Podest (Urhügel) steht eine runde Säule (Weltenbaum), an der sich zwei Frauenköpfe mit Kuhohren oder auch einfach zwei Kuhköpfe befinden, die in entgegengesetzte Richtungen blicken. Da Hathor die Himmelsgöttin und die Mutter der Sonne war, werden die beiden Köpfe wohl als die beiden Horizonte, Osten und Westen, Morgen und Abend, Geburt und Wiedergeburt aufgefaßt worden sein – eine Symbolik, die bei Nut, die die Sonne morgens gebiert und am Abend wieder frißt, sehr deutlich zu erkennen ist. Tod und Wiedergeburt werden das ursprüngliche Motiv sein, das durch die zwei Köpfe der Hathor dargestellt wurde.

Hathorsäule

Der Urhügel ist das erste Land, das am Anfang der Zeit aus den Urwassern aufstieg. Dieses Land war zugleich das erste Lebewesen, das jemals von der Muttergöttin geboren wurde: der Erdgott Atum. Sein Name ist identisch mit dem jüdischen Adam, dem germanischen Urriese Ymir, dem indischen Yama und dem persischen Yima. Er ist der „Erdling“: die Erde, der erste geborene Gott, der Ahn aller Götter und der Ahn aller Menschen. Nur die Muttergöttin als das Urwasser ist noch älter als Atum, da sie zeitlos ist.

Die Symbolik der „2“ als Tod und Wiedergeburt findet sich in der ägyptischen Mythologie auch in Isis (Diesseits) und Nephthys (Jenseits), in Neith (Diesseits) und Selket (Jenseits), Neith (Diesseits) und Mafdet (Jenseits), den beiden Köpfen des Erdgottes Aker, der die Gestalt eines Feldes mit einem Kopf an beiden Enden hat, sowie in der „zweifache Wahrheit der Göttin Ma'at“. Diese „doppelte Maat“ stellte das richtige Verhalten im Diesseits und im Jenseits dar, aus der heraus die eigene Schönheit und der eigene Seelenfrieden entsteht.

Das Kultsymbol der Hathor, die Säule mit den beiden Hathorköpfen, die man „Bat (= weibliche Seele) mit zwei Gesichtern“ nannte, wurde zum Vorbild für die Säulen in ihrem Tempel.

Hathor-Sistrum

Hathor-Szepter

Hathor hält fast immer ein Sistrum, das ein rasselartiges Instrument ist, in ihrer Hand. Es besteht aus kleinen Kupferstangen, die in einem kupfernen Rahmen hin- und hergeschüttelt werden können und dadurch ein lautes Geräusch erzeugen.

In fast allen Kulturen benutzt(-e) der Schamane, um in Trance und Ekstase zu kommen und dann in seiner Vision in den Himmel oder in die Unterwelt zu gelangen, eine Trommel, eine Rassel oder ein ähnliches Instrument. Auch die mit den Schamanen verwandten ägyptischen Bes-Götter und die in der Jungsteinzeit vor der Gründung des ägyptischen Reiches manchmal abgebildeten Panthertänzer halten ein solches Instrument in ihrer Hand.

Es lag daher nahe, dieses der Jenseitsreise dienende Instrument der Himmelsgöttin zu weihen – so wie es die Schamanen in fast allen Länder getan haben. Oft wurden Federn am Rand der Schamanentrommel (Rahmentrommel/Tambourin) als Symbol der als Flug zu der Himmelsgottheit erlebten Astralreise angebracht. In den Kulturen, in denen der Schamane in seiner Vision auf einem Pferd ins Jenseits ritt, schmückte man die Trommel mit Pferdehaaren. Ein solches Schamanenpferd ist z.B. der achtbeinige Sleipnir des germanischen Schamanengottes Odin. Häufig wurden auch Szenen aus verschiedenen Etappen der visionären Reise ins Jenseits auf die Haut der Trommel gemalt. In Ägypten wurden diese Jenseitslandkarten oft in den Boden des Sarkophages eingraviert. Die ägyptischen Schamanen haben diese Landkarte der spirituellmagischen inneren Bereiche u.a. dadurch ausgedrückt, daß sie den Griff des Sistrums als Hathorsäule (Weltenbaum) formten, auf der die Göttin Hathor als das Ziel der Jenseitsreise als zwei Köpfe mit Kuhohren dargestellt wurde.

Die Rasseln der ägyptischen Schamanen wurden so zum Weltenbaum, zu ihrem Weg zu Hathor. Entsprechend drücken es auch die Schamanen anderer Kulturen aus: „Meine Trommel ist mein Pferd und mein Weg.“ Als Hinweis auf die Astralreise und den Seelenvogel befindet sich oben auf dem Bügel des Sistrums manchmal noch eine kleine Statue des Horusfalken.

Auf die Ekstase des Schamanen wird auch der Charakter der Hathor-Feste zurückzuführen sein, die von Tanz, ausgelassener Freude und dem Genuß von Bier und Wein geprägt waren. Während dieser lauten, fast orgiastischen „Feste der Trunkenheit“ trug der Pharao tanzend einen gefüllten Weinschlauch zu der Statue der Göttin – der Weg der Ekstase, um der Göttin zu opfern. Dieses rituelle Trinken wird sowohl das Ernährtwerden der Menschen im Diesseits durch Hathor als auch das Wiedergestilltwerden der Toten im Jenseits durch die Göttin darstellen.

Diese ekstatische Tanz muß eine sehr alte Tradition sein, denn im Pyramidenspruch 127 wird zum wiedergeborenen Pharao im Jenseits, der nun identisch mit Osiris ist, gesagt: „O König, Du Osiris, tanze!“

Es ist zu vermuten, daß die alkoholischen Getränke wie bei vielen anderen Kulturen ein Hilfsmittel waren, um einen tranceähnlichen Zustand zu erreichen. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, daß in Ägypten diesen Getränken psychoaktive Pflanzenextrakte beigemischt wurden, so wie dies von vielen anderen Kulturen bekannt ist wie z.B. von dem Soma der Inder, dem Haoma der Perser, dem Met der Germanen und Kelten oder dem Balché der Mayas.

Zu Beginn des Alten Reiches lassen sich alle diese Charakterzüge der Hathor schon deutlich feststellen, was zeigt, daß ihr Kult schon damals sehr alt gewesen sein muß.

Hathor war mit so gut wie allen Kuhkulten eng verbunden und wurde insbesondere als die Himmelskuh Methyer, deren Name „Große Flut“ bedeutet, angesehen. Dies zeigt, daß die verschiedenen Kuhgöttinnen letztlich keine verschiedenen Göttinnen waren, sondern Varianten desselben Urbildes bei den verschiedenen ägyptischen Stämmen aus der Zeit vor der Reichseinigung. Die „Große Flut“ war zum einen die Nilüberschwemmung, die das Ackerland Ägyptens, das inmitten der Wüste der Sahara liegt, fruchtbar machte, und zum anderen auch das Himmelsmeer, das zugleich das Jenseits war.

Alle ägyptischen Kuhgöttinnen sind zugleich auch Himmelsgöttinnen, Himmelsmeergöttinnen und Jenseitsgöttinnen, da die Motive Kuh, Himmel, Himmelsmeer und Wiedergeburt Aspekte eines einzigen Bildes waren. Zu diesem Motiv gehört auch der alte Brauch, Tote in Kuhfelle zu hüllen oder später Sarkophage in Kuhgestalt anzufertigen, damit sich die Toten symbolisch im Bauch der Göttin befanden und folglich im Jenseits von ihr wiedergeboren wurden.

Mit Hathor waren auch einige Schlangengöttinnen verbunden, die ihr insofern ähnelten, als daß sie ohne Zeugung aus dem Nilschlamm heraus entstanden sein sollten, die Urkraft darstellten und die Felder fruchtbar machten. Die Schlange ist also ein Symbol der Lebenskraft und als solches untrennbar mit der Muttergöttin verbunden.

Insbesondere ist Hathor auch als (Welten-)Baumgöttin verehrt worden, die den Toten Wasser und Schatten spendete. In Memphis verehrte man sie als „Herrin der südlichen Sykomore (Maulbeerfeigenbaum)“.

Hathor, die in Memphis im Alten Reich zusammen mit Ptah als ein Götterpaar und dann im Neuen Reich als die Tochter des Ptah verehrt wurde, wird dort vor dem Alten Reich sehr wahrscheinlich als die Mutter des Ptah angesehen worden sein, da Hathor die Muttergöttin und Ptah der Gottestyp des „vergöttlichten Ahnen“ ist. In Memphis sah man Hathor in erster Linie als Totengöttin an, die des nachts die Sonne in sich aufnahm und so den Toten im Jenseits Licht und Wärme spendete und wie das Feuer alles Böse vertrieb, und des morgens die Sonne wieder im Diesseits gebar. Auch diese Funktion der Hathor weist auf die dem Kult in Memphis zugrundeliegende Mythe der Geburt des Ptah durch Hathor hin.

Die Ägypter haben den Schutz der Toten durch Hathor so intensiv empfunden, daß man in griechisch-römischer Zeit die gestorbenen und im Jenseitsgericht freigesprochenen Frauen in Analogie zu dem vorher sowohl für Männer als auch für Frauen üblichen „Osiris X“ nun „Hathor X“ nannte, also die weiblichen Toten mit Hathor statt mit Osiris identifizierte.

Als Himmelsgöttin war Hathor die Mutter des Horus – schon ihr Name bedeutet „Haus des Horus“. Horus wurde allerdings meistens als Sohn der Isis aufgefaßt. Da beide Vorstellungen nebeneinander weiterexistierten, galt Horus im Alten Reich auch als Sohn der Hathor und des Osiris: Die Himmelsgöttin gebiert den Toten bzw. dessen Seele nach dem Tod im Jenseits zu neuem Leben. Isis und Hathor waren letztlich dieselbe Göttin.

Durch den Aufstieg der von den Pharaonen geförderten Sonnenreligion sah man Hathor, die ursprünglich die Mutter des Re gewesen war, zunächst als weibliche Sonne und schließlich als die Tochter des Re und das Sonnenauge des Re an. Die Vorstellung, daß Re von Nut bzw. von Hathor geboren und zum Himmel emporgehoben wird, blieb aber allezeit parallel dazu bestehen. Durch die vielen Entsprechungen im Charakter der beiden Himmelsgöttinnen vereinten sie sich oft zu Nut-Hathor oder zu Hathor-Nut.

Außer mit den Kuhgöttinnen verehrte man Hathor auch zusammen mit der Schlangengöttin Uadjet (Uräus) und dem Krokodilgott Sobek als Spenderin des Nilhochwassers und der Nahrung – es lag nahe, die Göttin, von der ursprünglich alle Dinge stammten und die man sich zudem als Himmelsmeer vorstellte, auch als den Ursprung des Nils anzusehen. Auch in dieser Funktion war sie identisch mit Isis.

Hathors Hauptkultort war Dendera, wo auch Horus von Edfu einen kleinen Tempel besaß. Am 1. Mai fuhr Hathor zum „Fest der schönen Umarmung“ nach Edfu, wo sie zusammen mit Horus den Gott der Musik, Ehi, und den Falkengott Somptus zeugte, in dessen Gestalt Horus, der ursprünglichen Beziehung zwischen ihm und Hathor entsprechend, dann wieder zum Sohn der Hathor wurde. Am Ende des Festes, am 14. Mai, also nach einer halben Mondperiode, kehrte sie wieder nach Dendera zurück.

Die Grundsymbolik dieser Reisen von Gottheiten zu anderen Tempeln ist die Jenseitsreise gewesen. Das ursprüngliche Motiv war die Vereinigung der Hathor mit Osiris im Jenseits, woraufhin sie den Horusfalken, die Seele des Osiris, gebar.

Die Göttin wurde oft auch einfach „Herrin“ genannt, was zeigt, wie wichtig sie den Ägyptern gewesen ist. In ähnlicher Weise wurde Horus oft einfach „Gott“ genannt.

Zu diesen alten Wesenszügen der Göttin traten mit der Zeit auch einige neue hinzu. So wurde sie zur „Herrin der Fremdländer“, zu denen die Ägypter engere Handelsbeziehungen hatten oder die sie beherrschten: Byblos (Libanon), das Malachitland (Sinai), Nubien (Sudan), Punt (Äthiopien, Somalia), Libyen und Kleinasien. Dieser Wesenszug lag darin begründet, daß man die geographisch fernen und unbekannten Länder dem Jenseits gleichsetzte, dessen Göttin Hathor war. So war „er ist nach Punt gegangen“ eine feststehende Redewendung für „sterben“.

Als Sonnenauge erhielt Hathor vereinzelt auch kriegerische und bedrohliche Züge, die vor allem auf ihrer Gleichsetzung mit der Löwengöttin Sachmet aufbauten.

Als „Herrin des Schreckens“ tötete Hathor alle Gottesfeinde und nahm mit der Zeit alle anderen mit dem Sonnenauge identifizierten Göttinnen wie Tefnut oder Sachmet in sich auf – was zeigt, daß sie auch nach ihrer Unterordnung unter Re noch als die wichtigste Göttin angesehen wurde. Im Kult der Hathor faßte man die Musik nicht mehr nur als ein Mittel zum Ausdruck der Freude, sondern auch als ein Mittel zur Besänftigung der zornigen Hathor-Sachmet auf.

In erster Linie war Sachmet-Hathor, also Hathor in der Gestalt der Löwengöttin Sachmet („Die Mächtige“) die kriegerische Göttin, die Ägypten wie ihr Kind beschützte.

Hathor ist es auch, die in der Legende vom Aufstand der ersten Menschen gegen Re in der Gestalt einer Löwin fast die gesamte Menschheit vernichtete.

Die Ähnlichkeit mit der Sintflutsage und mit der Darstellung der biblischen Eva ist nicht zu übersehen: Der neue, patriarchale (Sonnen-) Gott verlangt völligen Gehorsam und bestraft die Mißachtung seiner Gebote mit dem Tod, wobei der Frau bzw. der Göttin als Vertreterin der früheren, alten, matriarchalen Weltordnung die Funktion der Sünderin bzw. der Henkerin zugeschrieben erhielt, um zusammen mit der Frau bzw. Göttin auch die alte Weltordnung in Verruf zu bringen. Diese Legende ist eine Umdeutung der ursprünglichen Beschützerfunktion der Muttergöttin. In Ägypten hat es aber nie wie bei den semitischen Völkern eine Dämonisierung der Göttin gegeben.

Als Göttin des Sonnenauges wurde Hathor wie die Himmelsgöttin Tefnut auch als Mondauge angesehen; ursprünglich sind Sonne und Mond die Kinder der Hathor gewesen. Zudem legte die Symbolik der Mondphasen (Tod und Auferstehung) die Auffassung der Hathor als Mondgöttin nahe. Das häufigste Bild der Augensage, das im Zusammenhang mit Hathor gebraucht wird, ist ihr Flug als „Falkenweibchen“ nach Punt (= Jenseits), von wo aus sie dann nach 14 Tagen, also nach einer halben Mondperiode, zurückkehrte.

Das ferne Land „Punt“ (Äthiopien/Somalia) war damals eine gängige Umschreibung für „Jenseits“, weshalb auch dieses Bild eine Jenseitsreise darstellt, wobei die Göttin hier durch ihre Gleichsetzung mit dem Mond- bzw. Sonnenauge (= Seele) wie Isis auf ihrer Suche nach Osiris selber ins Jenseits reist.

Im Neuen Reich erschien Hathor, die Beschützerin bei der Geburt und Spenderin des Kindersegens, in einer Vielzahl als die Hathoren, die „sieben Schicksalsgöttinnen“ des Himmels, wobei sich die Siebenzahl sehr wahrscheinlich auf die sieben Planeten bezog. Die Ägypter besaßen zwar keine so differenzierte Astrologie wie z.B. die Babylonier oder später die Griechen, aber auch sie beobachteten und deuteten den Lauf der Planeten am Himmel. Diese sieben Hathoren musizierten wie Dienerinnen und Priesterinnen vor Hathor, halfen bei Geburten und weissagten dem Kind sein Schicksal.

Als Weihegeschenk brachte man Hathor als der Göttin der Liebe und der Wiedergeburt weibliche Statuetten, Phallen und auch Sistren dar. Die Wiedergeburt stand in einem engen Zusammenhang mit dem Sistrum als dem Hilfsmittel bei der Jenseitsreise und dem Phallus als dem Organ, durch den sich die (männlichen) Toten im Jenseits zusammen mit der Göttin selber wiederzeugten.

Der in Ägypten eher sekundäre, obwohl weit verbreitete Charakter der Phallussymbolik in den Wiedergeburtsvorstellungen läßt sich daran erkennen, daß die Ägypter nirgendwo anzweifelten, daß auch die Frau eine Seele hat – obwohl sie ja ganz offensichtlich nicht ihre eigene Seele wiederzeugen konnte. In einigen anderen Religionen hat diese Seelenzeugungssymbolik jedoch im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Patriarchats zu der Ansicht geführt, daß Frauen keine Seelen hätten oder zumindest den Männern deutlich untergeordnet sind.

Der Aspekt der (irdischen) Liebe, der (diesseitigen) Zeugung und der (nicht-religiösen) Musik scheint erst in der griechischen Zeit in den Vordergrund getreten zu sein, da die Griechen die Hathor der Aphrodite und nur selten der Hera verglichen. Hathor scheint sich also in der Spätzeit von einer Muttergöttin zu einer Göttin der diesseitigen Liebe und Freude entwickelt zu haben.

Ehi, der Sohn der Hathor

Ehi

Ehi wurde als Sohn der Kuhgöttin in früher Zeit als Kälbchen verehrt, was vermutlich auch die Bedeutung seines namens Ehi oder Ihi ist. Er war ein jugendlicher Gott der Musik und seine Zeichen waren das Sistrum und die Menat-Halskette der Hathor.

Er trat fast nur als Musikant im Kult seiner Mutter auf, weshalb man davon ausgehen kann, der er letztlich auf die Schamanen zurückgeht, die sich mithilfe ihres Sistrums in Trance versetzten und dann in ihrer Vision in den Himmel zu Hathor reisten.

Gelegentlich wird Ehi der jungen, aufgehenden Sonne verglichen, deren morgendlicher Aufgang das zentrale Wiedergeburtssymbol gewesen ist. Ab dem Neuen Reich wurde er durch die Gleichsetzung der Hathor mit Isis auch als Sohn der Isis und somit auch als Horus, dem Sohn der Isis, angesehen.

Es findet sich hier wieder die generelle ägyptische Symbolik der jugendlichen Götter: der wiedergeborene Tote, die wiedergeborene Sonne, die Seele des Toten und der Schamane, der ins Jenseits reist. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich die Toten gerne mit Ehi identifizierten, um dadurch den Schutz seiner Mutter Hathor-Isis zu erhalten.

Das Sistrum, das Instrument der Hathor

Seschesch (Papyrusbündel)

Sescheschet-Sistrum

Naos-Sistrum

Sechem-Szepter

Uch-Szepter

Zeichen des 7. oberägyptischen Gaues

Ankh

Das Sistrum bestand ursprünglich aus dem Hathorsäulen-Griff und einem Bügel aus Metall, in dem metallene Querstangen, oft in der Gestalt von Schlangen (Symbol der Urkraft) angebracht waren, auf die man meist zusätzlich noch durchbohrte Metallplättchen auffädelte, damit der Klang der Rassel noch lauter wurde. Oben auf dem Bügel saß manchmal noch ein kleiner, metallener Horusfalke. Diese kupferne Rassel hatte eine beachtliche Lautstärke.

Ihr Name, der „Sescheschet“ lautet, ist eine Verkürzung von „Seschseschet“, wobei „-et“ die Femininendung und „Seschsesch“ die Verdoppelung des Verbes „sesch“ ist, was eine archaische Methode zur Substantivierung eines Verbes ist. Das Verb „sesch“ bedeutet „eine Tür, einen Weg, den Mund/Nase/Ohren öffnen“. Diese Bedeutung des Wortes findet sich auch in dem Namen „Mundöffnungsritual“, durch das bei der Bestattung symbolisch-magisch der Mund der Mumie bzw. der Statue für den Eintritt der Seele in sie geöffnet werden sollte.

„Sescheschet“ bedeutet also in etwa „das, was den Weg öffnet“ – ein sehr passender Name für das Instrument eines Schamanen, der der Seele, die nach dem Tod im Jenseits weilt, den Weg zurück zu ihrer Statue bzw. Mumie im Diesseits zu ermöglicht. Namen dieser Art tragen auch einige ägyptische Hunde- und Schakalgötter wie z.B. Wepwawet, was „Öffner der Wege (ins Jenseits)“ bedeutet.

Hier zeigt sich nebenbei die ägyptische Auffassung, daß die Toten nicht nur im Jenseits, sondern auch weiterhin in ihrer Statue, die gewissermaßen ein dauerhafterer Körper ist, wohnen und dort den Kontakt mit Ihren Nachkommen aufrechterhalten können. Das, was man heutzutage in einem Spukhaus erleben kann (und meistens aber fürchtet), eben daß die Seele weiterhin den Kontakt zu den Lebenden sucht und aufrechterhält, wurde im Alten Ägypten mit allem Nachdruck angestrebt.

Auch die Sitte, bei Hathorfesten mit Bündeln von trockenem Papyrus zu rascheln, wurde „Sescheschet“ genannt. Auch die „Schreiber“ wurden „sesch“, d.h. in etwa „der mit dem Papyruspinsel arbeitet“ genannt. Auch die weiße, oberägyptische Krone bestand aus geflochtenem Papyrus. Sie war nicht nur das Abzeichen des Osiris, sondern auch der Kopfschmuck der Muu-Tänzer, die beim Bestattungsritual die Ahnen darstellen, die den Toten im Jenseits auf der anderen Seite des Jenseitsflusses bzw. im Ritual am Westufer des Nils in Empfang nehmen. Dies zeigt die enge Verbindung zwischen der Göttin Hathor, dem Sistrum, dem Papyrus, dem Schamanen und den Gott Osiris. „Sesch“ bedeutete ursprünglich einfach „Papyrus“.

Vermutlich ist das Papyrusbündel die altertümlichste Variante der Hathor-Rassel gewesen und wurde nach der Erfindung der Metallbearbeitung durch das Sistrum ergänzt. Da der grüne Papyrus als Symbol des Lebens aufgefaßt wurde, hatte das Rascheln mit dem Papyrusbündel und später auch das Rasseln mit dem Sistrum auch die Bedeutung von „Leben geben“.

Wegen der Lebenssymbolik der Farbe grün und des Papyrus („sesch“) wurde auch der wiedergeborene Osiris oft mit grüner Hautfarbe dargestellt. Somit ergibt sich folgende Entwicklung des Wortes „sesch“: „Papyrus“ => „Leben“ (Osiris, Farbe grün) => „Leben geben“ (Papyrusbüschel) => „den (Jenseits-)Weg öffnen“ (Rassel bei Bestattungen).

Diese magische Macht drückt sich auch darin aus, daß der Schamane als sein Abzeichen in fast allen Religionen das Fell des Großraubtieres trug. In Ägypten trug der Sem-Priester das Pantherfell als Schamanen-Zeichen. Entsprechend dem noch etwas feuchteren Klima im frühen Ägypten war dies das Fell des Panthers, das dann in späterer Zeit meist durch das Fell des in dem damals trockener werdenden Klima lebenden Löwen ersetzt wurde.

Entsprechend dieser Symbolik des Sachem-Szepters und der Löwengöttin Sachmet waren die Sachmet-Priester die mächtigsten Magier. So war z.B. der Sachmet-Priester Iryi bei der Verschwörung gegen den Pharao Ramses III für die magische Unterstützung dieser Palastrevolte zuständig.

Im Vergleich zu dem normalen Sistrum ist das Naossistrum sehr viel leiser und auch zerbrechlicher und somit unpraktischer als das normale, kupferne Sescheschet-Sistrum. Das Naos-Sistrum war offenbar die Weiterentwicklung vom praktischen Ritualgegenstand zu einem magischen Symbol, mit dem man z.T. auch gar nicht mehr rasseln konnte.

Diese Entwicklung entspricht der Entwicklung der Pyramidentexte des Alten Reiches, die noch viele konkrete Beschreibungen von magischen und religiösen Handlungen enthalten, hin zu den Sargtexten des Mittleren Reiches, die vor allem die mythologische Erzählung der Abläufe bei diesen magischen und religiösen Handlungen beschrieben wird – an die Stelle der Schamanen und der Jenseitsreise traten die Götter und der Kult.