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Der Diversity-Faktencheck für Unternehmen "Ob Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft: Diversity ist in aller Munde, auch wenn es nicht allen schmeckt."- Ramzi Fatfouta Wie kann Vielfalt im Arbeitsalltag aktiv gelebt werden, ohne ein bloßes Lippenbekenntnis zu bleiben? Ist das Diversity oder kann das weg? liefert Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Im Buch werden die 13 häufigsten Mythen rund um Diversity entlarvt und ihnen werden wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, Fakten und praxisnahe Beispiele entgegengesetzt. Mit einem kritischen Blick auf aktuelle Herausforderungen und mögliche Fallstricke setzt sich Fatfouta aus psychologischer, unternehmerischer und gesellschaftlicher Sicht mit Diversity auseinander und zeigt ganzheitlich, wie Menschen und Organisationen Vielfalt fördern und langfristig davon profitieren können. Die Unternehmensführung, Führungskräfte und Projektverantwortliche erfahren, warum Diversity weit über den betriebswirtschaftlichen Nutzen hinausgeht und wie Vielfalt in der eigenen Organisation erfolgreich gelebt werden kann. 13 Kurzinterviews mit renommierten Diversity-Expert:innen wie Emre Çelik, Natalya Nepomnyashcha und Irène Kilubi, persönliche Anekdoten des Autors und zahlreiche Tools und Übungen bieten darüber hinaus wertvolle Einblicke und konkrete Handlungsempfehlungen. Entdecken Sie mit dem Diversity-Musterfragebogen, Diversity-Canvas, Diversity-Scorecard, Diversity-Personas und weiteren digitalen Zusatzinhalten, wie Vielfalt zu einem echten Gewinn für Sie selbst und Ihre Organisation werden kann.
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Seitenzahl: 276
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ramzi Fatfouta
Wie Menschen und Organisationen von gelebter Vielfalt profitieren
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-223-4
ISBN ePUB: 978-3-96740-464-7
Umschlaggestaltung: Tina Mayer-Lockhoff, Berlin
Lektorat: Anja Hilgarth, Herzogenaurach
Illustrationen: Vanessa Wälzer
Autorenfoto: Ivo Wilhelm
Layout und Satz: Das Herstellungsbüro, Hamburg
© 2025 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2025 erschienenen Buchtitel "Ist das Diversity oder kann das weg? - Wie Menschen und Organisationen von gelebter Vielfalt profitieren" von Ramzi Fatfouta.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Der Verlag behält sich das Text- und Data-Mining nach §44b UrhG vor, was hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.
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Vorwort: Was
Diversity
mit mir zu tun hat
Über dieses Buch oder: Vielfalt ist vielfältig
Hintergrund und Motivation für dieses Buch
Schwarz,
weiß
, be_hindert: Ein Disclaimer für Leser:innen
Zielsetzung des Buches
An wen sich dieses Buch richtet
Struktur des Buches
Teil 1:
Deep Dive Diversity
Was bedeutet »
Diversity
«?
Sichtbare und unsichtbare Merkmale von
Diversity
Diversity Faultlines
Dimensionen von
Diversity
Diversity Now
! Warum Vielfalt keine Option, sondern Realität ist
Diversity
als gesellschaftliche Realität
Diversity
als organisationale Realität
Diversity
als individuelle Realität
Diversity
-Killer: Warum niemand vor
(Unconscious) Bias
gefeit ist
Gefährliche Schubladen: Wie Bias unsere Sicht auf Vielfalt trüben
Warum unser Gehirn für Bias vorprogrammiert ist
Auswirkungen von Stereotypen, Vorurteilen und Bias
Own your privilege!
Warum es vielen schwerfällt, ihre Privilegien anzunehmen
Checken
Sie nicht nur Ihre Privilegien, sondern nutzen Sie sie auch
Warum alte,
weiße
Männer nicht immer das Problem sind
Diversity Backlash
: Warum Widerstand nachvollziehbar, aber zwecklos ist
Diversity
als
Business Case
: Vielfalt oder Fassade?
Der
Business Case
für
Diversity
Warum
Diversity
nicht immer gut für das
Business
ist
Warum der
Business Case
für
Diversity
problematisch ist
Teil 2:
Diversity Debunked
Mythos #1:
Diversity
ist nur ein weiterer Trend
Mythos #2:
Diversity
brauchen wir nicht – wir sind divers genug
Mythos #3:
Diversity
dreht sich nur um Personen mit Migrationsgeschichte, Frauen und
queere
Menschen
Mythos #4:
Diversity
bedeutet, in die Generation Z zu investieren
Mythos #5:
Diversity
bedeutet Exklusivität für marginalisierte Gruppen
Mythos #6:
Diversity
ist eine Quotenfrage
Mythos #7:
Diversity
heißt, Standards herabzusetzen
Mythos #8:
Diversity
beinhaltet die Abschaffung des Leistungsprinzips
Mythos #9:
Diversity
führt zu einem Anstieg von Klagen und rechtlichen Auseinandersetzungen
Mythos #10:
Diversity
ist keine Führungsaufgabe
Mythos #11:
Diversity
ist ein Problem der
Talent-Pipeline
Mythos #12:
Diversity
ist ein softes Spaßthema mit bunten Kampagnen
Mythos #13:
Diversity
, Inklusion & Co – ist doch irgendwie alles dasselbe
Teil 3:
Diversity, Equity, Inclusion, & Belonging
– was zuerst?
Diversity-Management
: das D.E.I.B.-Modell
Ziele des D.E.I.B.-Modells
Potenzielle Fallstricke und Erfolgsfaktoren des D.E.I.B.-Modells
Phase 1:
Design your strategy
Diversity Maturity Model
Diversity Canvas
Diversity Scorecard
Phase 2:
Embrace your emotions
Diversity Resistance
Diversity
-Typologien
Diversity-Personas
Phase 3:
Implement your changes
Diversity-Recruiting
Diversity-Training
Diversity Culture
Phase 4:
Benchmark and evaluate your efforts
Diversity-Controlling
Diversity-KPIs
Diversity-Survey
(K)ein Fazit: Ist das
Diversity
oder kann das weg?
Danke
Endnoten und Literaturverzeichnis
Der Autor
»Woher kommst du?« »Nein, woher kommst du wirklich?« Lange wusste ich nicht, was ich auf diese scheinbar unverfänglichen Fragen im Erstkontakt antworten soll. Selten bleibt meine Antwort unkommentiert. Wenn ich »Deutschland« sage, hebt sich meist eine Augenbraue (je nach Gegenüber auch beide). Sage ich »Polen«, ernte ich aufgrund meines Phänotyps Unglauben, obwohl meine Mutter nun einmal aus Krakau stammt. Als Beweis muss ich manchmal etwas auf Polnisch sagen, aber nicht etwa »kurwa!« – diesen vielseitig verwendbaren Ausdruck kennen schließlich viele schon. Und bei »Tunesien« kommt gelegentlich die Rückfrage, wann ich denn wieder vorhabe, »in die Heimat« zu reisen.
Es kommt mir vor, als würde mein Migrationsvordergrund meinen Migrationshintergrund verdecken. Manchmal habe ich genau deshalb keine Lust, diese Fragen zu beantworten und meine Lebensgeschichte zu offenbaren. Oder zu begründen, warum Deutschland meine Heimat ist. Eine Person, die ich zum ersten Mal treffe, muss schließlich nicht wissen, wo und wie sich meine Eltern kennengelernt haben, warum genau sie ihre Herkunftsländer verlassen haben oder warum ich trotzdem gerne Weihnachten feiere und Glühwein (mit Schuss) trinke. Aber es hilft nichts: Ich bin scheinbar eine Projektionsfläche für die vermeintliche Neugier der Mehrheitsgesellschaft.
Früher habe ich mich für meine eigene Vielfalt geschämt. Meine Mutter war Reinigungskraft (das Klischee schlechthin), mein Vater zwischenzeitlich für eine längere Zeit arbeitsuchend (früher sagte man noch ganz unverblümt »arbeitslos«), wir lebten von Hartz IV (heute Bürgergeld) und der sonntägliche Flohmarktbesuch gehörte zum Familienritual. Trotz dieses dürftigen sozialen Kapitals – Bourdieu wäre vermutlich stolz auf mich – habe ich es geschafft, ein bilinguales deutsch-französisches Gymnasium zu besuchen und mein Abitur als Klassenbester zu absolvieren. Dazwischen: Weiterbewilligungsanträge für meine Eltern ausfüllen, Briefe an die Hausverwaltung formulieren und Arztbriefe oder andere Dokimente (sic!), wie mein Vater heute noch zu sagen pflegt, in leichte Sprache übersetzen. Glücklicherweise konnten meine ältere Schwester und ich uns diese häuslichen Pflichten aufteilen. Amtsdeutsch? Kein Problem! Heute weiß ich, dass diese Zeit das beste Resilienz- und Kompetenztraining für mich war.
Früh lernte ich, dass sozialer Aufstieg auch ohne Vitamin »G« (Geld) möglich, aber keinesfalls einfach ist. Ich wurde zur Model Minority (Vorzeige-Minderheit), denn für ein – fremdernanntes – »Ausländerkind« galt ich als tadellos integriert. Schon mein Grundschulzeugnis lässt dies erahnen: »Ramzi erfreut durch stets einwandfreies Verhalten. In fast allen Lernbereichen lagen seine Leistungen über denen des Klassendurchschnitts.« Für die Neugierigen, die sich fragen, welcher Lernbereich eine Ausnahme darstellte: Es war der Sportunterricht, in dem ich als damals hochgewichtiges Kind nur befriedigende Leistungen erzielte. Die diagnostische Prognosegüte dieses Zeugnisses ist dennoch nicht zu vernachlässigen. Nach dem Bachelor in Psychologie eine fast-track Promotion in einem interdisziplinären Forschungskolleg, parallel dazu ein englischsprachiger Master in Neurowissenschaften, noch vor Abschluss der Doktorarbeit das erste Jobangebot.
Ich wechselte von der Wissenschaft in eine inhabergeführte deutsche Personal- und Managementberatung, wo ich hauptsächlich für die eignungsdiagnostische Auswahl und Entwicklung von Topmanagern (und ab und zu auch Topmanagerinnen) verantwortlich war. Eine komplette Kehrtwende. Tschüss Empirie, hallo Pareto-Prinzip! Hier schließlich wurde ich in eine Welt eingeführt, die mir zuvor noch fremd gewesen war. Zwischen TAG Heuer, TUMI-Taschen und teuren Parfums merkte ich schließlich: Mir fehlte trotz Tom Ford der berüchtigte Stallgeruch. »Bruder, was für ne Skireise in den Alpen?«, dachte ich. Ich hatte schließlich viele Sommer in Polen und Tunesien verbracht – zwischen Salzgurken und Couscous – und habe erst spät im Arbeitsleben gelernt, wie die Besteckreihenfolge bei mehrgängigen Menüs funktioniert.
Die meisten Topmanager hießen Thomas, Michael oder Stefan; ab und zu verirrte sich auch eine Sabine zu mir ins Assessment – nur ich passte irgendwie nicht ins Bild. Aus diesem Grund bewegte ich mich zunächst nicht so nonchalant in den sozialen Sphären meiner Kolleg:innen. Ob sie wohl gemerkt haben, dass ich zwar das Wissen, aber nicht den Habitus hatte? Glücklicherweise hatte ich sehr gute Mentor:innen, die mir mit einem Augenzwinkern die Geheimnisse des unbeschwerten Business Talks beigebracht haben und erklärten, dass es nie Probleme, sondern nur Opportunitäten, bestenfalls Chancen, gibt – quasi ein Schnellkurs im gesellschaftlichem Parkett-Tanzen, wofür ich bis heute dankbar bin.
Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung wechselte ich einige Jahre später auf die Konzernseite. Hier wehte ein etwas anderer Wind. Die Belegschaft war durchmischter, doch auch hier fehlte es an den Alis, Fatmas und Shaniquas unter den (gehobenen) Führungskräften. Vermutlich lag und liegt es am Fachkräftemangel, woran sonst. Er ist schließlich das Totschlagargument für alle Versäumnisse des Personalbereichs. Ich durchforstete die Flure auf der Suche nach Diversity und stellte schnell fest, dass die größte Vielfalt im Kantinenangebot zu finden war. »Asia-Wochen« suggerierten, dass man sich für verschiedene Kulturen interessierte. Immerhin gab es Bemühungen, sich mit Vielfalt ernsthaft auseinanderzusetzen. Diversity löste schließlich Neugier, aber auch Unbehagen aus: »Brauchen wir eine Frauenquote für alle Führungsebenen? Wie viel Vielfalt tut uns gut? Ist eine Diversity-Strategie überhaupt notwendig?«
Wie Sie merken, ist Diversity kein Buzzword für mich, sondern (m)ein Lebensthema. Schon lange hat es mich beschäftigt, dass die deutschsprachige Businessliteratur zu dem Thema selbst einem fundamentalen Bias unterliegt. Die operative Beratungspraxis mag inzwischen vielfältiger aufgestellt sein, aber der strategische Diskurs, der nun einmal durch seriöse Publikationen vorangetrieben wird, ist noch unausgewogen. Als ich selbst nach einem Businessratgeber suchte, fühlte ich mich durch keine:n der Autor:innen angemessen repräsentiert. Fast alle sind von mittelalten weißen Männern und Frauen verfasst. Wenn Sie es nicht glauben, wie einseitig vorherrschende Narrative zu Diversity und vor allem Diversity-Management sind, empfehle ich Ihnen, nach entsprechenden Büchern zu recherchieren. Was fällt Ihnen auf?
Meine Haltung ist klar: Differenziert ist Diversity-Arbeit nur, wenn die Perspektiven unterschiedlicher Menschen und deren Lebensrealitäten mit einfließen. Ich schreibe dieses Buch daher gleich aus drei verschiedenen Perspektiven: Als Psychologe und Neurowissenschaftler ordne ich wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse für Sie ein, als persönlich »Betroffener« von unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen lasse ich wohldosiert meine eigenen Erlebnisse einfließen und als Praktiker biete ich Ihnen Einblicke in meine eigene Diversity- bzw. Beratungsarbeit. Im Rahmen dieser habe ich in den vergangenen Jahren viele Momente erlebt, die mich selbst haben hinterfragen lassen, ob es meinen Gegenübern tatsächlich um Vielfalt oder eher um etwas anderes ging. Oft fragte ich mich selbstironisch, fast schon zynisch: »Ist das Diversity oder kann das weg?« So wurde übrigens auch der Titel für mein Buch geboren (mehr dazu in Teil 1).
Die Frage nach der Daseinsberechtigung von Vielfalt ist eine, die inzwischen viele Gemüter erhitzt. Ob Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft: Diversity ist in aller Munde, auch wenn es nicht allen schmeckt. Im Unternehmenskontext ist Diversity mittlerweile zu einer ernstzunehmenden Business-Anforderung geworden, der sich insbesondere Führungskräfte bzw. Personen in leitenden Positionen aktiv stellen müssen. Denn die Integration unterschiedlicher Perspektiven, Erfahrungen und Hintergründe kann Firmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten. Dieser Vorteil kommt allerdings selten zum Tragen, weil das Thema für viele Interessierte nur schwer fassbar ist. Es ist daher wenig überraschend, dass es mittlerweile zahlreiche Beiträge zu Diversity gibt – von den Grundlagen über Strategien bis hin zu Umsetzungsmaßnahmen.
Was jedoch fehlt – und was ich Ihnen hiermit anbieten möchte – ist ein kritisches Hinterfragen der möglichen Herausforderungen und Fallstricke, die mit der Umsetzung von Diversity-Initiativen einhergehen: Was bleibt übrig nach dem Business Case und vor allem: Was können Unternehmen besser machen? Welchen individuellen Beitrag können Sie als Leserschaft leisten? Das vorliegende Buch beantwortet diese Fragen und wird Ihr Verständnis von Diversity grundlegend verändern. Doch keine Sorge, beim Hinterfragen soll es nicht bleiben: Praxisnahe Beispiele, Impulse, Anekdoten und inspirierende Beiträge von zahlreichen Expert:innen ermöglichen es Ihnen, Ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und Schritt für Schritt positive Veränderungen in Ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld herbeizuführen. Also schnallen Sie sich an, denn dieses Buch wird Ihnen nicht nur die Augen öffnen, sondern auch helfen, den Diversity-Dschungel zu überleben, ohne dabei Ihren Humor zu verlieren.
Das reicht Ihnen nicht? Dann schauen Sie in mein Buch »Das Diversity-Toolbook. 33 praxiserprobte Werkzeuge für gelebte Vielfalt am Arbeitsplatz« – hier finden Sie viele weitere hilfreiche Tools, praxisnahe Instrumente und sofort umsetzbare Methoden, die Ihnen zeigen, wie Sie Diversity in Ihrer Organisation systematisch und nachhaltig verankern, auch wenn die Ressourcen begrenzt sind.
Dr. habil. Ramzi Fatfouta
Berlin, im Januar 2025
Ein wenig steif sitzen die Mitglieder des Lenkungsausschusses vor mir: Homogene Gruppe, deutlicher Männerüberschuss, alle dem Anlass entsprechend im Business-Outfit gekleidet. Schwarz- und Grautöne dominieren in der Farbwahl, nur selten wagt sich ein zaghaftes Blau dazwischen. Weiß sind hier nicht nur die Blusen und Hemden, sondern auch die Hautfarben – mit Ausnahme von meiner. Alle Führungskräfte sind konzentriert und ernst, die Augen gerichtet auf die Flipcharts, die sie gerade bearbeiten. Auf den Tischen liegen Moderationskarten, Stifte und verschiedene Strategiedokumente ausgebreitet. Immerhin, die bunten Klebezettel bringen etwas Farbe in den halogenerleuchteten Workshopraum.
Noch fünf Minuten, dann muss ich die aktuelle Gruppenübung zum Abschluss bringen. Die letzte Stunde hat das Topmanagement-Team damit verbracht, in Kleingruppen anhand von Leitfragen Formulierungen für das neue Diversity-Leitbild des Unternehmens zu entwickeln. Heute ist der dritte Termin einer mehrteiligen Workshop-Serie, die ich als Berater moderiere. Die Zielstellung ist genauso anspruchsvoll wie die Klientel selbst: Im nächsten Monat soll das Diversity-Leitbild zunächst intern kommuniziert werden. Im Anschluss soll eine konzernweite Kampagne aufgesetzt werden, die das Leitbild auch »zum Leben« bringt.
Der Timer klingelt und läutet damit das Ende der Kleingruppenarbeit ein, der Moment der Wahrheit ist gekommen. Ich frage in die Runde, wer von den Teams zuerst vortragen möchte. Nach einem anfänglichen Zögern meldet sich schließlich eine Gruppe. Sie nehmen ihre beschriebenen Moderationskarten mit nach vorne, pinnen sie an die Metaplanwand und tauschen kurz Blicke aus, wer vor dem Publikum präsentieren soll. »Wir schätzen verschiedene Sichtweisen und schöpfen aus der Vielfalt eines jeden!«, trägt ein Regionalleiter schließlich stolz vor. Alle drei Buchstaben des Wortes »Wir« sind dabei großgeschrieben (WIR), das hatten sie zuvor für sich in der Gruppe vereinbart. Dann ergänzt er: »Unterschiedliche Perspektiven sind wichtig, damit gute Ideen entstehen und wir als Unternehmen erfolgreich agieren können.« Der Vorstand nickt, auch die anderen Führungskräfte zeigen nonverbal ihre Zustimmung.
Ich signalisiere durch ein Lächeln ebenfalls Unterstützung und frage, was der Gruppe bei der Ausformulierung besonders wichtig war. Eine Kollegin aus der Gruppe ergreift das Wort und betont, dass diverse Teams produktiver seien – das sei doch auch bewiesen, nicht wahr? Das Unternehmen könne von unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, Kompetenzen und Ideen sehr profitieren. Dann wird sie von einem Kollegen unterbrochen und ich frage mich, ob das bereits eine Mikroaggression darstellt. »Gerade jetzt in der Post-Covid-Zeit, in der Energiekrise, Fachkräftemangel und Inflation sich immer mehr zuspitzen!«, sagt er. Die Gruppe brauche jetzt von mir eine Einordnung, eine Zahl, die belegt, wie Diversität und Geschäftserfolg zusammenhängen. Schließlich sei ich ja der Experte. Ist das doppeldeutig zu verstehen, weil ich Ramzi Fatfouta heiße? Egal.
Ich überlege kurz, krame eine McKinsey-Studie1 aus meinem Gedächtnis hervor und ergänze, dass Vielfalt weit mehr als wirtschaftlichen Erfolg beinhaltet, unter bestimmten Umständen sogar kontraproduktiv sein kann. Es hängt beispielsweise auch davon ab, welche Dimension von Diversität beleuchtet wird, wie groß das Team ist, welche Art von Aufgaben bearbeitet wird und wie die Teamführung ausgeprägt ist.2 Und überhaupt: Braucht es für unterschiedliche Perspektiven Diversität? Unterschiedliche Meinungen gibt es ja bereits hier in diesem Topmanagement-Team. Der Regionalleiter starrt mich an, einige andere Führungskräfte runzeln die Stirn.
Reaktionen wie diese kenne ich nur zu gut aus meinem Beratungsalltag. Ich arbeite regelmäßig mit Unternehmen zusammen, für die Diversity lediglich einen utilitaristischen Wert einnimmt. Eine Erwartungshaltung, die ausdrückt, dass Vielfalt nur dann nützt, wenn sie sich auch rentiert. Eine Ressource, die in erster Linie ökonomisch verwertet wird. Ein Image, das man sich durch oberflächliche Maßnahmen und PR-Aktionen verschaffen möchte, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Die schlechte Nachricht ist, dass diese Herangehensweise an Diversity nicht nur ihren eigentlichen Zweck verfehlt, sondern auch langfristig Nachteile für Unternehmen bieten kann.
Die gute Nachricht ist aber: Das Diversity-Leitbild aus dem obigen Workshop wurde nach weiteren Iterationen verabschiedet und wie geplant publiziert. Es soll Führungskräften Orientierung für ihr Handeln geben und Mitarbeiter:innen signalisieren, dass man Vielfalt wertschätzt. Ein Maßnahmenplan, der sicherstellt, dass das Leitbild gelebt und verankert wird? Unklar. Nur meine Fotodokumentation erinnert daran, dass diese Frage zumindest diskutiert wurde. Inwieweit die Frage im Rahmen der anschließenden Kampagnenerstellung beantwortet wurde, kann ich nicht beurteilen, da mein Auftrag lediglich in der Unterstützung der Diversity-Leitbildgestaltung bestand. Eine klassische Sollbruch-Stelle im Beratungsalltag, denn nun übernimmt die interne Kommunikationsabteilung – hoffentlich bleibt das Statement keine symbolische Geste. Und wer weiß, vielleicht wird noch rechtzeitig bemerkt, dass dies erst der Anfang einer längeren Reise ist.
Das skizzierte Unternehmensbeispiel ist leider kein Einzelfall. Es ist frappierend, wie sehr sich die Diversity-Leitbilddefinitionen vieler Unternehmen gleichen, meist unabhängig davon, um welche Branche es geht. Das belegt auch eine Studie, die mithilfe von maschinellem Lernen und Text-Mining die Diversity-Statements von 511 der umsatzstärksten US-amerikanischen Unternehmen analysierte:3 Der Großteil der untersuchten Statements beinhaltete lediglich positive und generische Begriffe (z.B. Gemeinschaft, Teamwork etc.). Diese Austauschbarkeit trägt dazu bei, dass Diversity-Leitbilder oft zu hilflosen Feigenblättern verkümmern und ihre Funktion als organisationales Selbstverständnis einbüßen. Wenn aus der Vielfalt eines jeden geschöpft wird – wie in dem obigen Workshop-Beispiel proklamiert –, was bleibt dann für die einzelnen Personen übrig, um die es letztendlich geht?
Das Thema »Diversity« ist in der deutschen Unternehmenslandschaft omnipräsent: Knapp 60 % der Deutschen ist Diversity im Arbeitskontext wichtig.4 Mittlerweile existieren viele Firmen, die den Begriff sogar in ihrem Unternehmensprofil verwenden. »Wir wollen Vielfalt zur Normalität machen«, heißt es bei der Allianz. »Wir leben Vielfalt«, lautet ein Konzerngrundsatz bei Volkswagen. »Wir feiern Vielfalt in jeder Form«, betont die BASF. Bunte Fahnen auf der Unternehmenswebseite (Regenbogen inklusive) sollen dieses Statement visuell bekräftigen. Oder nehmen Sie Stellenausschreibungen, bei denen es oft heißt: »Wir schätzen Vielfalt und begrüßen daher alle Bewerbungen – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer und sozialer Herkunft, Religion / Weltanschauung, Be_hinderung, Alter sowie sexueller Orientierung und Identität.«
Ein Blick in die Wirtschaftsmedien genügt jedoch, um festzustellen, dass die Umsetzung von Vielfalt stellenweise noch sehr zu wünschen übriglässt. »So divers sind Deutschlands größte Börsenfirmen wirklich«, titelte jüngst das Manager Magazin5 und zeigt auf, dass der Frauenanteil in den Vorständen der Top-100 börsennotierten Unternehmen bei 18 % liegt. Ironischerweise konstatierte die WirtschaftsWoche schon vor mehreren Jahren: »Vielfalt ist nicht gleich Frauenförderung«6. Waren die Bemühungen um die Gleichstellung etwa umsonst? Eine nahezu zynische Antwort auf diese Frage liefert das Handelsblatt und stellt fest: »Wer mit Vielfalt nur seinen Ruf verbessern will, sollte gar nicht erst anfangen.«7 Zu Recht, wie wir später noch sehen werden.
Schlagzeilen wie diese sind nicht nur ernüchternd für viele Unternehmen, sondern zeigen auch auf, warum Ad-hoc-Diversity-Statements regelmäßig in Workshops wie dem zuvor beschriebenen konstruiert und die damit verbundenen Herausforderungen nervös weggelächelt werden. Viele wissen nicht so recht, welcher Dimension von Diversity sie sich als Erstes widmen sollen. Soll es um Frauen, um Menschen mit Migrationsgeschichte, um ältere Menschen oder doch eher um Menschen mit Be_hinderung gehen? Aber was machen wir dann mit der jungen, nicht-binären, neurodivergenten Person jüdischen Glaubens, die zuletzt von ihrem Beschwerderecht Gebrauch gemacht hat, weil sie sich im Rahmen einer internen Bewerbung diskriminiert fühlte? Alles gleichzeitig zu thematisieren wäre ja schließlich schwierig, also gar nicht erst anfangen?
Die Realität ist: Auch wenn Diversity unlängst zur Chef:innensache deklariert wurde, hat das Thema hierzulande einen schweren Stand. Während einige Unternehmen sich stark bemühen, Chancengleichheit durch überarbeitete Einstellungspraktiken zu fördern, stehen viele Organisationen vor großen Herausforderungen und Widerständen. Die USA können bereits ein Lied davon singen. Eine trans* Person als Influencerin für eine Biermarke (Bud Light), eine Schwarze Meerjungfrau als Protagonistin in einem Kinderfilm (Walt Disney) oder eine Frau mit stoppeligen Achseln als Model (Dove)? Nein, das ist scheinbar zu viel des Guten. Oder um es mit Elon Musks Worten auf X (vormals Twitter) zu sagen (2023): »DEI must DIE« (Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion müssen sterben, wobei das Akronym DEI für Diversity, Equity, Inclusion steht; mehr dazu gleich im Kapitel »Dimensionen von Diversity«).8
Glücklicherweise versprechen zahlreiche Ratgeber hier Abhilfe, um derartige Hiobsbotschaften abzuwenden. Von Diversity-Marketing über Diversity-Kommunikation bis hin zu einem übergeordnet-strategischen Diversity-Management werden Erfolgsrezepte vermittelt, die lediglich darauf warten, von Unternehmen umgesetzt zu werden. Wie kommt es dann, dass lediglich 2% der Unternehmen über ein vollständig ausgereiftes Diversity-Management verfügen, das fest in ihrer Unternehmensstruktur verankert ist?9 Trotz der Aktualität und Relevanz des Themas fehlt es derzeit an einem unverblümten Blick auf die tatsächliche Handhabung von Vielfalt in Organisationen. Was funktioniert, was hingegen nicht? Wo ist die Grenze zwischen gelebter Vielfalt und woken Befindlichkeiten? Kurzum: Es besteht eine konzeptionelle Lücke in der Darstellung realer Herausforderungen und erfolgreicher Strategien zur Integration von gelebter Vielfalt im Unternehmen.
Genau auf diese Lücke möchte das vorliegende Buch aufmerksam machen, bevor es sie schließt. Es bietet einen schonungslosen, praxisnahen und differenzierten Blick auf die Herausforderungen im Umgang mit Vielfalt in Organisationen, indem es über die theoretischen Grundlagen hinausgeht und sich mit Missverständnissen, Fehlannahmen und Irrtümern rund um Diversity auseinandersetzt. Es bietet zudem zahlreiche Reflexionsimpulse und legt gewissermaßen den Finger in die Wunde, indem es aufzeigt, was Unternehmen von gelebter Vielfalt abhält, was mögliche Fallstricke sind und was es für eine nachhaltige Förderung von Vielfalt bedarf. Dieses Buch bietet sowohl eine Grundlage für die Entwicklung einer neuen Haltung zu Diversity als auch konkrete Ansätze für eine verbesserte Implementierung von Diversity-Maßnahmen in der Praxis.
Spätestens jetzt dürften Sie bemerkt haben, dass einige Schreibweisen in diesem Buch nicht den gängigen Lesegewohnheiten entsprechen. Das ist kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung, denn auch Sprache bildet Dominanz- und Machtverhältnisse ab und reproduziert sie damit. Um diese Verhältnisse sichtbar zu machen und sie gleichzeitig zu hinterfragen, habe ich überall dort, wo es möglich war, inklusive Schreibweisen gewählt. Einige der am häufigsten verwendeten Schreibweisen erkläre ich hier kurz; weitere werden im Text knapp beschrieben oder ergeben sich aus dem Kontext. An dieser Stelle sei für alle Interessierten auf mein eBooklet »Das Diversity-ABC« verwiesen; darin erkläre ich 80 Begriffe rund um Diversity noch einmal genauer.
■
Gendern.
Das Augenfälligste zuerst: Sie werden im Text häufig den Doppelpunkt (:) vorfinden, wie in »Mitarbeiter:in« oder »Kolleg:in«. Dieser Doppelpunkt stellt eine geschlechtersensible Schreibweise dar, die unterschiedliche Geschlechter – darunter männlich, weiblich oder nicht-binär – miteinbeziehen soll. In einigen Ausnahmefällen wird hiervon abgewichen, sofern explizit ein bestimmtes Geschlecht gemeint ist oder aus stilistischen Gründen eine neutrale Form (z. B. »Mitarbeitende«) den Lesefluss optimiert. Die gewählte Lösung (Gendern mit Doppelpunkt) ist nicht die einzige und schon gar nicht die einzig richtige, aber sie geht zumindest über das vermeintliche Mitgemeintsein des generischen Maskulinums hinaus.
■
Pronomen.
In diesem Buch wurden die (Personal-)Pronomen aller Expert:innen, die ich interviewt habe, ergänzt (z. B. er / ihm, sie / ihr oder das Neopronomen »they / them« als nicht-binäre Form). Diese Angabe dient dazu, die korrekte Ansprache der jeweiligen Personen zu gewährleisten. Pronomen sind wichtige Teile der persönlichen Identität und müssen nicht zwingend mit dem äußeren Erscheinungsbild, der sexuellen Orientierung oder dem biologischen Geschlecht übereinstimmen.
■
Be_hinderung.
Der Unterstrich in »Be_hinderung« oder »be_hindert« soll auf die unterschiedlichen Barrieren aufmerksam machen, die Menschen mit Be_hinderung in unserer Gesellschaft häufig erfahren. Er trennt das Wort in zwei Teile, um aufzuzeigen, dass Menschen per se nicht behindert
sind
, sondern vielmehr behindert
werden
.
■
Schwarz und
weiß
.
Schwarz und
weiß
sind in diesem Buch nicht als Farben zu verstehen, sondern als soziale bzw. politische Konstrukte, die bestimmte gesellschaftliche Positionen mit unterschiedlicher Privilegierung markieren. Das Wort
weiß
wird hier deshalb kursiv geschrieben, um auf die oft unsichtbare und auf diese Weise als unhinterfragte »Norm« geltende Position hinzuweisen, die
Weiße
in der (westlichen) Mehrheitsgesellschaft innehaben. Das Wort »Schwarz« hingegen wird großgeschrieben, um die gemeinsame Identität Schwarzer Menschen hervorzuheben und sie als Gruppe mit einer geteilten Geschichte und (Rassismus-)Erfahrung anzuerkennen.
■
Als … gelesene Menschen.
Dieser Ausdruck beschreibt, wie eine Person von anderen Personen aufgrund äußerer und damit meist sichtbarer Merkmale wahrgenommen wird (z.B. der Phänotyp). »Asiatisch gelesene Menschen« werden beispielsweise aufgrund ihres Aussehens als eine homogene Gruppe – »die Asiat:innen« – wahrgenommen, unabhängig von ihrer tatsächlichen Herkunft oder Identität. Der Begriff »gelesen« verdeutlicht zudem, dass diese Zuschreibung durch Beobachter:innen erfolgt und nicht unbedingt mit der Selbstwahrnehmung der markierten Personen übereinstimmt.
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Nutzung des Asterisks.
Das Asterisk (*) bei »trans« (z.B. trans* Person) dient als Platzhalter, um die Vielfalt der Geschlechter bzw. Geschlechtsidentitäten jenseits des binären Systems zu kennzeichnen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass keine Person ausgeschlossen wird, die sich nicht eindeutig in die Kategorien »Mann« oder »Frau« einordnen kann oder möchte. Da diese beiden Begriffe im Rahmen des traditionellen Geschlechtersystems belegt sind, wurde hier auf den Asterisk verzichtet.
■
Nutzung von Anführungsstrichen.
Mit der Verwendung von Anführungsstrichen soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass bestimmte Begriffe (z.B. »Norm«, »normal« oder »anders«) keine objektive und unumstößliche Tatsachenbeschreibung darstellen, sondern lediglich gesellschaftlich konstruierte und oft unbewusst übernommene Konzepte (Was ist schon »normal«? Oder warum sollte eine Person, die sich von der
weißen
Mehrheitsgesellschaft unterscheidet, »anders« sein?).
Das vorliegende Buch bietet einen Diversity-Faktencheck: Es zeigt auf, warum wir einen neuen Blick auf Diversity brauchen und vor allem, wie gelebte Vielfalt im Unternehmen gelingen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, werden etablierte Herangehensweisen, Programme und Narrative, die häufig im Namen der Vielfalt implementiert werden, kritisch hinterfragt. Getreu dem Motto »Vielfältig wird’s, wenn’s weh tut«10 soll dieses Buch als provokative Herausforderung verstanden werden, den Nutzen und die Wirksamkeit bestehender Diversity-Initiativen neu zu denken – mit dem Ziel, Optimierungspotenziale und konkrete Tipps für die Praxis aufzuzeigen.
Im Besonderen gibt dieses Buch Antworten auf folgende drei Fragen:
Was ist
Diversity
(und was nicht)?
Welche Chancen, aber auch Risiken bietet
Diversity
für Unternehmen?
Wie gelingt es,
Diversity
nachhaltig im Unternehmen zu implementieren?
Um diese Fragen zu beantworten, stütze ich mich auf meine eigene Erfahrung im Kontext von Diversity und gebe Menschen hier eine Stimme, die sich tagtäglich für eine vielfältige Arbeitswelt einsetzen: Diversity-Botschafter:innen selbst. Statt ins Schaufenster gestellte Diversity-Maßnahmen von Unternehmensvertreter:innen zu porträtieren, erhalten Sie hier von ausgewiesenen Expert:innen authentische Einblicke und konstruktive Hilfestellungen aus ihrer eigenen beruflichen Praxis.
Neben den dargestellten Zielen sollen auch die folgenden drei Nicht-Ziele erläutert werden:
Dieses Buch möchte niemanden anprangern, schon gar nicht den
weißen
, heterosexuellen, mittelalten cis Mann (also den Mann, der sich mit seinem Geburtsgeschlecht identifiziert), der häufig im Kontext von
Diversity
-Diskussionen als Missetäter herhalten muss. Vielmehr zielt es darauf ab, eine konstruktive Diskussion zu ermöglichen, ohne sich dabei selbst stereotyper Schuldzuweisungen zu bedienen.
Dieses Buch beabsichtigt zudem nicht, bestehende
Diversity
-Initiativen pauschal zu verurteilen oder abzuwerten. Was in einem Unternehmen bereits als Zugewinn betrachtet wird (z. B. eine Frau im Vorstand), verdient unbedingte Anerkennung. Gleichzeitig sollen Reflexionen angeregt werden, um eine differenziertere Betrachtung zu ermöglichen (z. B. inwiefern ist der Frauenförderung damit konkret geholfen?).
Zu guter Letzt geht es nicht darum, den heiligen Gral zu finden oder Heilsversprechen zu machen. Eine
Diversity
-Maßnahme kann je nach Kontext effektiv sein oder eben nicht; ein
Passepartout
gibt es nicht. Aus diesem Grund soll eine systematische Auseinandersetzung mit Vielfalt Sie als Leser:in dazu befähigen, den Nutzen von potenziellen Maßnahmen selbst zu bewerten.
Dieses Buch richtet sich an Führungskräfte, Personal- und Organisationsentwickler:innen sowie Diversity-Manager:innen und andere (Mit-)Verantwortliche für Vielfalt in Unternehmen, die sich mit den dargestellten Themen auseinandersetzen wollen (oder müssen). Dieses Buch richtet sich gleichermaßen an Coach:innen, Berater:innen und Trainer:innen, die die Inhalte für ihre eigene Arbeit mit ihren Klient:innen nutzen und Diversity in Organisationen vorantreiben wollen. Grundsätzlich ist die Lektüre dieses Buches für alle Menschen hilfreich, die sich mit Vielfalt, Gleichberechtigung, Inklusion und Zugehörigkeit beschäftigen. In diesem Sinne richtet sich dieses Buch dem eigenen Anspruch folgend an eine diverse Zielgruppe.
Das vorliegende Buch besteht aus drei zusammenhängenden Teilen:
Teil 1, »Deep Dive Diversity«, nähert sich dem Konzept »Diversity« aus verschiedenen Blickwinkeln. Von der Definition und Konzeptualisierung von Vielfalt bis hin zur Frage, inwiefern Vielfalt als Business Case taugt, und zu der Auseinandersetzung mit Unconscious Bias (unbewussten Vorurteilen), Stereotypen und Privilegien bietet dieser Teil eine umfassende Analyse der Herausforderungen und Chancen im Umgang mit Vielfalt in Organisationen.
Mit dieser Grundlage ausgestattet, widmet sich Teil 2, »Diversity Debunked«, der Entlarvung gängiger Mythen rund um Vielfalt. Von der Betrachtung, ob Diversity nur ein vorübergehender Trend ist, über die Frage, ob es nur um Frauen, Personen mit Migrationsgeschichte und queere Menschen geht, bis hin zur Diskussion darüber, inwiefern Diversity die Abschaffung des Leistungsprinzips beinhaltet, werden 13 aktuelle und weitverbreitete Irrtümer aufgedeckt, neu bewertet und richtiggestellt. Zu diesem Zweck kommen 13 verschiedene Diversity-Expert:innen aus unterschiedlichen Branchen zu Wort, die ihre persönliche Sichtweise aus der Praxis auf den jeweiligen Mythos mit uns teilen.
Teil 3, »Diversity, Equity, Inclusion, Belonging – was zuerst?«, bietet schließlich einen praxisnahen Überblick über die Gründe für das häufige Scheitern von Diversity-Offensiven, Tipps zum Umgang mit Unconscious Bias und Co, Quick Wins sowie mittel- und langfristige Handlungs- und Lösungsstrategien zur Weiterentwicklung des Diversity-Managements in Organisationen. Anhand eines eigens entwickelten Modells werden zudem systematisch die wesentlichen Elemente erfolgreicher Diversity-Initiativen und Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung von Diversity in unterschiedlichen Arbeitsprozessen beleuchtet.
Mit diesem geballten Wissen ausgestattet, sind Sie bestens gerüstet für die Potenziale und Fallstricke, die die Förderung von Vielfalt in Organisationen mit sich bringt.
»Sich verwirrt zu fühlen, ist der Anfang des Wissens.«
Khalil Gibran
Zunächst möchte ich Ihnen eine Frage beantworten, die Sie womöglich seit Beginn der Lektüre beschäftigt oder zumindest Ihr Aufsehen erregt hat: Was hat es mit dem gewählten Buchtitel auf sich? Die Grundidee dahinter ist denkbar einfach: dass für viele Außenstehende nicht immer eindeutig zu erkennen ist, was Diversity ist (oder eben nicht). Der aufwendig verzierte Wagen auf dem Christopher Street Day, der Leitfaden für geschlechtersensible Sprache oder aber ein halbtägiger Workshop zum Thema »Privilegien« – ist das bereits Vielfalt? In Analogie zu der meist neckischen Redewendung »Ist das Kunst oder kann das weg?« hinterfragt der Titel somit die aktuelle Existenzberechtigung und zugleich Würdigung von Diversity und damit verbundener Maßnahmen.
Darüber hinaus handelt es sich bei dem Titel um eine rhetorische Frage, die keiner definitiven Antwort Ihrerseits bedarf, auch wenn Sie dieses Buch ausgelesen haben. Vielmehr kann diese Frage bis zum Schluss als humoristische Aussage für sich stehen und Sie immer wieder zur Reflexion anregen. Es handelt sich dabei um eine Aussage, die nicht notwendigerweise meine eigene Meinung oder Haltung zu Diversity widerspiegelt, sondern lediglich das ausdrückt, was viele (nicht alle!) im Zusammenhang mit dem Thema Vielfalt zwar denken, aber nicht laut aussprechen: Brauchen wir Diversity, so wie Kunst, überhaupt? Ist nicht »alles« irgendwie Diversity – so wie alles Kunst ist, wie Joseph Beuys einst bereits feststellte? Sind wir in der heutigen Gesellschaft nicht schon divers genug?
Der Titel dient schließlich auch als metaphorischer Prüfstein für unterschiedliche Ansichten und Perspektiven, die zum Thema Vielfalt existieren. Denn was für jemanden Diversity ist (oder nicht), ob ein bestimmtes Diversitätsmerkmal wie beispielsweise Alter, Geschlecht oder geschlechtliche Identität einem wichtig oder unwichtig erscheint, hat auch sehr viel damit zu tun, wer man selbst ist. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Eine erfolgreiche Frau, die es aufgrund ihres Geschlechts schwierig hatte, da zu sein, wo sie heute steht, wird Themen rund um Chancengleichheit vermutlich anders bewerten als ein Mann. Hatte die Frau in Ihren Gedanken gerade eine körperliche oder geistige Be_hinderung? War sie Schwarz? Vermutlich nicht, und wie wir später sehen werden, hat dies einen einfachen Grund (Spoiler: Es sind die guten alten Unconscious Bias). Diversity ist also nicht nur etwas, das man in einem Vakuum in Organisationen schafft, sondern auch etwas, das individuell erlebt und bewertet wird.
Ganz im Sinne des oben zitierten libanesisch-US-amerikanischen Philosophen, Malers und Dichters Gibran fordert der Titel auf, konventionelle Denkweisen rund um Diversity zu durchbrechen und bisherige Herangehensweisen herauszufordern. Erst die Anerkennung und das Spielen mit der Widersprüchlichkeit von Diversity ermöglicht es uns – wie Sie im weiteren Verlauf des Buches feststellen werden –, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Beginnen wir daher mit dem scheinbar widersprüchlichsten Aspekt von Diversity: dem Begriff »Diversity« selbst.
Meine Feststellung nach unzähligen Diskussionen zum Thema Vielfalt ist: Was Vielfalt wirklich ist, wird selten konkret benannt. Was Vielfalt leisten muss, wird dagegen oftmals genauer beschrieben. Aus der Einleitung geht bereits hervor, dass die Begriffsbestimmung von Diversity alles andere als trivial ist. Entsprechend vielfältig – im wahrsten Sinne des Wortes – sind auch die Versuche, Diversity zu definieren und zu systematisieren. Wenn Sie zehn Personen in Ihrem Unternehmen nach ihrem jeweiligen Verständnis von Vielfalt fragen, werden Sie vermutlich zehn verschiedene Antworten erhalten. Sehr wahrscheinlich werden sich diese Antworten auch unterscheiden, je nachdem, ob Sie Mitarbeiter:innen, Führungskräfte oder Kund:innen fragen. Das mag daran liegen, dass derzeit keine einheitliche, allumfassende Definition von Diversity existiert.
Nähern wir uns daher gemeinsam Stück für Stück diesem Begriff an. Laut Duden ist Diversity die »(als positiv wahrgenommene) Vielfältigkeit, Individualität innerhalb einer Gruppe oder der Gesellschaft«11