Ivanhoe: Historischer Roman - Walter Scott - E-Book

Ivanhoe: Historischer Roman E-Book

Walter Scott

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Beschreibung

Walter Scotts "Ivanhoe" ist ein wegweisender historischer Roman, der im England des 12. Jahrhunderts spielt und die Konflikte zwischen Normannen und Sachsen thematisiert. Der Protagonist, Wilfred von Ivanhoe, verkörpert den edlen Ritter, der zwischen Loyalität und persönlichem Ehrgeiz schwankt. Scotts literarischer Stil zeichnet sich durch eine ausdrucksvolle Sprache und detaillierte Beschreibungen aus, die es dem Leser ermöglichen, tief in die soziale und politische Thematik der Zeit einzutauchen. Der Roman stellt auch zentrale Themen wie Ehre, Identität und die Suche nach sozialer Gerechtigkeit in den Vordergrund, und wird oft als wichtiges Werk der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts betrachtet. Walter Scott, ein schottischer Schriftsteller des frühen 19. Jahrhunderts, gilt als einer der Begründer des historischen Romans. Seine eigenen Erfahrungen und sein Interesse an schottischer Geschichte und Folklore fließen klar in "Ivanhoe" ein. Scott war nicht nur ein Schriftsteller, sondern auch ein historischer Enthusiast, der in das Erbe seiner Vorfahren vertieft war. Diese Verbindung zu seiner Heimat und die Auseinandersetzung mit den politischen Fragen seiner Zeit motivierten ihn, eine Erzählung zu erschaffen, die über Generationen hinweg relevant bleibt. "Ivanhoe" ist nicht nur ein fesselnder Roman, sondern auch ein Spiegel der menschlichen Erfahrungen und Ideale im Angesicht von Konflikten und gesellschaftlichen Umwälzungen. Leser, die sich für Geschichte, Abenteuer und die Komplexität menschlichen Verhaltens interessieren, werden in diesem meisterhaft erzählten Werk eine fesselnde Lektüre finden. Scotts Fähigkeit, Geschichte in packende Literatur zu verwandeln, macht "Ivanhoe" zu einem unverzichtbaren Werk in der Weltliteratur. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Walter Scott

Ivanhoe: Historischer Roman

Bereicherte Ausgabe. Eine epische Saga von Rittern und Konflikten im mittelalterlichen England
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547684626

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Autorenbiografie
Ivanhoe: Historischer Roman
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Zwischen Schwertklang und gesellschaftlichem Schweigen verhandelt Ivanhoe die Frage, wie eine zerrissene Nation Gerechtigkeit findet. Der Roman führt in eine Welt, in der die Ideale der Ritterlichkeit auf die Härte politischer Macht treffen und persönliche Loyalitäten an Grenzen stoßen. In diesem Spannungsfeld entfaltet sich ein Drama um Identität, Recht und Versöhnung. Scott zeigt, wie Erinnerungen an Eroberung und Unterwerfung fortwirken, lange nachdem die Schlachtfelder still geworden sind. Die zentrale Idee ist schlicht wie zwingend: Ohne ein Minimum an Anerkennung des Anderen bleibt keine Ordnung stabil – weder im Privaten noch im Gemeinwesen.

Ivanhoe stammt von Walter Scott (1771–1832), dem schottischen Schriftsteller, der den historischen Roman als Gattung maßgeblich prägte. Das Werk erschien 1819 zunächst anonym und in drei Bänden; es zählt zum Zyklus der sogenannten Waverley Novels. Mit Ivanhoe wandte sich Scott erstmals entschlossen dem mittelalterlichen England zu und erweiterte damit die geografische und zeitliche Reichweite seiner Romane. Die Verbindung aus kunstvoller Quellenverarbeitung, lebendiger Erzählkunst und populärer Attraktivität machte das Buch rasch zu einem europäischen Erfolg, der Scotts Namen in den Kanon einschreibt und die Vorstellung vom Mittelalter im 19. Jahrhundert nachhaltig prägte.

Der Roman spielt im England des späten 12. Jahrhunderts, in einer Übergangszeit zwischen Herrschaftslegitimation und Machtvakuum. König Richard Löwenherz ist fern, seine Abwesenheit verschiebt Gewichte und öffnet Raum für Intrigen. Der historische Hintergrund – die Nachwirkungen der normannischen Eroberung und die Spannungen zwischen normannischer Oberschicht und sächsischer Bevölkerung – ist nicht bloße Kulisse, sondern Motor der Handlung. Scott verbindet politische Atmosphäre und Alltagsleben, Hofzeremoniell und Wegelagerei, Kirchgang und Lagerfeuer, und zeigt so eine Gesellschaft, in der Recht und Gewalt um Vorrang ringen und Loyalitäten hart geprüft werden.

Im Mittelpunkt steht Wilfred von Ivanhoe, ein junger Ritter, der nach den Kreuzzügen in die Heimat zurückkehrt und zwischen Pflicht, Herkunft und persönlichem Ehrgeiz steht. Er ist enteignet, von familiären Konflikten gezeichnet und in einer Gesellschaft gefangen, die Rang und Blut höher bewertet als Verdienste. Seine Lage spiegelt die größere Frage des Romans: Wie kann ein Einzelner in einem System bestehen, dessen Regeln ihm nicht dienen? Scotts Einleitungsszenen entfalten diese Ausgangsposition prägnant, ohne die weiteren Wendungen vorwegzunehmen, und verankern die Erzählung in einer klaren, spannungsvollen Konstellation.

Ivanhoe ist zugleich ein Ensemble-Roman. Neben dem Titelhelden prägen starke Figuren das Bild: Lady Rowena, deren Herkunft sie politisch bedeutend macht; Isaac von York und seine Tochter Rebecca, die als Juden Bewunderung, Misstrauen und offene Feindseligkeit erfahren; Krieger der normannischen Ritterschaft; Saxonsadel mit langem Gedächtnis; und Waldläufer um eine Gestalt, die mit der Robin-Hood-Tradition verbunden ist. Durch diese Vielfalt zeigt Scott ein Gesellschaftspanorama, das ständische Ordnung, religiöse Grenzen und ökonomische Abhängigkeiten sichtbar macht – ein Geflecht, in dem persönliche Tugend gegen Vorurteil und Institutionen antritt.

Die nachhaltigen Themen des Romans reichen über seine Zeit hinaus. Scott stellt Ideale wie Ehre, Tapferkeit und Treue neben Fragen nach Rechtssicherheit, Herrschaftslegitimation und Minderheitenschutz. Der Text prüft, wie Mythen der Ritterlichkeit im Kontakt mit Not, Armut und politischer Willkür bestehen. Er zeigt, dass Versöhnung nicht mit Vergessen gleichzusetzen ist, sondern mit Anerkennung historischer Verletzungen. Besonders eindringlich behandelt der Roman religiöse Intoleranz und gesellschaftliche Ausgrenzung – nicht als abstrakte Debatte, sondern als Erfahrung von Figuren, deren Würde in Momenten von Gefahr, Pflege, Beratung und Entscheidung sichtbar wird.

Scott formt Geschichte erzählerisch, ohne sie in Gelehrsamkeit erstarren zu lassen. Er arbeitet mit sprechenden Schauplätzen, Szenen von Turnierglanz und Gefahren der Straße, mit Gerichtssituationen, Volksfesten und Andachtsmomenten. Er mischt Hofton und Derbheit, setzt Ironie gegen Pathos und nutzt eine vielstimmige Erzählstrategie, die Eliten und einfache Leute gleichermaßen zu Wort kommen lässt. Historische Namen treten auf, doch die Handlung ist frei gestaltet; sie dient dazu, soziale Konflikte zu modeln und Erfahrungen wahrscheinlicher Menschen sichtbar zu machen. So entsteht ein Werk, das Weltwissen und Leselust produktiv verschränkt.

Als Klassiker gilt Ivanhoe, weil es den historischen Roman in englischer Sprache für ein Massenpublikum definierte. Das Buch popularisierte eine Vorstellung vom Mittelalter, die Kunst, Politik und Unterhaltung des 19. Jahrhunderts prägte, und es wirkte weit über Großbritannien hinaus. Spätere Generationen von Romanciers griffen Scotts Verfahren auf: fiktive Biografien im Druck historischer Ereignisse, die Verknüpfung von Liebes- und Staatsgeschichten, das Ineinander von Volkskultur und Hofpolitik. Die Figurentraditionen des Romans – der ehrenhafte Außenseiter, die kluge Beobachterin, der gesetzestreue Gesetzesbrecher – fanden vielfältige Nachleben in Übersetzungen, auf der Bühne und im Film.

Die zeitgenössische und spätere Rezeption diskutierte Ivanhoe oft an seinen Darstellungen von Macht, Recht und Minderheiten. Scotts Blick auf jüdisches Leben im mittelalterlichen England wurde als Fortschritt gegenüber gängigen Stereotypen gewertet, bleibt aber zugleich von den Vorurteilen seiner Entstehungszeit geprägt. Gerade diese Ambivalenz macht das Buch produktiv für historische und literaturwissenschaftliche Lektüren. Es zeigt Empathie und zeichnet doch Grenzen, es kritisiert Unrecht und bewahrt den Blick für populäre Erzählmuster. Der Roman ist damit ein Dokument seiner Zeit – und ein Testfall, wie Literatur Traditionen prüft und verändert.

Stilistisch bietet Ivanhoe eine markante Mischung aus erzählerischem Schwung, szenischer Dichte und kommentierender Distanz. Archaisierende Wortwahl verbindet sich mit humorvollen Beobachtungen, Action mit ruhigen Gesprächspassagen. Scott choreografiert Massen- und Kammerstücke: vom Prunk öffentlicher Bewährung bis zum leisen Takt argumentativer Auseinandersetzung. Die Sprache öffnet Bilder, ohne sich im Ornament zu verlieren; sie lenkt, aber sie bevormundet nicht. Dadurch entsteht Lesbarkeit, die der Komplexität nicht ausweicht. Wer dem Text folgt, findet sowohl Abenteuer als auch Analyse – eine Balance, die seine Dauerpopularität wesentlich erklärt.

Inhaltlich berührt der Roman Fragen, die heutige Leserinnen und Leser unmittelbar angehen: Wie wird Recht durchgesetzt, wenn Institutionen schwächeln? Welche Rolle spielen Herkunft und Name, wenn Fähigkeiten gefordert sind? Wie lässt sich mit religiöser Differenz leben, ohne Gleichgültigkeit oder Zwang? Ivanhoe denkt über Führungsanspruch, Loyalität, Eigentum und Gewaltmonopol nach – Themen, die moderne Gesellschaften weiterhin beschäftigen. Zugleich zeigt er, wie Narrative Identität stiften: wer erzählt, gewinnt Deutungsmacht. Die Lektüre lädt dazu ein, die Mechanik populärer Mythen zu erkennen, ohne die Faszination des Erzählens zu verlieren.

Ivanhoe bleibt relevant, weil es zeitlose Qualitäten verbindet: erzählerische Energie, moralische Neugier und historisches Sensorium. Das Buch bietet Spannung, doch sein eigentlicher Reiz liegt im Ernst der Fragen, die es stellt, und in der Fairness, mit der es seine Figuren prüft. Es macht deutlich, dass Vergangenheit nicht fern ist, sondern als Muster in Gegenwart und Zukunft weiterwirkt. Als Klassiker überzeugt es durch bleibenden Stil, durchdachte Komposition und die Fähigkeit, Widersprüche fruchtbar zu machen. Wer es heute liest, findet nicht nur Historienmalerei, sondern eine Schule des Urteilens und der Empathie.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Der historische Roman Ivanhoe von Walter Scott, erstmals 1819 veröffentlicht, spielt im England des späten 12. Jahrhunderts. Nach dem Dritten Kreuzzug ist König Richard Löwenherz in Gefangenschaft, während sein Bruder Prinz John die Macht ausübt. Vor diesem Hintergrund rivalisieren normannische Machthaber und sächsische Landadelige. Cedric der Sachse pflegt altsächsischen Stolz und hat seinen Sohn Wilfred von Ivanhoe enterbt, weil dieser dem normannischen König loyal ist und Cedrics Mündel Rowena liebt. Zugleich werden mit Isaac von York und seiner Tochter Rebecca verfolgte jüdische Figuren eingeführt, deren Lage die sozialen Spannungen scharf beleuchtet und zentrale Konflikte des Romans markiert.

Verkleidet kehrt Ivanhoe nach England zurück und erscheint als unbekannter Ritter beim Turnier von Ashby-de-la-Zouch. Unter dem Namen eines Enterbten erringt er Aufmerksamkeit, misst sich mit angesehenen Gegnern und gerät in Rivalität zu dem Templer Brian de Bois-Guilbert. Ein kräftiger, namenloser Schwarzer Ritter unterstützt ihn, ebenso ein meisterlicher Bogenschütze aus dem Wald. Das Turnier entfaltet die Ideale und Brüche der ritterlichen Kultur: öffentliche Ehre, persönliche Fehden und politisches Kalkül. Gleichzeitig deutet sich an, dass die Turnierbahn nicht nur sportliche Bühne ist, sondern ein Vorfeld größerer Auseinandersetzungen, in denen Loyalitäten, Herkunft und Glaubenszugehörigkeit hart geprüft werden.

Nach den Schaukämpfen verschärft sich die Lage. Normannische Barone, darunter de Bracy und Front-de-Bœuf, überfallen Reisende, um Macht zu demonstrieren und persönliche Ziele zu verfolgen. Cedric, Rowena, Isaac und Rebecca geraten in ihre Gewalt; auch der verwundete Ivanhoe wird verschleppt. Im festen Haus von Torquilstone treffen Gefangene und Entführer aufeinander, und die Motive der Gegenseite werden deutlich: Ehrgeiz, Besitzgier und fixierte Vorstellungen von Stand und Glauben. Bois-Guilberts obsessives Begehren richtet sich auf Rebecca, die mit Mut und Besonnenheit reagiert. Der Roman verknüpft hier private Gefährdung mit der Frage, wer im zerrissenen Land Legitimität beanspruchen darf.

Eine vielgestaltige Gegenkraft formiert sich außerhalb der Festung. Waldläufer und freie Schützen unter einem Anführer namens Locksley, begleitet von dem geheimnisvollen Schwarzen Ritter, sammeln sich und belagern Torquilstone. Die Rettungsaktion verbindet taktische List mit offenem Angriff und stellt ritterliche Selbstdarstellung militärischer Realität gegenüber. Inmitten von Rauch, Brand und Tumult werden Masken gelüftet, Loyalitäten wechseln, und mehrere Gefangene entkommen. Ivanhoe bleibt schwer gezeichnet, doch das unmittelbare Unrecht wird nicht folgenlos bleiben. Das Geschehen markiert einen Wendepunkt: Gewalt kann kurzfristig herrschen, doch eine breitere Vorstellung von Gerechtigkeit gewinnt an Boden und sucht institutionelle Bestätigung.

Nach der Zerschlagung der Festung verzweigen sich die Handlungsfäden. Rebecca übernimmt die Pflege des verwundeten Ivanhoe, während Bois-Guilbert seine Besessenheit nicht aufgibt und sie erneut in seinen Machtbereich zieht. Innerhalb des Templerordens treten Spannungen zutage, in denen persönliche Motive und Ordensrecht kollidieren. Gleichzeitig wird der politische Hintergrund markanter: Der finstere Einfluss von Prinz John ist spürbar, doch ein kraftvoller Verbündeter mit königlicher Ausstrahlung mischt sich zunehmend sichtbarer ein. Die Frage, ob England von willkürlicher Gewalt oder legitimer Herrschaft geprägt sein wird, rückt an die Oberfläche und verknüpft private Schicksale mit Staatsräson.

Die Verfolgung Rebeccas kulminiert in einer Anklage wegen Zauberei vor einer Templergerichtsbarkeit in Templestowe. Die Anschuldigung entspringt Vorurteilen, Machtpolitik und persönlicher Leidenschaft. Rebecca pocht auf Recht, wobei die Regeln der Zeit ihr nur begrenzten Schutz geben. Als einziger Ausweg bleibt der gerichtliche Zweikampf, in dem ein Streiter ihre Unschuld bezeugen muss. Ivanhoe, noch nicht genesen, wird in diese Auseinandersetzung gezogen, während Bois-Guilbert zwischen Ordensgehorsam, Ehrgeiz und innerem Konflikt schwankt. Der Roman bündelt hier seine Fragen nach Gerechtigkeit, religiöser Toleranz und der Glaubwürdigkeit ritterlicher Ideale, ohne einfache Lösungen vorwegzunehmen.

Parallel verdichten sich die politischen Entwicklungen. Der rechtmäßige König tritt aus dem Verborgenen hervor, und seine Präsenz verändert das Kräfteverhältnis an Höfen und Heerlagern. Prinz Johns Unterstützer verlieren an Rückhalt, manche suchen rechtzeitig Verständigung. In dieser Atmosphäre werden frühere Gegensätze zwischen Normannen und Sachsen neu verhandelt. Scott zeigt, wie persönliche Tapferkeit erst durch rechtliche Ordnung und legitime Autorität wirksam wird. Der Weg zu einer stabileren Einheit bleibt konfliktgeladen, doch der Roman macht deutlich, dass nationale Identität nicht auf Herkunft beruht, sondern auf geteilten Normen, Treuepflichten und der Anerkennung eines gemeinsamen Gemeinwesens.

Die Figuren spiegeln die Spannungen des Zeitalters. Ivanhoe verkörpert Loyalität und Maß, hin- und hergerissen zwischen Pflicht, Heilung und Gefühl. Rowena steht für sächsische Würde und kluge Zurückhaltung. Rebecca, moralisch standhaft und fachkundig in der Heilkunst, wird zum Prüfstein gesellschaftlicher Vorurteile. Cedric ringt mit seiner Traditionstreue, die sich mit der Realität des Reiches messen lassen muss. Bois-Guilbert zeigt die dunkle Seite ritterlicher Kultur: Stärke ohne Selbstbeherrschung und Glaube ohne Menschlichkeit. In ihren Begegnungen legt der Roman die Spannung zwischen Ideal und Praxis offen und fragt, wie Ehre und Mitgefühl zusammenfinden können.

Als historischer Roman vereint Ivanhoe farbige Szenerie, politische Intrige und persönliche Bewährungsproben zu einer Erzählung über Legitimität und Zusammenleben. Scott prägt das Genre, indem er Vergangenheit als Spiegel zeitloser Fragen nutzt: Was stiftet Recht, und wie überwindet eine Gesellschaft ihre Spaltungen? Ohne die abschließenden Entwicklungen vorwegzunehmen, deutet die Geschichte an, dass Versöhnung, Rechtsbindung und Verantwortungsbewusstsein dauerhafter sind als Gewalt und Ressentiment. Der nachhaltige Reiz des Buches liegt in der Verbindung von Spannung und moralischer Reflexion sowie in der Wirkungsgeschichte, die Vorstellungen von Rittertum, Nationalbildung und religiöser Toleranz weit über das 19. Jahrhundert hinaus geprägt hat.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Ivanhoe ist in England gegen Ende des 12. Jahrhunderts verortet, in einer Übergangszeit zwischen Kreuzzugsbegeisterung und innenpolitischer Unsicherheit. Dominante Institutionen sind die Feudalmonarchie, die römische Kirche und ein landbesitzender Adel, der sein Ansehen aus Dienst und Blutlinien bezieht. Die Handlung entfaltet sich in den Midlands mit Wäldern, Märkten und Burgen, wo königliche Autorität zwar anerkannt, aber lokal umkämpft ist. Diese Rahmenbedingungen spiegeln eine Welt, in der Ehre und Besitzrecht eng verknüpft sind und in der bewaffnete Gefolgschaften, geistliche Orden und königliche Beamte um Einfluss konkurrieren. Scott nutzt diese Konstellation, um Konflikte von Rang, Glauben und Recht anschaulich zu machen.

Ein zentrales Hintergrundmotiv ist die Nachwirkung der normannischen Eroberung von 1066. Zwei Jahrhunderte später bestehen kulturelle und soziale Trennlinien fort: anglonormannische Elitekultur und sächsische Traditionen überlagern sich. In der Rechtspflege und am Hof dominiert Anglo-Französisch, während das Volk Englisch spricht; in Kirche und Gelehrsamkeit bleibt Latein maßgeblich. Diese dreisprachige Ordnung steht für Hierarchie und Distanz. Ivanhoe dramatisiert bestehende Spannungen, ohne zu leugnen, dass viele Familien und Rechtsformen längst verschmolzen sind. Der Roman zeigt, wie Erinnerung an Unterwerfung politisch nutzbar bleibt und wie Versöhnung nicht durch reine Abstammung, sondern durch gemeinsame Institutionen und Treuebeziehungen zustande kommt.

Das Feudalsystem bildet den sozialen Unterbau der Erzählung. Land wird als Lehen vergeben, gegen Militärdienst und Rat. Bauern leben vielfach in grundherrlicher Abhängigkeit, leisten Naturalabgaben und Frondienste. Der Alltag ist vom Jahreszyklus, von Ernte, Abgaben und lokaler Gerichtsbarkeit bestimmt. Burgherren verwalten Dispense, erheben Gebühren an Mühlen, Brücken und Märkten und vergeben Schutz. Solche Strukturen prägen Handlungsspielräume: Loyalität wird materiell abgesichert, und Rechtsstreitigkeiten sind oft zugleich Fragen der Ehre. Scott nutzt diese Ordnung, um die Bindung zwischen Herren, Rittern, Pächtern und Hörigen zu beleuchten und die Brutalität wie auch die Stabilität feudaler Verpflichtungen sichtbar zu machen.

Politisch ist die Zeit vom Fernbleiben König Richards I. geprägt. Nach der Rückkehr vom Dritten Kreuzzug gerät er 1192 in Gefangenschaft; seine Freilassung 1194 erfordert enorme Lösegeldsummen und setzt das Reich unter fiskalischen Druck. In seiner Abwesenheit versucht Prinz Johann, Einfluss zu gewinnen, unterstützt von Teilen des Adels. Diese Lagerbildung liefert dem Roman den Hintergrund rivalisierender Gefolgschaften, in denen Loyalität zur Krone, persönliche Nutzenkalküle und regionale Machtinteressen kollidieren. Scott spiegelt damit eine Epoche, in der königliche Autorität stark ist, aber ständisch vermittelte Machtblöcke ihr Grenzen setzen und Opportunisten das Vakuum nutzen.

Der Kreuzzugsgedanke prägt Ideale und Selbstverständnis des Rittertums. Die militärischen Orden, besonders die Templer, stehen für Disziplin, religiösen Eifer und transnationale Vernetzung. Zugleich bringen Rückkehrer neue Erfahrungen, Kontakte und Konflikte mit. Die Präsenz von Templern in England, mit Gütern und Niederlassungen, macht ihre weltliche Macht sichtbar, während ihr Ruf asketischer Strenge moralische Ansprüche erhöht. Scott greift diese Spannung auf, um die Differenz zwischen ritterlichem Ideal und persönlicher Ambition zu zeigen. Dass die spätere Auflösung des Templerordens erst im 14. Jahrhundert erfolgte, liegt außerhalb der Romanzeit, macht aber die historische Umstrittenheit solcher Orden deutlich.

Die Kirche ist eine zentrale Regulativmacht. Klöster besitzen Ländereien, erheben Zehnt und fördern Bildung. Geistliche Jurisdiktion erstreckt sich auf Ehe, Testamente und Moral, während Predigten und Feiertage den Kalender strukturieren. Kirchliche Amtsträger bewegen sich zwischen Seelsorge, Repräsentation und politischer Vermittlung. Scott zeigt Prälaten, die Luxus schätzen, und Kleriker, die asketische Strenge verkörpern – eine Ambivalenz, die kontemporäre Predigten ebenso bezeugen. Kirchenrechtliche Normen, wie Verbote von Wucher für Christen, wirken in die Ökonomie hinein und erklären, warum bestimmte Berufsrollen religiös und sozial zugespitzt erscheinen.

Das Rechtsleben verbindet königliche Reformen mit älteren Praktiken. Unter Heinrich II. wurden Assisen, Geschworenengerichte und reisende Richter gestärkt, wodurch ein einheitlicheres Common Law entstand. Daneben existieren ältere Formen wie Gottesurteil und gerichtlicher Zweikampf, die erst nach 1215 schrittweise zurückgedrängt werden. Waldrecht und Jagdprivilegien schützen königliche Ressourcen, kriminalisieren aber Subsistenzstrategien der Armen. Scott nutzt das Motiv des „grünen Waldes“ als Raum jenseits enger Herrschaft, wo sich Gemeinschaftsregeln und Gewohnheitsrecht behaupten. Die Spannung zwischen lokaler Gewohnheit und königlicher Ordnung ist ein Kernproblem der Epoche und der Romanhandlung.

Die Stellung der Juden im England des 12. Jahrhunderts bildet einen wichtigen Kontext. Als Schutzbefohlene der Krone besitzen jüdische Gemeinden Freiheiten, stehen aber unter Sondersteuern und sind von der königlichen Gnade abhängig. Antijüdische Gewalt eskaliert 1189/1190 mit Pogromen bei Richards Krönung und in York. Kirchliche Verbote der Zinsnahme für Christen und Marktdynamiken drängen Juden in Geldgeschäfte, was sie zugleich unentbehrlich und verwundbar macht. In Ivanhoe werden Isaac und Rebecca zu Spiegeln dieser Ambivalenz: ökonomische Notwendigkeit, religiöse Ausgrenzung, individuelle Würde. Scott verweist damit auf reale Spannungen, ohne historische Ereignisse direkt nachzuerzählen.

Wirtschaftlich dominiert Agrarproduktion unter der Grundherrschaft. Dreifelderwirtschaft, Viehhaltung und Abgaben strukturieren Arbeit und Risiko. Zugleich wächst der Marktverkehr: Wochenmärkte und Jahrmärkte verbinden Land und Stadt, ermöglichen Kredit und Spezialhandwerk. Die englische Wollproduktion gewinnt an Bedeutung und versorgt Kontore in Flandern; Klöster, besonders Zisterzienser, wirken als effiziente Produzenten. Steuererhebungen zur Finanzierung von Krieg und Lösegeld belasten Haushalte und Gemeinden. Solche Rahmenbedingungen erklären, warum Forderungen, Schuldscheine und Sicherheiten im Roman so präsent sind: Sie waren Triebkräfte sozialer Mobilität, Konflikte und Abhängigkeiten.

Militärisch markieren die 1190er den Höhepunkt des Kettenhemdzeitalters. Ritter tragen lange Hauberke, Nasalhelme oder frühe Topfhelme; Schilde werden kleiner und heraldisch markiert. Bogenschützen sind integraler Teil lokaler Aufgebote, doch wird der Langbogen erst im 13.–14. Jahrhundert zum „nationalen“ Symbol. Die Armbrust ist verbreitet; das Zweite Laterankonzil hatte ihren Einsatz gegen Christen 1139 verurteilt, ohne sie zu verdrängen. Turnierpraxis, Feldschlachten und Belagerungen folgen klaren, wenn auch brutal durchgesetzten, Regeln. Scott nutzt diese militärische Kultur, um Ehre und Effizienz, Wagemut und Disziplin in Spannung zu setzen.

Burgen sind Knotenpunkte von Herrschaft und Sicherheit. Nach der ersten Welle aus Holz entstehen im 12. Jahrhundert immer mehr Steinbauten mit Bergfrieden, Ringmauern und Toranlagen. Belagerungstechniken – Rammböcke, Leitern, Wurfmaschinen – prägen die Kriegswirklichkeit stärker als offene Feldschlachten. Für Landbevölkerung bedeuten Burgen Schutz, aber auch Zwang und Abgaben. Im Roman rahmt die Einnahme einer Festung zentrale Konflikte von Loyalität, Rechtstitel und Gewaltmonopol. Die Szene spiegelt eine Gesellschaft, in der die Kontrolle über Mauern und Wege politische Ordnung definiert und persönliche Fehden leicht in öffentliche Unruhe umschlagen.

Kulturell blühen Hofromanzen, Heiligenvitae und lateinische Chronistik. Ideale wie ritterliche Tapferkeit, Freigebigkeit und „höfische Liebe“ werden literarisch codiert, aber nicht bruchlos gelebt. Minnesang und Trouvère-Traditionen verbinden sich mit englischen Erzählstoffen; volkssprachliche Dichtung gewinnt an Reichweite. Spielleute, Gaukler und Hofnarren transportieren Nachrichten, Satire und Ruhm. Scott greift diese Kulturformen auf, um sein Mittelalter mit Gesang, Spott und öffentlichen Ritualen anzureichern. Dadurch wird sichtbar, wie Reputation entsteht, wie Gerüchte wirken und wie erzählte Taten soziale Wirklichkeit mitgestalten – lange bevor eine zentrale Presseöffentlichkeit existiert.

Turniere dienen als Kriegsspiel, Werbung und Markt der Eitelkeiten. Regeln schützen Pferde und Rüstungen begrenzt, Ransompraktiken machen Siege finanziell attraktiv. Heraldik identifiziert Personen, Familien und Ansprüche; Schaulustige sorgen für Spektakelcharakter. Der berühmte Wettkampf bei Ashby im Roman verdichtet historische Praxis: Adelige demonstrieren Mut, Bündnisse und Rang, während Zuschauer Urteile über Ehre fällen. Zugleich zeigt Scott die Schattenseiten: Manipulation, Übermut, Verletzungen. Das Turnier ist damit ein Brennglas höfischer Kultur, in dem soziale Mobilität möglich scheint, aber Standesgrenzen und Patronage real entscheiden.

Landschaft und Infrastruktur bilden die Bühne des Alltags. Königliche Straßen, Furtstellen und Brücken verbinden Märkte und Burgen; Herbergen bieten Schutz, sind aber unsicher. Königswälder wie Sherwood unterliegen strengem Recht; Holz, Wild und Weide sind umkämpfte Ressourcen. Räuberbanden und bewaffnete Gefolgsleute überschneiden sich oft, je nachdem, wer Legitimität beanspruchen kann. Scott nutzt Pfade, Lichtungen und Hecken als dramaturgische Marker von Grenze und Zugehörigkeit. So wird Geographie zur sozialen Karte: Wer wen passieren lässt, wer Wege sperrt und wer Zoll erhebt, entscheidet über Macht, Alltagssicherheit und Bewegungsfreiheit.

Walter Scott schrieb Ivanhoe 1819, gestützt auf Chroniken, Rechts- und Altertumskunde sowie populäre Balladen. Sein Verfahren verbindet dokumentarische Anmutung mit erfundenen Figuren und Schauplätzen. Er ordnet Fakten der Regierungszeit Richards I. und Johanns so, dass sie typische Konfliktlagen bündeln: Thronloyalität, Standeskonkurrenz, religiöse Feindbilder. Scott popularisierte damit das Modell des „historischen Romans“, der private Handlung mit öffentlicher Geschichte verkoppelt. Entscheidend ist seine didaktische Pointe: Vergangenheit wird nicht museal vorgeführt, sondern als Labor, in dem sich Institutionen bilden, Werte verhandelt und nationale Narrative erprobt werden.

Die Entstehungszeit des Buches prägt seine Akzente. Nach den Napoleonischen Kriegen suchte Großbritannien nach verbindenden Erzählungen von Nation und Loyalität. Die Romantik wertete das Mittelalter als Fundus von Gefühl, Gemeinschaft und Ursprungsmythen auf, parallel zur beginnenden Industrialisierung. In Großbritannien wurden religiöse Toleranzfragen intensiv diskutiert; die katholische Emanzipation erfolgte 1829, die volle politische Gleichstellung der Juden erst 1858. Scotts empathische, wenn auch zeittypisch gezeichnete jüdische Figuren lassen sich vor diesem Hintergrund lesen: als Plädoyer gegen Ausgrenzung und für Rechtsgemeinschaft – und zugleich als Spiegel damaliger Stereotypen.

Inhaltlich kommentiert Ivanhoe die Spannung zwischen persönlicher Rittertugend und staatlicher Rechtsordnung. Der Roman zeigt, wie Charisma und Gewalt kurzfristig Ordnung schaffen, aber erst Institutionen – Gericht, Krone, vertragliche Bindung – dauerhafte Sicherheit bieten. Er deutet die Ausbildung eines „englischen“ Gemeinwesens als Versöhnung ehemaliger Gegner, nicht als Sieg einer Blutlinie. Die Darstellung von Kirchenmacht, Adelswillkür und Minderheitenschutz ist dabei ambivalent: Scott bewundert Tapferkeit und Loyalität, kritisiert aber Missbrauch von Rang und religiöser Autorität. Historisch fundiert, doch literarisch zugespitzt, lädt das Buch dazu ein, Vergangenheit als Kommentar zur Gegenwart zu lesen.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Walter Scott (1771–1832) war ein schottischer Dichter und Romanautor der frühen Romantik, dessen Werke den historischen Roman im englischsprachigen Raum maßgeblich prägten. Aus dem intellektuellen Umfeld Edinburghs hervorgegangen, verband er antiquarische Interessen mit erzählerischer Gestaltungskraft und erreichte europaweite Popularität. Seine Bücher machten Landschaften, Mythen und Konflikte Schottlands sowie des mittelalterlichen England literarisch greifbar und wirkten stark auf die populäre Geschichtsvorstellung. Scott wurde zu Lebzeiten zu einer kulturellen Autorität, deren Name mit nationaler Identität, Rittertum und Versöhnung zwischen Tradition und Moderne verknüpft blieb. Sein Rang als stilbildender Erzähler stand lange außer Frage und ist bis heute breit anerkannt.

Scott erhielt seine Ausbildung an der High School of Edinburgh und studierte anschließend Rechtswissenschaft an der University of Edinburgh; 1792 wurde er als Advokat zugelassen. Früh interessierte er sich für Volksdichtung und Altertumskunde, geprägt von der schottischen Grenzregion und von Sammlungen wie Thomas Percys Reliques of Ancient English Poetry. Übersetzungen aus dem Deutschen, darunter Balladen Gottfried August Bürgers und Goethes Drama Götz von Berlichingen, vertieften sein Interesse an Rittertum, Ehre und geschichtlicher Stoffgestaltung. Die Verbindung aus juristischer Schulung, historischer Lektüre und lebendiger Erzähllust bildete die Grundlage für seine spätere Methode, belegte Geschichte mit erfundener Handlung zu verweben.

Parallel zu seiner juristischen Tätigkeit übernahm Scott öffentliche Ämter: 1799 wurde er Sheriff-Depute von Selkirkshire, 1806 Clerk of Session in Edinburgh. Literarisch trat er zunächst als Sammler und Bearbeiter auf: Die mehrbändige Minstrelsy of the Scottish Border (1802–1803) bewahrte Balladen der Grenzregion und bereitete seinen Durchbruch als Erzähler vor. Mit den erzählenden Gedichten The Lay of the Last Minstrel (1805), Marmion (1808) und The Lady of the Lake (1810) wurde er zu einem der meistgelesenen britischen Dichter seiner Zeit. Die Resonanz speiste sich aus melodischer Sprache, historischen Schauplätzen und einer romantischen Verklärung, die dennoch orts- und zeitkundig wirkte.

Als 1814 der Roman Waverley anonym erschien, vollzog Scott eine Gattungswende, die sein Ansehen dauerhaft prägen sollte. Unter der Signatur „by the author of Waverley“ folgten rasch weitere Romane: Guy Mannering (1815), The Antiquary (1816), Rob Roy (1817), The Heart of Midlothian (1818), The Bride of Lammermoor (1819) und Ivanhoe (1819), das im mittelalterlichen England spielt. Diese Werke verbanden sorgfältige historische Recherche mit lebendigen Figuren und konfliktreichen Gesellschaftsbildern. Die Sammelbezeichnung „Waverley Novels“ wurde zum Markenzeichen. Scott hielt seine Autorschaft zunächst geheim und erkannte sie erst später öffentlich an, als sein Ruhm bereits unangefochten war.

Scott bekannte sich politisch konservativen, toryistischen Überzeugungen und verteidigte bestehende Institutionen, ohne historische Gegensätze zu verharmlosen. Seine Romane thematisieren Loyalität, soziale Ordnung und die Spannung zwischen lokaler Tradition und staatlicher Integration, oft am Beispiel der Jakobitenaufstände und der schottischen Rechts- und Alltagswelt. 1820 wurde er zum Baronet erhoben, was seinen gesellschaftlichen Rang unterstrich. Als Förderer der Altertumskunde gründete er 1823 den Bannatyne Club zur Edition seltener schottischer Texte. Abbotsford, sein eigens gestaltetes Haus an der Tweed, wurde zum literarischen Schauplatz und Sammlungsort, an dem Geschichte, Architektur und Erzählung sichtbar verschmolzen.

Die Verlags- und Druckereikrise von 1826, die Partner wie Archibald Constable und die Ballantyne-Druckerei traf, stürzte Scott in hohe Schulden. Er lehnte Insolvenz ab und schrieb mit enormem Fleiß, um Verpflichtungen zu tilgen, darunter Woodstock (1826), The Life of Napoleon Buonaparte (1827), Chronicles of the Canongate (1827–1828) und spätere Romane wie Anne of Geierstein (1829). Die Gesundheit verschlechterte sich; 1831 unternahm er eine Reise in südliche Gefilde, bevor er nach Schottland zurückkehrte. Scott starb 1832 in Abbotsford. Trotz Ermüdungserscheinungen im Spätwerk hielt das Publikum seiner historischen Darstellungskraft und seinem moralischen Ernst weithin die Treue.

Scotts Vermächtnis wirkt in Literatur, Kultur und Geschichtsbild fort. Seine historische Romanform beeinflusste Autorinnen und Autoren in ganz Europa, darunter Balzac, Dumas, Pushkin und Tolstoi. Stoffe wie Ivanhoe prägten Bilder vom Mittelalter, von Rittertum und nationaler Herkunft, während die Waverley-Romane die Wahrnehmung Schottlands und seiner Landschaften weltweit formten. Edinburgh ehrt ihn mit dem Scott Monument; Abbotsford dient als Museum. Obwohl spätere Generationen andere ästhetische Maßstäbe setzten, bleibt Scott als Wegbereiter des historischen Erzählens präsent, dessen Werk Forschung und Publikum weiterhin als Schlüssel zur Verbindung von Vergangenheit, Identität und populärer Erzählkunst lesen.

Ivanhoe: Historischer Roman

Hauptinhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
Einunddreißigstes Kapitel.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Dreiundreißigstes Kapitel.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Fünfunddreißigstes Kapitel.
Sechsunddreißigstes Kapitel.
Siebenunddreißigstes Kapitel.
Achtunddreißigstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

In der anmutigen Provinz des glücklichen England, die der Don durchströmt, dehnte sich in alter Zeit ein großer Wald aus, der die lieblichen Hügel und Täler zwischen Sheffield und der freundlichen Stadt Doncuster bedeckt. Überreste dieses mächtigen Forstes findet man noch in der Umgegend der Rittersitze Wentworth, Warncliffe-Park und bei Rotherham. Hier hauste einst der sagenhafte Drache von Wantley[1], hier wurde manche blutige Schlacht im Bürgerkrieg der weißen und roten Rose ausgefochten, hier trieben vor alten Zeiten die tollkühnen Räuberhorden ihr Wesen, deren Taten durch die englischen Volkslieder überall bekannt geworden sind. Und hier liegt auch der eigentliche Schauplatz dieser Erzählung und die Zeit, zu der sie spielt, reicht bis zum Ende der Regierung Richards des Ersten, als seine Untertanen, die während seiner langen Gefangenschaft auf jede mögliche Weise bedrückt und geknechtet waren, seine Rückkehr wohl von Herzen wünschten, doch nicht zu erhoffen wagten. Der Adel, der während Stephans Regierung zu unbegrenzter Macht gelangt war, und den Heinrich der Zweite durch kluge Politik der Krone etwas von neuem untertänig gemacht hatte, schlug jetzt wieder völlig über die Stränge, kümmerte sich nicht um den ohnmächtigen Protest des englischen Staatsrates, befestigte seine Schlösser, verstärkte die Zahl seiner Hörigen und Reisigen, machte sich alles in seiner Umgebung zu Vasallen und bot alle Kraft auf, um, jeder in seinem Kreise, zu Macht und Gewalt zu gelangen und in den aller Voraussicht nach nahe bevorstehenden staatlichen Katastrophen eine hervorragende Rolle spielen zu können. Die Angehörigen des niederen Adels oder die Franklins, wie man sie nannte, die von Gesetzes wegen und durch den Geist der englischen Verfassung berechtigt waren, von der Feudaltyrannei unabhängig zu bleiben, wurden durch diese Zustände mehr als je in ihrer Existenz gefährdet. Wenn sie sich, was meist der Fall war, dem Schutze eines der kleinen Könige aus ihrer Umgebung unterstellten, an seinem Hofe Lehnsdienste taten, oder sich in einem gegenseitigen Schutz-und Trutzbündnis verpflichteten, ihm in seinen Unternehmungen Beistand zu leisten, so hatten sie sich allerdings wohl eine vorübergehende Sicherheit erkauft, aber eben dafür die Unabhängigkeit hingegeben, die jedem englischen Herzen lieb und teuer ist, und sie konnten mit Bestimmtheit darauf rechnen, in ein unbesonnenes Unternehmen hineingezogen zu werden, zu dem sich ihr Schutzherr aus Ehrgeiz hinreißen lassen würde. Auf der anderen Seite standen den mächtigen Baronen soviele Mittel zu Gebote, die kleinen Adligen zu knechten und zu schurigeln, daß sie nie um einen Vorwand verlegen waren und nur in seltenen Fällen darauf verzichteten, mit ihren Feindseligkeiten alle die unter ihren weniger mächtigen Nachbarn zu verfolgen, die es wagten, sich ihrer Oberherrschaft zu entziehen und in diesen gefahrvollen Zeiten ihren einzigen Schutz in ihrer makellosen Führung und in den Gesetzen des Landes zu suchen.

Ein Umstand, dem es zum großen Teile zuzuschreiben war, daß der hohe Adel ein so tyrannisches Wesen treiben durfte und daß seine niederen Klassen in so arge Bedrängnis geraten waren, lag in den Folgen, die die Eroberung des Herzogs von der Normandie mit sich brachte. In vier Geschlechtern hatte sich weder das feindliche Blut der Normannen und der Angelsachsen vermischen, noch hatten sich durch gleiche Sprache, gleiche Ziele und Interessen zwei feindliche Stämme miteinander verschmelzen können, denn auf der einen Seite machte sich stets der Stolz und der Dünkel des Siegers geltend, und auf der anderen hatten die Folgen der Niederlage denn doch zu tiefe Wunden geschlagen.

Nach der Schlacht von Hastings[2] hatte der normännische Adel die Gewalt völlig in Händen, und er machte nicht eben milden Gebrauch davon. Das Geschlecht der sächsischen Fürsten und Edelherren war entweder völlig vernichtet oder seines Erbteils beraubt worden, bis auf wenige aus der zweiten oder noch niedrigeren Klasse, die im Lande ihrer Väter noch als Herren auf eigenem Grund und Boden saßen. Lange hatte der König seine Gewalt dahin zu nutzen versucht, jenen Teil der Bevölkerung, der erwiesenermaßen stets einen tief eingewurzelten Haß gegen den Sieger und Unterdrücker hegt, in seiner Macht zu schmälern. Alle Herrscher normännischen Geblüts bekundeten unstreitig stets die offenste Vorliebe für ihre normännischen Untertanen. Jagdgesetze und andere Paragraphen, von denen der freie duldsame Geist der sächsischen Verfassung nichts wußte, waren dem Nacken der unterjochten Bewohner aufgebürdet worden, um die Fesseln der Feudalherrschaft noch schwerer zu gestalten. Am Hofe selbst und in den Schlössern der hohen Herren, wo man dem Luxus und der Pracht des Hofes gleichzukommen strebte, war nur die normännisch-französische Sprache im Gebrauch und in der gleichen Sprache wurden auf den Gerichten die Klagen und die Urteile abgefaßt. Mit einem Wort: französisch war die Sprache der vornehmen Welt, der Ritterschaft und der Herren vom Gericht, während das ausdrucksvolle und mannhaftere Angelsächsisch nur noch bei den Bauern und Knechten in Gebrauch war, die einer anderen Sprache nicht mächtig waren. Und da nun die Grundbesitzer mit den Bauersleuten Gemeinschaft unterhalten mußten, so bildete sich allmählich aus diesem Verkehr eine besondere Mundart, eine Mischung aus Französisch und Angelsächsisch, in der sie sich untereinander verständigten. Dieser aus Zwang entstandene Dialekt hat dann die englische Sprache gezeitigt, in der sich die Sprache der Sieger mit der der Besiegten aufs glücklichste verquickt hat und die dann im Laufe der Zeit aus Übertragungen aus den Sprachen des klassischen Altertums und aus der Literatur der südlichen Völker Europas in hohem Maße bereichert worden ist. – Der Verfasser glaubte den Leser über diesen Zustand der Dinge unterrichten zu müssen, damit er stets dessen eingedenk sein soll, daß eine Nationalverschiedenheit zwischen den Sachsen und den Siegern und die nie geschwundene Erinnerung an das, was sie gewesen und was jene aus ihnen gemacht hatten, bis in die Regierung Eduards des Dritten stets wach geblieben ist. Die Wunden, die der Gegner geschlagen hatte und die er, sobald sie im Vernarben waren, stets wieder aufriß, ließen eine scharfe Scheidung zwischen den Abkömmlingen der siegreichen Normannen und den Nachkommen der unterdrückten Sachsen immer merklich erkennen.

Auf einer der satten Wiesen des anfangs erwähnten Waldes lag heller Sonnenschein. Hunderte von breiten, kurzstämmigen Eichen, die vielleicht schon die römischen Legionen in prachtvollem Aufzug vorüberziehen sahen, beschatteten mit ihren weitausladenden knorrigen Zweigen den dichten grünen Teppich des lieblichen Rasens. An manchen Stellen standen Buchen, Pappeln und andere Baumarten in so dichtem Gemisch dazwischen, daß die Strahlen der sinkenden Sonne kaum hindurchdringen konnten. An anderen Stellen bot sich ein weiter, herrlicher Durchblick, in die das Auge so gern hineinspäht, während die Phantasie in ihren Gründen noch Bilder der Waldeinsamkeit erwartet. Die Purpurstrahlen der untergehenden Sonne verbreiteten hier einen milden fahlen Schein, der da und dort auf den Zweigen und Stämmen lag, und auch auf dem Rasen malten sich stellenweise Flächen von Licht, die den Weg der Sonne bezeichneten. Ein weiter Kreis in der Mitte des Grasplatzes schien vor Zeiten dem Götzendienst der Druiden geweiht gewesen zu sein; denn oben auf einem Hügel, der so regelmäßig erschien, als ob er von Menschenhänden errichtet worden sei, waren die Überreste eines großen Kreises aus roten, unbehauenen Steinen zu sehen. Sieben von ihnen waren hochgestellt, die anderen lagen flach umher und waren durcheinandergeworfen, vielleicht von einem zum Christentum bekehrten Eiferer. Andere wieder lagen dicht an ihrem alten Fleck, andere auf dem Abhang des Hügels. Nur ein großer, umfänglicher Block war ganz heruntergeglitten und hatte den Lauf eines kleinen Baches versperrt, der sich sanft um den Fuß des Hügels herumschlängelte und nun in leisem Murmeln über dieses Hemmnis hinwegrann.

Zwei menschliche Gestalten waren in dieser Landschaft zu sehen und Tracht und Erscheinung kennzeichnete sie in ihrer Wildheit und Rauheit als Waldbewohner des Westens von Yorkshire. Der Ältere von beiden sah ernst, wild und düster aus. Seine mehr als einfache Kleidung bestand aus einer knappen Ärmeljacke aus gegerbtem Tierfell, an der sich das ursprünglich nicht abgeschorene Haar mit der Zeit so sehr abgeschabt hatte, daß sich aus dem, was noch daran war, schwer hätte sagen lassen, von welchem Tiere der Pelz stammte. Dieser Überkittel ging vom Hals bis zum Knie und bedeckte also den ganzen Leib, und das einzige Loch, das er hatte, war gerade groß genug, daß der Kopf hindurchgesteckt werden konnte. Er mußte mithin wie ein Hemd beim Anziehen über Kopf und Schultern gestreift werden. Sandalen mit schweinsledernen Riemen schützten die Füße, eine Rolle von dünnem Leder war als Gamasche um die Beine geschlungen worden und ließ, wie es bei den schottischen Hochländern Brauch war, das Knie nackt. Damit die Jacke praller sitzen sollte, war sie in der Mitte durch einen breiten Ledergürtel mit metallener Schnalle zusammengehalten. An diesem Gurt hing an der einen Seite eine Art Tasche, an der anderen ein zum Blasen gerichtetes Widderhorn mit Mundstück. Ferner steckte darin ein langes, breites Messer mit scharf zugespitzter zweischneidiger Klinge und einem Griff aus Hirschhorn. Derartige Messer wurden in dieser Gegend hergestellt und hießen schon damals Sheffieldmesser. Der Mann hatte zur Kopfbedeckung nichts weiter als sein starkes zusammengerafftes und geflochtenes Haar, das im Scheine der Sonne wie dunkelrot erschien und stark gegen den die Wangen bedeckenden Bart abstach, der die Farbe des Bernsteins hatte. Ein sehr seltsames Stück seines Anzuges muß noch genannt werden, nämlich ein metallener Ring, der wie ein Hundehalsband aussah, aber keine Öffnung hatte und sich fest um den Hals schloß, ohne daß der Mann dadurch am Atmen behindert worden wäre. Auf diesem merkwürdigen Halsschmuck, der nur mit der Feile zu lösen gewesen wäre, stand in angelsächsischen Buchstaben die folgende Inschrift: Gurth, Beowulfs Sohn, ist durch Geburt Leibeigener Cedrics von Rotherwood.

Neben diesem Schweinehirten, denn dies war Gurths Amt, saß auf einem Trümmerstein der Druidenstätte ein Mann, der zehn Jahre jünger zu sein schien und dessen Tracht im Schnitt der seines Gefährten ähnlich, jedoch aus besserem Stoff gefertigt war und phantastischer aussah. Sein Wams war früher von hellem Purpur gewesen und unbeholfene Verzierungen in verschiedenen Farben waren grotesk darauf gemalt worden. Der Mantel, der ihm nur bis zur Hälfte des Leibes reichte und aus karmoisinrotem Tuch mit hellgelber Einfassung bestand, war schon stark abgetragen, und da er um beide Schultern geworfen und um den Leib geschlungen werden konnte, so war er im Vergleich zu seiner Kürze unverhältnismäßig weit und gab daher ein recht seltsames Kleidungsstück ab. Der Mann trug schmale, silberne Armbänder und um den Hals ein Band von dem gleichen Metall mit der Inschrift: Wamba, Sohn des Ohnewitz, ist Leibeigener Cedrics von Rotherwood. Er trug Sandalen wie sein Gefährte, aber statt der Lederrollen hatte er richtige Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war. Seine Mütze war mit einer Menge Schellen besetzt wie man sie den Falken anhängt. Die klingelten, wenn er den Kopf bewegte, und da er nicht einen Augenblick still saß, so klirrte und klimperte es unaufhörlich. Um die Spitze der Mütze lief ein breites Band von steifem Leder, das oben ausgezackt war und wie eine kleine Krone aussah. Aus ihr hing eine Art Beutel hervor, der auf die Schulter herabbaumelte und sich fast wie eine alte Nachtmütze oder wie ein Husarenkäppi ausnahm. Auch daran hingen Glöckchen.

Dieser ganze Aufputz und der halbpfiffige, halbirre Ausdruck seines Gesichts kennzeichneten ihn hinlänglich als einen jener Hausnarren, die sich die Reichen zum Zeitvertreib halten, um besser über die langweiligen Stunden hinwegzukommen, die ihnen in ihren vier Pfählen nicht erspart bleiben. Wie sein Gefährte trug auch er eine Art Tasche am Gurt, aber er hatte weder Horn noch Messer, wahrscheinlich weil es für gefährlich erachtet wurde, dem Menschenschlag, zu dem er gehörte, scharfe Instrumente in die Hand zu geben. Dagegen führte er ein hölzernes Schwert wie Kasperle auf dem Theater. Wie das Äußere der beiden Männer einen scharfausgeprägten Gegensatz erkennen ließ, so auch ihr Blick und ihr Wesen. Der Hirt und Leibeigene hatte ein trübes und düsteres Gebaren. Das Auge war mit dem Ausdruck tiefer Verzweiflung zu Boden gesenkt und schien gänzliche Apathie zu bekunden, nur ab und zu flammte es in seinem roten Auge auf und deutete darauf hin, daß sich unter seinem dumpfen Kleinmut die Empfindung, geknechtet zu sein, und das Verlangen, sich dagegen aufzubäumen, schlummernd regten. Wambas Miene dagegen verriet die bei Menschen seines Schlages in der Regel vorhandene Neugier, eine quecksilberne Hast und die größte Zufriedenheit mit seiner Lage und seiner Kleidung. Beide unterhielten sich angelsächsisch, eine Sprache, die, wie schon erwähnt, ausschließlich bei den niederen Klassen in Gebrauch war.

»Hol der heilige Withold die verflixten Schweine![1q]« brummte der Hirt, nachdem er aus Leibeskräften ins Horn geblasen hatte, um die verstreute Herde zusammenzubringen, die seinem Rufe zwar in ebenso melodischer Weise antwortete, aber doch von seinem leckeren und reichen Mahle aus Eicheln und Bucheckern nicht wegzubringen war. Auch hatten sie nicht die geringste Lust, das schlammige Ufer des Flusses zu verlassen, wo sich mehrere recht gemächlich im Moraste wälzten und das Horn blasen ließen, was es blasen mochte.

»Hol sie der heilige Withold und mich selbst!«, sagte Gurth. »Wenn der Wolf mit zwei Beinen nicht noch ‘n paar vor der Nacht wegmaust, will ich keine ehrliche Kreatur sein. – Hierher! Packan! Hierher!« schrie er seinem zottigen Hunde zu, einem wolfsähnlichen Tiere, halb Bullenbeißer, halb Windspiel, der eifrig hin und her hetzte, um die widerspenstigen Grunzer seinem Herrn sammeln zu helfen. Entweder aber verstand er die Hornsignale seines Herrn nicht und wußte auch noch nicht, was ihm zu tun oblag, oder er handelte aus vorsätzlicher Böswilligkeit so, denn er trieb die Schweine nur noch mehr auseinander und machte daher das Übel nur noch ärger.

»Mag der Deibel dem Viech die Zähne ausreißen!« schimpfte Gurth. »Wamba, wenn du ‘n braver Kerl bist, so komm und hilf mir! Lauf um den Hügel rum, daß du ihnen in ‘n Rücken kommst. Wenn du ihnen die Witterung abkriegst, kannst du sie wie harmlose Lämmerkens vor dir hertreiben.«

»Weiß der Kuckuck!« sagte Wamba, ohne sich vom Flecke zu rühren, »ich habe meine Beine gefragt, wie sie drüber denken, und die meinen nu mal, daß ich meine Kleider nicht durch diese Pfützen treiben dürfe, wenn ich mich nicht geradezu versündigen will an meiner hohen Person und meiner fürstlichen Garderobe. Derowegen rat ich dir, Gurth, ruf den Packan weg und überlasse die Herde ihrem Schicksal. Ob sie nu rumziehenden Soldaten oder Räubern oder langweiligen Pilgern in die Hände fällt, es kommt doch alles auf eins raus. Eh nämlich der Tag anbricht, werden die Schweine zu deiner Freude in Normannen verwandelt sein.«

»Die Schweine in Normannen?« fragte Gurth. »Erklär mir das, Wamba, denn mein Schädel ist zu blöde und mein Gemüt zu bedrückt, als daß ich lustig genug wär, um Rätsel zu knacken.«

»Wie nennst du das grunzende Viechzeug, das sich auf vier Beinen rumtreibt?« fragte Wamba.

»Schweine, Narr, Schweine,« sagte der Hirt, »das weiß jeder Narr.«

»Und Schwein ist ‘n gut sächsisch Wort,« sagte der Hausnarr. »Aber wie nennst du die Sau, wenn sie ausgeweidet, abgesengt und aufgehängt ist wie ‘n Hochverräter?«

»Porc!« versetzte der Hirt.

»Freut mich, daß auch das jeder Narr weiß,« antwortete Wamba. »Und Porc ist gut normännisch-französisch. Wenn das Viech lebt und von nem sächsischen Leibeignen gehütet wird, dann hats seinen sächsischen Namen, aber es wird ‘n Normanne und heißt Porc, wenn es in ‘n stattliches Schloß gebracht und den edlen Herren zum Mahle aufgetischt wird. Was sagst du dazu, Freund Gurth?«

»Das hat Hand und Fuß, Freund Wamba, wenns auch der Schädel eines Narren ausgeheckt hat.«

»Noch mehr kann ich dir sagen,« fuhr Wamba im gleichen Tone fort. »Da ist der ehrliche Aldermann Ochs, der behält auch seinen sächsischen Namen, solang er von Knechten und Leibeigenen bewacht wird, aber sobald er vor die hochgeehrten Kinnladen kommt, die allein auf Erden dazu da sind, ihn aufzuessen, dann wird er sogleich ‘n stolzer, eleganter Franzose und nennt sich Boeuf. Und das gute Bürschchen Kalb wird auf diese Weise Monsieur de vaux. Solang es unter Aufsicht ist, bleibts ein Sachse, und sobalds eine Sache des Genusses wird, ist ‘n Normanne draus geworden.«

»Beim heiligen Dunstan!« entgegnete Gurth. »Was du da sagst, ist leider alles wahr. Nicht viel mehr ist uns gelassen, als die Luft, die wir atmen, und auch die scheinen sie uns nur ungern zu gönnen und nur deshalb zu lassen, damit wir die Lasten tragen können, die sie unserm Buckel aufgebürdet haben. Das Leckerste und das Fetteste ist für ihre Tafel, und das Hübscheste für ihr Bett, die Tüchtigsten müssen als Soldaten unter die fremde Herrschaft, in fernen Landen bleichen ihre Knochen und nur wenig bleiben übrig, die die Macht hätten und willens wären, die unglücklichen Sachsen zu beschützen. Gott segne unsern Herrn Cedric! der hat gehandelt wie ‘n Mann, der in die Bresche springen will; aber Reginald Front-de-Boeuf durchzieht selbst das Land, und wir werden ja sehen, wie wenig alle Sorge und Mühe Cedrics helfen wird. – Hierher, hierher!« rief er, wieder die Stimme erhebend. »Halloh, halloh! wacker, Packan! Nu hast du sie alle beisammen und treibst sie weiter vor dir her!«

»Gurth,« sagte der Narr, »du hältst mich für ‘n ganz dummen Kerl, sonst tätest du nicht so leichthin deinen Kopf zwischen meine Zähne stecken. Ich brauchte Reginald Front-de-Boeuf oder Philipp von Malvoisin nur ein Wort zu sagen, daß du verräterische Pläne gegen die Normannen geäußert hättest, und du bist deiner Würde als Schweinehirt entsetzt und wirst bald an einem dieser Bäume hängen zum abschreckenden Exempel für alle, die über hohe Herren übles Gerede führen.«

»Du Hund du!« knurrte Gurth. »Du wirst mich doch nicht verraten, nachdem du mich erst dazu verleitet hast, so zu reden?«

»Dich verraten!« antwortete der Narr. »Gott bewahre! Das wär nur was für einen gescheiten Menschen, ein Narr weiß nicht, wie er das anzufangen hätte. Doch still! wer ist das?« setzte er hinzu, indem er auf die Hufschläge von Pferden hörte, die deutlich zu vernehmen waren.

»Mir einerlei,« erwiderte Gurth, der jetzt seine Herde, von seinem Hunde unterstützt, durch einen Baumgang vor sich hertrieb, in dem es schon dunkel geworden war.

»Ich will aber die Reiter sehen,« sagte Wamba, »am Ende sind sie aus dem Feenlande und bringen Botschaft von Oberon.«

»Hol dich der Henker!« rief der Schweinehirt. »Wie kannst du nur solch Unsinn schwatzen, wo wenig Meilen von hier ‘n fürchterliches Unwetter mit Blitz und Donner niederprasselt. Hör nur, wie der Donner rollt! Nie sah ich bei nem Sommerregen so dicke Tropfen schnurgerade runterfallen. Hier ist zwar noch alles still, aber schon rauschen die alten Eichen vorm Sturm, und in ihren Ästen stöhnts und knackts. Beiß du den Furchtlosen raus, wenn du Lust hast, aber hör diesmal auf mich und laß uns heimgehen, ehs Gewitter losbricht. Das wird ne entsetzliche Nacht!«

Wamba entzog sich dieser Mahnung nicht und folgte seinem Gefährten, der einen Stock vom Rasen aufgehoben hatte, nun wacker durch die Lichtung fürbaß schritt und die ganze Herde, die einen höchst unmelodischen Lärm machte, mit Hilfe seines Hundes vor sich hertrieb.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Allen Aufforderungen und Scheltworten seines Gefährten zum Trotz, konnte Wamba nicht umhin, alle Augenblicke auf der Straße stehen zu bleiben, weil das Pferdegetrappel immer näher kam. Bald riß er von einem Haselstrauch ein paar halbreife Haselnüsse ab, bald sah er einem Bauernmädchen nach, das seinen Weg kreuzte. Die beiden wurden daher bald von den Pferden und Reitern eingeholt.

Es waren zehn an der Zahl. Die zwei, die vorweg ritten, schienen hervorragende Personen zu sein, während die anderen wohl das Gefolge bildeten. Es war nicht schwierig, Charakter und Beruf des einen von diesen beiden Männern zu erkennen. Er war ohne Zweifel ein Geistlicher von hohem Range[2q]. Er trug die Gewandung eines Cisterziensermönch[3]es, nur aus feinerem Stoff, als es die Ordensregel erlaubt. Kutte und Kappe waren aus bestem Flamänder Tuch und fielen in weiten geschmackvollen Falten um seine hübsche, obwohl etwas beleibte Gestalt. Wie in dieser seiner Art, sich zu kleiden, keinerlei Verschmähung weltlichen Glanzes lag, so zeigte auch sein Gesicht keinen Zug der Selbstverleugnung. Seine Physiognomie hätte man anheimelnd nennen können, wenn nicht ein epikuräisches Blinzeln, das unter dem gesenkten Lide schlummerte, den versteckten Wollüstling verraten hätte. Außerdem hatte er sich in seinem Amt und dank seinen Verhältnissen eine strenge Herrschaft über seine Züge zu eigen gemacht, und er konnte nach Belieben zu jeder Zeit eine feierliche Miene aufsetzen, obgleich der natürliche Ausdruck seines Gesichtes gutgelaunte, gemütliche Gleichgültigkeit und Duldsamkeit war. Den Ordensbestimmungen und den Edikten der Päpste und Konzilien entgegen, waren die Ärmel seines Talars mit kostbarem Pelz besetzt und gefüttert, den Mantel hielt am Halse ein prachtvolles Schloß fest, und seine ganze Ordenstracht war verfeinert und ausgeschmückt. Dieser würdige Diener der Kirche ritt auf einem wohlgenährten Maultier, dessen Zaumzeug schön und reich verziert war; der Zaum selber war nach damaligem Brauch mit silbernen Glöckchen besetzt. Er saß nicht mit der Unbeholfenheit eines Klosterbruders, sondern mit der Haltung eines geübten Reiters im Sattel. Allerdings schien er den gutmütigen und gutzugerittenen Maulesel auch nur auf der Landstraße zu benutzen. Ein Laienbruder seines Gefolges führte für andere Gelegenheiten einen schönen spanischen Hengst bei sich, wie sie damals nur mit großen Schwierigkeiten und Gefahren für Personen von Rang und Reichtum von Händlern nach England gebracht wurden. Sattel und Schabracke dieses prächtigen Zelters waren mit einem langen Teppich bedeckt, der bis auf die Erde herabhing und mit Bischofskronen, Kreuzen und anderen kirchlichen Zeichen reich bestickt war. Ein anderer Laienbruder führte ein Saumtier, das wahrscheinlich das Gepäck trug, und zwei Mönche von demselben Orden, doch von niedrigerer Klasse, ritten hinter ihm drein, miteinander scherzend und lachend, und bekümmerten sich nicht im mindesten um die anderen Mitglieder des Reiterzuges.

Der Gefährte des Prälaten war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, schlank und hager, aber dabei stark und muskulös und von athletischem Wuchs. Langjährige Strapazen und unausgesetzte Bewegung hatten ihm alle Zartheit genommen, und er schien nur noch aus Knochen, Adern und Sehnen zu bestehen. Auf dem Kopfe trug er eine scharlachene, mit Pelz verbrämte Mütze, die sein Gesicht ganz frei ließ. Der Ausdruck dieses Gesichts war dazu angetan, zwar nicht Furcht, doch Achtung einzuflößen. Erhabene, von Natur stolze und gewaltige Züge waren von der Sonne der Tropen fast bis zur Farbe eines Negers gebräunt worden und schienen nach dem vorübergebrausten Sturm wilder Leidenschaften im Zustande der Ruhe zu schlummern. Doch die stark hervortretenden Stirnadern und das heftige und ungestüme Zucken der Oberlippe mit ihrem starken, dunkeln Stutzbart, das sich bei der geringsten Erregung bemerkbar machte, ließen vermuten, daß ein Sturm nur zu leicht zu erwecken war. Die kühnen, durchdringenden Augen des Mannes verrieten bei jedem Blick die Geschichte überstandener Mühseligkeiten und Gefahren und schienen zum Widerstand herauszufordern, ganz als hätte der Mann sein Vergnügen daran, den Mut zu üben und was er wollte, mit eisernem Willen durchzusetzen. Eine tiefe Narbe an der Stirn erhöhte noch das ernste Gepräge seines Antlitzes, wozu auch der ein wenig beeinträchtigte Ausdruck des einen Auges beitrug, das bei Entstehung jener Narbe gleichfalls ein wenig beschädigt worden war, nun zwar völlig gesund, aber einen schiefen Blick behalten hatte.

Das obere Gewand dieses Mannes war dem seines Gefährten ähnlich: es war ein langer Klostermantel, aber an der scharlachroten Farbe war zu erkennen, daß der Träger zu keinem der vier rechtmäßigen Mönchsorden gehörte. Die rechte Achselseite des Mantels trug ein aufgeheftetes Kreuz von ungewöhnlicher Gestalt. Das Oberkleid verhüllte etwas, was auf den ersten Anblick nicht zu ihm zu passen schien: ein Panzerhemd mit Ärmeln und Handschuhen, das auf sinnreiche Weise so gearbeitet und gewebt war, daß es den Bewegungen des Körpers so schmiegsam folgte, wie jene auf dem Webstuhl aus weicherem Stoff gefertigten Hemden. Auch die obere Seite seiner Schenkel, soweit sie der Mantel sehen ließ, war mit Metallplatten bedeckt. Dünne künstlich zusammengefügte Stahlschienen schützten Knie und Füße. Ein Strumpf aus Metallschuppen reichte vom Knöchel bis zum Knie und vervollkommnete die Rüstung des Reiters. Die einzige Verteidigungswaffe, die er hatte, war ein langer, zweischneidiger Dolch, den er im Gürtel trug. Er ritt kein Maultier wie sein Gefährte, sondern einen handfesten Klepper, um sein edles Streitroß zu schonen, das ihm ein bis an die Zähne bewaffneter Knappe nachführte. Dieser trug vor dem Kopfe eine Schutzplatte, an der ein kleiner Stachel saß. An der einen Seite seines Sattels hing eine kurze, reich damaszierte Streitaxt, an der anderen Seite des Reiters Helm mit Sturmhaube und ein langes Schwert mit zwei Griffen, wie es die Ritter zur damaligen Zeit zu tragen pflegten. Ein zweiter Knappe trug die emporgerichtete Lanze seines Herrn, an deren Spitze ein schmaler Wimpel flatterte, auf den ein ebensolches Kreuz wie auf dem Mantel gestickt war. Dieser Knappe trug auch seines Herrn kleinen, dreieckigen Schild, der oben so breit war, daß er die ganze Brust schützte und nach unten spitz zulief. Hinter diesen Waffenträgern kamen zwei Diener, die an der dunkeln Gesichtsfarbe, an den weißen Turbanen und an ihren Gewändern als Söhne des fernen Morgenlandes kenntlich waren.

Der ganze Aufzug dieses Kriegers machte einen wilden, fremdländischen Eindruck. Seine Knappen waren prunkend gekleidet, und seine orientalischen Diener trugen silberne Halsbänder und silberne Spangen an den schwarzbraunen Armen und Beinen, die vom Ellbogen ab und vom Schenkel bis zum Knöchel nackt waren. In Seide und Stickerei prangte ihre Tracht und legte beredtes Zeugnis ab für ihres Herrn Reichtum und Ansehen, gleichzeitig in auffallendem Gegensatz stehend zu der kriegerischen Einfachheit seines eigenen Anzuges. Die Orientalen waren mit krummen Säbeln bewaffnet, deren Griffe und Scheiden mit funkelndem Golde ausgelegt waren, und hatten türkische Dolche von noch prachtvollerer Ausführung. Am Sattelknauf hatte jeder ein Bündel Pfeile oder Wurfspieße, die etwa vier Fuß lang waren und scharfe Stahlspitzen hatten. Ebenso exotisch wie die Reiter sahen die Pferde dieser Diener aus: es waren sarazenische Rosse von arabischer Abstammung. Die zarten, schlanken Glieder, die dünnen Mähnen und schmalen Hufe und der leicht tänzelnde Gang standen in starkem Gegensatze zu den starkknochigen, schweren Pferden, deren Rasse in Flandern und der Normandie gezüchtet wurde, um die Ritter der damaligen Zeit in ihrer vollen Panzerausrüstung tragen zu können.

Diese seltsame Kavalkade zog nicht allein Wambas Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch die seines schwerfälligeren Genossen. In dem Mönche erkannte er sogleich den Prior der Abtei Jorlvaux, der in der ganzen Gegend wohlbekannt war als ein Liebhaber der Jagd, der Tafelfreuden und – sofern das Gerede ihm nicht unrecht tat – noch anderer weltlicher Vergnügungen, die mit den Ordensgelübden noch weniger im Einklang standen. Über das Tun und Treiben der Geistlichkeit dachte aber die damalige Zeit so frei und locker, daß Prior Aymer trotz allem sich in der Umgegend seiner Abtei eines guten Rufes erfreute. Dank seiner Jovialität und weil er niemals irgendwelche Schwierigkeiten oder Umstände machte, wenn es galt, für alle möglichen Sünden Absolution zu erteilen, war er beim hohen Adel und vornehmen Bürgertum sehr beliebt. Da er aus vornehmem Normannenhause stammte, so war er mit manchem unter ihnen verwandt. Die Damen vor allem fällten kein allzustrenges Urteil über das Betragen eines Mannes, der ein offenkundiger Bewunderer ihres Geschlechts war und über manches Mittelchen verfügte, die Langeweile zu verscheuchen, die sich so leicht in den Hallen der alten Adelsschlösser einnistete. An den Freuden einer Jagd nahm der Prior mit wahrhaftem Eifer teil, und er stand im Rufe, die besten dressierten Falken und die flinksten Windhunde in den Provinzen des ganzen Nordens zu haben. Mit den alten Herren gab er sich anderen Lustbarkeiten hin, die er, wenn es darauf ankam, mit großer Feierlichkeit zu begleiten verstand.

Er tat viele barmherzige Werke, die eine Menge Sünden auch in anderem Sinne, als es die Schrift meint, zudeckten. Bei dieser Freigebigkeit kam es ihm zu statten, daß die Einkünfte seines Klosters zum größten Teil zu seiner freien Verfügung standen; so ließ er vieles den Bauern zukommen und half den Unterdrückten. Wenn der Prior Aymer zur Jagd ritt, wenn er lange zechte und schmauste, wenn er im morgendlichen Zwielicht von einem Schäferstündchen im Dunkeln zurückkam und durch das geheime Pförtchen der Abtei schlich, so zuckten die Leute die Achseln und dachten: manche seiner Brüder trieben es ja nicht anders und machten dabei nicht einmal ihre Fehltritte durch Wohltaten wieder gut. Prior Aymer war auch den sächsischen Leibeigenen bekannt, sie grüßten ihn ehrfurchtsvoll und erhielten zum Gegengruß sein Benedicite mes fils!

Verwundert über den absonderlichen Reiterzug, vermochten sie kaum Antwort zu geben auf die Frage des Priors von Jorlvaux, ob in der Nähe eine Herberge zu finden sei, so groß war ihr Erstaunen über die halb mönchische, halb kriegerische Erscheinung des bräunlichen Fremdlings und die seltsame Tracht seines orientalischen Gefolges.

»Ich frage euch, meine Kinder,« wiederholte der Prior seine Frage, diesmal in der Lingua Franca[4], jenem Mischdialekt, in dem sich die Normannen und Sachsen untereinander verständigten, »ist hier in der Nähe irgendein wackerer Mann, der um Gotteswillen und aus Ergebenheit zu der Kirche, unserer Alma Mater, zweien ihrer demütigsten Diener mitsamt ihrem Gefolge für eine Nacht Obdach und Speise gewähren könnte?«

»Zwei der demütigsten Diener der Allmutter Kirche!« brummte Wamba vor sich hin, aber obwohl er nur ein Narr war, hütete er sich doch, es laut zu sagen. »Da möchte ich doch gar erst mal ihre höheren Diener zu sehen bekommen!« Nachdem er bei sich selbst die Betrachtung über die Worte des Priors angestellt hatte, sah er auf und beantwortete die an ihn gerichtete Frage: »Sofern die verehrten Väter eine reiche Tafel und ein weiches Bett lieben, so liegt ein paar Meilen von hier das Priorat Brinxworth, wo die ehrwürdigen Herren ihrem Stande entsprechend die ehrenvollste Aufnahme finden werden. Sofern es ihnen aber nicht darauf ankommt, einen Abend auch mal in geringerer Üppigkeit hinzubringen, so brauchen sie nur dort die Lichtung hinabzureiten. Da geht es nach der Einsiedelei Copmanhurst, wo ein gottesfürchtiger Anachoret haust, der gern sein Dach und seine Andacht in dieser Nacht mit ihnen teilen wird.«

Auf beide Vorschläge hatte der Prior nur ein Kopfschütteln. »Guter Freund,« sagte er, »das Schellengeklingel hat dir den Verstand verwirrt, sonst müßtest du wissen: Clericus clericum non decimat, das heißt, wir Geistliche nehmen nicht gern unter uns die Gastfreundschaft in Anspruch, sondern wir lassen uns lieber von Laien bewirten und geben ihnen dadurch zugleich eine Gelegenheit, Gott zu dienen, indem sie seine treuen Diener ehren und laben.«

»Wahrhaftig,« entgegnete Wamba, »obwohl ich nur ein Esel bin, so hab ich doch wie Euer Hochwürden Maultier die Ehre, Schellen zu tragen. Aber doch ist es mir nicht ganz begreiflich, weshalb die Wohltätigkeit gegen die Kirche und ihre Diener nicht wie andere Wohltätigkeiten bei sich selbst den Anfang machen sollte.«

»Halts Maul, dreister Lümmel,« unterbrach der bewaffnete Reiter mit rauher, mächtiger Stimme Wambas Geschwätz, »sag uns den Weg zu – wie heißt doch gleich Euer Franklin, Prior Aymer?«

»Cedric,« antwortete der Prior, »Cedric, der Sachse. Sag mir, guter Freund, sind wir nicht mehr weit von seinem Hause und wo führt der Weg dahin?«

»Der Weg ist schwer zu finden,« sagte Gurth, jetzt zum erstenmal den Mund öffnend, »auch geht Cedrics Hausstand früh zur Ruhe.«

»Verschone mich mit solchem Gerede, Kerl,« sagte der berittene Kriegsmann, »sie sind leicht wieder auf die Beine zu bringen, daß sie Reisende wie wir aufnehmen, denn wir haben keine Lust, um Gastfreundschaft zu betteln, wo wir befehlen können.«

»Ich weiß nicht,« sagte Gurth finster, »ob ich den Weg zum Hause meines Herrn solchen Leuten zeigen darf, die das Obdach, um das sonst jedermann als eine Gunst bittet, als ihr Recht betrachten.«

»Keinen Widerspruch, Sklave!« rief der Krieger, gab seinem Pferde die Sporen und ließ es eine halbe Wendung über den Pfad hinüber machen. Gleichzeitig schwang er die Reitgerte, um den Bauern für seine Frechheit zu züchtigen.

Gurth schleuderte ihm einen wilden rachsüchtigen Blick zu und legte mit stolzer, doch zaudernder Geberde die Faust an den Griff seines Messers. Prior Aymer aber lenkte rasch sein Maultier zwischen seinen Gefährten und den Schweinehirten und beugte so der drohenden Gefahr vor, daß es zu Gewalttätigkeiten käme.

»Bei der heiligen Maria, Bruder Brian,« rief er, »Ihr müßt nicht denken, Ihr wäret hier in Palästina und gebötet über Heiden, Türken oder ungläubige Sarazenen! Wir Inselbewohner nehmen nicht gern Schläge hin, außer denen, die die heilige Kirche erteilt, die die züchtiget, die sie liebt. – Sage mir, guter Freund,« wandte er sich an Wamba, indem er ihm eine kleine Silbermünze in die Hand drückte, »wo geht der Weg zu Cedric, dem Sachsen? Gewiß weißt du’s, und es wäre deine Pflicht, Wanderern den Weg zu weisen, selbst wenn sie nicht von so heiligem Stande wären wie wir.«

»Wahrhaftig, ehrwürdiger Vater,« antwortete Wamba, »Euer hochwürdiger Gefährte hat mir mit seinem Sarazenengrimm einen solchen Schreck eingejagt, daß ich selber gar nicht mehr weiß, wo es nach Hause geht.«

»Schweig,« sagte der Abt, »wenn du willst, kannst du uns den Weg zeigen. Dieser hochwürdige Bruder hat sein Lebelang mit den Sarazenen um das heilige Grab gekämpft, er ist vom Orden der Tempelherren, von dem du gewiß schon gehört hast, er ist halb Mönch, halb Soldat.«

»Na denn,« beschied ihn Wamba, »Euer Hochwürden muß auf diesem Pfad weiterreiten. Dann kommt Ihr an ein verfallenes Kreuz, das kaum einen Fuß hoch über den Boden wegsieht. Dann biegt Ihr nach links ein, denn an dem verfallenen Kreuz treffen vier Wege zusammen. Und dann glaub ich bestimmt, daß Euer Hochwürden unter Dach und Fach sein wird, eh’s Wetter losbricht.«

Der Abt dankte für den guten Bescheid, und die Kavalkade ritt, die Pferde anspornend, ihres Weges. Man merkte es ihnen an, daß sie es eilig hatten, in die Herberge zu kommen. Und als die Hufschläge ihrer Pferde verklungen waren, sagte Gurth zu seinem Gefährten:

»Wenn sie sich nach deiner klugen Weisung richten, werden sie schwerlich vor Einbruch der Nacht nach Rotherwood kommen.«

»Freilich,« schmunzelte der Narr, »aber wenn sie Glück haben, kommen sie vielleicht nach Sheffield, und da passen sie ja hin. Ich bin kein solcher Pfuscher im edeln Weidwerk, daß ich dem Hunde zeige, wo das Wild liegt, wenn ich nicht will, daß er es jagen soll.«

»Da hast du recht,« meinte Gurth, »es wär nicht gut, wenn Aymer die Lady Rowena zu sehen bekäme, und noch schlimmer wär’s, wenn Cedric mit diesem kriegerischen Mönch in Streit geriete, und das könnte doch sehr leicht geschehen, aber wir wollen, wie es guten Dienern ziemt, Augen und Ohren auf und das Maul zu haben.«

Die Reiter, die bald die Leibeigenen weit hinter sich gelassen hatten, unterhielten sich jetzt wieder in der normännisch-französischen Sprache.

»Jedes Land hat seine eigenen Sitten,« sagte Prior Aymer, »und wenn ich Euch jetzt den Burschen hätte prügeln lassen, so hätten wir erstens keinen Bescheid bekommen, wo es nach Cedrics Hause geht, und zweitens hätte dann Cedric Rechenschaft von Euch verlangt. Denkt daran, ich habe Euch gleich gesagt, dieser reiche Franklin ist stolz, wild, reizbar und mißtrauisch. Er behauptet die Vorrechte seines Stammes mit solcher Kühnheit und ist so stolz darauf, unmittelbar von Hereward, einem berühmten Kämpfer der Heptarchie abzustammen, daß er allgemein Cedric der Sachse heißt. Für ihn ist es eine Freude, ein Mann dieses Volkes zu sein, während andere ihre Abkunft gern verleugnen, weil sie befürchten, einen Teil des Vae Victis oder die Lasten der Besiegten tragen zu müssen.«

»Prior Aymer,« sagte der Templer, »Ihr seid ein galanter Herr und im Studium weiblicher Schönheit wohl erfahren, aber diese vielgerühmte Rowena muß ich mir sehr schön vorstellen, wenn mich ihr Anblick für die Selbstverleugnung und Geduld entschädigen soll, die ich aufwenden muß, um einen so rebellischen Flegel, wie Ihr mir ihren Vater Cedric beschreibt, um den Bart zu gehen.«