Jedes Leben birgt einen Schatz - Margitta Rosenbaum - E-Book

Jedes Leben birgt einen Schatz E-Book

Margitta Rosenbaum

4,8

Beschreibung

Die 20 Frauen, von denen Margitta Rosenbaum erzählt, haben eines gemeinsam: Alle befanden sich in einer schwierigen Situation, wo ihnen ein dicker "Stein" im Weg lag. Alle bangten um die Zukunft. Aber dann erlebten sie, wie aus diesem "Stein" etwas Wundervolles wurde. Wie Freude und Glück wieder in ihr Leben kamen. Ein Buch voller Hoffnungsgeschichten.

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Margitta Rosenbaum

Jedes Leben birgt einen Schatz

Margitta Rosenbaum

Jedes Leben birgt einen Schatz

20 Frauen – 20 Geschichten

Die Geschichte „Die Berufung“ beruht u.a. auf Informationen aus dem Buch von Sr. Gisela Nowak: „Auf der Schwelle – zwischen Vergangenheit und Zukunft“, Verlag Rockstroh, Aue 2006

© 2011 Brunnen Verlag Gießen

www.brunnen-verlag.de

Umschlagfoto: Corbis Düsseldorf

Umschlaggestaltung: Sabine Schweda

Satz: DTP Brunnen

Druck: CPI – Ebner und Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-7655-4120-9

Inhalt

Verschlungene Wege (Susanne Bönsch)7

Ein Traum geht in Erfüllung (Ilse Lenhard)21

Überzeugt vom Sozialismus (Ilona)33

Eine kostbare Gabe (Astrid Kehl)43

„Denen werden alle Dinge zum Besten dienen“ (Yola Entz)53

Bis die Sehnsucht ein Zuhause fand(Christiane Jenatschke) 63

Was dein Herz wünscht (Barbara Puhl)74

Den eigenen Platz finden (Alexandra Depuhl)84

Wenn aus Bösem Gutes wird (Elfie)95

Das Expresspaket (Brigitte Stabe)109

Gott in Luxemburg (Viki)119

„Mütter in Kontakt“ (Conny)130

Zum Segen für andere (Maria)138

Reich an Erfahrungen (Christa Sickinger)149

Lieder des Lebens (Petra Halfmann)162

Nichts ist Zufall (Ruth Schmid)172

Die Berufung (Sr. Gisela Nowack)182

Die Kraft der Vergebung (Lydia)191

Ein neues Leben ohne Fassade (Christine)204

Ein Schatz (Sr. Traude Pilz)214

Verschlungene Wege

Die Eltern, zwei Kinder, ein großer Hund – alles sieht auf den ersten Blick aus wie bei einer ganz normalen Familie. Susanne Bönsch arbeitet als Lehrerin an einer evangelischen Schule. Alles wirkt so selbstverständlich. Es ist kaum zu glauben, dass Susannes Leben früher ganz anders aussah. Den Traum von einer Familie hatte sie längst aufgegeben.

Sie studierte Deutsch und Englisch fürs Gymnasium, doch als sie fertig war, wurden keine Lehrer eingestellt. So ging sie aufs Arbeitsamt und landete in einer Werbeagentur in Stuttgart. Ihr Chef war begeistert von ihr, und aus einer engen Zusammenarbeit wurde die große Liebe. Wolfgang war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Vom Christsein wollte er nichts wissen. Susanne hatte sich auf einer christlichen Freizeit für ein Leben mit Jesus entschieden und war in der Gemeinde aktiv gewesen. Doch während des Studiums hatte sie das alles hinter sich gelassen.

Wolfgang und sie waren aber ständig auf der Suche. Die Esoterik hatte es ihnen angetan. Sie besuchten Tagungen, doch sie hatten den Eindruck, nie wirklich anzukommen. „Der Hammer war für mich“, so sagt Susanne, „als ich mitbekam, dass Wolfgang keine Kinder bekommen konnte. Er hatte sich auf Wunsch seiner zweiten Frau sterilisieren lassen. Es war immer mein Wunsch, Kinder zu haben. Aber wir waren sehr verliebt und hatten viel zu tun.“

Eines Tages, als die beiden zu Hause auf der Terrasse saßen, griff Wolfgang wahllos zu einem Buch, das ihm seine Schwester geschenkt hatte. Es war gerade nichts anderes zum Lesen da. Das Buch trug den Titel: „Ich suchte die neue Zeit und fand Gott.“ Da schrieb der Geschäftsführer eines Industrieverbandes, Karl-Heinz Walper, wie er durch das Lesen einer Gideonbibel in der Kur und durch anschließende Besuche bei Veranstaltungen christlicher Geschäftsleute zu Gott gefunden hatte. Und vor allem entlarvte er die Esoterik und behauptete, damit würden die Leute hinters Licht geführt und es gebe nur einen einzigen Weg zu Gott, nämlich Jesus Christus.

Susanne und Wolfgang fielen von einer Entrüstung in die nächste. Wolfgang sagte: „Überhaupt, das soll mir einer mal zeigen, wie das geht: Christ und Geschäftsmann.“

Er war so empört, dass er sich mit dem Autor in Verbindung setzte. Einige Wochen später saßen die beiden auf Vermittlung des Autors dann im Esszimmer eines Stuttgarter Topmanagers und seiner Frau. Das Ehepaar erzählte mit großer Offenheit darüber, wie sich ihr Leben geändert hatte, nachdem sie Christen geworden waren. Es war ein wunderbarer Abend mit gutem Essen und Wein, ja sogar Zigarren wurden angezündet.

Als der Mann dann noch davon sprach, wie er früher seine Frau betrogen hatte, da kam das Bild vom Christsein bei Susanne und Wolfgang völlig ins Wanken. Eine derart herzliche und entwaffnende Offenheit bei einer ersten Begegnung war ihnen im Business noch nie zuvor widerfahren.

Kurz darauf fuhren sie zu einer Tagung von christlichen Geschäftsleuten. Wolfgang bekommt noch heute Gänsehaut, wenn er davon spricht: „Obwohl ich keinen Menschen kannte und mir dieses ganze fromme ,Getue‘ völlig fremd war, war da ein total starkes und klares Gefühl wie: Wolfgang, du bist nach Hause gekommen!“

Es folgte ein Glaubenskurs, bei dem das Paar alle seine Fragen stellen konnte. Der Leiter ließ sie bei jeder Frage zur Antwort die Bibel aufschlagen. Die beiden waren überwältigt. So erwachte der Glaube an Jesus bei ihnen, und das mit allen Konsequenzen. Wolfgang wurde klar, dass er seine Agentur nicht mehr so weiterführen konnte wie bisher. Konflikte mit seinen Kompagnons waren programmiert, weil er seine Ansichten grundlegend geändert hatte. Die Konsequenz war, dass er die von ihm gegründete Agentur verließ. Das bedeutete Arbeitslosigkeit und nicht zu wissen, wie es weitergehen sollte.

Susanne hatte schon vorher eine interessante und lukrative Aufgabe übernommen: Sie arbeitete als persönliche Referentin eines Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium in Stuttgart. „Das war ein großer Segen. Ich habe so gut verdient, dass ich Wolfgang mit durchtragen konnte“, so sieht sie im Rückblick Gottes Wirken.

Wolfgang saß zu Hause und probierte alles Mögliche, um eine neue Arbeit zu finden. Schließlich wandte sich der damalige Jenoptik-Chef Lothar Späth an ihn, nachdem er einen Projektentwurf von Wolfgang gelesen hatte, und bat ihn nach Thüringen zu kommen. Zunächst ging es darum, ein ehemaliges Teerwerk zu sanieren und eine schlüssige Konzeption zur Folgenutzung des Areals zu entwerfen. Bald stellte sich heraus, dass es hier auf lange Zeit Arbeit für Wolfgang geben würde.

1992 hatten die beiden geheiratet. Sie hatten erkannt, dass sie als Christen nicht einfach so zusammenleben konnten. Doch nun war das Paar schon wieder getrennt. Wolfgang fuhr am Wochenende um die tausend Kilometer, um bei seiner Susanne und montags wieder pünktlich im Job sein zu können. Susanne arbeitete weiter im Wirtschaftsministerium in Stuttgart. Aber für die junge Ehe war das kein befriedigender Zustand. Das Paar suchte einen Weg, um wieder zusammenzuwohnen.

Das bedeutete, dass Susanne von Stuttgart in den wilden Osten ziehen sollte. „Ich habe mich dagegen gesperrt. Ich hatte so einen tollen Job. Es war klar, dass ich im Osten erst mal gar keine Arbeit bekommen würde. Sollte ich wirklich diesen Traumberuf aufgeben?“, erinnert sie sich.

Die Frage stand zwischen den Eheleuten, bis sie eines Tages gemeinsam einen Gottesdienst besuchten. Dort passierte etwas, was Susanne heute noch nicht wirklich in Worte fassen kann. Sie erzählt: „Die Predigt war wie für mich. Ich konnte auf dem Heimweg nicht sprechen, war wie paralysiert. Ich habe geheult, konnte es mir nicht erklären, aber mir war glasklar geworden: Susanne, du sollst in den Osten gehen, du sollst das machen.“

Am nächsten Morgen ging sie zu ihrem Chef und sagte: „Ich kündige.“

„Der hat mich angeguckt und gedacht, dass ich in die Anstalt gehöre“, erinnert sie sich. Aber ihr Entschluss stand fest. Kurz vor dem Umzug wurde noch eine Taufe in der Familie gefeiert. Die Predigt überzeugte sogar Susannes Mutter, der es gar nicht gefiel, dass ihre Tochter so weit wegzog. Der Pfarrer sprach über Abraham, der loszog, ohne zu wissen, was kommen würde. Aber er wusste, dass er mit Gottes Segen ging. „Susi, die Predigt, die war für euch. Jetzt habe ich keine Angst mehr“, sagte die Mutter.

Am Montagmorgen kam der Möbelwagen. Frohgemut wurde alles verladen und in Altenburg in Thüringen wieder ausgepackt. Da war Susanne plötzlich im Osten. Es war 1994 und die alte DDR war noch lange nicht vergessen. Alles sah trist und farblos aus. Es gab kein Telefon, um wenigstens eben mal alte Freunde zu Hause anzurufen. Da tauchte die Frage Warum? immer wieder auf. Es war deprimierend.

Susanne meldete sich auf dem Arbeitsamt. Dort machte man ihr schonungslos klar, dass es für sie keine Arbeit hier gebe. Sie sei total überqualifiziert und solle sich diese Vorstellung abschminken. So blieb ihr nur das Engagement in der Kirchgemeinde und gelegentliche Aushilfe im Büro ihres Mannes.

Eines Tages besuchte sie mit ihrem Mann und einigen Freunden ein christliches Seminar. Einer der Teilnehmer, eben jener Karl-Heinz Walper, der mit seinem Buch bei Wolfgang die Initialzündung ausgelöst hatte, war mit dabei. Mitten im Seminar unterbrach er den Leiter mit den Worten: „Susanne, ich habe den Eindruck, ich soll dir etwas sagen. Ich soll dir sagen, dein größter Wunsch wird erfüllt werden.“

Darauf war Susanne gar nicht vorbereitet. Verdutzt fragte sie zurück: „Ja, was denn?“

„Du wirst ein Kind haben“, war die kurze Antwort, die aber nichts als Fragen aufwarf.

„Wie soll das gehen? Mit Wolfgang kann ich kein Kind haben.“ Wolfgang hatte sich schon bei einem Spezialisten vorgestellt, aber es gab an dieser Diagnose nichts zu rütteln. Die Sterilisation war nicht rückgängig zu machen, das war sozusagen amtlich. Beim Seminar wurde noch dafür gebetet, damit hatte sich die Sache erledigt.

Zu Hause gab es bald den nächsten Anstoß. Bei einem Hauskreistreffen kam eine kleine Diakonisse auf Wolfgang zu. Sie sagte ganz selbstverständlich: „Ich weiß, ihr sollt ein Kind haben.“

Sie bekam natürlich die gleiche Antwort: „Du weißt, dass es nicht geht.“

Darauf entgegnete die ältere Schwester: „Man kann auch ein Kind adoptieren.“

Damit nicht genug. Wenig später kamen Freunde zu Besuch. Ohne von all dem zu wissen, sagte die Freundin: „Susanne, wenn ich dich anschaue, dann denke ich, du bist schwanger.“

Und wieder hatte Susanne die gleiche Antwort: „Du weißt, dass das nicht geht.“

Nachdem sogar ein Mann, den sie gar nicht kannte, zu Susanne gesagt hatte: „Ach, Frau Bönsch, sind Sie schwanger?“, wurde es zu viel. Es war im März, als sie beschloss, dass es nun reichte. Sie konnte das Thema nicht mehr übergehen. Also informierte sie sich, wie eine Adoption ging. Auf dem Jugendamt sagte man ihr, dass es mindestens ein Jahr dauerte, bis man ein Kind adoptieren konnte. Zahlreiche Unterlagen wie ein polizeiliches Führungszeugnis, Gesundheitsprüfungen und andere Nachweise mussten eingereicht werden. Dann sollte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes das Paar besuchen und alle Umstände prüfen. Aber das konnte länger dauern, bis die überhaupt dafür Zeit hatte.

Erstaunlicherweise meldete sie sich aber bald zum Besuch an. Ein anderer Termin war – rein zufällig? – ausgefallen. Während des Gesprächs schaute sich die Frau vom Jugendamt in der Wohnung um. Sie entdeckte, dass da ein Kreuz und Bibelsprüche an der Wand hingen, und wurde stutzig. „Sind Sie Christen?“, fragte sie und redete weiter: „Ach, wenn Sie Christen sind, dann würden Sie doch auch ein behindertes Kind nehmen, oder?“

Darauf waren Susanne und Wolfgang nicht gefasst. Natürlich hatten sie sich nicht vorgestellt, dass sie irgendwo die Kinder ansehen und sich dann das blonde, blauäugige aussuchen könnten. Aber ein behindertes Kind? Sie sollten sich das Kind zunächst einmal nur ansehen, meinte die Sozialarbeiterin.

Dann ging alles ganz schnell. Das Ehepaar hatte seinen Urlaub mit Freunden auf Gran Canaria geplant. Noch am Morgen vor dem Abflug sollten sie aufs Jugendamt kommen und sich Manuel ansehen. Der kleine Junge war gerade zwei Jahre alt geworden und hatte eine schlimme Vergangenheit. Seine Geschichte war durch die Medien gegangen. Die Mutter hatte ihn als Baby misshandelt. Mit schwersten Verletzungen war er ins Krankenhaus gekommen, wo die Ärzte nur eine Notversorgung vornahmen, weil alles so aussichtslos war. Niemand rechnete damit, dass der kleine Kerl das überlebte. Neben zahlreichen Knochenbrüchen machte ihm vor allem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu schaffen. Sein Kopf war so groß wie ein Wasserkopf, aber es war alles Blut. Das Blut musste abgeleitet werden. Damals waren die Ärzte wohl noch der Auffassung, dass ein Säugling kein Schmerzempfinden habe. Er musste bei den Behandlungen furchtbar gelitten haben.

Dieses Kind würde niemals laufen und sprechen lernen, davon waren die Fachleute überzeugt, ein schwerstbehindertes Kind, für immer ein Pflegefall. Die Mutter kam in den Justizvollzug. Sie sprach nie aus, was mit dem Jungen passiert war. Seine Verletzungen ließen darauf schließen, dass sie ihn an den Füßen gepackt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert hatte.

Wer sollte sich um das Kind kümmern? Eine Kinderärztin, Frau Dr. Weber aus Altenburg, hatte sich spontan bei den Behörden gemeldet. Als Manuel die Intensivstation verlassen konnte, nahm ihn die alleinstehende Frau auf. Sie war Fachfrau, setzte Therapien an und forderte das Kind bis an seine Grenzen. Dreimal in der Woche ging sie mit ihm zur Physiotherapie und machte möglich, was nur möglich war. Die Sache hatte nur einen Haken: Diese Pflegemutter war bereits sechzig Jahre alt. Auf Dauer konnte sie sich nicht um Manuel kümmern. Darum wurden dringend Pflegeeltern gesucht.

So kam es, dass Susanne und Wolfgang sich kurz vor ihrem Urlaub auf dem Jugendamt einfanden. Dort saß die Kinderärztin und auf dem Fußboden robbte ein zweijähriges Kind und gab unkontrollierte Laute von sich. „Er war einfach nur süß“, sagt Susanne heute. Die Pflegemutter nahm Manuel hoch und drückte ihn Wolfgang in den Arm. Die beiden sahen sich an. Wolfgang sagt heute: „In meinem Kopf klang ein Lied von einer christlichen Gruppe: ,Sohn, du bist mein Schatz‘.“ Das Ehepaar bekam noch ein paar Fotos in die Hand und dann war das erste Treffen beendet.

Nach zwei Wochen sollten sie sich wieder melden. „Wir sind ins Auto gestiegen und haben uns angeguckt. Wir brauchten nicht mehr reden. Es war klar“, schildert Susanne, wie es weiterging. Auch während des Urlaubs sagten die Freunde: „Was redet ihr überhaupt noch, das ist doch alles klar.“

Kaum waren Susanne und Wolfgang vom Urlaub zurück, da schellte das Telefon. Am anderen Ende war Frau Dr. Weber, die Kinderärztin. In ihrer beherzten Art fragte sie: „Na, wie haben Sie sich entschieden?“ Die Antwort wunderte sie nicht. „Das habe ich gewusst. Wann kommen Sie und holen ihn ab?“

Damit hatte Susanne nicht gerechnet. Doch Frau Weber hatte Pläne. Sie wollte zum Kirchentag fahren, da musste Manuel untergebracht werden. So kam Manuel zunächst übers Wochenende zu seinen neuen Eltern. Und dann ging es holterdiepolter! und Susanne hatte plötzlich ein Kind. Nur zwei oder drei Tage kam Manuel noch mal zurück zu seiner ersten Pflegemutter. Dann war alles geklärt und sein Zimmer hergerichtet. „Am 15. Juni war er bei uns. Nach gerade mal sechs Wochen hatten wir ein Kind“, staunt Susanne heute noch.

Manuel stellte das Leben auf den Kopf. Nun musste umdisponiert werden. Manches wurde neu geplant. Freunde und Familie wurden über den Familienzuwachs informiert. Wolfgang rief einen Freund an und erzählte von Manuel. Der Freund begann laut zu lachen. Das irritierte Wolfgang und er fragte nach. „Weißt du noch, wann wir bei dem Seminar waren, als Karl-Heinz euch das von dem Kind gesagt hat?“, entgegnete sein Freund. Das war am 15. September. Es war auf den Tag genau neun Monate her. So etwas gibt’s doch nicht, dachten die jungen Eltern. „Gott hat wirklich Humor“, sagen Bönschs heute. Die Tatsache, dass es auf den Tag genau neun Monate gedauert hatte, war für Susanne die klare Bestätigung für die Entscheidung zur Adoption.

Zudem ist der von der leiblichen, nicht christlichen Mutter gegebene Name Manuel ja die Abkürzung des hebräischen „Immanuel“, was „Gott ist mit uns“ heißt.

Ja, manchmal hatte sich Susanne in den vergangenen Wochen doch sehr gedrängt gefühlt. Gerade auf jenem Seminar hatten sie gelernt, dass Hektik und Stress nicht von Gott kommen. War es richtig, dass jetzt alles so schnell ging?

Die Feststellung, dass es neun Monate gedauert hatte, machte das Ehepaar seiner Sache aber ganz sicher. „Jetzt war für mich klar, warum ich hierher in den Osten kommen musste. Gott hatte uns für dieses Kind vorgesehen. Er hat durch andere Menschen zu uns gesprochen. Es könnte sogar sein, dass ich diese entscheidende Predigt an seinem Geburtstag gehört habe“, so sieht es Susanne heute. Aber sie sagt auch: „Gott sei Dank, dass wir uns nicht so viele Gedanken gemacht haben. Wenn man sich das genau überlegt hätte: Was sollte mit der Zeit aus Manuel werden?! Er war schwer behindert.“

Es folgte tatsächlich eine anstrengende Zeit für Susanne, aber auch eine Zeit, in der sie noch oft über Gottes Wirken staunte. Es war schon ein Wunder, dass Manuel mit zwei Jahren doch das Krabbeln gelernt hatte. Eigentlich robbte er. Er bewegte die Hände vorwärts und zog die Beine hinterher. Anscheinend hatte er bei Frau Weber auch viel mit Musik erlebt, denn schon bald konnte er Melodien vor sich hin summen.

Eigentlich wollten sich die neuen Eltern langsam an ihre Aufgabe gewöhnen. Susanne wollte die Therapien kennenlernen, mitgehen und zuschauen. Doch Frau Weber sah das anders. „Papperlapapp“, sagte die zupackende Frau zu Wolfgang, „Ihre Frau bekommt den Dienstplan. Ich will nächste Woche auf den Kirchentag.“ Und Gott ebnete die Bahn. Völlig unerwartet meldete sich auf den Tag genau ein junger Mann, um als Praktikant Susannes Aufgaben im Büro zu übernehmen.

Susanne war nun voll beschäftigt. Sie übernahm das Programm von Frau Weber. Es machte ihr Freude, sich um den Kleinen zu kümmern. Schon bald hatte er sich an seine Mama gewöhnt und weinte, wenn sie länger wegmusste. Er entwickelte sich erstaunlich gut und krabbelte munter durch die Wohnung. Mit einem speziellen Gestell konnte er sich aufrecht fortbewegen. Besonders das Essen blieb aber lange Zeit problematisch. Das Kind hatte Probleme beim Schlucken. „Oft kam da mehr raus, als reinging“, entsinnt sich Susanne, die viel Geduld brauchte, bis es klappte. Dann begann er sich an den Schränken hochzuziehen, hangelte von einem Schrankgriff zum anderen.

Immer wieder waren Untersuchungen nötig. Regelmäßig mussten Mama und Kind nach Leipzig in die Uniklinik. Die Ärzte staunten. „Wenn ich ihn nicht selbst geröntgt hätte, dann würde ich nicht glauben, dass es der Junge ist, den wir früher hierhatten“, meinte ein Professor. Der Arzt, der Manuel in die Klinik eingewiesen hatte, verlor seine Wette. Er hatte mit der Kinderärztin gewettet, dass ein derart verletztes Kind nie laufen lernen werde.

Irgendwann, als er etwas sicherer auf den Beinen war, ging Susanne mit Manuel zu ihm in die Sprechstunde. Der Arzt kam etwas mürrisch ins Wartezimmer, weil Susanne sich nicht angemeldet hatte. „Was wollen Sie?“ – „Ich wollte Ihnen nur den Manuel zeigen.“ – „Das ist der Manuel? Ich glaub es nicht. Darf ich ihn mit reinnehmen?“ Wenig später kam das gesamte Team mit Tränen in den Augen und brachte Manuel wieder zur Mama.

Heute ist Manuel ein netter siebzehn Jahre alter Junge, der die Werkschule besucht. Mit sieben Jahren wurde er eingeschult. „Wir hatten Glück. In Thüringen gab es die ,Diagnose Förderklasse‘. So konnte er in eine ganz normale Grundschule eingeschult werden und hatte die Möglichkeit, die ersten zwei Schuljahre auf drei Jahre zu strecken“, schildert Susanne den Werdegang. Fünf Jahre lang besuchte Manuel die Grundschule. Obwohl er große feinmotorische Probleme hat, lernte er tatsächlich das Schreiben. Er strengte sich fürchterlich dafür an und lernte das Alphabet.

Wenn Susanne von der Schule nach Hause kommt, dann liegt manchmal ein Zettel auf dem Tisch. „Bin nach Lucka – Manuel.“

„Das ist so klasse, dass er das macht und kann“, freut sich Susanne. Damit hatte keiner gerechnet. „Er hat sich eine wahnsinnig große Selbstständigkeit errungen, das ist schon ein Wunder“, sind sich die Eltern einig.

Manuel ist ein liebenswerter Junge. Er ist freundlich und mitteilsam. Daher kann man ihm auch kaum einen Wunsch abschlagen. In seinem Zimmer füllen sich Regale mit Bier-Trucks. Die hat er fast alle geschenkt bekommen. Begeistert erzählt er, dass er ein „Harley Davidson“-Fan ist. Ja, er hat es geschafft, bei einem Motorradfahrer-Treffen einen der Biker zu überzeugen, ihn bei der Rundfahrt mitzunehmen. Als Nächstes möchte er mit einem Ultraleicht-Hubschrauber fliegen. Dafür will er das Geld nehmen, das er bei seiner Konfirmation geschenkt bekam. Fast jeder in der Gemeinde hat ihn beschenkt.

Dann wäre da noch zu erzählen, dass sich das Jugendamt eines Tages wieder bei Susanne meldete. Manuels Mutter hatte wieder ein Kind zur Welt gebracht. So kam Franzi in die Familie. Sie ist derzeit elf Jahre alt und Manuels Halbschwester. Franzi ist ein munteres und gesundes Mädchen. Sie kam als Baby in die Familie, denn das Gericht hatte verfügt, dass die Mutter keine Kinder mehr anvertraut bekommen würde.

Es sieht aus wie bei einer ganz normalen Familie. Aber für Susanne und Wolfgang ist es etwas, „wovon du nie geträumt hast, einfach sagenhaft“. Oder wie Wolfgang sagen würde: „Gott ist so gut zu uns!“

Ein Traum geht in Erfüllung

Ilse ist in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Den Glauben hat sie von klein auf mitbekommen. Schon als Kind las sie gerne Missionsberichte. Das Buch „Ruf aus der Ferne“ ließ in ihr den Entschluss reifen, einmal Missionarin zu werden. Sogar das Titelbild ist ihr noch in Erinnerung, so sehr bewegte sie diese Geschichte. Sie handelte von einer Frau, die nach China ging, um den Menschen dort von Jesus zu erzählen. Das wollte Ilse auch. Schon als Kind hatte sie mit großer Begeisterung biblische Geschichten erzählt. Wenn mal ein Vogel beerdigt werden musste, war klar, dass Ilse eine Rede hielt. Der Wunsch, anderen von ihrem Glauben zu erzählen, begleitete sie von klein auf. Als sie diese Einstellung zu ihrem Beruf machen wollte, da hieß es jedoch: „Das kannst du nicht. Du bist gesundheitlich zu schwach.“ Musste sie ihren Traum aufgeben? Sie entschloss sich, Kindergartenerzieherin zu werden. Auf diese Weise konnte sie den Kindern all die schönen Geschichten aus der Bibel erzählen. Später lud sie auch Mütter ein und gründete einen Frauengesprächskreis.

Als Ilses zwei Söhne noch klein waren, zog die Familie in ein winziges Dorf im Rheinland. Schon bald entdeckte sie, dass es in manchen Familien große Probleme gab. Sie half, wo sie nur konnte. Aber sie merkte auch, dass manche Mühe ohne Ergebnis blieb. Praktische Hilfe allein reichte nicht aus. Darum begann sie mit ihrer Freundin für diese Familien zu beten. Es entstand ein Frauengebetskreis in ihrer Gemeinde. Einmal in der Woche trafen sich die Frauen, um die Not der Menschen vor Gott zu bringen.

Nach einigen Jahren kamen sie auf die Idee, dass man diesen Kreis erweitern könnte. So wurde ein Frühstück für die Gemeindefrauen daraus. Zur Überraschung der Beteiligten hatte dieses Treffen eine große Wirkung. Plötzlich begannen die Frauen, sich in ihrer Gemeinde auf unterschiedliche Weise zu engagieren. Durchs Beten wurden sie für die Kinderarbeit oder den Bastelkreis motiviert, oder sie kümmerten sich plötzlich um alte und einsame Gemeindeglieder.

Auch bei Ilse zu Hause tat sich etwas. Jeden Samstagnachmittag lud sie mit ihrem Mann zusammen zur Kinderstunde in ihr Haus ein. Sie entwickelten sogar eigene Liederbücher, sie bastelten und tobten mit den Kindern und erzählten ihnen Geschichten. Bald schon kamen alle sechsundzwanzig Kinder des Dorfes. „Jeden Samstag war die Bude voll hier, mit lauter putzmunteren, lebhaften Kindern“, sagt Ilse. Sie hat dabei ein Lächeln auf dem Gesicht, denn die Kinder wuchsen ihr ans Herz. Ilse wundert sich heute noch, dass die Eltern ihre Kinder zu diesen neu zugezogenen Leuten gehen ließen.

Auf diese Weise fand sie guten Kontakt zu den Eltern. „Der Intelligenteste von allen ist zum Glauben gekommen. Er lebt heute mit seiner Familie ein fröhliches Christsein. Erst neulich hat er zu meinem Sohn gesagt: ,Sag deiner Mutter, dass ich ihr auf ewig dankbar bin‘“, erzählt Ilse. Welche Früchte die privaten Kinderstunden bei den anderen Kindern getragen haben, weiß sie nicht so genau.

Auf einer Tagung der Internationalen Vereinigung christlicher Geschäftsleute (IVCG) hörte Ilse 1984 in Zürich das erste Mal einen Bericht über ein Frühstücks-Treffen für Frauen. Barbara Jakob erzählte vom zweiten Treffen dieser Art, zu dem tausend Frauen gekommen waren. Da kam die Idee auf, dass es so etwas auch in Deutschland geben müsste. In ihrem Dorf erzählte Ilse überall davon, wie toll sie diese Idee fand. Das Echo in der Gemeinde war gering. In Gießen hatten einige Frauen schon ein Frühstücks-Treffen organisiert. Mit drei Frauen fuhr sie dorthin, um so einen Vormittag zu erleben. „Wir sind nach Gießen gefahren, um Brötchen zu essen. Aber wir haben viel mehr gefunden. Wir haben Feuer gefangen“, so beschreibt sie diesen ersten Kontakt.

Endlich fanden sich im Raum Bonn achtzehn Frauen, die sich genauer informieren wollten. Sie luden Barbara Jakob ein. Bei einem Infonachmittag erwärmte sie das Herz ihrer Zuhörerinnen für die Frauen, die keinen Kontakt zur Kirche haben. Genau solche Frauen sollten den Glauben kennenlernen.

Ilse dachte: „So, ich habe die Sache angestoßen, wenn alles läuft, dann ziehe ich mich wieder zurück.“ Doch das funktionierte nicht. Sie wurde gebraucht, um das erste Treffen in Bonn mit auf die Beine zu stellen. Es fand 1986 statt. Ilse sollte die Moderation der Veranstaltung übernehmen. Sie hatte noch nie vor so vielen Leuten gestanden.

Einer ihrer Söhne, der damals noch studierte, bekam ihre Aufregung mit und riet ihr: „Das ist deine erste Moderation, das musst du üben.“ Dann stellte er ihr einen Stuhl in die Mitte des Zimmers und Ilse musste sich draufstellen und ihm schon mal ihre Moderation vorführen. Nachdem sie alles erzählt hatte, war der Student mit seiner Mama zufrieden.

Am Morgen vor dem ersten Frühstücks-Treffen war Ilse so aufgeregt, dass sie ihr Konzept einer Mitarbeiterin in die Hand drückte und sagte: „Wenn mir plötzlich schlecht wird, dann gehst du auf die Bühne.“ Ihr wurde nicht schlecht, die Veranstaltung lief gut. Im Anschluss meldeten sich neunzig Frauen für einen kleinen Glaubensgesprächskreis an. Nur ein Drittel davon kam dann wirklich. Aber etliche von ihnen sind bis heute Mitarbeiterinnen beim Frühstücks-Treffen in Bonn. Sie haben Jesus für sich entdeckt und er hat ihr Leben verändert. Genau das war das Anliegen: Frauen, die mit der Kirche nichts zu tun hatten, sollten die Gelegenheit bekommen, in einer lockeren Atmosphäre über Gott und den Sinn des Lebens nachzudenken und ins Gespräch zu kommen.

Schnell fanden sich noch andere Städte, in denen das neue Konzept ausprobiert wurde. Barbara Jakob regte an, dass man sich zusammentun solle, um System in die Sache zu bringen. An einem Wochenende trafen sich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen aus den verschiedenen Städten, um sich kennenzulernen und einen gemeinsamen Weg zu suchen. Das war ein absolut „wilder Haufen“, erinnert sich Ilse. Aber am Ende hatten die Frauen den Eindruck: Da kann was draus werden!

Es galt, von Beginn an alles zu organisieren. Aber was und wie? Wie müsste so eine Organisation aufgebaut sein? Auf riesigen Bögen von Computerpapier entwarf und verwarf Ilse Organigramme. Sie musste sich plötzlich mit dem Vereinsrecht beschäftigen, manchmal ging sie mit dem dicken Wälzer sogar ins Bett. Ein Notar half ihr, den Durchblick zu behalten und nichts Wesentliches zu übersehen.

Die erste Schwierigkeit lag darin, dass jede Stadt ihre Veranstaltung unter anderer Trägerschaft abhielt. Je nachdem, in welcher Gemeinde oder Organisation die einzelnen Frauen zu Hause waren, hatten sie dort auch ihr Frühstücks-Treffen rechtlich angebunden. Bei manchen war das Frühstücks-Treffen eine Veranstaltung ihrer Kirchengemeinde, andere gehörten zum CVJM, die dritten schließlich wieder woandershin.

Zuerst, so nahmen es sich die Frauen vor, sollte alles in eine Hand. Ein eigener Verein sollte für eine gleichmäßige Erscheinungsform sorgen. Natürlich hätte jeder Träger so eine Veranstaltung, zu der die Frauen von Anfang an zu Hunderten kamen, gerne unter seinem Dach gehabt. Ilse und einige andere verhandelten immer wieder mit den Organisationen, bei denen schon einiges angesiedelt war. Sie waren überzeugt davon, dass diese Arbeit selbstständig sein sollte.

Die Verhandlungen forderten den Frauen viel ab. Oft kam Ilse völlig erschöpft nach Hause und weinte. Dann hatte sie eine von Gott geschenkte Begegnung, die sie am liebsten mit dem Wort „Sternstunde“ bezeichnet. Es war 1987 bei der Geburtstagsfeier einer alten Dame. Ilse saß neben einer Amerikanerin. Die Gastgeberin meinte: „Ilse, erzähl Yola doch mal was vom Frauenfrühstück.“ Und Ilse erzählte munter von dem, was ihr Herz erfüllte. Die Amerikanerin hörte aufmerksam zu und sagte dann: „Dafür habe ich zwanzig Jahre lang gebetet. Praise the Lord!“

Kurze Zeit darauf stellte Ilse im Gespräch mit einer Freundin fest, dass sie beide diese Yola aus Amerika kannten und dass sie eine ganz tolle Frau war. Wie schön wäre es, wenn Yola nach Deutschland käme und die Frühstücks-Treffen mit aufbauen würde! Gesagt, getan. Ilses Freundin schrieb nach Amerika. Unabhängig davon hatte auch Barbara Jakob geschrieben. Gleich zwei Einladungen gingen nach Amerika, und Yola Entz kam, um zu helfen. Sie zog nach Koblenz. Der Verein wurde gegründet.

Eine Frau sagte zu Ilse: „Du kannst doch keinen Verein leiten, du bist doch nur eine Hausfrau.“ Ilse fühlte sich verletzt. Aber diese Frau sollte nicht recht behalten. Ilse wurde von den sieben Gründungsfrauen zur ersten Vorsitzenden des neuen Vereins „Frühstücks-Treffen für Frauen in Deutschland“ gewählt. Alle sieben waren begeistert von der Idee, Frauen außerhalb der Gemeinden zu erreichen. Sie brauchten viel Pioniergeist, denn sie betraten absolutes Neuland.

Wenig später entwickelte sich so etwas wie eine „Frühstücks-Manie“. Es wurde Trend, sich in den Gemeinden zum Frühstück zu treffen, aber auch in anderen Organisationen, zum Beispiel beim Arbeitslosenverband und in manchen Parteigruppen. Wie gut war es, dass da der Verein Frühstücks-Treffen schon sein Profil entwickelt hatte. Auf diese Weise hob er sich von Beginn an von allen anderen ab.