Jupiter 4: Syndikat der Kristallfischer - Christian Montillon - E-Book + Hörbuch

Jupiter 4: Syndikat der Kristallfischer E-Book und Hörbuch

Christian Montillon

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra. Auf der Suche nach den Hintermännern reist Perry Rhodan zum Ganymed. Dort kommt es zur Krise – Schwerkraftanomalien erschüttern die Eiswüsten des Jupitertrabanten, und titanische Energiegewitter versetzen den Gasriesen in Aufruhr. Perry Rhodan und Mondra Diamond stürzen über dem Jupiter ab. Rettung verspricht allein die Atmosphärenstation MERLIN – doch sie gehört dem dubiosen SYNDIKAT DER KRISTALLFISCHER ...

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Nr. 4

Syndikat der Kristallfischer

Der Jupiter brennt – Perry Rhodan trifft die neue Menschheit

Christian Montillon

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra.

Auf der Suche nach den Hintermännern reist Perry Rhodan zum Ganymed. Dort kommt es zur Krise – Schwerkraftanomalien erschüttern die Eiswüsten des Jupitertrabanten, und titanische Energiegewitter versetzen den Gasriesen in Aufruhr.

Perry Rhodan und Mondra Diamond stürzen über dem Jupiter ab. Rettung verspricht allein die Atmosphärenstation MERLIN – doch sie gehört dem dubiosen SYNDIKAT DER KRISTALLFISCHER ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der LFT-Resident begegnet einem längst Verstorbenen.

Mondra Diamond – Rhodans Lebensgefährtin greift zu explosiven Argumenten.

Onezime Breaux – Der Sicherheitschef misstraut ungebetenen Gästen.

Anatolie von Pranck – Die Chefwissenschaftlerin schwärmt von einer neuen Menschheit.

Oread Quantrill

Splitter

Deshum Hiacu stürzt, und er fragt sich, warum es ausgerechnet in diesem Moment geschehen muss. Es ist bizarr: Zum ersten Mal durchquert er beim Sturz einen lebendigen Körper.

Eben noch hat sich Errinna nackt unter ihm aufgebäumt. Nun schreit sie auf völlig andere Art.

Deshum fällt durch sie, dann durch die weiche, aufgeplusterte Spielwiese ihres Betts und schließlich durch den Boden ihres Quartiers.

Ich bin nackt, denkt er einen verrückten Augenblick lang, dann rast er einem Teppich entgegen, der zwar flauschig aussieht, aber bei einem Sturz aus dieser Höhe alles andere als weich sein wird.

Deshums Muskeln verkrampfen sich durch einen panischen Adrenalinstoß, doch es gibt keinen Aufprall. Er stürzt weiter, durchdringt auch diesen äußerst soliden, achtzig Zentimeter dicken Metallboden, der für das darunterliegende Quartier die Decke bildet. Ihm wird schwarz vor Augen. Angst schnürt ihm die Kehle zusammen. Seine Blase entleert sich.

Diesmal sieht er einen Roboter. Ein Reinigungsmodell. Direkt unter ihm.

Er fällt durch die Maschine.

Fast.

Dann kommt der Schmerz. Sein rechtes Bein bricht beim Aufprall. Das Knacken ist ohrenbetäubend laut, und von irgendwo rinnt Blut über sein Gesicht.

Deshum atmet ein. Sein Rücken schmerzt, die Lunge scheint zu explodieren. Er hustet und spuckt Blut.

Doch das Schlimmste ist seine Hand. Seine linke Hand. Sie steckt bis zum Gelenk in dem Reinigungsroboter.

Hinter ihm ertönt ein Schrei. Sein Kopf fällt ohnehin zur Seite, und er sieht eine Terranerin.

Was mag sie wohl denken, fragt sich Deshum in einem sonderbar klaren Moment, wenn ein nackter Mann durch ihre Zimmerdecke fällt und mit zerschmetterten Gliedern so liegen bleibt, dass seine Hand mit ihrem Reinigungsroboter verschmilzt?

Endlich flutet eine Welle aus Schmerzen jeden nüchternen und logischen Gedanken hinweg. Wie schön: Dunkelheit. Deshum verliert das Bewusstsein.

Zwei Ebenen über ihrem Geliebten versinkt Errinna Darevin in einem Meer der Agonie. Deshum spürte nichts, als er durch sie stürzte, doch in ihrem Fall ist es völlig anders.

Leichter hyperphysikalischer Reibungswiderstand beim Durchqueren der eigentlich festen Materie hat einen Großteil ihrer Organe verschoben. Eine Ader ist dicht hinter dem rechten Lungenflügel geplatzt. Die Leber ragt in die Wirbelsäule. Aus einem kleinen Riss rinnt Magensäure ins Innere des Leibes. Eine Darmschlinge bildet eine Einheit mit der Milz. Die Luftröhre steckt im Herzmuskel. Die Hände zucken, verkrampfen sich ins Laken. Der Unterkiefer zittert.

Man findet Errinna zur selben Zeit, als ein Mediker ihren Geliebten behandelt, den komplizierten Bruch des Unterschenkels heilt und entscheidet, dass die einzige Möglichkeit, den Patienten zu retten, darin besteht, die mit dem Roboter verschmolzene Hand zu amputieren.

Deshum überlebt tatsächlich, doch Errinna ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Äußerlich ist sie unversehrt geblieben, aber der Mediker, der die Autopsie leitet, um die genaue Todesursache festzustellen, übergibt sich, als er in ihren verheerten Körper schaut.

Deshum Hiacu und Errinna Darevin konsumieren Tau-acht.

Deshums Uhr tickt noch.

Aus den Fugen

Ein Heulen ertönte, dann schweres, metallisches Ächzen, als sei die Micro-Jet in eine gewaltige Schrottpresse geraten. Wäre es nur so, dachte Perry Rhodan. Dabei hätte es sich wenigstens um eine überschaubare Situation gehandelt – ganz im Gegensatz zu dem Hexenkessel, der unvermutet um sie herum ausbrach.

Wieder erklang das Geräusch, schriller diesmal und so durchdringend, dass es in den Ohren schmerzte. Die Intensität nahm zu.

Wie ein abschmierendes antiquiertes Kleinflugzeug. Die Assoziation erheiterte den Terraner trotz des allseitigen Chaos: Wie viele Jahrhunderte waren vergangen, seit er dieses Geräusch zuletzt gehört hatte? Und doch steckte die Erinnerung noch genau in ihm und wartete offenbar nur darauf, abgerufen zu werden. Gerüche vergaß man angeblich nie; ob das auch für Geräusche und die damit verbundenen Emotionen galt?

»Es ist der Alarm!«, rief Mondra Diamond. »Aber warum klingt er so verzerrt und ...« Sie unterbrach sich. »Wir stürzen ab!«

Nahezu sämtliche Energie verschwand blitzartig aus der Micro-Jet, fast alle Maschinen hielten inne. Totenstille herrschte ringsum, wie in einem metallenen Sarg, der durchs All raste – oder eben durch die Gas- und Nebelfelder der äußeren Jupiteratmosphäre. Bräunliche und rötliche Schwaden peitschten gegen das Sichtfenster.

Die Jet raste genau einem gigantischen Strudel entgegen, der die Wirklichkeit aufzureißen schien. Vor ihnen tobten Gewalten, die sie zwischen sich zermalmen würden.

Kräfte, dachte Rhodan, die zweifellos tausendmal stärker sind als jede nur denkbare Schrottpresse. »SERUNS sofort schließen! Atemluft sparen!«

Mit einem pneumatischen Zischen schloss sich der Helm seines Schutzanzugs. Noch war die Atemluft in der Micro-Jet nicht knapp, noch gab es keinen Auslöser für eine automatische Sicherheitsreaktion der Schutzanzüge. Im Innern der Jet war offenbar alles beim Alten geblieben – mit dem einen Unterschied, dass das Fluggefährt unkontrolliert dem Kern des Jupiters entgegenraste und niemand an Bord auch nur das Geringste dagegen unternehmen konnte. Der Atmosphärendruck, der auf den Rumpf einwirkte, stieg von Sekunde zu Sekunde. Irgendwo vor ihnen wurde er so stark, dass Jupiters Gashülle in einen flüssigen Zustand überging.

Doch dort würden sie niemals ankommen. Vorher würde sie der Strudel verschlucken, der wohl das äußere Zeichen eines gigantischen Wirbelsturms war, dem Großen Roten Fleck ähnlich.

Nur – woher kam ein solcher Sturm? Er konnte sich nicht einfach so bilden. Etwas Unfassbares musste geschehen sein.

Das Stahlskelett der Jet ächzte. Ein tausendfach verästelter Blitz zuckte über die kleine Schutzschildblase, die flackerte, als würde sie jeden Augenblick brechen wie eine Eierschale.

»Wir brauchen Antriebsenergie.« Mondra klang ruhig und überlegen. Natürlich. Jemand wie sie geriet ebenso wenig in Panik wie Rhodan selbst. Nur wenn alle nüchtern und klar handelten, konnten sie vielleicht einen Ausweg finden und ihr Überleben sichern. Und daran würden sie bis zum letzten Atemzug arbeiten.

»Fragt sich nur, wo die herkommen soll.« Während Rhodan sprach, untersuchte er mögliche Ursachen des völligen Ausfalls. Dass so etwas von einer Sekunde zur anderen und erst recht ohne äußere Anzeichen geschah, war eigentlich unmöglich – wobei der Terraner die Vokabel eigentlich längst aus seinem Wortschatz gestrichen hatte, seit das eigentlich Unmögliche zu seinem Alltag gehörte ...

Also im Grunde genommen seit dem Tag, an dem er mit der STARDUST erstmals ins All aufgebrochen war. Selbst vor der kosmischen Haustür, mitten im Solsystem, gab es immer wieder Phänomene, die niemand vorhersehen konnte.

»Völliges Systemversagen«, stellte Mondra fest. »Nicht das kleinste Fünkchen Triebwerksenergie.«

Rhodans Gedanken überschlugen sich. Sie mussten etwas tun! Sollten sie aussteigen? Aus der Jet ausschleusen und sich auf die SERUNS verlassen? Mit den Steueraggregaten versuchen, aus dem Bereich der Atmosphäre zu fliegen und in den freien Weltraum vorzudringen?

Ein irrsinniger Gedanke. Was immer für den Ausfall der Instrumente und den Verlust jeglicher Antriebsenergie gesorgt hatte, würde auch die SERUNS lahmlegen, zumal es sich um die leichten Modelle handelte – Warrior III ds. Sie hatten diese Versionen gewählt, um nicht in voller Montur in MERLIN einzufallen; mit der aktuellen Entwicklung schon während des Hinflugs hatte niemand rechnen können.

Mondra Diamond schrie auf, kurz bevor sich ein mörderischer Schmerz durch Rhodans Hirn bohrte. Porcius Amurri stöhnte. Ein schrilles Sirren schien Rhodans Trommelfell platzen zu lassen. Vor seinen Augen tanzte ein Stern.

Lichter flackerten rundherum. Kaskadenblitze flammten auf und erloschen wieder.

»Initiiere Neustart«, erklang die Kunststimme der Steuereinheit der Micro-Jet. »Energiewert niedrig, aber konstant. Neustart möglich.«

Was immer für den weitgehenden Geräteausfall gesorgt hatte – offenbar war der Einfluss nur kurzzeitig wirksam gewesen. Was das Ganze nicht weniger rätselhaft machte. Zweifellos tobten sich irgendwelche hyperenergetischen Gewalten aus, die bizarre Nebeneffekte nach sich zogen. Rhodan fragte sich, ob die Geräusche, die er gehört hatte, überhaupt echt oder nur Einbildungen seines auf Psi-Ebene überreizten Gehirns gewesen waren.

Wie auch immer – der Höllenlärm, mit dem die Energie in die Systeme zurückkehrte, endete. Rhodan blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, welche Wechselwirkungen ausgerechnet zu diesem Ergebnis geführt hatten. Es spielte auch keine Rolle; sollten sich später irgendwelche Spezialisten damit beschäftigen. In diesen Augenblicken zählte nur eins: Überleben.

»Ich übernehme das Steuer. Mondra, du bist Kopilotin.« Er versuchte, sich zu orientieren. Die zahllosen Anzeigen der Außenbeobachtung las er routinemäßig – und stutzte. »Die Werte ergeben keinen Sinn.«

»Die Atmosphäre ist in Unordnung geraten«, gab Mondra zu bedenken. »Vielleicht sorgt das dafür, dass ungewöhnliche hyperphysikalische Einflü...« Sie brach mitten im Wort ab, wohl als sie selbst bemerkte, wie unmöglich die ankommenden Messwerte waren. Von ungewöhnlich konnte man da nicht mehr sprechen.

Ein dumpfes, humorloses Kichern drang aus dem Schacht. »Vielleicht sollte ich mich der Kollegin Gili anschließen.« Das war Dion Matthau. »Ich glaube auch an gar nichts mehr. Nicht mal mehr auf die Physik kann man sich verlassen.«

Von der Hyperphysik ganz abgesehen, dachte Rhodan. Die Positronik lieferte völlig unsinnige, unzusammenhängende Daten. Demnach befand sich vor ihnen teils ein absolutes Vakuum, teils der massive Kern eines Planeten, teils herrschten Bedingungen wie unter Wasser.

»Geblendet«, meinte Diamond. »Die Positronik ist geblendet und bringt sinnfreie Werte.«

Eine passende Bezeichnung, überlegte Rhodan und schaltete die Anzeigen ab. »Wir fliegen auf Sicht.«

»Auf ...« Seine Lebensgefährtin ächzte.

»Auf Sicht«, betonte er ruhig. »Was bleibt uns sonst übrig? Die Instrumente führen uns in die Irre.«

Kurz fühlte er Mondras Hand an seiner Schulter. »Du weißt, dass es Wahnsinn ist?«

»Lieber wahnsinnig als tot.« Rhodans Hände lagen auf den Steuerelementen, er bediente sie mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit. Die Jet ging in eine enge Rechtskurve, raste weiter durch die wirbelnden Atmosphäreschwaden. Der riesige Schlund vor ihnen trieb zur Seite, viel zu langsam, drohte sie nach wie vor einzufangen und in sich hineinzureißen.

»Wir kommen nicht vorbei!«

Ein Stoß durchlief die Micro-Jet, als sei sie von einem Asteroiden gerammt worden. Von irgendwo hörte Rhodan ein Krachen, gefolgt von einem Schrei. Er achtete nicht darauf. Sein Blick ging stur durch die Sichtscheibe nach draußen. In einen Hexenkessel.

Die Jet reagierte nicht mehr auf die Kontrollen. Sie legte sich schief, kippte dann völlig. Die Schwerkraftprojektoren glichen es erst mit einiger Verzögerung aus. Für Sekunden blieb das Gefühl, auf dem Kopf zu stehen. Rhodan aktivierte eine magnetische Schaltung an den Füßen und im Rückenteil des Schutzanzugs, der ihn auf Position hielt – manchmal waren die einfachsten Methoden immer noch die effektivsten.

Irgendwo piepste ein Alarm. Die Positronik des SERUNS gab eine Meldung, die der Terraner nicht einmal wahrnahm. Er versuchte stattdessen, das Chaos vor sich mit Blicken zu durchdringen und eine sichere Passage zu entdecken.

Sicher ... Schon die Vorstellung war ein Hohn.

Die Jet kam ins Trudeln, überschlug sich erst einmal langsam, bald in raschem Tempo immer wieder. Es knirschte. Dann ein Würgen: das Geräusch, mit dem sich jemand übergab.

Rhodan wartete eiskalt ab und zündete im exakt richtigen Moment das Seitentriebwerk, gab gleichzeitig Rückstoß.

Das Krachen im Metall weckte die Befürchtung, die Jet müsse auseinanderbrechen. Irgendwann musste die Belastung von allen Seiten zu viel sein ...

Der Andruck von mehreren Gravos schlug durch, mit einem Mal schien Rhodan das Mehrfache seines Gewichts zu wiegen. Die plötzliche Beschleunigung presste ihn in den Pilotensitz. Er gurgelte, etwas knackte in seinen Ohren, und ein Blutstropfen rann ihm aus der Nase. Der SERUN glich die Belastung rasch aus; dennoch fühlte sich der Aktivatorträger einen Augenblick lang seltsam schwerelos.

Der Flug stabilisierte sich.

»Neun Uhr!«, rief Mondra Diamond. Sie saß viel zu weit vorne auf ihrem Sitz, den Oberkörper vorwärtsgeneigt. In dem kurzen Blick, den sich Rhodan erlaubte, sah er ihr blasses Gesicht, aus dem jegliche Farbe gewichen war. Ein Blutfaden glänzte über dem fahlen Kinn.

Er folgte ihrem Hinweis und entdeckte an der entsprechenden Position tatsächlich eine etwas ruhigere Zone. Ringsum wirbelten Stürme durch die Atmosphäre. Rote Blitze zuckten, Wolken verdampften. Etwas flackerte. Rhodan glaubte erst an eine Sinnestäuschung oder eine zufällige Formation der Nebelschwaden, wie ein Kind in den Wolken stets Figuren und Tiere entdeckt. Doch war da nicht ein blassblaues, rundes Etwas, ein sphärisch-elegantes Rad, in dessen Nabe eine kompakte, offenbar organisch pulsierende Masse saß? Ein Lebewesen, wie Rhodan es nie zuvor gesehen hatte?

Das Etwas, wenn es jemals da gewesen war, verschwand hinter einem Sturm aus grauem Brodem oder wurde von ihm mitgerissen.

»Hast du etwas gesehen?«, fragte Rhodan.

»MERLIN?«

»Ein ... Rad.«

»Negativ.«

»Gili?«

»Nichts«, sagte die TLD-Agentin. »Porcius übergibt sich noch immer, und Buster ...«

»Nur Chaos«, unterbrach dieser.

Die Jet raste auf die gemäßigtere Zone zu.

»Ortung!«, befahl Rhodan. »Vielleicht kommen sinnvolle Werte rein. Wir müssen die Faktorei finden!«

»Oder umkehren«, ergänzte Diamond.

Rhodan schwieg. Dazu war er nicht bereit. Konnte man wissen, ob es überhaupt gelingen würde? Sie waren bereits tief in die Atmosphäre eingedrungen, und was immer um sie herum vorging, sie mussten so schnell wie nur irgend möglich den sprichwörtlichen sicheren Hafen ansteuern, den MERLIN ihnen bieten konnte ...

»Die Faktorei sollte in weniger als zweihundert Kilometern Entfernung stehen«, teilte Mondra mit. »Sofern die Peilimpulse korrekt eingehen, mit denen ich unsere Position bestimme.«

»Aber?«, rief Matthau aus dem Schacht.

»Aber sie bleibt nach wie vor verschwunden«, sagte Rhodan, ohne dass er die Daten, die Mondra vorlagen, selbst sah.

»Abgetrieben durch diesen ... Sturm?«, fragte der Agent.

Rhodan wusste, dass es sich nicht nur um einen Sturm handelte. Er sah jedoch keine Veranlassung, dies extra zu betonen. Matthaus Zögern zeigte, dass dieser es ebenso wusste.

»Ich habe sie!«, rief Mondra.

Rhodan atmete erleichtert aus.

»Zwanzigtausend Kilometer Distanz!«

Zwanzigtausend Kilometer. Unter normalen Umständen wäre das an Bord der Micro-Jet ein Katzensprung gewesen – so jedoch konnte niemand sagen, ob sie ihr Ziel jemals erreichen würden.

Um einen Manövrierfehler oder etwas Ähnliches konnte es sich kaum handeln; MERLINS Position war bewusst geändert worden.

*

Sie rasten weiter durch die Hölle aus blitzenden Lichtern und irritierenden Farbkaskaden. Plötzlich flackerte der Schutzschirm um die Jet in einer Unzahl kleiner Explosionen. Es war, als würden kleine Materiebrocken verdampfen. Doch wo sollten sie herkommen? Rotes Glühen sirrte tausendfach über den gesamten Horizont. Die Irrlichter leuchteten noch vor Rhodans Augen nach, als sie längst vergangen waren.

Dann verstand er: Die Atmosphäre des Jupiters brannte.

Wie weit das Phänomen reichte, vermochte er nicht zu sagen – er wusste nur eins: Die Katastrophe war weitaus umfassender, als er bis zu diesem Moment hatte vermuten können.

Flammen loderten rund um den Schutzschirm.

»Die Gasmassen verpuffen.« Mondra Diamonds Stimme zitterte vor Entsetzen. Wahrscheinlich dachte sie das Gleiche wie er. Wenn dies eine Kaskadenreaktion war und die gesamte Atmosphäre erfasste ...

Rhodan, der gezwungen war, auf Sicht zu fliegen, steckte unvermittelt mitten in einem gewaltigen Feuerfeld. Ihn schwindelte. Die Jet geriet erneut ins Trudeln. Oben und Unten verloren ihre Bedeutung, es war unmöglich, sich zu orientieren. Sie rasten in der winzigen Schutzkuppel ihres Schirms weiter, ins Blinde hinein.

Zwanzigtausend Kilometer, dachte Rhodan. Und ich weiß nicht einmal mehr, ob ich die Richtung halten kann.

In einem außer Kontrolle geratenen Stück Technologie flog die kleine Gruppe von Menschen ihrem Tod entgegen. Mehr denn je kam sich Rhodan wie in einem Sarg vor. Lebendig begraben, dem Krematorium übergeben ...

Das Universum brannte. Feuerzungen verschlangen alles.

»Jupiter geht unter«, sagte eine von Grauen erfüllte Stimme aus dem Schacht. Rhodan konnte sie nicht mal mehr zuordnen. »Der Planet stirbt!«

Wieder überschlug sich der Kosmos ihres Fluggeräts. Tränen schossen Rhodan ins Gesicht.

Etwas trudelte an seinem Sichtfenster vorüber – er traute seinen Augen kaum. Ein zerfetztes Stück Metall – ein scharfkantiges Fragment, ein Teil ihrer Jet, ein gerade mal eine Handspanne umfassender Aufbau, in dem eine Kamera zur Außenbeobachtung untergebracht war. Es schrammte über die Scheibe, schoss dann weiter, getrieben von außer Rand und Band geratenen Kräften, erreichte die Innenseite des Schutzschirms und verglühte.

Funken prasselten auf die Scheibe. Schwarze Rußflecken entstanden und vergingen sofort wieder.

»Außentemperatur steigt«, meldete Diamond. »Die Instrumente arbeiten teilweise wieder korrekt. Die Werte sind irrsinnig hoch. Schutzschirmbelastung extrem. Hundertsechzig Prozent über Maximalbelastung. Bruch steht bevor!«

Die Welt glühte. Rhodans SERUN hatte die Sichtscheibe des Helms längst abgedunkelt, um einen Augenschaden zu verhindern. Wahrscheinlich wäre er sonst bereits erblindet.

Dunkelheit waberte unvermittelt in den weiß lodernden Flammen, ein willkommener Fleck Düsternis. Wie ein Schwarzes Loch inmitten der Korona einer Sonne.

Rhodan riss die Jet herum, jagte dem einzigen Ort entgegen, der Linderung verhieß. Sie stießen in die Schwärze, die sich bald als die üblichen grauen und bläulichen Schwaden entpuppte, aus denen die Jupiteratmosphäre bestand.