KISMET - Nazim Kiygi - E-Book

KISMET E-Book

Nazim Kiygi

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Beschreibung

Drei schicksalhafte Geschichten aus dem Alltag, deren Protagonisten sich dem ihnen auferlegten Los nicht entziehen können. In Deryas Kismet nehmen die Ereignisse ihren Lauf, als es eines Tages heftig blitzt und donnert. Derya hat panische Angst und wirft sich in die Arme ihres Nachbarn. In Hasans Kismet wird Hasan vor Herausforderungen gestellt, als seine Eltern sterben und er für sich selbst sorgen muss. In Ardas Kismet wird Arda aus seinem Leben gerissen, als er in einem Bus für einen kurzen Augenblick die Frau aus seinen Träumen zu sehen meint und sie sogleich wieder aus seinem Blick verliert.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Deryas Kismet

Hasans Kismet

Ardas Kismet

Deryas Kismet

Seit ihrer Kindheit hatte Derya schreckliche Angst vor Gewittern. Wenn es blitzte und donnerte, lief sie, so schnell sie konnte, zu ihrem Vater und presste ihren Kopf gegen seine Brust. Ihr Vater erklärte ihr jedes Mal, dass sie sich nicht fürchten müsse, aber er konnte sie von ihrer panischen Angst nicht befreien. Inzwischen war sie eine junge Frau, eine selbstbewusste Geschäftsfrau, geworden. Aber jedes Mal, wenn es donnerte, krümmte sie sich nach wie vor und zitterte erbärmlich.

Derya wohnte in Nisantasi, einem Stadtteil Istanbuls. Zu ihrer Arbeitsstelle in Levent brauchte sie eine halbe Stunde. Für Istanbuler Verhältnisse war das nicht lange. Als sie eines Tages nach der Arbeit zurückkam und gerade die Haustür hinter sich geschlossen und das Mehrfamilienhaus betreten hatte, in dem sie wohnte, begann es zu donnern. Derya geriet in Panik.

In der ersten Wohnung rechts im Erdgeschoss wohnte ein junger Mann namens Ufuk. Als das Gewitter begann, war Ufuk gerade dabei, den Müll herauszutragen, und hatte seine Wohnungstür geöffnet. In ihrer Panik lief Derya auf ihn zu, umarmte ihn und presste ihren Kopf gegen seine Brust, so wie sie es als Kind immer bei ihrem Vater getan hatte. Derya erklärte dem Mann mit stockenden Worten, dass sie schreckliche Angst vor Gewittern habe. Ufuk sah das kreidebleiche Gesicht seiner Nachbarin und nahm sie mit in seine Wohnung. Direkt gegenüber von Ufuks Wohnung wohnte die alte Witwe Frau Kadriye. Frau Kadriye lebte allein und hatte nichts anders zu tun, als zu beobachten, was in ihrer Umgebung geschah. Sie stand ständig an ihrer Wohnungstür oder am Fenster. Sie beobachtete das tägliche Geschehen und tratschte darüber. Nachdem sie durch den Türspion gesehen hatte, wie Derya in den Armen von Ufuk in dessen Wohnung gezogen worden war, öffnete sie ihre Wohnungstür und ging herüber zu seiner, lehnte ihren Kopf daran und lauschte.

In diesem Moment wollte Ufuk den Müll loswerden, den er vor die Tür gestellt hatte als Derya sich auf ihn warf, und öffnete die Tür. Da stand Frau Kadriye vor ihm. Sie reagierte sofort: „Ich habe furchtbare Kopfschmerzen und wollte fragen, ob Sie Kölnisch Wasser für mich haben“. Ufuk holte höflich das Gewünschte und gab es ihr.

Als er die Tür wieder geschlossen hatte, überkam ihn ein sonderbares Gefühl. Er öffnete die Wohnungstür nochmals und Frau Kadriye stand immer noch da. „Ich wollte Ihnen das Kölnisch Wasser zurückbringen. Vielen Dank!“ Er nahm die Flasche entgegen und wartete, bis Frau Kadriye zurück in ihre Wohnung gegangen war. Dann schloss er die Tür und ging zurück zu Derya. Kaum war er wieder bei Derya, donnerte es erneut, und wieder sprang Derya auf ihn zu und presste ihren Kopf gegen seine Brust. Er hielt sie in den Armen und hoffte, dass der Donner nie aufhören möge. Er genoss ihre körperliche Nähe. Derya blieb an diesem Abend bei ihm, und er kochte für sie. Aber nach dem Essen ließ das Gewitter nach und Derya verabschiedete sich und ging in die eigene Wohnung zurück.

Am nächsten Tag verließ Ufuk das Haus und fuhr mit seinem Auto bis zur nächsten Straßenecke. Kurz danach verließ auch Derya das Haus. Frau Kadriye stand wie immer am Fenster und hatte alles im Blick. Doch dann bog Derya um die Straßenecke und verschwand so aus dem Blickwinkel der neugierigen Nachbarin. Ein Stück weiter wartete Ufuk in seinem Auto auf sie. Von nun an fuhr er sie regelmäßig zur Arbeit und holte sie auch wieder ab.

Derya erzählte ihrer Freundin Nilgün alles über Ufuk. Nilgün hatte ihren Jahresurlaub genommen und wollte für einen Monat zu ihrer Mutter nach Antalya. Sie gab Derya den Schlüssel zu ihrer Wohnung. Derya würde in ihrer Wohnung bleiben, bis Nilgün aus dem Urlaub zurückkommen würde.

Derya packte ihren Koffer und wollte die Wohnung verlassen. Da stand Frau Kadriye im Flur. „Wohin geht die Reise, Frau Derya?“ fragte sie. Derya erwiderte, dass sie ihren Jahresurlaub genommen habe, mehr nicht. Sie ließ Frau Kadriye im Flur stehen, die umgehend zur nächsten Frage angesetzt hatte, mit „Wohin … .“ Den Rest der Frage hörte Derya nicht mehr, denn sie rollte nun den Koffer über den mit Pflastersteinen bedeckten Gehweg. Die Stimme von Frau Kadriye wurde durch das Rollgeräusch des Koffers übertönt. Sie bog um die Ecke. Dort wartete Ufuk auf sie. Er nahm ihr den Koffer ab, warf ihn in den Kofferraum, schlug die Haube zu, sprang in das Auto und schon fuhren sie direkt zu Nilgün‘s Wohnung.

In Nilgün‘s Wohnung verbrachten sie glückliche Tage. An manchen Abenden blieb Ufuk bei Derya. Sie teilten dasselbe Bett. Die Tage vergingen sehr schnell. Bald würde Nilgün heimkehren.

Ufuk traf eine Entscheidung. Er würde Derya um ihre Hand bitten und sie dann zu ihrer Familie nach Izmir mitnehmen, damit sie sie kennenlernten. Er hatte einen Verlobungsring gekauft und kam nach Hause, um Derya zum Essen auszuführen. Derya ahnte etwas und war sehr aufgeregt. Immerhin hatte Ufuk von einem besonderen Abend gesprochen.

Aber als sie das Haus verlassen wollten, klingelte Ufuks Handy. Ufuk nahm das Gespräch an, hörte zu, und sein Gesicht wurde kreidebleich. Sein Vater lag im Krankenhaus. Auf der Stelle verabschiedete er sich von Derya und machte sich auf den Weg nach Izmir.

Ufuk liebte seinen Vater sehr. Das Verhältnis zwischen seinem Vater und ihm könnte man als kameradschaftlich beschreiben. Sie waren gute Freunde und alte Spielkameraden. Sein Vater hatte ihn früher immer zum Fußball mitgenommen. Als er noch ganz klein war, hatte seine Mutter ihm immer wieder die Frage gestellt: „Wen magst du lieber, mich oder deinen Vater?“ Er hatte die Frage immer mit: „Ich mag Euch beide, aber Papa mag ich am liebsten.“ beantwortet.

Im Krankenhaus angekommen, suchte er den zuständigen Arzt und informierte sich über den Zustand seines Vaters. Sein Vater hatte einen Schlaganfall erlitten. Es ging ihm den Umständen entsprechend. Nachdem er Derya angerufen und sie informiert hatte, ging er zu seinem Vater. Sein Vater lag noch in der Intensivstation und konnte nur mit großer Anstrengung reden. Aber er erklärte Ufuk dennoch, dass es sein Wunsch sei, dass Ufuk heirate, bevor er sterbe. Er und ein enger Freund hatten sich bei der Geburt von dessen Tochter versprochen, ihre Kinder zu vermählen. Dieses Versprechen hatten sie besiegelt, indem sie eine Kerbe in die Wiege der Tochter geschlagen hatten.

Als Ufuk, der eigentlich seinem Vater von Derya erzählen wollte, dies hörte, hatte er das Gefühl, als ob jemand ihm kochendes Wasser über den Kopf gegossen hätte. Er hatte das Mädchen noch nie gesehen. Er könnte es unmöglich heiraten. Aber er war nicht in der Lage, seinem Vater, der im Sterbebett lag, den letzten Wunsch auszuschlagen. Als sein Vater einschlief, ging er an die frische Luft, um nachzudenken. Er lief ziellos durch die Nacht und kam nach einer Weile an den Strand. Am Wasser stand ein Mädchen, eine junge Frau, und weinte laut schluchzend. Es sah so aus, als ob sie vorhätte, ins Wasser zu gehen, um sich umzubringen. Er lief zu der Frau und rief: „Machen Sie keine Dummheit!“ Die Frau drehte sich um. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, hatte sie großen Kummer. Aber als sie Ufuk anschaute, strahlten ihre Augen. Sie waren wunderschön. Im Mondschein wirkte die junge Frau wie eine Fee aus einem Märchen. Ufuk stellte sich kurz vor und erfuhr ihren Namen.

Sie hieß Fazilet, und sie erzählte dem verzauberten Ufuk unaufgefordert ihre Lebensgeschichte. Nun hatte Fazilet einen Zuhörer gefunden und beruhigte sich. Sie erzählte Ufuk, dass sie nach ihrem Abitur nicht zur Uni hatte gehen dürfen. Sie musste an der Nähmaschine ihre Aussteuer vorbereiten. So habe sie ihre Tage zu Hause verbracht. Sie habe auch eine Schwester namens Ayse. aber Ayse sei keine leibliche Schwester. Ihre Eltern würden Ayse jedoch behandeln wie ihr eigenes Kind. Erst müsse sie heiraten, dann würde Ayse an der Reihe sein.

An jenem Tag saßen Fazilet und Ayse auf dem Balkon, als eine schwarze Limousine vor dem Haus hielt. Es stieg ein dicker, kleiner, glatzköpfiger älterer Mann aus dem Auto. Der Mann und ihr Vater, der das Haus verlassen wollte, begegneten sich an der Haustür. Sie begrüßten sich, und ihr Vater bat den Mann ins Haus. Ayse machte eine Bemerkung wie: „Das ist dein zukünftiger Ehemann.“ Dann ging sie nach unten, um zu erfahren, was der Mann wollte. Durch die Tür bekam sie Worte wie „Heirat“ und „Hochzeit“ mit. Sofort lief sie wieder nach oben auf den Balkon und erzählte ihrer Schwester, dass die beiden unten über die Heirat redeten. Es wurde Fazilet schlecht. Ihr Vater hatte ihr schon gesagt, dass sie bald heiraten werde und dass der Bräutigam schon in Izmir angekommen sei. Das war also der Mann, den sie heiraten sollte! Sie glaubte, das nicht ertragen zu können und verließ das Haus. Sie lief weinend ziellos in der Gegend herum, bis es dunkel wurde und sie sich am Strand wiederfand. Dort sah Ufuk sie und dachte, sie wolle ins Wasser gehen und sich umbringen.

Ufuk‘s Lage war ähnlich. Ihm wurde bestimmt, wen er heiraten sollte. Eine Widerrede war nicht möglich. Die Erziehung verbat so etwas. Als er sich mit Fazilet unterhielt, klingelte sein Handy. Es war Derya. Sie machte sich Sorgen. Ufuk ließ sein Handy klingeln.

In den folgenden Tagen trafen sich Ufuk und Fazilet immer wieder am Strand und tauschten ihre Sorgen aus. Sie sahen sich als eine Art Schicksalsgemeinschaft, die sie immer näher zueinander brachte.

Ufuk hatte Derya gesagt, dass sein Vater sehr krank sei und er ihn nicht allein lassen könne. Er müsse länger bei ihm bleiben. Wie lange, wisse er nicht.

Fazilet erzählte sehr viel und Ufuk hörte zu. Er blickte dabei in ihre wunderschönen Augen und war wie verzaubert. Er spürte eine Zuneigung, die er noch nie erlebt hatte. Er war wie elektrisiert. Ab und zu dachte er an Derya, aber seine Liebe zu ihr verblasste zunehmend.

Sein Vater erlebte eine schnelle Genesung. Sogar die Ärzte waren überrascht. Der Patient, der im Sterbebett gelegen hatte, war aufgestanden und bewegte sich fast selbst-ständig. Er wurde entlassen und durfte nach Hause.