Kitty Muhr und die tote Schiedsrichterin - Manfred Rebhandl - E-Book

Kitty Muhr und die tote Schiedsrichterin E-Book

Manfred Rebhandl

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Beschreibung

Kitty Muhr, die "Bridget Jones des Gemeindebaus", kann Judo, nicht Yoga. Sie trägt zu kurze Jeans-Miniröcke und zu hohe High Heels. Ihr Selbstbewusstsein ist grenzenlos, wenn auch gespielt. Zusammen mit ihrem politisch korrekten Kollegen Ali Khan Kurtalan ermittelt sie in Wien - er fährt Fahrrad, sie einen alten Mercedes, er isst Gemüse, sie nicht. Nachts sitzt sie mit ihrer besten Freundin Susi, die in einer Gratiszeitung eine Tratschkolumne mit dem Titel SUciety schreibt, bei Barkeeper Johnny in dessen Bingobongobar. Beide sind gerade 40 geworden und haben ihre Probleme damit. Gute Typen wachsen nicht auf den Bäumen, Kompromisse müssen gemacht werden. Aber besser als Kompromisse sind die Sextoys aus Amerika, die sich Kitty beim Onlinehändler Ghettoboy bestellt. Oh Kitty! Als die junge Lehrerin Marina, die am Wochenende als Schiedsrichterin tätig ist, tot aufgefunden wird, tauchen Kitty und ihr Kollege Ali ein in die Welt eines Wiener Vorortefußballclubs, der von einem Wursthändler gesponsort wird. Marina, so stellt sich heraus, war eine Besserwisserin, die allen mit ihren guten Tipps auf die Nerven ging. Es gab also genug Leute, die einen Grund hatten, sie zu ermorden.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ich wachte auf, als das Telefon läutete. Am Zustand meiner Hirnmasse – und meiner Wohnung, die mir sehr seltsam vorkam! – konnte ich erahnen, dass es Samstag war. Am Samstag war ich immer wieder mal ein bisschen ramponiert von der Freitagnacht davor. Denn da saß ich mit meiner besten Freundin Susi in der Bingobongobar und versuchte aufzusammeln, was das Leben an noch halbwegs herzeigbaren Ü40ern ausspuckte, gerne auch U40jährigen! Diese schwierige Übung hob ich mir aber meistens für die Feiertage auf, sodass es am Freitag oft Ü50jährige wurden. Und fragt mich bitte nicht, aber es waren auch schon Ü60jährige dabei! Solche, die sich gut gehalten hatten und an denen es noch etwas zu halten gab!

Naja.

Auch die letzte Freitagnacht hatte, wie ein Blick auf den behaarten Rundrücken neben mir in meinem Bett zeigte, wieder nicht viel übrig gelassen für mich und meine dringenden Bedürfnisse. Mein Geist konnte es selbst kaum fassen, als er in meinem müden Körper dachte: Den hast du also mitgenommen? Wie betrunken musst du denn bitte gewesen sein? Hoffentlich ist zwischen deinem Körper und diesem Kerl neben dir nichts passiert, was man „Sex“ nennen konnte! Dass er noch immer seine Unterhosen trug – einen zu engen, weißen Slip -, konnte meinen Geist immerhin leicht beruhigen. Ich sagte zu dem Kerl: „He! Steh auf und verpiss dich endlich!“

Aber er lachte nur und sagte: „Heb du endlich ab!“

Ah ja! Mein Handy!

Ich drehte mich zur Seite und griff in meine Handtasche, die auf meinem sehr seltsamen Boden stand. Seit wann hatte ich denn bitte einen weißen Teppich? Aus der Tasche holte ich mein Handy heraus und schaute dabei auf die Uhr: 8.15 Uhr!

Was sollte denn der Scheiß bitte? Es war Samstag!

Trotzdem ging ich ran.

Es war mein Kollege Ali, den in der Abteilung Mord-West, in der wir zusammen arbeiteten, alle mit seinem vollen Namen anredeten: Ali Khan Kurtalan. Wer hingegen mit mir sprach, der begnügte sich meist mit einem respektvollen: „Muhr!“

„Was ist?“, fragte ich ihn. „Kannst du mich denn nicht mal am Samstag schlafen lassen?“

Schlafen war das, was ich am Samstag am allerliebsten tat. Neben anderen Dingen, für die mir aber meistens der geeignete Partner fehlte.

Während der mit seiner Kranzglatze neben mir endlich die Höhle meines Bettes verließ (Zwischenfrage meines Geistes: Seit wann sieht denn dein Bett so aus?) und dabei fragte, ob ich noch den Cocktail wolle, den er mir gestern Nacht hergerichtet und den ich nicht mehr getrunken hatte – Antwort: „Spinnst du?“ -, erzählte mir Ali, dass man in Wien-Meidling eine junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden hätte.

Ich fragte ihn: „Wer ist ‚Man’?“

Und fragte mich selbst, warum ich den Cocktail gestern nicht mehr angerührt hatte?

Ali antwortete: „Mit wem redest du denn die ganze Zeit? Du hast dich doch nicht etwa schon wieder auf eine oberflächliche Sexbekanntschaft eingelassen?“

Ha!

Oberflächliche Sexbekanntschaften waren das Letzte, was er sich für mich wünschte. Lieber sollte ich in einem Beduinenzelt Kamele melken, anstatt oberflächliche Sexbekanntschaften zu pflegen. Nachdem wir geklärt hatten, dass es ihn nichts anging, welcher Natur meine Sexbekanntschaften waren, berichtete er endlich weiter: „Ihre Nachbarin hat sie gefunden. Sie wollte der Toten, die zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht tot war, zwei Bio-Kornspitzen vom Bäcker bringen. Beide leben respektive lebte die Tote als Single in der Anonymität der Großstadt in diesem Mehrparteienhaus, da unterstützt man sich gegenseitig und will dem anderen auch mal Gutes tun. Interessant: Als die Zeugin die Treppe von ihrer Wohnung im dritten Stock heruntergegangen ist …“

„ … Zum Bäcker?“

„… Zum Bio-Bäcker! Da war die Wohnungstür der Toten im zweiten Stock noch geschlossen. Als sie mit den beiden Bio-Kornspitzen vom Bäcker wieder zurückkam und die Treppe herauf in den zweiten Stock ging, war diese aber geöffnet. Der Mord muss also vor ca. 45 Minuten geschehen sein.“

Ich fragte: „Heißt es wirklich Kornspitzen?“

Er entgegnete: „Was?“

„Der Kornspitz - die Kornspitzen? Ist das die Mehrzahl? Es interessierte mich halt!“

„Keine Ahnung! Jedenfalls betrat die Zeugin daraufhin die Wohnung und fand die Tote im Vorzimmer auf dem Rücken liegend vor, die Brust voller Blut. Todesursache vermutlich ein Stich ins Herz. Und interessant: In ihrem Mund steckt etwas aus Wolle, das in den Farben des Regenbogens gehalten scheint.“

„Etwas aus Wolle, das in den Farben des Regenbogens gehalten scheint?“

„Genau! Die Nachbarin hat sie vor ca. einer halben Stunde gefunden. Jetzt ist es 8.20 Uhr, und du schläfst immer noch?“

Ich sagte: „Es ist Samstag!“

Und dachte: Wann bringt eigentlich mir mal jemand eine Wurstsemmel zum Frühstück?

Der da neben mir, der sich jetzt endlich in seine zu enge Hose quälte - was den Vorteil hatte, dass ich seine zu enge Unterhose nicht mehr sehen musste! - würde es jedenfalls nicht sein, denn mit ihm würde es kein nächstes Mal geben. Das orangene Lacoste Poloshirt, das er nun über seinen schwammigen Körper streifte, tat mir in den Augen weh. Andere zogen sich an, um zu glänzen, er zog sich an, um hinter seinem Gewand zu verschwinden. Immerhin hatte er seine Socken in der Nacht nicht ausgezogen, was meine Hoffnung befeuerte, dass zwischen uns nichts passiert war. Dann aber fiel mir ein, dass die meisten Typen in diesem Land beim Sex ihre Socken nicht auszogen.

Das war also kein gutes Zeichen!

Während ich Ali weiter zuhörte , hämmerte es in meinem Kopf wie verrückt, und ich sprach mit dem Kerl neben mir in der Zeichensprache. Der lange Zeigefinger meiner rechten Hand gegen meine Lippen gedrückt sagte ihm, dass er bloß den Mund halten solle. Und als ich mit der gleichen Hand in seine Richtung winkte, hieß das: Verpiss dich endlich! Als er mich stattdessen anfassen und mir einen Kuss geben wollte, formte ich die gleiche Hand zu einem Revolver, auf dem er sich die Großbuchstaben DENK NICHT MAL DARAN! vorstellen sollte. Wie konnte ich den überhaupt mit zu mir nehmen? Ich fragte mich, ob er Golfschläger in seinem Auto hatte? Wahrscheinlich schon!

„Flugbussi?“, fragte er schließlich. Da überlegte ich, wo ich die richtige Knarre hatte.

„Verpiss dich endlich!“, schrie ich ihn an.

„Aber du bist doch bei mir!“, entgegnete er mit hysterischem Lachen. Was endlich erklärte, warum mein Bett so komisch aussah.

Es war ja seins!

Du lieber gütiger Himmel! Gestern war Tequilla-Night bei Johnny in der Bingobongobar, da durfte man am darauf folgenden Tag schon mal ein Blackout haben. Aber so ein Blackout? Was war denn bitte mit mir passiert? Ich erinnerte mich, dass ich zuvor noch bei diesem Selbstverteidigungskurs gewesen war, in dem wir gelernt hatten, uns gegen zudringliche Arschlöcher zu wehren.

„Arme hoch! Steh gerade! Du bist du! Deckung!“

So hatte man uns angeschrien. Dabei hatte ich mir wohl einen Muskel am Po gezerrt und mir danach ein paar Schmerztabletten eingeworfen. Als ich dann endlich bei Johnny ankam (mit Schmerzen!), saß Susi mit einem Kerl im orangenen Poloshirt an der Bar, und ich bestellte angepisst einen Long Island Iced Tea.

Moment mal! War das dieser Kerl? Ich konnte es nicht mehr genau sagen. Und schon gar nicht, wie ich überhaupt meine Gemeindebauwohnung mit diesem riesigen Dachausbau verwechseln konnte?

Ich entschied mich, den Jeansminirock, den ich gestern getragen hatte, heute wieder anzuziehen. Er lag neben dem Bett – seinem Bett! -, und ich schlüpfte hinein. Dann warf ich mir seinen Schlafmantel über, der auf seiner Seite neben dem Bett lag und der nicht mal schlecht roch. Währenddessen hielt ich mir das Handy gegen mein linkes Ohr und fragte Ali nach der Adresse, an der man die Tote gefunden hätte. Danach drückte ich ihn weg und warf mein Handy zu meinem ganzen anderen Krempel auf seine Couch.

„Ich geh nur noch kurz für kleine Mädchen“ sagte ich zu ihm. „Und dann siehst du mich nie wieder!“

Er fragte: „Darf ich mitkommen?“

„Denk nicht mal daran!“

Gerne hätte ich meine Selbstverteidigungstechniken an ihm ausprobiert, aber ich spürte wieder dieses Ziehen am Po. Was waren denn das für Schmerzmittel, wenn sie nicht mal dagegen halfen? Ich ging alleine ins Bad, machte mich dort leidlich frisch und kam wieder zurück. Beim Bett schlüpfte ich in meine sommerlichen Heels. Dann sammelte ich alles auf, was auf seiner Couch lag, und warf es in meine Handtasche.

„Wollen wir uns nicht doch noch eine Chance geben?“, fragte er, während er mich freundlich anlächelte.

Ich sagte: „Lieber spring ich vor ein Auto.“

Beim Rausgehen war ich kurz versucht, den Drink auf dem Tisch, den ich gestern nicht mehr angerührt hatte, doch noch zu kippen. Aber dann ließ ich es lieber bleiben.

*

Ich trug noch seinen Schlafmantel, als ich dort bei dieser Wohnung im 12. Bezirk in der Vivenotgasse ankam. Okay, Türkis war nicht meine Farbe, aber ich roch echt gut darin. Und da musste man halt auch mal Kompromisse machen. Wer mich darin sah, würde sich vielleicht denken, ich ginge heute Nachmittag zur Pride-Parade, die würde da nämlich stattfinden.

Ich parkte meinen schweren Benz neben den Bullenautos im abgesperrten Bereich und überlegte wie in letzter Zeit schon öfter, den Spritschlucker zu verkaufen. Aber ich hatte ihn nun mal von meinem Papa geerbt, und wenn ich ihn verkaufen würde, dann zusammen mit dem Geruch nach seinem Rasierwasser darin, das er sich immer aufgetragen hatte, nachdem er Mama betrogen hat, und nach seinen Zigarettenstummeln, die immer noch im Aschenbecher lagen, weil ich sie nicht wegwerfen wollte. Und nach all dem Alkohol, den er gesoffen hatte, bis er ihm das Leben kostete.

Oh mein Papa!

Ich entschied mich also wieder einmal, ihn doch nicht zu verkaufen, und zeigte den Streifenbullen meinen Ausweis. Dabei nahm ich die anerkennenden Pfiffe für mein gewagtes Outfit mit Freude entgegen und betrat das Wohnhaus, einen 80er Jahre Bau mit bunter Fassade, die mir in den Augen wehtat. Ich sagte zu den Bullen: „See you later!“ Und spürte, wie sehr sie sich darauf freuten.

Einen Lift gab es hier nicht, also quälte ich mich zu Fuß in den zweiten Stock hinauf, wo die Wohnung der Toten lag. Meine Füße schmerzten in meinen Heels, und ich atmete schwer, als ich dort oben andockte.

„Was ist? Noch nie eine Frau atmen gesehen?“, fragte ich den Bullen, der vor der Türe stand und mich anstarrte. Ein recht ansehnlicher Bulle, wie sie auch immer seltener gebaut wurden. Groß, vorstehendes Kinn, durchaus männlich. Und einer, der noch Feuer hatte.

„Danke!“

„Bitte, gerne!“, stammelte er, als ich einen tiefen Zug aus meiner ersten Zigarette des Tages nahm und er das Feuerzeug wieder einsteckte. Er hatte wohl wenig Erfahrung mit starken Frauen.

„Jedenfalls keine 40jährige, die wie eine 80jährige atmet!“, unterbrach mich Ali beim Nachdenken darüber, wie sich der Starke nach Feierabend wohl anfühlen würde.

„80 ist das neue 40!“, versuchte ich mich vielleicht ein Spur zu krampfhaft zu wehren.

Oder zu rechtfertigen. Oder irgendetwas in diese Richtung.

„Und erinnere mich vor allem nicht daran!“

Daran nämlich, dass ich nun auch schon im nicht mehr so exklusiven Club der Ü40jährigen war. „Bist du erst einmal 40, dann schauen die Kerle einfach durch dich hindurch!“, sagte meine Freundin Susi immer, die zwei Monate älter war als ich und seit eineinhalb Monaten von nichts anderem mehr redete als genau davon: Dass nun alle Kerle durch sie hindurchschauen würden. Den Spruch hat sie sich von einer Schauspielerin ausgeborgt, über die sie mal in ihrer Kolumne SUciety geschrieben hat, in der sie für eine Gratiszeitung über Prominente berichtete. Diese Schauspielerin hatte auch mal auf Insta geschrieben: „Versuche jeden Tag die beste Version deines Selbst zu sein!“ Auch diesen Spruch hatte Susi an mich weitergegeben, als sie alles von der an mich weitergab, weil sie meinte, es würde mir guttun. Bis heute habe ich aber nicht verstanden, was die Schauspielerin damit gemeint haben könnte: Die beste Version meines Selbst? Sollte ich nicht nur den BH weglassen, sondern auch das Höschen?

Oder was?

Ich betrat die Wohnung. Ein paar Meter hinter der Türe lag die Tote auf ihrem Rücken, als wäre sie einfach nach hinten gekippt. Ein Stich in die Brust musste ihren Fall verursacht haben, nachdem sie hier im Vorzimmer auf ihren Mörder gestoßen war.

Oder ihre Mörderin!

In ihrem Mund steckte das, was Ali mir am Telefon als „Etwas Wollenes“ beschrieben hatte. Ich betrachtete es genauer und kam zu dem Schluss, dass dieses Teil wohl nicht viel von ihrer beachtlichen Oberweite bedeckte, wenn sie es trug: „Das ist ein vordergründig völlig unscheinbares, gehäkeltes Neckholder Top in den Farben des Regenbogens“, sagte ich zu Ali. „In dem sie sich heute Nachmittag durchaus auch auf der Pride hätte sehen lassen können.“ So wie ich in meinem Bademantel, nur dass wir beide nicht daran teilnehmen würden. Sie, weil sie tot war, und ich, weil ich heute wohl früher schlafen gehen würde.

„Könnte das etwas Sexuelles sein, Ali?“, fragte ich ihn. „Ein Knebel vielleicht?“

„Wieso denn etwas Sexuelles?“, fragte er.

Das weite Land der Sexualität, in dem es Fesselspiele und Knebel gab, war ihm fremd.

„Ich sehe darin eher eine Botschaft.“

„Aber welche?“, fragte ich.

Darauf hatten wir beide keine wirkliche Antwort. Nur ein paar Ansätze, die in den Lehrbüchern zum Thema standen: Dass ein Knebel im Mund eines Toten beispielsweise „Halt die Fresse!“ bedeuten konnte.

Vom vergangenen Leben der Toten zeugten ein paar Fotos an der Wand gegenüber der Garderobe, die sie beim Strandurlaub und oder beim Radfahren zeigten. Einschlägige Fotos, die sie im Regenbogentop zeigten, gab es nicht.

„Sie war wohl Fußballerin“, erklärte Ali ihr blutgetränktes, pinkes Shirt und die schwarze, kurze Hose zu schwarzen Stutzen, die sie trug. Ihre Beine waren nicht rasiert, was ich ekelhaft fand, dafür hatte sie volle Brüste, die sich unter ihrem engen Shirt abzeichnete. Auch Ali waren sie längst aufgefallen, aber erwähnt hatte er sie natürlich nicht. Ein Paar perfekt gepflegter Fußballschuhe stand in der Garderobe neben fünf Paar Sneakers. Heels hatte sie scheinbar nicht, was ich nicht verstehen konnte. Ich besaß zum Beispiel nur Heels und gar keine Sneakers.

„Sie war Schiedsrichterin! “, verbesserte ich ihn, denn ich erkannte jeden Schiedsrichter von weitem, seit sie diese gelben, pinken, orangenen oder violetten Trikots tragen mussten. Um wie viel besser sahen sie aus, als sie noch ganz in Schwarz gekleidet aufs Spielfeld liefen, wie italienische Witwen. Aber gut, das war zu einer Zeit, als Frauen noch nicht Fußball spielen und auch nicht Schiedsrichterinnen werden durften. Als ich mit Papa im Weststadion bei Rapid-Matches war und er mir alles über Fußball erklärte: Wie man schimpfte, wenn einem eine Entscheidung des Schiedsrichters nicht passte; wie man sich ein Bier bestellte und am Ende enttäuscht in ein Wirtshaus ging (und mich alleine nach Hause schickte!), wenn die eigene Mannschaft wieder einmal verloren hatte. Und wie man dabei schwieg und seinen Ärger in sich hinein fraß, bis man irgendwann spätnachts in die Wohnung kam und der Länge nach im Vorzimmer hinfiel.

„Dürfen Frauen denn Schiedsrichter werden?“, fragte Ali.

Da hatten wir´s!

„Schiedsrichterinnen!“, verbesserte ich ihn. Schließlich war er es, bei dem immer alles und jeder auch weiblich sein musste. Trotzdem waren gewisse Entwicklungen an ihm vorbeigezogen, ohne dass er sie wahrgenommen hätte: Dass Frauen das Haus verlassen durften. Dass sie wählen durften. Dass sie einen Führerschein machen durften. Und dass sie eben auch längst Fußball spielten und als Schiedsrichterinnen für diese Fußballspiele zugelassen waren. Mir sollte es recht sein, auch wenn ich immer noch lieber Männerfußball schaute - wegen der behaarten Beine, die mir bei Männern deutlich besser gefielen als bei Frauen. Und weil ich es mochte, wenn Kerle am Boden lagen, sich den Knöchel hielten und anfingen zu weinen, sobald sie ein anderer schubste.

Vor allem die Italiener!

„Sie hieß Marina Andric und war 24 Jahre alt“, fuhr Ali fort mich aufzuklären. „Das sagte uns zunächst ihre Nachbarin, wurde uns aber auch durch ihren Reisepass bestätigt, den wir in ihrer Schreibtischlade gefunden haben.“

„Die Nachbarin aus dem dritten Stock?“

„Ja, warum? Ist denn das Stockwerk so wichtig?“

Ich wusste auch nicht, wieso, aber Nachbarn waren für mich welche, die auf der gleichen Ebene wohnten. Entweder im Haus nebenan oder im gleichen Stockwerk nebenan. Aber ein Stockwerk drüber war für mich kein Nachbar.

„Die mit dem Kornspitz?“, fragte ich weiter.

„Die mit den zwei Kornspitzen.“

Sie hieß Kerstin Schleef, und wie ich nun sehen konnte, war sie ein Yogapüppchen und blond wie Stroh. Sie stand süß und unschuldig in der engen Küche, und das hieß erfahrungsgemäß nichts anderes, als dass sie verschlagen und hinterhältig war. (Das konnte natürlich auch ein Vorurteil sein, aber nicht alle Vorurteile waren falsch!) Jedenfalls war sie mir sofort unsympathisch – blonde Yogapüppchen, up my ass!

Ich ging zu ihr hin und fragte: „Haben Sie vielleicht noch irgendwo diese zwei Kornspitzen? Und wenn ja, haben Sie vielleicht auch etwas dazu gekauft? Leberaufstrich oder so was? Vielleicht Schmalz?“

Und nach dem Schmalz fragte ich nicht nur, weil ich sie ärgern wollte. Mir war tatsächlich danach!

„Schmalz?“ fragte sie offen angewidert, wobei ich einen leicht burgenländischen Akzent zu erkennen glaubte. Und ein sehr deutliches Lispeln.

„Oder Leberaufstrich!“

„Das schmeckt ja schrecklich“, lispelte sie, und ich war richtig froh, dass sie gleich drei „S“ in diesen Satz packte.

„Leberaufstrich schmeckt nicht schrecklich!“, verteidigte ich zunächst diejenigen auf der Welt, die noch Leberaufstrich aßen, bevor ich mir ein Lachen verkneifen musste - was ich ungern tat! Denn ich lachte nun mal gerne, wenn jemand lispelte. Oder schielte.

„Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass sie lispelt?“, fragte ich Ali, wobei ich mit meinen Händen einen Trichter zu seinem Ohr hin formte, damit sie mich nicht hören konnte.

„Sie lispelt nicht, sie hat eine besondere Form zu sprechen!“, sagte er, ohne diesen Trichter zu formen, sodass sie ihn hören konnte. Darum formte auch ich keinen Trichter mehr, als ich mit Nachdruck sagte: „Ach ja? Sie lispelt!“

Darüber hätte ich noch lange mit ihm streiten können, aber er wollte wie üblich lieber über die ernsteren Dinge des Lebens reden: „Da die Türe, wie die Zeugin …“

„ … die lispelt …“

„ … sagte, offen stand und keine Spuren von Gewalteinwirkung zeigte, als sie die Tote fand, gehen wir Stand jetzt von keinem Einbruch aus.“

„Kannst du mit mir bitte nicht so reden wie die im Sonntagskrimi?“, ersuchte ich ihn. „Ich hab ohnehin schon genug Kopfweh!“

Er war erst kürzlich reingekippt ins sonntägliche Tatort-Schauen, am liebsten mit Figuren aller möglicher Hautfarben, die ohne Grund durchs Bild liefen; mit Problemen, die zuhause kein Mensch hatte, und mit Ermittlern, die von einem turbulenten Privatleben gebeutelt waren und ihren Partner nicht leiden konnten …

He, Moment mal! Ging es da etwa um uns?

Ali blieb auf Linie: „Jedenfalls fehlt nichts, soweit wir das bis jetzt sagen können …“

Die Tote hatte ihre Bude mit dem üblichen Schnickschnack vom Billigmöbelhändler eingerichtet, im Regal standen Bücher zum Thema Menstruation und darüber, wie man zu den eigenen Brüsten stehen und warum man sich nicht die Mumu rasieren sollte. Und auch nicht die Beine!

„… Außer vielleicht ihr Handy“, sagte Ali. „Ein solches haben wir bisher nämlich nicht gefunden.“

„Fehlt das Handy, fehlt neuerdings alles!“, sagte ich, und dabei erinnerte ich mich an eine andere Wahrheit, die meine Freundin Susi mir mal vermittelt hatte: „Das ganze Leben eines Menschen steckt neuerdings in seinem Handy!“

Sicherheitshalber kramte ich in meiner Handtasche nach meinem eigenen. Ich wollte es wieder mal spüren, berühren, ertasten und mich bei ihm bedanken. Dafür, dass es den gesammelten Schatz meiner schönsten Dickpics beherbergte, die mir im Laufe der Jahre zugesandt worden sind und die ich keinesfalls missen wollte …

„Verdammt!“, schrie ich.

„Was denn?“, fragte Ali erschrocken.

„Ich hab’s bei ihm vergessen!“

„Was vergessen? Und bei wem?“

„Mein Handy! Bei dem mit dem orangenen Lacoste Shirt!“

„Du warst also tatsächlich schon wieder bei einem anderen?“

„Als wäre ich jede Nacht bei einem anderen!“

In Wahrheit hatte sich die Quote in letzter Zeit nahezu halbiert, weil ich ja, wie gesagt, auch nicht jünger wurde. Das Problem war nun, dass ich auch die Adresse von dem Kerl vergessen hatte. Ich war einfach weggefahren von dort, wo ich war, und hatte nicht zurück geschaut. Es war der 13. Bezirk gewesen, soviel wusste ich noch. Oder der 23.? Und die Straße? Die Hausnummer? War es eine Allee oder eine enge Sackgasse? Ein Straßenname mit Bindestrich oder ohne?

Keine Ahnung!

Genervt bat ich die Zeugin, mir alles noch einmal möglichst langsam zu erzählen. Nicht, weil ich sie langsam lispeln hören wollte, sondern weil ich starke Kopfschmerzen hatte: „Wer war denn diese Marina, wie war sie, und was war sie?“, fragte ich recht allgemein, weil mir keine detaillierteren Fragen zur Toten einfielen.

„Marina war ein ganz wunderbarer Mensch“, lispelte sie, die eindeutig der verträumte Typ war. „Sie war… einfach wunderbar.“

„Ja okay“, sagte ich. „Und was noch außer wunderbar?“

„Wir sind …, also wir waren Freunde, also uns nachbarschaftlich verbunden. Wir sahen uns immer wieder, naja, hin und wieder, und plauderten oft, also ein bisschen. Und wenn die eine einkaufen ging, brachte sie der anderen etwas mit, also manchmal, nicht immer. Aber ich ihr heute.“

Was jetzt?, fragte ich mich. Waren sie Freundinnen oder Nachbarn? Trafen sie sich zufällig, oder verabredeten sie sich? Oft oder selten? Sie konnte sich scheinbar selbst nicht entscheiden, wie das heute die Art dieser jungen Leute war, die gerne Kaffee mit Milch tranken - es durfte nur ja keine richtige Milch sein!

Ich musste also tiefer bohren, und das tat ich: „Hatten Sie einen Schlüssel zu ihrer Wohnung?“

„Was?“, lispelte sie nun überraschend laut, bevor sie überhaupt kreischte. „Neiiiin!“

Also waren sie doch eher Nachbarn. Um die Sache endgültig zu klären, wollte ich wissen: „Waren Sie scharf auf Sie? Lief da etwas zwischen Ihnen beiden? Haben Sie ihr mal das Regenbogen Top ausgezogen und sich an ihren vollen Brüsten begeilt, ha? Und gab es irgendwann Streit, sodass Sie es ihr in den Mund gesteckt haben? Na los, raus mit der Sprache!“

Das waren bewährte Fangfragen, und siehe da: Für eine, die offensichtlich Yoga machte (und lispelte!), schnappatmete sie nun ziemlich heftig: „Das … das ist … das ist doch eine Frechheit!“

„Nicht in diesem Land!“, entgegnete ich. „Hier darf man noch scharf sein auf wen und auf was man will! Auch wenn gewisse Kräfte vom Land und solche, die hierher zuziehen, sich wieder verstärkt darum bemühen, es nicht sein zu dürfen. Nicht wahr Ali?“

Verteidigte ich da gerade die lesbische Liebe? Ich, die ich den guten alten Ritt auf eines Mannes Johannes allem anderen Liebesspiel vorzog?

„Bin weder vom Land noch hierher zugezogen“, sagte er. „Noch habe ich etwas gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Ich bin ein weltoffener, hier geborener Städter, der auch schon mal bei der Pride mitmarschiert ist, aus Solidarität.“

Ich konterte: „Das kann jeder sagen!“

Als potenzielle Mörderin drängte sich die Zeugin in meinen Augen nicht so richtig auf, denn: warum hätte sie dann selbst die Polizei gerufen? Gut, es gab welche, die es besonders gefinkelt anstellen und dann lange Zeit selbst als Zeuge am Tatort herumstehen und wertvolle Tipps geben - aber so eine war sie nicht. Mich interessierte daher nur noch: „Fällt Ihnen zum Schiedsrichteroutfit Ihrer Freundin respektive Nachbarin etwas ein? Ist das ein Sonntagvormittagfetisch oder so was in der Art?“

Da musste Blondie sogar lachen: „Aber nein! Sie hat vor drei Wochen ihre Ausbildung beendet, soviel weiß ich.“

„Und warum?“, fragte ich. „Ich meine: Welche Frau will denn unbedingt Schiedsrichterin werden?“

Da begannen die Augen der Zeugin beinahe ein bisschen zu leuchten, und sie sagte etwas in die Richtung, dass eine Art großer Freude daran, sich für Gerechtigkeit, aber auch gegen Tierleid und jegliche Form der Diskriminierung einzusetzen, dafür für die Rechte von Minderheiten, die Tote vor allem ausgezeichnet hätte.

Für Gerechtigkeit also! Und gegen und für all den andere Kram!

„Und das gefiel ihnen an ihr?“, fragte ich.

„Ja, natürlich!“

„Aber warum denn?“

„Weil ich selbst eher defensiv, schüchtern und wenig durchsetzungsstark bin, wenn es darum geht, Ungerechtigkeit zu bekämpfen und mich für Gleichbehandlung einzusetzen.“

Ich war versucht zu sagen: „Das liegt vielleicht daran, dass Sie lispeln!“

Einmal musste ich es einfach sagen!

Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, erzählte sie uns noch, dass sie und ihre Freundin/Nachbarin/Bekannte früher am Samstagvormittag – manchmal! - gemeinsame Ausflüge mit dem Fahrrad unternommen hätten; dass dies aber in letzter Zeit nicht mehr möglich gewesen wäre, weil Marina ja Schiedsrichterin geworden war.

Radfahren am Samstagvormittag war aber ein Thema, das mich schon nicht interessierte, wenn Ali mir davon erzählte. Es langweilte mich so sehr, dass ich die Zeugin einfach wegschicken musste. Sollte sie doch endlich in ihre Wohnung im dritten Stock gehen und dort Yoga machen. Und dabei lispeln, wenn sie ihr Mantra sprach! Ich hatte genug von ihr gehört.

*