Sommer ohne Horst - Manfred Rebhandl - E-Book

Sommer ohne Horst E-Book

Manfred Rebhandl

0,0

Beschreibung

DER PERFEKTE SOMMER STEHT VOR DER TÜR: DOCH WO VERDAMMT NOCH MAL IST HORST?! Superschnüffler Rock Rockenschaub freut sich auf einen CHILLIGEN SOMMER IM OTTAKRINGER BAD. Ladys eincremen, Joints drehen und beim Herrengedeck entspannen. Am besten geht das mit seinem BUDDY BADEMEISTER HORST: dem Meister des Sonnenöls! Der Supergigolo ist über zwei Meter groß und geformt wie ein Cornetto blonde Haare bis halb zum Arsch und ein fetter Schnauzer im Gesicht. DER AUSTRIAN HULK HOGAN! Mit ihm wäre Rocks Sommer perfekt bis die DENKBAR GRÖSSTE KATASTROPHE eintritt: Horst ist plötzlich verschwunden! Rock macht sich auf die Suche und findet heraus, dass sein FREUND IM GEFÄNGNIS sitzt, weil ihn eine bloggende Lehrerin gigantischer Ausmaße mit Achtsamkeits-Tick der Vergewaltigung bezichtigt. (Lachhaft! Horst und eine Dicke?) Das Leben ist einfach so verflucht schwer, wenn man so eine sexy Schnitte wie Horst ist. Wird er dem DRUCK ALS FRAUENHELD AUF DIE DAUER STANDHALTEN können? REBHANDL VOM FEINSTEN! DERBKOMISCHE TYPEN UND DRECKIGE GEHEIMNISSE. Als wäre das nicht schon Drama genug, wird DER SCHLAUCH, ein nigerianischer Drogendealer und Junkie-Kardinal ermordet und entmannt in einem Obdachlosenheim aufgefunden. Außerdem machen ROCKS HIRNRISSIGE FREUNDE ihm das Leben schwer: LEMMY, ständig im Drogenkoma, wird prompt zu Horsts VERTRETUNG SAMT SEXY BADEMEISTERHOSE ernannt, KUBELKA, Psychotherapeut und Sigmund-Freud-Fan-Nr. 1, muss sich verdreschen lassen, weil SEINE NEUE FLAMME ausgerechnet einen eifersüchtigen Ehemann haben muss und bei BULLE GUTTI ist sowieso alles verloren. Der bildet sich neuerdings ein, er muss DAS WELTKLIMA RETTEN, und zwar für Greta Thunberg und in gelber Warnweste. Ach du Scheiße. Doch die größte Gefahr für Rock ist immer noch WILLI DAS SCHWEIN, dem nach und nach alle seine Kartenspieler beim Männerkränzchen im SCHREBERGARTENTRAUM NEU-BRASILIEN an der Alten Donau neuerdings auch Opfer von Bobo- und Slimfitanzug-gesteuerter Gentrifizierungswelle - wegsterben. Dabei bei muss Rock den Alten unbedingt zufrieden halten, weil er der EINZIG RICHTIGE ERBE FÜR DIRTY WILLIS SWEDISH PORNHOUSE ist! Da kommen so ein Mord und eine Vergewaltigungsanschuldigung gar nicht recht. Rock muss sich etwas einfallen lassen, UM DIESEN VERROTZTEN SOMMER NOCH IRGENDWIE ZU RETTEN. Rebhandl beweist sich wieder einmal als MEISTER DES WIENER VORSTADT-HUMORS: einfach schamlos komisch!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 284

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Manfred Rebhandl

Sommer ohne Horst

Rockenschaub löst auf alle Fälle alle FälleKrimi

 

 

Manfred Rebhandl

Sommer ohne Horst

 

 

 

Über den Azoren hatte sich ein stabiles Hoch gebildet, und ein stabiles Hoch über den Azoren war das mindeste, was ich mir von einem gelungenen Sommer erwartete. Da wollte ich meine Ruhe haben und eben mein Azorenhoch, denn mit diesem Hoch über den Azoren stand oder fiel jedes Jahr mein Glück.

Ein Hoch über den Azoren bedeutete Sonne, Hitze, kühle Drinks und heiße Mädchen, und es war das genaue Gegenteil eines Tiefdruckwirbels über dem Atlantik, den ich hasste. Da schwappte das Wasser hinunter in den Keller meines Kumpels Lemmy, aus dem heraus er traditionell sein Gras verkaufte; und es schwappte Wasser von der Alten Donau hinein in den Garten meines Kumpels Dirty Willi drüben in Neu-Brasilien, der dort traditionell seine Tage mit einer fröhlichen Kartenrunde verbrachte; und das Ottakringer Bad, in dem mein Kumpel Horst Bademeister war und auf der Liegewiese, auf der ich traditionell meine Beine hochlegte, für Anstand und Ordnung sorgte, hatte bei einem Tiefdruckwirbel über dem Atlantik geschlossen, weil Bäder bei Starkregen einfach nicht öffnen. Und wenn es ganz schlimm herging, dann stand bei einem Tiefdruckwirbel über dem Atlantik mein Freund Kubelka, der Psychofuzzi, in seinem Regenmantel der Marke Derrick vor meiner Bude und wollte mit mir über Ladys reden, die er gerne flachlegen würde, die sich von einem Krummrücken wie ihm aber natürlich nie im Leben flachlegen lassen, weil er einfach überhaupt nichts Geiles an sich hatte.

Daher hasste ich diese Sommer mit ihren Tiefdruckwirbeln über dem Atlantik, und ich liebte die wenigen mit ihrem Hoch über den Azoren. Ich stand dann immer eine gute Stunde nach Mittag auf, hüpfte in die enge Badehose der Marke Fila und zog darüber die grüne Rapid-Hose der Marke Adidas aus den Achtzigerjahren an, die meine strammen, gut gebräunten und ausreichend behaarten Schenkel gut zur Geltung brachten. Anschließend bedeckte ich die behaarte Brust mit einem weißen Unterhemd, hängte mir ein löwenzahngelbes Hawaiihemd mit grün-weißen Einsprengseln über die Schultern, schlüpfte in die Adiletten, schob mir die Siebzigerjahre-Sonnenbrille der Marke Carrera auf die Nase und setzte mir am Ende noch einen kleinen Trilby-Strohhut aus dem Ein-Euro-Shop auf den Scheitel, der meinen Kopf gegen die Sonne schützen sollte.

So fuhr ich hinaus ins Bad zu Horst, der dort an jedem verdammten Tag, an dem die Sonne schien, kurz nach Mittag in der Kantine auf mich wartete, um mit mir zusammen ein erstes Herrengedeck einzunehmen und über die Frauchens zu reden, die ihm ihre Nummer gegeben hatten, damit er sie eincremte und anschließend flachlegte. Danach leerte er die Mülltonnen aus und wies ein paar zugewanderte Rotzlöffel darauf hin, dass sie keinesfalls seitlich ins Becken springen durften, damit ich wieder in Ruhe die Beine hochlegen und gar nichts machen konnte.

Es hätte also einer dieser herrlichen Sommer werden können, in denen wirklich alles passte. Aber natürlich kam wieder einmal alles ganz anders.

***

Die Sonne stand noch lange nicht im Zenit, da lenkte ich meinen mintgrünen Datsun 280ZX schon in Richtung Busbahnhof draußen in St. Marx. Mein Freund Guttmann, der Bulle beim Wiener Kommissariat Mord-West war, saß neben mir und hatte eine alte Ledertasche zwischen seine fleischigen Waden geklemmt, die ihrerseits in schwarzen Stutzen steckten, welche er wiederum samt seinen riesigen Füßen in alte Sandalen gespannt hatte. Und dann trug dieser Fleischberg seit ein paar Tagen auch noch eine gelbe Warnweste der Größe XXL über seinem kurzärmeligen, beigen Hemd, weil ihm plötzlich irgendetwas mit „der Welt“ und „dem Klima“ wichtiger war als die Filme mit Big Mama Joy. Manchmal glaubte ich selbst nicht, dass ich mit dem befreundet war!

Gutti war nämlich das genaue Gegenteil von einem gelungenen Sommer, er war tiefster Winter. Seine hundertfünfzig Kilo wuchtete er am liebsten auf seinen Massivstahlsessel in seinem stickigen, fensterlosen Büro in der Mordkommission, wo er seit dreißig Jahren arbeitete. Oder waren es fünfzig Jahre? Was weiß ich! In diesem Loch hatten sie ihn untergebracht, seit der neue Innenminister nur noch welche in schlanken Anzügen haben wollte. Gutti hatte sich dort für die Tage des Azorenhochs, das er hasste, einen Ventilator auf den Schreibtisch gestellt, der ihm verlässlich gegen die riesigen Schweißflecken an seinem Hemd blies. Ohne diesen Ventilator klebte sein Hemd an ihm wie eine Tapete an einer sehr dicken Wand in den Tropen.

Ich kannte ihn aus Dirty Willis Swedish Pornhouse, wo er immer in der letzten Reihe Mitte saß und sich jeden Mittwoch Big-Mama-, Biggest-Mama- oder Bigger-than-Big-Mama-Filme anschaute, eben mit Big Mama Joy in der Hauptrolle. Die längste Zeit gefielen ihm nur Filme mit Ladys, an denen richtig viel Fleisch dran war. Das hatte etwas mit seiner Mutter zu tun, hatte mir Kubelka einmal erzählt, entweder war Gutti zu lange gestillt worden oder eben zu kurz. Keine Ahnung! Aber gegen die wirklich sehr heiße, sehr gut gebräunte und von oben bis unten sehr gut eingeölte Bunny Beach hatte er am Ende auch nichts einzuwenden. Nur, dass er halt seit ein paar Wochen diese Warnweste trug und immer wieder sagte: „Ihr mit euren Scheißpornos! Ist das wirklich alles, was euch interessiert?“ Und ich ihm dann immer sagen musste: „Das ist natürlich nicht alles, was uns interessiert, Gutti. Aber das ist doch schon mal etwas!“

Es musste also dringend etwas passieren in seinem Leben, denn diese Weste war der letzte Hinweis darauf, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Kubelka, Lemmy, Willi und ich setzten uns also bei Jolanda im Hard & Heavy zusammen, bestellten feurige Gulaschsuppe und warfen zehn Euro in die Mitte, jeder zwei Euro fünfzig. Dann überlegten wir, wie wir Gutti damit eine Freude machen könnten, aber mit zehn Euro ging sich keine Freude aus! Gott sei Dank hatte Lemmy immer die neueste Ausgabe der Gosse mit dabei, weil er das Papier brauchte, um darin sein Gras zu portionieren. In diesem Drecksblatt fanden wir schließlich ein Gewinnspiel, mit dem man ein Wochenende inkl. zwei Übernachtungen beim Beachvolleyballturnier unten in Podersdorf am Neusiedlersee gewinnen konnte, und Glückskinder, die wir nun mal waren, gewannen wir zwei Wochen später auch!

Die heißen Girls dort unten sollten Guttis Hose wieder unter Spannung setzen, wenn er im Sommer schon nicht ins Bad ging, um sich dort die heißen Ladys anzuschauen und sie zu einer Eincremesession zu überreden. Anfangs hatte er noch gezögert, unser Geschenk auch anzunehmen, aber dann überraschte er mich mit der Frage: „Kommen dort auch viele reiche Säcke mit ihren vollkommen überdimensionierten, viel zu teuren Autos hin?“ Und ich antwortete ebenso überrascht: „Natürlich, Gutti! Aber das ist doch hoffentlich nicht das Einzige, das dich daran interessiert? Beim Beachvolleyball geht es um die Girls, und nicht um teure Autos!“

Ich sparte dann auch nicht mit Glitter und Girlanden, als ich versuchte, ihm diese Girls beim Beachvolleyball schmackhaft zu machen: „Die tragen dort wirklich sehr kurze Höschen. Und die Tops sind wirklich sehr eng.“

Aber er fragte nur: „Was sind Tops?“

Wie alle Männer in seinem Alter kriegte er nicht mehr viel mit von der Welt. Und in seinen beigen, gebügelten Khakihosen stand er schon ein wenig verloren in den neuen Zeiten.

Nachdem ich es ihm erklärt hatte, wollte er es noch einmal ganz genau wissen: „Da stecken also ihre Titten drin?“

„Und wenn du Glück hast, dann rutschen sie sogar raus! Und weil immer die Sonne scheint, wenn sie spielen, cremen sie sich am ganzen Körper ein, und dann glänzen sie! Und weißt du was? Der feine Sand bleibt auf ihrer Haut kleben, wenn sie sich darin wälzen!“

„Sie wälzen sich im Sand?“

„Na, was denkst du denn?“

„Aber warum?“

„Weil es geil aussieht, verdammt! Kannst du dich denn nicht mehr an die Beachbunny-I–IV-Filme erinnern, mit Bunny Beach in der Hauptrolle? Wo sie auch immer voll mit Sand ist, bevor sie der Rettungsschwimmer ins Hotel trägt?“

Natürlich konnte er sich erinnern! Aber jetzt, da wir uns dem Busbahnhof näherten, fragte er mich nur, wie er dieses Hotel in Podersdorf finden solle. Ich sagte: „Herrgott, dieser Neusiedlersee kann doch nicht so groß sein, dass du dort dieses Scheißhotel nicht findest! Wie heißt es denn?“

Er sagte: „Zur Braunen Sau.“

Das war ein typisch österreichischer Hotelname, also sagte ich: „Das findest du!“

„Und glaubst du, dass es eine Tiefgarage hat?“

„Ganz sicher hat es eine Tiefgarage! Aber warum zum Teufel brauchst du denn eine Tiefgarage? Du fährst doch mit dem Zug!“

Dann schwieg er zufrieden, als hätte er plötzlich einen Plan. Eine genaue Vorstellung von etwas, was mit einer Tiefgarage zu tun hatte und mit überdimensionierten, teuren Autos. Bevor er dann doch noch fragte: „Und wo genau spielen sie Beachvolleyball?“

„He! Am Beach vielleicht?“

„Gibt es dort einen Parkplatz?“

Darauf wusste ich dann wirklich keine Antwort mehr, und es war mir auch scheißegal. Wenn die Worte nicht mehr purzelten, dann drehte man einfach das Radio lauter. Wir waren ja keine Hausfrauen, die Rezepte austauschten, wir waren Männer, die auch mal den Mund halten konnten. Aus den Lautsprechern hörten wir dann Summertime, das er leiser haben wollte und ich lauter. Darüber gerieten wir noch nicht in Streit, erst über Summer in the City, das er lauter haben wollte und ich ganz abgedreht.

„Lauter!“

„Leiser!“

„Lauter!“

„Leck mich!“

Erschöpft lenkte ich den Datsun zum Parkplatz vor dem Busbahnhof, wo er endlich ausstieg. Dann klemmte sich seine alte Ledertasche unter den Arm und schaute sich um. Die Tasche war so gut gefüllt, dass ich ihn das fragen musste: „Gutti, du hast doch nicht wieder Würfelzucker da drin?“

Würfelzucker war nämlich seine Leibspeise. Aber seit der Doktor ihm Zucker verboten hatte, tat ich mein Möglichstes, damit er die Finger davon ließ. Als er mir versicherte, dass er nur Wurst mithatte, bohrte ich nicht weiter, auch wenn ich ihm nicht glaubte.

Er sagte: „Diese verdammten SUVs! Und ist dir überhaupt schon aufgefallen, dass diese Idioten mit ihren Schwanzproblemen jetzt alle Pick-ups fahren? Als wären wir in Kansas und müssten den Mais in den Stall bringen! Greta hat recht! So kann das einfach nicht weitergehen.“

Während er ebenso wütend wie verloren dastand und nicht recht wusste, ob er diese abenteuerliche Reise zum Neusiedlersee jetzt auch wirklich antreten sollte oder nicht, hörten wir aus dem Radio die Nachrichten: Wahnsinn hier und Wahnsinn da. Wir hörten uns den täglichen Schwachsinn von diesem amerikanischen Idioten an und auch den täglichen Schwachsinn von unserem heimischen Schmalanzugträger, der wieder irgendeine Route schließen wollte. Was für ein Schließmuskel! Bis die sexy Nachrichtensprecherinnenstimme plötzlich meinte: „Während der letzten drei Nächte kam es in Wien-Meidling im Bereich der Schönbrunner Allee zu zahlreichen Angriffen auf sogenannte SUVs der Marken Porsche, BMW und Audi. Die Kraftfahrzeuge wurden mit Nägeln aus einem Druckluftnagler durchlöchert. Der Sachschaden ist enorm.“

Ich nickte zufrieden und sagte: „Bravo!“

Während ich mir einen Joint der Marke Vaya Con Dios aus der Produktion des Hauses Lemmy drehte, fragte ich Gutti beiläufig: „Wo wohnst du noch mal genau?“

Er wohnte im 12. Bezirk in der Gegend um die Schönbrunner Allee. Von dort hatte ich ihn nämlich vor einer Stunde abgeholt.

Plötzlich wirkte er müde und antwortete nicht mehr auf meine Frage. Stattdessen drückte er seine Tasche fester an sich und watschelte zwischen den Autos davon wie Homer Simpson, der eine gelbe Warnweste trug und dringend scheißen musste.

Ich rief ihm nach: „Wer ist eigentlich Greta?“

***

Meinem alten Kumpel Lemmy gehörte am Wiener Brunnenmarkt ein altes Haus, das er dort vor dreißig Jahren gekauft hatte, als die Häuser noch billig waren und die Gegend versaut und verdreckt. Im Souterrain dieses Hauses war früher eine Pizzeria untergebracht, aus der heraus er heute sein Gras verkaufte, das er weiter hinten im Keller anbaute. Im Hochparterre dieses Hauses hatte er mir eine kleine Wohnung samt Büro überlassen, für die ich nur unregelmäßig Miete zahlen musste. Dort hatte ich in den Staub einer Fensterscheibe, durch die ich auf den Brunnenmarkt hinausblicken konnte, mit dem Finger geschrieben:

Superschnüffler Rock RockenschaubLöst auf alle Fälle alle Fälle0–24 Uhr

Sobald die Sonne richtig am Himmel stand, konnte man das sogar von draußen lesen, wenn auch natürlich verkehrt herum. Und seit ein paar Tagen stand dort noch:

Im Urlaub!

Ich hüpfte hinunter zu Lemmy, der sich für die Freuden des Sommers noch weniger interessierte als Janis Joplin für ein gesundes und langes Leben. Bei Sonnenschein saß er am liebsten in seinem stinkenden, finsteren Loch auf seiner versauten Couch herum und portionierte sein Gras. Trotzdem versuchte ich ihn immer wieder mal für einen Badeausflug zu begeistern oder jedenfalls dafür, mit mir an die frische Luft zu gehen. Ich fragte: „Möchtest du mitkommen?“

„Wohin?“

„Zu Horst hinaus ins Bad, Lemmy! Ins Bad zu Horst! Weißt du denn nicht, dass sich endlich ein stabiles Azorenhoch gebildet hat?“

„Aber ich habe doch erst zu Weihnachten gebadet!“

Es war nicht einfach mit Leuten, die seit vierzig Jahren regelmäßig Gras rauchten, und das nicht täglich, sondern stündlich.

Trotzdem schaffte ich es nun, ihn hinauf in die Hitze der Stadt zu schleppen, ich sperrte den Laden hinter uns zu und setzte ihn in meinen Wagen. Wir drehten eine Runde entlang der Höhenstraße, wobei ich darüber redete, wie glücklich Horst im Vergleich zu ihm war und wie unglücklich er im Vergleich zu Horst. Aber er hielt nur seinen Schädel hinaus beim Fenster, und seine langen Haare der Marke Willie Nelson flatterten dabei ebenso im Fahrtwind wie seine Ohren der Marke Windhund. Immer wieder mal schaute ich zu ihm hinüber, und dabei merkte ich, was für eine alte Oma er geworden war. Ihm fehlten einfach die sinnlichen Erfahrungen, die einen jung hielten, die geilen Eindrücke, die einen im Leben ein bisschen anschoben. Die Karotte vor der Nase. Er war schon zufrieden, wenn er nur den Zungenlappen in den Wind hängen konnte, aber schon das Grün der Straßenbegrenzung, an dem wir vorbeirasten, interessierte ihn nicht mehr. Ich dachte: Der alte Lemmy braucht ganz dringend eine Beschäftigung! Eine andere jedenfalls, als Joints zu rauchen und Gras zu verkaufen. Aber welche? Wenn er so weitermachte, dann würde er im Alter zum Problemfall werden, und ich würde ihn pflegen müssen. Ich hatte aber genug andere Probleme am Arsch. Darum hätte ich es gerne gesehen, wenn er noch ein paar Jahre ohne Rollstuhl auskommen würde.

Ich fragte: „Lemmy, was interessiert dich eigentlich im Leben? Möchtest du noch irgendetwas tun? Eine Ausbildung machen?“

Aber er war Ende fünfzig, da war es schwierig mit Ausbildung. Und sein Hirn war nicht mehr ganz fabriksneu, er schien nicht einmal meine Frage zu verstehen. Also suchte ich den Zugang über sein Herz: „Hast du noch irgendwelche Träume?“

Aber auch hier: keine Antwort.

Ich drehte Suicide mit Dream Baby Dream auf, von dem ich dachte, dass es in ihm vielleicht irgendetwas auslösen würde, aber es kam einfach nichts. Bis er, und da waren wir schon richtig weit draußen in der Natur, plötzlich heftig anfing zu niesen und ihm die Augen tränten, als wäre gerade Neil Young gestorben. Es fehlte nicht viel, und es hätte ihn zerrissen. Besorgt fragte ich: „Verdammt, was ist denn mit dir los?“ Und er antwortete: „Das fragst du mich? Ich hab keine Ahnung! Vielleicht bin ich algerisch auf irgendetwas. Also bring mich endlich zurück!“

„Algerisch?“

Erst als ich den Datsun wieder in der Stadt vor dem Quattro Stazzione einparkte, war es vorbei mit Niesen. Und da war ich auch richtig froh darüber, weil er mein Wageninneres schon ganz schön vollgesaut hatte. Soll der doch in seinem Loch unten verfaulen, dachte ich, als wir ausstiegen. Ich fahre mit dem jedenfalls nicht mehr in die Natur.

Unten im Keller setzte ich ihn zurück auf die Couch. Ich stellte ihm den Trinknapf daneben, damit er nicht dehydrierte, während ich weg war, und zündete ihm einen Joint an, der so fett war, dass er den ganzen Tag lang daran nuckeln konnte. Den steckte ich ihm in den Kaubereich, und dann legte ich noch Made in Japan von Deep Purple aufs Vinylgetriebe, damit wenigstens seine Ohren ein paar Minuten lang etwas zu tun hatten, während ich weg war. Ich selbst nahm mir ein paar Tüten Gras aus seiner Verkaufslade, die ich für einen langen, gemütlichen Tag draußen im Bad bei Horst benötigen würde, und verabschiedete mich mit herzlichem Gruß. Er aber grüßte nicht zurück, sondern sagte nur: „No pasarán!“

Alter Kämpfer.

***

Vor drei Tagen hatte ich auf der Wiese im Bad eine angefilmt, die keine Kinder bei sich am Badetuch sitzen hatte – ein seltenes Glück in diesen Tagen! –, und verdammt noch mal: Sie hatte sogar zurückgefilmt. Aber dann war ich eingeschlafen, bevor ich sie eincremen konnte, vielleicht wegen des dritten Bieres, das ich in der heißen Sonne getrunken hatte, vielleicht aber auch einfach, weil ich die Nacht davor wegen der stehenden Hitze nicht schlafen konnte. Und die Tage darauf war ich nicht da, um mit ihr etwas ins Laufen zu bringen, weil ich Willi, das Schwein, in seine Datscha draußen an der Alten Donau bringen musste.

Nun aber lenkte ich den Datsun endlich wieder beschwingt hinaus zum Bad, das an den Ausläufern des Wienerwaldes lag und von dem aus man einen schönen Blick auf die Stadt hinunter hatte. Ich parkte in einer engen Lücke vor dem Eingang, die dort immer für mich freigehalten wurde, drehte den Motor ab und stieg aus. Die Schlüssel klirrten in meiner Hand, als sie gegen das falsche Gold meiner Armbanduhr schlugen. Vor dem Kassenhäuschen blieb ich stehen, schob meine Brille hinauf und sagte freundlich: „Guten Morgen, Friederike, wie geht’s denn heute so?“ Wer wie ich mit Friederike eng befreundet war, der musste im Bad keinen Eintritt zahlen, jedenfalls nicht in diesem. Darüber war ich ganz froh, denn die verdammten Schnüfflergeschäfte liefen schlecht in diesen Tagen. Und mein Kumpel Willi zögerte, mir sein Pornhouse-Imperium zu überschreiben, was mir ein Überleben auf immerhin niedrigem Niveau gesichert hätte. Mit anderen Worten: Ich war pleite. Und so eine Saisonkarte hätte unnötig auf die Ausgabenseite gedrückt.

Friederike arbeitete hier seit über zwanzig Jahren, vielleicht auch seit über dreißig. Was weiß ich! Und früher … naja. Früher war sie ein echtes Rennpferd gewesen, aber heute war natürlich auch sie weitgehend verwelkt. Ihr Dekolleté zog sich zwischen ihren fleischigen Oberarmen zusammen wie ein Zigeunerakkordeon, und ihr Arsch glich einer zweihundert Euro teuren Wurstsemmel. Alles, was sie zu bieten hatte, steckte in einem viel zu engen, viel zu blauen Badeanzug, über den sie immerhin ein weites Tuch warf. Mit anderen Worten: Das Rennpferd lahmte schon gewaltig. Aber die Erinnerungen an sie waren immer noch süß. Meinen freundlichen Guten-Morgen-Gruß erwiderte sie stets mit einem neckischen „Aber Rocky! Es ist doch schon nach vierzehn Uhr!“ Und ich antwortete dann jedes Mal: „Aber Friederike! Sag doch bitte nicht Rocky zu mir. Ich heiße Rock wie der Felsen und nicht Rocky wie das Felschen. Aber das weißt du doch, nicht wahr?“

Und natürlich wusste sie es.

Außerdem sagten mir ihre Augen, dass ihr der Felsen immer noch gut gefiel. Ihre lüsternen Blicke landeten auf meinen Brusthaaren ebenso wie auf meinen Schenkeln, und irgendwann natürlich auch an der Stelle dazwischen. Ich musste dann immer wieder mal streng mit ihr sein und sie an den Zahn der Zeit erinnern: „Wie alt bist du eigentlich, Friederike? Ha?“

„Bald fünfzig …“

„Friederike!“

„Zweiundfünfzig … Also gut, vierundfünfzig.“

„Friederike!“

„Okay, achtundfünzig.“

„Und wie heißt es weltweit zum Thema?“

„Fick nicht deinen Offizier?“

„So ungefähr.“

Dann bat ich sie, mir endlich mein gelbes Casali-Badetuch sowie meine Eincremehilfe der Marke Tiroler Nussöl zu geben – beides hatte ich bei ihr im Spind deponiert –, bevor ich mich mit den immer gleichen Worten von ihr verabschiedete: „Ich geh dann mal hinüber zu Horst.“ Zu meinem Freund Horst nämlich, dem Bademeister, der um diese Zeit des Tages immer schon drüben in der Kantine saß, wo wir bei Kantinenwirt Erwin ein Herrengedeck als spätes Frühstück zu uns nahmen. Aber Friederike schaute mich plötzlich mit besorgtem Augenaufschlag an und sagte: „Horst ist doch heute gar nicht da!“

Und ich sagte, als es mir den Sack in der Hose zusammenzog: „Machst du Witze? Horst ist doch immer da!“

***

Es war, als wäre die Sonne in ein tiefes Loch gefallen! Weder hatte Horst Friederike angerufen, dass er nicht kommen würde, noch war er drangegangen, als Friederike ihn anrief, um zu fragen, wann er denn kommen würde.

Dabei stand Horst seit gut dreißig Jahren verlässlich jeden Tag hier als Bademeister in der Wiese herum, vielleicht sogar seit vierzig Jahren. Was weiß ich! Mit einem Körper, der ein streng nach der Form eines Cornettos gemeißelter Stein war. An seinem mächtigen Schädel hingen bis halb zum Arsch lange blonde Haare, die er sich freilich mittlerweile nachfärben lassen musste. Unter seiner mächtigen Nase trug er einen blonden, festen, unfassbar männlichen Schnauzer. Die in Bademeisterkreisen vorgeschriebene braune Lederhaut bildete die Grundlage für die in Bademeisterkreisen ebenfalls vorgeschriebenen Goldkettchen über den wiederum dazu passenden Brusthaaren und die das Gesamtbild perfektionierende weiße, enge Badehose, in der sich sein mächtiges Teil deutlich abzeichnete. Horst sah aus wie der große Bruder von Hulk. Mit der kleinen Einschränkung vielleicht, dass an der Rückseite dieses gewaltigen Körpers die Haut auch schon ein wenig faltig geworden war und dass aus dem engen Bademeistertanga heraushing, was früher mal an seinem steinharten Arschmuskel klebte. Aber eben jetzt nicht mehr, wo auch er schon Mitte fünfzig war. Und okay, das ehemals steinharte Brustfleisch bewegte sich auch schon ein wenig in Richtung Süden. Aber insgesamt war er natürlich immer noch eine Toperscheinung, die von allen im Bad „Blondie“ genannt wurde. Und jeder konnte sich vielleicht denken, warum. Die schlanken, braungebrannten Ladys der Bauart Bunny Beach klebten jedenfalls an ihm und wollten nichts anderes, als von ihm eingecremt zu werden und dann …

Ich hatte auch Blondie in Dirty Willis Swedish Pornhouse kennengelernt, wo ich für Willi im Nebenjob das Mädchen für alles spielte: die Filme einlegen, die Plakate aufhängen, die Sportgummis verkaufen und die verdreckten Taschentücher wegräumen, sobald die letzten Kunden das Kino irgendwann nach Mitternacht verlassen hatten. Horst war dort regelmäßiger Gast während der ausgedehnten Swimmingpool-, Summersplash- oder Wet-T-Shirt-Sommerfestwochen. Alles mit Wasser gefiel ihm halt. Aber vor allem gefielen ihm die Frauchens, und er liebte es, sie einzucremen, er liebte es wirklich.

Da war ich mir sicher.

Eincremen war vielleicht das, was er in seinem Leben am liebsten tat und am besten konnte, besser sogar noch als Schwimmen. Und natürlich hatte auch ich von Horst gelernt, wie man die Ladys fachmännisch eincremte: Man fing immer unten bei den süßen Zehen an und arbeitete sich dann langsam nach oben bis hin zum ebenso süßen Arsch. Bevor man aber dort in der Mitte angekommen war, verlegte man seine Finger hinauf zu den süßen Ohrläppchen und arbeitete sich von dort wieder nach unten, abermals bis zum süßen Arsch. Erst dann schob man die Hand dorthin, wo die Freude wohnte, und fragte mit säuselnder Stimme: „Na?“ So jedenfalls hatte er mir erklärt, dass man es machen müsse. Zuschauen ließ er mich dabei aber natürlich nie, Betriebsgeheimnis.

Leider hatte sich das Publikum im Bad in den letzten Jahren ganz schön verändert, und Sätze wie „Am Abend schon was vor, Beste?“ fielen heute deutlich seltener als früher. Das lag aber nicht an Horst oder an mir oder gar an unserem langsamen Verwelken. Das lag an einer Entwicklung, die ganz und gar unerfreulich war: Früher kamen nämlich hauptsächlich Frauchens zu Horst ins Bad und wollten ihren Spaß haben. Nun aber waren es hauptsächlich Mütter, die noch nie etwas von Spaß gehört hatten und schon gar nichts von Spaß verstanden. Sätze wie „Böser, böser Onkel, weg, weg, weg!“ hörte man heute deutlich häufiger als „Zu dir oder zu mir?“, knapp gefolgt von „Lass dir von dem Onkel ja kein Eis schenken!“ in Richtung der Kinder.

Und dann gab es auch noch diesen neuen Trend, dass sich alle sofort sexuell belästigt fühlten, sobald man sie auch nur ein wenig länger und ein kleines bisschen geiler anschaute, als die Ladys es von ihren Milchshaketrinkern zu Hause gewohnt waren. Immer öfter gab es daher auch für Horst einfach mal ein paar Stunden lang überhaupt nichts zu tun – weder etwas zu schauen, weil man sofort schroff angegangen wurde, noch etwas zum Eincremen, weil sich diese Mütter nicht von uns eincremen lassen wollten, während sie ihre Rotznasen stillten. Was früher der Name einer leidlich guten Band war, das war heute angeblich ein Statement in die Richtung, dass eine Lady noch lange keinen Sex mit einem haben wollte, nur weil alle Signale genau darauf hindeuteten: „No means no!“ Es wurde eben nie etwas einfacher im Leben, sondern eher im Gegenteil immer alles noch schwieriger.

Daher kam es immer öfter vor, dass ich abends ganz ohne Lady an meiner Seite nach Hause fahren musste und mir dann einredete, dass der Tag trotzdem schön gewesen war; dass der Duft nach Sonnencreme, nach Wassereis am Stiel und nach Schweiß, der die weiblichen Körper ja immer noch bedeckte, mir genügte und ich auch einfach so glücklich sein konnte. (Oder ich nahm Friederike mit nach Hause, was aber wirklich die allerletzte Option war, während Horst immer irgendeine andere Option hatte, und immer war sie schlank.) Glücklich war ich dann aber natürlich nur im Vergleich zum ganzen Rest des beschissenen Jahres, in dem dann wieder Dauerwinter herrschte, und das dann immer mit diesem elenden Weihnachten ausklang und mit dem noch viel elenderen Silvester endete, bevor sich dann im Jahr darauf vielleicht wieder ein Azorenhoch bildete, aber viel öfter natürlich nicht.

Zufriedenheit war eben eine Frage der Perspektive.

In letzter Zeit kam es aber vor, dass ich Horst mitten auf der Liegewiese hocken sah, wo er kleine Blümchen auszupfte, an ihnen roch, als wäre er der Vollromantiker, und sie dann nachdenklich in den Wind warf. Sehnsuchtsvolle Gedanken schienen ihn dann zu quälen. Und er wirkte wie dieser Typ, der die ganze Welt auf seinen Schultern tragen musste und dem dabei die Knie schlotterig wurden. Oder wie eine Schlange, die dabei war, ihre alte Haut abzustreifen, sie aber nicht herunterkriegte. Oder was weiß ich, wie er wirkte!

Deswegen fragte ich ihn dann sogar einmal beim Herrengedeck in der Kantine, während Erwin uns noch ein Bier brachte: „Was denkst du eigentlich, wenn du so in der Wiese hockst und Blümchen zupfst?“

Diese eine Frage ließ normalerweise jeden Mann durchdrehen, sobald sie ihm gestellt wurde. Aber Horst erschrak nur kurz, als wäre es ihm unangenehm, dabei beobachtet zu werden, wie er Blümchen zupfte und nachdachte. Und wie auch nicht? Er war doch Horst, das Tier! Und Tiere denken nicht nach, Tiere erlegen ihre Beute.

Seufzend sagte er: „Ach, weißt du, Rock. Ich habe manchmal tief in mir drinnen das Gefühl, dass …“

„… du nicht alleine bist?“

Das hatte mir nämlich Kubelka mal über ihn gesagt, als er Horst in Willis Pornhouse sitzen sah, wo er lieber nachdenklich in seinen Popcornsack hineinschaute und die Körner zählte als auf die Leinwand, wo sich Bunny Beach gerade mit ihrem Rettungsschwimmer vergnügte. Als würde es ihn überhaupt nicht interessieren! „Der ist auch nicht alleine“, hatte Ku mir damals zugeflüstert, als er ihn so sah. Aber Horst schüttelte nur den Kopf über meine Frage: „Was? Warum soll ich denn so einen Scheiß denken? Und was soll das überhaupt heißen?“

„Keine Ahnung!“

„Also, wenn du wissen willst, was ich denke, dann sage ich es dir.“

„Sag!“

„Ich denke, dass ich … nicht bin, der ich wirklich bin.“

„Dass du nicht bist, wer du wirklich bist? Was denkst du denn für einen Scheiß? Wenn wir mal davon absehen, dass du Pamela Anderson noch nicht gehabt hast, dann bist du doch der, der sie alle gehabt hat. Du hast doch ein echt geiles Leben!“

Da schaute er nachdenklich in sein Bierglas hinein, umfasste es wie ein Bär sein Honigglas und meinte irgendwie resigniert: „Wenn du es so siehst, dann Ja. Dann allerdings Ja.“

Und er schaute mich an, als würde ich rein gar nichts verstehen von der Welt, in der er lebte, und von dem, wonach er sich sehnte. Und als ich ihm dann die nächste heiße, braungebrannte und durchtrainierte Lady auf der Wiese zeigte und „Los, los!“ sagte, erhob er sich nur müde und ohne wirklichen Antrieb, und er näherte sich ihr nicht wie der hungrige Löwe, den ich in ihm sah, sondern wie der alte Wolf, der nur noch schlafen wollte. Natürlich dauerte es trotzdem keine zwei Minuten, bis sie ihm mit Sonnencreme ihre Telefonnummer an die Innenseite seiner gewaltigen Schenkel malte und er ihr dabei tief in die Augen schaute. Auf einen Anruf von ihm musste sie dann wie so oft lange warten, denn Horst musste ja vorher noch ein paar andere glücklich machen.

Das war mein Horst. Und das waren die Zeiten.

***

Aber wo verdammt noch mal war Horst?

Ich betrat die Wiese und merkte sofort, dass ohne ihn jede Ordnung verloren gegangen war. Dabei hasste ich nichts mehr, als wenn die Jugendlichen seitlich ins Becken sprangen, was selten vorkam, wenn er hier war. Horst wusste nämlich von uns allen am besten, wie man den Bauch richtig einzog und dadurch den Brustkorb möglichst noch mächtiger erscheinen ließ. So war er im Bad auch für die vorstädtische, männliche Jugend zu einem freilich unerreichten Vorbild geworden, das ihnen zu Hause fehlte. Wie er immer dastand am Rand des Beckens: stoisch und unangreifbar; die langen, blonden Haare im Nacken; die Hände gegen die Hüften gestemmt; das Kinn gerade nach vorne. So konnte jeder lernen, wie man stehen musste, wenn man ein richtiger Mann sein wollte. Diese Ruhe in Kombination mit den zusammengekniffenen Augen (weil die Sehkraft natürlich auch bei ihm langsam nachließ) verschaffte ihm eine Autorität, die alle Rotzlöffel, die noch nie etwas von Benimm gehört hatten, davon abhalten sollte, seitlich ins Becken zu springen. Und sein wütendes Schreien, mit dem er sie vom Beckenrand vertrieb, wenn sie seiner Autorität nicht Folge leisteten, schaffte es dann tatsächlich. Horst konnte richtig unangenehm werden, wenn einer nicht tat, was er wollte. Dann pfiff er wie ein Kochtopf, und das Gesicht um seinen Schnauzer herum wurde ganz rot. Manchmal hatte selbst ich Angst vor ihm, und ich fragte mich, woher diese Wut bei ihm kam, aber ich hatte keine Antwort darauf. Und die von Kubelka, dass er „nicht alleine“ war, genügte mir nicht. Es war dann nur so, dass ich manchmal auch bei Horst nicht glaubte, dass ich mit ihm befreundet war.

Die meisten der Jugendlichen waren aber mittlerweile ohnehin so fett, dass sie gar nicht mehr ins Becken springen konnten. Sie lagen daher einfach nur mitten am Weg zur Wiese irgendwo auf dem Beton herum, hatten die Lautsprecher ihrer Scheißphones voll aufgedreht, und hörten sich darauf ihre Scheißmusik an: „Yo!“ und „Ey!“ und irgendwas mit „Ficken!“ war dann zu hören von irgendwelchen Scheißtypen, die von Muschis, Fotzen, Sahne und Autos sangen. Und von allerlei Müttern, die sie ebenfalls ficken wollten, und zwar bevorzugt in den Arsch. Man wollte zwar schon möglichst lange jung bleiben, aber irgendwie nicht zu lange so jung. Dieses ständige „Yo!“ und „Ey!“ machte einen richtig fertig. Ich sagte also zum Nachwuchs: „Habt ihr noch nie von Creedence Clearwater Revival gehört?“ Das war nämlich richtig gute Musik! Aber sie lachten nur über mich und drehten den Scheiß wegen mir nicht leiser, sondern im Gegenteil noch lauter: „Ey! Yo!“

Ich verzichtete auf das Herrengedeck in der Kantine bei Erwin und kaufte mir stattdessen eine Semmel mit Leberkäse drin, der vor drei Tagen noch unter einem Sattel stand. Dann biss ich hinein und überlegte, wo Horst sein könnte: auf einer Lady? Unter einem Auto? Ich fragte Erwin, der auch ganz schön blond war an seinem Vokuhila, ob er eine Ahnung hätte. Aber der stützte nur die linke Hand in die Hüfte und verscheuchte mit einem Geschirrtuch in der rechten eine Fliege, bevor er säuselte: „Nein! Und ich mache mir wirklich Sorgen um ihn!“ Mit Betonung auf wirklich.

„Und ich vielleicht nicht?“

Nachdem also auch er keine Antwort hatte auf die Frage, wo Horst sein könnte, suchte ich vorläufig das Positive im Leben und dachte: Wenn Blondie heute nicht eincremte, dann war vielleicht ich es, der es tun würde?

Ich verließ die Kantine und latschte zurück zur Wiese, und auf dem Weg dorthin legte ich mir sogar schon einen guten Anmachspruch zurecht, der in etwa lautete: „Na?“

Vielleicht würde ich heute sogar eine mit nach Hause nehmen? Ich musste dann nur damit leben, dass ich nicht die erste Wahl für die Mädels hier war. Die erste Wahl war nämlich Horst, und zwar immer. Allerdings war die zweite Wahl in diesen schwierigen Zeiten auch nicht ganz schlecht. Ich musste dann nur ruhig bleiben, wenn eine „Horst? Bist du es?“ zu mir sagte, sobald sie morgen früh neben mir aufwachte. Und wenn sie dann enttäuscht wäre, dann wäre es egal, weil wir den guten Teil der Übung ja längst hinter uns gebracht hätten.

Ich checkte die Lage auf der Wiese und sah – nichts. Enttäuscht legte ich mein Tuch neben einen Scheißbaum, der da irgendwo in der Mitte der Wiese herumstand und in einem Umkreis von zwanzig Metern unnötigen Schatten warf, und legte mich hin, um eine Mütze Schlaf zu nehmen.

Da sah ich plötzlich etwas Porzellanweißes auf mich zukommen, etwas, das sich orientierungslos herumtrieb. Wie viele Krebse ging es seitwärts, also im Krebsgang. Wenn es nicht aufpasste, dann würde es gleich ins Wasser fallen, was aber auf dieser Seite des Beckens verboten war.

Dieses Etwas fiel dann aber doch nicht hinein, sondern taumelte immer weiter auf mich zu. Und da hatte ich schon diese Befürchtung: Immer wieder kam es nämlich vor, dass ich irgendwo alleine herumsaß, und dann setzte sich jemand, den ich genau in diesem Moment nicht sehen wollte, genau neben mich. Der taumelnde Wackelpudding war nun schon so nahe an mir dran, dass er mich mit seiner Weißheit blendete. Dann hob er plötzlich die Arme und legte sich ungefragt neben mich – aber nicht so, als wollte er von mir eingecremt werden!

Ich sagte: „Verdammt, Ku! Was soll der Scheiß? Dich kann ich hier wirklich nicht brauchen!“

Es war nämlich mein Freund Kubelka, der normalerweise um diese Zeit des Tages in seiner Praxis herumsaß und dort irgendwelche Psychos hinter zugezogenen Vorhängen therapierte. Mit bis oben hin zugeknöpftem Hemd, den Ärmeln immer unten und die Hose auch nicht ganz selten.