Krieg der Adler - Daniel Neufang - E-Book

Krieg der Adler E-Book

Daniel Neufang

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Beschreibung

Santiago de Cuba 1519. Zum Generalkapitän der Erkundungsflotte ernannt, bricht Hernan Cortes zusammen mit seinem Freund Miguel De Ruiz, fünfhundert Mann Besatzung und neun Schiffen auf, um weiter nach Westen vorzudringen. Die Mission ist gezeichnet von unvorhersehbaren Komplikationen und Verlusten. Als die Conquistadoren die Küste von Ulua erreichen, sind sie in dem Glauben allein zu sein und schlagen ihr Lager auf, bis die Gesandten des Aztekenherrschers Moctezuma erscheinen. Zwei Kulturen treffen aufeinander, deren Wert-, Lebens- und Glaubensvorstellungen nicht unterschiedlicher sein könnten. Um die Fremden, welche die Azteken für Boten ihrer Götter halten, von ihrer Hauptstadt Tenochtitlan fernzuhalten, versuchen sie mit den Spaniern eine Allianz zu schließen. Wird ihr Plan von Erfolg gekrönt sein oder die Gier nach Gold, Reichtum und Ansehen siegen?

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SANTIAGO DE CUBA 1519 Zum Generalkapitän der Erkundungsflotte ernannt, bricht Hernan Cortes zusammen mit seinem Freund Miguel De Ruiz, fünfhundert Mann Besatzung und neun Schiffen auf, um weiter nach Westen vorzudringen. Die Mission ist gezeichnet von unvorhersehbaren Komplikationen und Verlusten.

Als die Conquistadoren die Küste von Ulua erreichen, sind sie in dem Glauben allein zu sein und schlagen ihr Lager auf, bis die Gesandten des Aztekenherrschers Moctezuma erscheinen. Zwei Kulturen treffen aufeinander, deren Wert-, Lebens- und Glaubensvorstellungen nicht unterschiedlicher sein könnten. Um die Fremden, welche die Azteken für Boten ihrer Götter halten, von ihrer Hauptstadt Tenochtitlan fernzuhalten, versuchen sie mit den Spaniern eine Allianz zu schließen.

Wird ihr Plan von Erfolg gekrönt sein oder die Gier nach Gold, Reichtum und Ansehen siegen?

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Es war das Ende eines heißen Sommertages 1568 in den idyllisch gelegenen Medina del Campo, in der spanischen Provinz Valladolid. Außerhalb des Ortes lag das Anwesen von Miguel Del Ruiz. Die untergehende Sonne ließ die weißen Backsteine der Finka grell leuchten und gab ihre letzten Strahlen an die zahlreichen Olivenbäume ab, welche das imposante Anwesen umgaben. Stille herrschte an diesem Augustabend. Selbst der Gärtner hatte seine Arbeiten bereits eingestellt. Die Pflanzen waren zurechtgeschnitten, während der frische Wind durch die geöffneten Fenster wehte. Ein langer Korridor durchzog das Gebäude vom West- bis hin zum Ostflügel. Der kühlende Stein sorgte für angenehme Temperaturen an solch sengenden Tagen wie diesen. Gesäumt von halbrunden, großen Fensterscheiben, die mit Mosaiken versehene waren, verband der Durchgang die beiden Flügel der Finka. Eine junge Magd, die in ein züchtiges, dunkles Kleid gehüllt war, zündete sämtliche Kerzen an, die zu beiden Seiten den Gang erleuchteten. Der Blick wandte sich hin und her, während der lange, braungeflochtene Zopf umherschwang. Ihr schmales Antlitz wirkte demütig. Sie schritt an den üppigen Gemälden vorbei, die ihren Herren als jungen Mann, Soldaten ihrer Majestät zeigten und von den Tagen berichteten, welche schon lange vorbei zu sein schienen. Vor einer schweren Holztür mit eisernen Verschlägen prangte zur Rechten die kastilische Flagge. Ein goldenes Kreuz auf rotem Grund zierten diese. Darüber symbolisierten zwei gekreuzte Säbel die Macht des spanischen Königreiches. Während die junge Magd die letzten Kerzen anzündete, öffnete sich die Tür am Ende des Ganges. Aus der Dunkelheit des hinteren Raumes trat Miguel Del Ruiz heraus. Unter starken, der Gicht geschuldeten, Schmerzen hinkte der fünfundachtzigjährige Conquistador den Korridor entlang. Sein Blick fiel sofort auf das Mädchen, die sich hochachtungsvoll vor ihm verbeugte. Mit einem wohlwollenden, väterlichen Lächeln ging der, in feinstes Schwarz gekleidete Mann, mit seinem Gehstock langsam auf sie zu. Die standesgemäße Robe war mit goldenen Stickereien verziert und über die Schultern trug er eine breite, goldene Kette. Jede Falte des schmalen Gesichtes, welches der alte Mann hinter seinem weißen Bart verbarg, war ein Zeichen seiner Lebenserfahrung. Zuviel hatte der Alte schon gesehen. Die schweren, ledernen Stiefel pochten bei jedem Tritt auf dem steinernen Boden und erzeugten einen lauten Hall. Er legte wohlwollend die raue Hand auf ihre Schulter, vielleicht auch, um sich abzustützen. Seine Miene spiegelte die Erschöpfung der Jahre wider.

„Senorita Fuentes? Wie geht es Euch an diesem herrlichen Sommerabend?“, erkundigte er sich mit tiefer Stimme.

„Gut, Senor Del Ruiz“, antwortete die hübsche Magd verlegen, doch sorgte sie sich mehr um das Wohlergehen ihres Herrn. „Aber wie geht es Euch?“

„Das Alter macht selbst vor mir nicht Halt, meine Liebe. Ich werde langsam des Lebens müde.“ Entsetzt schaute Mia ihren Herren an. Sie kämpfte mit den Tränen, denn solche bedrückenden Worte hatte er noch nie zuvor geäußert. Also sprach sie ihren Herrn voll des Entsetzens an.

„Sprecht nicht solche Worte. Es macht mir Angst.“ Mit einem Lächeln schüttelte der Gutsherr den Kopf und versuchte seine Magd zu trösten.

„Macht Euch keine Gedanken um mein Wohl. Ich bin zäh, wie das Leder meiner geliebten Stiefel. Wenn Gott es will, werde ich noch einige Jahre Eure Gesellschaft genießen, Senorita.“ Unter Schmerzschüben bewegte er sich langsam weiter und blieb nur zwei Meter entfernt stehen. Miguel stützte sich am Fenstersims ab, wo er die warmen Strahlen der allmählich sinkenden Sonne auf sein Antlitz scheinen ließ.

„Ist alles in Ordnung mit Euch?“; fragte Mia Fuentes, als sie die restlichen Kerzen anzündete.

„Es ist die Gicht, welche mir höllische Qualen bereitet. Die Schübe kommen nun in regelmäßigen Abständen und rauben mir den Atem.“

„Kann ich etwas für Euch tun?“ Miguel schüttelte den Kopf und atmete tief durch.

„Es geht schon wieder. Macht Euch keine Sorgen. Habt Ihr in meinem Arbeitszimmer die Fenster aufgestellt, wie ich es Euch gesagt habe?“ Mia nickte demütig.

„Ich hoffe nur, dass Ihr heute Nacht nicht friert.“

„Die Kälte lindert die Anfälle. Doch die sommerliche Wärme treibt mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen.“ Miguel verharrte einen Augenblick, ehe er den Korridor weiterging. „Habt Ihr alles für mein Vorhaben gerichtet?“

„Si, Senor Del Ruiz. Ich hoffe, es ist zu Ihrer Zufriedenheit.“

„So bringt mir noch eine Flasche Wein, Senorita Fuentes. Ich schätze, es wird eine lange Nacht werden.“

„Gewiss, Senor Del Ruiz.“ Mia zündete eine letzte Kerze an, die dem Durchgang das nötige Licht spendete und verschwand. Miguel wusste, dass ihm wenig Zeit blieb. Er öffnete mit letzter Kraft die aus schwerer Eiche gefertigte Pforte samt massiver Metallbeschläge, zu seinem Schreibzimmer. Der große, einladende Arbeitsbereich verfügte über eine ausführliche Bibliothek. Vor der Fensterfront stand ein mit kunstvollen Schnitzereien verzierter Schreibtisch, auf welchem ein Stapel Papier, ein gefülltes Tintenfass und sein geliebter Federkiel bereits auf ihn warteten. Miguel Del Ruiz ging vorsichtig hinein. Der aus Nussbaum gefertigte Boden, welcher mit teuren Perserteppichen drapiert war, sorgte für sein seelisches Wohlbefinden. Ehe der Adelsmann auf dem samtbezogenen Polsterstuhl Platz nahm, schlich er noch einmal an das weit geöffnete Fenster, um den majestätischen Anblick der untergehenden Sonne zu genießen. Mit geschlossenen Augen atmete Del Ruiz die frische Sommerluft und genoss den lieblichen Duft seiner Rosen, welche in einem breiten Streifen um den linken Flügel des Anwesens prachtvoll erblühten. Dennoch störten ihn die wuchernden Olivenbäume, die ihm die Aussicht versperrten. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür und Mia Fuentes trat gesenkten Hauptes ein. In ihrer Hand ein silbernes Tablett mit einem noblen Trinkbecher und einer Flasche des besten spanischen Weins, den sie in den Kellergewölben finden konnte.

„Verzeihung, Senor. Ich bringe einen edlen Tropfen.“

„Tretet doch näher, meine Gute. Stellt alles auf die Anrichte neben dem Schreibtisch.“ Gedankenversunken, den Moment genießend stand er da und schaute über die Weiten seines Grundstücks. Mia schenkte ihm ein, verbeugte sich standesgemäß und wollte gerade gehen, als Miguel sie aufhielt. Zitternd hielt er sie vorsichtig am Arm fest.

„Sagt bitte Juan Bescheid, dass er im Laufe der kommenden Tage die Bäume zurechtschneidet. Die wildwachsenden Äste rauben mir den Blick auf den herrlichen allabendlichen Horizont.“

„Ich werde es ihm umgehend mitteilen, Senor Del Ruiz. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“

„Nein, danke. Ich werde mich nun meinen Memoiren widmen.“ Bevor die Magd das Arbeitszimmer verließ, flüsterte sie: „Falls Senor doch noch einen Wunsch haben, läutet nach mir.“ Mit einer Handgeste bat Miguel seine Angestellte den Raum zu verlassen. Er ging zurück zu seinem imposanten Schreibtisch, stellte seinen Stock an eine Kante und zündete die dicken, großen Kerzen an, die ihm bis zum Morgengrauen das nötige Licht spenden sollten. Zitternd nahm er Platz, während das Tageslicht schwand und die Sonne, in feurigem Rot, langsam versank. Nachdenklich schaute der Conquistador auf den Stapel leerer Seiten. Entschlossen griff Del Ruiz nach seinem Rotwein und nahm einen kräftigen Schluck, ehe er den ersten Bogen heranzog. Langsam tauchte er den Federkiel in die Tinte und schrieb seine Lebensgeschichte nieder. In geschwungener Schrift verfasste der Senor den Titel. Krieg der Adler. Grübelnd, über seine ersten Sätze saß er da und starrte in die gleißend lodernden Flammen der Kerzen. Plötzlich beugte er sich vor und verfasste die ersten Zeilen seines Manuskripts.

Die heroischen Taten und die Abenteuer, die wir alle zusammen mit unserem tapferen und kühnen Anführer, Hernan Cortes, in Neuspanien bestanden haben wortgetreu wiederzugeben, fällt selbst mir, der an dieser Expedition teilgenommen hat, sehr schwer. Er müsste sprachgewandter und beredeter sein, als ich es je sein könnte. Ich, Miguel Del Ruiz, hatte die Ehre mit diesem großen Mann, der eines Tages in den Annalen der spanischen Historie seinen Platz finden wird, diese Reise anzutreten. Nun, da ich ein alter Mann bin, der die letzten Tage seines erfüllten Lebens vor sich hat, will ich mit Gottes Hilfe als Augenzeuge wiedergeben, was ich sah und erlebte. Dies ist unsere Geschichte…

Er schloss für einen Moment die Augen, um sich an alles zu erinnern, was ihm auf dieser gefährlichen Reise widerfahren war.

2. Kapitel

Ein herrlicher Nachmittag in Santiago de Cuba 1617. Leichte Böen wehten über die Hafenstadt und machten die drückende Hitze erträglich. Das Meer lag in seinem tiefen Blau seelenruhig da, während die vor Anker befindlichen Schiffe, sich sanft in den leichten Wogen umherbewegten. Eine trügerische Stille umgab die paradiesische Provinzstadt am anderen Ende der Welt. Während dutzende Fischerboote der Einheimischen am Kai festmachten, ankerten ein Stück weiter vor der Bucht die spanischen Handelsschiffe. Der Anblick war imposant, die Segel der Dreimaster gerafft und ihr riesiger Schatten tauchte die See in ein bedrohliches Schwarz. Doch davon ließen sich die Einwohner, welche zu einem Großteil spanischer Herkunft waren, nicht im Geringsten einschüchtern.

Von den breiten Kaimauern und den Umschlagplätzen führte eine prächtige, aus Backsteinen gefertigte Straße an der die Stadtmauer ins Innere der wachsenden Metropole. Unzählige Menschen waren unterwegs. Sie betrieben Handel mit Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch. Neben den Wohnhäusern der Conquistadoren, siedelten sich allmählich auch Abenteurer und Kaufleute an, welche von dem Reichtum der neuen Welt profitieren wollten. In sämtlichen Seitengassen befanden sich kleine Geschäfte, die vom Lebensmittelhandel, Schlafunterkünften und dem Handwerklebten. Die Hauptstraße wurde gesäumt von Tavernen ebenso wie Freudenhäusern, in denen sich die nicht gutbetuchten Frauen feilboten. Das indigene Volk der Insel nahm die Neuankömmlinge anfangs voller Interesse und mit offenen Armen auf. Aber schnell wurde ihnen bewusst, dass sie ihre Selbstbestimmung einbüßten. Die Spanier bedienten sich an ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen, dem Gold, welches die Ureinwohner hauptsächlich zur Schmuckherstellung nutzten und versklavten die Ureinwohner. Als wäre dies nicht schon genug gewesen, zwangen die europäischen Siedler ihnen den christlichen Glauben auf. Nicht weit entfernt lag der üppige Marktplatz, welcher auch den ansässigen Krämern die Möglichkeit bot, ihre Waren legal zu veräußern. Neben dem Ortsbrunnen stand der Regierungspalast. Zwei große Fahnen zierten den prunkvollen Eingang. Die spanische Flagge und die mit dem Familienwappen der Velazquez. Im ersten Stockwerk des Gebäudes befand sich ein Balkon, von dem aus ein guter Blick zur örtlichen Kirche möglich war. An diesem Nachmittag befand sich Don Diego Velazquez an den Hafenanlagen.

Der Gouverneur der kubanischen Insel hatte sein zweiundfünfzigstes Lebensjahr beendet und genoss hohes Ansehen im spanischen Königshaus. Er hatte einen dichten, angegrauten Vollbart und kurz geschnittenes Haar. Sein Blick wirkte ernst und fokussiert. Velazquez bekam stets, was er wollte. Auch wenn dies bedeutete, über Leichen gehen zu müssen. Mit stolz geschwellter Brust schaute Don Diego unerbittlich auf die vor Anker liegenden Schiffe und den von weißen Wolken durchzogenen Horizont. Der leichte Wind hob seinen purpurroten Umhang in die Höhe. Die goldenen Insignien, welche seine Stellung hervorhoben, schimmerten im grellen Sonnenlicht auf seiner schwarzen Robe. Plötzlich waren laute, klackende Stiefelschritte auf dem groben, rauen Steinboden zu hören. Ohne sich umzudrehen, wusste er, wer ihn in seinen Gedanken störte.

„Senor Cordoba“, flüsterte er mit seiner tiefen Stimme. Francisco Hernandez de Cordoba, als draufgängerischer, harter Edelmann bekannt, trat näher an ihn heran und verbeugte sich demütig. Sein Antlitz wirkte auf viele seiner Mitmenschen erhaben, jedoch fast schon arrogant. Die schwarze Uniform wurde durch ein Amulett geziert, welches aus Gold gefertigt und mit einem ebenfalls schwarzen Kreuz versehen war. Auch er wandte sich dem stillen, blauen Meer zu.

„Was treibt Euch nach Santiago, Senor Cordoba?“, wollte der Gouverneur in Erfahrung bringen. In zynischem Ton antwortete der Edelmann: „Ich hörte von einigen Missständen auf der Insel, welche unseren geliebten König Carlos sehr beunruhigen, Don Velazquez.“ Nachdenklich starrte der Gouverneur weiter auf das tiefblaue Meer hinaus. Seine Stimme klang besorgt. Als sei ein dickes Tau um seinen Hals gelegt und würde langsam zugezogen.

„Die Goldförderung neigt sich dem Ende. Der Ackerbau und die Viehzucht reichen gerade aus, um die hier lebenden Spanier und ihre Sklaven zu versorgen. Außerdem befürchte ich, dass die Einheimischen einen Aufstand vorbereiten.“ Cordoba senkte nachdenklich den Kopf.

„Ihr benötigt neue Einzugsgebiete. Daher möchte ich Euch einen Vorschlag unterbreiten.“ Velazquez wirkte verwundert.

„Und der lautet?“

„Ich gedenke eine Expedition gen Westen zu unternehmen. Dazu möchte ich Euch um Eure Unterstützung bitten. Immerhin besitzt Ihr das nötige Kapital. Damit wäre beiden Seiten geholfen. Ich kann mich in der Gunst des Königs emporarbeiten und Eure Wenigkeit könntet Eure Macht weiter ausbauen.“ Geschmeichelt von diesen Worten konnte sich Don Diego ein hochmütiges Lächeln nicht verkneifen.

„Was benötigt Ihr? Geld?“

„Nein, Senor Velazquez. Ich benötige drei Schiffe, darunter vielleicht eine Galeone, genügend Männer und Waffen. Im Gegenzug erschließe ich neuen Boden für unser spanisches Königreich und werde einen Teil der erzielten Gewinne an Euch abtreten, so dass Ihr seiner Hoheit damit Eure Aufwartung machen könnt.“ Der Gouverneur sah sein Gegenüber skeptisch an, ehe dieser fortfuhr. „Natürlich verlange ich einen angemessenen Anteil für die Strapazen und Gefahren, welche ich gewillt bin auf mich zu nehmen, Senor Don Velazquez.“

„Doch was versprecht Ihr euch von diesem Unternehmen?“, fragte der Don misstrauisch. Mit Stolz geschwollener Brust, funkelnden Augen und strotzend vor Selbstsicherheit sah Cordoba ihn an.

„Den Titel Conquistador offiziell tragen zu dürfen. Herr, über eigenes Land zu sein, Senor.“ Velazquez schaute ihm tief in die Augen und spürte seine Überzeugung, die Euphorie, welche so viele Männer zu dieser Zeit ausstrahlten. Aber Francisco de Cordoba hatte mehr. Nämlich den Willen und den Schneid für seine Ziele zu kämpfen, was Don Diego imponierte. Trotz seines Wissens über die Risiken, die eine solche Expedition mit sich brachte, antwortete der Gouverneur zustimmend nickend.

„Euer Vorschlag klingt vielversprechend und zutiefst verlockend. Ich gewähre Euch meine finanzielle und materielle Unterstützung bei Eurem Vorhaben. Bezüglich der Gegenleistung verlasse ich mich auf Euer Wort als Ehrenmann, Senor Cordoba.“ Zuversichtlich reichten sie sich die Hände, nachdem sich Francisco demutsvoll vor seinem Geldgeber verneigt hatte.

„Ihr habt mein Versprechen, Don Diego Velazquez. Wir dürfen unser geliebtes Land und das Königshaus auf keinen Fall enttäuschen.“ Plötzlich wirkte der zukünftige Conquistador bedrückt. „Seit dem Tod König Ferdinands im vergangenen Jahr befindet sich Spanien in tiefer Trauer. König Carlos trägt eine große Bürde. Das Volk tuschelt, da seine Mutter als “die Wahnsinnige“ verschrien ist.“ Nun wurde auch die Miene des Gouverneurs ernst und mitleidsvoll. Seinen Ring küssend, die Faust gen Himmel gereckt flüsterte er: „Möge seine Hoheit in Frieden ruhen und unser König Carlos die Geschicke Spaniens mit Erfolg lenken.“ Während Don Diego noch eine Weile zuschaute, wie die nächsten Schiffe ein Stück vor dem Hafen vor Anker gingen und die ersten Boote samt Seeleuten zu Wasser gelassen wurden, machte sich Cordoba auf den Weg, um seine Expedition vorzubereiten.

Einige Stunden verstrichen, bis die Sonne unterging und das Wasser in ein blutiges Rot färbte. Schließlich brach die Nacht herein und das rege Treiben in den Tavernen Santiago de Cubas begann. Die Straßen waren erhellt von den Lichtern, welche sich in den einladenden Scheiben der Gasthäuser spiegelten. Eines der beliebtesten Etablissements war “La Cruz“. Das alte, hölzerne Namensschild wurde von zwei Laternen zur Rechten und Linken beleuchtet.

Während einige betrunkene spanische Seemänner zusammen mit ihren Konkubinen vorbeiliefen, drang aus dem Inneren ein lautes Geschrei sowie ein krachendes Rumpeln. Als würde die gesamte Ausstattung kurz und klein geschlagen. Darunter mischte sich die volkstümliche Musik aus Vihuelas, einem geigenartigen Zupfinstrument, Lauten und Kastagnetten. Im selben Moment öffnete sich die Eingangstür. Ein junger, in schwarz gekleideter Spanier mit langen dunklen Haaren, wurde rückwärts auf die Gasse gestoßen. Ihm folgten zwei kräftige Männer und der Wirt. Ein beleibter, älterer Herr, welcher von seinem Äußeren, dem Benehmen sowie der Körperpflege nicht viel her machte. Die Haare hingen grau, fettig, in Strähnen über das faltige Gesicht. Mit seinen schlechten Zähnen spuckte er dem am Boden liegenden Mann den braunen Kautabak auf das schwarze Wams. Es war Hernan Cortes, der auf der Straße lag. Sein Haar schulterlang und gepflegt zurückgekämmt. Die braunen Augen funkelten. Durch sein verächtliches Lachen kam der Oberlippen- und Kinnbart prägnant zur Geltung. Der Sohn aus einer Familie der Mittelschicht studierte zwei Jahre an der Universität von Salamanca Rechtswissenschaften, ehe ihn sein Weg über die Armee nach Kuba führte. Er schaute den Wirt herausfordernd an. Niemand wusste, was als nächstes geschehen würde. Darum gingen die beiden Rausschmeißer bereits in Abwehrhaltung. Langsam stand er auf, schlug sich den Schmutz von der Kleidung. Der Tavernenbesitzer hingegen war außer sich vor Zorn und brüllte ihn, wild gestikulierend an.

„Belästige nie mehr meine Gäste mit den Fantasien eines Möchtegern-Conquistadoren!“ Daraufhin verschwand er samt seinen Bewachern und schlug die Tür wuchtig hinter sich in die Angeln. So betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, schwankte Cortes umher. Miguel beobachtete die Szenerie, doch er vermied es sich dem aufgebrachten Staatsdiener zu nähern. Verächtlich spuckte Hernan gegen die Fensterscheibe mit einem Gesichtsausdruck, der für seinen starken Willen stand. Der Zweiunddreißigjährige verfügte über eine kräftige Figur. Er wusste genau, was er wollte und wie die hochgesteckten Ziele zu erreichen waren, welche Hernan jedoch für sich behielt. Sein Mut, die Entschlossenheit und der immense Kampfgeist kamen in dieser Nacht zum Vorschein. Das ließ selbst den Soldaten Del Ruiz zurückschrecken, der sich ihm vorsichtig näherte. Lautstark schrie Cortes: „Cordobas Expedition ist zum Scheitern verurteilt.“ Benommen wischte er sich das Blut von der Lippe. An diesem Abend sah Miguel erstmals seinen späteren Anführer. Während die Freunde in der hell erleuchteten Straße verharrten, sahen sie zu, wie der Schriftführer Don Diegos sich schwankend aufrichtete. Del Ruiz ließ seine Kameraden zurück und reichte dem Betrunkenen eine helfende Hand.

„Gracias“, lallte er Miguel entgegen.

„De Nada, Senor Cortes.“ Dieser schaute überrascht.

„Ihr kennt meinen Namen?“

„Si. Ihr arbeitet als Schreiber für Don Diego Velazquez.“

„Ihr seid gut informiert. Wie ist Euer Name?“ Noch immer hatte er größte Mühe sich auf den Beinen zu halten.

„Verzeiht mir die Unhöflichkeit. Mein Name ist Miguel Del Ruiz.“ Im gleichen Augenblick drohte Hernan Cortes das Gleichgewicht zu verlieren, was der junge Soldat zu verhindern wusste. „Soll ich Euch nach Hause begleiten?“ Cortes nickte, legte den Arm um seine Schulter und sie verschwanden in den bedrohlich dunklen Gassen von Santiago de Cuba. Dem jungen Soldaten wurde etwas mulmig, als Hernan ihm den Weg wies, welcher aus dem Ort herausführte. Nach einem zehnminütigen Fußmarsch erreichten sie das Anwesen. Idyllisch lag das im spanischen Stil errichtete Gebäude auf einem weiten Acker, an den im Abstand von fast einem Hektar zu allen Seiten der Dschungel grenzte. Es verfügte über einen überdachten Balkon und einladende Fenster. Auf den weiten Feldern schwankten die Maisstauden im leichten Wind. Cortes wirkte verwundert, denn immer noch brach Licht durch die Fensterscheiben seines Domizils. Er verabschiedete sich von Ruiz, aber nicht ohne ihm aus Dankbarkeit eine Adjutantenstelle in Aussicht zu stellen. Torkelnd fiel er gegen die Eingangstür, die knarrend aufsprang. Als Miguel schon ein Stück vom Haus entfernt war, hörte er einen lauten Streit. Cortes Ehefrau, Catalina Suarez, eine feurige, junge Frau mit schwarzen, hüftlangen Haaren, nahm ihren Gatten in Empfang. In dieser Nacht ging ihr Temperament mit ihr durch, was sich zu dieser Zeit nicht geziemte und als obszön, gar ungehörig galt.

„Hernan? Was ist los mit dir? Seit fast zwei Wochen kommst du zu solch später Stunde nach Hause und bist sternhagelvoll.“ Getrieben von den Nachrichten und der Melancholie dieses Abends sank ihr Gatte auf einen seiner schlichten Holzstühle. Catalina ging vor ihm auf die Knie und hielt seine Hand. „Sag endlich, was heute Schlimmes geschehen ist.“ Ihr Gatte legte seine Hände auf ihre Wangen und antwortete mit wispernder Stimme: „Ach, Catalina, meine Liebe. Senor Velazquez plant weitere Expeditionen. Cordoba hat ihn gefragt. Er hat ohne Umschweife zugestimmt. Jahre lang stehe ich nun schon in seinen Diensten und erhielt nur die Stellung eines Alkalden. Verflucht, ich bin Oberbefehlshaber. Doch eine eigens geleitete Expedition versagt er mir. Immer wieder aufs Neue. Ich denke, er hat mir die Stellung des Bürgermeisters nur angeboten, um endlich Ruhe zu haben.“ Catalina nahm ihren Gatten tröstend in den Arm. So wütend sie auch in diesem Moment gewesen war, so gut verstand sie, was in ihrem Mann vor sich ging. Tröstend gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte in sein Ohr: „Viellicht soll es so sein, Hernan. Wer weiß was dir dort draußen in der Fremde zustößt? Ich könnte nicht damit leben dich zu verlieren.“ Cortes nahm seine Frau fest in den Arm. Durch das Weinen bebte sein Körper und die damit verbundene Enttäuschung spürte Catalina umso mehr.

Weitere zwei Monate gingen ins Land, in welchen Cortes widerwillig seiner Arbeit als Ortsvorsteher von Santiago nachging. Die einzige Stütze in dieser Zeit war Miguel Del Ruiz, der nun die Adjutantenstellung innehatte. Die beiden hatten inzwischen ein vertrautes Verhältnis aufgebaut und trafen sich des Öfteren zum Plaudern. So auch an diesem Sonntag. Es war ein düsterer Nachmittag an dem plötzlich ein Bote das Anwesen des Alkalden erreichte. Es regnete. Ein starker Wind wehte durch die Felder rund um das Anwesen. Die Hufe des Pferdes hinterließen tiefe Abdrücke in der aufgeweichten, schlammigen Erde. In Strömen lief das Wasser von seinem Hut hinab. Ruckartig bremste der Bursche seinen dunklen Rappen, so dass das laute Wiehern seine Ankunft schon im Vorhinein ankündigte. Mit einem beschwingten Satz stieg er ab, rannte zur Tür und klopfte samt all seiner Kraft an.

„Wer stört?“, donnerte Cortes laute Stimme. Ruckartig riss er die Pforte auf. Sein Blick wirkte wütend. „Was fällt Euch ein, mich an meinem freien Tag aufzusuchen?“ Nun kam auch Miguel hinzu. Im Gegensatz zu seinem Freund, hatte Del Ruiz Mitleid mit dem Boten. Demütig verneigte sich der junge Mann und flüsterte: „Senor Cortes. Don Diego Velazquez schickt mich, um Euch eine Nachricht zu überbringen. Er wünscht Eure sofortige Anwesenheit im Hospital von Santiago.“

„Warum?“, knurrte Hernan skeptisch. „Er sieht mich doch morgen.“

„Ich kann nur so viel sagen, dass es sich um den Gesundheitszustand von Senor Cordoba handelt. Mehr weiß ich nicht zu berichten.“

„Cordoba“, flüsterte der Alkalde. „Bringt mich zu Don Diego. Lasst uns gehen.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stürmten Cortes und Del Ruiz zum Stall, wo sich die Pferde befanden. Nur wenige Minuten vergingen, bis der Schimmel und der braungescheckte Lipizzaner gesattelt waren. In eiligem Tempo ritten sie dem Boten hinterher. Der Regen hörte allmählich auf, dennoch hatten die Männer das Gefühl, als würde an diesem Nachmittag die Welt untergehen. Die Hufe bohrten sich im schnellen Galopp in den weichen Boden und der Schlamm flog bis zu ihren Stiefeln hoch. Schließlich erreichten sie das Spital, welches in einer alten Mission am Stadtrand untergebracht war. Das Gebäude verfügte über drei Stockwerke. Es wurde einst aus Stein errichtet und mit hellem Lehm verkleidet, der Sommer wie Winter die Temperatur angenehm hielt. An der rechten Seite befand sich ein Turm. Er beherbergte die Gussglocke, deren Klang an die alte Welt erinnerte. Jede Etage war mit einladenden Rundbogenfenstern versehen und der imposante Eingang lag unter einer Terrasse, die die breite Treppe überdachte. Gouverneur Velazquez lief vor der Pforte nervös umher. Sorgenfalten bedeckten seine Stirn. Die gesamte Körperhaltung spiegelte die Anspannung wider. Erleichterung kam erst bei ihm auf, als die Hufschläge auf der grobgepflasterten Straße zu hören waren. Mit einem kräftigen Schwung sprangen die Freunde von ihren Pferden, banden sie an einem Pfahl fest und liefen eilig die Stufen hinauf. Es nieselte nur noch leicht, doch der Himmel war rabenschwarz verdeckt.

„Ich bin froh Euch zu sehen, Cortes“, flüsterte der Don erleichtert und führte ihn ins Innere des Spitals. Leichte Tropfen fielen von den Uniformen auf den Boden.

„Was ist mit Senor Cordoba geschehen?“

„Ich weiß es nicht. Hoffentlich erfahren wir nun mehr.“ Zusammen schritten sie die hölzerne Treppe empor. Das Geschrei und entsetzliche Stöhnen von Männerstimmen drang aus jedem Raum. Es ließ das Blut in den Adern gefrieren. Neugierig, was den Conquistadoren geschehen war, folgte Hernan seinem Gouverneur. Ein flüchtiger Blick zur Seite ließ ihn erstarren. Geschockt blieb er an der Tür stehen, welche einen großen Saal vom Korridor trennte. Zwei Mönche, die für die Versorgung verantwortlich waren, zogen weiße Leinentücher über die Verstorbenen. Daneben kniete ein weiterer Geistlicher, der die eitrigen Wunden eines anderen Soldaten mit einer pflanzlichen Paste einrieb und verband.

„Wir müssen weiter, Senor Cortes“, wisperte Velazquez mit bedrückter Stimme, während er ihn durch eine Geste zum Weitergehen aufforderte. Abgeklärt ruhig, als würde er diesen Anblick tag täglich sehen, ging der Alte weiter.

Miguel fiel es sichtlich schwer, dieses Elend zu ertragen, doch er vermochte es nicht sich abzuwenden. Ihr Weg führte sie an einem weiteren Zimmer vorbei, in welchem die entzündeten Pfeilwunden der Conquistadoren versorgt wurden. Auch eitrige Stichwunden, schon im fortgeschrittenen Stadium, waren dabei. Den Mönchen blieb nichts anderes übrig, als das Sekret auszudrücken und frische Verbände anzulegen.

„Diese tapferen Männer müssen die Hölle durchlebt haben“, wisperte Del Ruiz geschockt.

„Das Schlimmste steht ihnen noch bevor.“ Die Schreie wurden lauter und trieben den gestandenen Männern die Gänsehaut auf den Körper. Es war Cortes, dem erneut der Atem stockte, als er beobachtete, wie vier Geistliche einen ängstlichen, jungen Burschen in einem Stahlbett, auf dem breiten Flur des obersten Stockwerks, festhielten. Der älteste Mönch schob ihm einen Knebel in den Mund und griff zur Knochensäge. Sein Blick wirkte mitfühlend. Ein leises Gebet kam über seine Lippen. Er setzte sein Werkzeug an und die scharfe Klinge schnitt das Bein wie ein Stück Butter. Die Schreie brachen sich gellend in den Weiten der Räume, bis der junge Mann schließlich ohnmächtig wurde. Einer der grauhaarigen Diener Gottes wischte mit einem groben Lappen das Blut vom Fußboden. Hernans Gedanken kreisten nur noch um die Frage, wie diesen armen Burschen ein solches Unglück widerfahren konnte. Mit väterlicher Besonnenheit schob ihn Don Diego weiter.

„Schauen sie sich das nicht an, Senor Cortes. Diese Bilder werden Sie sonst auf immer und ewig verfolgen. Wir haben Wichtigeres zu erledigen. Gott möge ihrer Seelen gnädig sein“, flüsterte Velazquez und bekreuzigte sich. Wie in Trance folgte Del Ruiz weiter den kargen Korridor entlang, bis sie endlich den Saal erreichten, in dem sich Senor Cordoba befinden sollte. Was würde sie erwarten? Ein Mönch, schwarzgewandet, ein hölzernes Kreuz über die Kutte gelegt, trat mit gefalteten Händen aus dem Zimmer. Seine Miene war genauso mit Sorge erfüllt, wie auch die der Stadtbediensteten. Don Diego sprach ihn voller Respekt an.

„Verzeiht mir die Frage, aber könnt Ihr mir sagen, wo wir Comandante Cordoba finden?“ Der Geistliche nickte und wies auf die halbgeöffnete Pforte. Seine tiefgezogenen Augenbrauen ließen auf seine Erschöpfung schließen. Er flüsterte: „Er ist schwer verletzt und sein Zustand ist nicht zum Besten bestellt. Senor Cordoba benötigt Ruhe, Don Diego Velazquez.“ Der Gouverneur küsste demütig die Hand des Mönches. Miguel und Hernan standen hinter ihm und wollten endlich wissen, was geschehen war.

„Wie steht es genau um ihn?“

„Comandante Cordoba wurde mit tiefen Schnittverletzungen zu uns gebracht. Er hatte viel Blut verloren. Wenn er die Nacht übersteht, gibt es Hoffnung.“

„Werter Herr“, fuhr Don Diego fort. „Können wir mit ihm sprechen?“ Der Mönch nickte.

„Aber nur kurz, Senor.“

„Habt Dank.“ Gesenkten Hauptes verschwand der Missionar. Die schwere Arbeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Vorsichtig, voller Respekt, klopfte Velazquez an die halboffene Tür, ehe die drei eintraten. Cordoba lag am Ende des Saales, nahe dem Fenster, welches noch ein wenig Tageslicht spendete.

Mit ihm lagen noch sechs andere seiner Anhänger in dem kargen Saal. Während Cortes und Del Ruiz hinter dem Gouverneur langsam durch die Reihen schlichen, gingen ihre Blicke zur Rechten und Linken. Die Soldaten schliefen, waren bewusstlos oder stöhnten leise vor Schmerzen. Bein- und Armstümpfe, die von blutgetränkten Binden verschlossen waren, blaue Flecken und Schürfwunden bedeckten ihre Körper. Einer von ihnen hatte eine schwere Kopfverletzung. Sein gesamter Schädel wurde bis auf Nase und Augen durch stramme Binden bandagiert. Cortes nickte ihm voller Stolz zu. Schließlich kamen sie am letzten Bett an. Cordobas Brustkorb war ebenfalls mit blutgetränkten Verbänden versehen. Seine Schnittwunden sahen schlimm aus, das Gesicht entstellt. Ein wahres Bild des Grauens. Del Ruiz sah das Funkeln in Cortes Blick. Er schien schon zwei Schritte weiterzudenken.

„Comandante Cordoba?“, flüsterte Velazquez und legte behutsam die Hand auf seine Schulter. Erschöpft öffnete der Conquistador die Augen. Sein Lächeln wirkte gequält. Von hohem Fieber erschöpft versuchte er seine Sprache wiederzufinden.

„Senor Velazquez… Wir haben versagt.“ Cordoba sah Cortes und dessen Freund skeptisch an, da ihm dieser gänzlich unbekannt war.

„Ich bitte um Verzeihung. Dies ist Hernan Cortes, der Alkalde von Santiago und sein Adjutant Miguel Del Ruiz. Sprecht bitte. Berichtet uns, was in Gottes Namen Euch widerfahren ist.“ Er nahm tief Luft und fing an von den Ereignissen zu berichten.

„Wir fuhren westwärts, bis unsere Schiffe auf Land stießen. Anfänglich dachten wir, es sei eine Insel und gingen an Land. Die Einheimischen schienen uns zu meiden. Wir bekamen nichts als dichten Urwald zu sehen. So reisten wir weiter, nachdem genügend Nachschub an Bord war. Bei der Fahrt erkrankten einige der Männer an Skorbut und ein seltsamer Durchfall lähmten uns auf der Expedition. Sie starben elendig. Um erneut Proviant und frisches Wasser aufzunehmen, gingen meine Männer an Land. Dort trafen wir auf die Ureinwohner, die in weißes Leinen gewandet, mit kostbarem Schmuck und Insignien behangen waren.“ Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen und seine Schmerzen zu ertragen. „Sie schienen in friedlicher Absicht Tauschhandel betreiben zu wollen. Sogar Schmuckinventar aus dem Tempel Catoches wurde uns feilgeboten. Doch nicht alle Stämme reagierten so freundschaftlich auf unser Erscheinen. Als ich mit meinen Männern tiefer in den Dschungel vordrang, erblickten wir eine Stadt. Sie glich einer Festung, mit schützenden Mauern und einem schweren Eingangstor, welches für jegliche Stämme unüberwindbar schien. Die Behausungen der Einwohner sowie die Tempelanlagen waren aus hellem Sandstein gebaut, was sie im Licht der Sonne leuchten ließ. Prächtige Mais-, Tomaten-, Tabakund Kakaoplantagen umgaben den prächtigen Ort. Wir waren geblendet von dieser Schönheit.“

„Was ist weiterhin geschehen? Für das alles muss es doch einen Grund gegeben haben?“, fragte Velazquez, der diese Gewalt gegen die Spanier nicht verstand.

„Einige Soldaten beschlossen, ohne mein Wissen, eine Plünderung durchzuführen, was verheerende Folgen nach sich zog. Die Bewohner schlugen mit aller Härte und ihren einfachen Waffen zurück, so dass ich zahlreiche Männer einbüßte. Nach dem Rückzug und der notdürftigen Versorgung der Verletzten, segelten wir weiter. In einem Abschnitt, den die Einheimischen Campeche nannten, ließ ich erneut Anker werfen. Informiert durch den vorherigen Stamm gaben sie uns den Rest.“ Cordoba drohte ohnmächtig zu werden, daher rüttelte Don Diego an seiner Schulter, während seine Begleiter regungslos danebenstanden.

„Sprechen Sie weiter, Senor. Es ist wichtig.“ Auf diese Ansprache reagierte der Conquistador. Er sammelte sich und fuhr fort.

„Die Verluste stiegen dermaßen in die Höhe, dass ich die Expedition, um das Leben meiner Mannschaft Willen, abbrechen musste. Ich verlor Zweidrittel der Mitstreiter und sah mich gezwungen ein Schiff niederzubrennen… Es war die Hölle auf Erden.“ Velazquez starrte bedauernd zu Boden. Den Kopf schüttelnd und Cordobas Hand haltend, antwortete er leise doch voller Zorn: „Diese Heiden. Ruht Euch aus. Wir werden nun gehen, damit Ihr Euch erholen könnt.“ Cordoba rührte sich nicht. Sein Blick galt apathisch den grauen Wolken, die sich langsam zu lichten schienen. Indes verließen die Besucher leisen Schrittes das Krankenzimmer. Zutiefst erschüttert über die Gräueltaten, die seinem Comandante widerfahren waren, traten sie nachdenklich aus dem Spital heraus. Der Regen zog weiter ins Landesinnere, doch die hohe Luftfeuchtigkeit raubte ihnen den Atem. Miguel stand neben den grimmig dreinblickenden Statthaltern. Bis der Don sich seinem Alkalden zuwandte und ratlos fragte: „Senor Cortes? Wie ist Eure Meinung? Wäre es sinnig erneut Schiffe gen Westen zu entsenden? Vielleicht stärker bewaffnet?“ Hernans Miene war starr und kompromisslos. Mit harter, aber bedachter Stimme antwortete er: „Gouverneur, Spanien benötigt das Gold, nichts anderes. Da wir unsere hiesigen Ressourcen fast ausgeschöpft haben, müssen wir expandieren. Des Weiteren sollten wir diesen Kulturen den christlichen Glauben näherbringen und sie von dem Wohlwollen unseres geliebten Königs Carlos überzeugen.“

Der Don grübelte einen Moment, bevor Cortes fortfuhr. „Ihr solltet eine weitere Expedition entsenden. Stärker bewaffnet, so dass wir unser Gesicht in der alten Welt wahren können.“ Er schien zuversichtlich, dass ihm diese Ehre zuteilwerden würde.

„Ich stimme Euch vollkommen zu. Jedoch werde ich Cordoba nicht mehr mit einer solchen Mission betrauen. Ich brauche Bedenkzeit, wie wir weiter verfahren.“

„Denkt an meine Wenigkeit, falls Ihr euch für ein weiteres Unternehmen entscheidet. Ich werde Euch nicht enttäuschen, Senor Don Velazquez.“ Demütig verneigten sich Miguel Del Ruiz und Cortes vor dem Gouverneur und gingen ihrer Wege. Die Hoffnungen des Alkalden wuchsen ins Unermessliche, als er diese wohlklingenden Worte vernahm. Er fühlte sich nun dem Traum in des Königs Gunsten zu wachsen einen Schritt näher. So nah, wie nie zuvor.

3. Kapitel

Die Zeit verging und die Vorbereitungen für eine erneute Expedition nahmen Formen an. An diesem heißen Tag im Frühling 1518 erstrahlte der Regierungspalast von Santiago de Cuba in seiner ganzen Pracht. Die heiße Sonne stach wie durch ein Brennglas vom Himmel. Ein Wind vom Meer her sorgte dafür, die hohen Temperaturen erträglich zu machen. Die kastilische Flagge wehte auf den Zinnen des Gebäudes und Vogelschwärme flogen darüber hinweg. Während weiterhin Schiffe ihre Ladung löschten und erneut beladen wurden, näherten sich zwei stolze Pferde über die breite Straße. In leichtem Trab schlugen ihre Hufe auf den festen Boden. Es waren die Conquistadoren Juan de Grijalva und Pedro de Alvarado. Juan, ein stolzer achtundzwanzigjähriger Mann, der seine Stellung in der Gesellschaft nicht zur Schau stellen musste, war der Neffe Don Diegos und hatte somit einen besonderen Status inne. Sein schmales, feines Gesicht wurde von einem kurzgeschnittenen Vollbart geziert. Die Kleidung war den Wetterumständen geschuldet eher leger. An diesem Tag trug Grijalva ein weißes Rüschenhemd, seine Reiterhose und ein ledernes Jackett, welches von einer goldenen Kette geziert wurde. Im Gegensatz zu seinem jungen, ungestümen Freund war Pedro besonnener. Der zweiunddreißigjährige, stattliche Conquistador hatte sich mit seinen fünf Brüdern schon früh in die neue Welt aufgemacht, um hier Ruhm und Reichtum zu erlangen. Sein schulterlanges, blondes, gepflegtes Haar und der Spitzbart zeugten von seiner werten Abstammung. Im Vergleich zu seinem Begleiter war Alvarado eher als Stratege und für überlegtes Handeln bekannt. An diesem Tag wirkte seine Miene unbeschwert. Als die beiden den Stadtpalast erreichten, schwangen sie sich von ihren Pferden. Pedro trug eine rote, goldverzierte Robe, welche auf den Stallburschen großen Eindruck machte. Er verneigte sich vor den Herren und übernahm die Zügel. Während Grijalva den einheimischen Burschen keines Blickes würdigte, gab ihm Alvarado eine Münze und nickte ihm lächelnd zu. Nebeneinander schritten sie zuversichtlich die Treppe empor und betraten das Regierungsgebäude. Gouverneur Velazquez befand sich in seinem Arbeitszimmer. Edle Möbel bildeten die Einrichtung des Raumes. Ein handgeknüpfter Teppich zierte zum größten Teil den polierten, dunklen Holzboden, der durch das eindringende Licht eine gemütliche Atmosphäre schaffte. Hinter dem schweren, mit Ornamenten und kunstvoll edlen Schnitzereien verzierten Schreibtisch, bedeckte die kastilische Flagge die Wand. Daneben befand sich ein großes Regal, gefüllt von Büchern, Dokumentmappen und zusammengerollten Seekarten. Unter dem einladenden Fenster stand ein nobles Tischchen samt einem silbernen Tablett, auf dem eine Karaffe guten spanischen Weins und drei Silberkelchen drapiert waren. Respektvoll klopfte Juan de Grijalva an, als die beiden auf Einlass warteten. Plötzlich ertönte die raue Stimme des Don.

„Tretet ein!“ Quietschend öffnete er die Tür. Velazquez wirkte erfreut, stand auf und lächelte. Demütig verneigten sich die ambitionierten, zukünftigen Conquistadoren.

„Don Diego, es ist mir eine Freude Euch endlich wiederzusehen.“

„Die Freude ist auf meiner Seite, Neffe.“ Die Verwandtschaftsverhältnisse trugen nicht gerade zu Alvarados Wohlbefinden bei. Er verneigte sich, während Grijalva fortfuhr.

„Darf ich Euch Comandante Pedro de Alvarado vorstellen?“ Überrascht musterte der Alte den gutgekleideten Spanier, ehe er ihm die Hand entgegenstreckte.

„Seid willkommen, Senor de Alvarado.“ Er wandte sich seinem Verwandten zu und flüsterte. „Schließt bitte die Tür. Unser Gespräch ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt.“ Juan schaute noch einmal über den Flur, bevor er dem Wunsch seines Onkels nachkam.

„Nehmt doch bitte Platz.“ Mit einladender Geste wies der Don auf zwei Damast bezogene Sessel, die vor seinem Schreibtisch standen. Sie hatten nicht bemerkt, dass Miguel Del Ruiz sich aus Neugier hinter einem Pfeiler versteckt hatte und nun zur Pforte schlich, um einige Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen. Ausgebreitet lagen derweil die Landkarten auf der Arbeitsfläche, auf welchen die Expeditionswege skizziert waren. „Wohl an“, fuhr Juans Onkel entschlossen fort, während er die Becher mit Wein füllte. „Berichtet. Wie weit ist unsere Unternehmung bislang gediehen?“ Sein Neffe lächelte und antwortete euphorisch.

„Die Schiffe sind ausgerüstet, die Soldaten rekrutiert. Sie bereit mit uns den letzten Schritt zu tun, Senor.“

„Sehr gut“, sprach Velazquez und nahm einen kräftigen Schluck. „Wann gedenkt Ihr Eure Reise anzutreten?“ Pedro als auch Juan schauten sich an.

„Wenn der Wind weiterhin so günstig steht, gedenken wir schon in zwei Tagen in See zu stechen.“

„Ihr erfüllt mich mit Stolz, mein lieber Neffe.“ Zufrieden gönnte sich Grijalva ebenfalls einen Schluck des köstlichen Weins, während Alvarado nur schweigend dasaß. Dem Gespräch lauschend, starrte er abwertend aus dem Fenster.

„Sicherlich habt Ihr schon eine Route ausgearbeitet. Darf ich Näheres über Eure Pläne erfahren.“

„Gewiss. Wir werden, anders als Cordoba, zuerst gen Süden segeln.“ Er tippte auf die Karte. „Cozumel ist unser erstes Ziel.

„Ich bete darum, dass die dort ansässigen Stämme Euch wohlgesonnener sind, als unserem guten Cordoba. Außerdem würde eine Erfolgsmeldung den König milde stimmen.“ Als die beiden sich zufrieden zuprosteten, unterbrach Alvarado diesen Egoismus.

„Wir sollten Comandante Cordobas Erfolge nicht schmälern“, wisperte er betrübt und hob seinen Becher. „Er war ein beispielhafter Vertreter der Krone. Sein plötzlicher Tod ist ein schmerzlicher Verlust. Gott möge seiner Seele Frieden schenken.“ Velazquez schaute ihn scharf an. Er wusste, dass dies ein Seitenhieb auf seine Politik war. Doch er konnte in diesem Moment nichts anderes tun, als sich dem Gedenken an einen großen Mann anzuschließen. Grijalva schämte sich aufgrund seines unbedachten Handelns.

„Bitte verzeiht mir mein ungebührliches Verhalten“, flüsterte Juan seinem Waffenkameraden zu. „Es war nicht meine Absicht die Leistungen Senor Cordobas in irgendeiner Weise zu schmälern.“

„Gott möge Ihm gewogen sein“, flüsterte der Gouverneur. „Hoffen wir, dass Euch dieses Schicksal erspart bleibt.“

Die Ehrenmänner gingen nicht weiter auf den Vorfall ein und schwiegen für einige Sekunden, ehe Don Diego das Thema wieder auf das Wesentliche lenkte. Er war Staatsmann. Im Interesse des spanischen Königs, wie auch in seinem Eigenen, sprach er ohne Umschweife.

„Nun, meine Herren. Blickt nicht zurück, sondern nach vorne. Wenn Ihr weitere Dinge benötigt, so lasst es mich wissen.“

„Habt vielen Dank“, wisperte Grijalva. Die Senores tranken aus, verabschiedeten sich voneinander, wohl wissend, dass es ihre letzte Zusammenkunft gewesen sein könnte. So verließen die Conquistadoren das Schreibzimmer. Diego Velazquez hingegen starrte aus dem Fenster hinaus. Plötzlich schienen seine Hoffnungen an den Reichtum, welchen Juan und Pedro entdecken wollten, völlig nebensächlich. Die Gedanken galten nur noch der Gefahr, in die er seinen geliebten Neffen schickte. Andererseits war dies die Gelegenheit in der Gunst seiner Majestät wieder zu glänzen. Zwiegespalten in seinen Gefühlen schenkte sich der Don einen weiteren Becher ein.

Von den Entdeckern unbemerkt blieb Del Ruiz hinter dem Pfeiler stehen. Er konnte sich jetzt nicht von dort entfernen, solange Grijalva und Alvarado lächelnd, ins Gespräch vertieft, sich auf dem Korridor befanden. Erschrocken wich er immer mehr zurück, als sich eine weitere schwere Tür am Ende des Ganges auftat und der königliche Zahlmeister, Senor Amador de Lares, den Flur betrat. Zuvorkommend verbeugten sich Alvarado und Grijalva vor dem Staatsdiener.

Doch dieser strafte sie mit Verachtung. Mit einem dicken, in Leder gebundenem Buch, schritt des Königs Zahlmeister an ihnen vorbei. Seine weinrote Robe wurde von den goldenen Insignien des Königs geziert. Strammen, schnellen Schrittes bewegte sich der Lares in Richtung des Gouverneursbüros. Miguel wollte sich gerade aus dem Staub machen, als Don Diegos Sekretär, Andres