Western Territory - Daniel Neufang - E-Book

Western Territory E-Book

Daniel Neufang

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Beschreibung

Liverpool 1880. Nach einem tragischen Verlust beschließt Stuart Irving, zusammen mit seiner abenteuerlustigen Schwester Penny, die Reise in die Vereinigten Staaten anzutreten. Dort will er sich als Goldgräber einen Namen machen. Nach zwei Jahren in New York reichen die Rücklagen ihren Traum zu verwirklichen. So zieht es die beiden in Richtung Kalifornien. Im Western Territory stoßen die Geschwister auf die Kleinstadt Kingston, in der all ihre Wünsche in Erfüllung gehen könnten. Im Laufe der Jahre entzweien sich die Geschwister zusehends, was an Stuart nicht spurlos vorübergeht. Für Irving führt dies ins Verderben. Misstrauen bestimmt sein Leben, bis das Schicksal erneut grausam zuschlägt.

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Liverpool 1880.

Nach einem tragischen Verlust beschließt Stuart Irving, zusammen mit seiner abenteuerlustigen Schwester Penny, die Reise in die Vereinigten Staaten anzutreten. Dort will er sich als Goldgräber einen Namen machen. Nach zwei Jahren in New York reichen die Rücklagen ihren Traum zu verwirklichen. So zieht es die beiden in Richtung Kalifornien. Im Western Territory stoßen die Geschwister auf die Kleinstadt Kingston, in der all ihre Wünsche in Erfüllung gehen könnten.

Im Laufe der Jahre entzweien sich die Geschwister zusehends, was an Stuart nicht spurlos vorübergeht. Für Irving führt dies ins Verderben. Misstrauen bestimmt sein Leben, bis das Schicksal erneut grausam zuschlägt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Ein heißer Sommertag im Bundesstaat Montana Ende Juli 1931. Die dichten Wälder, die zu beiden Seiten eines Nebenarms des Missouri-River die Landschaft bedeckten, standen in vollem Grün. Vögel sangen ihre beruhigenden Lieder, welche vom leichten Rauschen des Flusses und dem sanften Geräusch der im Wind raschelnden Blätter untermalt wurden. Langsam schlängelte sich der Fluss durch die tiefen Bergschluchten, während die frühen Sonnenstrahlen sein schnell fließendes Wasser silbrig schimmern ließen. Kein Mensch verirrte sich normalerweise in diese wunderschöne und dennoch raue, gefährliche Wildnis. Nur ein einziger Mann trotzte den Naturgewalten. Sein Name war Jack Whitney. Mit ernster, hochkonzentrierter Miene stand der inzwischen Einundsiebzigjährige bis zu den Hüften in dem rauschenden Fluss. Die abgenutzte Jeans, wie auch seine Lederstiefel waren komplett von den kühlenden Fluten bedeckt. Er trug sein langes, graues Haar stets offen und schützte die hohe Stirn durch einen breiten Cowboyhut. Der dichte Bart verdeckte den Großteil seines faltigen Gesichts. In dieser Ruhe bewegte sich die schmale Angelrute im Takt, schwungvoll über den Kopf, vor und zurück. Fliegenfischen brachte ihm die nötige Entspannung. Gedankenversunken starrte der drahtige, alte Mann auf die Fische, welche sich im glasklaren Wasser ihren Weg bahnten. Plötzlich störte eine Männerstimme diese himmlische Stille.

„Sorry, Sir. Ich ahnte nicht, dass hier schon jemand fischt.“ Ein junger Mann stand auf dem schmalen Pfad, der durch den Wald zum Wasser führte. In seiner Hand trug er seine Angelausrüstung.

„Kein Problem“, raunte Jack, ohne seinen Blick von der Schnur abzuwenden.

„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“ Auf diese höfliche Frage hin, erntete der Vierundzwanzigjährige, drahtige Fremde ein leichtes Nicken. Ohne weitere Worte zu wechseln, bestückte er die Rute mit einem Köder und näherte sich behutsam dem alten Mann. „Sind Sie oft hier draußen?“ Ernst schaute Jack sein Gegenüber an. „Verzeihung. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Jason Matherson.“

„Jack Whitney. Du bist seit einer gefühlten Ewigkeit der erste Mensch, der sich in diese Einsamkeit verirrt.“

„Meine Frau und ich sind im Urlaub. Ich wollte noch einmal ein wenig entspannen, ehe es wieder an die Arbeit geht“, flüsterte der braunhaarige, junge Mann. „Wir zelten nicht weit von hier entfernt.“

„Hm“, murrte der Alte und konzentrierte sich weiterhin auf seine monotone Wurftechnik. So standen die beiden nebeneinander. Sie schwiegen eine Weile, bis Matherson seine Neugier nicht mehr verbergen konnte.

„Seit wann fischen Sie? Ihre Technik ist bewundernswert.“ Geschmeichelt wandte sich der Greis zu ihm und ein Lächeln stahl sich auf seine, unter dem dichten Bart versteckten, Lippen.

„Ich habe lange gebraucht, um es zu erlernen. Doch hier draußen ist Zeit alles, von dem es mehr als genug gibt. Darf ich erfahren, woher du kommst?“ Jason war froh einen solch netten Menschen zu treffen. Denn allein hätte er nur wenig Freude gehabt.

„Springville, Utah, Sir. Es war mein größter Wunsch diese raue Natur einmal selbst zu erleben.“ Jack musste laut lachen, als er das hörte.

„Dann bist du ein mutiger Mann. Hier gibt es Bären, Schlangen und auch Luchse.“ Dessen war sich Jason nicht bewusst und wirkte auf einmal wie betäubt. Langsam zog der Trapper seine dünne Jacke zur Seite. In einem ledernen Brustholster glänzte der Lauf eines Peace-Makers. „So was steigert deine Überlebenschancen.“ Eingeschüchtert antwortete der junge Mann leise: „Ich glaube, ich bleibe vorsichtshalber dicht an Ihrer Seite.“ Eine Stunde verging, während der sich die beiden angenehm unterhielten.

„Was führt Sie eigentlich in diese menschenleere Gegend?“, wollte Matherson in Erfahrung bringen. „Hätten Sie nicht mehr Gesellschaft in Bozeman oder Missoula?“ Auf einen Schlag war die Vergangenheit wieder allgegenwärtig. Selbst Jacks hypnotisierenden Bewegungen hörten abrupt auf. „Sorry, das hätte ich wohl nicht sagen sollen“, versuchte sich Jason zu entschuldigen.

„Weißt du, mein junger, unerfahrener Freund, ich sehe auf ein langes Leben zurück. Es gibt so viele Dinge, die ich zutiefst bereue. Den Rest meiner Tage möchte ich allein verbringen, um niemandem zu schaden.“ Nun war die Neugier des jungen Mannes erst recht geweckt, was an seinem Blick deutlich zu erkennen war. „Willst du meine Geschichte hören?“

Aufgeregt nickte Jason. „Alles begann mit Stuart Irving, einem jungen Burschen aus England. Ohne ihn und sein Schicksal wäre es sinnlos von der Vergangenheit zu erzählen.“ Der Alte atmete noch einmal tief durch, ehe er von der tragischen Geschichte seines Freundes berichtete…

Dichter, zäher, undurchsichtiger Nebel lag am Abend des 16. Februar 1880 über der englischen Hafenstadt Liverpool. Leichter, eiskalter Regen mischte sich mit dem böigen Westwind. Wie eine Schicht Puderzucker bedeckte eine hauchdünne Schneeschicht die grobgepflasterten Bürgersteige des Arbeiterviertels. Aus jedem der aneinandergereihten, schmalen Backsteinhäuser der Alley-Street stieg grauschwarzer Rauch aus den Schornsteinen und mischte sich mit dem dunklen, bedeckten Himmel. Nur einen Steinwurf entfernt befand sich der Hafen, in dem täglich die Ladungen der Schiffe gelöscht oder verladen wurden. In diesem rauen, von Härte geprägten Arbeitermilieu lebte die Familie Irving. Hank Irving hatte gerade sein vierzigstes Lebensjahr vollendet. Der große, hagere, jedoch kräftige Mann arbeitete seit fast zwanzig Jahren als Vorarbeiter der Entladestelle im nahegelegenen Hafen. Er verfügte über keine Schulausbildung und hatte sich mit großem Fleiß vom Hilfs- zum Vorarbeiter gemausert. Auch wenn er diese Tätigkeit gern verrichtete, galt seine ganze Liebe der Familie. Carol Irving war zwei Jahre jünger. Ihre Wurzeln lagen in Nordirland, genauer gesagt in Londonderry am River Foyle. Sie lernte ihren Mann auf einer Reise kennen und heiratete ihn, trotz der Ablehnung ihres katholischen Elternhauses. Während ihr Gatte den Lebensunterhalt bestritt, kümmerte sich die zierliche Frau um die Erziehung der Kinder, sowie der Führung des Haushalts. Im Falle, dass das Geld am Ende eines jeden Monats knapp wurde, machte Carol Näh- und Ausbesserungsarbeiten an diversen Kleidungsstücken.

Diese Fähigkeit gab die liebevolle Mutter schon früh an das Nesthäkchen Penny weiter. Wie ihre Brüder, Stu und James, brach auch die Kleine die Schule ab, um ihre Familie mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, zu unterstützen. Hank nannte die Vierzehnjährige seine Puppe, da sie sehr zierlich war und ihre Augen, wie blaues Glas funkelten. James, der Zweitgeborene, hatte inzwischen sein sechzehntes Lebensjahr vollendet. Im Gegensatz zu den restlichen Irvings reagierte er oft emotional, hitzig und ungestüm, was sie auf den Charakter des Großvaters väterlicherseits zurückführten. Mit seinem großen, kräftigen Körperbau verteidigte er jeden geliebten Menschen bis aufs Blut. Meist, wenn James geschunden nach Hause kam, ging es um seine kleine Schwester. Die Eltern konnten nur tatenlos zusehen, wie sich ihr Sohn immer wieder in eine solche Gefahr begab. Zu guter Letzt war da ihr ältester Spross, Stuart Irving, der von allen nur Stu gerufen wurde. Auch er verfügte über die stattliche Körpergröße seines Vaters, aber nicht über die Muskulosität seines jüngeren Bruders. Dies machte Stu jedoch durch andere Tugenden wett. Seine Stärken lagen im immensen Durchhaltevermögen, der Sturheit und der Lust immer etwas Neues dazuzulernen. Außerdem strahlte der Siebzehnjährige eine Ruhe aus, die sich häufig auf das Umfeld, insbesondere auf James, übertrug. Wie ihr Vater arbeiteten die beiden Burschen im Hafen. Doch im Vergleich zu ihrem alten Herrn hatten sie nur die Stellung von Hilfskräften inne, was ihnen trotz allem gutes Geld einbrachte, womit sie die Familie unterstützen konnten. An diesem Abend saß Carol zusammen mit Penny am alten Esstisch. Obwohl es erst Mitte des Monats war, überschritten die Ausgaben bereits das Familienbudget, so dass sie schon zu diesem Zeitpunkt Näharbeiten durchführten. Der grimmige Wind pfiff über die Straße und peitschte den prasselnden Regen gegen das einladende Küchenfenster, welches einen freien Blick auf die Alley-Street ermöglichte. Die Möblierung der drei kleinen Räume im Erdgeschoss erschien eher spärlich. Ein dreißig Jahre alter Kohlenherd sorgte nicht nur für die nötige Wärme, sondern auch für die warme Mahlzeit, die nicht allzu oft den Küchentisch fand. An der langen Wand befand sich eine Anrichte unter der vier Schränke Lagerungsmöglichkeiten boten. Das wertvollste war eine längliche Vitrine, die Hank geerbt hatte. Sie diente als Stauraum für das Geschirr. Um den Tisch standen fünf alte Holzstühle, welche nur noch durch Hanks eingeschlagene Nägel zusammengehalten wurden. Im hinteren Bereich befanden sich die beiden winzigen Schlafzimmer. Die kleinen Zimmer verfügten über gerade so viel Platz, dass jeder ein Bett und einen winzigen Kleiderschrank darin unterbringen konnte. Es war ein sehr bescheidenes Leben. Doch die Familie Irving machte das Beste daraus. Aus der Ferne waren die Kirchenglocken zu hören, die zur siebten Abendstunde schlugen. Plötzlich hörte Carol das laute Klacken des Schlosses der Eingangstür und die drei Männer des Hauses traten schweigend ein. Mit ernster Miene hängte Hank Irving seine Jacke an den Haken. Voller Scham taten es ihm seine beiden Söhne gleich, ehe alle am Esstisch Platz nahmen. Erledigt von den Ereignissen dieses harten Tages verbarg das Familienoberhaupt sein Gesicht hinter beiden Händen, so dass nur noch das braune, kurzgeschnittene Haar erkennbar blieb. Seine Enttäuschung und Wut waren förmlich spürbar. Ungeachtet dessen erschrak seine Frau, als sie in James Miene schaute. Ein leicht blaues Veilchen zierte das linke Auge ihres Sprosses. Stu zog ein Tuch aus der Hosentasche, befeuchtete es in der Schale, die mit frischem Wasser gefüllt auf der Anrichte stand und reichte es kopfschüttelnd seinem Bruder.

„Stuart“, fuhr ihn Carol an. „Nicht in das Spülwasser.“ Besorgt schaute sie sich die Blessur ihres Sohnes an. „Um Himmels Willen. Hast du dich schon wieder geprügelt?“

„Ach, Mum“, sprach der Sechzehnjähriger bedauernd. „Ich konnte halt nicht anders.“ Daraufhin mischte sich Stu ein.

„Ein großer Kerl konnte seine verfluchte Klappe nicht halten. Er hat übel über Penny gesprochen, da ist unser James aus der Haut gefahren.“ Die Frauen schwiegen, als Mister Irving echauffiert flüsterte: „Hoffentlich hast du ihm keinen ernsten Schaden zugeführt. Das würde uns gerade noch fehlen.“

„Entschuldige, Dad. So weit habe ich in diesem Moment nicht mitgedacht.“

„Das wirft ein schlechtes Licht auf mich und unsere Familie. Wir brauchen das Geld. Deshalb wünsche ich, dass du deine Emotionen in Zukunft zügelst.“ Beschämt nickte der Zweitälteste und kühlte weiterhin sein Auge. Damit war für Hank alles gesagt. So wandte er sich an seine Gattin. „Wie war euer Tag, meine Lieben?“ Voller Stolz präsentierte Carol Pennys Arbeit.

„Hier, das ist das Werk deiner Tochter.“ Das Familienoberhaupt nahm prüfend das Kleid in Augenschein und versuchte die Ausbesserungsstellen zu finden. Überrascht reichte er das Stück Stoff an Carol und sprach leise, mit belegter Stimme: „Dieses Kleid hat noch nie eine Nähnadel gesehen. Da bin ich mir sicher.“ Seine Frau drehte es auf Links.

„Siehst du, hier? Penny hat wundervolle Arbeit geleistet. Keine Stich- oder Nahtstelle ist mit dem bloßen Auge erkennbar.“ Bewundernd küsste Irving die Stirn seiner Tochter, während die Burschen ihr diesen Triumph von Herzen gönnten. Stu flüsterte: „Großartig.“ Aufgrund der Freude bemerkte niemand, wie schlecht es Hank erging. Zwar gab er sich größte Mühe die Familie keineswegs zu verängstigen, aber die dicken Schweißperlen auf seiner Stirn verunsicherten ihn sehr. Um auf andere Gedanken zu kommen, lauschte Irving den Neuigkeiten, die Stu angehört hatte.

„Immer mehr Leute sprechen von Amerika“, berichtete der älteste. Während er fortfuhr, lauschten Penny und James aufmerksam. „Auf der anderen Seite des Atlantiks soll das Leben viel leichter sein, wenn man glaubt, was sie alle erzählen. Zum Beispiel David Gispell hat einen Bruder, der ausgewandert ist. Er ist inzwischen verheiratet und arbeitet erfolgreich in einer Stahlfabrik nahe Pennsylvania.“

„Du spricht mit solcher Euphorie von Amerika. Man könnte den Eindruck bekommen, auch du würdest lieber dort leben.“ Beiläufig zuckten Stuarts Schultern. Ehe er antworten konnte, ergriff plötzlich seine jüngere Schwester das Wort.

„Also ich würde auf der Stelle das Abenteuer wagen. Stellt euch nur mal die großartigen Möglichkeiten vor.“

„Ach, Penny“, erwiderte James, der Angst davor hatte, dass sich seine Familie spalten würde. „Deine Chancen wären auf der anderen Seite der Erde genauso begrenzt, wie hier. Immerhin bist du ein zartes Mädchen.“ Die Kleine reagierte erbost und starrte ihren Bruder strafend an.

„Was hat das damit zu tun? Ich kann auf meine Art ebenso hart arbeiten, wie ihr es tut.“ Hank ahnte, dass es Stu und Penny nicht mehr lange in England halten würde.

„In welcher Sparte würdest du denn dein Geld verdienen?“, fragte ihr Vater neugierig, ehe er sich erneut laut räusperte. Mit funkelnden Augen, voller Euphorie, sprach seine Tochter: „Als Näher- oder Schneiderin, Dad. Darin bin ich gut.“ Während Hank sich zurückhielt, erwiderte seine Frau.

„Wenn du es wirklich erlernen willst, warum stellst du dich nicht bei heimischen Betrieben vor? Auch hier gibt es viele Schneidereien, die begabte Mitarbeiterinnen suchen.“ Daraufhin stand sie auf, nahm die Teller aus der Vitrine und stellte eine Schale gefüllt mit grobem Schmalz in die Mitte des Tisches. „Hol bitte das Weißbrot, Penny.“ So schritt Penny wütend zum Schrank. Ihre Brüder schwiegen beharrlich. Stuart hatte Verständnis für seine Schwester, denn auch er wollte aus der Armut fliehen und die Aussicht auf ein besseres Leben haben. Im Laufe des Abendessens ging es dem treusorgenden Vater immer schlechter. Als würde ihm der Brustkorb zusammengeschnürt, saß er am Kopfende. Unbeachtet von seiner Familie wischte sich der alte Irving abermals den Schweiß ab, bevor er das Tischgebet sprach. Der Vater bestrich seine Scheibe Brot und biss ein Stück ab. Plötzlich lief sein Gesicht blau an, gefolgt von einem kräftigen Hustenanfall, welcher ihm fast die Besinnung raubte. Der Schreck fuhr den Kindern in die Glieder. Panisch sprangen sie alle in die Höhe, doch ihr Vater winkte ab.

„Verzeiht mir“, hauchte Hank und legte seine scheibe langsam auf den Teller. „Ich habe heute keinen Appetit mehr. Esst nur in Ruhe weiter. Ich ziehe mich zurück.“ Erschöpft küsste er Carol und seine Penny. Hank verschwand im Schlafzimmer. Nachdem sich der Schock ein wenig gelegt hatte, nahm Carol ihre Kinder liebevoll in den Arm, ehe auch sie voller Sorge zu Bett ging.

Die Geschwister machten sich hingegen Gedanken um ihren geliebten Vater. Aufgrund der Ereignisse war in dieser Nacht an Schlaf nicht zu denken. Immer wieder drang das laute, röchelnde Husten durch die schmale Trennwand.

„Ich habe Angst um Dad“, wisperte Penny, umgriff den Arm ihres Bruders und versuchte nicht zu weinen. Stu hingegen ahnte, wie sehr der Kleinen die Sorge, um das Wohl des Vaters zu schaffen machte. So neigte er sich zu ihr und nahm sie fest in den Arm. Sein Bruder hingegen starrte, um das Wohl seines Vaters betend, zur Decke.

„Mach dir keine Gedanken. Es wird nur eine leichte Erkältung sein. Unser Dad ist zäh. Alles wird gut.“ Doch Stu war sich nicht sicher, ob die tröstenden Worte nicht eine große Lüge waren. Er empfand es als seine Pflicht den jüngeren Geschwistern Mut zu machen. So verging Stunde um Stunde, bis der nächste Morgen anbrach. Schon bevor die Sonne ihr helles Licht durch den dichten Wolkenteppich schickte, waren die beiden Brüder auf den Beinen. Sie streiften sich leise ihre Kleidung über, um Penny nicht aufzuwecken. Stu schloss behutsam die Tür hinter sich. Doch der folgende Anblick ließ ihn geschockt erstarren. Hank saß eingehüllt in eine dicke Decke am Esstisch. Große Schweißperlen liefen über sein Gesicht. Ihm fiel es schwer einen befreiten Atemzug zu nehmen. Carol hatte in diesem Moment keine Zeit, sich um die Söhne zu kümmern. Hastig tauchte sie ein Tuch in das kühle Wasser, legte es sachte auf die Stirn ihres Gatten und schob noch einen Scheit Holz in den kleinen Eckofen.

„Dad?“, wisperte James besorgt. Er legte seine Hand sachte auf Hanks Schulter.

„Es geht schon. Ihr müsst in den Hafen. Sagt Mister Thomas, dass ich gesundheitlich verhindert bin.“ Stu nickte und griff nach den zurechtgelegten Sandwiches. Sorgevoll sah er seinen Vater an.

„Natürlich, Dad. Kurier dich aus. James und ich sorgen derweil für alles andere.“

„Ihr seid gute Jungs. Ich bin sehr stolz auf euch“, hauchte Hank mit kratziger Stimme.

„Sollen wir vielleicht auf dem Rückweg noch bei Smiths Apotheke vorbeigehen?“, erkundigte sich der Zweitälteste, ehe auch er sich sein Mittagessen nahm.

„Nein“, sprach die gestresste Mutter, die bereits ahnte, wie schlecht es ihrem Mann wirklich ging. „Feuchte Wickel und Ruhe. Mehr braucht euer Vater nicht. Außerdem können wir uns teure Medikamente nicht leisten.“

„Wenn wir etwas für euch tun können, schick bitte Penny vorbei.“

„Danke, Stu. Aber Penny soll erst einmal ein wenig Gemüse einkaufen, damit ich eine warme Suppe kochen kann. Das hilft wahrscheinlich mehr als das beste Medikament.“ Sie verabschiedeten sich und traten auf die gepflasterte Straße. Der grimmige Wind blies ihnen ins Gesicht. Schon nach wenigen Metern wurden die Fingerspitzen taub und als die beiden den Hafen erreichten war die Kleidung vom leichten Regen durchnässt. Ihre Kameraden warteten bereits auf die täglichen Arbeitsanweisungen. Während James sich mit ihnen unterhielt, stapfte Stu nachdenklich durch die riesigen Pfützen, welche sich vor den Hallen bildeten. Vor dem kleinen Verschlag, in dem sich das Büro befand, blieb er stehen. Leise klopfte er an. Aus dem Inneren dieser Bretterbude, raunte eine tiefe Stimme: „Herein.“ Der junge Mann trat mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube an den klapprigen Schreibtisch. Dort saß Ben Thomas. Der erfahrene Entlademeister hatte sich in diesem Hafen hochgearbeitet, so dass er schließlich sein eigenes Unternehmen gründete und das Löschen sämtlicher Frachten übernahm. Ben war fünfzig Jahre alt, hatte lichtes, graues Haar, trug eine Nickelbrille und seine buschigen Augenbrauen bereiteten seinen Mitmenschen Unbehagen, da sie die meist düstere Miene zusätzlich unterstrichen. „Was gibt es, Irving?“, knurrte der Alte und sortierte die Unterlagen zum heutigen Tag. „Ich habe eher mit deinem Vater gerechnet.“

„Deshalb bin ich hier, Mister Thomas“, sprach Stu bedrückt. „Er ist leider schwer krank.“ Entsetzt nahm der Unternehmer seine Nickelbrille ab. Aber kein Wort der Sorge oder gar des Mitleids kam über seine Lippen.

„Wie lange wird er abwesend sein?“

„Keine Ahnung, Mister Thomas. Ihn plagen starkes Fieber, ein schwerer Husten und starker Schüttelfrost.“

„Ich kann höchstens zwei Tage auf ihn verzichten“, fuhr er empört fort und schob wütend den Stapel Papiere zur Seite. „Sehen Sie zu, dass er die Frist einhält. Ohne ihn bricht hier alles zusammen.“ Zwar wusste Stu um die Härte seines Chefs, doch die Skrupellosigkeit entsetzte ihn sehr. Diesem Mann schien das Geschäftliche wichtiger zu sein als die Gesundheit oder das Leben seiner Mitarbeiter. Nichtsdestotrotz blieb Stu ruhig, ballte die Faust in der Tasche und verabschiedete sich höflich, ehe er an seine harte Arbeit ging.

„Was hat der Alte gesagt?“, fragte James, nachdem sein Bruder zurückgekehrt war. Voller Wut nahm sich Stu einen herumliegenden Holzbalken und schlug auf eine Stahlstützte der Halle ein. So hatte ihn sein jüngerer Bruder noch nie zuvor gesehen. „Sag endlich, was los ist?“

Stu schwieg und versuchte seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Der ältere Irving zischte: „Er ist der Meinung, dass Dad spätestens in zwei Tagen wieder an die Arbeit gehen soll. Das ist aber in seinem Gesundheitszustand schier unmöglich.“ Und wieder drosch er mit dem Kantholz gegen den Eisenpfahl.

„Wir müssen es Dad sagen“, flüsterte James, welcher nicht nur Angst um das Wohlergehen seines Vaters hatte, sondern auch um das finanzielle Überleben der gesamten Familie.

„Du weißt ganz genau, dass er nicht zuhause bleibt, wenn sein Job davon abhängt.“

„Ja, Stu“, antwortete James hin und hergerissen. „Aber das ist Dads Entscheidung.“ Der Ältere nickte, obwohl ihm die Ansichten seines jüngeren Bruders gegen den Strich gingen. Während James die ersten Kisten zu stapeln begann, nahm Stu weitere Waren entgegen. „Sag mal, wann tauchen eigentlich Cliff Jones und die Southwestern wieder auf? Ich hätte Lust nochmal Gepäckstücke zu entladen, statt diesem sperrigen Kram.“

„Keine Ahnung“, sprach Stuart. „Sie müssten eigentlich Anfang nächster Woche einlaufen.“

Weitere zwei Tage vergingen, ohne dass sich Hanks Gesundheitszustand verbesserte. Seine Frau, die rund um die Uhr an seiner Seite war, machte sich größte Sorgen, da es ihm nun nicht mehr möglich war flach im Bett zu liegen. Zu stark befiel ihn die Atemnot, welche ihn sogar stellenweise bis in eine Todesangst trieb. Des Nachts hustete und röchelte er so laut, dass die Kinder keine Ruhe mehr fanden. Als die drei am nächsten Morgen aufstanden, hatte sich nichts geändert. Carol ließ die Tür zum Schlafzimmer einen Spalt offen, damit sie immer ein Auge auf Hank werfen konnte.

Im Vorbeigehen riskierte Stu einen flüchtigen Blick, der ihm einen eisigen Schauer über den Rücken trieb. Noch nie zuvor hatte er seinen Vater so hilflos erlebt. Übermüdet schlief Hank ein wenig, dessen Atemgeräusche die gesamte Familie beunruhigten.

„Sollen wir bei euch bleiben?“, fragte James, der mit seinen Emotionen kämpfte. Entschlossen schüttelte seine Mum den Kopf.

„Ihr müsst zur Arbeit.“ Sie schwieg einen Augenblick, ehe sie bedrückt fortfuhr. „Ich denke, dass euer Dad seine Stelle verlieren wird.“ In Stu machte sich eine immense Wut auf Ben Thomas breit, was Carol sofort bemerkte. Darum sprach sie ihm in ruhigem Ton ins Gewissen. „Lass dich bitte zu keiner Dummheit verleiten, Stu.“

„Ja, Mum.“ Nachdem die Burschen das Haus verließen, kümmerte sich Penny rührend um die Eltern. Behutsam schob sie ihrem Vater noch ein Kissen in den Rücken, um den Oberkörper hoch zu lagern und ihm so das Luftholen zu erleichtern. Danach brühte sie für Carol einen Tee auf, bevor auch die erschöpfte Hausfrau am Tisch Platz nahm. Nun fand sich endlich die Zeit selbst einmal kurz die Augen zu schließen. Unterdessen befanden sich ihre Söhne auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Ein grimmiger Wind wehte und drang schon nach wenigen Schritten durch die Kleidung. Als die Irvings gerade die ersten Kisten schleppen wollten, donnerte Thomas raue, markante Stimme über den Vorhof.

„Stu Irving, sofort zu mir.“

„James? Kannst du dich mit dem Alten unterhalten? Ich glaube heute geschieht ein Unglück, wenn ein falscher Kommentar fällt.“

Der kräftige Bursche nickte zuversichtlich und folgte seinem Chef in das schmale Büro.

Dort wollte er gerade entschuldigende Worte für seinen Dad finden, da übergab ihm der Unternehmer mit ernster Miene und desinteressiert einen Umschlag. Ohne jegliches Interesse an dem Gesundheitszustand seines treuen Vorarbeiters wandte er sich ab.

„Ich will Ihren Vater nicht mehr auf diesem Grundstück sehen.“ Wie vom Blitz getroffen, geschockt von dieser Herzlosigkeit, stand James da.

„Aber er ist schwer krank“, stotterte er verzweifelt. „Mein Dad bekommt kaum Luft. Sie wissen genau, dass diese Anstellung ihm alles bedeutet.“

„Das ist mir egal“, raunte Thomas mit einer abweisenden Geste. „Sehe ich aus, wie ein barmherziger Samariter? Ich kann mit einem Arbeiter nichts anfangen, der sich vor der Arbeit drücken will.“

„Sie haben mir wohl nicht richtig zugehört“; fauchte Irving, der zusehends in Rage geriet.

„Ja, ja“, murrte sein Gegenüber und schlug auf den Tisch. „Geh an deine Arbeit, sonst bist du der…“ Er konnte seinen Satz nicht einmal beenden, da rutschte dem kräftigen, jungen Mann plötzlich die Hand aus. Unverhofft traf seine schnelle Faust die Nase des Unternehmers. Benommen machte der Alte zwei Schritte zurück. Blut lief über seine Lippen. Flink fasste James nach und drückte ihn gegen den Aktenschrank. Seine Augen funkelten bedrohlich.

„Hören Sie mir jetzt zu?“, brüllte Irving, stieß jedoch weiterhin auf taube Ohren. Thomas stieß ihn von sich.

„Verlass auf der Stelle mein Büro. Du bist gefeuert. Wenn ich dich hier noch ein weiteres Mal sehe, wird sich die Polizei um dich kümmern.“ Um jeglichem Ärger aus dem Weg zu gehen, fügte sich James seinem Schicksal. Zornig griff er nach dem Umschlag, in dem sich der Monatslohn seines Dads befand und schlug mit voller Wucht die Tür hinter sich zu. Überrascht schaute sein Bruder drein, als James wütend, zügig auf ihn zukam. An seinem Blick konnte der Ältere schon erkennen, dass etwas furchtbar schiefgelaufen war.

„Ist alles in Ordnung?“ James schüttelte den Kopf und hielt demonstrativ den Umschlag in die Höhe.

„Er hat Dad entlassen. Das ist sein letztes Gehalt.“ Selbst Stuart, den sonst nichts so schnell aus der Ruhe brachte, konnte es nicht fassen. „Ich gehe jetzt nach Hause und schaue nach dem Rechten.“

„Wie?“

„Auch ich bin fristlos entlassen. Ich habe dem Mistkerl eine reingehauen. Dieser herzlose Vollidiot.“

„Verdammt. Ich hätte besser mit ihm gesprochen“, gab sich Stu selbst die Schuld.

„Auch du hättest ihm deine Faust ins Gesicht gehalten. Egal, ich gehe besser.“ Sein Bruder dachte jedoch schon einige Schritte weiter und hielt den Jüngeren fest.

„Warte kurz“, flüsterte er nachdenklich. „Geh nicht zu Dad ins Zimmer. Ihm geht es schon so schlecht, da braucht er keine zusätzlichen schlechten Nachrichten. Außerdem wird er sich nur aufregen, wenn er von deiner Aktion erfährt.“

„Stimmt. Dann halte ich mich halt leise in der Küche auf.“ So verabschiedeten sich die Geschwister voneinander.

Je später es wurde, umso stärker wurde das schlechte Gefühl, welches sich in Stus Magengrube breitmachte. Als endlich das dröhnende Signalhorn den Feierabend einläutete, konnte er es nicht erwarten nach Hause zu kommen.

Zu der klirrenden Kälte gesellte sich in diesen Abendstunden ein plötzlich einsetzender Regen, der Nadelstichen gleich in sein Gesicht prasselte.

Es war grauenhaft den Böen zuzuhören, die heulend durch die engen Straßenzüge zogen. Gedankenversunken schlich Stu weiter, bis er auf einmal vor seinem Elternhaus stand. Von außen sah er die hellerleuchtete Küche. Mit zittriger Hand öffnete der Bursche die Eingangstür. Panik durchfuhr seinen Körper, denn die angsterfüllten Mienen seiner Familie verhießen nichts Gutes.

„Geht es Dad gut?“, wisperte Stuart, während sein Herz in der Brust hämmerte.

„Sein Zustand hat sich in den letzten Stunden verschlechtert. Penny war bei Doktor Richardson. Er ist nun bei ihm“, antwortete Carol gefasst. Stu nahm neben seiner kleinen Schwester Platz. Er hielt sie fest im Arm. Die Kleine kämpfte standhaft, um nicht in Tränen auszubrechen. Auf einmal trat Doktor Richardson aus der Schlafzimmertür. Der zweiunddreißigjährige Mediziner, der in London promoviert hatte und sich dem Gemeinwohl der einfachen Leute verschrieb, schaute bedauernd in die ängstlichen Gesichter der versammelten Familie. Vorsichtig setzte er sich an den Tisch, verstaute sein Stethoskop in der ledernen Tasche und nahm einen Schluck Kaffee. Die Diagnose war niederschmetternd.

„Es tut mir sehr leid, Misses Irving“, flüsterte der in grauen Tweed gekleidete Arzt. „Ich kann nichts mehr für Ihren Gatten tun.“ Carol rang um Fassung, während für die Kinder eine Welt zusammenbrach.

„Was ist es, Doktor Richardson?“

„Seine Lungen sind geschädigt und die Flügel füllen sich allmählich mit Flüssigkeit. Er muss diese Krankheit schon lange in sich tragen. Wahrscheinlich eine verschleppte Infektion.“ Richardsons Aussage war für Penny zu viel. Sie sprang auf, stellte sich in eine Ecke und ihr schmaler, Körper bebte.

„Wie lange wird mein geliebter Mann sich noch quälen müssen?“ Der Mediziner wollte sich nicht festlegen.

„Sechs, vielleicht acht Stunden. Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt. Es wird ihm das Scheiden erleichtern.“ James und Stu saßen wie versteinert da. Sie hofften gleich aus diesem Alptraum zu erwachen. Aber nichts dergleichen geschah.

„Haben Sie vielen Dank für Ihre ehrlichen Worte, Mister Richardson.“

„Ich werde morgen noch einmal vorbeischauen.“ Zuvorkommend küsste der Mediziner Carols Hand, bevor er das Haus verließ.

„Er lügt“, zischte James, dem bereits die Zornestränen über die Wangen liefen.

„Wir müssen uns dem Schicksal fügen, Kinder. Lasst uns für Dad stark sein.“ Sie alle nahmen sich ein letztes Mal tröstend in den Arm und wischten sich die Tränen ab, ehe sie den schwersten Gang ihres bisherigen Lebens antraten. Während Carol zusammen mit Penny auf den beiden Stühlen Platz nahm, die die Burschen ihnen bereitstellten, gingen die Söhne auf die rechte Seite des Bettes. Stu nahm behutsam Hanks Hand. Das Familienoberhaupt öffnete erschöpft die Augen öffnete. Erst stahl sich beim Anblick seiner Liebsten ein Lächeln auf seine Lippen, doch es hielt nicht lange vor. Schnell merkte er, dass die letzten Stunden angebrochen waren. Tränen der Verzweiflung liefen über Hanks schmale Wangen. Gerne wollte er mit der Familie sprechen, aber außer dem tiefen Röcheln brachte der stolze Mann keinen Ton mehr hervor. Mit aller Gewalt kämpfte er um sein Leben, denn so früh wollte der treusorgende Vater sie alle nicht im Stich lassen. Beruhigend griff Carol nach seiner Hand. In diesem Moment fand selbst sie nicht die richtigen Worte. Schon eine Stunde später schien der Hafenarbeiter sich mit dem Unausweichlichen abzufinden. Zittrig strich seine Hand über Carols Wange. Das Brodeln wurde stärker und er vermochte es nur noch über die Mimik zu kommunizieren.

„James, geh. Bring deinem Vater Papier und Stift.“ Eilig verschwand sein Sohn in der Küche und erschien kurz danach mit den gewünschten Utensilien. Immer mehr bemerkte Mister Irving, wie seine Lebensgeister ihn verließen. So nahm er den Stift und schrieb seine letzten Gedanken mit Mühe nieder.

Ich spüre, dass es Zeit wird zu gehen. Seid nicht traurig. Eines Tages werde ich euch alle wiedersehen. Vielleicht in einer besseren Welt. Ich liebe euch und werde immerhin eurem Herzen sein. Good bye.

Die Kirchenglocken schlugen Zehn, als er auf das schmale Fenster wies, welches zum winzigen Hinterhof hinausging. Penny sprang auf und fragte mit leiser, bebender Stimme: „Soll ich es für dich öffnen? Brauchst du frische Luft?“ Ihrem Dad wurden die Lider schwer. Mit letzter Kraft nickte er der Kleinen zu. Angestrengt versuchte Hank die kühle Winterluft einzuatmen. Aber seine Lungen verweigerten ihm diesen Wunsch. Brodelnd schloss er die Augen und im nächsten Moment lag sein Brustkorb, flach wie ein Brett, da. Stu, der weiterhin seine Hand hielt, spürte, dass die Spannung weniger wurde. Noch ein schwerer Atemzug, dann war es geschehen. Stille durchfuhr den Raum. Ein kühler Windstoß fuhr durch das schmale Fenster und wehte die Gardinen nach draußen. Die Vorhänge blieben plötzlich leblos hängen. Es schien, als hätte Hanks Seele mit dem letzten frischen Luftzug auf immer Abschied genommen. Nun vermochte niemand mehr seine Gefühle im Zaum halten. Tränen mischten sich unter die lauten Schreie, welche selbst in den Nachbarhäusern zu hören waren. Erst als der nächste Morgen anbrach, beruhigten sich die Gemüter. Carol küsste ihren Ehemann ein letztes Mal auf die Stirn, bevor sie seinen leblosen Körper mit einem weißen Laken bedeckte. Schweigend saßen die Irvings am Tisch.

„Du solltest in den Hafen gehen“, flüsterte sie Stu zu und. Der Blick schweifte zum Fenster hin. Ihr ältester Sohn schüttelte entschlossen den Kopf.

„Ich lasse euch jetzt auf keinen Fall allein. Soll mich der Alte halt rausschmeißen. Es gibt momentan Wichtigeres.“ Behutsam strich er über den Rücken seiner kleinen Schwester, die wie hypnotisiert dasaß und das Gesicht hinter den schmalen Händen verbarg. „Wir müssen uns nun um die Beerdigung kümmern.“ Strafend stierte James seinen Bruder an.

„Dad ist gerade erst von uns gegangen. Zeig gefälligst mehr Respekt“, zischte er erbost. In diesem Augenblick schien nur Carol die nötige Ruhe zu bewahren.

„Streitet nicht. Nicht jetzt. Stu hat recht.“ Sie befürchtete jedoch den Betrag für eine Beisetzung nie im Leben aufbringen zu können. So teilte sie ihren Kindern verzweifelt die einzige Möglichkeit mit, die sich ihnen bot. „Euer Vater hatte nie die Gelegenheit etwas für schlechte Zeiten anzusparen. Ich werde heute Nachmittag zu Pater Jacob gehen und ihn fragen, ob wir die Beisetzung in kleinen Raten zahlen können.“

„Mum, ich habe ein Wenig meines Gehalts zur Seite gelegt. Wenn dir das hilft, gebe ich es dir.“

„Nein, Stu“, wisperte Carol. „Es würde mir das Herz brechen, wenn ich dir dein hart erarbeitetes Geld abnehme. Ich werde sehen, was ich erreichen kann, damit es reicht.“ Trotz der Trauer schweiften Stuarts Gedanken in alle Richtungen. „Nun, wo Dads Gehalt wegfällt wird es selbst schwer die anfallende Miete für diese drei Räume aufzubringen.“ Zustimmend nickte seine Mutter. Daran hatte sie bislang noch keinen Gedanken verschwendet.

„Die Probleme stapeln sich plötzlich vor unseren Augen. Lass mich nachdenken. Mir fällt schon eine Lösung ein.“ Wie gerne hätte Carol ihnen gesagt, dass alles Gut werden würde. Aber das konnte sie nicht. Es wäre eine glatte Lüge gewesen. In diesem Augenblick klopfte es an der Haustür und James kam in Begleitung von Mister Porter zurück. Er war in Hanks Alter und bewohnte mit seiner Frau Shirley sowie den drei Söhnen die Unterkunft im ersten Stock.

„Mein Beileid“, flüsterte Michael Porter. „Wenn ihr uns braucht, sind wir für euch da.“

„Danke, Michael. Das ist sehr nett, aber wir versuchen damit allein fertig zu werden“, sprach Misses Irving zuversichtlich lächelnd. Der Nachbar nahm am Tisch Platz und sie unterhielten sich noch eine Weile, bis Doktor Richardson erschien. Während er den Totenschein ausfüllte und die letzte Untersuchung vornahm, warteten vor der Tür bereits die Bestatter, denen er schon am Abend Bescheid gegeben hatte. Nachdem der Mediziner seine Aufgabe erfüllt hatte, trugen die beiden Hank nach draußen. Carol brach es das Herz. Sie weinte dennoch nur kurz, ehe sie sich zusammen mit ihrem jüngsten Sohn auf den Weg zu Pater Jacob machte. Unterdessen kümmerte sich Stu um Penny.

„Ohne Dad wirken die Räume entsetzlich kalt“, wisperte die Kleine. Stunden vergingen. Der Tag neigte sich allmählich dem Ende, da kehrte ihre Mutter zurück. James folgte ihr mit bedrückter Miene.

„Konntet ihr etwas erreichen?“, fragte Stuart voller Hoffnung. Seine Mum nahm schweigend am Esstisch Platz, während James unter wütenden Tränen ihren alten Mantel an den kleinen Kleiderhaken hing.

„Ich habe lange mit unserem Geistlichen gesprochen. Uns bleibt lediglich eine Möglichkeit, nämlich die einer Armenbeisetzung. Pater Jacob wird eine Messe lesen, aber der Rest findet in schlichtem Rahmen statt.“

„Was meinst du damit?“, erkundigte sich Penny.

„Das Grab wird abseits liegen und der Sarg wird einfach gehalten sein.“ Für einen Moment stockte ihr der Atem und sie wischte sich eine Träne von der Wange. „Er wird schon nach kurzer Zeit verrotten. Entschuldigt, doch das war die günstigste Lösung.“ Ungläubig schaute die Jüngste ihren Bruder Stu an. Sie sprang auf und nahm ihre Mutter tröstend in den Arm. Langsam, teilnahmslos strich Carol der Kleinen über das Haar. James war keinesfalls einverstanden.

„Ich muss hier raus.“ Nach den wenigen Worten stürmte er ins Freie und schlug die Tür feste in die Angeln. An diesem Abend war die Stimmung weiterhin aufgeheizt. Niemand sprach ein Wort. Nur das Ticken der alten, billigen Wanduhr unterbrach durch ihr monotones Ticken die entsetzliche Stille. Bevor die Irvings sich zur Ruhe begaben, schauten sie auf das frisch bezogene Bett ihres Vaters. Es schien, als käme er gleich nach Hause. Stu verspürte, dass eine Veränderung von Nöten war. Er wollte nicht weiterhin sein Dasein durch Gelegenheitsarbeiten bestreiten. In dieser Nacht fand der Älteste keinen Schlaf. Sein Körper wandte sich von einer Seite zu anderen.

Schließlich brach der nächste Morgen an und er war heilfroh, die Nacht überstanden zu haben. Schon früh klopfte es an der Pforte. Mister McGuire steckte die Post, wie jeden Tag, in den Briefschlitz der Haustür. Nervös ging Stuart die Schreiben durch. Unter anderem befand sich ein Umschlag dabei, welcher von Mister Thomas an ihn adressiert war. Wie erwartet handelte es sich um die Kündigung des ältesten Irving-Sprosses. Dies schien in der verfahrenen Situation der Familie der Todesstoß zu sein. Über all die existenzbedrohlichen Ereignisse, geriet selbst die anstehende Beerdigung ihres Vaters in den Hintergrund. Statt darüber zu reden, igelte sich ein jeder ein. Es blieb ihnen nicht die Zeit, gebührend, um Hank zu trauern. So viele Hürden bauten sich vor ihnen auf, dass auch der sonst so ruhige, besonnene Stuart seine Tugenden vergaß.

Letztendlich kam der Tag der Beisetzung. Verzweifelt, nicht wissend, wie es weitergehen sollte, saß die Familie an ihrem alten Küchentisch. Carol zog die schweren Gardinen zur Seite und starrte auf die karg gepflasterte Straße, durch deren Rinnen der zusehends stärker werdende Regen sich seine Bahn suchte. Kein Sonnenstrahl erhellte ihre Gemüter. Um die Irvings herum schien sich alles in tiefes Schwarz zu tauchen. In Trauerkleidung gehüllt standen sie in den Schlafzimmern. Einander kontrollierten die Burschen noch einmal den Sitz der Krawatten und der Kragen.

„Seid ihr bereit?“, fragte Carol leise, während sie die Tür einen Spalt geöffnet hatte.

„Ja, Mum“, antwortete James gefasst.

„Es wird Zeit eurem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Seid stark, so wie er es von uns allen erwartet hätte.“ Sachte nahm Stu seine Schwester an der Hand.

Leise, ungehört von Penny, sprach James seine Mutter an.

„Glaubst du nicht, dass es zu viel für sie wird?“ Seelenruhig antwortete Carol: „Es ist ihr Vater. Sie ist stärker, als du denkst. Gott wird ihr diesen feinen Zug hoch anrechnen. Nun geh zu deinen Geschwistern.“ Schließlich löschte sie das Licht, was alle Räume in furchterregende Dunkelheit tauchte. Nachdem sie die Türe abgeschlossen hatte, ertönte aus der oberen Etage die dumpfe Stimme Michael Porters. Seine gesamte Familie erschien in ihren besten Kleidern, um ihren Nachbarn in dieser schweren Stunde beizustehen. Mister Porter und Shirley nahmen Carol in die Mitte und hakten die Witwe schützend ein. Die Kinder folgten ihnen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie die Kirche. Ihre mosaikversehenen Fenster spiegelten in dieser Tristesse nicht den Mut, den sie erwecken sollten. Angrenzend lag der kleine Friedhof. Der Anblick der vermoderten Grabsteine trieb Penny eine Gänsehaut auf den Rücken. Weiter führte ein schmaler Weg über die Totenstätte, bis sie in einem abgelegenen Winkel Pater Jacob erblickten. Ohne die Begleitung seiner Messdiener stand der Geistliche mit verschränkten Armen und trauriger Miene da. Stu und seine Familie wirkten verwundert, denn um die ausgehobene Ruhestätte standen viele von Hanks Kollegen. Sie alle waren gekommen, um ihrem Freund die letzte Ehre zu erweisen und obwohl auch sie eine Kündigung in Kauf nahmen. Jeder von ihnen reichte den Irvings die Hand. Bevor die Trauernden ihren Platz gefunden hatten, wandelte sich der Regen in einen leichten Schneefall.

Ein bedrohliches, tiefes Grau bedeckte den Himmel und dicke Flocken blieben auf dem einfachen Sarg liegen, der bereits auf zwei Holzplanken über dem ausgehobenen Grab stand. Andächtig lauschten sie den Worten des Paters.

„Wir haben uns heute hier vor Gott versammelt, um unserem Freund, Vater und treuem Ehemann, Hank Irving, die letzte Ehre zu erweisen.“ Während Jacob das Vater unser betete, verschwanden die Mitarbeiter mit Tränen in den Augen. Carol konnte ihnen nicht böse sein, denn auch sie mussten durch ihre Stelle das Wohl der Familien sichern. Ungeachtet dessen fuhr der Geistliche mit dem Psalm 23:4 fort. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Auf grasigen Auen lässt er mich lagern, zu Wassern, da ich ruhen kann, leitet er mich. Er erquickt meine Seele, er führt mich auf rechten Pfaden um seines Namens willen. Auch wenn ich in dunklem Tale wandern muss, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und dein Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesichte meiner Bedränger. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher hat Überfluss. Nur Glück und Huld werden mir alle meine Lebenstage auf dem Fuße folgen, und im Hause Gottes werde ich bleiben lebenslang.“ Unter größtem Bedauern über diesen Verlust segnete Pater Jacob den Sarg mit Weihwasser und trat ein Stück zurück. James und sein Bruder, wie auch die Porters, nahmen die dicken Stricke in die steifen Hände. Zusammen ließen sie Hank in die kalte Erde hinab. Dies war der schlimmste Augenblick für die gesamte Familie. Während der Totengräber begann seine Schaufel mit dem gefrorenen Boden zu füllen, verabschiedeten sich die Irvings von ihren Nachbarn.

„Stu“, sprach seine Mutter. „Wir gehen nach Hause.“

„Geht ruhig schon vor. Ich muss einen Augenblick allein sein.“ Er bekreuzigte sich und verließ den Gottesacker in Richtung des Hafens. Ein eisiger Wind wehte von der See her. Bedrückt lief er an den Kais entlang, bis sich seine Stimmung plötzlich aufhellte. Vor ihm lag die Southwestern. Es war ein riesiges Passagierschiff, welches zwischen Liverpool und New York pendelte. Die ersten Gäste verließen bereits den stählernen Koloss. Stu sah zu, wie die Decksmänner all die Gepäckstücke der feinen Herrschaften von Bord brachten. Ein jeder führte seine große, teure Reisetruhe mit sich. Stu konnte nur raten, was sich in den Luxusboxen versteckte. So schweiften seine Gedanken.

„Hey, Stu“, donnerte plötzlich die laute, ihm bekannte Stimme. Es war Clifford Jones. Ein kräftiger, großgewachsener, zweiundzwanzigjähriger Bursche aus Manchester. Cliff, wie ihn jeder seiner Freunde nannte, stammte aus einer Arbeiterfamilie. Sein schulterlanges, blondes Haar, als auch die stechend blauen Augen brachten sämtliche junge Frauen in den Häfen zum Schwärmen. Obwohl es entsetzlich kalt war, trug der Decksmann nur ein Hemd, welches bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, seine tätowierten Unterarme zur Geltung brachte. Mit einem leichten Schwung stellte der Hüne die Designertruhe ab und nahm seinen Freund herzlich in den Arm. „Wie geht es dir?“, fragte Clifford glücklich seinen Freund nach fast einem Monat wiederzusehen. Stu berichtete von Hanks Tod.

„Wir wissen nicht, wie es jetzt weiter gehen soll. Mein Dad hinterlässt eine klaffende Lücke.“

„Das tut mir sehr leid, Stu. Wenn ich etwas für euch tun kann, sag bitte Bescheid.“ Zustimmend nickte Stu und ließ erneut seinen Blick über die ganze Breite des Schiffsrumpfes schweifen. Nun, da seine heile Welt in Scherben lag, spielte Irving mit dem Gedanken eines Neuanfangs.

„Sag mal, wie ist es in Amerika?“, fragte er neugierig. Der Blick seines Freundes spiegelte Begeisterung.

„New York ist großartig“, schwärmte Jones und zündete sich eine Zigarette an. „Die Stadt wächst minütlich. Das Tor zur Zukunft.“ Je mehr der Seemann über die Vereinigten Staaten sprach, umso stärker wurde Stus Abenteuerlust.

„Ich habe von vielen Leuten gehört, dass es dort drüben Gold in Hülle und Fülle gäbe. Ist da etwas Wahres dran?“

„Ja, doch du bist ein wenig spät. Wenn du nach dieser Kostbarkeit suchen möchtest, hast du wahrscheinlich in Kalifornien noch die besten Chancen.“

„Kalifornien“, murmelte Irving. „Wann stecht ihr wieder in See?“ Nachdenklich fuhr sich Cliff über die Stirn und antwortete leise: „Wahrscheinlich in einer Woche. Warum?“

„Mich hält hier nichts mehr. Ich habe meine Stelle und meinen Vater verloren. Es wird Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Was würde die Überfahrt kosten?“ Abwertend fuhr sich Cliff über den Dreitagebart.

„Ich denke selbst die Reise in der dritten Klasse würde dir finanziell das Genick brechen. Überleg es dir lieber noch einmal. Es ist ein großer Schritt, den du nicht bereuen willst. Wenn du dich entschieden hast, weißt du wo ich zu finden bin. Wir arbeiten dann schon eine Lösung aus.“ So verabschiedeten sich die Freunde voneinander und jeder ging seiner Wege. Allmählich brach die Dunkelheit herein. Mit den Händen in den Taschen schlich Stu die Alley-Street entlang. Auf einmal stand er vor seinem Elternhaus. Noch immer tanzten die Schneeflocken durch die Luft und färbten sein braunes Haar in ein leichtes Weiß. Aus dem Inneren des Hauses drang der Schein der alten Öllampe zu ihm heraus. Dies war der Augenblick, indem er die Weichen für die Zukunft stellen konnte. Vorsichtig öffnete Stuart die Tür und trat in die Küche.

Der Rest seiner Familie beendete gerade das Abendessen. Schweigen beherrschte den Raum. Mit enttäuschter Miene sah Carol ihren Sohn an.

„Du bist spät“, sprach seine Mutter, ehe sie ihm eine Scheibe Weißbrot und ein Stück Dörrfleisch zuschob. Stu küsste Carol auf die Wange und nahm Platz.

„Verzeiht mir. Aber ich musste nachdenken.“

„Über was?“, erkundigte sich sein Bruder. Auch Penny sah ihn neugierig an.

„Darüber, wie es weitergehen soll.“ Misses Irving wusste nicht, worauf ihr Sohn hinauswollte. Auch Penny und sein Bruder schauten fragend drein. „Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen. Meine Zukunft liegt in den Vereinigten Staaten.“ Diese plötzliche Aussage traf Carol wie ein Donnerschlag. Doch statt ihrem Sohn seinen Willen zu nehmen, nickte sie zustimmend.

„Du willst also gehen?“

„Ja, Mum. Hier habe ich kein Ziel mehr, auf das ich zuarbeiten kann. Im Gegenteil. Wir werden unser Leben am Existenzminimum fristen. Dort habe ich die Chance, etwas aus meinem Leben zu machen.“ Stu sah das Funkeln in Pennys Augen, während James eher traurig wirkte. „Die Southwestern liegt im Hafen. Clifford Jones hat mir schon viel erzählt und er könnte uns die Überfahrt ermöglichen.“ Hoffnungsvoll, dass sich seine Familie dieser Idee anschließen würde, sah er sich um.

„Natürlich will ich euch keine Vorschriften machen. Gerade in dieser Lage ist es schwer für mich, aber ich wäre die Letzte, die euch im Wege stehen will.“ Ihr jüngster Sohn schüttelte bedauernd den Kopf und flüsterte: „So gerne ich mitgehen würde, ich kann nicht. Mein Herz schlägt hier in Liverpool. Außerdem kann ich Mum nicht allein lassen.“