Meine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Eine sanfte Brise
wehte von der Donau her. Einer der beiden Flüsse, an denen die
jugoslawische Hauptstadt Belgrad liegt. Sehen konnte ich den Fluß
nicht. Er war durch eine hohe Mauer mit Stacheldraht auf der Krone
verdeckt. Außerdem hatte ich eine schwarze Binde vor den
Augen.
Ich hörte, wie die Männer der serbischen Sonderpolizei ihre
Waffen durchluden. Und dann Hauptmann Ristics Stimme.
»Zigarette?«
Ich schüttelte den Kopf. »Rauchen ist ungesund, wissen Sie?
Bei uns in A… - Australien raucht kaum noch jemand.«
Beinahe hätte ich ›Amerika‹ gesagt. Dabei war ich mit einem
falschen australischen Paß nach Belgrad gekommen. Nicht als G-man,
sondern auf eigene Faust.
»Wie Sie wollen«, sagte Ristic. Und seinen Untergebenen rief
er zu: »Leeegt an…!«
Es war Freitag. Ich würde an einem Freitag sterben. Meine
Gedanken wanderten zurück zum vergangenen Montag, an dem der ganze
Schlamassel angefangen hatte…
»Das soll Bier sein?« grölte ich an diesem Montagabend.
Mit meinem Freund und Kollegen Milo Tucker hockte ich in einer
Hotelbar in Manhattan. Wir sollten Lockvögel für skrupellose
Waffenhändler spielen.
»Ein Bier soll das sein?« wiederholte ich, und auflachend
packte ich die Flasche der US-Marke Budweiser am Hals, kippte die
schäumende Flüssigkeit auf den Bar-Tresen vor mir.
Milo geierte sich einen ab und schlug sich auf die Schenkel.
Er gebärdete sich, daß er fast vom Barhocker fiel.
Die Lady hinter der Theke der eleganten Oak-Room-Bar
erbleichte. Ihr Gesicht wurde fast so weiß wie die gestärkte Bluse,
die sie trug und unter der sie so einiges mit sich herumschleppte,
wie man deutlich sah. Innerlich tat es mir leid, daß wir uns
gegenüber dem attraktiven Girl wie die letzten Menschen aufführten.
Aber das gehörte zu unserer Rolle.
Zwei halbwilde Kriminelle aus dem australischen Outback, die
in New York mit dem Geld um sich schmissen und die Puppen tanzen
ließen.
»Glotz nicht so, Süße!« knurrte ich die Bar-Maid an. Dabei
versuchte ich, so gut wie möglich den australischen Akzent
nachzumachen. Hoffentlich lief uns in den nächsten Stunden niemand
über den Weg, der wirklich von ›downunder‹ kam, also aus
Australien. Da konnte man in dem Vielvölkergemisch von New York nie
sicher sein.
Wenn unsere Tarnung aufflog, waren wir so gut wie tot…
»W-wünschen Sie ein anderes Bier, Sir?« fragte die Bedienung
mit leicht zitternder Stimme.
»Darauf kannst du einen lassen, Sweetheart! Aber nicht noch
mal diese Yankee-Brühe! Wenn ihr kein gutes Aussie-Bier habt,
schieb wenigstens ein Pommie-Ale[2] rüber. Besser als verdursten,
was, Milo?«
Mein Freund und Partner nickte. Er versuchte angestrengt, so
australisch wie ein Koala-Bär und so imberechenbar wie ein
Kettensägenmörder zu wirken. Es klappte offenbar.
Denn die anderen Gäste der Oak-Room-Bar rückten von uns ab,
als ob wir Beulenpest hätten.
Ich konnte sie verstehen. Aber als FBI-Agent im
Undercover-Einsatz kann man sich seine Rolle nicht immer
aussuchen.
Unsere Spezialisten in Washington hatten sorgfältig an unseren
falschen Lebensläufen gefeilt. Wir waren momentan keine G-men der
US-Bundespolizei FBI mehr, sondern zwei Berufsverbrecher und
skrupellose Geschäftemacher.
Milo hieß nun mit Nachnamen MacCuster. Er hatte wegen
Raubüberfall und schwerer Körperverletzung gesessen. Eine Anklage
wegen Zuhälterei mußte aus Beweismangel niedergeschlagen
werden.
Ich hörte auf den Namen Jesse Taylor. Und war angeblich
›downunder‹ wegen Mordversuch hinter schwedische Gardinen
gewandert. Nur dank der Begnadigung durch den Gouverneur von
Queensland war ich wieder auf freiem Fuß.
Unsere Kollegen hatten sogar Datensätze mit unseren Strafakten
angefertigt und in die Datenbanken des australischen
Justizministeriums geschleust. Mit deren Erlaubnis,
selbstverständlich.
Falls also unsere ›Geschäftsfreunde‹ aus der New Yorker
Unterwelt auf die Idee kamen, unsere Biografien von einem Hacker
checken zu lassen - sollten sie ruhig, sie würden alles bestätigt
finden.
Die Lady in der gestärkten Bluse stellte ein frisch gezapftes
Brown Ale vor mich hin.
»Pommie-Bier!« krähte ich. »Mann, ich hab’ ‘nen Durst wie ein
Känguruh beim Buschbrand, hähähä!«
Milo zwinkerte mir zu. Er wollte mir wohl signalisieren, es
nicht zu übertreiben. Aber das war überhaupt nicht nötig. Denn die
Fische hatten bereits angebissen.
Das wurde mir klar, als ich eine Pistolenmündung spürte, die
sich in meine Nierengegend drückte.
»Mr. Taylor und Mr. MacCuster«, sagte eine ruhige Stimme.
»Begleiten Sie uns bitte ohne Aufsehen. Unser Chef möchte die
Verhandlungen an einem ruhigeren Ort führen.«
Ich drehte den Kopf und fand mich plötzlich eingerahmt von
zwei Muskelmännern in Maßanzügen. Sie sahen meilenweit nach
Laufburschen des organisierten Verbrechens aus. Milo war von zwei
Kerlen in ähnlichem Format eingekeilt.
»Endlich kommt mal Stimmung in die Bude!« röhrte ich. Dann
knallte ich einen Fünfzig-Bucks-Schein auf den Tresen, den die
blasse Schönheit gerade erst wieder trockengewischt hatte. Zum
Abschied kippte ich ihr mein Brown Ale über die Bluse. Schließlich
hatten wir einen Ruf zu verteidigen.
Gemein grinsend zogen Milo und ich mit unseren
›Geschäftsfreunden‹ davon. Ich nahm mir fest vor, mich später mit
einem riesigen Blumenstrauß bei der Lady zu entschuldigen.
Wenn wir den Waffenhändlerring zerschlagen hatten…
***
Die FBI-Agentin Annie Franceso schwang den Mop. Sie tauchte
ihn immer wieder in ihr Eimerchen mit Wischwasser. Sie trug einen
hellblauen Kunststoff-Kittel und war unaufhörlich damit
beschäftigt, die Halle des ehrwürdigen ›Algonquin‹-Hotels
sauberzuhalten.
Die meisten Gäste glotzten glatt durch sie hindurch und
bemerkten sie gar nicht. Andere wiederum dachten, daß diese junge
Frau viel zu hübsch sei, um als Reinigungskraft zu versauern. Doch
allgemein war der Anblick einer puertoricanischen Putzfrau überall
in New York etwas völlig Alltägliches.
Darum hatte Mr. McKee ja auch gerade sie für diese Aufgabe
ausgewählt.
Der Leiter des FBI Field Office New York hatte sie beauftragt,
die Kontaktaufnahme zwischen Jesse und Milo und den Leuten von
Fatty Redmond zu überwachen.
Und das tat sie.
Während Annie die Fußböden sauber hielt, beobachtete sie die
Menschen ihrer Umgebung routiniert-unauffällig. Die Gäste des
›Algonquin‹ waren überwiegend Geistes-Akrobaten. Denn das
Traditionshotel galt als Literaten-Unterkunft.
Das war Annie Franceso egal. Sie las höchstens mal einen
Gruselroman von Stephen King oder Jason D ark. Ihre karge Freizeit
war ansonsten mit Kung-Fu-Training ausgefüllt, das sie beinahe
schon fanatisch betrieb. Dabei konnte sie nicht nur ihren Körper
für den harten Dienstalltag stählen, sondern auch ihr
überschäumendes Latino-Temperament abreagieren.
Als das Gangster-Quartett die Hotelhalle betrat, zuckte Annie
nicht mal mit der Wimper. Die vier Muskelpakete sahen nicht gerade
danach aus, als ob sie Gedichte über Gänseblümchen schreiben
würden.
Zumindest zwei der Visagen kannte Annie aus den FBI-Akten. Die
Kerle waren treue Steigbügelhalter von Fatty Redmond. Der Mann, dem
diese ganze Aktion galt.
Fatty Redmond.
Er hatte die typische amerikanische Karriere gemacht. Vom
Tellerwäscher zum Millionär. Aber alles unter dem Vorzeichen des
Verbrechens.
In den sechziger Jahren hatte er in der Bronx noch an den
Straßenecken mit Ballermännern gehandelt. Später hatte er sich dann
auf Kriegswaffen spezialisiert. Alles höchst illegal natürlich.
Heute konnte man von Fatty angeblich sogar eine Boden-Luft-Rakete
bekommen, wenn man genügend Kleingeld in der Tasche hatte.
Annie Franceso bekam mit, wie Redmonds Leute die Oak-Room-Bar
betraten. Dort drinnen würden sich Jesse Trevellian und Milo Tucker
kräftig danebenbenehmen. Wie es dem Image entsprach, das das FBI
für sie aufgebaut hatte.
Zwei australische Desperados, die Waffen kaufen sollten.
Waffen für die Guerillas in Indonesien.
Annie wischte den Boden, als würde sie nichts von dem
Geschehen um sie herum mitbekommen.
Drei Minuten später kamen Redmonds Schergen wieder aus der
Hotelbar. Sie hatten Jesse und Milo in die Mitte genommen.
Wahrscheinlich preßten sie ihnen ihre Ballermänner in den
Rücken.
Für Annie wurde es höchste Zeit, ihre Meldung
abzusetzen.
Sie griff in ihre Kitteltasche, in der ihr Handy
steckte.
Da riß sie jemand am Ellenbogen nach hinten!
***
Milo und ich stiefelten durch die Hotelhalle, als ob uns die
Welt gehören würde. Ab und zu ließen wir ein paar dämliche Sprüche
ab. Gut, daß sich das FBI Taylor und MacCuster nur ausgedacht
hatte. Zwei solche Widerlinge konnte man wirklich nicht auf die
Menschheit loslassen.
Aus den Augenwinkeln registrierte ich, daß unsere Kollegin
Annie Franceso mit einem Mann rangelte. Sie hatte echt eine ganz
eigene Begabung dafür, fast an jedem Ort der Welt sofort in eine
Schlägerei verwickelt zu werden. Pech nur für ihre Gegner, daß die
zierliche Latina stets unterschätzt wurde.
Trotzdem - im Moment war es extrem übel, daß Annie anderweitig
beschäftigt war. Denn sie gehörte zu dem Überwachungsnetz, das
unser Chef Jonathan D. McKee um Milo und mich hatte knüpfen
lassen.
Für alle Fälle hatte ich allerdings noch einen Peilsender im
linken Schuhabsatz. Damit konnten uns die Kollegen orten, wenn
Redmonds Leute die Beschattung bemerken sollten.
Ich blieb deshalb nach außen hin cool und machte noch eine
Bemerkung über die angebliche Häßlichkeit der amerikanischen Girls.
Mann, war dieser Jesse Taylor ein Kotzbrocken!
Um Annie Franceso machte ich mir keine Sorgen. Sie konnte mit
fast jedem Gegner fertigwerden.
Ich hätte mir besser über das Schicksal von Milo und mir den
Kopf zerbrochen…
Redmonds Leibgarde führte uns zu einer langgestreckten
schwarzen Limousine mit dunkel getönten Scheiben. Einer der
Kleiderschränke hielt uns die Fondtür auf.
Drei der Männer folgten uns und nahmen links und rechts von
uns auf der Sitzbank Platz. Ihre Waffen waren nun direkt auf unsere
Schädel gerichtet.
»Die Yankees sind ganz schön nervös, was, Milo?« witzelte ich.
»Ihr solltet mal ein gutes Aussie-Bier trinken, Boys!«
Sie erwiderten nichts darauf. Die Limousine fuhr langsam an
und bog Richtung Fifth Avenue ab.
Nach einer Minute ergriff einer der Männer das Wort. Er hatte
eine blonde Stoppelfrisur und hielt nun seine Kanone auf mein
Gesicht gerichtet.
»Mein Name ist Florey. Ich muß Sie beide bitten, Ihre Kleider
abzulegen. Schuhe und Socken und Schmuck ebenfalls.«
***
Im ersten Moment dachte Annie Franceso, ihr Angreifer würde zu
Redmonds Leuten gehören. Aber das schloß sie aus, nachdem sie
herumgewirbelt war und ihm von Angesicht zu Angesicht
gegenüberstand.
Sie traute dem Waffenhändler einiges zu. Aber nicht, daß er
ziegenbärtige Möchtegernschreiber auf seine Lohnliste setzte.
Außerdem wollte dieser Schwächling mit dem europäischen Akzent ihr
offensichtlich ›nur‹ an die Wäsche!
»Geile City, dieses New York!« hechelte der Typ. Er sah mit
seiner Baskenmütze und seinen strähnigen Haaren aus wie die
Karikatur eines Dichters aus dem Künstlerviertel Greenwich Village.
»Hier sind sogar die Putzfrauen heiße Feger! Ich bin inspiriert!
Die Triebe fließen…«
Er wollte noch weiterschwätzen. Grabschte zwischendurch mit
seiner anderen Hand nach Annies prallen Pobacken, die sich unter
dem dünnen Nylonkittel abzeichneten.
Das bekam ihm schlecht.
Es war sein Glück, daß Annie dringendtelefonieren mußte. Darum
bekam er nur eine kleine Kostprobe von ihren Kung-Fu-Kenntnissen.
Aber das reichte auch.
Annie ließ ihre Ferse wie einen Rammpfahl auf seinen Fuß
krachen. Gleichzeitig wuchtete sie ihm ihren linken Ellenbogen
gegen den Solarplexus.
Der Möchtegemdichter kreischte wie eine Nutte von der 42nd
Street. Mit drei, vier blitzschnellen Kettenvorstößen schickte ihn
Annie auf die Bretter.
Während'er noch stürzte, zückte die FBI-Agentin schon ihr
Handy. Bekam sofort eine Verbindung mit Clive Caravaggio. Der
Assistant Special Agent in Charge (ASAC) leitete den Einsatz gegen
Fatty Redmond.
»Annie hier, Clive! Kontaktaufnahme in der Oak-Room-Bar ist
erfolgt. Vier Männer. Haben vor einer halben Minute mit Jesse und
Milo das Hotel verlassen!«
»Positiv«, bestätigte der flachsblonde Italo-Amerikaner. »Jay
und Les stehen zur Beschattung bereit.«
Jay Kronburg und Les Morell waren zwei weitere FBI-Kollegen.
Sie warteten in einem neutralen Chevy aus dem FBI-Fuhrpark neben
dem ›Algonquin‹-Hotel.
Inzwischen trabte ein Duo der Hotel-Security heran, um den
randalierenden Dichter zu bändigen. Liebend gerne hätte Annie diese
Aufgabe selbst übernommen. Aber auf sie wartete Wichtigeres.
Der Einsatz gegen Fatty Redmond würde alle verfügbaren Frauen
und Männer des FBI New York erfordern. Und das wollte Annie
Franceso sich natürlich nicht entgehen lassen.
Aber nicht im Putzkittel! dachte sie, während sie zu den
Personal-Umkleideräumen im Keller eilte. Dabei waren ihre Gedanken
bei Jesse und Milo. Ob Fatty Redmond den Köder wohl geschluckt
hatte?
***
»Wir sollen strippen?« grölte Milo. »Wie seid ihr Yankees denn
drauf?«
Aber es war klar, daß wir keine Wahl hatten. Die Waffenhändler
rechneten damit, daß wir einen Peilsender bei uns trugen. Und auch
auf eine Verfolgung waren sie vorbereitet.
Der stoppelhaarige Florey zauberte unter seinem Sitz zwei
teure Jogginganzüge hervor. Immerhin erwartete man also nicht 'von
uns, daß wir nackt vor seinem dicken Boß antanzten. Sehr
rücksichtsvoll.
Wir meckerten noch ein bißchen. Aber dann fügten wir uns. Wenn
wir kein Mißtrauen erregen wollten, mußten wir ihr Spiel mitmachen.
Wichtig war das geheime Versteck der Waffenschieberbande. Bisher
hatte das FBI immer wieder erfolglos versucht, das Hauptquartier
von Fatty Redmond ausfindig zu machen. Darum heute diese
Undercover-Aktion.
Nachdem wir uns murrend ausgezogen hatten, stopfte Florey
unsere Klamotten in zwei Kunststofftaschen.
Mir fiel auf, daß sich schon seit ein paar Minuten ein
abgerocktes Oldsmobile auf der Parallelspur hielt. Die Limousine
fuhr immer noch die Fifth Avenue entlang.
Der Stoppelhaarige gab einem seiner Kumpane ein Zeichen, und
eines der getönten Fenster senkte sich. Bei dem Oldsmobile war die
Scheibe des Fonds bereits heruntergekurbelt. Der Gangster warf
unsere Klamotten hinüber!
Die Aktion hatte keine fünf Sekunden gedauert.
Der Oldsmobile fiel zurück und bog am Central Park North ab.
Wenn sich unsere Kollegen jetzt auf den Peilsender verließen,
hatten wir schlechte Karten.
In diesem Moment stieg der Fahrer kräftig aufs Gas. Milo und
ich waren gerade dabei, in die Jogginganzüge zu schlüpfen.
»Wir werden nun noch mögliche Verfolger abschütteln«,
verkündete Florey. Seine Augen waren so tot und nichtssagend wie
kalte Zigarettenasche. »Sie sind Geschäftsleute, Mr. Taylor und Mr.
MacCuster. Ich bin sicher, Sie werden unsere Vorsichtsmaßnahmen
verstehen.«
Die Stoßdämpfer der Limousine ächzten, als der Driver eine
rote Ampel überfuhr und unter wütendem Hupen der anderen
Verkehrsteilnehmer in die East 116th Street abbog. Der Bursche am
Lenkrad war wirklich ein verdammt guter Fahrer, und er wußte, wie
man eventuelle Verfolger abhängte - alle Achtung!
Ich verstand nur eins.
Milo und ich saßen in der Tinte. Und zwar ziemlich tief.
***
Fatty Redmonds Spitzname paßte wie die Faust aufs Auge.
Oder besser gesagt, wie die Sahne auf den Kuchen.
Milo und ich wurden von unseren Bewachern in sein
Allerheiligstes geführt. Nachdem sie in der Limousine mit uns eine
halbe New York-Sightseeing-Tour gemacht hatten.
Die Orientierung hatten Milo und ich trotzdem nicht verloren.
Der Schlupfwinkel der Waffenschieber mußte sich in South Brooklyn
befinden. Irgendwo bei den alten Docks. Schiffe wurden hier schon
lange nicht mehr gebaut.
Ob die Gangster es wirklich geschafft hatten, das
Überwachungsnetz des FBI zu zerreißen?
Um diese Frage kreisten meine Gedanken, während wir lässig vor
dem großen Marmor-Schreibtisch des Waffenhändlers standen.
Fatty musterte uns aus seinen Schweinsäuglein. Sie
verschwanden fast zwischen den Speckpolstern seiner Visage.
»Sie sind also die Gentlemen aus Australien«, ölte seine tiefe
Stimme.
»Erraten, Meister!« Ich hatte die Hände in die Hosentaschen
meines Jogginganzugs gerammt. »Und wir würden auch wie Gentlemen
aussehen, wenn Ihre Clowns uns nicht unsere Anzüge geklaut
hätten!«
Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf Florey und seine
Kumpanen, die hinter uns standen. Keine unsere Bewegungen schien
ihnen zu entgehen.
Fatty Redmond fummelte eine große Havanna aus dem Cellophan.
Ertrug einen teuren Anzug. Bestimmt maßgeschneidert. In dieser
Größe gab es keine Klamotten von der Stange. »Und Sie wollen also
Automatikwaffen kaufen? Für die indonesischen Terroristen?«
»Die einen nennen sie Terroristen, die anderen
Freiheitskämpfer«, meinte ich und lachte dreckig. »Mir egal.
Scheißegal. Die Schlitzaugen haben keine Ahnung vom amerikanischen
Markt. Darum haben sie Milo und mich vorgeschickt. Die brauchen
nämlich jede Menge Bleispritzen, um die Regierungstruppen
wegzupusten. Und wir…«
»Ihre… Schlitzaugen sitzen nicht zufällig in Washington? Im J.
Edgar Hoover Building?« fragte Fatty Redmond lauernd.
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Das J. Edgar Hoover
Building ist die Zentrale des FBI in der Bundeshauptstadt. Hatte
der Dickwanst von Anfang an gewußt, was gespielt wurde?
»Häh?« Milo spielte den Trottel. Dabei war ich mir sicher, daß
er genauso fieberhaft nach einem Ausweg suchte wie ich. Aber es sah
trübe aus.
Wir beide waren unbewaffnet. Hinter uns vier harte Burschen
mit großkalibrigen Knarren. Und dieses ehemalige Werftbüro, in dem
Redmond residierte, hätte genausogut in der Wüste Gobi liegen
können. Genauso weitab von jeder möglichen Hilfe.
Fatty Redmond erwiderte nichts, sondern bückte sich
schweigend. Dabei wurde sein Doppel- zu einem Dreifachkinn.
Und dann knallte er einen Gegenstand auf die Tischplatte, der
mir sehr bekannt vorkam.
Mein linker Schuh.
Der Absatz war geöffnet worden. Der Peilsender war nicht zu
übersehen.
»Ich beschäftige ein paar Spezialisten, wissen Sie.« Die
Stimme des Dicken war nun gefährlich leise. Er hielt ein Zündholz
an seine Zigarre, die er sich in den Mundwinkel geklemmt hatte.
»Die Männer in dem Oldsmobile. Sie werden sich erinnern. Meine
Spezialisten haben nicht lange gebraucht, um den Sender unschädlich
zu machen.«
Fatty Redmond lehnte sich zurück, paffte ein paar blaue
Wölkchen in den Raum.
»Der Waffenhandel ist ein hartes Geschäft«, fuhr er fort. »Ich
habe bisher überlebt, weil ich gute Instinkte habe. Sie werden mir
jetzt verraten, wieviel das FBI schon über mich weiß. Dann… werde
ich Ihnen die Gnade eines schnellen Todes gewähren.«
Den letzten Satz hatte er mit einem widerwärtigen Unterton
hervorgepreßt. Aber wir G-men lassen uns nicht so schnell
einschüchtem. Ich blieb ruhig.
Und wich seinem heimtückischen Blick nicht aus.
»Geben Sie auf, Redmond. Gegen das FBI haben Sie keine Chance.
Wenn Sie uns töten, werden andere kommen. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis wir mit Ihrer Organisation aufgeräumt haben!«
»Sie haben mich nicht verstanden. Sie werden auf jeden Fall
reden. So oder so. Fangt mit dem Dunkelhaarigen an!«
Er gab seinen Männern ein Zeichen, und Florey und ein anderer
Muskelprotz packten mich.
Der Stoppelhaarige rammte mir sofort seine Faust in die
Nieren. Er schien nur darauf gewartet zu haben, endlich brutal
werden zu dürfen.
Ich biß die Zähne aufeinander und drehte mich zur Seite. Die
Hand des zweiten Mannes krallte sich in meine Haare. Er wollte
meinen Schädel offenbar gegen den Märmor-Schreibtisch knallen
und…
C-R-A-S-H-!!!
In diesem Moment zerbarsten drei Fensterscheiben
gleichzeitig.
Rauchgranaten wurden in den Raum geschleudert. Jemand sprengte
die Eingangstür aus den Angeln. Aus den Augenwinkeln sah ich Waffen
aufblinken. Frauen und Männer in den blauen FBI-Einsatzjacken
stürmten herein.
Und ich hörte die Stimme von Clive Caravaggio. Per Megaphon
verstärkt.
»FBI! Waffen weg!«
***
Bisher hatte nur die Havanna des Dicken die Luft verpestet.
Nun mischten auch unsere Rauchbomben munter mit.
Auf mich wirkte das Auftauchen der Kollegen wie ein
Adrenalinstoß. Ich war sicher, daß es Milo ebenso ging.
Als der Gangster meinen Kopf gegen den Marmor knallen wollte,
ließ ich mich auf die Hände fallen. Gleichzeitig schnellten meine
Beine nach hinten. Meine Fersen trafen in seine Magengrube.
Ich ahnte, was die Kerle vorhatten. In dieser Situation würden
sie versuchen, Milo und mich als Geiseln zu nehmen. Wir mußten uns
freikämpfen. Und wir taten nichts lieber als das.
Florey richtete seine Waffe auf mich. Es war ein 357er Magnum
von Smith & Wesson.
Ich wollte ihm die Zimmerflak mit einem Karatetritt aus der
Pfote prellen. Aber er stand etwas zu weit von mir entfernt.
Er zielte auf mich und…
B-O-M-M-!!!
Ein Schuß krachte.
Der Stoppelhaarige ließ den Revolver fallen. Unser
indianischer Kollege Blackfeather hatte seine SIG Sauer P 226
sprechen lassen. Er gehörte ebenfalls zu der Gruppe, die uns
raushauen sollte. Der Meisterschuß des stets korrekt gekleideten
Blacky hatte Floreys Hand getroffen.
Ich bedankte mich bei ihm, indem ich Daumen Und Zeigefinger zu
einem Kreis zusammenführte. Im nächsten Moment hatte ich schon alle
Hände voll zu tun.
Mein zweiter Gegner war noch nicht kampfunfähig. Er sprang von
hinten auf mich, würgte meine Kehle, mit Händen wie aus
Eisen.
Ich senkte den Schädel, damit der Kehlkopf nach innen
wanderte. Dann riß ich mit beiden Händen an seinen kleinen
Fingern.
Der Gangster ließ los, und er schrie dabei laut auf.
Ich drehte mich um die eigene Achse, ließ seine kleinen Finger
los, und meine rechte Faust krachte gegen sein Kinn.
Neben mir ertönten Kampfgeräusche. Jay Kronburg und Les Morell
hatten einen von Milos ›Bewachern‹ entwaffnet und niedergerungen.
Der andere wurde von meinem Freund und Kollegen höchstpersönlich
ins Gebet genommen. Unter Milos Boxhieben taumelte er rückwärts
Richtung Wand.
Vom Hof her ertönten Schüsse. Andere Kollegen waren offenbar
dabei, die ›Spezialisten‹ aus dem Oldsmobile und andere Mitglieder
der Gang auszuheben.
Die ganze Aktion dauerte nicht länger als dreißig
Sekunden.
Aber während dieser halben Minute hatte keiner von uns so
recht auf Fatty Redmond geachtet.
Der Dicke stand nun hocherhoben hinter seinem Schreibtisch. Er
war im Gesicht rot vor Wut.
»Verdammte FBI-Bullen!« grollte er. »Lebend kriegt ihr mich
nicht!«
Und bevor einer von uns reagieren konnte, hatte er den Zünder
einer Handgranate abgezogen. Hielt das mörderische Ei vor seine
Brust.
Nur wenige Sekunden, dann würde das Ding explodieren und nicht
nur ihn selbst zerreißen, sondern auch einige von uns töten oder
zumindest schwer verletzen.
Während des Kampfes hatten wir uns von dem Schreibtisch
entfernt. Keiner von uns stand noch nahe genug bei dem
Waffenhändler, um eingreifen zu können.
Keiner.
Bis auf Annie Franceso.
Sie trug nicht mehr ihr Putzfrauen-Kostüm, sondern Jeans,
T-Shirt und die blaue FBI-Einsatzjacke. Ich hatte meine zierliche
Kollegin bisher gar nicht bemerkt. Aber nun hatte sie wieder einen
ihrer berühmten Kung-Fu-Auftritte.
»Kiiiiiaaaaiiii!«
Sie überwand die Distanz zu dem Dicken mit einem unglaublich
weiten Sprung. Direkt neben ihm landete sie auf dem Boden. Mit
beiden Fäusten hämmerte sie auf seine Hand.
Fatty Redmond war so überrascht, daß er die Handgranate
wirklich fallen ließ.
Der Explosivkörper kullerte unter den Schreibtisch mit der
Marmorplatte.
Aber das wirklich Unfaßbare geschah nun.
Die zierliche Latina packte den Koloß an Oberschenkel und
Schulter und hebelte ihn aus. Wuchtete ihn auf die
Schreibtischplatte. Und hüpfte selbst leichtfüßig auf ihn
drauf.
Keine Sekunde zu früh.
Im nächsten Moment zerriß eine Explosion fast unsere
Trommelfelle.
K-A-B-O-O-O-M-M-!!
Putz rieselte von der Decke. Aber die massive Tischplatte war
nicht zerstört worden.
Fatty Redmond war immer noch völlig durcheinander. Er machte
ein Gesicht wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Durch den offenen
Mund sog er die Luft ein, seine Augen waren aus den Höhlen
gequollen.
Annie hockte mit gespreizten Schenkeln auf seinem mächtigen
Bauch und legte ihm in aller Seelenruhe Handschellen an.
»Genießen Sie diesen Moment, Mr. Redmond«, sagte sie grinsend.
»Auf Riker’s Island werden sich wohl keine Frauen finden, die auf
Ihnen sitzen wollen!«
***
Fatty Redmond hatte sein Hauptlager wirklich in dem
aufgegebenen Gewerbegelände in South Brooklyn. Nur wenige Meilen
Luftlinie vom FBI Field Office an der Federal Plaza in Manhattan
entfernt.
»Das war Rettung in letzter Sekunde«, sagte ich zu Clive
Caravaggio, während Milo und ich beim Abtransport der verhafteten
Gangster zuschauten. Offenbar war keiner von ihnen entwischt.
Jedenfalls sah es im Moment so aus. »Aber wie habt ihr uns
wiedergefunden? Den Peilsender konntet ihr ja vergessen. Und der
Fahrer der Limousine hat ja wohl alle Verfolger abgehängt.«
»Fast alle.« Der Italo-Amerikaner grinste. »Bis auf unser
rotes Teufelchen hier…«
Er deutete mit dem Daumen auf unsere Kollegin Jennifer Clark,
die soeben den Raum betreten hatte. »Nenn mich nicht so,
Clive!«
Ich hob die Augenbrauen. »Jennifer! Ich dachte, du bist auf
einem Lehrgang in Quantico.«
»War ich auch. Bis gestern.«
»Heute durfte unser rotes Teufelchen das Gelernte gleich
anwenden«, meldete sich wieder Clive zu Wort.
Die attraktive blonde FBI-Agentin zog eine Schnute und knuffte
ihm in die Rippen.
»Ich verstehe kein Wort«, gestand ich. »Und wieso rotes
Teufelchen?«
»Auf der Akademie habe ich einen Spezialfahrkurs gemacht«,
erklärte Jennifer geduldig. »Motorroller im Extremeinsatz. Die Idee
ist, daß man in der Stadt mit einem Zweirad wendiger ist als mit
einem Auto. Man kommt überall hin. Und so war es auch. Die
Ausbilder haben uns mit den Rollern über Treppen gescheucht, durch
Fußgängertunnel, alles mögliche. Clive hatte die Idee, mich an der
Beschattung teilnehmen zu lassen. Und während die Limousine unsere
Überwachungs-Karren abgehängt hat, bin ich über die Gehwege
gebrettert und drangeblieben. Mit meinem kleinen roten
Roller…«
»Daher rotes Teufelchen!« Ich grinste.
Jennifer lächelte säuerlich. »Ich wäre euch dankbar, wenn
dieser Spitzname nicht an mir hängenbleibt.«
***
Am Dienstag holte ich meinen Freund und Kollegen Milo Tucker
an unserer gewohnten-Ecke ab. Zäh wie Teer schleppte sich der
morgendliche Berufsverkehr durch die Straßenschluchten von
Manhattan.
Ich lenkte meinen roten Sportwagen e-type an die
Bordsteinkante.
Der blonde G-man öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf
den Sitz neben mir fallen.
»Es wird Frühling, Jesse!«
Milo schnallte sich an. Ich setzte den Blinker und ordnete
mich in die Blechkolonne ein. Es war Anfang März. Wieder mal fragte
ich mich, woher mein Freund seinen Optimismus nahm. In New York
kann der Winter manchmal sehr lang sein.
»Woran merkst du das, Partner?«
»An meinen Frühlingsgefühlen natürlich! Und an den Röcken der
Girls. Sie werden kürzer - genau wie die Winternächte!«
Und wie zur Bestätigung seiner Worte trat in diesem Moment
eine langbeinige Blondine aus einem Drugstore. Der Rock ihres
Busineßkostüms bedeckte nur knapp ihre runden Pobacken.
Ich heftete meinen Blick lieber auf die Rückfront des
Stadtbusses vor uns. Wenn es auch schwerfiel.
»Die Kleine fällt ja fast schon unter Verkehrsgefährdung«,
brummte ich.
Lachend kamen wir an der Federal Plaza an. Ich lenkte den
Sportwagen in die Tiefgarage des vierzigstöckigen Hochhauses, in
dem sich der FBI-Distrikt New York befindet.
Milo und ich fuhren mit dem Lift hoch. Auf uns wartete ein
langer Arbeitstag. Fatty Redmond und seine Leute mußten verhört
werden. Außerdem gab es vielleicht noch andere Waffenlager der
Bande, die ausgehoben werden mußten.
Deshalb wunderte es mich nicht, daß sofort mein Telefon
klingelte, als wir in unserem Büro im 26. Stockwerk angekommen
waren.
»Trevellian.«
»Hier Mandy, Jesse. Du und Milo sollt sofort zu Mr. McKee
kommen.«
Ich hätte die samtweiche, mütterliche Stimme der
dunkelhaarigen Sekretärin unseres Chefs unter Millionen erkannt -
sie hätte sich nicht mit Namen zu melden brauchen. »Aber nur, wenn
wir eine Tasse von deinem legendären Kaffee kriegen!«
»Er wartet schon auf euch.«
Keine drei Minuten später saßen Milo und ich in der
Besprechungsecke von Mr. McKees Büro, vor jedem von uns eine Tasse
Kaffee.
Keine versteht ihn so herrlich aromatisch zuzubereiten wie
Mandy.
Aber die sorgenvolle Miene des Special Agent in Charge verhieß
nichts Gutes.
»Ich muß Sie beide von dem Redmond-Fall abziehen«, sagte Mr.
McKee und kam damit gleich zur Sache.
Ich beugte mich auf dem schwarzen Ledersofa gespannt vor und
hob fragend die Augenbrauen.
»Ich habe im Moment zu wenige Agenten«, erklärte Mr. McKee,
»und die Redmond-Gang ist kaltgestellt. Die Verhöre kann auch
Malcolm Baker oder einer der anderen Innendienstler durchführen.
Sie beide brauche ich für eine Personenschutz-Aufgabe. Sagt Ihnen
der Name Theodore Palmer etwas?«
Milo, der eifrige Zeitungsleser, nickte. »Ein Multimillionär.
Hat sein Vermögen an der Wall Street gemacht. Ein Finanz-Spekulant
mit goldenem Händchen. Sozusagen ein zweiter Donald Trump!«
In Mr. McKees Gesicht zeigte sich ein feines Lächeln. »Sie
haben im Prinzip recht, Milo. Bis auf eine Kleinigkeit. Palmers
goldenes Händchen ist verrostet. Er ist seit einigen Wochen arm wie
eine Kirchenmaus.«
»Traurig für ihn«, sagte ich. »Aber was hat das mit dem FBI zu
tun?«
»Indirekt sehr viel, Jesse. Palmers Armut hat sich noch nicht
herumgesprochen. Manche Leute halten ihn immer noch für einen der
reichsten Männer von New York. Mr. Palmer wird seit einigen Tagen
erpreßt. Ein Mann droht damit, seine Tochter zu entführen, wenn er
nicht zwei Millionen Dollar zahlt.«
»Zwei Millionen, die er nicht mehr hat«, vergewisserte sich
Milo.
Mr. McKee nickte ernst.
Ich legte die Stirn in Falten. »Das ist ungewöhnlich, Sir.
Normalerweise entführen die Mistkerle erst ein Opfer und kommen
dann mit ihrer Lösegeldf orderung rüber.«
Mr. McKee nickte erneut, dann öffnete er einen Schnellhefter,
der vor ihm auf der Tischplatte lag. »Normalerweise schon. Aber
dieser Verbrecher fällt aus dem Rahmen. Das wird Ihnen klar werden,
wenn ich seinen Namen nenne.«
»Seinen Namen kennen wir auch schon?«
»So ist es, Milo. Er hat ihn nicht verschweigen. Es handelt
sich um keinen anderen als Boris Andric!«
Milo und ich tauschten einen vielsagenden Blick. Mein Freund
war stumm geworden, doch seine Miene drückte plötzlich tiefe
Abscheu und Wut aus.
Boris Andric.
Der Schlächter von Srebrenica!
***
Eine Minute lang herrschte Schweigen in Mr. McKees Büro. Mein
Blick wanderte hin und her zwischen den Gesichtern des Chefs und
meines Freundes, hinüber zum Sternenbanner in der Ecke und
schließlich zu der Mappe, die Mr. McKee aufgeschlagen vor sich
liegen hatte.
Ich hatte das Gefühl, einen Ziegelstein im Hals stecken zu
haben.
»Sir, Sie sprechen von diesem Boris Andric, der…«
Mr. McKee nickte. Er legte die Fingerspitzen seiner schmalen
Künstlerhände gegeneinander. »Ja, Jesse. Erwar im Bosnienkrieg in
einer serbischen Spezialeinheit. Bei dem Massaker von Srebrenica
hat er eigenhändig mehrere Hundert Moslems getötet. Unbewaffnete
Zivilisten. Aus der Armee geflogen ist er erst, als er sich auch an
seinen eigenen Kameraden vergriff.«
Ich spürte, wie sehr sich Mr. McKee sorgte, daß wir es mit
einem solchen Gegner zu tun .hatten.
»Andric sattelte um und wurde einer der übelsten Gangster von
Jugoslawien«, erläuterte Mr. McKee. »Wochenlang überzog er Belgrad
mit seinem Terror. Er war beinahe schon so eine Art serbischer Al
Capone. Endlich wurde es den Behörden zu bunt. Sie vergaßen seine
blutigen Verdienste im Bosnienkrieg und wollten ihn kaltstellen.
Aber Andric konnte entkommen. Nach Amerika.«
»Soll das heißen, wir haben es mit einer YACS-Crime-Group
unter Führung von Andric zu tun?« fragte Milo mit knurrendem
Unterton.
Mr. McKee nickte. »Es spricht alles dafür, Milo.«
YACS-Crime-Groups werden im FBI-Jargon die Gangs aus dem
ehemaligen Jugoslawien genannt. Dabei steht die Abkürzung YACS für
Yugoslawian Albanian Croatian Serbian. Oftmals Männer, die im Krieg
das Töten gelernt haben. Und die nun nicht mehr damit aufhören
wollen oder können. Diese Gangs machten uns seit einigen Jahren
auch in den USA schwer zu schaffen.