Thriller Quartett 4028 - Vier Krimis in einem Band - Franklin Donovan - E-Book

Thriller Quartett 4028 - Vier Krimis in einem Band E-Book

Franklin Donovan

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis (499) Franklin Donovan: Trevellian und der Marathon des Todes Earl Warren: Bount Reiniger und das fünfte Opfer Earl Warren: Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten Earl Warren: Bount Reiniger und der Rosenmörder Der junge Mann lenkte den offenen Jensen Interceptor durch das Automatik-Tor der Villa am Santa Monica Boulevard. Der Kies knirschte in der Auffahrt des weitläufigen Parkgrundstücks, ehe der Mann den englischen Sportwagen vor der breiten Freitreppe stoppte. Der Butler des Filmstars June Armando empfing den Gast eher ungnädig. »Sie haben sich verspätet, Sir. Miss Armando erwartet Sie bereits.« »Ist June allein?« Der junge Mann ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ja, Sir.« Der Butler blieb steif – und riss jäh die Augen auf, als der Lauf des Revolvers in der Hand des Besuchers hochschwang. Er streckte noch abwehrend die Hände vor, da blitzte und krachte es schon. Das Geschoss drang in die Stirn des Butlers und tötete ihn auf der Stelle. Der Killer glättete die Bügelfalten und richtete das Armani-Jackett. Dann versenkte er den Revolver in der Tasche, nahm eine einzelne Rose vom Rücksitz des Sportwagens und stieg die Treppe hoch.

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Earl Warren, Franklin Donovan

Thriller Quartett 4028 - Vier Krimis in einem Band

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 4028 - Vier Krimis in einem Band

Copyright

Trevellian und der Marathon des Todes: Action Krimi

Bount Reiniger und das fünfte Opfer

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Bount Reiniger und der Rosenmörder

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Thriller Quartett 4028 - Vier Krimis in einem Band

Earl Warren, Franklin Donovan

Dieser Band enthält folgende Krimis

Franklin Donovan: Trevellian und der Marathon des Todes

Earl Warren: Bount Reiniger und das fünfte Opfer

Earl Warren: Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten

Earl Warren: Bount Reiniger und der Rosenmörder

Der junge Mann lenkte den offenen Jensen Interceptor durch das Automatik-Tor der Villa am Santa Monica Boulevard.

Der Kies knirschte in der Auffahrt des weitläufigen Parkgrundstücks, ehe der Mann den englischen Sportwagen vor der breiten Freitreppe stoppte.

Der Butler des Filmstars June Armando empfing den Gast eher ungnädig.

»Sie haben sich verspätet, Sir. Miss Armando erwartet Sie bereits.«

»Ist June allein?« Der junge Mann ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.

»Ja, Sir.«

Der Butler blieb steif – und riss jäh die Augen auf, als der Lauf des Revolvers in der Hand des Besuchers hochschwang.

Er streckte noch abwehrend die Hände vor, da blitzte und krachte es schon.

Das Geschoss drang in die Stirn des Butlers und tötete ihn auf der Stelle.

Der Killer glättete die Bügelfalten und richtete das Armani-Jackett. Dann versenkte er den Revolver in der Tasche, nahm eine einzelne Rose vom Rücksitz des Sportwagens und stieg die Treppe hoch.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Trevellian und der Marathon des Todes: Action Krimi

Franklin Donovan

Darry March gähnte. Der Angestellte der Illinois Trading Bank hatte noch zwei Stunden bis Feierabend. Erarbeitete in einer winzigen Filiale der Bank in der Southern Shopping Mall, einem riesigen Einkaufszentrum am Stadtrand von Chicago. Hierher kamen hauptsächlich Kunden, die einen schnellen Kleinkredit für ihre Spontankäufe brauchten. Deshalb war die Bankfiliale auch nur mit zwei Leuten besetzt. March und seiner Kollegin Rita Bickford.
Gerade betrat ein Mann die kleine Filiale der Illinois Trading Bank. Er trug schwarze Jeans und eine wattierte Jacke.
»Kann ich helfen, Sir?« frage Darry March diensteifrig.
Die Antwort bestand aus einer stahlglänzenden Ruger KP 90-Pistole, die ihm der »Kunde« unter die Nase hielt.
»Geld her! Alles!« Die Stimme klang wie gemahlener Granit.
Mit zitternden Händen packte der Kassierer grüne Dollarnoten in die Plastiktüte, die der Mann ihm hinhielt. Gleichzeitig betätigte er mit dem Fuß einen Alarmknopf.
Der Bankräuber sah die Bewegung und drückte ohne Vorwarnung ab. Rita Bickford kreischte entsetzt auf.
Der Killer raffte die Tüte mit der Beute an sich und lief davon…
***
Toby Hancock war als Verbrecher kein unbeschriebene Blatt. Doch dies war sein erster Mord.
Während er seinen rostigen Mitsubishi Colt auf dem Highway Richtung Osten prügelte, lief die Szene, die sich in der Illinois Trading Bank ereignet hatte, noch einmal vor seinem geistigen Auge ab.
Der Banker war tot. Daran gab es keinen Zweifel. Und die Cops würden ihn hetzen. Diesmal war alles anders. Anders als bei den bewaffneten Raubüberfällen, schweren Diebstählen und Körperverletzungen, wegen denen er früher Trouble mit dem Gesetz gehabt hatte.
Hancock hätte selbst nicht sagen können, warum er einfach abgedrückt hatte. Es war wohl ein Reflex gewesen. Aber er bereute nichts. Im Gegenteil. Es kam ihm so vor, als wäre dieser Mord eine Feuertaufe gewesen. Damit endlich einmal klar wurde, daß man mit Toby Hancock zu rechnen hatte. Daß er ein Mann war, der verdammt gefährlich werden konnte.
Jahrelang hatte der drahtige Mittdreißiger auf die kleinen Ganoven hinabgeblickt. Ohne sich einzugestehen, daß er selber einer war. Doch dieser kaltblütige Mord an dem Bankkassierer hatte in seinem Inneren eine Sperre zerbrechen lassen. Hancock war nun bereit, weiterzumorden. Er hatte seine Hemmungen verloren.
Nachdem er fast 50 Meilen zwischen Chicago und sich gebracht hatte, riskierte er eine kurze Pause. Beim nächsten Exit setzte er den Blinker und suchte sich auf einem Parkplatz eine abgeschiedene Ecke. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß auch wirklich niemand in der Nähe war, checkte er seine Beute.
Er hatte genau 5.600 Dollar in seiner Plastiktüte. Ziemlich wenig für ein Menschenleben.
Toby Hancock fluchte innerlich. Er war davon ausgegangen, daß es mehr gewesen wäre. Vielleicht hätte er doch besser eine größere Filiale überfallen sollen. Aber er hatte den kleinen Verschlag in dem großen Shopping Center mit Bedacht ausgewählt. Dort hatte es noch nicht mal einen Wachmann gegeben.
Er stopfte die Greenbucks in die Innentaschen seiner wattierten Jacke. Es nutzte nichts, sich über schon gemachte Fehler zu beklagen. Der Verbrecher startete wieder seinen Mitsubishi Colt und orientierte sich an den großen grünen Schildern, die New York City anzeigten.
Dorthin zog es ihn. Dort wollte er sich den größten Traum seines Lebens erfüllen.
***
Der Verdächtige riß sich los.
Seine Jacke blieb in meinen Fingern. Obwohl ich schnell reagierte, hatte er bereits mindestens 30 Yards Vorsprung. Als ich startete, hatte er schon seinen Laufrhythmus gefunden. Außerdem war ich im Nachteil. Der Verdächtige trug erstklassige Joggingschuhe und Sportkleidung. Ich mußte ihm in normalen Lederschuhen nachsetzen,'fedie ich passend zu meinem grauen Anzug trug.
Aber ein Special Agent des FBI sollte auch mit solchen Problemen fertigwerden.
Mein Gegner war mit einem sehr hohen Anfangstempo gestartet. Er sprintete mir davon. Ich blieb bewußt etwas langsamer. Dafür lief ich mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit. Und ließ ihn nicht aus den Augen.
So verging eine Viertelstunde. Zwanzig Minuten. Er war immer noch vor mir, doch allmählich ging ihm die Puste aus. Ich holte auf, obwohl ich nicht schneller lief. Er drehte sich immer wieder nach mir um. Das kostete ihn Zeit.
Schließlich war ich auf Armeslänge an ihn herangekommen. Da setzte ich alles auf eine Karte. Ich machte einen Hechtsprung und riß ihn von den Beinen.
Keuchend krachten wir beide auf das harte Straßenpflaster. Bevor er sich versah, hatte ich seine Arme auf den Rücken gerissen und ihm die Handschellen angelegt.
Ich hörte das Quietschen von Fahrradbremsen hinter meinem Rücken. Auf einem Mountainbike saß Special Agent Sidney Parker. Der Lauftrainer unserer FBI-Akademie in Quantico, Virginia. Dort machte ich gerade eine Fortbildung. ›Lauftechniken im Polizeialltag‹ nannte sie sich.
Parker sah kritisch auf seine Stoppuhr. »Das war nicht übel, Jesse«, meinte er. »Aber ich weiß, daß noch mehr in dir steckt. Es gibt ein grundsätzliches Problem beim Laufen, wenn wir im Einsatz einen Verdächtigen verfolgen.«
»Welches?« fragte ich, während ich dem ›Verdächtigen‹ die Handschellen wieder abnahm. Er war ein Kollege, ein anderer G-man.
»Verfolgungsjagden entstehen meist spontan. Also können wir uns vorher nicht aufwärmen. Es gibt allerdings einen schwachen Trost. Die Verbrecher sind meist vorher auch nicht aufgewärmt.«
Wir lachten.
»Wo ist eigentlich dein Freund Milo?« erkundigte sich Sidney Parker.
»Der nimmt heute an dem 20-Meilen-Waldlauf teil.«
»Wußte gar nicht, daß er sich so für das Laufen interessiert.«
»Ich auch nicht, Sidney Aber wie ich hörte, sind eine Menge Kolleginnen in der Gruppe. Vielleicht hofft er ja auf eine nette Verabredung.«
Der Lauftrainer grinste. »Wenn Mr. Milo Tucker vom FBI Field Office New York so gut zu Fuß ist, kann er ja demnächst an dem größten Ereignis der Läuferwelt teilnehmen.«
»Und was wäre das, Sidney?«
»Der New-York-Marathon.«
***
Rita Bickford hatte eine Beruhigungsspritze bekommen. Zu groß war der Schock für die Bankerin gewesen, ihren Kollegen Darry March vor ihren Augen sterben zu sehen. Brutal ermordet von einem skrupellosen Killer.
Ein Killer, den sie zum Glück genau beschreiben konnte.
»Er ist ungefähr sechs Fuß und zwei Inch groß«, sagte sie zu Lieutenant Montague vom Chicago Police Department, der mit seinen Männern am Tatort eingetroffen war. »Vielleicht wirkt er noch größer, weil er so ungewöhnlich drahtig und sehnig ist. Sein Alter schätze ich auf Mitte Dreißig. Die Haare sind mittelblond und sehr kurzgeschnitten. Er hat blaue Augen. Das konnte ich alles genau erkennen, weil er nicht maskiert war.«
Montague nickte anerkennend. Solche genauen Zeugenaussagen waren selten. »Seine Kleidung, Miss Bickford?«
»Schwarze Jeans, schwarze Turnschuhe. Eine wattierte dunkelblaue Jacke. Ich konnte nicht erkennen, was er darunter trug. Keine Mütze.«
»Wie ist er geflohen? Mit einem Wagen?«
»Das weiß ich nicht, Lieutenant. Als er aus der Filiale gerannt ist, bin ich sofort zu Darry - meinem Kollegen -hingestürzt. Um zu sehen, ob ich ihm noch helfen konnte. Aber…« Sie ließ den Satz unvollendet.
Der stämmige Lieutenant erhob sich von seinem Stuhl. »Sie haben uns schon sehr geholfen, Miss Bickford. Wenn Ihnen noch etwas…«
»Mir ist noch eine Besonderheit aufgefallen!« meinte die Bankerin plötzlich und schnippte mit den Fingern.
Der Cop sah sie gespannt an.
»Dieser Bankräuber - er rannte wie der Blitz. Er machte auf mich den Eindruck eines trainierten Läufers oder anderen Sportlers.«
***
Milo Tucker nickte schon zum dritten Mal ein, seit wir in Quantico losgefahren waren. Unser Lehrgang war beendet, und es ging wieder Richtung Heimat, naph New York City. Ich steuerte meinen roten Sportwagen vorsichtig über den Highway. Es war schon November, und der Winter kam mit Macht.
»Muß ja gestern abend ganz schön anstrengend gewesen sein, dein letztes date mit Paula«, grinste ich. Mein Freund war nämlich in den letzten Tagen einer strohblonden Kollegin aus dem Field Office in Little Rock näher gekommen.
»Anstrengend ist der richtige Ausdruck«, stöhnte Milo. »Am Anfang fand ich diesen Südstaaten-Dialekt ja noch richtig niedlich. Aber je besser wir uns kennengelernt haben, desto weniger habe ich verstanden.«
»Habt ihr denn soviel geredet?« erkundigte ich mich unschuldig.
»Stimmt eigentlich. Zum Reden kamen wir nicht so viel. Dafür waren wir zu sehr außer Atem.«
»Wieso das denn?« wollte ich wissen.
»Nicht was du denkst, Jesse!« platzte Milo hervor. »Im Gegenteil. Paula wollte, daß wir an dem freiwilligen Nachtlauf teilnehmen, der gestern zum Abschied angesetzt war.«
Ich blickte in das enttäuschte Gesicht meines Freundes und mußte wieder grinsen. »Nimm's leicht, Partner. Ich war gestern im Kino, wo es einen alten Film zu sehen gab. Der hat mich auch nicht gerade aus den Schuhen gehauen.«
»Was haben sie denn gezeigt?«
»›Marathon Man‹!«
***
Toby Hancock verband das Angenehme mit dem Nützlichen.
Auf halbem Weg von Chicago nach New York City fuhr er in Pennsylvania vom Highway runter und parkte seinen schrammigen Mitsubishi Colt am Rand einer einsamen Nebenstraße.
Er stieg aus, klappte die Fahrertür zu und machte ein paar Dehn- und Streckübungen. Es juckte den Killer in den Fußsohlen. Er wollte wieder laufen. Mittag war schon vorbei, und er hatte noch nicht trainiert. Und ein Tag ohne Training war ein verlorener Tag für ihn.
Er zog sich nicht um. Hancock hatte ja die Beute in seiner Jacke stecken. In der nicht zu engen Jeans war er genauso beweglich wie in einer Jogginghose. Und Laufschuhe hatte er sowieso immer an.
Toby Hancock war süchtig.
Aber nicht nach Crack, Heroin, Marihuana oder Alkohol. Wie so viele andere Kriminelle. Nein, Hancocks Droge war das Laufen. Er trainierte schon seit Jahren. Hatte sich in seinen Leistungen immer mehr gesteigert. Und nun hatte er das größte Ziel seines Lebens vor Augen.
Doch an diesem dämmerigen Novembernachmittag backte er erstmal kleinere Brötchen. Der Mörder begann einen lockeren Querfeldeinlauf. Er führte ihn über Waldwege, an den Rändern von besiedelten Gegenden vorbei.
Hancock kannte diese Gegend überhaupt nicht. Aber das störte ihn nicht. Durch das viele Laufen hatte er einen hervorragenden Orientierungssinn gewonnen. Auch nachdem er eine Dreiviertelstunde vor sich hin getrabt war, würde er den Weg zum Auto problemlos zurückfinden. Das wußte er.
Und er wußte auch, was er sonst noch suchte.
Zehn Minuten später hatte er es gefunden.
Eine Tankstelle, fernab der großen Durchgangsstraßen.
Sie wirkte wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Man hätte glauben können, jeden Moment einen Cadillac Eldorado um die Ecke biegen zu sehen. Und die Musik von Elvis Presley oder Buddy Holly zu hören, die aus dem Autoradio drang. Doch die fünfziger Jahre waren schon lange vorbei.
Wir haben jetzt die knallharten Neunziger, dachte der Kriminelle zynisch. Und das werden auch die Leutchen hier im hintersten Winkel von Pennsylvania gleich feststellen müssen…
»Hallo, Fremder!«
Kaum hatte Hancock sich schräg vom Waldrand her der Tankstelle genähert, als ihn ein alter Marin ansprach. Er kam aus dem kleinen Shop hinter den Zapfsäulen. Das karierte Flanellhemd und die ölbeschmierte Latzhose wiesen ihn als Hinterwäldler aus. Als Einheimischen, der vielleicht in seinem Leben nie weiter gekommen war als bis zur nächsten Kleinstadt.
Ein echter Naturbursche, sagte sich der Mörder. Und als er sich den Alten näher ansah, wurde er in dieser Annahme bestätigt. Der Tankwart trug noch nicht mal Schuhe! Und das trotz der frostigen Novembertemperaturen!
Der Mann im Overall bemerkte den irritierten Blick des Fremden und verzog seinen breiten Froschmund zu einem zahnlosen Grinsen. »Die Kälte merke ich schon gar nicht mehr. Hab' meinen Lebtag keine Schuhe getragen. Außer im Krieg.«
»Im Krieg?« echote der Killer verwirrt.
»Korea-Krieg, Mann! Bei der Army muß man nun mal Schuhe tragen. Da muß man überhaupt 'ne Menge Sachen tun, die mir nicht gepaßt haben.«
Während’ des Wortwechsels waren die beiden Männer in den winzigen Verkaufsrauirfder Tankstelle getreten.
Ob man hier überhaupt nennenswerte Beute machen kann? fragte sich der Verbrecher verächtlich. Aber das war ihm egal. Er hatte sich vorgenommen, seinen Trainingslauf mit einem Raubüberfall zu krönen. Und das würde er tun. Einfach so. Um sein Kapital aufzustocken.
Toby Hancock griff unter seine Jacke, wo er die Ruger KP 90 im Hosenbund stecken hatte.
Doch bevor er die Waffe ziehen konnte, hielt ihm der alte Tankstellenpächter einen verschrammten Colt Peacemaker vor die Nase!
Ein Museumsstück, das bestimmt noch von seinem eigenen Großvater stammte.
Aber nicht umsonst war dieser Revolver eine Legende. Hancock wollte jedenfalls nicht ausprobieren, ob das Schießeisfen wirklich noch funktionierte.
»Was soll das?« stieß er hervor. »Was habe ich Ihnen getan?«
»Noch hast du nichts getan!« knurrte der Oldtimer. »Mir gehts darum, was du vorhast!«
Mit der anderen Hand riß der alte Mann Hancocks Jacke auf. Seine Pistole kam zum Vorschein. Und die dicken Bündel Hundert-Dollar-Scheine, die auf beiden Seiten in den Innentaschen steckten.
»Lassen Sie das!« begehrte Hancock auf.
Doch der Alte schlug ihm kurz und kräftig den Lauf des Peacemakers über den Kiefer.
Der Killer fühlte, wie sich Blut in seinem Mund sammelte.
»Es ist verdammt einsam hier draußen«, sagte der Tankwart wie zu sich selbst. »Da hat man jede Menge Zeit, um über die Menschen nachzudenken. Und wenn du so wenige siehst wie ich, Söhnchen, dann kannst du dich ganz auf dein Gespür verlassen. Daß du Böses vorhast, habe ich dir schon an der Nasenspitze angesehen.«
»Site sind ja verrückt!«
Der Alte lachte auf. Es klang wie das Meckern einer Ziege. »Kann schon sein, Söhnchen. Du kannst ja den Sheriff rufen und dich über mich beschweren. Na, wie ist es? Da hängt das Telefon!«
Und er deutete auf einen uralten Münzapparat, der bestimmt älter war als Hancock selbst. Also mehr als dreißig Jahre.
Der Killer biß die Zähne zusammen und hob die Hände. Er überlegte, ob er dem Mann die Schußwaffe abnehmen konnte. Aber der Tankstellenpächter schien für sein Alter verdammt auf Zack zu sein.
»Na, was ist? Ich hindere dich nicht daran. Die Nummer des Sheriffs steht übrigens am Telefon selbst.«
Hancock rührte keinen Finger. Das war für den Alten Beweis genug, daß hier etwas oberfaul war.
»So, dann erleichtere dich mal, mein Söhnchen. Her mit den Bucks!«
»Was soll ich? Sie sind wohl völlig überge…« Der Rest des Satzes ging in einem Schmerzenswimmern unter. Der Tankstellenpächter hatte Hancock wieder ins Gesicht geschlagen. Diesmal war die Nase das Ziel gewesen. Sie fühlte sich nun an, als wäre sie in glühende Lava getaucht worden.
»Wird's bald?«
Der Killer mußte sich eingestehen, daß er keine Chance hatte.
Zuerst zog ihm der Alte die Pistole aus dem Hosenbund und pfefferte sie höchstpersönlich in eine dunkle Ecke dieses dunklen Ladens. Dann machte er eine unmißverständliche Bewegung mit dem Lauf des Peacemakers.
Und Hancock gehorchte. Er hatte keine Lust, noch einmal mit dieser Höllenknarre Bekanntschaft zu machen.
Während sein schwarzes Herz blutete, stapelte der Räuber die erbeuteten Dollars auf die Theke der Tankstelle. Eigentlich war er hierher gekommen, um sie zu vermehren. Und nicht, um sie loszuwerden.
Der Oldtimer nickte zufrieden vor sich hin. Dann zog er ein 25-Cent-Stück aus seiner ölverschmierten Hose. »So. Und nun setz dich da auf den Stuhl. Ich werde jetzt höchstpersönlich den Sheriff anrufen.«
Der Alte wandte sich dem Telefon zu.
Hancock sah seine Chance gekommen und wollte auf ihn los.
Doch damit schien der Tankwart gerechnet zu haben. Er richtete seinen Peacemaker wieder auf Hancock.
Blitzartig erkannte der Killer, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er konnte den Alten nicht überrumpeln. Nicht ohne eine eigene Waffe. Und die hatte er nicht. Also gab es nur eine Möglichkeit.
Die Flucht.
Der antike Revolver röhrte los.
Doch das Geschoß traf den Killer nicht. Er hatte sich im letzten Moment zur Seite geworfen. Draußen wurde es immer dämmeriger. Das war seine Chance.
Hancock warf sich rückwärts aus der Tür und rollte ab. Sofort war er wieder auf den Beinen. Und dann tat er das, was er auf dieser Welt am besten konnte.
Er rannte los.
»Bleib stehen, du Hurensohn!« belferte der Alte hinter ihm her, und dem Verbrecher flogen einige weitere Kugeln aus dem Peacemaker um die Ohren.
Aber dann war er im schützenden Dickicht des Waldes verschwunden.
Und rannte im Rekordtempo, bis er wieder bei seinem Mitsubishi Colt angekommen war.
***
Toby Hancock kochte innerlich, als er den Wagen startete und ihn wieder Richtung New York in Bewegung setzte.
Er stand schlechter da als je zuvor! Die Cops würden ihm wegen dem Mord in der Bank auf den Fersen sein, der alte Bastard hatte sicher auch nichts Eiligeres zu tun, als den Sheriff zu alarmieren - und zu allem Überfluß war er jetzt auch noch unbewaffnet und fast pleite!
Dreihundert Dollar hatte er noch zus.ammengerollt in seiner vorderen linken Jeanstasche stecken. Aber davon würde er auch noch tanken und essen müssen, bis er in New York angekommen war.
Inzwischen war es völlig dunkel. Hancock versuchte ruhiger zu atmen. Und sagte sich immer wieder, daß es noch viel schlimmer hätte kommen können. Wenn der Alte es geschafft hätte, ihn wirklich festzuhalten. Das wäre sein Ende gewesen. Lebenslänglich hinter Gitter für den Bankmord. Oder gleich der elektrische Stuhl. Er wußte nicht genau, ob der Staat Illinois die Todesstrafe verhängte. Er wollte es auch nicht unbedingt erfahren…
Wie ein Komet schwebte der Mitsubishi über den Highway. Ruhig seine Bahnen ziehend neben all den anderen hellen Kometen. In jedem dieser Wagen saß jemand mit Hoffnungen und Träumen.
Aber es gab bestimmt niemanden, der so verrückte Träume hatte wie Toby Hancock. Und so skrupellos darin war, sie zu verwirklichen. Der Verbrecher konnte seine Niederlage einfach nicht verkraften.
Deshalb fuhr er bei der nächsten Gelegenheit vom Highway und hielt bei einem Truck Stop. Eine Viertelstunde später stieg er wieder ein und fühlte sich bedeutend besser. In seiner Jacke hatte er eine fremde Brieftasche mit über 500 Dollar.
Und in der Herrentoilette des Truck Stops lag ein Versicherungsvertreter aus Wisconsin mit eingeschlagenem Schädel.
Toby Hancock grinste höhnisch. Bei der nächsten Gelegenheit würde er wieder rausfahren und diesmal ganz brav und zivil ein Abendessen verspeisen. Am besten ein riesiges blutiges Steak mit einem Berg Pommes Frites. Dieses Kraftfutter würde ihm die Energie verleihen, bis New York durchzufahren.
Und dort dann gleich zu Spencer Bolt.
***
Sharon Fry kreischte auf.
Das war allerdings auch kein Wunder. Denn sie lag nackt in einer Badewanne, die halb mit Sekt gefüllt war. Und Spencer Bolt stand über ihr und begoß sie mit noch mehr Schaumwein.
»Die schaumgeborene Venüs!« röhrte er. »Ist das nicht so 'n klassischer Griechenblödsinn? Da muß ich wohl in der Highschool gefehlt haben - ha-haha!«
Bolt war ein Witzereißer und Blender. Ein Windmacher und Bescheidwisser, der seine Hände in tausend mehr oder weniger krummen Geschäften hatte. Wer ein Auto gestohlen hatte und es nicht selbst verhökern konnte, ließ sich von Bolt bar auszahlen. Wer eine illegale automatische Waffe brauchte, rief auf dem Handy des Geschäftemachers an. Und wer sich einen neuen Namen und eine neue Identität zulegen mußte, der fand ebenfalls seinen Weg in die Clarendon Road im New Yorker Borough Brooklyn.
Sharon Fry sah ihn beinahe verliebt an. Der dunkelhaarige und leicht übergewichtige Bolt konnte ihr schon mal gewaltig auf die Nerven gehen. Aber er war um Längen besser als ihre früheren Freunde. Bolt war nur halb so kriminell, dafür aber doppelt so charmant wie die Männer, mit denen sich die attraktive Blondine bisher meist eingelassen hatte. Außerdem hatte er sie noch nie geschlagen. Und das war ein dicker Pluspunkt.
Sharon strich sich den Sekt von ihren üppigen Brüsten, die auch ohne BH aufrecht standen, und Bolt sehnsüchtig ihre Warzen entgegenzurecken schienen.
Der Geschäftemacher bekam Stielaugen. Er wollte eine weitere Sektflasche öffnen, aber Sharon winkte ab.
»Wollen wir die nicht lieber innerlich anwenden, Baby?«
»Gute Idee!« Obwohl er vollständig bekleidet war, beugte sich Bolt zu ihr hinunter. Mit einer Kraft, die sie dem etwas speckigen Mann nie zugetraut hätte, hob er sie auf seinen Armen aus der Badewanne und drückte sie an sich- »Aber dafür nehmen wir echten französischen Champagner und nicht dieses kalifornische Zeug. Ich habe wieder drei Kartons davon bekommen. Sind vom Truck gefallen - hahaha!«
Bolt nahm ein riesiges flauschiges Frotteehandtuch und rubbelte Sharon damit ausgiebig ab. Ein kalter und heißer Schauer nach dem anderen lief über ihren wohlgeformten Körper. Denn der stämmige Mann verstand es, mit seinen Händen ihre Leidenschaft zu erwecken.
Ihre Augen glänzten feucht. »Komm ins Bett«, bat sie ihn mit heiserer Stimme. »Der Champagner kann warten!«
»Dein Wunsch ist mir Befehl, Süße!« grinste Bolt und schob die roten Hosenträger von seinen runden Schultern.
Die Türklingel fuhr mit ihrem durchdringenden Geräusch dazwischen.
»Laß doch!« murrte die Blondine, als der Geschäftemacher seufzend seine Hosenträger wieder hochzog.
»Geht nicht, Sweetheart«, erklärte er, während er sich zur Tür seines Apartments bewegte. »Service ist alles. Meine Kunden wissen, daß sie mich Tag und Nacht erreichen können. Das Leben ist hart, der Markt umkämpft. Und ich bin erfolgreich. Und du magst doch erfolgreiche Männer, oder?«
Na warte, dachte Sharon schmunzelnd. Wenn du gleich was von mir willst, dann mußt du mich erstmal suchen.
Und sie stieg nackt in eine antike spanische Truhe. Kein normaler Mensch hätte in dieses Behältnis hereingepaßt, aber Sharon konnte es. Sie hatte in ihrem bewegten Leben schon vieles gemacht. Als sie beim Zirkus gewesen war, hatte sie sich als Gummimensch versucht. Darin war sie sogar ein wenig erfolgreich gewesen. Doch das harte Training und der schlechte Lohn hatten ihren Luxusträumen widersprochen. Später hatte sie sich dann lieber mit Männern eingelassen, mit wechselndem Glück. Immerhin war ihr aus der Zirkuszeit die Fähigkeit geblieben, sich in eine kleine Truhe quetschen zu können.
Spencer Bolt würde Augen machen, wenn er sie nirgends fand! Sein Schlafzimmer war wie der Rest des Apartments zugestellt mit Sachen aus seinen dubiosen Geschäften. Von originalverpackten Videorecordern über antike Wandteppiche bis zu teuren Anzügen fand man hier alles, was nicht ganz legal und nicht ganz koscher war.
Inzwischen hatte Bolt die Tür für seinen späten Besucher geöffnet. Die Schlafzimmertür stand offen. Sharon konnte genau hören, worüber sie sprachen.
***
Sheriff Hawn lachte so herzlich, daß die Knöpfe seines Uniformhemdes über dem kugelrunden Bauch beinahe wegplatzten, um wie Pistolenkugeln durch den Raum zu schießen.
»Da hast du es dem Kerl ja richtig gegeben, Sam!« rief er dem alten Tankstellenpächter zu, der ihn angerufen hat.
Der stimmte meckernd in das Lachen ein. »Ich lasse mir doch von so einem verdammten Städter nicht meine mühselig verdienten Dollars abnehmen. Ich erkenne einen bösen Menschen, wenn ich ihn sehe, Sheriff. Das ist mein großer Vorteil!«
Und er präsentierte stolz seine Beute. Die Ruger und die Dollars aus Hancocks Jacke.
Der Sheriff schob seinen Stetson zurück und kratzte sich nachdenklich an seinem gewaltigen Kopf. »Schade, daß er dir entkommen ist. Und eigentlich hatte er ja wohl auch noch nichts Kriminelles gemacht…«
»Soll ich warten, bis ich hier in meinem Blut liege?« fragte der Alte aufgebracht. »Er wollte zu seiner Knarre greifen. Aber ich war schneller und habe ihn mit meinem guten alten Peacemaker zur Vernunft gebracht!«
»Ist ja gut, Sam!«
»Das ist sogar verdammt gut, Sheriff! Und die vielen Dollars in seiner Tasche! Und dann wollte er Sie nicht anrufen! Wenn er unschuldig gewesen wäre, hätte er sofort selbst den Sheriff alarmiert. Damit er seine ehrlich verdienten Bucks zurückbekommt. Aber wissen Sie was? Diese Geld ist nicht ehrlich verdient. Dafür habe ich eine Nase.«
Und er rümpfte seinen Zinken, als könnte er wirklich das Blut riechen, das an dem Geld klebte.
»Okay, okay.« Der Sheriff schlug in seinem dicken Notizbuch eine neue Seite auf und leckte die Spitze seines Bleistifts an. Die Amtshandlung konnte beginnen. »Nun erzähl mir mal ganz genau, wie der Mann ausgesehen hat, Sam. Ich werde dann eine Suchmeldung schreiben. Und Hank kann sie mit diesem neumodischen Computerkram in ganz Amerika verbreiten.«
»In ganz Amerika?« staunte der Alte. »Sachen gibt’s heutzutage… Aber gut, Sheriff. Also. Dieser Hurensohn ist groß, ungefähr sechs Fuß und zwei Inch. Er trägt eine schwarze Jeans und so eine dunkelblaue wattierte Jacke. Ach ja, und Schuhe hat er auch an!«
***
»Ich bin Hancock«, stellte sich der unbekannte Besucher bei Spencer Bolt vor. »Wir haben telefoniert.«
»Ah ja!« Der Geschäftemacher rieb sich die Hände. »Der Mann aus Chicago, stimmt's? Kommen Sie doch rein.«
Die drahtige Gestalt des Killers schob sich durch die offenstehende Tür. Er überragte Bolt um mindestens einen Kopf.
Die beiden Männer gingen in den größten Raum des Apartments, der als Wohnzimmer diente. Sharon konnte sie von ihrem Versteck aus trotzdem gut hören. Sie hob den Deckel der Truhe auch einmal an und sah Hancock, wie er an der offenstehenden Tür kurz verharrte, um einen schnellen Blick in den Raum zu werfen.
»Sie hatten einen Führerschein des Staates New York und einen amerikanischen Reisepaß bestellt, stimmt’s?«
Hancock nickte ungeduldig.
»Da gibt es ein kleines Problem«, sagte Bolt mit bedauerndem Achselzucken. »Die Dokumente sind noch nicht fertig…«
»Nicht fertig?« schnappte der Killer. »Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe sie bestellt! Wie soll ich denn dann an den Start gehen am 12. November?«
»An den Start? Wie meinen Sie das?«
»Vergessen Sie's!« fauchte Hancock.
Das tat Bolt auch. Denn jetzt machte ihm etwas ganz anderes Sorgen.
Die kleine spanische Star-Pistole, die der Mörder plötzlich auf seinen Bauch gerichtet hielt.
»He! Was soll das, Mister? Ich habe selbst Probleme bekommen, glauben Sie mir. Mein Lieferant kommt nicht rüber! Wie soll ich…«
Der Killer kochte vor Wut. Hatte er eine Pechsträhne erwischt? Erst die schmale Ausbeute aus dem Überfall in der Illinois Trading Bank, dann das Pech mit diesem barfüßigen Hinterwäldler - und jetzt keine falschen Papiere!
Wie sollte er mit seiner wahren Identität beim New-York-Marathon mitlaufen? Hancock sah seine hochtrabenden Zukunftspläne in der Mülltonne verschwinden. Und jemand würde dafür bezahlen!
»Tun Sie's nicht!«
Bolt sah, was der drahtige Mann vorhatte und bettelte um Gnade. Aber der Mörder aus Chicago kannte kein Erbarmen.
Die Pistole bellte viermal trocken auf.
Die Geschosse schlugen in den Brustkorb und in den Kopf des windigen Geschäftemachers. Er hatte keine Chance.
Sharon Fry schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund. Sie sah die Szene überdeutlich vor ihrem inneren Auge, die sie da gerade belauscht hatte. Ihr nackter Körper zitterte. Aber nicht vor Kälte.
Doch der Killer ihres Freundes konnte sie nicht sehen. Sie saß ja immer noch in der kleinen Holztruhe.
Nachdem Spencer Bolt tot zusammengebrochen war, entwickelte Toby Hancock eine hektische Aktivität. Er wühlte den Schreibtisch seines Opfers durch. Offenbar auf der Suche nach falschen Dokumenten. Doch er fand nichts, obwohl er alle Schubladen herausriß und umdrehte. Dann machte er sich noch an sämtlichen Büroschränken zu schaffen.
Dann kam er ins Schlafzimmer!
Sharon blieb fast das Herz stehen. Wenn er sie entdeckte, dann…
Hancock kam näher. Er öffnete den Kleiderschrank. Schien auch dort nach Papieren zu suchen, mit denen er sich eine neue Existenz zulegen konnte.
Als nächstes wird er sich die Truhe vornehmen, dachte Sharon. Sie starb fast vor Angst.
Da ertönten plötzlich laute spanische Rufe im Treppenhaus. Jemand schlug mit der flachen Hand gegen die Apartmenttür.
Die Blondine schöpfte Hoffnung. Normalerweise mischt sich niemand ein, wenn nachts in Brooklyn in einer Nachbarwohnung Schüsse fielen. Aber der Sohn der Mieter nebenan war schon seit einem halben Jahr bei den Guardian Angels, dieser Freiwilligentruppe, deren Mitglieder im waffenlosen Kampf geschult sind, um die Subway sicherer zu machen.
Spencer Bolt hatte sich immer über die Begeisterung von Manuel für die Angels lustig gemacht. Jetzt wäre er vielleicht dafür dankbar gewesen. Wenn er noch gelebt hätte.
Sharons Augen füllten sich mit Tränen. Doch sie riß sich zusammen, um nicht aufzuschluchzen.
Hancock sah sich nervös um. Vor der Tür schienen sich noch mehr Leute zusammenzurotten. Wenn einer erstmal den Anfang gemacht hat, werden die anderen auch mutig, dachte er. Aber Hancock konnte keine Zeugen gebrauchen.
Deshalb schob er kurzerhand das Schlafzimmerfenster hoch und erklomm die eiskalte und rutschige Feuerleiter. Die junge Frau in der Truhe wünschte ihm von Herzen, daß er ausrutschte und sich den Hals brach. Sie hatte den Deckel der Truhe wieder einen Spalt geöffnet und sah Hancock aus dem Fenster klettern.
Der Mörder von Spencer Bolt hangelte sich die Feuerleiter hinunter, sprang das letzte Stück aufs Straßenpflaster und lief zu seinem Mitsubishi Colt, den er sicherheitshalber einen Block weiter geparkt hatte. Fünf Minuten später war er spurlos verschwunden.
Sharon Fry wartete noch einen Augenblick. Das Wummern gegen die Apartmenttür hörte nicht auf. Schließlich traute sie sich aus ihrem Versteck, wankte hinüber zur Wohnungstür und öffnete.
Die Nachbarn keuchten überrascht auf. Die Blondine hatte ganz vergessen, daß sie ja nackt war. Aber das spielte nun wirklich keine Rolle mehr.
»Rufen Sie die Cops!« rief sie schluchzend. »Jemand hat meinen Freund erschossen!«
***
Es war später Nachmittag, als Milo und ich wieder in New York City eintrafen. Dienstbeginn war erst wieder am nächsten Morgen. Zeit genug also, um Karen Morley anzurufen. Eine bezaubernde Brünette, die ich vor zwei Wochen auf einer Party kennengelernt hatte.
Ich tippte ihre Nummer in mein Telefon und wartete. Es läutete bestimmt zehnmal bei ihr. Ich wollte schon auflegen, als sie plötzlich den Hörer von der Gabel riß.
»Morley.« Sie keuchte, rang nach Atem.
»Hier ist Jesse, Darling. Zurück aus Virginia.«
»Jesse!« wiederholte sie hechelnd. »Moment mal! Ich bin noch völlig außer Atem!«
Ich wartete wirklich einen Augenblick. Dann hatte sie sich soweit erholt, daß sie sprechen konnte.
»Was ist denn los, Karen?« stichelte ich. »Du hast doch nicht etwa Herrenbesuch?«
»Blödmann!« gab sie zurück. »Ich trainiere für den New-York-Marathon. Ich arbeite ja leider nur für eine Fluggesellschaft und nicht für das FBI, das seinen Leuten sogar während der Arbeitszeit ein Lauftraining spendiert.«
»Nur kein Neid, bitte. Wo läufst du denn zur Zeit?«
»Im Central Park.«
»Das ist verdammt gefährlich, Karen! Nach Einbruch der Dunkelheit…«
»Weiß ich selber, Einstein. Darum joggen wir ja in der Gruppe. Wir sind immer mindestens dreißig Personen. Frauen und Männer. Davon diverse bewaffnet oder kampfsporterfahren.«
»Und jetzt bist du bestimmt zu müde, um noch etwas zu unternehmen?«
»Müde? Keine Spur! Ich berste vor Energie, Jesse. Wo ich doch eine Woche auf dich verzichten mußte…«
»Geht mir genauso«, gestand ich. »Am besten setze ich mich in meinen Sportwagen und komme rüber, okay?«
»Worauf wartest du noch?«
Es wurde eine gelungene Nacht. Es gibt wohl keine schönere Art, nach längerer Abwesenheit wieder in New York begrüßt zu werden.
Entsprechend super war meine Stimmung, als ich am nächsten Morgen meinen Freund Milo abholte und wir gemeinsam zum FBI-Gebäude an der Federal Plaza fuhren.
Dort wartete schon unser Vorgesetzter Jonathan D. McKee auf uns. Er hatte bereits einen neuen Auftrag.
»Nehmen Sie bitte Platz!« bat er uns in seiner höflichen, zurückhaltenden Art.
Wir ließen uns auf die Besucherstühle vor seinem Schreibtisch nieder, der wie immer penibel aufgeräumt war.
»Sie haben in Quantico ja gerade ein intensives Lauftraining absolviert«, fuhr Mr. McKee fort und verschränkte seine feinen Künstlerhände ineinander. »Vielleicht kann Ihnen das für den aktuellen Fall nützlich sein.«
Wir sahen ihn erwartungsvoll an.
»Vor zwei Tagen wurde in Chicago eine Filiale der Illinois Trading Bank überfallen«, erzählte der Chef. »Dabei erschoß der Täter einen Bankangestellten. Wir nehmen an, daß es sich bei dem Täter um einen gewissen Toby Hancock handelt. Und dieser Hancock soll ein fanatischer Läufer sein. Er hat sogar im Gefängnis jeden Tag stundenlang seine Runden auf dem Hof gedreht.«
»Weshalb nimmt man an, daß Hancock der Täter ist, Sir?« fragte Milo dazwischen.
»Weil die Beschreibung des Bankräubers mit der Personenbeschreibung von Hancock übereinstimmt. Er ist vielfach vorbestraft. Seine Daten befinden sich noch in der Datenbank des National Crime Information Center. Außerdem hat er am selben Tag eine Tankstelle in Pennsylvania überfallen. Der Pächter konnte ihm allerdings die Waffe und die Beute aus dem Banküberfall abnehmen. Die Personenbeschreibung stimmt außerdem mit der des Bankräubers überein.«
»Klingt nach einem Versager!« lachte mein Freund.
Doch der Chef blieb ernst. »Gestern nacht ist Hancock dann in New York City angekommen. Er wollte falsche Papiere kaufen, von einem dubiosen Geschäftemacher namens Spencer Bolt. Dann gerieten die beiden in Streit, und Hancock hat Bolt erschossen. Dafür gibt es eine Zeugin. Nachdem die Kollegen vom NYPD den Zusammenhang mit den ersten beiden Taten erkannt hatten, haben wir den Fall bekommen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte ich. Nun war es klar, warum sich das FBI um Toby Hancock kümmern mußte. Er war über US-Staatsgrenzen geflohen, um der Verhaftung zu entgehen. Damit fiel er in unsere Zuständigkeit.
Mr. McKee reichte mir einen Schnellhefter über den Tisch. »Ich habe Ihnen zusammenstellen lassen, was wir bisher an Informationen über den Fall haben.«
»Wir werden unser Bestes geben«, sagte ich.
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Jonathan D. McKee mit einem feinen Lächeln.
***
Toby Hancock brauchte Geld.
Er mußte sich dringend einen neuen Namen kaufen.
Sogar an eine Gesichtsoperation hatte er schon gedacht. Doch ein verschwiegener.,Arzt war mehr als dreimal so teuer wie ein normaler Schönheitschirurg, und auch der nagte schon nicht gerade am Hungertuch.
Außerdem arbeitete die Zeit gegen ihn. Wenn er sich jetzt das Gesicht verändern ließ, würde er tagelang nicht trainieren können. Und es war fraglich, ob er bis zum 12. November wieder fit sein würde. Bis zum Startschuß des New-York-Marathons…
Ein neuer Führerschein und ein neuer Reisepaß. Für mehr mußte die Kohle nicht reichen, beschloß der Kriminelle. Aber auch diese Dollars wollten erst mal zusammengekratzt sein. Also würde er einen neuen Coup landen müssen.
Gut, daß ich mir die Pistole besorgt habe, bevor ich zu Bolt gegangen bin, dachte Hancock. Allerdings hatte ihn die Waffe auch seine letzten Mäuse gekostet. Doch dafür würde dieser schmierige Geschäftemacher Bolt nie wieder jemanden übers Ohr hauen…
Toby Hancock fühlte sich stark nach seinem zweiten Mord. Er kam sich gefährlicher vor, überlegener. In Wahrheit war er ein Feigling, der sich nur gegenüber Unbewaffneten aufzutrumpfen traute.
Der Kriminelle kannte sich in New York nicht besonders gut aus. Aber für seinen nächsten Überfall hatte er ein Geschäft ausgewählt, das ganz im Süden Manhattans lag. Im Financial District. Hier waren die Straßen noch kurz und unübersichtlich. Ganz so, wie er sich Städte im alten Europa vorstellte. Cops in Patrol Cars würden hier bei Verfolgungsjagden ihre Probleme haben.
Eine ideale Gegend für einen Verbrecher, der gut zu Fuß war !
Ein Glöckchen erklang, als Hancock ›Sal's Cigar Paradise‹ in der Beekman Street betrat. Der Laden war klein, aber fein. Die Banker und Börsianer versorgten sich hier zwischen ihren nervenaufreibenden Transaktionen mit den handgerollten Tabakwaren aus Kuba und anderen legendären Zigarrenländern.
Seit das Rauchen in Amerika immer mehr aus der Öffentlichkeit gedrängt wurde, hatte sich eine neue Schicht von trotzigen ›Jetzt-erst-Recht-Rauchern‹ gebildet. Sie zündeten sich mit Vorliebe große, dicke und teure Zigarren an. Jedenfalls da, wo es noch erlaubt war.
Und das war der Grund, weswegen der Killer aus Chicago ›Sal's Cigar Paradise‹ überfallen wollte. Er vermutete viele Greenbucks in der Kasse des mit kostbarer Eiche getäfelten Tabakladens. Hancock selbst war als Marathonläufer natürlich Nichtraucher.
Deshalb verzog er auch wegen dem Tabäkqualm angewidert das Gesicht, bevor er sich suchend umsah. Aber er war der einzige Kunde im Laden. Hinter dem Verkauf stresen stand eine junge Frau in einem konservativen Kostüm mit Nadelstreifen. Die langen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
»Guten Morgen, Sir. Was kann ich für Sie…?«
Der Kriminelle unterbrach sie grob und richtete den Lauf seiner Pistole auf ihre Brust. »Geld her! Alles!«
Die Verkäuferin erbleichte und begann am ganzen Leib zu zittern. Doch dann öffnete sie die Registrierkasse und blätterte die Dollarnoten auf den Tresen.
»Schneller!« Hancock machte eine hektische Bewegung mit seiner Star-Pistole.
Er schien sich nicht getäuscht zu haben. Ein paar tausend Dollar, ausgegeben von reichen Männern, um den Gegenwert sinnlos in die Luft zu blasen. Er würde sich mit dem Geld die falschen Papiere erkaufen können. Und den Start beim New-York-Marathon. Und dann vielleicht der Sieg!
Der Mann aus Chicago raffte alle Geldscheine zusammen und stopfte sie in seine wattierte Winterjacke. Wortlos ging- er um den Tresen herum. Wollte sich vergewissern, ob die Kassenschublade wirklich leer war. Die Verkäuferin wich zurück bis in die hinterste Ecke.
Aber sie hatte ihm wirklich alle Banknoten ausgehändigt, wie Hancock feststellen konnte. Nur die Münzen lagen noch in ihren Fächern. Doch damit wollte er sich nicht belasten. Nur unnützer Ballast beim Laufen.
Das ging ja endlich einmal glatt, dachte der Killer.
Doch in diesem Moment betrat ein uniformierter Cop ›Sal's Cigar Paradise‹.
»Hallo, Judy!« grüßte der Mann vom NYPD die Verkäuferin. Er mußte ein Stammkunde sein. Vielleicht waren die Zigarren ja sein geheimes Laster, dem er nur selten nachgab. Bei seinem Gehalt konnte er sich die teuren ›Puros‹ bestimmt nicht oft leisten.
Die Blondine erwiderte nichts.
Der Cop sah ihre schreckensgeweiteten Augen.
Und die Pistole in Hancocks Hand.
Es gab nichts weiter zu sagen. Er griff nach seiner Dienstwaffe.
Zu spät.
Eiskalt und ohne Vorwarnung feuerte der Killer seine Pistole ab.
Der Cop brach mit einem Schmerzensschrei zusammen.
Hancocks Gedanken rasten. Cops arbeiteten immer zu zweit. Sein Partner würde vermutlich draußen im Auto warten.
Also konnte Hancock nicht zur Ladentür raus. Der andere Cop mußte den Schuß gehört haben und würde bestimmt über Funk Alarm geben. Verstärkung rufen. Folglich mußte sich der Kriminelle durch den Hintereingang verdünnisieren.
Hancock ließ die Verkäuferin einfach stehen und eilte an ihr vorbei durch die Tür, die hinter dem Tresen angelehnt war. Er hoffte, daß es auch wirklich einen Hinterausgang gab. Sonst hatte er schlechte Karten.
Habe ich wirklich eine Pechsträhne erwischt? dachte er grimmig.
Kaum hatte Hancock die Tür hinter sich zugeknallt, als durch den Vordereingang Der zweite Cop in den Laden gestürmt kam. Er hatte Kombat-Haltung eingenommen, hielt seine Dienstwaffe schußbereit in beiden Händen. Sein Blick fiel auf seinen Partner, der in einer Blutlache lag.
»Rick!« fluchte der Cop. »Rick, verdammt…!«
»Es war din Überfall!« rief die Verkäuferin weinend. »Dieses Schwein ist nach hinten raus!«
Grimmig biß der Mann in der blauen Uniform des NYPD die Zähne zusammen. Den mußte er erwischen!
»Alarmieren Sie eine Ambulanz!« rief er der Blonden zu.
Und jagte hinter dem Täter her.
***
Toby Hancock hetzte durch einen Gang, stieß eine Klapptür auf und gelangte in -einen Hinterhof. Hier roch es noch übler als im Laden. Das mochte an den vielen Mülltonnen liegen, die überquellend darauf warteten, endlich geleert zu werden.
Der Verbrecher überlegte nicht lange, sprang auf eine der Mülltonnen und zog sich an der Umgrenzungsmauer hoch.
Keine Sekunde zu früh. Gerade, als er sich über die Mauerkrone zog, erklangen schnelle Schritte im Hof.
»NYPD! Waffe weg!«
Natürlich hielt sich Hancock nicht daran. Er konnte nicht schießen, denn er brauchte beide Hände zum Klettern. Deshalb machte er sich lieber aus dem Staub. Außerdem war er ein Feigling. Mit einem bewaffneten und vorbereiteten Gegner wollte er es lieber nicht auf nehmen.
Die Kugel des Cops sirrte knapp über ihn hinweg.
Der Verbrecher ließ sich auf der anderen Seite der Mauer fallen. Und kam federnd wieder auf die Beine.
Hier gab es ebenfalls einen Innenhof. Aber mit einer breiten Truck-Ausfahrt!
Hancock legte einen Sprint ein.
Als der Cop auf der Mauerkrone erschien, war der Kriminelle bereits spurlos verschwunden.
G
Sharon Fry verabredete sich mit Milo und mir in einem Diner in der Clarendon Road. Nur einen halben Block entfernt von der Wohnung, in der ihr Freund Spencer Bolt vor ihren Augen brutal ermordet worden war.
Das Diner war eingerichtet wie in den fünfziger Jahren. Mit Sitznischen, deren Polster mit rotem Kunstleder bezogen waren. Und natürlich einer Juke Box.
Aber an der Theke saßen keine kichernden Teenager mit Ringelsöckchen, sondern zwielichtige Gestalten. Typen, wie Spencer Bolt einer gewesen'sein mochte. Leute, die nicht lange nach dem Gesetz fragen, wenn sie ein gutes Geschäft wittern. Und aus den Boxen tönte nicht Elvis oder Buddy Holly, sondern ohrenbetäubender Salsa von Bands, die wir nicht kannten.
Ich bestellte Kaffee und Donuts für uns alle. Sharon Fry war etwas unpassend gekleidet. Am hellen Nachmittag trug sie ein schwarzes Abendkleid, das einiges von ihrem aufregenden Dekollete sehen ließ. Die Burschen an der Theke kriegten Stielaugen. Aber als ich einen Moment darüber nachdachte, wurde es mir klar. Dies war sicher das einzige schwarze Kleidungsstück, das Sharon besaß. Und die junge Frau wollte der ganzen Welt zeigen, daß sie um ihren Freund trauerte.
»Wir möchten uns im Namen des FBI bedanken, daß Sie so schnell zu einer Aussage bereit sind«, begann ich das Gespräch.
Sharon Fry sah mir in die Augen. Sie war offenbar von einem starken Beruhigungsmittel wie benommen. »Fragen S.ie ruhig, G-man. Ich will, daß dieser Bastard dafür bezahlt, was er Spencer angetan hat. Und mir.«
Es sah aus, als ob sie weinen wollte. Aber sie hatte wohl keine Tränen mehr.
Ich zog ein Funkfoto aus meiner Innentasche, das uns Vom Chicago Police Department geschickt worden war. Toby Hancock war bei seinen zahlreichen früheren Verhaftungen natürlich erkennungsdienstlich behandelt worden.
»Ist das der Mann, der Ihren Freund erschossen hat?« erkundigte ich mich.
Die junge Frau nickte grimmig. »Auf jeden Fall. Kein Zweifel möglich. Ich habe diesen feigen Hund genau gesehen.«
»Berichten Sie bitte genau, was passiert ist und was Sie gehört haben«, bat Milo. Er saß neben mir in der Nische. Die junge Frau kauerte auf der Bank uns gegenüber.
»Es klingelte ziemlich spät an der Tür. Ich bat Spencer, nicht aufzumachen. Aber er sagte, er müsse Tag und Nacht für seine Kunden dasein.«
Milo und ich sagten nichts. Wir hatten schon vom NYPD gehört, daß dieser Spencer Bolt ein ziemlich schräger Vogel gewesen war. Aber das spielte für uns keine Rolle. Höchstens, wenn es darum ging, Hancock zu fassen.
»Dann kam dieser Mann die Treppe hoch«, fuhr Sharon Fry fort und klopfte mit dem Finger auf das Foto, als wolle sie den Verbrecher damit erdolchen.
»Wo waren Sie?« fragte ich dazwischen.
»In einer Truhe. Ich hatte mich dort versteckt, weil ich mir einen Scherz mit Spencer machen wollte.«
Für einen Moment schien sie die Fassung zu verlieren. Doch dann riß sie sich zusammen.
»Wie haben Sie den Täter denn sehen können?« fragte Milo.
»Ich habe zweimal kurz den Deckel leicht angehoben, und zweimal sah ich ihn ganz deutlich.«
»Und was geschah weiter?«
»Die beiden gerieten in Streit«, flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme.
»Es ging um… na ja… um falsche Personalpapiere, die Spencer für diesen… diesen Mörder besorgen sollte. Und er hatte sie noch nicht. Darauf wurde der Kerl sauer und fragte, wie er dainn am 12. November an den Start gehen sollte.«
Ich stutzte. »Wie war das, bitte?«
»›Wie soll ich dann am 12. November an den Start gehen?‹ Das waren exakt seine Worte.«
Milo und ich sahen uns vielsagend an. Das konnte ein wichtiger Hinweis sein!
»Und dann?« drängte ich.
»Dann«, krächzte Sharon Fry mit brechender Stimme, »dann hat er Spencer einfach erschossen. So, wie man ein lästiges Insekt totschlägt. Später kam er ins Schlafzimmer, wo ich mich versteckt hatte. Aber er hat mich nicht gesehen. Er weiß nicht, daß ich den Mord bezeugen kann. Und das werde ich, das schwöre ich Ihnen!«
»Du wirst gar nichts tun!«
Plötzlich packte ein Muskelprotz mit Lederweste ihren Oberarm und zog sie brutal hoch.
»Habe ich doch richtig gehört, daß du hier rumhängst! Du kommst jetzt zu mir zurück! Ich habe dir immer schon gesagt, daß ich dich weghole von diesem Schwächling Bolt!«
»Laß mich in Ruhe, du nichtsnutziger Säufer!« schleuderte Sharon Fry ihm entgegen.
Der Kerl riß die Augen weit auf -dann holte er aus, um seinen Handrücken in Sharons Gesicht klatschen zu lassen.
Doch noch rechtzeitig schnellte ich hoch, umklammerte sein Handgelenk. »Sie machen besser die Biege, Mister! Sie stören hier eine Amtshandlung des FBI!«
»FBI, wie?«
Der Kerl bekam prompt einen Wutanfall'. Ich kannte die Sorte. Dicke Muskeln, kleines Hirn. Bei der Arbeit sah man sfe selten, dafür umso öfter an der Theke und bei Schlägereien.
Und die Schuld an ihrem Elend hatte in ihren Augen natürlich die Gesellschaft. Und die Polizei.
Er wollte seinen Arm wegziehen, doch ich ließ nicht los. Allerdings war ich etwas bewegungseingeschränkt, weil ich zwischen Tisch und Sitzbank stand. Das machte er sich zunutze.
Mit einem Kopfstoß knallte er mich weg, daß ich klatschend auf das rote Kunstleder fiel.
Doch da flankte schon mein Freund Milo über den Tisch. Er servierte dem Raufbold einen Kinnhaken, wie ich ihn nicht feiner hätte zubereiten können.
Der Muskelmann taumelte einen Schritt zurück.
Milo ging hinterher und klopfte ihm noch ein paar rechte Gerade auf seinen kleinen Gehirnkasten.
Dann kam der Schläger mit einer seiner Fäuste durch die Deckung meines Freundes, und Milo fiel der Länge nach auf den Boden.
Die Nichtstuer an der Theke johlten. Sie hatten keine Ahnung, um was es ging. Hauptsache Action!
Inzwischen hatte ich mich halbwegs von dem Schlag erholt und sprang meinem Freund zu Hilfe. Bevor der Muskelmann reagieren konnte, hatte ich mich auf seinen Rücken geschwungen und nahm ihn unerbittlich in den Schwitzkasten.
Er keuchte auf, doch mein Arm bog sich wie eine Stahlgarotte um seinen Stiernacken.
Der Kerl machte ein paar Schritte rückwärts. Wollte mich in die Wand rammen.
In diesem Moment federte Milo wieder auf die Füße und traktierte unseren Gegner von vorne mit Boxhieben.
Der Schläger griff sich eine Colaflasche von einem nicht abgeräumten Tisch und schlug sie an der Tischkante entzwei. Mit den spitzen Zacken des Flaschenhalses stach er nach meinem Freund.
Aber Milo wich immer wieder geschickt aus, und ich merkte, wie das Riesenbaby langsam müde wurde. Der Schwitzkasten schien seine Wirkung zu zeigen. Zumal ich mit meiner freien Hand auch noch einen Fausthieb nach dem anderen auf seinen Schädel krachen ließ.
Wieder hob der Schläger seine abgebrochene Flasche, um meinen Freund damit aufzuschlitzen.
Da versuchte Milo einen schnellen, aber riskanten McKee-Kick. Aus der Hüfte drehend, ließ er seinen linken Fuß rückwärts vorschnellen.
Sein Schubabsatz traf das Handgelenk des Angreifers. Mit einem Klirren ging die Flasche zu Boden.
Bevor sich der Typ von seiner Überraschung erholten konnte, hatte Milo bereits nachgesetzt und ihm seine Doppelfaust in die Magengrube versenkt.
Riesenbaby taumelte. Ließ die Arme hängen. Milo verpaßte ihm noch einen letzten Gruß. Genau auf den Punkt.
Und ich ließ es mir nicht nehmen, dem Schläger höchstpersönlich Handschellen anzulegen.
Die Typen an der Theke murrten. Entweder, weil der Kampf so schnell vorbei war. Oder weil es ihnen nicht paßte, daß ihr Kumpel von zwei G-men festgenommen wurde.
Ich stellte mich breitbeinig vor sie hin und präsentierte meine Dienstmarke. »FBI New York. Hat mir jemand was zu sagen?«
Ich starrte jedem von ihnen in die Augen. Der Reihe nach. Und einer nach dem anderen wich meinen Blicken aus. Sie waren Feiglinge.
»Irgend jemand?«
Schweigen. Sie sahen in ihre Kaffeetassen und Colagläser, als könnten sie dort die Zukunft erkennen. Nun, dafür mußte man kein Wahrsager sein. Milo würde mit seinem Handy die Kollegen vom NYPD alarmieren. In wenigen Minuten würden sie eintreffen und den Angreifer mitnehmen. Und da er so aussah, als ob der tätliche Angriff auf zwei G-men im Dienst nicht sein erstes Verbrechen gewesen war, würde er für eine sehr lange Zeit im Knast von Rikers Island verschwinden.
Ich klopfte mir die Hände am Jakkett ab, als ob ich mich schmutzig gemacht hätte. In gewissem Sinn hatte ich das ja auch. Dann kehrte ich zu unserer Sitznische zurück, wo Sharon Fry den Kampf beobachtet hatte, als wenn sie einen bösen Traum erleben würde.
»Sie kennen den Mann?« fragte ich und setzte mich wieder. Mein Kaffee war schon fast kalt.
»O ja!« Sie schnaubte verächtlich durch die Nase. »Ein Ex-Freund von mir. Tony Rayner. Wovon er lebt, weiß niemand so genau. Seine Hobbies sind jedenfalls Trinken und Frauen verprügeln.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Zu beiden Beschäftigungen wird er in Rikers Island keine Gelegenheit haben.«
Für einen Moment löste sich ein wenig die starre Maske, die Sharon Frys Gesicht bisher gewesen war. »Ich bin Ihnen dankbar, Mr. Trevellian. Ihnen und ihrem Kollegen. Endlich hat es Tony mal mit Männern zu tun bekommen, die keine Angst vor ihm haben.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist unser Job.«
Gedankenverloren machte ich eine Pause. Dann fügte ich hinzu: »Und es ist auch unser Job, den Mörder Ihres Freundes Spencer Bolt zu verhaften. Wir bringen ihn vor Gericht. Darauf können Sie sich verlassen, Miss Fry.«
***
Das Hauptquartier des New York Police Department reagierte blitzartig auf den Notruf des Cops, dessen Kollege von Toby Hancock schwer verletzt worden war.
Innerhalb von sieben Minuten machten Patrol Cars den ganzen Bereich um die Beekman Street weiträumig dicht. Auf dem Franklin D. Roosevelt Drive wurde der Verkehr gestoppt. Im Peck Slip wachten die Cops ebenso wie in der Water Street, der Jonathan Street und der Front Street.
Der Täter saß also in der Falle. Dachte man.
Nachdem der verfolgende Cop die Spur von Toby Hancock verloren hatte, hatte er das einzig Richtige getan. Alarm gegeben und eine möglichst genaue Personenbeschreibung des Verbrechers durchgegeben. Hierbei hatte ihm die blonde Zigarrenverkäuferin geholfen, die sich trotz ihrer großen Panik genau an das Aussehen des Mannes mit der Pistole erinnern konnte.
Es war keine halbe Stunde seit der Tat vergangen, als uniformierte Cops das abgesperrte Gebiet systematisch zu durchkämmen begannen. Unterstützt wurden sie dabei von Kollegen in Zivil. Die Street Crime Unit, die normalerweise gegen Überfälle und Bedrohung auf offener Straße eingesetzt wird.
Toby Hancock blieb in Bewegung. Er hatte die Jacke voller Geld. Und diesmal wollte er es sich von niemandem wieder abnehmen lassen. Okay, es hatte eine Panne bei dem Überfall gegeben. Ob er den Cop erschossen hatte? Der Kriminelle wußte es nicht. Es berührte ihn auch nicht. Höchstens deshalb, weil er aus Erfahrung wußte, daß die Bullen immer besonders scharf hinter einem her waren, der einen der ihren abgeknallt hatte. In Chicago hatte er genug Kumpels im ›Milieu‹, denen ein Schuß auf einen Cop überhaupt nicht gut bekommen war.
Der verbrecherische Marathonläufer hatte sich in einen leichten Trab gesetzt. Stundenlang hätte er so weiterlaufen können, ohne zu ermüden. Er lief, um seine Muskeln anzuwärmen. Wenn er einen schnellen Sprint hinlegen mußte, würde er nach einer Aufwärmphase bessere Karten haben als bei einem ›Kaltstart‹.
Er befand sich in der Fulton Street, als ein Patrol Car langsam aus Richtung des East River kam. Die Cops mußten ihn sofort als den Verdächtigen erkannt haben. Jedenfalls ließen sie ihre Sirene aufheulen und traten das Gaspedal durch.
Hancock schoß los wie eine Rakete. Er hatte keine Probleme, den Chevrolet des NYPD hinter sich zu lassen.
Er lachte höhnisch. Normalerweise waren bei Verfolgungsjagden die Bullen immer überlegen, wenn sie mit ihrer Karre einen Fußgänger verfolgten.
Aber ich bin kein normaler Fußgänger, dachte Hancock zynisch. Ich bin der Mann, der dieses Jahr den New-York-Marathon gewinnen wird…
Er bog in die Front Street ein. Von vorne kamen ein halbes Dutzend weitere Cops. Sie begriffen sofort, wen sie hier vor sich hatten. Und zogen ihre Waffen.
Hancock hatte seine ›Star‹-Pistole im Hosenbund unter der Jacke stecken. Er wollte jetzt nicht schießen. Er hatte keine Chance gegen diese Übermacht. Wenn er entkommen wollte, mußt er das tun, was er auf dieser Welt am besten konnte.
Laufen.
Er raste noch ein Stück auf die Polizei-Übermacht zu. Dann bog er überraschend in den Cannon’s Walk Block ein. Das ist ein historisches Gebäude, das zum South Street Seaport Museum gehört. Hier kann man eine alte Druckerei besichtigen, sich eine Multi-Media-Show mit den alten Seglern aus dem Museum ansehen oder in den verschiedenen Cafés und Restaurants essen.
Davon wußte Toby Hancock nichts. Er hatte nur erkannt, daß es im Cannon's Walk Block von harmlosen Passanten nur so wimmelte.
Da werden sich die Bullen nicht trauen, zu schießen, dachte er sich und grinste.
Die Beamten keuchten hinter ihm her. Sie mußten sich eingestehen, daß er ihnen lauftechnisch weit überlegen war. Nicht nur, weil er die anderen Menschen rücksichtslos zur Seite stieß. Nein, er war ein Verbrecher mit Olympiabeinen.
Hancock bog zwischen dem Trans-Lux Seaport Theater und der Museum Gallery ein. Für einen Moment überlegte er, eine Geisel zu nehmen.
Aber das würde nicht nötig sein. Er war sicher, daß er dem NYPD auch so entkommen würde.
Plötzlich rollte ihm ein Arbeiter ein riesiges Holzfaß in den Weg. Wahrscheinlich eine Requisite für ein Stück in dem Theater, an dem Hancock gerade vorbeigehetzt war.
Hancock dachte nicht lange nach. Sondern machte einen gewaltigen Sprung.
Obwohl er kein Leichtathletik-Spezialist war, kam er in seinen Joggingschuhen gut vom Boden ab und schaffte das Faß im ersten Anlauf. Dem Arbeiter blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen.
Für die Cops hingegen war die Holzbarriere ein unüberwindliches Hindernis. Fluchend wälzten sie es mit vereinten Kräften aus dem Weg.
»Keine Panik!« keuchte ein schwarzer Sergeant. »Das Gebäude ist umstellt. Der Bastard kommt hier nicht raus!«
Doch da täuschte er sich.
Am Ausgang zur Water Street hin war die Situation unübersichtlich. Eine Gruppe von japanischen Touristen strömte gerade ins Freie. Hancock hatte Glück. Der Cop, der dort stand, sah gerade nicht in seine Richtung. Deshalb ging der Kriminelle frontal vor.
Er lief den Mann in Blau einfach über den Haufen!
Der junge, unerfahrene Cop war so überrascht, daß er noch nicht mal zu seiner Waffe greifen konnte. Als er auf den Boden aufschlug, war der flüchtige Läufer schon ein ganzes Stück entfernt. Die Touristen kreischten erschrocken auf, halfen dem Cop aber immerhin wieder auf die Beine.
Ein Stück weiter die Water Street hinunter, vor dem Titanic Memorial, wartete eine weitere Gruppe von zivilen und uniformierten Cops auf ihren Einsatz. Jetzt sahen sie den Gesuchten mitten auf der Fahrbahn in Richtung Peck Slip laufen!
»Hinterher!« rief ein Sergeant und gab einen Warnschuß ab. »Stehenbleiben!« brüllte er einen Moment später.
Doch Toby Hancock hatte schon so an Tempo zugelegt, daß er ihn wohl kaum hören konnte. Außerdem machte er nicht den Eindruck, als ob er aufgeben wollte. Ganz und gar nicht.
Die Cops gaben ihr Bestes. Aber sie hatten keine Chance gegen den durchtrainierten Marathonläufer.
Einige Momente später war die Straße wie ausgestorben. Keine Zivilisten in der Nähe, die gefährdet werden konnten. Nachdem ein weiterer Warnschuß erfolgt war, schossen die Cops nun gezielt auf die Beine des Flüchtenden.
Doch er war einfach zu schnell, und nun begann er Haken zu schlagen, um ihnen kein festes Ziel zu bieten.
»Da vorne ist eine unserer Straßensperren!« japste der Sergeant. »Da kriegen wir ihn!«
Und wirklich. Zwischen Water Street und Peck Slip hatten zwei Patrol Cars die Fahrbahn gesperrt. Die Besatzungen standen neben den Fahrzeugen. Sie sahen, daß der Gesuchte auf sie zurannte, und zogen ihre Waffen.
Damit hatte Toby Hancock gerechnet. Er zog ebenfalls seine Star-Pistole und schoß wild um sich. Er konnte nicht sehen, ob er einen der Cops vor ihm traf. Es war ihm auch egal.
Er aktivierte seine letzten Kraftreserven.
Und dann geschah das, was alle Augenzeugen für unmöglich gehalten hatten.
Er wurde noch schneller!
Die Geschosse der Cops sirrten ihm um die Ohren. Aber er hatte sich in einen Geschwindigkeitsrausch hineingesteigert, daß er sich jetzt für unverwundbar hielt. Es kam Hancock so vor, als könnte er bis in alle Ewigkeit weiterlaufen.
Nun war er direkt vor einem der Patrol Cars angelangt. Die Cops gingen in Deckung, denn er schoß immer noch rücksichtslos um sich, bot ihnen aber gleichzeitig kein gutes Ziel.
Hancock sprang auf die Motorhaube und lief einfach über den Wagen hinweg!
Die Männer in Blau konnten es nicht fassen. Zornig schickten sie ihm ihre Kugeln hinterher.
Doch es war, als ob er gegen das heiße Blei tatsächlich immun wäre. In Wirklichkeit war es nur seine außergewöhnliche Geschwindigkeit, die die NYPD-Geschosse immer wieder ihr Ziel verfehlen ließ.
Die Besatzungen warfen sich in ihre Patrol Cars, setzten zurück und nahmen die Verfolgung auf.
Doch schon bald mußten sie sich eingestehen, daß sie den Verbrecher in den brodelnden Menschenmassen von Manhattan verloren hatten.
Nachdem Toby Hancock die Straßensperre überwunden hatte, nahm er sein Tempo ein wenig zurück und verfiel wieder in einen lockeren Trab.
Sein Ziel war nun der Central Park, wo er zur Abwechslung in frischer Luft trainieren wollte.
Es war eine bittere Ironie des Schicksals, daß er auf dem Weg dorthin am Police Headquarter vorbeikam.
***
»Hancock will beim New-York-Marathon starten, Sir!«
Jonathan D. McKee neigte den Kopf, verschränkte die Hände ineinander und sah mich über seinen Schreibtisch hinweg ruhig an. »Wie kommen Sie zu dieser Theorie, Jesse?«
»Es sprechen verschiedene Fakten dafür, Sir. Erstens haben wir die Zeugenaussage von Miss Sharon Fry. Hancock soll gesagt haben, daß er falsche Papiere braucht, um am 12. November an den Start gehen zu können.«
»Damit kann auch etwas anderes gemeint gewesen sein«, gab unser Chef zu bedenken.
»Gewiß/ Aber es sprechen noch weitere Beobachtungen dafür. Die Angestellte der Illinois Trading Bank hat ausgesagt, daß Hancock einen durchtrainierten Eindruck auf sie gemacht hat. Bei diesem Tankstellenüberfall ist Hancock aufgetaucht wie aus dem Nichts. Weit und breit wurde kein Fluchtwagen gefunden. Er muß also eine lange Strecke zwischen seinem Wagen und der Tankstelle zurückgelegt haben. Zu Fuß. Und dann der Bericht über diesen Zigarrenladenüberfall gestern, den wir vom NYPD bekommen haben. Die Kollegen berichten von seinen unglaublichen Laufkünsten, mit denen er ihnen entkommen ist. Und Sie selbst, Mr: McKee, haben uns davon informiert, daß Hancock sogar im Gefängnis sein tägliches Lauftraining durchgezogen hat.«
Mr. McKee wiegte bedächtig den Kopf. »Also gut, mal angenommen, daß er beim New-York-Marathon teilnehmen will. Warum sollte er das tun?«
Ich nahm einen Schluck von dem köstlichen Kaffee, den Jonathan D. McKees Sekretärin Mandy gekocht hatte. »Aus zwei Gründen. Wenn er wirklich so ein gnadenloser Läufer ist, hat er bestimmt auch den Ehrgeiz, einmal im Leben den New-York-Marathon zu gewinnen.«
»Jesse muß es ja wissen«, witzelte Milo, der auf dem Besucherstuhl neben mir saß. »Er ist nämlich gerade mit einer gewissen Karen Morley liiert, die auch in jeder freien Minute ihre Joggingschuhe qualmen läßt.«
Ich knuffte ihm grinsend in die Rippen und fuhr fort: »Zweitens winkt dem Sieger des New-York-Marathons ein Preisgeld in Höhe von 100.000 Dollar. Das ist eine Menge Geld für einen Verbrecher, der bisher immer nur mehr oder weniger erfolglose Raubüberfälle und schwere Diebstähle begangen hat.«
»Es wäre dann sogar das erste ehrlich verdiente Geld seit ewigen Zeiten«, fügte Mr. McKee mit einem feinen Lächeln hinzu. »Aber dabei gibt es noch ein Problem, Jesse. Angenommen, Toby Hancock würde wirklich den Marathon gewinnen. Dann könnten wir ihm doch noch auf dem Siegerpodest die Handschellen anlegen.«
Ich nickte. »Auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Warum sollte Hancock glauben, daß das FBI auf seinen Fersen ist? Er hat verschiedene Verbrechen in verschiedenen Bundesstaaten begangen. Wir wissen inzwischen, daß hinter diesen Taten derselbe Mann steckt. Aber warum sollte er annehmen, daß wir ihn durchschaut haben? Daß wir außerdem noch seine Leidenschaft für das Laufen kennen?«
Mr. McKee schien angestrengt über meine Worte nachzudenken.
»Auf jeden Fall ist Toby Hancock ein skrupelloser Verbrecher, der rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch macht.« Sorgfältig setzte unser Chef seine Worte. »Wir können es einfach nicht riskieren, daß er beim New-York-Marathon mitläuft und womöglich unschuldige Menschen in Gefahr bringt. 30.000 Läufer sind letztes Jahr an den Start gegangen. Diesmal werden es kaum weniger sein.«
Mr. McKee lehnte sich zurück. »Sie beide, Jesse und Milo, werden die undankbare Aufgabe haben, unter diesen 30.000 Menschen den mehrfachen Mörder Toby Hancock ausfindig zu machen!«
***
Toby Hancock hatte einen neuen Namen.
Er hieß jetzt Per Knudsen. Und verfügte über einen Reisepaß des Königreichs Dänemark.
Erst hatte er abgewunken, als der Hehler aus Little Italy ihm dieses Personaldokument angeboten hatte. Doch dann wurden ihm die Vorteile klar. Der Paß war an sich echt. Nur daß er, Hancock, eben nicht dieser Knudsen war. Der Däne gehörte zu den Tausenden von europäischen Touristen, denen alljährlich bei ihrer USA-Reise die Papiere gestohlen werden.
»Kein Problem, dein Foto da reinzuklatschen, Mann!« sagte Luigi und rollte geschäftstüchtig mit den Augen.
Der Killer überlegte nicht lange, sondern blätterte den Kaufpreis auf den Tisch. Eigentlich war das eine gute Tarnung. Er wußte, daß am New-York-Marathon Läufer aus aller Welt teilnahmen. Vor allem aus Afrika, aber auch aus Asien und den europäischen Ländern. Im vorigen Jahr hatte ein Äthiopier das Rennen gewonnen.
Nun, dieses Jahr wird es ein Amerikaner sein, dachte Hancock höhnisch grinsend, verbesserte sich aber sofort. Nein, sorry: ein Däne natürlich!
***
Sharon Fry lag auf einer weiß bezogenen Liege.
Wieder hatte der Doc im Bellevue Hospital eine Beruhigungsspritze in ihre Adern gejagt. Sie spürte, wie die Angst und der Haß in Wellen überschwemmt wurde von der glättenden Wirkung der Droge. Ihr Inneres wurde wieder zu einem stillen See. Ein toter See, ohne Wasserpflanzen und Fische.
Sie atmete tief durch, starrte an die Decke. Nichts denken, nur atmen. Ein und aus.
Plötzlich durchzuckte es sie. Es war, als ob jemand einen Stein in das Wasser des Sees geworfen hätte. Und der Stein hatte einen Namen.
Toby Hancock!
Das war der Mann, dessen Foto die G-men ihr gezeigt hatten. Sein Name hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt. Der Killer, der ihren geliebten Spencer auf dem Gewissen hatte.
Noch kämpfte die Droge in Sharons Geist gegen den abgrundtiefen Haß, den sie empfand. Aber das Medikament hatte schon verloren.
Der Arzt kam herein. »Na, wie fühlen Sie sich?«
Sie hob den Kopf und versuchte ein sanftes Lächeln, daß gar nicht zu dem Brodeln in ihrem Inneren passen wollte. »Viel besser, thanks!«
»Ich gebe Ihnen diese Antidepressiva mit«, sagte der Doc und zog eine Packung aus seiner Kitteltasche. »Wenn Sie davon dreimal täglich zwei Kapseln nehmen, wird sich Ihr Zustand stabilisieren. Und wenn Sie wieder diese Alpträume kriegen, können Sie Tag und Nacht hierher kommen. Dann geben wir Ihnen sofort wieder eine Spritze.«
Sharon Fry nickte, spielte ganz die brave Patientin.
Doch kaum hatte sie das Hospital verlassen, als die Packung mit den Antidepressiva auch schon in einen Abfalleimer wanderte. Ein paar Straßen weiter fand die blonde junge Frau das, was sie gesucht hatte.
Ein Waffengeschäft.
Ohne Zögern trat sie ein. Jede Verzagtheit war von ihr abgefallen. Sharon wußte genau, was sie wollte.
»Was kann ich für Sie tun, Ma'am?« Händereibend kam der Verkäufer auf sie zu. Hinter Glas und in Schubladen warteten die Instrumente des Todes auf Interessenten.
»Ich brauche eine Pistole«, sagte Sharon mit fester Stimme. »Möglichst klein, möglichst leicht. Für die Handtasche sozusagen. Aber gleichzeitig auch treffsicher. Also kein halbes Spielzeug.«
Der Verkäufer strich sich lächelnd durch seinen Schnurrbart. »Da habe ich genau das Richtige für Sie, Ma'am.«
Er bückte sich und legte eine kleine kompakte Waffe vor ihr auf den Tresen.
»Das ist die Glock 17, Ma'am«, erklärte er. »Ein österreichisches Fabrikat, das von den Polizeitruppen vieler Länder benutzt wird. Was Sie hier sehen, ist die Mini-Ausführung 27. Faßt neun Patronen im Kaliber 40 S & W. Das Griffstück ist aus Polymer, einem widerstandsfähigen Kunststoff. Daher wiegt die ganze Waffe nur 626 Gramm.«
Sharon Fry durfte die Waffe auch in die Hand nehmen. Sie zielte auf Passanten, die draußen vor dem Schaufenster vorbeigingen. Sie war sich sicher, mit der kleinen Pistole gut umgehen zu können.
Die Blondine nahm noch 100 Schuß Munition dazu und bezahlte mit ihrer Kreditkarte. Der Verkäufer zeigte ihr, wie sie die Waffe laden und entsichern mußte. Die Glock 17 war leicht zu be- dienen.
Als Sharon Fry mit der Pistole in der Tasche das Geschäft verließ, fühlte sie sich sofort besser.
Mit diesem kleinen Instrument werde ich meine Depressionen verscheuchen, dachte sie sich. Und Toby Hancock den Tod bringen!
***
Das Büro von Milo und mir im 26. Stockwerk des FBI-Gebäudes glich einem Hexenkessel. Wir hatten die Aufgabe, Toby Hancock zwischen all den harmlosen Läufern beim New-York-Marathon ›herauszufischen‹. Das konnten wir unmöglich allein schaffen. Zahlreiche Frauen und Männer des FBI Field Office New York mußten wir für Aufgaben -am Rande der Strecke einspannen. Einerseits sollten wir überall präsent sein, andererseits durfte der Killer nicht merken, daß wir auf seiner Spur waren.
Wenn er zwischen den 30.000 Teilnehmern durchdrehte und ein Blutbad anrichtete… Ich wollte diesen Gedanken lieber nicht zu Ende denken. Wir würden jedenfalls alles dafür tun, daß es nicht soweit kam.
»Was ist mit den Daten der Teilnehmerliste?« fragte Milo einen unserer Computerexperten. »Können wir vielleicht da schon Hancock rausfiltern? Wenn er sich mit falschen Papieren anmeldet?«