Super Action Krimi Viererband 1002 - Franklin Donovan - E-Book

Super Action Krimi Viererband 1002 E-Book

Franklin Donovan

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Beschreibung

Der athletische Privatdetektiv, in einschlägigen Kreisen mit einem Ruf wie Donnerhall als Bount Reiniger bekannt, winkte ab. »June, es gibt noch andere Detektive in der Stadt, die auch leben wollen. Außerdem haben wir eine Polizei, FBI, CIA. Ich kann jetzt wahrhaftig keinen Fall übernehmen. Irgendwann muss ich mich auch mal regenerieren.« »Aber er scheint deine Hilfe dringend nötig zu haben. Der arme Teufel ist ganz verzweifelt. Seine Freundin ist spurlos verschwunden.« (499XE) Dieser Band enthält folgende Krimis Franklin Donovan: Trevellian oder En garde in der Unterwelt Earl Warren: Bount Reiniger und die schwarze Witwe Earl Warren: Bount Reiniger und die Rennbahnmafia Earl Warren: Bount Reiniger und die Nacht der Gelben Drachen

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Earl Warren, Franklin Donovan

Super Action Krimi Viererband 1002

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Inhaltsverzeichnis

Super Action Krimi Viererband 1002

Copyright

​Trevellian oder En garde in der Unterwelt: Action Krimi

Bount Reiniger und die schwarze Witwe

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Bount Reiniger und die Rennbahn-Mafia

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Bount Reiniger und die Nacht der Gelben Drachen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Super Action Krimi Viererband 1002

Franklin Donovan, Earl Warren

Der athletische Privatdetektiv, in einschlägigen Kreisen mit einem Ruf wie Donnerhall als Bount Reiniger bekannt, winkte ab.

»June, es gibt noch andere Detektive in der Stadt, die auch leben wollen. Außerdem haben wir eine Polizei, FBI, CIA. Ich kann jetzt wahrhaftig keinen Fall übernehmen. Irgendwann muss ich mich auch mal regenerieren.«

»Aber er scheint deine Hilfe dringend nötig zu haben. Der arme Teufel ist ganz verzweifelt. Seine Freundin ist spurlos verschwunden.«

Dieser Band enthält folgende Krimis

Franklin Donovan: Trevellian oder En garde in der Unterwelt

Earl Warren: Bount Reiniger und die schwarze Witwe

Earl Warren: Bount Reiniger und die Rennbahnmafia

Earl Warren: Bount Reiniger und die Nacht der Gelben Drachen

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

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​Trevellian oder En garde in der Unterwelt: Action Krimi

Franklin Donovan

Trevellian oder En garde in der Unterwelt

»Ein wunderbares Stück.«
Die Augen des Mannes leuchteten auf, als er die antike Fechtwaffe erblickte. Sofort erkannte er, womit er es zu tun hatte.
»Ein spanischer Duelldegen aus Toledo-Stahl, wahrscheinlich im frühen 19. Jahrhundert angefertigt«, stellte er fest.
»Im späten 18. Jahrhundert«, berichtigte ihn sein Gegenüber. Der Mann machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Das ist für mich kein nennenswerter Unterschied. Kommen wir ins Geschäft? Genau so eine Blankwaffe wollte ich immer schon haben.«
»Sie werden diesen Degen bekommen«, versicherte die andere Stimme. »Wirklich?«
Die Gier hatte den Verstand des Mannes vernebelt. Er streckte die Hände begehrlich nach der Klinge aus. Jede Vorsicht war vergessen, obwohl er eigentlich gute Reflexe und Überlebensinstinkte hatte.
Daher wurde er völlig überrascht, als der Degen plötzlich und blitzschnell sein Herz durchbohrte.
***
Milo und ich saßen in unserem Büro im 23. Stockwerk des FBI Field Office von New York. Ein zermürbender und öder Arbeitstag neigte sich dem Ende zu. Wir waren mit der Beweissicherung bei einem weit verzweigten Fall von Internetbetrug beschäftigt, der verschiedene FBI-Dienststellen der Ostküste in Atem hielt. Das bedeutete für uns tagelange Bildschirmarbeit, das Sichten endloser Datenwüsten. Entsprechend miserabel war unsere Laune.
»Das waren noch Zeiten, als wir Kriminelle in der richtigen Welt verfolgen durften, mit dem Auto oder meinetwegen auch zu Fuß«, machte Milo seinem Herzen Luft. Er rieb sich die Augen, die vermutlich ebenso stark brannten wie meine.
»Es gibt immer noch genug Gesetzesbrecher, die außerhalb des Internets ihr Unwesen treiben«, beruhigte ich meinen Freund. »Diese Betrugsgeschichte gefällt mir ebenso wenig wie dir. Aber G-men können sich nun einmal ihre Aufgaben nicht aussuchen.«
»Ja, schade«, seufzte Milo. »Ich bin nun einmal nicht zum Stubenhocker geboren, und…«
Er wollte noch mehr sagen, aber in diesem Moment klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und meldete mich. Der Chef war am Apparat.
»Ihre Mitarbeit an dem Internetbetrugsfall ist ab sofort beendet«, sagte Jonathan D. McKee. »Ich benötige Sie und Milo dringend für die Aufklärung eines rätselhaften Tötungsdelikts in der West 47th Street. Dort wurde heute Morgen ein Mann erstochen aufgefunden.«
Für Morde ohne besondere Umstände ist normalerweise das NYPD zuständig. Deshalb hakte ich sofort nach.
»Warum ist das ein FBI-Fall, Sir?«
»Weil der Ermordete einen falschen US-Reisepass bei sich hatte. Dadurch liegt ein Verstoß gegen Bundesgesetze vor, und das NYPD hat den Fall vorschriftsmäßig an uns weitergeleitet. Lieutenant Fields vom zuständigen Precinct wird Ihnen mitteilen, was die City Police bisher herausgefunden hat.«
»In Ordnung, Sir. Wir werden uns sofort mit dem Kollegen in Verbindung setzen.«
Mr McKee und ich beendeten das Telefonat. Milo schaute mich neugierig an, da ich den Telefonlautsprecher nicht eingeschaltet hatte. Ich lächelte und schaltete meinen PC aus.
»Du kannst deine Kiste ebenfalls herunterfahren, Milo. Deine Stoßgebete wurden erhört, wir haben jetzt wieder einen Fall in der echten Welt.«
Ich erzählte Milo, was ich soeben vom Assistant Director erfahren hatte. Die Miene des blonden G-man hellte sich auf.
»Mein Instinkt sagt mir, dass wir eine große Herausforderung vor uns haben, Jesse.«
»Dein Instinkt hat dir auch gesagt, dass diese aufregende Blonde vorige Woche nicht in festen Händen wäre«, gab ich grinsend zurück.
»Irren ist menschlich.« Milo zuckte mit den Schultern. »Nimmst du nun Kontakt mit den Cops auf oder soll ich das tun?«
Ich schüttelte den Kopf und griff erneut zum Telefon. Die ersten 48 Stunden nach der Verübung einer Straftat sind meist entscheidend, um den oder die Täter zu fassen. Wir wussten noch nicht, seit wann das Opfer tot war. Es galt, keine weitere Zeit zu verlieren.
Zum Glück erreichte ich Lieutenant Stan Fields von der Homicide Squad des zuständigen Reviers in seinem Office. Wir hatten schon oft mit ihm zusammengearbeitet. Ich konnte meinen Namen noch nicht einmal ganz aussprechen, da fiel er mir schon ins Wort.
»Jesse!«, dröhnte sein tiefer Bass, als er meine Stimme erkannte. »Willst du dir den Killer unseres Unbekannten zur Brust nehmen? Dann kann der Mistkerl schon mal einpacken.«
»Milo und ich sollen den Fall von dir übernehmen, Stan. Natürlich wollen wir uns den Täter schnell greifen. Daher benötigen wir so bald wie möglich alle Informationen von dir.«
»Viel ist es nicht, was wir bisher herausgefunden haben. Meine Leute haben keine Zeugen auf treiben können. Wir müssen uns also auf die Indizien verlassen. Das wird wieder ein Fall, bei dem Laborleute glänzen können, schätze ich. Am besten treffen wir uns in einer Stunde am Leichenfundort. Dann könnt ihr euch selbst ein Bild machen.«
»Gute Idee.«
Ich verabschiedete mich und legte auf. Milo hatte diesmal das Telefonat über Lautsprecher verfolgt. Wir nutzten die Zeit, um unsere angefangenen Prüfberichte über den Internetbetrug an die bedauernswerten Kollegen weiterzuleiten, die weiterhin an dem Fall arbeiten mussten. Zweifellos mussten auch solche Verbrechen aufgeklärt werden. Aber es gibt zum Glück FBI-Agents, die Internet-Experten und halbe Hacker sind. Doch zu dieser Art von G-men gehören Milo und ich nicht.
***
Lieutenant Stan Fields arbeitete auf dem 14th Precinct an der West 35th Street. Dieses Revier ist das größte in Manhattan und deckt den Bereich Midtown South ab.
»Stan hat von dem Leichenfundort gesprochen«, meinte ich, während wir uns in der Tiefgarage in meinen Sportwagen-E-Hybriden schwangen. »Demnach stimmt dieser nicht mit dem Tatort überein.«
»Stimmt, Jesse. Außerdem habe ich mir gerade überlegt, dass der falsche US-Reisepass keine besonders gute Imitation sein kann. Sonst hätten die Kollegen von der Scientific Research Division länger gebraucht, um die Fälschung zu durchschauen.«
Ich nickte, während ich meinen roten Boliden aus der Tiefgarage lenkte und die Richtung West 47th Street einschlug.
»Das ist eine gute Überlegung, Milo. Warum gibt sich jemand mit einer schlechten falschen Identität zufrieden? Entweder kann er sich keine bessere leisten oder er verkehrt nicht in den richtigen Ganovenkreisen. Du weißt, es ist in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden, Personaldokumente zu fälschen. Früher konnte jeder bessere Falschgelddrucker einen Ausweis oder Führerschein anfertigen. Die Zeiten sind vorbei, der technische Aufwand ist viel höher geworden. Und das hat die Preise in die Höhe getrieben.«
»Ja, und die Luft für Dokumentenfälscher wird immer dünner. Es gibt momentan nicht allzu viele Könner in dieser kriminellen Branche. So könnten wir auch die wahre Identität des Toten ermitteln - indem wir seinen Passfälscher auftreiben.«
Ich stoppte meinen roten Wagen unmittelbar vor dem gelben Trassierband der City Police. Wir stiegen aus. Ein uniformierter Cop erkannte uns sofort und tippte lässig grüßend mit zwei Fingern gegen den Mützenschirm. Er hob das Absperrband für uns.
Es dämmerte bereits. Im Theaterviertel von Manhattan waren zahllose Amüsierwillige unterwegs. Zwar hatte die Finanzkrise Manhattan stärker getroffen als so manche andere Gegend in den Staaten. Aber die New Yorker sind erfinderisch, wenn es um ihr Vergnügen geht. Wer kein Geld für eine Musical-Aufführung oder ein Premieren-Kino hatte, schaute sich auf der Straße um. Die bietet in unserer Stadt nämlich genug kostenloses Theater, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Gratisunterhaltung, die manchmal sogar einen Gänsehauteffekt liefert.
Entsprechend viele Schaulustige drängten sich vor der Polizeiabsperrung, obwohl die Leiche schon fortgeschafft worden war. Ein Übertragungswagen einer lokalen TV-Station war ebenfalls vor Ort. Das motivierte die Schaulustigen noch zusätzlich. Sie versuchten, hinter der live berichtenden Reporterin in die Kamera zu winken. Der traurige Anlass für den Fernsehbericht schien ihnen gleichgültig zu sein.
Ich nahm mir sofort vor, später in der Gerichtsmedizin einen Blick auf 6 den Toten zu werfen. Das bringt oft mehr als das Betrachten von Polizeifotos. Außerdem war es möglich, dass uns die Ärzte schon erste Erkenntnisse liefern konnten. Eine Mörderjagd ist immer auch ein wenig ein Wettlauf mit der Zeit.
Nun hatte uns auch Stan Fields entdeckt. Der Lieutenant mit der Figur eines Schwergewichtsboxers begrüßte uns mit einem kräftigen Händedruck. Er war ein erfahrener Cop, der auch nach vielen Jahren an vorderster Front ein leidenschaftlicher Verbrechensbekämpfer war. Genau wie wir.
Stand Fields hatte einen schmalen Schnellhefter dabei. Ich nahm an, dass sich darin die bisherigen Ermittlungsergebnisse befanden. Doch ich schaute dem NYPD-Kollegen zunächst in sein großflächiges offenes Gesicht.
»Stan, mit einer Kurzfassung der Fakten wäre uns zunächst am meisten gedient.«
»Okay, Jesse. - Also, um 8.11 Uhr heute Morgen ging bei der Notruf zentrale ein Anruf ein. Ein Jogger hatte die Leiche in einer schmalen Seitengasse gesehen und sofort die 911 angerufen. Die Notruf zentrale hat den Anruf natürlich aufgezeichnet.«
Ich nickte.
»Die Leiche ist männlich, weiße Hautfarbe, zwischen 40 und 50 Jahre alt«, fuhr Stan Fields fort. »Als wir ein Patrolcar losschickten, tippten die Kollegen zunächst auf einen toten Obdachlosen. Aber der ermordete Mann war gut gekleidet und wirkte keineswegs heruntergekommen. Auf den ersten Blick sah es ja sogar so aus, als ob wir ihn sofort identifizieren konnten.«
»Wegen des falschen Passes?«
»Genau, Jesse. Der Name in dem Pseudo-Dokument lautet Henry Warrick. Aber ein Mensch mit diesem Namen existiert nicht, das ergab schon der allererste Datenabgleich. Nachdem ich zum Leichenfundort gerufen wurde, habe ich sofort sämtliche Vermisstenanzeigen gecheckt. Aber dort gab es bisher keine Ergebnisse.«
»Ist schon klar, wo der Mann ermordet wurde?«, fragte Milo.
Der Lieutenant schüttelte den Kopf. »Die Kollegen von der Spurensicherung haben mir nur jeden Eid geschworen, dass er nicht hier ums Leben gekommen sein kann.«
Fields zeigte auf das Areal, wo mit weißen Kreidestrichen und verschiedenfarbigen Fähnchen die Lage der Leiche skizziert war. Starkes Scheinwerferlicht tauchte die Szenerie in eine enthüllende schmerzliche Helligkeit. Einige Männer von der SRD waren in ihren weißen Schutzanzügen immer noch mit dem Absuchen der Umgebung beschäftigt.
In der Gasse lag Müll und Unrat herum, weiter im Hintergrund waren die Umrisse von Abfallcontainern zu erkennen.
»Und warum nicht?«
»Es fehlen die Blutspritzer, Jesse. Die Mordwaffe muss mit einer ziemlichen Wucht in seinen Oberkörper eingedrungen sein. Es gab nämlich auch eine Austrittswunde am Rücken. Man kann einen Menschen nicht mit einer Stichwaffe so dermaßen durchbohren, ohne dass Blutspritzer in der Umgebung Zurückbleiben. Sie mögen mikroskopisch klein sein, aber sie sind auf jeden Fall vorhanden. Doch hier in dieser Gasse gibt es sie nicht. Hingegen konnten die Kollegen geringe Schleifspuren feststellen.«
»Und was ist mit DNA-Material des Täters?«
»So weit sind die Auswertungen noch nicht, Jesse. Aber möglich wäre es.«
»Also wurde die Leiche hier einfach abgeladen«, stellte ich fest. Der Lieutenant nickte.
»Wir wissen auch schon, wie es in etwa abgelaufen ist. Seht ihr die Reifenspuren dort? Sie stammen von einem Mini-Van, wahrscheinlich ein japanisches Modell. Der Lieferwagen ist kurz auf den Gehweg gefahren, mit dem Heck in Richtung Gasse. Dann wurden die Hecktüren geöffnet, der Tote nach draußen gestoßen und ein paar Yards tiefer in die Gasse geschleift. Das kann sogar vor Zeugen geschehen sein. In dieser Gegend wird die Nacht zum Tag gemacht, ständig bekommen Restaurants oder Theater Lieferungen. Auf einen Van, der Ware ablädt, achtet hier niemand.«
»Ist eigentlich der Todeszeitpunkt schon klar?«, fragte Milo.
»Die erste grobe Schätzung des Gerichtsmediziners geht von dem Zeitraum von Mitternacht bis drei Uhr morgens aus, und zwar in der Nacht von Montag auf Dienstag.«
Momentan war Dienstagabend. Man konnte also davon ausgehen, dass der Tote bald nach seiner Ermordung beiseite geschafft worden war. Der Jogger hatte ihn ja am Dienstagmorgen um 8.11 Uhr entdeckt, nur wenige Stunden nach dem mutmaßlichen Todeszeitpunkt. Die Cops hatten bisher nur einen knappen Tag für die Ermittlungsarbeit gehabt. Hätte der Tote keinen falschen US-Pass besessen, so wäre dieser Fall beim NYPD verblieben.
»Ich möchte noch einmal auf die Mordwaffe zu sprechen kommen. Gibt es da schon nähere Erkenntnisse?«
»Entweder ein langer schmaler Dolch oder ein Degen, Jesse. Das war jedenfalls die erste Vermutung unseres Docs. Aber für ein endgültiges Ergebnis werdet ihr auf den Obduktionsbefund warten müssen.«
»Ein Degen?«, wunderte sich Milo. »So eine Waffe wie aus einem Musketier-Film?«
»Film ist ein gutes Stichwort«, sagte ich. »Und natürlich auch Theater. Soweit ich weiß, wird bei vielen historischen Stücken auf der Bühne auch gefochten. Es muss kein Zufall sein, dass die Leiche ausgerechnet hier im Theater District abgelegt wurde. Vielleicht ist der Tote sogar so eine Art Botschaft für jemanden.«
»Wir müssen also nur die Theater checken«, stöhnte Milo. »Hast du eine Ahnung, wie viele Bühnen es in New York gibt?«
»Allerdings, Milo. Aber was ist die Alternative? Wieder an dem Internet-Fall arbeiten?«
Mein Freund seufzte laut und wedelte mit der Hand, als ob er sich verbrannt hätte.
»Was für ein Internet-Fall?«, wunderte sich der Lieutenant.
»Nichts, das war nur ein interner Scherz zwischen Milo und mir. - Wir sollten herausfinden, an welchen Theatern historische Kostümstücke gespielt werden. Vielleicht war der Ermordete ein Schauspieler.«
»Auf jeden Fall keiner, den ich kennen würde«, meinte Stan Fields. »Richard Gere und Mel Gibson leben noch, so viel steht fest.«
Ich nickte grinsend und schaute mir die Umgebung näher an. Die schmale Gasse befand sich zwischen einem Bürogebäude und einem ukrainischen Reisebüro. Ob dort jemand das Opfer gekannt hatte? Wir würden am nächsten Morgen nachfragen müssen, denn sowohl die Firmen in dem sechsstöckigen Brownstone-Haus als auch das Reisebüro waren jetzt geschlossen.
Ansonsten gab es in dem Block noch zwei Kinos, das Konsulat eines afrikanischen Landes und ein Verwaltungsgebäude. Es schien mir so gut wie ausgeschlossen, dass es für das Ablegen der Leiche Augenzeugen gegeben hatte. Es war, als hätte Milo meine Gedanken gelesen.
»Nach Mitternacht wird es hier wohl keine neugierigen Nachbarn geben, die etwas gesehen haben.«
»Wohl kaum. Herumfragen werden wir natürlich trotzdem. Du hast dich doch nach der Beinarbeit auf den Straßen zurückgesehnt, jetzt haben wir mehr als genug davon.«
Milo grinste.
»Sicher, Jesse. Aber du bist auch lieber draußen im wahren Leben, da machst du mir nichts vor.«
Der Lieutenant schaute uns verständnislos an.
»Das klingt ja fast, als wärt ihr hinter schwedischen Gardinen gewesen.«
»Ganz so schlimm ist der Innendienst dann doch nicht«, lachte Milo. Nachdem einstweilen keine weiteren Fragen mehr auftauchten, verabschiedeten wir uns von Stan Fields. Zuvor bekamen wir von dem Cop seine Ermittlungsergebnisse. Damit hatte offiziell das FBI die weitere Bearbeitung des Falles übernommen.
***
Milo und ich fuhren zum gerichtsmedizinischen Institut. Dort wurde trotz der späten Stunde noch gearbeitet. Wie sich herausstellte, war Dr Lewinski mit der Leichenschau des unbekannten Toten beauftragt. Der Pathologe begrüßte uns. Wir folgten ihm in seinen kalten Seziersaal, wo die nackte Leiche auf einem Stahltisch lag.
»Wie Sie sehen können, war unser unbekannter Toter zu Lebzeiten gut in Form«, sagte Dr Lewinski. »Er verfügte über einen athletischen Körperbau, meiner Meinung nach hat er regelmäßig Sport getrieben. Sein Gebiss war in Ordnung, allerdings hatte er einige Brücken und Überkronungen. Ich vermute, dass dieser Zahnersatz in Osteuropa gefertigt wurde.«
»Ein Osteuropäer also«, murmelte Milo.
»Nicht unbedingt«, schränkte der Gerichtsmediziner ein. »Inzwischen reisen auch viele Westeuropäer in die ehemaligen Ostblockstaaten, um sich die Zähne behandeln zu lassen. So wie die Amerikaner mit schmalem Geldbeutel, die zur Zahnbehandlung in eine mexikanische Grenzstadt fahren.«
»Können Sie uns schon Genaueres zur Mordwaffe sagen?«, fragte ich.
»Meiner Meinung nach handelt es sich um einen Degen. Der Wundkanal weist eine Beschaffenheit auf, die auf eine Blutrinne an der Stichwaffe schließen lässt. Es könnte natürlich auch ein Dolch gewesen sein, aber Dolche sind meist nicht so lang. Die Waffe ist ja am Rücken wieder ausgetreten. Ich gehe von einer Klingenlänge von fast anderthalb Yards aus.«
»Können Sie Rückschlüsse auf den Täter ziehen, Doktor?«
»Nur bedingt, Agent Trevellian. Die Schräglage des Wundkanals spricht dafür, dass der Mörder kleiner ist als das Opfer. Der Stich wurde nämlich von unten nach oben geführt. Aber es wäre auch möglich, dass der Killer einen fechterischen Ausfall gemacht hat - und zwar so.«
Dr Lewinski zeigte uns, was er meinte.
Er schob den rechten Arm vorwärts, streckte blitzschnell das linke Bein und machte mit dem rechten Fuß einen weiten Schritt nach vorn. Sein Zeigefinger deutete direkt auf meine Brust.
»Sehen Sie, Agent Trevellian? Ich bin genauso groß wie Sie. Aber wenn ich jetzt eine Fechtwaffe in der Hand hätte, würde ich Ihnen den Degen von unten nach oben ins Herz stechen - weil ich nämlich in den Ausfall gegangen bin.«
Da der Pathologe sein Knie gebeugt hatte, befand sich sein Kopf jetzt ungefähr auf meiner Brusthöhe. Im nächsten Moment stellte er sich wieder normal hin und lächelte.
»Sie haben offenbar Ahnung vom Fechten, Doktor.«
»Als Student habe ich eine Zeit lang gefochten, Agent Trevellian. Gelernt ist gelernt. Aber ich würde jetzt nicht behaupten wollen, dass der Mörder ein Fechter ist. Letztlich kann jeder einen Degen in die Hand nehmen und damit den Oberkörper des Opfers durchbohren.«
»Aber ein Killer ohne Fechterfahrung wäre kleiner als der Tote?«, vergewisserte ich mich.
»Das würde ich zumindest vermuten. Ich glaube nicht an einen Unfall. Es hat nur einen einzigen Stich gegeben, und der traf mitten ins Herz. Der Täter hat genau gewusst, wohin er zielen musste. Und er hatte eine ganz eindeutige Tötungsabsicht.«
Wir verließen das gerichtsmedizinische Institut.
»Wann nehmen wir uns die Passfälscher-Szene zur Brust?«, fragte Milo.
»Lass uns morgen früh mal kurz mit Jennifer Clark und Blair Jordanovich reden. Du weißt, sie hatten neulich auch einen Fall, in dem gefälschte Dokumente eine Rolle spielten. Gewiss haben sie noch einschlägige Kontakte.«
»Gute Idee, Jesse. Hätte glatt von mir stammen können.«
Ich war sicher, dass der echte Name des Opfers uns zu seinem Mörder führen würde. Und so war es aüch. Allerdings verlief der Fall etwas anders, als ich es mir zunächst vorgestellt hatte.
***
Am nächsten Morgen erfuhren wir den wahren Namen des unbekannten Toten.
Ich hatte Milo an unserer gewohnten Ecke abgeholt. Wir waren zum FBI-Building gefahren, um zunächst die Ermittlungsergebnisse des NYPD durchzugehen. Da kam ein Anruf von der Spurensicherung.
»Die Leiche aus der West 47th Street trägt den Namen Michail Banukov«, sagte der Kollege am Telefon. »Banukov war ukrainischer Staatsbürger. Er ist vor zwei Wochen legal in die Staaten eingereist. Daher hat die Homeland Security auch seine Fingerabdrücke. Bei dem Abgleich stellte sich dann schnell seine Identität heraus.«
»Hättet ihr das nicht schon gestern herausfinden können?«
»Normalerweise schon, Jesse. Es gab aber Computerprobleme.«
Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Milo hatte alles mitgehört.
»Eine legale Einreise«, wiederholte Milo murmelnd. »Und dennoch trägt er einen falschen Pass bei sich. Warum nur?«
»Dafür kann es zahlreiche Gründe geben. Vielleicht wollte er nicht in die Ukraine zurück und stattdessen hier ein neues Leben anfangen. Oder er hatte vor, sich in ein anderes Land zu begeben.«
»Der Tote war auf jeden Fall ein Ukrainer. Ich glaube nicht an Zufälle, Jesse. Das weißt du. Und es erscheint mir mehr als verdächtig, dass seine Leiche ausgerechnet neben einem ukrainischen Reisebüro abgelegt wird.«
»Das stimmt, Milo. Ich bin gespannt, was man uns dort zu erzählen hat.«
Ich steckte ein Foto von Banukov ein, das der Polizeifotograf aufgenommen hatte. Wir fuhren zur West 47th Street zurück. Das Reisebüro hatte inzwischen geöffnet. Aber offenbar interessierte sich an diesem Vormittag kein New Yorker für die Attraktionen des osteuropäischen Landes. Jedenfalls war außer uns niemand zu sehen, nachdem wir eingetreten waren.
Doch ein Hauch von Parfüm lag in der Luft. Ich schnüffelte. Eine Lady musste vor nicht allzu langer Zeit in diesem Reisebüro gewesen sein. Parfüm verfliegt schnell, daher konnte es sich nicht um Tage oder Stunden handeln. Höchstens um Minuten.
Hochglanzprospekte lagen herum, große Fotos zeigten die landschaftliche Schönheit von Yalta, Badeidylle am Schwarzen Meer, und Klöster mit Zwiebeltürmen. Aber das Reisebüro schien völlig verlassen zu sein. Hatte die Frau Reißaus genommen? Wollte sie etwas vor uns verbergen?
Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen.
»Ist hier jemand? Wir sind vom FBI.«
Ich hatte laut gerufen. Es war unmöglich, dass man mich überhört hatte. Es herrschte ansonsten eine Totenstille, abgesehen von dem leisen Verkehrslärm, der durch die Panoramäscheiben drang.
Hier stimmte etwas nicht. Ich zog meine Pistole, Milo folgte meinem Beispiel. Wir gaben uns gegenseitig Deckung, während wir uns genauer umschauten. Im vorderen Bereich mit der Wartezone und den computerbestückten Schreibtischen konnte sich niemand vor unseren Blicken verbergen. Doch ein schmaler Gang führte nach hinten. Dort gab es eine winzige Teeküche, außerdem einen fensterlosen Lagerraum, in dem in Folien geschweißte Prospekte und Büromaterial gestapelt waren. Am Ende des Ganges befand sich eine halb geöffnete Stahltür. Sie führte auf die Gasse hinaus.
Und dort lag ein Körper.
Milo und ich stürzten auf die leblose Person zu. Dabei liefen wir natürlich nicht blindwütig in eine mögliche Falle. Wir sicherten nach allen Seiten, hielten nach einem möglichen Heckenschützen Ausschau.
Doch die Frau, die dort im Dreck der Gasse lag, war nicht von einer Kugel getroffen worden. Die langen blonden Locken waren am Hinterkopf blutverklebt. Offenbar hatte sie einen Schlag auf den Schädel bekommen. Ich tastete nach ihrer Halsschlagader. Sie lebte noch.
Milo griff bereits nach seinem Handy und forderte einen Notarzt an. Ich drehte das Opfer in eine stabile Seitenlage. Die Frau war bewusstlos. Ich schätzte sie auf ungefähr dreißig Jahre. Sie trug ein eng anliegendes dunkles Geschäftskostüm mit knielangem Rock. Ob sie eine Angestellte des Reisebüros war?
Unmittelbar neben ihr lag eine schwarze Abfalltüte. Bis zu den Müllcontainern in der Gasse waren es noch zehn Schritte. Die Kollegen von der Spurensicherung hatten am Vorabend gewiss auch die Abfallbehälter gecheckt. Da war ich mir sicher.
Hing der Angriff auf die Frau mit dem Mord an Banukov zusammen? Hatten sich die beiden vielleicht sogar gekannt? Je länger ich über den Fall nachdachte, desto mehr Fragen tauchten auf.
Nun erschienen erst einmal der Notfallmediziner und zwei Sanitäter auf der Bildfläche. Sie hoben die Frau vorsichtig auf eine Trage.
»Eine Platzwunde am Hinterkopf, aber kein Verdacht auf Schädelbasisbruch«, sagte der Doktor nach einer ersten Untersuchung. »Ich gehe von einer Gehirnerschütterung aus. Patientin ist nicht ansprechbar, Vitalfunktionen leicht herabgesetzt, aber ansonsten stabil. - Wir bringen sie ins Bellevue.«
Mit dem letzten Satz wandte sich der Notarzt an mich, während die Sanitäter die Verletzte auf der Trage hochhoben und zu dem geparkten Rettungswagen schafften. Die Kopfwunde war mit einem provisorischen Verband versorgt worden.
»Wann ist die Frau niedergeschlagen worden, Doc?«, wollte Milo wissen.
»Das kann noch nicht lange her sein, vielleicht eine halbe Stunde. Das Blut an der Wunde ist noch nicht richtig getrocknet. - Jetzt müssen wir aber fahren.«
Die Männer stiegen in die Ambulanz und rasten mit gellender Sirene davon. Milo und ich schauten uns an.
»So ein Mist. Wenn wir früher gekommen wären, hätten wir den Kerl erwischen oder die Tat sogar verhindern können.«
»Okay, Milo. Aber da wir keine Hellseher sind, bringen Selbstvorwürfe nichts. Glaubst du denn, dass die Tat mit dem Mord an Banukov zusammenhängt?«
»Du etwa nicht, Jesse? Die Leiche wird nachts in der Gasse abgelegt, am nächsten Morgen will die Reisebüroangestellte, den Müll rausbringen und bekommt einen Schlag auf den Schädel. Ich schätze, der Täter ist zurückgekehrt und wurde dabei gestört.«
»Ja, das ist einleuchtend. Schauen wir uns mal im Reisebüro um.«
Ich hatte die Idee im Hinterkopf, ob es vielleicht eine Verbindung zwischen dem Reisebüro und Banukovs falschem Pass gäbe. Noch wussten wir ja nicht, ob hier wirklich nur legale Geschäfte gemacht wurden. Die Fälschung von Personaldokumenten wäre jedenfalls eine sehr lukrative Nebeneinnahme für ein Touristikunternehmen.
Doch auf den ersten Blick wirkte das Reisebüro unverdächtig. Ich habe schon genug Scheinfirmen gesehen, die nur der Geldwäsche oder anderen zwielichtigen Machenschaften dienten. Falls natürlich an den Bilanzen manipuliert wurde, war das ein Fall für unsere Experten.
Ich entdeckte die Telefonnummer des Inhabers.
»Diesen Pjotr Lukin wird gewiss interessieren, dass sich seine Angestellte im Krankenhaus befindet. Offenbar arbeitet hier sonst niemand, jedenfalls ist noch kein weiterer Mitarbeiter aufgetaucht.«
Während ich mit Milo sprach, tippte ich die Nummer dieses Lukin in mein Handy. Wenig später ertönte das Freizeichen, dann meldete sich eine weibliche Stimme mit osteuropäischem Akzent.
»Das Büro von Mister Lukin, Sie sprechen mit Vera Smoldavar.«
»Mein Name ist Jesse Trevellian, ich bin Agent beim FBI New York. Es geht um Mister Lukins Reisebüro in der West 47th Street…«
Bevor ich den Satz beenden konnte, fiel mir die Lady ins Wort. Ihr Tonfall war nun hart.
»Alle Anschuldigungen gegen Mister Lukin leiten Sie bitte direkt an seinen Rechtsanwalt Dr Philips weiter. Ich gebe Ihnen seine Rufnummer.«
Nun fiel ich ihr ins Wort.
»Das ist ein Missverständnis. Wir ermitteln nicht gegen Mister Lukin, Miss. In seinem Reisebüro hat ein Verbrechen stattgefunden, seine Angestellte wurde niedergeschlagen. Wir sind vor Ort. Offenbar ist kein anderes Personal hier. Vielleicht sollten Sie jemanden vorbeischicken, damit zumindest abgeschlossen wird.«
Mit diesen Informationen schien ich die Telefonlady verblüfft zu haben. Jedenfalls antwortete sie zunächst nicht.
»Vielleicht kann ja Mister Lukin auch selbst kommen«, fuhr ich fort.
»Nein, das geht nicht. Um diese Uhrzeit hat Mister Lukin immer sein Fechttraining. Dabei darf er nicht gestört werden.«
***
Eine Viertelstunde später erschien ein junger Mann, der unsere Sprache nur gebrochen beherrschte. Er sperrte zu, nachdem er mit uns zusammen das Reisebüro verlassen hatte. Aus diesem Burschen war keine brauchbare Information herauszubekommen. Aber immerhin drückte er mir eine Visitenkarte in die Hand, bevor er sich wieder aus dem Staub machte.
»Pjotr Lukin scheint ein vielseitig interessierter Mann zu sein«, sagte ich zu Milo. »Sieh mal, er hat außer seinem Reisebüro auch noch ein Im- und Exportgeschäft sowie einen Übersetzungsservice, eine Automatenwäscherei sowie eine Kunstgalerie.«
»Wahrscheinlich würde er auch gegen Bezahlung deinen Hund ausführen, wenn du einen hättest«, spottete Milo. »Für mich klingt das nach einem Geschäftemacher, der auf Teufel komm raus Geld scheffeln will.«
»Das ist ja nicht verboten.«
»Gewiss nicht, Jesse. Aber wenn sofort ein Anwalt Gewehr bei Fuß steht, sobald das FBI auch nur erwähnt wird, dann macht das diese Person nicht gerade unverdächtig.«
»Ich finde auch, dass wir uns Lukin nach seinem geheiligten Fechttraining einmal vorknöpfen sollten. Aber lass uns zunächst ins Bellevue fahren. Vielleicht ist die Angestellte schon wieder bei Bewusstsein.«
»Apropos Fechttraining«, meinte Milo, während wir in den Sportwagen stiegen, »ob es wohl ein Zufall ist, dass Lukin sich auch für das Fechten interessiert? Ich wette, er kann gut genug mit einem Degen umgehen, um Banukov die Waffe in die Brust zu stoßen.«
»Gut möglich. Jetzt brauchen wir nur noch ein Motiv für die Tat. Ich frage mich schon die ganze Zeit, was Banukov überhaupt in New York gewollt hat. Und warum er sich als Henry Warrick ausgegeben hat.«
Wir fuhren zum Bellevue Hospital. Bei der Verletzten war eine leichte Gehirnerschütterung festgestellt worden. Sie war inzwischen aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Ich bat darum, mit ihr sprechen zu dürfen.
»Die Patientin braucht absolute Ruhe«, sagte die Stationsärztin abweisend. Laut ihrem Namensschild auf dem Kittel hieß sie Dr Ruth Oakland. Sie war eine schöne Frau mit weißblondem Haar und rauchblauen Augen.
»Wir ermitteln in einem Mordfall. Je länger wir warten, desto länger bleibt der Täter in Freiheit. Er kann weiterhin andere Menschen verletzen oder töten. Wir wollen ihn so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen.«
Die Medizinerin seufzte. Sie warf mir einen Blick zu, den man nicht unbedingt als dienstlich einstufen konnte.
»Warum kann ich bei einem dunkelhaarigen G-man wie Ihnen nicht Nein sagen? Doch ich stelle Ihnen eine Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Sie geben mir Ihre Telefonnummer, G-man. Damit ich Sie zur Verantwortung ziehen kann, falls es bei der Patientin Komplikationen gibt.«
Der Blick von Frau Dr Oakland sagte mir allerdings, dass sie meine Nummer aus anderen Gründen haben wollte. Ich lächelte ihr zu und gab ihr meine Visitenkarte. Dr Oakland ließ diese schnell in ihrer Kitteltasche verschwinden. Sie deutete mit einer Kinnbewegung auf die Tür des Krankenzimmers.
»Ab mit Ihnen. Aber nur fünf Minuten, okay?«
Ich versprach es hoch und heilig. Milo grinste mir zu, als die Ärztin fort war.
»Frau Dr Oakland würde gewiss gern mit dir ausgehen, Jesse. Bei der hast du Chancen, glaub mir.«
»Darüber kann man reden, wenn der Killer in Rikers sitzt.«
Die Reisebüroangestellte hieß Ludmilla Krailova. Sie hatte ein Krankenzimmer für sich allein. Ihr Gesicht war bleich. Sie wirkte furchtsam und eingeschüchtert. Ich fragte mich, ob sie sich vor dem Täter oder vor dem FBI fürchtete. Vielleicht auch vor Lukin - oder vor einer anderen Bedrohung, von der wir noch nichts wussten. Das mussten wir herausbekommen. Milo und ich schnappten uns Besucherstühle und nahmen links und rechts von ihrem Bett Platz. Wir stellten uns offiziell vor und zeigten unsere Dienstausweise.
»Miss Krailova, wir haben Sie hinter dem Reisebüro gefunden. Sie sind offenbar niedergeschlagen worden. Haben Sie den Täter erkannt?«
»N-nein, Agent Trevellian.« Ludmilla Krailova sprach mit kehligem Akzent, aber gut verständlich. »Es ging alles so schnell.«
Sagte sie die Wahrheit? Ich war mir nicht sicher.
»Erzählen Sie uns doch bitte, was passiert ist.«
»Da gibt es gar nicht so viel zu sagen. Ich habe das Reisebüro aufgeschlossen…«
»Wann war das?«
»Um neun Uhr. Danach habe ich den Müll nach draußen bringen wollen, das hatte die Putzfrau am Vorabend vergessen. Ich öffnete also die Hintertür. Die Abfallcontainer stehen in der Gasse hinter dem Haus. Doch kaum hatte ich die Tür geöffnet, da bemerkte ich einen Schatten neben mir. Im nächsten Moment glaubte ich, mein Schädel würde platzen. Es wurde finsterste Nacht. Und als ich wieder aufwachte, lag ich hier in diesem Krankenhausbett.«
»Dann haben Sie also auch keinen Verdacht, wer Sie niedergeschlagen haben könnte? Haben Sie vorher etwas gehört?«
»Nein, Agent Trevellian.«
»Oder ist Ihnen vielleicht ein fremder Geruch aufgefallen? Im Reisebüro duftete es intensiv nach einem Damen-Parfüm…«
»Das stammt von mir. Ich habe die Angewohnheit, direkt vor Arbeitsbeginn noch etwas Parfüm aufzulegen. Wie gesagt, es war ein ganz normaler Tag. Ich hätte mir niemals träumen, lassen, einfach niedergeschlagen zu werden.«
Ich nickte und zog das Foto von Michail Banukov aus meinem Jackett. Ich hielt Ludmilla Krailova die Aufnahme unter die Nase.
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen, Miss Krailova?«
»Nein.« Diesmal war ich sicher, dass sie log. »Wer ist das?«
»Sein Name war Michail Banukov, aber er hatte auch einen falschen Pass auf den Namen Henry Warrick. Haben Sie einen dieser Namen schon einmal gehört?«
»Nein, das sagt mir nichts. Warum sieht er so seltsam aus? Ist er tot?«
»Ja, er wurde ermordet. Und seine Leiche wurde gestern in der Gasse neben dem Reisebüro gefunden. Haben Sie davon gar nichts bemerkt? Die Cops haben weiträumig abgesperrt, es gab eine Menge Gaffer.«
»Während der Arbeitszeit kümmere ich mich nicht um die Dinge, die draußen vorgehen«, behauptete die Angestellte. »Ein uniformierter Cop kam kurz herein und fragte, ob ich etwas Verdächtiges in der Gasse bemerkt hätte. Mir war aber nichts aufgefallen. Daraufhin ging er gleich wieder fort.«
»Stammen Sie aus der Ukraine, Miss Krailova?«
»Ja, natürlich. Mister Lukin wollte eine gebürtige Ukrainerin in seinem Reisebüro arbeiten lassen, um die Kunden besser beraten zu können. Aber ich bin US-Staatsbürgerin. Ich spreche nicht nur Amerikanisch, sondern auch Ukrainisch und Russisch.«
»Banukov war auch Ukrainer.«
»Trotzdem kannte ich ihn nicht, Agent Trevellian. Die Ukraine ist ein großes Land, sie reicht vom Schwarzen Meer bis zu den Karpaten.«
»Das will ich nicht bestreiten. Aber hier in New York nehmen Neueinwanderer oftmals Kontakt zu früheren Landsleuten auf. Das wird Ihnen bekannt sein.«
»Ja, und Ukrainer bilden da gewiss keine Ausnahme. In dem Block, wo ich lebe, stammen die meisten Bewohner aus Kiew und Umgebung- So entsteht ein Stück Heimat mitten hier in New York. Aber diesen Michail Banukov habe ich trotzdem nicht gekannt, das müssen Sie mir glauben.«
Ich wollte die Frau nicht zu hart verhören, schließlich war sie verletzt und offenbar auch geschockt.
»Was für ein Verhältnis haben Sie zu Pjotr Lukin?«
»Wie meinen Sie das, Agent Trevellian? Mister Lukin ist mein Boss, ich bin seine Angestellte. Das Reisebüro führe ich allein.«
»Sie wollen sagen, dass Ihr Chef Ihnen nicht ständig auf die Finger schaut?«
»Mister Lukin vertraut mir. Aber wenn es Unregelmäßigkeiten gäbe, würde er das gewiss sofort merken.«
Ich spürte, dass Ludmilla Krailova innerlich abblockte. So kamen wir nicht weiter. Außerdem erschien nun auch noch die Ärztin und deutete vielsagend auf ihre Armbanduhr.
Wir erhoben uns. Ich legte meine Visitenkarte auf das Nachtschränkchen.
»Das wäre alles für heute, Miss Krailova. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Bitte rufen Sie mich jederzeit an, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Jeder Hinweis kann wichtig sein.«
Die Frau in dem gepunkteten Patientennachthemd warf mir einen zweifelnden Blick zu. Sie schien sich zu fragen, ob sie mir trauen konnte. Vielleicht hatte Lukin ihr auch eingeimpft, sich überhaupt nicht mit der Polizei einzulassen. Für eine durchtriebene Kriminelle hielt ich Ludmilla Krailova auf jeden Fall nicht.
Bevor wir die Station verlassen konnten, hielt mich Dr Oakland zurück.
»Ihr Fall scheint interessant zu sein, Agent Trevellian. Dürfen Sie darüber sprechen?«
»Über allgemeine Dinge schon - also das, was auch in den Pressemitteilungen des FBI steht.«
»Das würde ich aber viel lieber aus Ihrem Mund hören. Leider habe ich momentan ungünstige Arbeitszeiten. Aber wie wäre es mit übermorgen Abend?«
»Das ist perfekt«, erwiderte ich und blinzelte ihr zu. Die rauchblauen Augen strahlten. Milo konnte sich kaum zurückhalten, bis wir endlich außer Hörweite waren.
»Eine Zeugenaussage und eine Verabredung mit der schönen Frau Doktor - was will der G-man mehr?«
»Eine Zeugenaussage, die auch etwas taugt. Und da habe ich so meine Zweifel.«
»Was denkst du über den ukrainischen Lockenengel, Jesse?«
»Sie verschweigt uns etwas. Ich wette, dass sie Banukov gekannt hat. Und es gibt auch eine Verbindung zwischen Banukov und ihrem Boss Lukin. Das müssen wir nur noch beweisen.«
»Wir könnten herausfinden, was Banukov daheim in der Ukraine so getrieben hat, Jesse.«
»Ja, aber dafür müssen wir die ungeliebten Computer anwerfen. Zuvor könnten wir Pjotr Lukin unsere Aufwartung machen.«
Während ich fuhr, rief Milo in Lukins Büro an. Er wollte die Adresse von Lukins Fechtclub erfragen. Nach einigem Hin und Her hatte mein Freund Erfolg.
»Er trainiert in einem Gym an der Fiatbush Avenue«, sagte Milo. »Seine Telefonmieze hat uns noch einmal beschworen, ihn nicht zu stören. Aber angeblich ist er sowieso bald durch mit seinem Pensum.«
»Dann kommen wir ja genau im richtigen Moment.«
***
Ich fuhr über die Manhattan Bridge nach Brooklyn hinüber. In diesem großen New Yorker Bezirk leben viele Einwanderer. Während die Russen verstärkt in der Gegend um Coney Island siedeln, hatten die Ukrainer offenbar um die Fiatbush Avenue herum eine neue Heimat gefunden. Lukins Fechttraining fand jedenfalls in einem Studio namens Kiew Gym statt. Fotos im Eingangsbereich zeigten, dass hier nicht nur Fechter, sondern auch Boxer und Gewichtheber ihrem Sport nachgehen konnten. Es gab auch einen großen Bereich mit Kraftmaschinen.
Nur auf fremde Besucher war man offenbar nicht eingestellt. Eine vollbusige Blondine mit greller Schminke im Gesicht wartete hinter der Fitness-Theke. Doch bevor wir auch nur ein Wort hervorbringen konnten, schob sie vier Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Im Handumdrehen erschienen ein paar Finsterlinge in Trainingsanzügen und mit Möbelpacker-Figuren. Sie knurrten einige Worte auf Ukrainisch, die gewiss keine Höflichkeitsfloskeln waren. Aber Reden war offenbar sowieso nicht ihre Stärke.
Jedenfalls gingen sie uns sofort an.
Ein weizenblonder Kerl stürmte auf mich los wie ein Bulldozer. Er fühlte sich bereits auf der Gewinnerstraße, weil er einen Kopf größer war als ich. Doch er wusste offenbar nicht, dass er es mit einem kampferprobten G-man zu tun hatte. Jedenfalls duckte ich mich unter seinem Fausthieb weg und schlug sofort einen knallharten Konter. Damit hatte er nicht gerechnet. Der blonde Schläger wollte es mir heimzahlen. Er setzte zu einem fürchterlichen Kopfstoß an.
Zum Glück erkannte ich sein Vorhaben rechtzeitig. Als er angriff, packte ich seine Schultern und lenkte seine Richtung etwas ab. Sein Schädel traf nicht meine Magengrube, sondern die Fitnesstheke. Das Holz zersplitterte und der Mann sackte in sich zusammen. Er hatte sich selbst ausgeknockt.
Doch schon war der nächste Gegner heran.
Das zweite Kraftpaket war bedeutend schneller als sein Vorgänger. Er packte mich an den Hüften und schleuderte mich gegen die Wand. Für einen Moment blieb mir die Luft weg, ich ging zu Boden. Der Kerl setzte nach. Doch bevor er mich noch einmal erreichen konnte, trat ich ihm gegen das Knie und kam wieder hoch.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Milo mit zwei Gegnern zu tun hatte. Der eine lag bereits am Boden, mit dem anderen lieferte sich mein Freund einen wilden Boxkampf. Um Milo musste ich mir keine Sorgen machen. Beim Boxen ist er nicht so leicht zu schlagen - noch nicht einmal von Widersachern, die größer und stärker sind.
Mein Gegner humpelte nun, griff aber mit ungebrochener Energie an. Er war cleverer und schneller als sein weizenblonder Kumpan. Ich musste aufpassen. Schon hatte ich mir einen Treffer am Kinn eingefangen. Mir brummten die Zähne. Noch einmal wollte ich seine Faust nicht spüren. Ich täuschte an, durchbrach seine Deckung und traf ihn mit einer fixen Links-Rechts-Kombination genau auf den Punkt.
Er sackte in sich zusammen. Das Busenwunder hinter der Fitness-Theke begann hysterisch zu kreischen. Genau in diesem Moment kam ein Mann aus dem Umkleidebereich.
Er trat völlig anders auf als die Krawallbrüder, die uns mit ihren Fäusten empfangen hatten. Der Mann wirkte herrisch und überlegen, obwohl auch er nur einen Trainingsanzug trug. Doch man konnte ihn sich sehr gut in einem Maßanzug oder in einer Generalsuniform vorstellen. Eine Ausstrahlung von Autorität und Willensstärke umgab ihn. Zwischen diesem Mann und den hirnlosen Schlägertypen lagen Welten.
Er bellte ein paar Worte in einer unbekannten Sprache, vermutlich Ukrainisch. Sofort herrschte Ruhe. Die Kerle ließen ihre Fäuste sinken. Die Blonde jammerte leise in derselben Sprache wie der Mann und deutete mit zitterndem Zeigefinger auf uns.
Ich zeigte meinen FBI-Ausweis.
»Agent Jesse Trevellian vom FBI New York. Das ist mein Kollege Milo Tucker. Werden Bundesbeamte hier stets so warmherzig empfangen?«
Der Mann warf der Blonden einen Unheil verkündenden Blick zu. Dann schaltete er ein geschäftsmäßiges Lächeln ein.
»Ich muss mich für diese ungestümen jungen Leute entschuldigen, Agent Trevellian. Sie wussten gewiss nicht, dass sie es mit Vertretern der Staatsmacht zu tun hatten. Brooklyn ist ein raues Pflaster, wie Sie wissen. Hier werden die Terrains abgesteckt und es gibt immer wieder Revierkämpfe.«
»Und das hier ist Ihr Revier, nehme ich an.«
»Ich habe die Regeln nicht gemacht, Agent Trevellian. Und ich lehne Gewalt ab. Ich bin ein ehrlicher Geschäftsmann und Steuerzahler.«
»Haben Sie eigentlich auch einen Namen?«
»Verzeihung, wo habe ich nur meine Gedanken? Ich bin Pjotr Lukin.«
Ich hatte mir schon gedacht, dass dieser Mann unser Verdächtiger war. Erst jetzt fiel mir der Fechtsack auf, den er in der Hand hielt. Ich deutete auf das Behältnis.
»Bewahren Sie darin Ihre Degen auf?«
»Säbel, Agent Trevellian, Säbel. Ich bin ein Säbelfechter. Obwohl ich zugeben muss, dass ich auch mit einem Degen umgehen kann.«
»So wie der Mörder von Michail Banukov«, bemerkte Milo trocken. Er wischte sich Blut von der Unterlippe, wo ihn eine Faust getroffen hatte.
Lukin wandte sich Milo zu. Er spielte immer noch die Unschuld vom Lande. Aber sein Lächeln war so falsch wie eine Drei-Dollar-Note. Der Blick seiner eisgrauen Augen war stahlhart. Dieser Mann wusste, was er wollte. Und er nahm es sich ohne Rücksicht auf Verluste. Das sagte mir meine Menschenkenntnis.
»Ich hörp diesen Namen zum ersten Mal, Agent Tucker.«
»Wirklich? So hieß der Mann, der ermordet in der Gasse neben Ihrem Reisebüro auf gefunden wurde.«
»Eine schreckliche Geschichte, ich hörte davon. Aber was will man machen? New York ist eine sehr gewalttätige Stadt. Ich kann nichts dafür, dass dieser arme Mensch direkt neben meinem Geschäft umgebracht wurde.«
»Er wurde nicht dort ermordet, nur abgelegt. Könnte das eventuell eine Botschaft an Sie gewesen sein, Mister Lukin?«, fragte ich. Während sich das Gespräch mit Lukin entwickelte, hatten sich die Schläger und auch die blonde Frau aus dem Staub gemacht. Wir waren nun allein mit dem Geschäftemacher und Hobbyfechter. Das konnte mir nur recht sein. Lukin war hier die Hauptfigur. Die Krawallmacher waren höchstens seine Helfershelfer.
Lukin hob die Augenbrauen.
»Wer sollte eine Botschaft an mich richten wollen, Agent Trevellian? Glauben Sie etwa, dass alle Osteuropäer mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben? Das ist ein Vorurteil, gegen das ich mich verwahren muss.«
»Wir haben keine Vorurteile, sondern sammeln Fakten. Sie sagten gerade selbst, hier würden Revierkämpfe ausgetragen.«
»Ja, aber nur zwischen diesen dummen jungen Leuten. In dem Alter hat man doch jede Menge Unsinn im Kopf. Damit habe ich nichts zu tun. Ich komme nur zum Trainieren her.«
»Dafür genießen Sie aber ziemlich viel Autorität hier. Sind Sie sicher, dass Ihnen das Kiew Gym nicht auch gehört?«
»Mein Kollege meint, dass Sie bei Ihren zahlreichen Geschäften schon mal den Überblick verlieren können«, fügte Milo hinzu. Aber Lukin blieb aalglatt.
»Ich betreibe verschiedene Unternehmen. Das ist doch nicht verboten. Was genau unterstellen Sie mir eigentlich, Agents?«
»Wir unterstellen Ihnen gar nichts. Sie behaupten also, diesen Mann noch niemals gesehen zu haben?«
Während ich fragte, zeigte ich ihm das Foto von Banukovs Leiche. Lukin zuckte noch nicht einmal mit der Wimper. Ich glaubte, dass er sein Mienenspiel besser im Griff hatte, als das bei Ludmilla Krailova der Fall war. Oder wusste er wirklich mit Banukov nichts anzufangen? Auch diese Möglichkeit mussten wir berücksichtigen. Vielleicht gab es noch einen ganz anderen Zusammenhang, den wir bisher nicht erkannt hatten.
Wenn nun jemand die Leiche bewusst neben dem Reisebüro abgelegt hatte, um uns aufs Glatteis zu führen? Auch diese Möglichkeit mussten wir berücksichtigen. Ich konzentrierte mich jetzt zunächst auf Lukins Worte.
»Das ist also dieser Banukov? Ich bedaure, Agent Trevellian. Aber ich kenne ihn wirklich nicht. Ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich könnte. Aber ich weiß nichts über Banukov.«
»Wo waren Sie in der Nacht von Montag auf Dienstag zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens?«
»Ist das die Zeit, in der Banukovermordet wurde? Ich verstehe, Sie müssen diese Frage vermutlich allen Verdächtigen stellen. Ich weiß bloß nicht, warum ich verdächtig bin.«
»Das ist eine reine Routinefrage, Mister Lukin.«
»Also gut, Agent Trevellian. Ich war während dieser Zeit mit einer Lady zusammen.«
»Dann kann diese Frau Ihr Alibi gewiss bestätigen.«
»Selbstverständlich. Allerdings habe ich nur ihren Vornamen zu bieten. Sie heißt Eileen.«
»Woher kennen Sie diese Miss Eileen, Mister Lukin?«
»Kennen ist vielleicht zu viel gesagt. Wir haben uns in einer Bar an der 42nd Street getroffen, fanden einander sympathisch und sind sozusagen übereinander hergefallen.«
»Haben Sie die Telefonnummer dieser Lady?«
»Ich hatte sie, Agent Trevellian. Dummerweise habe ich sie verloren. Dabei würde ich diese Liebesnacht gerne wiederholen.«
»Körperflüssigkeiten hinterlassen DNA-Spuren«, gab ich trocken zurück. »Wir könnten auf diese Weise die Identität der Frau ermitteln.«
»Gewiss, die Wissenschaft vollbringt heutzutage Erstaunliches. Nur leider fand meine - Begegnung mit Eileen in ihrem Auto statt.«
Milo seufzte und rollte mit den Augen. Seine Geduld war beinahe am Ende.
»Und was für einen Schlitten fuhr diese Eileen?«
»Einen Chevrolet mit New Yorker Kennzeichen, der Wagen war dunkel lackiert. Wie gesagt, es war fantastisch mit ihr. Daher habe ich nicht auf Einzelheiten des Autos geachtet.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte ich und klappte mein Notizbuch zu. »Mister Lukin, das wäre alles für den Moment. Es kann sein, dass wir Sie später noch einmal befragen müssen.«
»Tun Sie das ruhig, Agents. Ich bin froh, wenn ich als gesetzestreuer Bürger bei der Aufklärung von Verbrechen mitwirken kann.«
Es blieb uns nichts anderes übrig, als Lukins Hohn zu ertragen. Milo hielt ihn ebenso wie ich für einen äußerst zwielichtigen Zeitgenossen. Nur beweisen konnten wir ihm nichts - jedenfalls noch nicht.
Wir verließen das Gym und zogen in einem nahe gelegenen Diner bei einem starken Kaffee eine Zwischenbilanz.
»Lukin verbirgt etwas«, stellte ich fest. »Ich wette, dass es eine Verbindung zwischen ihm und Banukov gibt. Wir müssen unbedingt mehr über das Opfer erfahren. Warum kam er in die Staaten? Und warum hat er sich einen falschen US-Pass beschafft? Wollte er nicht in die Ukraine zurückkehren? Und wenn das so war, aus welchem Grund?«
Milo nickte.
»Ja, Jesse. Wir sollten Kontakt zu den ukrainischen Kollegen auf nehmen. Vielleicht war Banukov in seinem Land kein unbeschriebenes Blatt. - Lukin gefällt mir nicht, aber wir sollten andere Täter nicht ausschließen. Lass uns doch gleich mal die Leute in dem Bürogebäude auf der anderen Seite der Gasse befragen. Vielleicht hat ja doch einer von denen etwas gesehen.«
Ich stimmte sofort zu. Wir fuhren zu dem Gebäude, das von Lukins Reisebüro nur durch die schmale Gasse getrennt war. Jetzt, am späten Vormittag, wurde in den verschiedenen Kleinfirmen an der West 47th Street gearbeitet. Doch keiner der Angestellten wollte etwas gesehen haben - bis auf den Hausmeister.
Er war ein hagerer Graubart namens Alfredo Sordi. Wie sich herausstellte, bewohnte er ein winziges Apartment im obersten Stockwerk des Bürohau-s
ses.
»Ich bin hier so eine Art Mädchen für alles, G-men. Ich muss den Betrieb am Laufen halten, deshalb darf ich auch in meinem Penthouse da oben logieren. Allerdings muss ich zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung stehen, wenn es Probleme gibt.«
»Was genau haben Sie bemerkt, Mister Sordi?«, fragte ich.
»Ich bin nachts auf gestanden, weil ich nicht schlafen konnte.- Plötzlich hörte ich, wie ein Wagen am Eingang der Gasse rangierte.«
»So etwas hören Sie vom obersten Stockwerk aus?«
»Ja, G-man. Meine Augen sind nicht mehr die besten, aber dafür funktionieren meine anderen Sinnö noch alle sehr gut. Es kommt nicht oft vor, dass eine Karre hier quer über den Gehweg fährt. Wie denn auch, tagsüber ist der ganze Bordstein bis zur Ecke völlig zugeparkt.«
»Aber in der Nacht war das nicht der Fall?«
»Exakt. Ich habe also mein Küchenfenster hochgeschoben und einen Blick riskiert. Da sehe ich einen Van, der mit dem Heck zur Gasse auf dem Bürgersteig hält. Dann steigt der Fahrer aus und öffnet die Heckklappen. Da war mir sofort klar, was der Mistkerl vorhat.«
»Nämlich?«
»Illegal Müll entsorgen, was sonst? Jedenfalls dachte ich das in dem Moment. Die Strafen dafür sind doch drastisch angehoben worden. Mit Recht, finde ich. Ich hasse diese Kanaillen, die überall ihren Krempel entsorgen. Ich wollte ihm erst etwas zurufen. Aber dann konnte ich mir noch rechtzeitig auf die Zunge beißen. Ich will keinen Ärger, und der Kräftigste bin ich ja auch nicht.«
»Und die Cops haben Sie auch nicht gerufen?«
Sordi grinste schief.
»Die Cops haben nachts in Manhattan gewiss Wichtigeres zu tun, als sich um illegalen Müll zu kümmern.«
»Warum haben Sie sich denn nicht gemeldet, als hier die Leiche gefunden wurde?«
»Ich dränge mich ungern auf. Außerdem - jetzt reden Sie doch sowieso mit mir, oder nicht?«
Dieser Sordi schien mir ein etwas schwieriger Barsche zu sein. Ich wollte ihn nicht verärgern. Also fragte ich: »Können Sie mir den Van-Fahrer näher beschreiben?«
»Ob er groß oder klein war, kann ich unmöglich sagen. Ich habe ihn ja nur von oben gesehen. Auf jeden Fall trug er dunkle Klamotten.«
»Und der Lieferwagen, Mister Sordi?«
»Das war einer von diesen kleinen japanischen Vans, ein Suzuki oder Mitsubishi. Helle Lackierung, mehr weiß ich auch nicht.«
Die Informationen waren nicht gerade üppig, bestätigten aber immerhin unsere Annahmen. Ich gab dem Hausmeister meine Visitenkarte und bat darum, mich anzurufen, falls ihm noch etwas einfallen sollte.
***
Wir kehrten an die Federal Plaza zurück. Nachdem wir uns mit einem schnellen Schinken-Sandwich gestärkt hatten, rief ich bei der Kriminalmiliz in Kiew an. Durch die Zeitverschiebung war es in der Ukraine natürlich Nacht. Doch genau wie bei uns arbeitet die Polizei dort rund um die Uhr. Ich hatte Glück und erwischte einen leidlich englisch sprechenden Kollegen. Er stellte sich mir als Major Wolusov vor. Natürlich hätte ich die Informationen über Banukov auch auf dem Dienstweg anfordern können. Aber so etwas dauerte Tage oder Wochen. Da war ein kurzes Telefonat zwischen zwei Polizisten schon sinnvoller.
Ich hörte das Klackern der Computertastatur in der fernen Ukraine, »Ich hole mir gerade Michail Banukovs Akte auf den Bildschirm«, erklärte Major Wolusov. »Dann jagen Sie also seinen Mörder, Agent Trevellian?«
»So ist es, Major. Und wir müssen so viel wie möglich über das Opfer erfahren.«
»Nun, Banukov hatte - wie sagt man auf Englisch? - kein weißes Hemd.«
»Keine weiße Weste, meinen Sie wahrscheinlich.«
»Genau, Agent Trevellian. Also, offiziell war Banukov Kunst- und Antiquitätenhändler. Er hatte sogar ein Ladengeschäft hier in Kiew. Ein braver Bürger, der Steuern bezahlte. Doch er steckte tief im Sumpf.«
»Was bedeutet das?«
»Er fragte nicht, woher die Kunstwerke stammten, mit denen er handelte. Er war ein Hehler. Aber er gab sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden. Bei ihm ging es um Hunderttausende. Und zwar um Hunderttausende von Dollars, nicht von Griwnas. Das ist unsere Währung. Mickymausgeld, wie Sie es nennen würden. Es ist nicht viel wert.«
»Konnten Sie ihm nichts nachweisen, Major?«
»Nein. Banukov wurde öfter angeklagt, aber es kam niemals zum Prozess. Entweder zog jemand die Anzeige zurück oder es verschwanden wichtige Zeugen. Manchmal reicht der Anruf eines einflussreichen Politikers, um bei uns einen Verbrecher ungeschoren davonkommen zu lassen.«
Der ukrainische Kollege tat mir leid. Es war gewiss kein Vergnügen, unter solchen Umständen Polizeiarbeit leisten zu müssen.
»Was hat Banukov nach New York geführt? War er früher schon öfter in den USA?«
»Nein, Agent Trevellian. Es war sein erster Amerika-Trip. Banukov hatte ein offizielles Visum Ihres Landes und ist mit seinem ukrainischen Reisepass ausgereist. Das geht aus meinen Datensätzen eindeutig hervor.«
»Können Sie den Zweck seiner Reise herausfinden, Major Wolusov?«
»Ich kann es zumindest versuchen. Vielleicht lassen sich seine Angestellten von mir einschüchtern - jetzt, da ihr Chef tot ist. Sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe, schicke ich Ihnen eine E-Mail.«
»Das wäre gut. - Was für ein Mensch war Banukov eigentlich? Können Sie mir darüber etwas sagen?«
»Persönlich habe ich ihn nicht gekannt. Aber nach Aktenlage ist er für seinen Vorteil über Leichen gegangen. Seine Spezialität war wohl der Handel mit gestohlenen Kunstwerken, wobei es zum Teil auch Auftragsverbrechen waren. Wenn im Museum ein Wachmann im Weg stand, wurde nicht lange gefackelt. Ich weiß nicht, ob Banukov jemals selbst einen Mord begangen hat. Aber er war zumindest an mehreren Gewaltverbrechen indirekt beteiligt.«
»Sie haben mir schon sehr geholfen, Major.«
»Das ist doch selbstverständlich unter Kollegen. - Findet eigentlich momentan in New York ein Fechtturnier statt?« , »Nicht, dass ich wüsste. Warum?«
»Ich lese in seiner Akte, dass Michail Banukov ein begeisterter Amateur-Fechter war. Er hat für die Ukraine mehrfach an internationalen Wettkämpfen teilgenommen. Vielleicht ist er einfach in Ihre Stadt gekommen, um zu fechten.«
***
Milo hatte über Lautsprecher das Telefonat mitgehört. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, sagte er: »Ob Banukov in New York gefochten hat, wissen wir noch nicht. Auf jeden Fall hat er sich einen tödlichen Degentreffer eingefangen. Aber mir ist gerade noch etwas anderes eingefallen. So eine Fechtwaffe kann doch auch ein Kunstgegenstand sein, oder? Ich meine, wenn sie so richtig antik ist. Ein Degen aus früheren Jahrhunderten beispielsweise.«
»Ja, dieser Spur sollten wir auch nachgehen. Aber zunächst würde mich interessieren, wo Banukov in New York gewohnt hat. Wenn er offiziell unter seinem richtigen Namen eingereist ist, hat er den vielleicht auch beim Einchecken im Hotel benutzt.«
Wir begannen sofort mit der Suche und hatten Glück. Ich telefonierte ein Dutzend Hotels ab, von denen ich wusste, dass sie von Osteuropäern bevorzugt wurden.
»Ja, ein Gast namens Michail Banukov ist bei uns gemeldet. Wir haben ihn heute allerdings noch nicht gesehen.«
»Kein Wunder, er ist nämlich tot. Wir kommen sofort zu Ihnen.«
Mit diesen Worten beendete ich das Gespräch und stand auf. Milo folgte meinem Beispiel. Ich hatte mit einem kleinen Mittelklassehotel im East Village telefoniert. Das war gar nicht weit vom FBI Field Office, jedenfalls für New Yorker Verhältnisse. Allerdings hatten strömender Regen und der zusammenbrechende Autoverkehr für Chaos auf Manhattans Straßen gesorgt. Entsprechend lange benötigten wir für die Strecke zur Second Avenue, wo sich das Hotel befand.
Es war in einem unauffälligen Brownstone-Haus untergebracht und verfügte nur über 12 Zimmer. Das Hotel wirkte nicht übertrieben luxuriös, aber auch nicht schäbig. Es gehörte definitiv nicht zu den bekannten Kult-Häusern unserer Stadt, in denen Paparazzi ständig auf der Suche nach Prominenten sind, um sie heimlich ablichten zu können. Nein, dieses kleine Hotel war besser geeignet für Menschen, die kein Aufsehen erregen wollten. Und zu diesen Leuten hatte garantiert auch der undurchsichtige Banukov gehört.
An der Rezeption erwartete uns ein schläfriger dicklicher Latino. Wir zeigten ihm unsere Ausweise mit den drei großen blauen Buchstaben FBI.
»Michail Banukov?«, fragte ich.
»Zimmer sieben, erste Etage«, murmelte der Clerk. Ich erkannte seine Stimme wieder. Mit ihm hatte ich auch zuvor am Telefon gesprochen.
Wir stiegen die steile Treppe hinauf. Auf dem nur von wenigen matten Glühbirnen beleuchteten Hotelflur kam uns niemand entgegen. Doch schon von weitem sahen wir, dass etwas nicht stimmte.
Die Tür zu Zimmer sieben war aufgebrochen.
Milo und ich zogen unsere Dienstwaffen. Wir näherten uns dem Zimmer. Natürlich mussten wir damit rechnen, dass sich der Täter noch in dem Raum befand. Ich trat die angelehnte Tür mit dem Fuß auf, während Milo mir Deckung gab.
»FBI! Hände hoch!«
Wir hatten uns nicht geirrt. Der Einbrecher war noch in dem Hotelzimmer. Und er dachte gar nicht daran, sich zu ergeben. Eine Schusswaffe brüllte auf. Die Kugel verfehlte mich. Ich hatte meine SIG im Beidhandanschlag und erwiderte das Feuer. Ein gutes Schussfeld hatte ich nicht. Mir kam es hauptsächlich darauf an, den Täter in Deckung zu zwingen. Ob er allein war? Das würde sich in den nächsten Augenblicken zeigen.
Er feuerte seine Waffe noch einmal ab. Der beißende Geruch von Schießpulver lag in der Luft. Das Projektil des Täters blieb in dem Türstock wenige Inches neben meiner linken Schulter stecken. Ich bemerkte in dem Zimmer eine Bewegung. Glas klirrte.
»Er will durchs Fenster raus!«, rief Milo. »Ich schneide ihm den Weg ab!«
Mit diesen Worten rannte Milo zurück. Ich selbst drang weiter in das Zimmer vor, die Waffe schussbereit. Aber ein kurzer Rundblick zeigte mir, dass hier keine Gefahr mehr drohte. Die Fensterscheibe war zerbrochen, der Raum menschenleer. Eine Feuertreppe gab es nicht, wie ich nach einem vorsichtigen Blick aus dem Fenster feststellte. Aber außen an der Fassade gab es einen schmalen Sims, auf dem man sich fortbewegen konnte. Ich kletterte nach draußen. Der Wind riss an meinem Jackett. Da hörte ich schnelle Schritte.
Milo war im Hof unter mir aufgetaucht. Er schaute sich um, konnte aber offenbar den Flüchtenden ebenso wenig entdecken wie ich. Doch ich sah ihn zum Handy greifen. Vermutlich würde er Unterstützung anfordern, um den Verbrecher einzukreisen. Leider hatten wir so gut wie nichts von ihm gesehen. Schlanke Figur und dunkle Kleidung, mehr konnte zumindest ich nicht zur Personenbeschreibung beisteuern. Noch nicht einmal die Hautfarbe war zu erkennen gewesen.
Ich hatte meine Pistole wieder ins Holster geschoben. Um mich auf dem schmalen Sims schnell bewegen zu können, musste ich mich mit beiden Händen an der Mauer festhalten. Aber in welche Richtung war der Schütze geflüchtet?
Wahrscheinlich nach links, denn von der nächsten Ecke aus konnte man auf ein flaches Nachbardach springen. Allzu groß konnte der Vorsprung unseres Widersachers noch nicht sein. Ich spannte meine Muskeln an, um ebenfalls auf das andere Dach zu flanken.
»Vorsicht, Jesse!«
Milos Ruf stoppte mich im letzten Moment. Mein Freund stand breitbeinig auf dem Hof und zielte mit seiner Dienstwaffe auf das Nachbardach. Offenbar konnte er von seiner Position aus den Schützen sehen. Milo feuerte auf einen Kaminschlot. Dahinter hatte sich der Täter offenbar verborgen.
Wäre ich gesprungen, so hätte mich der Schuss des Verbrechers womöglich mitten in der Luft erwischt.
Der Dunkelgekleidete schoss nun seinerseits auf Milo. Ich selbst stand immer noch auf dem schmalen Sims wie auf dem Präsentierteller. Mein Freund ging in Deckung. Auf dem Nebendach hörte ich eine Metalltür klappen. Ob sich der Unbekannte auf den Dachboden abgesetzt hatte? Ich wollte jetzt den Sprung riskieren.
Im nächsten Moment landete ich auf dem Nachbardach, rollte ab und zog meine Pistole. Ich hatte mich nicht getäuscht. Hinter dem Schornstein befand sich ein gemauerter Zugang zum Dachboden, dessen stählerne Pforte offen stand.
Ich spähte vorsichtig hinein. Dort herrschte ein schummriges Halbdunkel. Ich stieg über die schmale Hühnerleiter im Inneren auf den Dachboden hinab. Dabei erwartete ich, jeden Moment wieder unter Feuer zu geraten.
Doch der Täter hatte sich nun offenbar für die Flucht entschieden. Wenn er nicht völlig dumm war, musste ihm klar sein, dass wir Verstärkung anfordern und den gesamten Block in kurzer Zeit abriegeln konnten. Er musste fix sein, wenn er zuvor entkommen wollte.
Ich verließ den Dachboden und eilte durch das Treppenhaus hinunter. Nirgendwo erwartete mich ein Heckenschütze. Es deutete auch nichts darauf hin, dass der Verbrecher in eines der Apartments eingedrungen war.
Schließlich gelangte ich auf die Straße. Dort schaute ich in alle Richtungen. Aber von dem Flüchtenden fehlte jede Spur. Dafür kam im nächsten Moment Milo angehetzt.
»Das NYPD hatte gerade einen Großeinsatz am Times Square, falscher Bombenalarm. Es dauert ein paar Minuten, bis sie uns Patrolcars schicken können.«
»In ein paar Minuten brauchen wir keine Verstärkung mehr, Milo. Der Täter ist jetzt schon über alle Berge.«
»Das schätze ich auch, Jesse. Ich bin gespannt, was der Portier uns zu sagen hat.«
Wir kehrten zum Hotel zurück. Der Latino war nun helltvach, denn die Schüsse hatten offenbar seinen Schönheitsschlaf empfindlich gestört. Er gab zu, kurz vor unserer Ankunft eingenickt gewesen zu sein.
»Es könnte sein, dass sich jemand unbemerkt ins erste Stockwerk geschlichen hat«, räumte der Hotelangestellte kleinlaut ein.
»Dann haben Sie also niemanden bemerkt?«
Er schüttelte nur den Kopf. Vermutlich musste er für den Mindestlohn arbeiten, denn die kleineren Hotels zahlten nicht gerade üppig. Sollte ich auf ihn sauer werden, weil er während der Arbeitszeit geschlafen hatte? Das brachte uns nicht weiter.
Wir forderten auf jeden Fall die Spurensicherung an, um das Zimmer zu checken. Selbst wenn ein Täter besonders vorsichtig vorgeht, hinterlässt er meist DNA-Spuren. Wenn er sich bereits in unserer Datenbank befindet, ist ein Abgleich dann meist ein Kinderspiel für unsere Experten. Doch zunächst schauten wir uns selbst dort flüchtig um.
Das Hotelzimmer unterschied sich durch nichts von Tausenden ähnlicher Räume in ganz Manhattan. Es war mäßig sauber. Banukov hatte seinen Koffer offenbar ausgepackt und seine Kleidung und persönlichen Gegenstände in den Schrank geräumt.
»Ein Fechtanzug und eine Fechtmaske«, sagte ich und trat zur Seite, damit auch Milo einen Blick in den Schrank werfen konnte.
»Dann wollte Banukov vielleicht mit jemandem hier in New York die Klingen kreuzen«, mutmaßte mein Freund. »Ob dieser Jemand etwas anderes im Sinn hatte als einen sportlichen Wettstreit?«
Außer der fechttypischen Schutzkleidung hatte Banükov ganz normale Kleidung besessen. Er war gut, aber nicht allzu auffällig gekleidet gewesen. Offenbar gehörte Banukov zu Lebzeiten zu den Kriminellen, die Unauffälligkeit für die beste Tarnung halten. Damit hatte er längerfristig mehr Erfolg als die Selbstdarsteller unter den Verbrechern, die mit vergoldeten Maschinenpistolen oder protzigem Schmuck letztlich nur die Strafverfolgung erleichterten. Sie spielten uns mit ihrer Renommiersucht in die Hände, ohne sich darüber im Klaren zu sein.
Ich tastete ein Jackett ab, das im Schrank auf einem Bügel hing. In den Taschen befanden sich Kugelschreiber, Einweg-Taschentücher und anderer Kleinkram. Doch dann fiel mir plötzlich etwas auf.
»Milo, auf der Innenseite ist eine Naht geplatzt. Und etwas ist ins Jackenfutter gerutscht - hier, eine Visitenkarte.«
Ich fischte das kleine Pappstück mit Daumen und Zeigefinger meiner Rechten vorsichtig heraus. Schließlich musste es ja später noch kriminaltechnisch untersucht werden.
»Okarina Fine Arts«, las Milo. »Das ist offenbar eine Galerie oder Kunsthandlung im East Village. Ein Geschäftskontakt von Banukov?«
»Das wird sich zeigen. Lass uns erst noch weitersuchen.«
Ich übertrug die Adresse und Telefonnummer in mein Notizbuch, damit wir die Visitenkarte den Kollegen von der Scientific Research Division überlassen konnten. Wenig später wurde Milo ebenfalls fündig. Er entdeckte in einem Seitenfach von Banukovs Koffer eine Ledermappe und schlug sie auf.
»Schau mal, Jesse. Fechter unter sich.«
Milo zeigte mir ein Foto. Darauf waren Banukov und ein unbekannter Mann zu sehen. Beide trugen Fechtanzüge, hatten ihre Fechtmasken unter dem Arm und bereiteten sich offenbar auf einen Kampf vor. Sie lächelten sich an und hielten ihre Degen in den Händen.
»Banukov hat als Ärmelaufnäher die ukrainische Nationalflagge«, stellte ich fest. »Der andere Mann trägt unsere ›Stars and Stripes‹. Demnach wird er ein amerikanischer Fechter sein.«
»Vielleicht sogar ein New Yorker, wenn wir Glück haben«, pflichtete Milo mir bei. »Auf jeden Fall können wir nach ihm fahnden.«
Milo fotografierte die Aufnahme mit seiner Handy-Kamera ab, denn selbstverständlich musste auch das gefundene Foto kriminaltechnisch untersucht werden. Im Hintergrund des Bildes waren weitere Fechter sowie die Wände einer Sporthalle zu sehen. Wahrscheinlich war es während eines Fechtturniers aufgenommen worden.
***
Wenig später trafen die Kollegen von der Spurensicherung ein. Sie versprachen, uns so bald wie möglich die Ergebnisse ihrer Arbeit zukommen zu lassen. Wie ich es schon erwartet hatte, war die Sofortfahndung nach dem flüchtenden Täter ergebnislos verlaufen. Das hatte ich schon befürchtet.
Wir fuhren zunächst zu der Galerie.
»Was hat der Mistkerl wohl in dem Hotelzimmer gesucht?«, dachte Milo laut nach, als wir in meinem Sportwagen-E-Hybriden saßen.
»Wahrscheinlich etwas, das Banukov ihm verkaufen wollte. Oder es ging ihm darum, Hinweise auf seine Person zu beseitigen. Vielleicht wollte er auch nur eine falsche Fährte legen. Ich habe mich übrigens noch gar nicht für deine Warnung bedankt. Ohne dich hätte mich der Täter mitten im Sprung vom Dach geknallt, Milo.«
»Ach, wir haben uns schon so oft gegenseitig das Leben gerettet, wir sind mehr als quitt. - Für mich steht nun fest, dass es eine Beziehung zwischen Banukov und seinem Mörder gegeben hat. Wenn wir diesen Zusammenhang aufdecken, dann haben wir auch den Täter.«
Da konnte ich meinem Freund nur zustimmen. Wir trafen wenig später im East Village bei der Okarina Fine Arts Galerie ein. Die Panorama-Schaufenster wurden vermutlich alle paar Tage von einem erstklassigen Fensterputzer gereinigt. Von der Straße aus waren einige raffiniert ausgeleuchtete Gemälde und Skulpturen zu sehen.
Wir traten ein. Das kunstsinnige Publikum schien an diesem Tag in anderen Teilen von Manhattan unterwegs zu sein. Jedenfalls war niemand zu sehen. Ob uns eine ähnliche Überraschung wie in dem Reisebüro erwartete?
Doch ich verwarf diesen Gedanken sofort wieder, denn nun kam eine Frau auf uns zu. Sie war jung, blond und attraktiv. Zu Jeans und Rollkragenpulli trug sie eine Brille mit Designergestell. Sie verzichtete auf unnötiges Styling, ohne dadurch wie eine graue Maus zu wirken.
»Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?«
Wir zeigten unsere FBI-Dienstmarken und stellten uns vor.
»Kennen Sie einen gewissen Michail Banukov, Miss…«
»Mein Name ist Lynn Woodward, Agent Trevellian.« Ihr hübsches Gesicht verhärtete sich. »Ja, ich kenne Mister Banukov - leider.«
»Wie meinen Sie das?«
Lynn Woodward seufzte und rollte mit den Augäpfeln. Es war, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. Dann machte sie eine umfassende Geste mit den Armen.
»Schauen Sie sich um, Agents. Das hier ist meine Welt. Viele Menschen können mit Kunst nichts anfangen, aber für mich ist Kunst mein Leben. Leider habe ich selbst kein Talent, um Künstlerin zu sein. Aber ich habe Kunstgeschichte studiert und freue mich, wenn ich die Kunden dieser Galerie gut beraten kann.«
»Okay, das verstehe ich. Aber was hat das mit Banukov zu tun?«
»Für Banukov ist Kunst bloß ein Mittel, um Geld zu scheffeln - und zwar in großen Mengen! Er ist ein Geschäftemacher. Er handelt mit Kunstwerken, aber er hat die gleiche Einstellung wie ein Drogendealer. Ihm geht es nur um seinen Profit, um nichts anderes.«
Lynn Woodward stieß diese Worte voller Abscheu hervor, aber ich schüttelte den Kopf.
»Jetzt nicht mehr, Miss Woodward.«
»Warum nicht?«
»Michail Banukov ist tot. Er wurde ermordet.«
Ich hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als die junge Frau auch schon in Tränen ausbrach. Diese Gefühlsaufwallung kam für uns völlig überraschend. Ich reichte ihr ein Papiertaschentuch. Wir mussten mit der weiteren Befragung warten, bis sie sich halbwegs beruhigt hatte.
»Haben Sie Banukov nahe gestanden?«, fragte ich, nachdem Lynn Woodward ihre Tränen getrocknet hatte. Sie schniefte.
»Nein, überhaupt nicht. Er ist - war ein schrecklicher Mensch, raffgierig und selbstsüchtig. Aber deshalb wünsche ich ihm doch nicht den Tod.«
Ich schaute in ihr hübsches Gesicht. Lynn Woodward lebte offenbar so sehr in ihrer idyllischen Welt der schönen Künste, dass die harte New Yorker Wirklichkeit von Mord und Totschlag ein Schock für sie sein musste. Aber sie versuchte, sich zusammenzunehmen. Das spürte ich ganz deutlich.
»Fragen Sie nur, Agents. Schonen Sie mich nicht. Ich will Ihnen alles sagen, was dazu beitragen kann, Banukovs Mörder zu finden. Das ist doch selbstverständlich. Sie müssen mich nicht für weltfremd halten, nur weil ich Kunst verkaufe.«
»Woher wissen Sie, dass wir ihn noch nicht haben, Miss Woodward?«
»Sagen Sie doch Lynn, bitte. - Das habe ich mir zusammengereimt. Wären Sie sonst hier?«
Ich musste lächeln. Lynn Woodward hatte eine Mischung aus Naivität und Empfindsamkeit an sich, die mir gefiel. Sie war selbst so eine Art kleines Gesamtkunstwerk. An so eine Frau erinnerte man sich auch noch, wenn der Fall längst abgeschlossen war.