KZ Dachau - Sales Hess - E-Book

KZ Dachau E-Book

Sales Hess

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Beschreibung

Eindrucksvoll und authentisch sind die Erinnerungen des Benediktinerpaters Sales Hess an seine vierjährige Gefangenschaft im Konzentrationslager Dachau. Das Buch entstand nur wenige Monate nach seiner Entlassung aus dem Lager. Es rührt an und bewegt zutiefst, es erzählt von den Erfahrungen und Erlebnissen jenseits der Menschlichkeit, aber auch von Momenten ehrlichen Mitgefühls unter den Leidensgenossen. Sales Hess beschreibt, wie das feste Vertrauen auf Gott ihn und seinen Mithäftlingen Schmerz und Demütigung ertragen und überleben liess. Er möchte mit diesem Erfahrungsbericht nicht anklagen, sondern erinnern und mahnen. Und er lässt uns nicht vergessen, dass auch in unseren dunkelsten Stunden Gott niemals fern ist.

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Seitenzahl: 281

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Sales Hess

KZ-Dachau

Eine Welt ohne Gott

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2014

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Dr. Matthias E. Gahr

Umschlagfoto: ftlaudgirl/Fotolia.com

ISBN 978-3-87868-199-1 (print)

ISBN 978-3-89680-976-6 (epub)

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zu dieser Neuausgabe
Der Autor P. Dr. phil. Sales Hess OSB
Die Kongregation von St. Ottilien wird vernichtet
Die Vorgänge in Münsterschwarzach
Die Aktion der Rundbriefe
Die Gestapo fandet
Tage der Trübsal
Dachau in Aussicht
Ankunft im Lager
Auf dem Zugangsblock
Eine heilige Insel
Auf Block 26
Kleine und große Wirbel
Lagerstrafen
Nachäffung der Peinigung Christi
Ein Weihnachten in Armut
Düstere Anzeichen
Invalidentransporte 1942
Kommando Plantage
Hunger! Hunger!
»Aus Abgrundtiefen ...«
Kampf gegen das Hungergespenst
Die Rettung
Das Revier, ein Ort des Grauens
Bunker und Krematorium
Häftling und Religion
Primiz im KZ
Schwindel ohne Ende
Einzelschicksale
Typhus im Lager
Photograph auf der Plantage
Fleckfieber, ein neuer Würger
Drangvoll fürcherliche Enge
»Sie sind entlassen!«
Heimwärts

Vorwort zu dieser Neuausgabe

Im Jahr 2013 feiern die Mönche von Münsterschwarzach das 100-jährige Jubiläum der Wiederbesiedelung der Benediktinerabtei am Main (1913 bis 2013).

Zu den düstersten Tagen dieser Zeit gehören die Aufhebung der Abtei durch das nationalsozialistische Regime und die Verbannung, Verschleppung und Gefangennahme von Mitbrüdern. Das vorliegende Buch des Münsterschwarzacher Benediktiners Pater Sales Hess steht exemplarisch für die zahlreichen Einzelschicksale der Menschen in diesen Zeiten.

Für seine Rundbriefaktion, in der er Freunden und Spendern der Abtei deren Aufhebung durch die Nazis am 9. Mai 1941 mitteilte, wurde er von der Gestapo am 31. Mai 1941 verhaftet und nach Untersuchungshaft in Würzburg am 12. September 1941 in das Konzentrationslager Dachau gebracht.

Am 28. März 1945 wurde Pater Sales mit einundzwanzig anderen Geistlichen aus dem Konzentrationslager entlassen. Nur wenige Monate später, im November 1945 schrieb er seine Erlebnisse nieder und bereits im Frühjahr 1946 erschien das Buch – als eines der ersten Bücher über die Geschehnisse im Konzentrationslager Dachau.

Das Buch war, nach den Angaben des Autors in seinem Vorwort zur dritten Auflage 1985, in seiner ersten Auflage 1946 im Sebaldus-Verlag in Nürnberg in einer Auflagenhöhe von 10.000 Exemplaren erschienen – und innerhalb von drei Wochen ausverkauft.

Für eine zweite Auflage lagen – so der Autor – 50.000 namentliche Bestellungen vor. Aufgrund des Mangels an Papier konnte eine zweite Auflage erst nach Einführung einer neuen Währung 1948, wiederum in einer Auflagenhöhe von 10.000 Exemplaren erscheinen.

Die dritte Auflage, die 1985, also vierzig Jahre nach der Aufhebung des Konzentrationslagers erschien, war eine technische Reproduktion der zweiten Auflage.

Die unvorstellbaren Grausamkeiten, von denen in diesem Buch berichtet wird, mögen heute manche erschrecken – sie sind nach wie vor ein Teil unserer Geschichte, aus der es gilt, zu lernen.

Die Zeiten haben sich geändert; den großen Mut, für die eigene Überzeugung einzustehen, braucht es dennoch immer wieder.

Mögen alle Leserinnen und Leser – so war es der Wunsch des Autors in seinem Vorwort zur dritte Auflage – »großen Trost aus diesem Buche schöpfen!«

Der Autor P. Dr. phil. Sales Hess OSB

1. Mai 1899

Geburt als Johann Sigmund Hess in Sassanfahrt (Erzdiözese Bamberg)

1911

Eintritt in das Missionsseminar (Gymnasium der Benediktiner) in St. Ludwig bei Volkach

1914

Besuch des Gymnasiums der Benediktiner in St. Ottilien

1916

Besuch des Gymnasiums in Dillingen, dann Einberufung zum Militär, nach dem Ersten Weltkrieg Reifeprüfung in Lohr am Main.

28. September 1919

Aufnahme in das Kanonische Noviziat der Abtei Münsterschwarzach

3. Oktober 1920

Zeitliche Profess

1920 bis 1923

Studium der Philosophie in St. Ottilien

7. Oktober 1923

Ewige Profess

1922 bis 1926

Studium der Theologie in Würzburg

19. März 1925

Priesterweihe in St. Michael in Würzburg

1926

Präfekt und Lehrer am Gymnasium St. Ludwig

1929 bis 1934

Philologische Studien (Deutsch, Latein, Griechisch und Geschichte) an der Universität Würzburg mit anschließendem Staats- und Doktorexamen in Geschichte

1934 bis 1940

Lehrtätigkeit am Gymnasium St. Ludwig

12. Mai 1941

P. Sales wird im Zug der Aufhebung der Abtei Münsterschwarzach als Kaplan nach Rimpar (bei Würzburg) angewiesen.

31. Mai 1941

Verhaftung in Rimpar; zunächst Untersuchungshaft in Würzburg, dann Überführung in das KZ Dachau.

28. März 1945

Entlassung aus dem KZ Dachau

1946 bis 1972

Direktor und Lehrer am Egbert-Gymnasium in Münsterschwarzach.

21. März 1989

Die Kongregation von St. Ottilien wird vernichtet

Von den Türmen des Klosters Münsterschwarzach läuten am 20. März des Jahres 1941 um 7 Uhr 10 die Glocken zum Konventamt wie an allen Werktagen.

Die Chormönche eilen zur Statio in den Westteil des Kreuzgangs und sammeln sich dort, äußerlich und innerlich, zum heiligen Dienst. Mit der Kapuze auf dem Haupt, und angetan mit der langen Kukulle, blicken sie ernst vor sich hin. Jeder denkt an das hl. Opfer. Beim Schlag der Glocke um 7 Uhr 15 werden alle Kapuzen zurückgeschlagen, der Konvent zieht, mit dem Abt und den Obern voran, ins Gotteshaus.

Aber heute stockt der Zug. Abt Burkard Utz wendet sich zu den Chormönchen. Er hat ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. »Liebe Mitbrüder«, sagt er, »soeben kommt die traurige Nachricht, dass gestern am 19. März unser Priorat Meschede im Sauerland von der Gestapo beschlagnahmt worden ist. P. Prior Alban Buckel und zwei Patres sind verhaftet; die übrigen Insassen wurden nach St. Ottilien verschickt. Wir wollen die schwer heimgesuchten Mitbrüder einschließen in unser Gebet und Opfer.«

Schrecken und Entsetzen auf allen Gesichtern! Niemand spricht ein Wort. Der Abt wendet sich, und der Chor der Mönche zieht durch den nördlichen Teil des Kreuzgangs in die Kirche.

Unsere Gedanken beschäftigen sich mit dem Schicksal Meschedes, des ersten Klosters unserer Kongregation, das von der Gestapo aufgehoben wurde. Wir haben heute eine gemeinsame Gebetsmeinung für das Konventamt. Die genügt. Unsere Herzen füllen sich mit Schmerz und Entrüstung. Vor dreizehn Jahren wurden unsere Mitbrüder von der Stadt Meschede dringend gebeten, dort ein Kloster zu gründen und die städtische Mittelschule für Knaben zu übernehmen. Schon im letzten Jahre wurden sie aus der Schule verdrängt, nun werden sie wie Verbrecher davongejagt.

Meschede ist nicht das erste Kloster, das durch die Gestapo aufgehoben wurde. Obwohl die Hitlerregierung im Konkordat den Bestand der Klöster garantierte, begann sie im Dezember 1940, unter nichtigen Vorwänden Klöster aufzuheben.

Das erste Kloster, das der wortbrüchigen Regierung zum Opfer fiel, war das Franziskanerkloster Frauenberg zu Fulda. Ich schrieb damals sofort nach Fulda an einen guten Freund, er möge mir zuverlässig berichten, warum das Kloster aufgehoben worden sei; in unseren Zeitungen wurde der Fall mit Stillschweigen übergangen. Der Freund berichtete, als Grund sei Übertretung der Lebensmittelgesetze angegeben worden. Ich schrieb daraufhin im Januar in unsere Abteichronik: »Selbst wenn diese Schuld vorliegt, darf man sich wundern über die verhängte Strafe. Gewöhnliche Bürger werden in solchen Fällen mit Kerkerstrafen belegt, noch nie aber wurde deswegen eine Familie von Haus und Hof verjagt. Wenn Frauenberg aufgelöst wurde, liegen andere Gründe vor. Das Ereignis wirkt wie ein Fanal.« Im Januar oder Februar hörten wir von der Aufhebung des Oblatenklosters Hünfeld unter ähnlichen nichtigen Vorwänden.

Doch zurück zu den Vorgängen des 20. März 1941. Noch im Laufe des Vormittags traf von St. Ottilien bei München, unserem Mutterkloster, eine ähnlich aufregende Nachricht wie die von Meschede ein. Auch dort war die Gestapo am 19. März erschienen und hatte die Räumung des Klosters in einer Woche verlangt. Es mussten fünfhundert Kinder aus den fliegerbedrohten Städten Norddeutschlands untergebracht werden.

Zwei Tage vorher hatte jedoch die Wehrmacht einen Flügel des Klosters für Lazarettzwecke belegt; sie ließ sich nicht verdrängen, und St. Ottilien atmete vorerst wieder auf. Ähnlich erging es Tutzing, dem Mutterhaus der Missionsbenediktinerinnen.

Mehr und mehr fürchteten wir für den Bestand unserer Klöster. Es vergingen zwei Wochen. Am Abend des 2. April, etwa um 21 Uhr 30, rollte ein Reiseomnibus in unseren Klosterhof und hielt vor dem Portal des Südflügels. Ein Auto der Polizei. Ihm entstiegen achtzehn Patres und zwei Brüder von unserer Schwesterabtei Schweiklberg bei Vilshofen, unter ihnen der gekrümmte P. Bruno und der hinkende P. Paulinus. Ernst und bittere Wehmut auf allen Gesichtern!

Gleich erfuhren wir das Schreckliche: Schweiklberg war diesen Morgen von der Gestapo aufgelöst worden. Armes Schweiklberg! Vor zehn Tagen erst war der junge Abt Thomas Graf gestorben. Rücksichtslos fand es die Gestapo nicht der Mühe wert, uns eine Nachricht zu schicken, damit wir hätten Quartier bereiten können. Wir nahmen die Patres trotzdem gern auf, nicht bloß als Mitbrüder, sondern als Bekenner Christi, die, wegen ihres Christusglaubens all ihrer Habe beraubt, ins Exil wandern mussten. Wir kondolierten mit der linken Hand, mit der rechten aber gratulierten wir.

In dem amtlichen Schriftstück, das dem damaligen Klosterobern, P. Prior Bonifaz, überreicht wurde, nannte die aufhebende Behörde, nämlich das Reichssicherheitshauptamt Berlin, drei Gesetze aus dem Jahre 1933 als Gründe für die Aufhebung. Die Abtei Schweiklberg wurde mit sämtlichen Vermögensobjekten samt lebenden und totem Inventar als beschlagnahmt erklärt.

Die Berichte der Mitbrüder waren erschütternd. Die Gestapo hatte es bei ihrem Überfall so eilig, dass sie die Vertriebenen nicht einmal zu Mittag essen lassen wollte! P. Prior Bonifaz musste lange bitten. Der Aufenthalt im Bezirk Niederbayern-Oberpfalz wurde ihnen verboten. Nach 2 Uhr zogen sie das letzte Mal in die Kirche und sangen bei schon verschlossenen Kirchentüren ein Tedeum. Man denkt unwillkürlich an die hl. Elisabeth, die ein Gleiches tat, als sie von ihrem Schloss Wartburg vertrieben wurde. Unter Tränen nahmen die Patres Abschied von den lieben Brüdern, die als Staatssklaven bleiben und weiterhin die anfallenden Arbeiten verrichten mussten.

Wir in Münsterschwarzach rechneten es uns als Ehre an, den vertriebenen Mitbrüdern Obdach gewähren zu können. Vater Abt Burkard versicherte in seiner nächsten Konferenz vor allen Klosterinsassen: »Solange wir in Münsterschwarzach noch einen Bissen Brot haben, freuen wir uns, diesen mit den Patres von Schweiklberg teilen zu dürfen.«

Wieder vergehen vierzehn Tage. Der 17. April wird zum schwärzesten Unglückstag für unsere teure und auch um das deutsche Vaterland so verdiente Kongregation. Am Morgen dieses Tages wurde unser Mutterkloster St. Ottilien aufgehoben. Die Begründung war noch fadenscheiniger als die von Schweiklberg. Es wurde einfach der Beschluss verlesen und ausgeführt. Verhaftet wurde niemand, der sicherste Beweis, dass keine Verfehlung gegen die sogenannten Gesetze vorlag. Die Patres wurden auf die Klöster Schäftlarn, Scheyern und Andechs verteilt. Vater Erzabt Chrysostomus Schmid wählte Schäftlarn bei München. Sein Protest hatte keinen Erfolg. Fünf Patres blieben für die Leitung des Wirtschaftsbetriebes zurück, mit ihnen die meisten Brüder, zur Arbeit in Haus und Hof. In den nächsten Monaten hörten wir von den Aufhebungen vieler anderer Klöster: Tutzing, der Abtei St. Matthias in Trier, der Abtei Gerleve in Westfalen, des Pallotinerklosters in Limburg, der Abtei der Benediktinerinnen in Eibingen (Rheingau), der meisten Häuser der Steyler Missionsgesellschaft und so weiter.

Allein in dem halben Jahr von Dezember 1940 bis Mai 1941 wurden 35 Klöster »beschlagnahmt«. Es handelte sich 1941 um die Aufhebung aller Klöster. Das Reichssicherheitshauptamt wollte für den Krieg gegen die Kirche vorarbeiten; er sollte nach dem erträumten Siege der Nazi ganz Deutschland religionsfrei machen. Während die Klosterinsassen zu Tausenden an den Fronten kämpften, wurde der »Dank des Vaterlandes« ihnen zuteil, indem man ihnen nach Diebesart in aller Stille Klosterheimat stahl. Gab es je eine Regierung, die niederträchtiger dachte und handelte als diese?

Einige Tage nach der Aufhebung der selbständigen Klöster unserer Kongregation, St. Ottilien, Schweiklberg, Meschede, wurden jeweils auch die zugehörigen abhängigen Häuser eingezogen. Zu St. Ottilien gehörte das Ottilienkolleg in München, das Studienseminar in Dillingen, die Klostermühle in Windach bei St. Ottilien, das Klostergut Wessobrunn in Oberbayern, das Haus Fernstein am Fernpass in Tirol. Schweiklberg besaß das Studienkolleg Bergfried, Meschede das Heim St. Ansgar in Paderborn.

So war Mitte April 1941 unsere ganze Kongregation in Deutschland vernichtet, Münsterschwarzach ausgenommen.

Die Vorgänge in Münsterschwarzach

Nur unsere Abtei war übriggeblieben. Aber wir ahnten, welches Los uns von den Machthabern zugedacht war.

Am 5. Mai 1941 begann die Gestapo auch bei uns. Wir sollten 300.000 Reichsmark Liebeswerkbeiträge auszahlen, die wir von der Erzabtei St. Ottilien erhalten hätten, sonst würde die Abtei beschlagnahmt. Vater Abt erhob Einspruch gegen diese Zumutung, die eine reine Erpressung bedeutete. Um der drohenden Beschlagnahme zu entgehen, erklärte sich Vater Abt unter ausdrücklichem Protest bereit, die geforderte Summe zu erlegen, wenn er auch im Augenblick nicht wusste, wie er das Geld beschaffen sollte. In dieser kritischen Stunde erklärte sich die Dresdner Bank bereit, die Summe zu leihen. So war der erste Hieb der Gestapo fehlgeschlagen.

Am 8. Mai rückte die Staatspolizei zum zweiten Male an. Von den vorausgegangenen Forderungen war überhaupt keine Rede mehr. Der leitende Kommissar erklärte, eine Untersuchung des ganzen Klosters vornehmen zu müssen. Er besetzte mit seinen vierzig Gestapoleuten das Haus, ließ die Patres im Lesezimmer zusammenkommen und eröffnete ihnen hier, dass jede einzelne Zelle durchsucht werde.

Von einem oder zwei Beamten begleitet, wurde jeder Pater auf sein Zimmer geführt. Dem Abt wurden gleich drei oder vier zugeteilt. In der Hauptsache erstreckte sich die Untersuchung auf Briefe, Bücher und Zeitschriften. Was den Gestapoleuten verdächtig erschien, nahmen sie an sich. Ihre Beute, die sie im Lesezimmer hinterlegten, war nicht sehr einträglich. Sie war nach dem Urteil eines der leitenden Beamten nur »ein schmales Ergebnis«!

In der Bibliothek stieß die Gestapo auf einen Fund, der ihr sehr schwerwiegend erschien. Dort fanden sich Bücher über den Kommunismus, und im Archiv entdeckte man vier als Kräuterbüchlein getarnte Heftchen gegen den Nazismus, von deren Vorhandensein niemand im Kloster wusste. Der Schluss war »klar«: das Kloster betätigte sich im staatsfeindlichen Sinne.

Vater Abt erhob gegen diesen Vorwurf Einspruch. Erstens trügen die fraglichen Bücher gar nicht den Stempel der Klosterbibliothek. – Wie wir später hörten, waren sie am 6. Mai bei einer Luftschutzübung von einem auswärtigen Handlanger der Gestapo eingeschmuggelt worden. Zweitens sei das Vorliegen einiger Schriften über Kommunismus kein Beweis für kommunistische Einstellung und Betätigung des Klosters. Die Aufnahme der Protokolle dauerte bis 16 Uhr. Die Gestapoleute machten sich noch weiterhin in Haus und Verwaltung zu schaffen. Sie erwarteten das Eintreffen eines höheren Beamten. Dieser kam gegen 20 Uhr 30 und erklärte, er sei beauftragt, die »Sicherstellung« der Abtei zuführen. Ausdrücklich legte er dar, es handle sich nicht um Beschlagnahme, und niemand komme weg. Etwa um 21 Uhr 30 verließen die Gestapoleute das Kloster. Nur drei blieben während der Nacht zurück.

Schon am Morgen des 8. Mai hatte es sich schnell in der Gegend herumgesprochen, was die Gestapo im Schilde führe. In Massen strömten die Leute aus den umliegenden Ortschaften auf dem Platz vor dem Kloster zusammen und demonstrierten gegen das Vorgehen der Beamten. Die Erregung der Bevölkerung stieg von Stunde zu Stunde, Ausdrücke der Empörung und des Unwillens schossen hin und her. Man beschimpfte die absperrenden Beamten, überschüttete sie mit Zurufen der Verachtung und des Abscheus.

Das Schreien und Drohen wogte hin und her. Um die Menge vor Gewalttätigkeiten zurückzuhalten, fing Pfarrer Falkenstein von Sommerach, der sich ebenfalls unter der Menge befand, laut zu beten an. Die Leute beruhigten sich allmählich und beteten laut mit. Zwischendurch sangen sie geistliche Lieder.

Als es Abend geworden und die Zeit der Maiandacht gekommen war, stürmte die Masse in die Kirche. Die Beamten waren hiergegen machtlos. Nachdem die Gestapo abgezogen war, trat Vater Abt zu den Leuten, dankte für ihre Treue und Teilnahme und versicherte, dass nach der ausdrücklichen Erklärung der Gestapo niemand wegkomme. Jetzt erst begaben sich die guten Leute nach Hause. In den dunklen Sorgen dieses Tages war uns Klosterinsassen die Treue des katholischen Volkes ein hellleuchtender Stern. Auch die Gestapo mochte überrascht gewesen sein von der Anhänglichkeit des Volkes an »sein« Kloster.

Noch treuer und aktiver zeigten sich die Brüder. Sie hatten den ganzen Tag über versucht, mit Vater Abt und den Patres zusammenzukommen; doch die Gestapo verhinderte es. Soviel sie nur konnten, suchten sie durch Meldedienste und auf jede sonst mögliche Art die Interessen des Klosters zu fördern. Sie packten in Eile Messgewänder, Wertsachen und Kunstgegenstände zusammen und brachten sie trotz der Polizeisperre in benachbarte Orte. Einer blieb in Stadtschwarzach in ständiger Telefonverbindung mit unserem Kolleg in Würzburg; die Telefone des Klosters hatte die Gestapo besetzt und bewachte sie streng.

Es kam der 9. Mai, der »Großkampftag«. Die Gestapo eröffnete ihn mit der Verhaftung des Abtes. Er wurde mit P. Barnabas nach Würzburg vorgeladen. Dort, in der Ludwigstraße, eröffnete ihm Kriminalkommissar Gramowsky, dass »der Orden des hl. Benedikt in Münsterschwarzach« aufgelöst sei. Der Abt solle den Patres Befehl erteilen, zu packen und nach Kloster Kreuzberg abzureisen. Es sei Krieg, alles habe in Ruhe zu erfolgen. Offenbar steckte den Beamten die Volksdemonstration vom Vortage noch in den Knochen.

Der Abt weigerte sich energisch: »Solch einen Befehl werde ich nie geben! Ich bin es nicht, der Unruhe heraufbeschwört.«

Gramowsky wiederholte seine Forderung.

Darauf entgegnete Vater Abt mit noch größerer Entschiedenheit: »Sie können mir doch nicht im Ernst zumuten, dass ich als Mann und Abt und als Vater der Klosterfamilie die eigene Familie umbringe.«

Jener erwiderte nur: »Aber das muss gemacht werden.«

Vater Abt: »Wenn Münsterschwarzach umgebracht werden muss, sind doch Sie Gestapobeamter, nicht ich. Auf mich schauen dreihundertfünfzig Menschen, für die ich verantwortlich bin. Soll ich meinen Namen für Jahrhunderte mit Schmach bedecken?«

In seiner Verlegenheit wandte sich Gramowsky an den seinerzeit erkrankten Polizeipräsidenten Wickelmeier. Er kam offenbar mit der gleichen Weisung zurück; denn Kommissar Völkel stellte an den Abt erneut das gleiche Ansinnen. Abt Burkard erklärte entschieden: »Nein! Ich kann und werde einen solchen Befehl nie geben.«

Darauf schrie Völkel: »Gut, dann mache ich es mit Gewalt!«

Er erklärte Vater Abt und P. Barnabas für verhaftet und ließ beide ins Polizeigefängnis bringen.

Jedermann staunt über die Naivität dieser Beamten. Glaubten sie wirklich, ein Abt Burkard werde ihnen zuliebe Henkersdienste an seiner eigenen Klosterfamilie leisten?

Nachmittags gegen 15 Uhr 20 rollten mehrere Autobusse in den Klosterhof. Ihnen entstiegen etwa achtzig Polizisten, doppelt soviel wie am Vortag. Das Aufgebot war offenbar wegen der drohenden Haltung des Volkes erhöht worden. Sie trugen teils Karabiner, teils Pistolen. Scharfe Munition war ausgeteilt. Sie besetzten Umfassungsmauern, Zugänge und Flure des Patreshauses.

Bei ihrer Ankunft läuteten plötzlich alle Glocken. Einige Beamten liefen, um das elektrische Geläute abzuschalten. Umsonst! Es war zwecklos, die ganze Schalttafel auszuprobieren. Die laut aufklagenden Glocken ließen sich nicht zum Schweigen bringen. Sie hörten nicht auf, das Unrecht, das geschehen sollte, in alle Lande hinauszuschreien und in die Menschenherzen hineinzuhämmern. Auch die Glocken des benachbarten Stadtschwarzach stimmten wie aus trauernder Teilnahme das Wehklagen ein.

Es klang wie in alten Kriegszeiten, es bedeutete Sturm: »Der Feind im Kloster.« Ein findiger Kopf hatte oben im Turm das Läutewerk eingeschaltet.

Schließlich fiel einem der Beamten ein, man müsse die Sicherungen ausschrauben. Jetzt erst verstummten die eifrigen Glocken. Für immer! Nur noch einmal gelang es demselben Bruder, sie trotz des Verbotes der Gestapo wieder zum Läuten zu bringen. Etwa ein Jahr später, als sie zum Einschmelzen abgenommen werden sollten. Eine Stunde dauerte das Geläute. Es war wie ein Protest gegen das neue Unrecht, dass Geweihtes missbraucht werden sollte, Menschen zu morden.

Das katholische Volk der nächsten Ortschaften hatte den Alarmruf des Geläutes verstanden. Der Winzer an der Bergeshalde verließ seinen Weinberg, der Bauer unterbrach seine Feldarbeit. Von allen Seiten strömten die Leute wie am Vortage zusammen. Ihre Haltung war genau so drohend. Sie fürchteten nicht das doppelte Aufgebot. Als ein Polizist einer Gruppe zurief: »Seid doch froh, dass die Lumpen ausgeräumt werden«, schrie eine Frau: »Was, Lumpen? Ihr seid die Lumpen! Unsere Männer stehen draußen an der Front, und ihr Drückeberger vergreift euch an wehrlosen Klöstern! Pfui!« Wie im Chor stimmten die anderen in die Pfuirufe ein.

Inzwischen erhielten die Patres Befehl, sich im Lesezimmer zu versammeln. Vor der Tür dieses Zimmers standen Polizisten mit Karabinern auf Posten. Der Gestapobeamte Gramowsky eröffnete dem Konvent, dass der »Benediktinerorden von Münsterschwarzach« aufgelöst und die Abtei beschlagnahmt sei. Alle Klosterangehörigen mit Ausnahme des zur Arbeit notwendigen Personals würden nach Kloster Kreuzberg geschafft.

Er verlangte, dass alle Patres zur Kenntnisnahme das Schriftstück unterzeichneten. P. Prior Richard Lebert sollte anfangen. P. Prior stand auf und erklärte: »Ich weiche nur der Gewalt! Ich unterzeichne nicht!« Die übrigen wurden aufgefordert. Kein einziger setzte seinen Namen unter das Schanddokument.

Völkel schrie: »Sie wollen Gewalt, dann brauchen wir Gewalt« Er war so erbost, dass er die Patres nicht einmal das Nötigste für die Reise packen lassen wollte. Andere Beamte beschwichtigten ihn. So konnten die Patres ihre notwendigsten Sachen in Aktenmappen mitnehmen. Sie wurden zur Eile angetrieben.

Im Hof stand ein verdeckter Lastwagen bereit. Beim Einsteigen winkten sie den Brüdern, die von einer Postenkette jenseits des Hofes bei der Metzgerei mit vorgehaltenem Revolver zusammengedrängt wurden, den letzten Scheidegruß zu. Tränen flossen auf beiden Seiten. Vor und hinter dem Lastwagen fuhren Personenwagen, setzt mit Gestapobeamten. Die Menschenmassen vor dem Tor versperrten den ausfahrenden Autos den Weg. Polizisten mussten mit quer gehaltenem Karabiner eine Gasse bahnen. Die empörte Menschenmenge empfing die Gestapowagen mit Pfuirufen und Verwünschungen. Als der Lastwagen der Patres durch den Torbogen fuhr, erhoben die einen die Hände zum Abschiedsgruß, über die wehmütigen Gesichter der anderen flössen die Tränen.

In den folgenden Tagen wurden auch unsere beiden Studienhäuser beschlagnahmt, St. Ludwig und St. Benedikt. Die dortigen Patres und Brüder mussten ebenso wie drei Patres und die Brüder von Münsterschwarzach zurückbleiben, um die laufenden Arbeiten in Verwaltung und Landwirtschaft zu besorgen.

Bis zum 10. Juni wurden die Patres des Schwarzacher Konvents auf Kloster Kreuzberg festgehalten, wo sie von den Franziskanern als liebe Gäste behandelt wurden. Hierauf durften sie in der Diözese Würzburg Kaplanstellen annehmen. Bischof Matthias Ehrenfried hatte schon vor der Aufhebung versprochen, dass er sie mit offenen Armen aufnehmen werde. Er hielt Wort. Er gab seinem tiefen Bedauern in einem ehrenden Hirtenschreiben an seine Diözesanen beredten Ausdruck. Auch die katholische Jugend setzte sich tapfer für Münsterschwarzach ein.

Ein halbes Jahr später sahen sich die Regierenden genötigt, die Aktion gegen die Klöster zu stoppen. Soviel sich vermuten lässt, hat die Unruhe des Volkes und seine Parteinahme für die Klöster entscheidend zu diesem Rückzug mitgewirkt.

Dank dem katholischen Volk für seine Treue! Münsterschwarzach, unsere Kongregation und die anderen aufgehobenen Klöster durften zu Wellenbrechern für die übrigen werden. Die niederträchtige Maßnahme war nur eine Äußerung jenes Ungeistes, den wir im Folgenden noch deutlicher erkennen werden.

Die Aktion der Rundbriefe

Nach dem Ablauf der Dinge hatten wir die Aufhebung unserer Klosterheimat voraussehen können. Ich war im letzten Jahre nicht mehr in unserem Progymnasium in St. Ludwig tätig – es war ein Jahr vorher von den Klosterfeinden geschlossen worden —, sondern half in der Expedition in Münsterschwarzach die Lücken füllen. Uns oblag unter anderem die Korrespondenz mit den Freunden und Wohltätern des Klosters.

Schon ein Vierteljahr vorher beschlossen wir, im Falle der Aufhebung unsere Freunde und Wohltäter durch einen Rundbrief zu verständigen. Ohne Propheten zu sein, konnten wir ja voraussehen, was mit den einlaufenden Missionsgeldern und Messstipendien geschehen werde, wenn die Nazis im Hause säßen. Ferner wollten wir unsere Freunde vor größerem Schaden bewahren. Viele von ihnen pflegten in ihren Briefen ihren Herzen Luft zu machen und bisweilen in derben Strichen die Naziherrschaft zu zeichnen. Was gäbe es, wenn diese Briefe in die Hände der Gestapo fielen! Wie mancher käme ob solcher Herzensergießungen nach Dachau.

Es musste etwas geschehen! Schon aus diesen Gründen! Ferner hatten auch die vielen Katholiken, die uns beim Kirchen- und Klosterbau geholfen und ihre Missionsgelder immer an uns geschickt hatten, ein Interesse am Schicksal unserer Abtei. Ja, das katholische Volk insgesamt hatte ein Recht zu wissen, was mit seinen Klöstern geschah. Unsere Ordensgesellschaften waren keine Fremdkörper im katholischen Volk, wie es die Nazis immer behaupteten. Wir Ordensleute waren nicht als Mönche vom Himmel gefallen, sondern waren Söhne des Volkes, für das wir arbeiteten und beteten.

Freilich: Bei der Schnüffelei der Gestapo war ein Rundbrief ein gewagtes Stück. Aber die Sache unseres Klosters und der katholischen Kirche schien uns einen großen Einsatz wert zu sein. Wir bereiteten also einen Rundbrief vor. Die Umschläge wurden geschrieben, teilweise mit der Schreibmaschine, teilweise mit dem Adressierapparat. Schon öfters hatten wir Rundbriefe versandt, besaßen eine gewisse Fertigkeit und Erfahrung. Wir verwandten alle Adressen, die in unseren Karteien standen. Es waren gegen sechzehntausend.

Auch Briefmarken wurden vorsorglich eingekauft; im Ernstfalle würden wir bei keiner Postanstalt so viele Briefmarken auf einen Schlag einkaufen können, ohne aufzufallen. Eine entsprechende Menge Briefpapier wurde zurechtgelegt.

Nun packten wir alles in zwei große Kisten zusammen. Fügten eine Schreibmaschine, eine Anzahl Matrizen, einen Vervielfältigungsapparat, Druckerschwärze und andere Kleinigkeiten hinzu, deren wir bedurften. Später kauften wir noch vier größere Handkoffer und Mappen dazu; denn wir planten, die Briefe nach Würzburg, Bamberg, Nürnberg und München zu bringen und dort in kleineren Portionen in die Stadtbriefkästen einzuwerfen. Die Aufgabe am Massenschalter dünkte uns mehr als gewagt. Dazu war die Erlaubnis der Gestapo notwendig. Wir zweifelten durchaus nicht, dass uns die Erlaubnis versagt würde.

Wir ließen die beiden Kisten insgeheim nach Würzburg bringen und dort nicht in unserem Kolleg, das ja am gleichen Tag aufgehoben werden konnte, sondern in einem Privathause verbergen.

Sogar unsern Obern verheimlichten wir die Aktion. Es war klar, dass der erste Verdacht auf sie fallen würde. Sie sollten mit ruhigem Gewissen sagen können: »Wir wissen von der ganzen Sache keinen Deut.« Tatsächlich kam es so.

Die Durchführung der Aktion wollte ich selbst übernehmen, da ich in Würzburg viele Bekannte hatte, die bereit waren, mir zu helfen. Sollten mir die Hände gebunden sein, dann konnte der nächstbeste von der Gruppe der Expedition den Brief schreiben.

Zur großen Verblüffung der Gestapobeamten setzte die Aktion schlagartig ein und rollte ohne Störung ab. Ungewollt hatten sie uns eine willkommene Chance geboten, indem sie unser Kolleg in Würzburg nicht am gleichen Tag wie Münsterschwarzach besetzten.

Dank guter Informationen konnte ich das Haus schon am Morgen des 8. Mai, bevor sich die übrigen Klosterinsassen von der Nachtruhe erhoben, ungesehen verlassen. Die Ereignisse des 8. und 9. Mai in Münsterschwarzach verfolgte ich von Rimpar und Würzburg aus. Am Nachmittag des 9. Mai erreichte mich im Kolleg in Würzburg die Nachricht, die Gestapo sei mit einem starken Aufgebot nach Münsterschwarzach gefahren. Unser Meldedienst funktionierte tadellos.

Um 19 Uhr kam P. Petrus Leisner mit der sicheren Nachricht, das Kloster sei aufgehoben worden, die Patres seien im verschlossenen Lieferwagen nach Kloster Kreuzberg transportiert. Das Unglaubliche war geschehen. Unsere Klosterheimat war uns genommen. Nun hieß es, ruhig Blut zu bewahren und zu retten, was zu retten war. Mindestens den guten Ruf unserer Abtei. Beim Abendimbiss, der uns wenig mundete, berieten wir Patres wie wir die Briefaktion ins Werk setzen wollten. Die Gestapo war für heute kaum noch zu warten. Wir konnten also die Arbeit im eigenen Haus leisten. Raum und Helfer standen uns hier zur Genüge zur Verfügung. Alle Anwesenden, die Patres, Brüder und Schüler, sagten ihre Hilfe gern zu.

Während die zwei oben erwähnten Kisten aus ihrem Versteck geholt wurden, entwarf ich den kurzen Text zum Rundbrief. Absichtlich enthielt ich mich jeglichen Wortes der Kritik oder des Tadels. Ich berichtete sachlich die vollzogene Aufhebung.

Der Wortlaut des denkwürdigen Briefchens ist folgender:

Freitag, den 9. Mai 1941. Gelobt sei Jesus Christus! Teure Freunde und Wohltäter!

Leider müssen wir Ihnen heute eine recht traurige Botschaft senden. Am 19. März wurden unser Kloster Königsmünster in Meschede, am 2. April die Abtei Schweiklberg, am 17. April die Erzabtei St. Ottilien und wenige Tage nachher auch die zugehörigen abhängen Häuser von der Geheimen Staatspolizei aufgehoben. Heute, am Freitag, dem 9. Mai, löste die Gestapo auch unsere Abtei Münsterschwarzach gewaltsam auf. Damit sind alle Klöster unserer Kongregation vernichtet. Die Hochw. Patres von Münsterschwarzach wurden nach Kloster Kreuzberg transportiert. Vater Abt sowie zwei Patres werden in Gewahrsam gehalten. Eine Schuld wurde uns nicht zur Last gelegt. Offenkundig erleiden wir all dies wegen Christus, was unser Herz mit hoher Freude erfüllt. Wir danken Ihnen für Ihre bisherige opferfreudige Mithilfe, bitten Sie aber, in Zukunft weder Briefe noch Geld nach Münsterschwarzach zu senden, bis wir wieder an Sie schreiben werden. Helfen Sie uns weiterhin durch Ihr Gebet Indem wir Ihnen das unsrige zusichern, grüßen von Herzen

Ihre treu ergebenen verbannten Benediktiner-Missionäre von Münsterschwarzach.

Sofort schrieb ich den Text zweimal auf eine Matrize. Da er kurz gehalten war, brauchten wir nur einen halben Briefbogen. Erleichterung der Falzarbeit. Etwa um 8 Uhr, also zwei Stunden nach der Aufhebung, konnten die dafür bestimmten Schüler an der Vervielfältigungsmaschine ihre Arbeit beginnen. Um noch mehr Arbeitskräfte zu erhalten, lud ich auch etwa ein Dutzend meiner opferbereiten Paramentenstickerinnen ein. Ich kannte sie schon jahrelang und wusste, dass sie sich bereitwillig einsetzen würden. So waren etwa dreißig bis vierzig Helfer am Werk. Ohne größere Stockungen kam die Arbeit rasch voran.

P. Petrus sollte schon in der Nacht um 1 Uhr mit dem Schnellzug nach München fahren, um Vater Erzabt Chrysostomus zu melden, dass nun auch die letzte Abtei unserer Kongregation aufgehoben sei. Er nahm den ersten Koffer voll Briefe mit, um sie in München einwerfen zu lassen.

Allmählich füllten sich auch die übrigen Koffer. Die jüngeren Schüler waren vor Mitternacht in die Betten geschickt worden, die älteren hielten brav durch. Etwa um 3 Uhr in der Frühe waren auch die letzten Briefe versorgt. Alle Abfälle und sonstigen Spuren wurden sorgfältig eingesammelt und im Ofen der Dampfheizung verbrannt.

Bis zum Samstagnachmittag waren alle sechzehntausend Briefe aufgegeben. Manche erreichten schon am Sonntag oder Montag ihre Empfänger. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in wenigen Tagen über fast ganz Deutschland die authentische Nachricht von der Aufhebung Münsterschwarzachs und der gesamten Kongregation von St. Ottilien, obgleich die Gestapo alles vertuscht hatte und kein Wörtchen davon in den Zeitungen, auch nicht in den Heimatblättern, erscheinen durfte. Viele H. H. Pfarrer lasen am folgenden Sonntag den Rundbrief auf der Kanzel vor.

Wie es kam, dass mancher gute Freund von Münsterschwarzach den Brief nicht erhielt, wird im folgenden Kapitel gezeigt werden. Vergessen war niemand worden.

Die Gestapo fahndet

Ich hatte vorausgesehen, dass die Gestapo eines Tages das eine oder andere Exemplar unseres Rundbriefes erhalten werde. Deshalb hielt ich den Text absichtlich ganz objektiv. Bei unseren früheren Rundbriefen waren regelmäßig ein paar Dutzend unzustellbare Exemplare zurückgelaufen, entweder weil der Empfänger gestorben oder verzogen oder aus einem anderen Grund unauffindbar war.

Dieser Rundbrief trug keinen Absender, musste also zur Ermittlung des Absenders geöffnet werden. Irgendein ängstlicher Postbeamter konnte ihn dann der Gestapo einschicken. Wie ich im Laufe des Verhörs erfuhr, war aber schon in Nürnberg eine Anzahl Briefe abgefangen und der Gestapo zugestellt worden. Sehr viel konnten es nicht gewesen sein. (Ich hatte nur etwa zweitausend in Nürnberg eingeworfen, die anderen gab ich in Fürth auf.)

Dies war der Grund, weshalb manch guter Freund des Klosters, der sicher nicht vergessen worden war, den Brief nicht erhielt.

Die Briefe setzten die Gestapobeamten in größte Erregung. Eine Reihe trug den 9. Mai als Versandtag. »Wir heben am 9. Mai das Kloster auf, und schon am selben Tage werden die Mitteilungen versandt?« Nein, das nicht! Es ist nur so zu erklären, dass ein Postbeamter vergaß, den Tagesstempel eine Nummer weiter zu drehen. Alle Briefe wurden am 10. aufgegeben.

Nun begann bei der Gestapo die Suche nach dem Briefschreiber. Hätten sie geahnt, dass er sich im nahen Rimpar befand! Die Unterschrift lautete: »Die verbannten Benediktiner-Missionäre von Münsterschwarzach«. So konnten nur die Obern unterschreiben, meinten sie. Deshalb fuhren sie zuerst nach Kloster Kreuzberg. Es war am Abend des 15. Mai. Der ganze Konvent von Münsterschwarzach wurde in ein größeres Gastzimmer der Franziskaner zusammengerufen. Keiner durfte mit dem anderen sprechen. Beamte hielten Wache. Inzwischen durchwühlten andere die Zellen der Patres, um Spuren zu finden. Umsonst!

P. Subprior Wunibald bekam es mit der Angst zu tun. Auf seinem Zimmer lagen die eingelaufenen Briefe und seine Tagebuchnotizen. Eindringlich rief er die liebe Gottesmutter von Altötting an: »Mutter, lass es vor ihren Augen so schwarz werden wie in deiner Gnadenkapelle, dass sie meine Notizen nicht finden!«

Als ein Kommissar erschien und triumphierend verkündete, er habe viele Notizen und Briefe gefunden, glaubte P. Subprior schon, sein Gebet sei nutzlos gewesen. Doch wie erfreut war er, als er später in die Zelle kam und alles unberührt fand! Die Gottesmutter hatte es ihnen wirklich schwarz vor den Augen lassen. Alle anderen Zellen waren durchwühlt worden, nur seine nicht.

Nach der Zellen-Razzia wurde jeder in Einzelverhör genommen, Vater Abt Burkard als erster. »Kennen Sie diesen Brief?« Damit reichte ihm Kommissar ein Exemplar hin. »Wie kommen Sie dazu, so etwas zu schreiben?« Vater Abt: »Den Brief sehe ich zum ersten Male. Er ist vom 9. Mai datiert. Kann gar nicht von mir sein! Sie hielten mich ja vom 9. bis 13. Mai in Haft.«

Weitere Fragen folgten. Der Abt müsse unbedingt davon wissen und so weiter. Doch Vater Abt wusste dank unserer Vorsicht wirklich nichts. Die übrigen Patres wurden verhört. Der Kommissar wurde immer erregter, als keiner sich geständig zeigte. Die einzelnen Patres mussten sich nach ihrem Verhör ins Refektorium der Franziskanerpatres begeben. Nach Abschluss der Verhandlungen erschien der Kommissar und schrie erregt: »Sie sind eine ganz verschworene Gesellschaft!«

Vater Abt entgegnete ruhig: »Wenn Sie damit sagen wollen, dass wir eine Gesellschaft von Verschwörern sind, protestiere ich auf der Stelle, wollen Sie aber zum Ausdruck bringen, dass wir zu dem stehen, was wir geschworen haben, sind Sie im Recht.« Schließlich musste jeder eine Erklärung unterschreiben, dass er den Rundbrief nicht verfasst und versandt habe. Erst um 22 Uhr 30 zog die Gestapo wieder ab.

Am 30. Mai, einem Freitag, war von 8—22 Uhr Großuntersuchung in Münsterschwarzach. Besonders die Druckerei, Expedition und Verwaltung wurden genau untersucht. Bruder Severin, der Druckermeister, P. Benedikt und P. Theophil von der Verwaltung, Bruder Hermann, der Expeditor, wurden lange verhört. Bruder Hermann zwei Stunden am Morgen, zwei Stunden am Abend. Er musste die Adressiermaschine vorführen und tausend Fragen beantworten. Dabei kam die Gestapo auf die richtige Spur.