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Die Migration aus allen Teilen der Erde ist tagtäglich in allen Medien ein präsentes Thema. Hintergründe, Fluchtursachen, Fluchtwege, Rettungen, politisches Handeln und persönliche Schicksale werden anschaulich anhand eigener Erlebnisse beschrieben.
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Seitenzahl: 427
Veröffentlichungsjahr: 2018
Harald Fuchs
Laila weint nicht mehr
Das Ende der NGO`s?
© 2018 Harald Fuchs
Titel der Originalausgabe: Laila weint nicht mehr
1. Auflage August 2018
Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7469-6825-4
Hardcover:
978-3-7469-6826-1
e-Book:
978-3-7469-6827-8
Umschlagsgestaltung: Harald Fuchs, Schwandorf, unter Verwendung eines Fotos von Harald Fuchs
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die
Widmung
zu diesem Buch konnte
Claus-Peter Reisch
Kapitän der Lifeline
aus Zeitgründen leider nicht selbst verfassen.
Mit dem Prozess in Malta am 23. August, Presseterminen, Ansprache auf Seebrückeveranstaltung und dem heutigen Termin beim Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Bodo Ramelow, fand sich in seinem Terminkalender kein Platz mehr dafür.
Claus-Peter wünscht bestes Gelingen in der Hoffnung, dass dieses Buch zum besseren Verständnis für die Belange der Seenotrettung beitragen möge.
29.08.2018
Inhaltsverzeichnis
Vorwort:
1 Flüchtlinge
1.1 Woher kommen sie?
1.2 Warum verlassen sie ihre Heimat?
1.3 Wie werden sie angeworben?
1.4 Wie verläuft ihre Reise nach Libyen?
1.5 Was erwartet die Flüchtlinge in Libyen?
1.6 Wie werden die Flüchtlinge auf die Boote gebracht?
1.7 Wie sterben die Flüchtlinge auf See?
1.8 Wie werden die Flüchtlinge auf dem Meer gerettet?
1.9 Wohin werden die Flüchtlinge gebracht?
1.10 Was passiert mit den Flüchtlingen, die von der LCG zurückgebracht werden?
1.11 Sklavenhandel oder Rückführung?
1.12 Was sind die Grundlagen und Pflichten für die Seenotrettung?
1.13 Internationales Flüchtlingsrecht bei der Seenotrettung
1.14 Kritische Stimmen zur Seenotrettung
1.15 Wer sind die Menschenhändler?
1.16 Wo landet das Geld der EU?
1.17 Warum finden die Erschießungen immer freitags statt?
1.18 Warum werden libysche Massenmörder nicht vor Gericht gestellt?
1.19 Ghandi, Kamal, Doaa und Ahmed
1.19.1 Ghandi
1.19.2 Kamal
1.19.3 Doaa
1.19.4 Ahmed
1.20 Das Ende der NGO`s?
2 Regierungsaktivitäten und Organisationen
2.1 Außereuropäisch UNO – UN - USA - NATO
2.2 Europa
2.2.1 Organe der EU
2.2.2 Deutschland
2.2.2.1 Regierung der Bundesrepublik Deutschland
2.2.2.2 Bundeswehr
2.2.3 Spanien
2.2.4 Holland
2.2.5 Frankreich
2.2.6 Italien
2.3 Afrika und naher Osten
2.3.1 Libyen
2.3.2 Tunesien
2.3.3 Syrien
2.3.4 Niger
2.9.5 Israel
2.3.6 Libanon
2.3.7 Jordanien
2.3.8 Gazastreifen
2.3.9 Westjordanland
2.3.10 Burkina Faso, Mauretanien
3 Seenotrettungsorganisationen
3.1 Government Organisationes - Regierungsorganisationen
3.1.1 Mare Nostrum
3.1.2 Mission Themis von Frontex
3.1.3 EU Task EUNAVFOR Mediterranean - Operation SOPHIA EU
3.2 NGO`s (Non Government Organisations) – Nicht-Regierungs-Organisationen
3.2.1 Sea-Watch
3.2.2 Sea-Eye
3.2.3 Aquarius – Ärzte ohne Grenzen
3.2.4 Open Arms
3.2.5 Mare Liberum
3.2.6 AlarmPhone
3.2.7 Orient for Humanitarian Relief
3.2.8 action medeor in Kooperation mit AWO International
3.2.9 CADUS Seenotrettung
3.2.10 Lifeline
3.2.11 Moas
3.2.12 Juventa
3.2.13 Open Arms
3.2.14 Aquarius von Ärzte ohne Grenzen
3.2.15 Moonbird
3.2.15 Colibri
3.2.16 Seebrücke
3.2.17 German Eritrean Training Partnership
3.2.18 Sosolya Undugo Family Academy
3.2.19 1 Euro für eine Brille
3.2.20 Viele Dutzend weitere NGO`s
3.3 Bedrohung der NGO`s durch die Libyan Coast Guard
4 Personen die helfen
4.1 Claus-Peter Reisch
4.2 Thomas Nuding
4.3 Clemens
4.4 Michael Kraus
4.5 Simon S
4.6 Pia Klemp
4.7 Jens Röw
4.8 Laila Kroos
4.9 Roland Treinzen, Martin Ernst, Iason Apostolopoulos und viele andere
5. Lösungsansätze
5.1 Langfristige Ziele
5.1.1 Bildung
5.1.2 Eindämmung der Korruption
5.1.3 Kultur und Religion
5.1.4 Entwicklungshilfeprojekte fördern
5.1.4.2 Kleinprojekte - Ein Münchner bohrt Brunnen in Sierra Leone
5.1.4.3 Globales Lernen
5.1.4.4 Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
5.1.4.5 Fairness
5.1.1.5 Ausbeutung der Drittländer einschränken
5.2 Kurzfristige Ziele
5.2.1 Medien-und Dokumentationsschiffe in Nordafrika
5.2.2 Aufklärung durch Internet im Heimatland,
5.2.3 Positionspapier einer Missionsfahrt einer Crew von 2017 .
5.2.4 Aufeinander zugehen
6. Aktuelle Geschehnisse im Mittelmeer
6.1 Chronologische Stichpunkte der letzten Wochen bis Drucklegung
6.2 Angriffe der libyschen Küstenwache auf zivile Schiffe
6.3 Statement von 29 Akademikern, Le Monde, 22. März 2018
6.4 MRCC Rom unterbindet Lebensrettung durch falsche Angaben
6.5 Offener Brief an den Innenminister Deutschlands
6.6 Gedanken eines Retters des NGO-Schiffes Seefuchs
7 Filmlinks
7.1 Wo die Reise der Migranten in der Wüste beginnt
7.2 Rettungseinsätze von NGO`s
7.3 Rettungseinsätze von Frontex und anderen Regierungsorganisationen
7.4 Die Bundeskanzlerin führt Flüchtlinge in Folterlager zurück
7.5 Libysche Küstenwache – was ist das?
7.6 Schlagen und Töten von Schiffbrüchigen durch die Libyan Coast Guard
7.7 Foltern in den libyschen Lagern
7.8 Sklavenhandel mit Migranten
7.9 Von der neuen Außengrenze Europas und von Vergewaltigungen
7.10 Uneinigkeit in Europa
8 Anhang
8.1 Grafiken und Dokumente
8.2 Quellenangaben
8.4 Abküizungen
9 Epilog
Vorwort:
Der Titel “ Laila weint nicht mehr“ ist einen Tag nach Rückkehr von einem fast zweimonatigen freiwilligen Aufenthalt auf Malta entstanden. Die zwei Schiffe der NGO Sea Eye wurden in einer Werft instandgesetzt und eines davon ging von 13. bis 16. März zum ersten Mal in diesem Jahr mit mir als Crewmitglied auf Rettungseinsatz entlang der libyschen Außengrenze.
Am 23.03.2018 landete mein Flugzeug in Nürnberg und am 24.03.2018 war ich mit meiner Lebensgefährtin und mit Laila und ihrem Ehemann in Nürnberg essen. Laila ist Halbaraberin, spricht perfektes Deutsch. Sie lebt seit ihrer Kindheit hier und ist bei einem der größten Konzerne Deutschlands in guter Stellung beschäftigt. Laila lacht und strahlt Fröhlichkeit aus. Sie ist hier in Freiheit aufgewachsen und hat sich voll in unsere Gesellschaft integriert. Wenn sie von ihrem Vater erzählt, kann man ein paar Schatten in ihrer fröhlichen Ausstrahlung erkennen. Ihr Vater trägt als Andenken an das Bürgerkriegsland Libanon und der unsäglichen Zustände in den Siebziger Jahren immer noch Gedanken in sich, die er lieber missen möchte. Solche Zustände wollte er Laila ersparen und deshalb spricht sie auch kein arabisch, sie sollte eine freie Welt kennen lernen. Deshalb weint Laila nicht mehr – sie hat eine positive Ausstrahlung und ihr Lachen steckt an.
Dann gibt es noch die andere Laila. Die Laila, die noch nie in ihrem jungen Kindesleben ein Lächeln gesehen hat. Sie weiß nicht, was ein Lächeln bedeutet. Aber sie kennt die Angst in den Augen ihrer Mutter. Sie hört die Schreie in den Folterlagern der Libyer. Der Morgen beginnt mit Auspeitschen, Zähne ziehen mit Beißzangen vor eingeschaltetem Telefon, um Angehörige in weit entfernten Ländern zu noch mehr Geldzahlungen zu animieren. Frauen werden monatelang tagtäglich mehrfach vergewaltigt. Hochschwanger werden sie in seeuntüchtige Boote gesteckt, um sie zu entsorgen. Im libyschen Arabisch gibt es kein Wort für Farbige, Dunkelhäutige, … Das Wort dafür heißt Sklave. Und damit sind die Farbigen dem Rang nach Tieren gleichgestellt.
Die erste Laila hat mir am 27.03. die Zusage gemacht, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Vater als Abschluss der Personenvorstellungen unter Kapitel 4 ihre Geschichte und die Geschichte ihres Vaters schildern wird. Danke Laila!
Die zweite Laila (stellvertretend für alle kleinen Kinder und Frauen, die in den Folterlagern leben oder zur Welt kommen) soll irgendwann einmal das Weinen lernen können. Weinen, welches befreit. Aber vor allem: Sie soll lernen, was Lachen bedeutet.
Eine Laila habe ich als Skipper des Rettungsschiffes Seefuchs der Organisation Sea-Eye mit meiner Crew am Morgen des 12. Mai 2018 aus Seenot gerettet. Um 0.30 Uhr erhielten wir von der italienischen Küstenwache einen Notruf: Ein kleines blaues Boot mit 18 Männern und einer Frau befand sich in Seenot. Das Boot wurde von uns um 05.54 Uhr gesichtet und mit Hilfe der eingespielten Rettungscrew konnten wir die Menschen innerhalb einer Viertelstunde bergen und an Bord medizinisch versorgen. Ich hatte auf der Brücke navigatorische und administrative Arbeiten zu erledigen. Auf dem Hauptdeck wurden die Personen versorgt, Daten aufgenommen und Nahrung ausgeteilt. Als ich mir ein organoleptisches Bild auf dem Deck machte, fiel mir die Frau auf. Apathisch mit Blick in die Ferne saß sie etwas abseits von den Männern. In ihrem Gesicht war nicht die geringste Regung zu erkennen. Sie musste Furchtbares erlebt haben. Ich wollte nicht wissen, wie sie hieß, woher sie kam, wie alt sie war. Diese Daten hatte meine Crew schon längst aufgenommen. Für mich war sie Laila!
Die Seefuchs wurde nach Sizilien beordert, um dort die Gäste abzugeben. Wir fuhren eine Nacht mit dem Schiff durch, einen Tag und noch eine Nacht. Am letzten Morgen vor Ankunft in Augusta machte ich meine Runde über das Hauptdeck. Da sah mich Laila an. Lange! Ein Glanz war in ihren Augen zu erkennen. Und Dank! Lächeln konnte Laila bis dahin noch nicht. Aber plötzlich begann sie zu lächeln. Ja, es war die Lebensfreude in ihren Augen zu erkennen. Hoffentlich werden es noch viele Lailas lernen, was Leben bedeutet.
Wieder auf dem Rückflug von Malta nach Nürnberg saß ein maltesisches Ehepaar neben mir im Flugzeug, um ihre hier mit einem Deutschen verheirateten Tochter in Erlangen zu besuchen, die vor vier Wochen ihr erstes Kind geboren hat. Der Mann erzählte mir, dass sein Freund vor ein paar Tagen beim Fischen 10 km vor Malta eine Leiche im Netz hatte. Ob es Mann oder eine Laila war, konnte der Fischer nicht feststellen. Nach mehr als 350 km von der libyschen Küste entfernt bleibt von einem Menschen nicht mehr viel übrig.
Die Seefuchs wurde danach noch zwei weitere Male nach Italien beordert, um dort Flüchtlinge abzuliefern. Obwohl der Fischkutter nicht für den Transport von Menschen geeignet ist, wurde er auf Weisung des MRCC Rom (sicherlich auf Anordnung des Innenministers) nach Sizilien befohlen. Dabei wurde auch ein Geretteter wieder Opfer des Meeres und fand sein nasses Grab. Nachdem er erst vor dem Ertrinken gerettet wurde, spülte ihn eine Welle über Bord.
Einige Wochen später haben sich dann die Ereignisse überschlagen. Wie in allen Medien berichtet wurde, haben Italien und Malta ihre Häfen für alle Rettungsschiffe gesperrt. Die Aquarius musste ca. 600 Flüchtlinge nach Valencia in Spanien bringen. Die Lifeline lag tagelang mit über 230 Flüchtlingen an Bord fast eine Woche vor Malta.
Seit Ende Juni werden nun drei Schiffe aus fadenscheinigen Gründen festgehalten. Die Lifeline, die Seefuchs und die Seawatch 3. Alle anderen Schiffe waren mehrere Wochen in Tunesien, Spanien oder in Frankreich in Wartestellung, ehe sie wieder zu neuen Rettungseinsätzen aufbrechen konnten.
Schwandorf, den 29.08.2018
Harald Fuchs
E-Mails an den Autor
1 Flüchtlinge
Die Flüchtlinge an Europas Außengrenzen sind Realität. Im Osten Europas werden die Ströme der Flüchtlinge mit Milliardenzahlungen an die Türkei eingedämmt. Auf der Mittelmeerroute wird die Kriminalisierung der NGO’s (Nichtregierungsorganisationen) und Festsetzung der Rettungsschiffe in Italien mit dubiosen Gründen vollzogen. Die Problematik der Flüchtlingsströme mit Zahlungen aus EU-Geldern an die rechtswidrig operierende Libyan Coast Guard ist nach einem aktuellen Gutachten des „Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags“ völkerrechtswidrig (Stand Ende März 2018).
Ab und zu dringen Nachrichten von den Zuständen, die in den Folterlagern Libyens herrschen, in die deutsche Medienlandschaft. Der tauschendfache Tod durch Ertrinken im Mittelmeer wird gerade einmal so zur Kenntnis genommen. Noch 2016 ist im Durchschnitt alle eineinhalb Stunden ein Mensch qualvoll im Meer ertrunken. Das ergab ca. 15 Menschen am Tag. Wenn 2017 „nur“ noch weniger als 10 Personen täglich ertrunken sind, dann sind das immer noch 10 Personen zu viel. Kein einziger hat es verdient so zu sterben. Jedes Leben ist lebenswert und schützenswert.
Diejenigen, die aus Seenot gerettet wurden, haben fast allesamt traumatisierende Erlebnisse hinter sich. Monatelange Qualen in libyschen Folterlagern, Auspeitschen, übergießen von Körperteilen mit Benzin und anzünden, Zähne ziehen mit Beißzangen, Erschießungen einfach nur so zur Belustigung, tagtägliche Vergewaltigungen, … Die Liste ist unendlich lang und der Fantasie der Folterer sind keine Grenzen gesetzt.
Wer nach diesen Strapazen aus Seenot gerettet wird, falls er nicht vorher in den Abgasen der meist doppelstöckigen „ wooden Boats“ im unteren Deck an Kohlenmonoxidvergiftung durch die ins Innere geleiteten Motorabgase stirbt, falls er nicht an Erschöpfung durch Auszehrung, Verletzungen, Verdursten, Verhungern, Dehydration usw. nach zu langer Zeit auf seeuntüchtigen Booten sein Leben lassen muss, der wird zwar geborgen, ist aber immer noch nicht in Sicherheit.
Wer von einer NGO oder von einem der vielen Warships gerettet wird, der hat das bessere Los gezogen. In der Regel wird er in ein sicheres Aufnahmeland (bis Juni 2018 meist Italien) gebracht und irgendwann weitergeleitet oder in sein Herkunftsland rückgeführt. Die LCG bringt die Geretteten wieder zurück nach Libyen in ein zweifelhaftes Schicksal.
Aber auch die Rettung auf ein NGO-Schiff kann den verordneten Tod zur Folge haben. So geschehen bei Mission 7 der Seefuchs Anfang Juni 2018, als Klaus Stadler mit der hoffnungslos überfüllten Seefuchs, die in keiner Weise für Transporte geeignet ist, vom italienischen Innenminister nach Italien beordert wurde. Dass dabei ein Migrant bei starkem Seegang über Bord ging und nicht mehr gerettet werden konnte, war vorhersehbar. Bereits bei meiner Mission 5 als Schiffsführer der Seefuchs habe ich Mitte Mai das MRCC Rom darauf hingewiesen, dass wegen der Wetterlage akute Lebensgefahr für die Flüchtlinge besteht. Ich durfte darauf hin wenigstens noch einen einigermaßen sicheren Hafen auf der Leeseite von Sizilien anlaufen.
Bis zum 17.06.18 wurden dann hunderte behandlungsbedürftiger Menschen tagelang auf der Aquarius bei der Überfahrt nach Valencia in Spanien unnötig gequält, ehe sie festen Boden betreten konnten. In der gleichen Zeit ertranken vor der Küste Libyens nachweislich mehr als ein Dutzend Menschen, weil das Rettungsschiff von Ärzte ohne Grenzen vor Ort ab beordert wurde.
Wer jedoch von der (mit EU-Mitteln und somit auch durch deutsche Steuergeldern unterstützten) Libyan Coast Guard (LCG) „gerettet“ wird, der hat fast immer die schlechteren Karten. Vor laufenden Kameras werden die Geretteten geschlagen, viele der Geretteten springen aus Angst vor den Libyern ins Wasser und ertrinken lieber, als so gerettet zu werden. Durch passives Handeln der Libyer ertrinken viele Menschen unnötig bei der Rettung. Aktives Töten durch die LCG wird im gesonderten Kapitel des Buches unter „Filmlinks“ dokumentiert. Selbst ein italienischer Militärhubschrauber, der tief über dem LCG – Boot flog und versuchte, durch Anweisungen dem barbarischen Töten der Libyer Einhalt zu gebieten, war erfolglos.
Nach Rückführung der „Geretteten“ steht ihnen ein sehr zweifelhaftes Schicksal bevor. Die Libyer haben zwar ihrerseits Statistiken mit Rückführungsquoten, diese erscheinen aber äußerst gering, was die Anzahl betrifft. Da die Angehörigen in den Heimatländern der Überlebenden durch monatelange Livefolterungen über Telefon bereits finanziell ausgeblutet sind, haben die „Geretteten“ in den Lagern keinen monetären Wert mehr. Außer, sie werden als Sklaven versteigert. Unter den neuen Herren müssen die „Sklaven“ dann ihren Kaufpreis, der mittlerweile auf wenige hundert US-Dollar abgesunken ist, in verschiedenen Ländern abarbeiten.
In den libyschen Folterlagern, in denen KZ-ähnliche Zustände herrschen, werden zurzeit über eine Million Menschen aus dutzenden verschiedener Länder aus Asien und Afrika gefangen gehalten und gequält.
Europa darf nicht wegschauen! Deutschland darf nicht wegschauen! Keiner darf wegschauen!
Wegschauen hatten wir schon einmal! Daraus sollten wir lernen!
Die aktuelle verworrene innenpolitische Lage in Deutschland sowie die europäische Uneinigkeit haben seit Ende Juni 2018 mediale Aufmerksamkeit erregt, nachdem die Lifeline mit ca. 230 Menschen an Bord vor Malta ausharren musste. Neun europäische Länder erklärten sich bereit, einen Teil der Migranten aufzunehmen und die Migrationsanträge zu bearbeiten. Deutschland erklärte sich nicht dazu bereit auch nur einen einzigen der Flüchtlinge aufzunehmen.
Seit 8. Juli sperrt Italien alle seine Häfen nicht nur für alle NGO`s, sondern auch für die Mission Sophia und internationale behördliche Grenzschutz-und Rettungsschiffe.
Bis dahin bekam Trump mehr Medienpräsenz in den USA mit der Diskussion, ob seine Mauer nun 9 oder 11 Meter hoch werden soll, als das Foltern und Morden vor Europas Haustür. Mitte Juli hat der italienisch Innenminister Salvini nun auch alle italienischen Häfen die italienische Coast Guard mit über 100 Flüchtlingen, die seit einer Woche an Bord sind, gesperrt.
Liebe EU, liebe Bundesregierung, ich mag es nicht, wenn meine Steuergelder für völkerrechtswidrige Zwecke ausgegeben werden. Und ich mag es schon gar nicht, wenn damit Menschen gefoltert und getötet werden.
H. Fuchs
1.1 Woher kommen sie?
Flüchtlinge weltweit
Quelle UNHCR
Syrien bleibt weltweit das größte Herkunftsland von Flüchtlingen (6,3 Millionen). Aber auch in vielen anderen Ländern kam es zu tausendfachem Flüchtlingselend. Der Hunger im Osten Afrikas, im Südsudan und im Jemen, Kämpfe im Irak, der Zentralafrikanischen Republik, Burundi, der Ukraine zwingen viele Millionen Menschen zur Flucht.
Aus welchen Ländern kommen die Bootsflüchtlinge?
Über das Mittelmeer kommen derzeit vor allem Menschen aus Westafrika. Das liegt laut UNHCR einerseits an der geografischen Lage der Länder, andererseits an ihrer wirtschaftlichen Situation.
Herkunftsländer
Ankunftsländer
Nigeria
17.487
Italien
Syrien
16.557
Griechenland
Guinea
12.158
Spanien
Elfenbeinküste
11.996
Zypern
Marokko
9.558
Bangladesch
8.896
Gambia
7.711
Mali
6.953
Irak
6.906
Algerien
6.444
Januar bis Oktober 2017; Quelle: UNHCR
Die Spitzenplätze wechseln sich regelmäßig ab, eins haben aber alle großen Herkunftsländer für Mittelmeerflüchtlinge gemeinsam: Sie zählen zu den ärmsten Ländern der Welt und kämpfen mit akuten oder langfristigen Folgen schwerer Krisen.
In Guinea brach 2013 die Ebola-Seuche aus, hinterließ Tausende Todesopfer und Waisen und schwächte das ohnehin kaum vorhandene Gesundheitssystem, die Wirtschaft und das Bildungssystem.
In Nigeria hat die Terrororganisation Boko Haram seit 2009 über 2,6 Millionen Menschen in die Flucht getrieben, aktuell herrscht dort eine Hungerkrise.
Auch die Elfenbeinküste kämpft mit Terrorismus. Ein Ableger der islamistischen Gruppe Al-Kaida hatte im März 2016 Anschläge auf drei Hotels verübt.
Einen Ausreißer in der Statistik bildeten Anfang des Jahres Einwanderer aus Bangladesch. Seit Jahren arbeiten sie unter prekären ren Umständen im Mittleren Osten, etwa als Haushaltshilfen oder Bauarbeiter. Anfang des Jahres haben libysche Schleuser ihnen einen Fluchtweg nach Europa eröffnet. Kurzzeitig bildeten Bangladescher sogar die größte Einwanderergruppe aus dem Mittelmeer
Eine Weile führte außerdem Gambia die Rangliste der Top-Herkunftsländer an. Vergleicht man Bruttoinlandsprodukte weltweit, steht Gambia auf Platz 177 von 190. Dahinter kommen nur noch Inselstaaten.
.
Globale Statistiken von UNHCR*
* Zahlen bis Ende 2017
Die fünf größten Herkunftsländer von Flüchtlingen
Syrien
6,3
Millionen
Afghanistan
2,6
Millionen
Südsudan
2,4
Millionen
Myanmar
1,2
Millionen
Somalia
986.400
Die sieben größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen
Türkei
3,5
Millionen
Pakistan
1,4
Millionen
Uganda
1,4
Millionen
Libanon
998.900
Iran
979.400
Deutschland
970.400
Bangladesch
932.200
Länder mit den meisten Binnenvertriebenen
Kolumbien -
7,7 Millionen
Syrien -
6,3 Millionen
Demokratische Republik Kongo
4,4 Millionen
Irak -
2,6 Millionen
Somalia -
2,1Millionen
Jemen -
2 Millionen
Sudan -
2 Millionen
Südsudan -
1,9 Millionen
Ukraine -
1,8 Millionen
Afghanistan -
1,8 Millionen
Nigeria -
1,7 Millionen
Tagesschau, Stand: 03.02.2018 11:14 Uhr
Die neuen Flüchtlinge
Seit Jahresbeginn wagen wieder mehr Migranten die Überfahrt von Libyen nach Europa - darunter auffällig viele Pakistaner. Schlepper nutzen für ihr Geschäft auch Routen über Istanbul oder Abu Dhabi.
Das Chaos im Land machen sich die Schmuggler zunutze: Massenhaft bringen sie Migranten nach Libyen und schleusen sie zur Küste. Und zu den Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern kommt nun auch noch eine andere Gruppe: Auffällig viele Pakistaner sitzen derzeit in den Booten - als dritthäufigste Nationalität. Bei dem jüngsten Bootsunglück mit mehr als 90 Toten stammte eine Mehrheit der Opfer aus Pakistan.
Libyen sei für die muslimischen Pakistaner viele Jahre lang ein attraktiver Arbeitsplatz gewesen, berichtet Millman, vor allem die Ölindustrie. Viele Pakistaner lebten deshalb schon sehr lange schon im Land. Aber, so Millman, "angesichts der schlechten Sicherheitslage haben auch sie sich entschieden, jetzt das Land zu verlassen".
1.2 Warum verlassen sie ihre Heimat?
Die Ursachen sind vielfältig: Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger. Daneben spielen wirtschaftliche Gründe, fehlende Rechtsstaatlichkeit, fehlende Religionsfreiheit, Arbeitslosigkeit, Korruption, Diskriminierung von Volksgruppen, Gewalt allgemein, häusliche Gewalt, Kinderarbeit Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen, Rassismus, Klimawandel und vieles mehr.
Gemäß UNHCR sind 65 Mio. Menschen auf der Flucht - Flucht innerhalb von Ländern ca. 40 Mio. - grenzüberschreitente Flucht in Richtung Europa ca. 25 Mio.
Zitat aus Spiegel online vom 14.12.2017:
Ärzte ohne Grenzen: 6700 Rohingya in einem Monat getötet
Tausende Rohingya sind nach Angaben der Ärzte ohne Grenzen innerhalb des ersten Monats der Gewalt in Burma ums Leben gekommen. Unter den Getöteten seien auch Hunderte Kinder unter fünf Jahren.
REUTERS
Rohingya in Camp in Bangladesch
Donnerstag, 14.12.2017 13:16 Uhr
Allein im ersten Monat des gewaltsamen Vorgehens der Armee von Burma gegen die Rohingya sind mindestens 6700 Angehörige der muslimischen Minderheit getötet worden. Das berichtet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Unter den Getöteten seien mindestens 730 Kinder unter fünf Jahren, heißt es in dem Bericht.
Die Armee begann Ende August, gewaltsam gegen Rohingya-Rebellen im Bundesstaat Rakhine vorzugehen, seither flüchteten nach Uno-Angaben rund 640.000 Angehörige der muslimischen Minderheit ins Nachbarland Bangladesch.
Die Angaben der Ärzte ohne Grenzen beziehen sich demnach auf den Zeitraum vom 25. August bis zum 24. September dieses Jahres. Es handele sich um konservative Schätzungen auf Grundlage von Erhebungen in den Flüchtlingslagern in Bangladesch, hieß es. Die tatsächlichen Todeszahlen könnten sogar noch höher liegen.
Die Umfragen fanden den Angaben zufolge im November in 2434 Familien mit insgesamt mehr als 11.000 Mitgliedern in mehreren Flüchtlingslagern statt. Die Zahlen seien repräsentativ für rund 80 Prozent der seit Ende August in Bangladesch angekommenen Rohingya. Nicht berücksichtigt seien allerdings die Familien, die es nicht in das Nachbarland geschafft hätten. Den weiterhin dort ankommenden Flüchtlingen zufolge dauert die Gewalt in Rakhine noch immer an.
Insgesamt starben im fraglichen Zeitraum nach den vorsichtigen Hochrechnungen mindestens 9000 Rohingya in Burma, davon rund 72 Prozent durch Gewalt. Darunter war mit knapp 70 Prozent die häufigste Todesursache Erschießen. Fast neun Prozent der Toten, und knapp 15 Prozent derjenigen unter fünf Jahren, wurden den Angaben zufolge in ihren Häusern lebendig verbrannt. In 2,6 Prozent der Fälle führte sexuelle Gewalt zum Tod.
1.3 Wie werden sie angeworben?
Ein Werbevideo zeigt eine regelrechte Werbung für Flüchtlinge, wie einfach das Asylverfahren in Deutschland ist. 2014 ließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Film drehen, der das Asylverfahren in Deutschland bewirbt. Ein realitätsferner Clip.
https://www.youtube.com/watch?v=0RppoHXjL24
Aber auch noch in Deutschland wird kräftig geworben. Kriminelle und gewaltbereite Salafisten nutzen die Asylkrise offenbar gezielt aus, um unter den Flüchtlingen Nachwuchs zu rekrutieren. Ein besonderes Problem sind die allein reisenden Minderjährigen.
Die Welt vom 14.06.2016
Islamisten und arabische Clans werben Flüchtlinge an
Von Stefan Aust, Michael Behrendt, Manuel Bewarder, Claus Christian Malzahn
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans Georg Maaßen, warnt vor Versuchen von Islamisten, Flüchtlinge zu werben. Der „ Welt am Sonntag“ sagte er: „Salafisten und andere Islamisten versuchen, Flüchtlinge für sich zu gewinnen.“ Viele kämen ohne Familien zu uns und suchten Anschluss. „Wir haben bereits rund 300 Ansprach versuche gezählt. Sorgen machen mir vor allem die vielen unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlinge. Diese Gruppe wird gezielt angeworben.“
Das seien aber nur die gemeldeten Vorfälle. „Wir gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl viel höher liegt. Wir sehen durch die Ansprachen ein immenses Radikalisierungspotenzial.“ Die arabischsprachige Moscheenlandschaft sei teils nicht moderat. „Viele Häuser sind fundamentalistisch geprägt oder aufgrund ihrer salafistischen Ausrichtung gar Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden“, so Maaßen. Der Moscheebau werde teils durch saudische Privatspenden gefördert.
Auch kriminelle arabische Großfamilien versuchen, Flüchtlinge zu rekrutieren. „Vor allem junge und körperlich starke Männer sind im Visier der Clans“, sagte ein Berliner Ermittler. „Diese werden dann für die Drecksarbeit eingesetzt.“ Der Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra sagte der „Welt am Sonntag“: „Die Flüchtlinge kommen hierher und haben kein Geld. Und ihnen wird gezeigt, wie man ungelernt sehr schnell an Geld kommen kann.“
Maaßen sagte weiter, die Terrormiliz Islamischer Staat nutze die Flüchtlingsströme, um Kämpfer nach Europa zu schleusen. „Der IS will auch Anschläge gegen Deutschland und deutsche Interessen durchführen.“ Dazu werde aufgerufen. Deutsche Städte würden in Zusammenhang mit Paris, London oder Brüssel genannt. „Anhänger sollen dazu animiert werden, von sich aus Anschläge auch bei uns zu begehen.“
Nach 76 gewaltbereiten Islamisten wird gefahndet
André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), gibt zu bedenken, dass Zehn tausende Zuwanderer hier lebten, „von denen wir nicht wissen, wer sie sind, wo sie genau herkommen und wo sie sich aufhalten“. Das sei „für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbar“. Rainer Wendt, Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, kritisiert: „Die Annahmen mancher Politiker, es sei nicht zu befürchten, dass sich IS-Kämpfer unter Flüchtlinge mischen, ist blauäugig und naiv.“ Vielleicht bereiteten „sie schon die nächsten Anschläge vor“.
Derweil suchen Sicherheitsbehörden Dutzende gefährlicher Islamisten, die teils untergetaucht sind. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, die der „Welt am Sonntag“ vorliegt: 76 gewaltbereite Islamisten werden per Haftbefehl gesucht. Die Ausreisen nach Syrien und in den Nordirak gehen zurück. 2015 reisten rund 150 Islamisten aus Deutschland ins Kriegsgebiet.
Über die Jahre wurden über 800 Ausreisen festgestellt. Rund 130 von ihnen sind tot, allein 2015 starben rund 80. Etwa ein Drittel aller seit 2012 in die Kriegsregion Gereisten halten sich wieder in Deutschland auf. Etwa 70 sollen aktiv an Kämpfen teilgenommen oder eine militärische Ausbildung absolviert haben.
1.4 Wie verläuft ihre Reise nach Libyen?
Zeit Online vom 19.11.2017:
Libyen ist Transitland für Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern, vor allem aus Guinea, Senegal, Mali, Niger, Nigeria und Gambia. Viele Migranten nehmen den Weg durch die Wüste auf sich, da sie hoffen, von Schleusern über die Mittelmeerroute nach Italien gebracht zu werden. Es wird vermutet, dass auch in der Sahara sehr viele Flüchtlinge sterben. Wer es schafft, strandet dennoch meist für eine Weile in Libyen und wird dort in Haftzentren untergebracht, die Diplomaten des Auswärtigen Amts als "KZ-ähnlich" bezeichneten.
Die Sea-Eye hat am 23.04.2018 103 Personen aus einem Gummiboot aus Seenot gerettet.
Darunter auch Menschen wie Ghandi, dessen Verlauf seiner Flucht in Kapitel 1.19 beschrieben wird.
1.5 Was erwartet die Flüchtlinge in Libyen?
Flüchtende sind zum großen Teil in Libyen in Lagern eingesperrt. Nach Mitteilung des UNHCR werden Flüchtende, die in Libyen aufgegriffen werden, in Lager verbracht. Es wird solange Druck ausgeübt, bis die Flüchtlinge finanziell ausgepresst sind. Folter, Vergewaltigungen und Erschießungen sind tägliches Geschehen. Der UNHCR hat nur wenige Lager besuchen können und geht davon aus, dass in nicht besuchten Lagern die Situation der Flüchtlinge noch schlimmer ist.
Quelle: Netzwerk Flüchtlingsforschung
Libysches nationales Recht erlaubt Haft bei „illegaler Einreise“
Nach der Absetzung von Muammar Al-Gaddafi gelang es der Übergangsregierung in Libyen nicht, Rechtsstaatlichkeit und Stabilität im Land zu verfestigen, welches mittlerweile in weiten Teilen von Milizen, Stämmen und Banden kontrolliert wird. Nicht nur die politische Lage, auch die rechtliche Situation in Libyen gerieten aus den Fugen, als die frühere Regierung im Sommer 2014 aus Tripolis floh und der Oberste Gerichtshof Libyens das Parlament für verfassungswidrig erklärte.
Die Rechtsgrundlage für die Inhaftierung von Migrant_innen und Asylsuchenden ist im nationalen libyschen Recht zu finden, welches die „illegale Einreise” mit Geldstrafen, Haft und Ausweisung bestraft. Das Gesetz Nr. 6 (1987) zur Einreise, Aufenthalt und Ausreise von Ausländern nach/aus Libyen in der Fassung des Gesetzes Nr. 2 (2004) sowie das Gesetz Nr. 19 (2010) zur Bekämpfung der irregulären Migration kriminalisieren und sanktionieren Verstöße gegen Migrationsbestimmungen mit hohen Bußgeldern, Zwangsarbeit und Haftstrafen gefolgt von einer Ausweisung nach Ablauf der Haft.
Das libysche Recht macht zudem keine Unterscheidung zwischen Migrant_innen, Flüchtlingen, Opfern von Menschenhandel oder anderen Personen, die internationalen Schutz benötigen. Das Gesetz Nr. 19 (2010) zur Bekämpfung irregulärer Migration sieht in Fällen „illegaler Einreise“ unbefristete Inhaftierung vor, was gegen international anerkannte Menschenrechte verstößt. Im Rahmen des internationalen Menschenrechtsschutzes verstoßen Haftstrafen, die nicht auf einer individuellen Beurteilung der Umstände im Einzelfall beruhen, sondern lediglich zur Abschreckung „illegaler“ Einreisen missbraucht werden, gegen grundlegende Prinzipien. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass Libyen kein Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, welche den Begriff „Flüchtling“ definiert und deren Rechte sowie die rechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zum Schutz von Flüchtlingen, insbesondere das Non-Refoulment Prinzip kodifiziert. Zwar hat Libyen die regionale Organization of African Unity Convention Governing the Specific Aspects of Refugee Problems in Africa unterzeichnet, welche ebenfalls den Begriff „Flüchtling“ definiert und in Artikel II den Grundsatz der Nichtzurückweisung beinhaltet. Jedoch wurde diese Konvention bis heute nicht in nationales Recht in Libyen inkorporiert.
ZEIT ONLINE: Was passiert mit den Migranten, wenn sie in Libyen ankommen?
Doyle: Sie werden von Milizen entführt und festgehalten. Die Milizen nehmen ihnen das restliche Bargeld ab, alle Wertsachen und Papiere. Einige werden auf der Stelle erschossen. Die anderen werden zur Ware der Menschenhändler. Dieses System funktioniert vor allem deshalb, weil Libyen seit dem Sturz von Gaddafi ein failed state ist, ein Land ohne funktionierende staatliche Strukturen. Es gibt keine Regeln, die den Schleppern Einhalt gebieten könnten.
Libyen hat sechs Millionen Einwohner und ist doppelt so groß wie Frankreich. Man schätzt, dass etwa eine Million Migranten in Libyen leben. Die Migranten sind für viele Libyer ein Geschäftsmodell geworden, eine wichtige Einkommensquelle.
ZEIT ONLINE: Wer profitiert von diesem Sklavenhandel?
Doyle: Die Milizen verwenden das Geld, das ihnen die Sklavenverkäufe bringen, für Waffen und Kampfmaterial. Viele ganz normale Libyer, Geschäftsleute, kaufen Migranten, um sie als Arbeitskräfte auszubeuten. Die Schmuggler, die die Menschen auf die Boote Richtung Europa setzen, bereichern sich daran. Sie verdienen mit den Überfahrten manchmal an einem Wochenende Hunderttausende US-Dollar. Andere foltern die Migranten, um von deren Angehörigen Lösegeld zu erpressen.
Ein Auszug aus der Welt digital vom 29.01.2017:
Auswärtiges Amt kritisiert„KZ-ähnliche Verhältnisse“
Von Manuel Bewarder, Alfred Hackensberger, Christoph B. Schiltz Veröffentlicht am 29.01.2017
Das Auswärtige Amt berichtet von grausamen Verhältnissen für Migranten in Libyen.
In den Flüchtlingslagern des Landes gebe es systematisch „Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen“.
Kommende Woche findet ein EU-Gipfel zu Libyen statt. Ska Keller (Grüne) lehnt ein Flüchtlingsabkommen mit dem Land ab.
Warum das wichtig ist:
Durch ein Abkommen könnten Migranten einfacher zurück nach Libyen geschickt werden, wo ihnen Folter und Tod drohen.
Angesichts eines möglichen Migrationspakts mit Libyen hat das Auswärtige Amt die Lage in den Flüchtlingslagern des Landes ungewöhnlich scharf kritisiert. Die deutsche Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey berichtet in einer sogenannten Diplomatischen Korrespondenz (intern: „Drahtbericht“) an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen“. Das berichtet die „ Welt am Sonntag“ mit Bezug auf das Schreiben, das der Zeitung vorliegt. Wörtlich heißt es demnach: „Authentische Handy-Fotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.“
In solchen „Privatgefängnissen“ würden Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten. „Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung“, heißt es in dem Bericht. „Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, d.h. den menschlichen ,Durchsatz’ und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen“, heißt es laut „Welt am Sonntag“ in dem Bericht der Botschaft in Niamey weiter.
Deutsche Welle vom 15.03.2018
Willkürliche Verhaftungen und Folter
Indessen erhebt ein bisher unveröffentlichter UN-Bericht laut einer Vorabmeldung des ARD-Magazins "Monitor" schwere Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte der libyschen Einheitsregierung. Darin werfen die Vereinten Nationen einer Sonderpolizeieinheit der libyschen Einheitsregierung Folterungen, Menschenhandel und willkürliche Verhaftungen von Flüchtlingen vor. Begangen wurden diese Taten demnach von der Special Deterrence Force (SDF), die dem Innenministerium unterstellt ist. Die SDF sei an "Entführungen und willkürlichen Verhaftungen von libyschen Bürgern und Ausländern beteiligt", heißt es.
Der UN-Bericht beziehe sich auch auf Aussagen ehemaliger Gefangener, die von Erpressung und Misshandlungen berichteten. Demnach sei es auch zu Todesfällen gekommen, "verursacht durch Folter Gefangener und die Verweigerung medizinischer Hilfe".
Deutsche Welle 21.04.2014
Afrika
Flüchtlinge in Libyen: verkauft für 200 US-Dollar
Immer wieder berichten Hilfsorganisationen von Folter und Sklaverei in Libyen. Der Fotograf Narciso Contreras hat ihr Leid mit eigenen Augen gesehen.
Sklaverei, Vergewaltigung, Folter. Immer wieder dringen Geschichten vom Leid afrikanischer Flüchtlinge aus Libyen an die Öffentlichkeit. Doch es gibt kaum Journalisten, die aus dem Land berichten, das seit Jahren in Krieg und Chaos versinkt. Als einer der ersten hat der mexikanische Fotograf Narciso Contreras das Leben afrikanischer Migranten in Libyen dokumentiert. Für seine Bilder über Sklaverei dort hat ihn die Carmignac-Stiftung ausgezeichnet.
Im Gespräch mit der DW bestätigt Contreras, dass Flüchtlinge in Libyen als Sklaven gehalten und mit Zwangsarbeit ausgebeutet werden. Er sagt, dass die libyschen Behörden - eigentlich auch für die Sicherheit von Migranten zuständig - oft selbst in den Sklavenhandel verwickelt seien. Er selbst habe zwei versklavte Flüchtlinge getroffen, die von libyschen Beamten zur Arbeit gezwungen wurden. Einer dieser Sklavenhalter sei der Direktor eines Flüchtlingszentrums in Sorman gewesen, etwa 60 Kilometer westlich der libyschen Hauptstadt Tripolis.
"Drehkreuz des Menschenhandels"
"Es ist wichtig, festzustellen, dass Libyen ein Drehkreuz des Menschenhandels geworden ist", sagt Contreras. Viele der Milizen, die im Bürgerkrieg kämpfen, seien auch als Menschenschmuggler zwischen Afrika und Europa als Sklavenhändler aktiv. Viele Migranten auf dem Weg nach Europa machen in Libyen Halt – oft kommen sie monate- oder gar jahrelang nicht weiter.
Zeugenaussagen OXFAM, 09.08.2017
Horror in Libyen: Geflüchtete berichten von Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit
Wir haben Geflüchtete interviewt, die aus Libyen nach Sizilien entkommen sind. Die Aussagen zeichnen ein Bild der erschreckenden Umstände, denen Flüchtlinge und andere Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Die EU darf Menschen in Not nicht daran hindern, Libyen in Richtung Europa zu verlassen.
Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit gehören zum Alltag vieler afrikanischer Geflüchteter in Libyen. Das zeigt der Bericht „You aren't human any more“, den Oxfam gemeinsam mit den italienischen Partnerorganisationen MEDU und Borderline Sicilia herausgegeben hat.
Der Bericht beruht auf Interviews mit Geflüchteten, die von Libyen aus Sizilien erreicht haben. Mehrere Befragte berichteten übereinstimmend, von Banden in unterirdischen Kerkern gefangen gehalten worden zu sein, um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen. Ein senegalesischer Teenager gibt an, aus einer Zelle voller Leichen entkommen zu sein, andere wurden regelmäßig geschlagen und mussten monatelang hungern.
Italien und die übrigen EU-Staaten müssen von politischen Initiativen absehen, mit denen Menschen in Not daran gehindert werden sollen, Libyen in Richtung Europa zu verlassen.
Sexuelle Gewalt
158 Interviews mit 31 Frauen und 127 Männern, die Oxfam und Partnerorganisationen mit Geflüchteten in Sizilien geführt haben, zeichnen ein dramatisches Bild der Lage in Libyen:
Sie verprügelten jeden Teil meines Körpers und zwangen mich dazu, an sexueller Gewalt gegen die anderen Frauen mitzuwirken.
Esther, 28, aus Nigeria
Nahezu alle befragten Frauen haben sexuelle Gewalt erlebt. Die 28-jährige Esther aus Nigeria beispielsweise berichtet von ihren Erinnerungen über die Zeit, in der sie fünf Monate lang mit ihrer Schwester in einem Gefängnis in Zawia in Libyen eingesperrt war:
„Männer in Uniformen waren gewalttätig und mit Pistolen, Eisenstangen und Stöcken bewaffnet. Sie wollten Erpressungsgeld. Sie verprügelten jeden Teil meines Körpers und zwangen mich dazu, an sexueller Gewalt gegen die anderen Frauen mitzuwirken. Ich habe Narben an meinem Kopf und an meinem rechten Arm. Wegen der Schläge, unter denen ich litt, verlor ich mein ungeborenes Kind. Meine Schwester starb aufgrund der Misshandlungen. Ich verlor eine Menge Blut, ohne jegliche Hilfe bekommen zu haben.“
Folter und Mord
74 Prozent der Geflüchteten sagten aus, Folter und/oder Mord an Reisegefährten beobachtet zu haben; 84 Prozent berichteten, selbst Opfer unmenschlicher und entwürdigender Behandlung wie körperlicher Gewalt oder Folter geworden zu sein.
Als ich aufwachte, dachte ich, ich sei tot. Überall war Blut. Ich befand mich in einer Zelle mit anderen Menschen – und Leichen.
Lamine, 18, aus Senegal
Der 18-jährige Lamine aus Senegal erzählt davon, wie er neben Leichen in einer Zelle in Tripoli eingesperrt war:
„Als ich gefangen wurde, schlugen sie mit einem Gewehr auf meinen Kopf. Ich fing an zu bluten und wurde bewusstlos. Als ich aufwachte, dachte ich, ich sei tot. Überall war Blut. Ich befand mich in einer Zelle mit anderen Menschen – und Leichen. Ich sah einen Soldaten, wie er einem anderen Mann die Nase brach und ihn so sehr verprügelte, dass er sein Augenlicht verlor. Sie brachen meinen Finger und verletzten mein Bein mit einem Messer. Ich verharrte dort für drei Wochen. Eines Tages, als niemand schaute, konnte ich durch das Fenster im Badezimmer fliehen.“
Nahrung und Wasser verweigert
80 Prozent der Befragten gaben an, ihnen sei in Libyen regelmäßig Nahrung und Wasser verweigert worden.
Es gab nicht genug Platz zum Schlafen, es gab kein Trinkwasser und das Essen war verdorben.
Peter, 18, aus Nigeria
„Als wir in Sabah in Libyen angekommen waren, wurde ich ins sogenannte Ghetto gebracht – ein großes Haus ohne Fenster, in dem 300 Afrikaner festgehalten wurden“, erzählt der 18-jährige Peter aus Nigeria. „Es war schrecklich. Jeden Tag ist jemand gestorben. Es gab nicht genug Platz zum Schlafen, es gab kein Trinkwasser und das Essen war verdorben.“
„Sie gaben uns ein Telefon, um unsere Familien anzurufen, die wir um Geld bitten sollten. Wenn man keine 1.500 libysche Dinar (ca. 1.000 Euro) zahlen konnte, wurde man weiter im Haus gehalten und geschlagen. Ich habe ein paar Leute kennen gelernt, die dort sechs Monate bleiben mussten, weil sie nicht zahlen konnten. Ich selbst habe fünf Menschen im Ghetto wegen des Essensmangels sterben sehen – und durch Schusswunden, die sehr häufig waren. Ich musste drei Wochen bleiben, bis ein Freund von mir das Lösegeld zahlte – dann kam ich frei.“
EU darf Menschen nicht von Flucht abhalten.
Hamza, 30, from Morocco, told how he almost died fighting off a gang who tried to rape him:
‘I was detained by an armed gang while I was walking down the street in Tripoli. They hooded me and brought me to an underground prison. They asked me to demand a ransom from my family. They beat and wounded me several times with a knife. I still have the scars. I have no more strength in my forearms and they still bother me. A muscle in my left arm was completely torn due to the maltreatment. I was on the verge of dying because of the beatings I endured to resist the traffickers who wanted to rape me. They regularly raped men. I have seen all kinds of sexual
Esther, 28, from Nigeria, reca
lls how she was locked up in Zawia prison, with her sister, for around five months:
‘Men in uniform were violent and armed with guns, iron bars and sticks. They asked for blackmail money. I was beaten on every part of my body and forced to collaborate in sexual violence perpetrated against the other women. I have scars on my head and right arm. I lost my poor little child who was in my womb due to the beatings I suffered, and my sister died from the beatings and abuse. I lost a lot of blood without receiving any kind of help.
Torture
Lamine, 18,
from Senegal told how he was imprisoned in a cell in Tripoli alongside dead bodies: When I was captured, they hit me with a rifle on my head. I started bleeding and I fainted. When I woke up I thought I was dead. There was blood everywhere. I found myself in a cell with otr people… The cell was full of dead bodies. I saw soldiers breaking the nose of one guy and beating him so seriously on his head that he lost his eyes. They broke my finger and cut my left leg with a knife. I remained there for three weeks, then one day when no one was watching I managed to escape through the bathroom window.
18-year-old Chidi from Gambia spoke of the torture he was subjected to:
‘When I had just arrived in Libya in 2016 I was kidnapped by a gang that brought me to the Zuwarah prison in Sabratha, where I remained for about three months with other detainees. Our captors gave us food once a day and regularly committed acts of torture and violence against everyone held there. I was subjected to repeated acts of suspension torture – where my hands were tied behind my back and suspended by a rope attached to the ceiling –and I was continually beaten over the head.
Spiegel online 10.12.2017
Libysche Milizen setzen Vergewaltigung von Männern als Kriegswaffe ein
Im libyschen Bürgerkrieg setzen Milizen gezielt Vergewaltigungen ein. Erstmals brechen Zeugen ihr Schweigen. Ermittler wollen die Täter vor Gericht stellen. Doch ihre Arbeit ist mühsam und riskant.
Aus Tunis und Tripoli berichtet Cécile Allegra, "Le Monde"
Thomas Brémond/ Arte
Vergewaltigungsopfer Yasine
Freitag, 10.11.2017 21:12 Uhr
Dieser Text ist Teil einer Kooperation von sechs europäischen Medienhäusern, die den Fokus auf das Flüchtlingsdrama im Mittelmeerraum und in Afrika richtet. Mehr zur Zusammenarbeit von "Politiken" (Dänemark), "La Stampa" (Italien), "Le Monde" (Frankreich), "El País" (Spanien), "The Guardian" (Großbritannien) und DER SPIEGEL lesen Sie hier.
Seitdem Diktator Muammar al-Gaddafi in Libyen gestürzt wurde, versinkt das Land im Chaos. Die Bevölkerung ist seitdem Milizen ausgeliefert, die Menschen entführen, sexuell misshandeln, töten.
Bisher konnten internationalen Organisationen wie die Uno nicht nachweisen, dass systematische Vergewaltigungen seit dem Ende des Gaddafi-Regimes im Jahr 2011 eingesetzt werden. Eine kleine Gruppe libyscher Ermittler, Staatsanwälte und ehemaliger Richter will das ändern: Sie dokumentiert heimlich von Tunesien aus die schrecklichen Vergehen. Mithilfe von gesammelten Zeugenaussagen decken sie ein System organisierter Vergewaltigungen auf, das sich hauptsächlich gegen Männer richtet.
Die französische Journalistin Cécile Allegra hat die Gruppe bei ihrer komplizierten und gefährlichen Arbeit begleitet. Entstanden ist eine Chronologie ihrer Ermittlungen.
November 2016
In einem Büro in Tunesien schauen sich Ex-Staatsanwalt Ramadan und sein Freund, der Aktivist Imed, Beweismaterialien an. In einem Video ist ein junger Mann zu sehen, er sitzt zitternd im Sand. Den Kopf hat er gesenkt. Ein Uniformierter, von dem man nur den Arm sieht, hebt den Mann hoch, zieht ihm erst die Hose, dann die Unterhose aus und nähert sich seinem Po mit einer Panzerfaust. Die Kamera dreht sich weg, Ex-Staatsanwalt Ramadan dreht sich weg. "Mach das aus, das ist sadistisch!"
Weitere Videos folgen, eins grausamer als das andere. Seit fast drei Jahren recherchieren Imed und Ramadan zu den Gewaltexzessen in ihrem Land. Seit dem Ende der Revolution 2011 gehören Entführung, Erpressung, Folter und das ungeklärte Verschwinden von Personen zu ihrem Alltag. Genau wie die Vergewaltigungen, die überall im Land in Gefängniszellen geschehen.
Doch sie benötigen mehr Belege - und Zeugen, die öffentlich aussagen. Aber seit drei Jahren stoßen die Ermittler auf eine Mauer des Schweigens. Und wenn doch einmal Folterüberlebende aussagen, ziehen sie ihre Aussagen später zurück. Denn Vergewaltigungen sind ein Tabuthema in der libyschen Gesellschaft. Ihre Suche nach gerichtsfesten Beweisen beginnt.
Februar 2017
Die Tür öffnet sich und Ahmed tritt ein. Der 45-Jährige sieht aus wie ein Gespenst: Er wurde von 2012 bis 2016 im Gefängnis im Ort Tomina festgehalten. Seine Schilderungen sind erschütternd: "Sie nehmen einen Besen und befestigen ihn an der Wand. Wenn du essen willst, musst du deine Hose ausziehen, den Besen von hinten in dich eindringen lassen und solange weitermachen, bis der Wärter Blut fließen sieht. Niemand kann sich dem entziehen."
Ahmed berichtet, dass die Wärter gezielt schwarzafrikanische Migranten in die Zellen sperrten. Sie hätten die Afrikaner gezwungen, libysche Häftlinge zu vergewaltigen. Wer sich widersetzte, wurde getötet. Das Libyen der Post-Gaddafi-Zeit hat ein Monster geboren, in dem Männer Ziel systematischer Vergewaltigung geworden sind und Migranten als körperliche Instrumente dieser Rache missbraucht werden.
Ahmeds Aussagen sind für die beiden Ermittler ein erster Durchbruch.
Dann meldet sich ein zweiter Zeuge, der Misshandlungen in einem anderen Gefängnis schildert: Folter mit einer Flasche mit gezacktem Verschluss, auf die das Opfer sich setzen muss und die der Peiniger mit einem heftigen Ruck herauszieht. Folter mit einem Rad, welches die Hände und Füße des Gefangenen fixiert, während ihm Panzerfäuste unterschiedlicher Größe in den Anus eingeführt werden.
Mit den übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen und einem medizinischen Protokoll, das erstellt wird, haben die Ermittler nun Indizien für die Existenz eines grauenhaften Systems. Doch Ramadan und Imed müssen und wollen noch mehr herausfinden - ihnen bleibt keine andere Wahl, als selbst nach Libyen zu fahren. Es ist eine Reise, die viele Gefahren birgt, das weiß auch Imed: "Wenn mich die Miliz fasst, werden sie mich vergewaltigen, damit ich für immer schweige." Er tritt die Fahrt dennoch an.
Mai 2017
Ein Gebäude irgendwo südlich von Tripoli: Imed trifft auf eine kleine Gruppe von Aktivisten. Sie führen Buch über Entführungen, Inhaftierungen und das Verschwinden von Männern. Ihr Anführer öffnet einen Schrank. In diesem befinden sich 650 Akten in alphabetischer Reihenfolge. Ein großer Teil von ihnen beschreibt die Vergewaltigung von Männern.
Imed muss die neuen Daten, Orte und Namen überprüfen. Die meisten Fälle betreffen die Tawurganer, ein libyscher Stamm, zu dem auch Imed gehört. Es sind Nachkommen von Sklaven, die verachtet werden, weil sie schwarz sind. Ihnen wird vorgeworfen, Gaddafi unterstützt zu haben und in zahlreiche Vergewaltigungen in Misurata involviert gewesen zu sein. Ihre Stadt Tawurga wurde zerstört und die 35.000 Einwohner flüchteten in Lager nach Bengasi und Tripoli.
Eines dieser Lager ist Fallah im Süden der Hauptstadt. Hier trifft Imed den Ex-Häftling Ali, der gerade aus Tomina entlassen wurde. Ali ist 39, sieht aber gut 30 Jahre älter aus und kann sich nur mit Hilfe eines Gehstocks fortbewegen. Er sei unzählige Male vergewaltigt worden, berichtet er. Jetzt hat er schwere gesundheitliche Probleme. "Ausfluss", sagt er.
Juni 2017
Zurück in Tunis: Imed und Ramadan haben durch ihre Reise nun weitere 650 Dossiers in ihren Händen, die Zeugnis über Vergewaltigungen in Gefängnissen im Westen des Landes ablegen - und darüber, dass gezielt Jagd auf die Tawurganer gemacht wird. Imed schätzt, dass zwischen 3000 und 5000 Mitglieder des Stammes misshandelt und getötet wurden. Möglicherweise ist dieses Verbrechen als Genozid zu bewerten.
Doch bis die Justiz reagiert, dauert es. Zwar hat die Staatsanwältin Fatou Bensouda vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) im Herbst 2016 einen Antrag an den Uno-Sicherheitsrat eingereicht, um mehr Geld für die Ermittlungen zu bekommen. Doch diese zu eröffnen, bedeutet einen riesigen Kraftakt: Fakten müssen rekonstruiert, die Verantwortlichen ermittelt werden. Und mit welchen Fällen soll man anfangen?
August 2017
Während das Netzwerk in Tunis weiter an seiner Ermittlungsakte arbeitet, stellt der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen den Kommandanten Mahmoud Al-Werfalli aus, dem Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.
Al-Werfalli ist der Anführer der Al-Saiqa Brigade und ein Verbündeter von General Khalifa Haftar, der seit Jahren den Osten Libyens kontrolliert. Zum ersten Mal werden Videos aus dem Internet als Beweismaterial vor dem IStGH zugelassen. Sie zeigen Hinrichtungen die von Al-Werfalli ausgeführt wurden. Damit stellt sich indirekt auch die Frage der möglichen Verwicklung von General Haftar.
Den Ermittlern in Tunis macht das neuen Mut. Sie wissen nun, dass die von ihnen gefundenen Videos rechtliche Gültigkeit besitzen. Das könnte weitere Opfer aus den geheimen Gefängnissen Libyens dazu bewegen, eine Aussage zu machen.
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, womöglich ein Genozid an einem Teil der schwarzen Bevölkerung. Die Ermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen.
Ramadan und Imed bereiten gemeinsam mit einer Anwältin nun einen Bericht vor, mit dem die Gräueltaten seit 2011 offengelegt werden sollen.
1.6 Wie werden die Flüchtlinge auf die Boote gebracht?
Flüchtlinge werden zu Hunderten auf Gummibooten oder bis zu 1000 Menschen auf Holzbooten eingepfercht. Die Boote sind nicht seetüchtig, die Menschen haben keine Rettungsmittel, zu wenig Benzin um Italien zu erreichen; sogenannte „Motorfischer“ entwenden Motor und Benzin aus dem Gummiboot, ggf. nach einem erzwungenen Stopp des Boots. Die Flüchtlinge sind völlig hilflos, die Gummiboote sind über längere Zeit nicht luftdicht und beginnen zu sinken. Da die Flüchtlinge in der Regel nicht schwimmen können, ertrinken sie sofort. Es gibt Wetterlagen, bei denen 2000 bis 3000 Menschen an einem Tag gleichzeitig auf das Meer geschickt werden. Ohne Rettung sind sie verloren. Das Meeresgebiet ist sehr groß, die Sichtbarkeit eines Bootes mit dem Fernglas bei geringer Welle beträgt etwa 4-6 km. Bei höherem Seegang ist die Sichtbarkeit weiter eingeschränkt. Viele Boote werden nicht gefunden. Die Dunkelziffer der so Sterbenden ist sehr hoch. Die erforderliche Logistik, um innerhalb weniger Stunden über die Straßen in Libyen aus den verschiedensten Lagern Tausende Menschen an nur wenige geeignete Strände zu bringen, die große Anzahl von Booten vorzubereiten und dann in das Wasser zu bringen, kann der Küstenwache nicht entgehen. Es gibt weitere Anzeichen dafür, dass sie gemeinsame Sache mit den Schleppern macht.
tz vom 04.11.16
Genf/Rom - Eine Frau sieht ihre Kinder vor sich ertrinken. Andere Migranten erreichen Italien nur im Koma. Eine neue Flüchtlingskatastrophe offenbart, dass die Menschenschlepper keine Gnade kennen.
Vor der Katastrophe mit vermutlich fast 240 Toten im Mittelmeer haben Schmuggler nach Angaben einer UN-Organisation auf Flüchtlinge geschossen, damit sie an Bord gehen. Das Kinderhilfswerk Unicef teilte am Freitag mit, Augenzeugen hätten berichtet, dass sie nicht auf das Schiff gehen wollten, weil es ihnen unsicher erschienen sei. „Aber die Schmuggler schossen auf sie und zwangen sie, zu gehen“, sagte Helena Rodriguez vom UN-Kinderhilfswerks Unicef.
Am Donnerstag war bekannt geworden, dass nach dem Kentern mehrerer Flüchtlingsboote wenige Kilometer vor der libyschen Küste mindestens 239 Menschen vermisst werden.
Überlebende in schrecklichem Zustand
Ein Frau aus Libyen habe ihren zwei Jahre alten Sohn, ihre 13-jährige Tochter und ihren 21 Jahre alten Bruder verloren, sagte Rodriguez, die auf der italienischen Insel Lampedusa bei der Ankunft der Überlebenden dabei war. „Die Tragödie hat die junge Frau in einen Schockzustand versetzt, nachdem ihre Kinder und ihr Bruder vor ihren Augen ertrunken waren.“ Obwohl sie den Schmugglern 2400 Dollar bezahlt habe, wollte sie zusammen mit anderen aus Angst nicht auf die seeuntüchtigen Boote.
Die Überlebenden seien in einem schrecklichen Zustand gewesen, als sie auf Lampedusa angekommen seien, einige waren im Koma andere hätten schwere Verbrennungen erlitten, weil sie dem Treibstoff ausgesetzt waren. „Es ist eine grauenhafte Situation hier“, sagte Rodriguez der Mitteilung zufolge.
1.7 Wie sterben die Flüchtlinge auf See?
Deutsche Welle 30.08.2016
Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
Das Mittelmeer als Massengrab: Tausende Flüchtlinge sterben auf ihrem Weg von Afrika in eine vermeintlich bessere Zukunft in Europa. Die Kritik an der EU wird immer lauter.
Sie sind tagelang unterwegs in altersschwachen Booten. Dicht gedrängt, wenig geschützt vor Sturm und Gischt. Kaum Essen und Trinken an Bord. In der Hoffnung auf ein besseres Leben nehmen Flüchtlinge viel auf sich, um von Afrika nach Europa zu gelangen. Tausende haben dies schon mit dem Leben bezahlt.
In den ersten neun Wochen des Jahres dokumentierte das IOM der UN allein 442 Todesopfer. Es werden weiter Menschen aus Seenot gerettet. Es werden vor allem jedoch Menschen völkerrechtswidrig von der Flucht abgehalten und an jene Orte zurückgebracht, denen sie unter Einsatz ihres Lebens zu entkommen versuchten.
Der Tod für die Flüchtlinge auf den seeuntüchtigen Woodenoder Rubberboats (Holz- oder Gummiboote) hat viele Gesichter:
- Vergasung durch Kohlenmonoxidvergiftung im Unterdeck der Holzboote, da die Motorabgase ins Innere der Boote geleitet werden
- Auszehrung durch vorangegangene Verletzungen, Vergewaltigungen, Folterungen, …
- Austrocknung durch zu lange Zeit ohne Wasser und Sonnenschutz auf See
- Überbordgehen durch Ermattung oder durch Gewaltanwen dung von anderen ethnischen Gruppen
- Vorerkrankungen
- Sinken oder Kentern der Schiffe und Boote
- Ertrinken im Gemisch aus Urin, Fäkalien, Erbrochenem, Dieselreste, Meerwasser im Inneren der Boote (so stieß Severin aus Koblenz in einem abgeborgenen Schlauchboot, welches verbrannt werden sollte, in vorgenanntem Gemisch auf eine Babyleiche).
Deutsche Welle vom 30.08.2016
Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
Das Mittelmeer als Massengrab: Tausende Flüchtlinge sterben auf ihrem Weg von Afrika in eine vermeintlich bessere Zukunft in Europa. Die Kritik an der EU wird immer lauter.
Sie sind tagelang unterwegs in altersschwachen Booten. Dicht gedrängt, wenig geschützt vor Sturm und Gischt. Kaum Essen und Trinken an Bord. In der Hoffnung auf ein besseres Leben nehmen Flüchtlinge viel auf sich, um von Afrika nach Europa zu gelangen. Tausende haben dies schon mit dem Leben bezahlt.
Tagesschau vom 03.02.2018:
Von Anna Osius, ARD-Studio Kairo
Ein Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer vor wenigen Tagen: Das Schiff der Hilfsorganisation SOS Mediterrane hat ein gekentertes Boot entdeckt. Videoaufnahmen zeigen dramatische Szenen. Als die Retter das Schlauchboot erreichen, treiben die Flüchtlinge schon im Wasser. "Die Menschen schrien und kämpften um ihr Leben, es war furchtbar", erzählt eine Helferin. Sechs Kinder und eine Frau können die Hilfskräfte reanimieren. Aber zwei Frauen sterben.
Tagesschau vom 03.02.2018:
"So viele Leichen versinken einfach im Meer"
Und von dort ging es mit dem Schiff weiter nach Europa. Viele bezahlen die Überfahrt mit dem Leben: Seit Mitte vergangenen Jahres gab es kaum einen so tödlichen Monat für Flüchtlinge wie diesen Januar. Rund 250 Menschen starben allein in den ersten Tagen des neuen Jahres.
Die Wahrscheinlichkeit, die Überfahrt nicht zu überleben, sei gestiegen, sagt Julia Black von "Missing migrants" - ein Projekt der IOM, das sich um die Todesopfer kümmert. Und das könne daran liegen, "dass Schmuggler immer mehr Migranten gleichzeitig auf See schicken, was die Rettung deutlich erschwert".
15.000 Tote im Mittelmeer
Black und ihre Kollegen versuchen zu dokumentieren, wie viele Menschen bereits im Mittelmeer gestorben sind. Sie befragen Insassen, zählen Leichen, machen Schätzungen. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, sagt sie. "So viele Leichen versinken einfach im Meer, die Menschen gehen einfach verloren, verschwinden - es ist eine riesige humanitäre Katastrophe. Viele Familien werden niemals erfahren, was mit ihren Angehörigen passiert ist."
Mehr als 15.000 Menschen sind bislang auf dem Mittelmeer gestorben - bei ihrem verzweifelten Versuch, nach Europa zu kommen. Und Beobachter sind sich einig: Es werden wohl noch mehr.
Tagesschau, Stand: 02.02.2018 12:08 Uhr
Vor der Küste Libyens sind vermutlich rund 90 Menschen ertrunken. Nach Informationen der Internationalen Organisation für Migration kenterte ein voll besetztes Flüchtlingsboot.