Lake Anna - Flucht des Herzens - Joanne St. Lucas - E-Book
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Lake Anna - Flucht des Herzens E-Book

Joanne St. Lucas

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Beschreibung

Alexandra Summers steht vor den Scherben, die einmal ihr Leben waren: An einem einzigen Tag verliert sie ihren Job in einer angesehenen Kanzlei und erwischt ihren Verlobten mit ihrer besten Freundin im Bett. Als sie schließlich noch wegen Trunkenheit im Gefängnis landet, reicht es ihr endgültig. Hals über Kopf flieht sie aus San Francisco und verkriecht sich in einer Hütte in der bezaubernden Kleinstadt Lake Anna. Dort trifft Alex auf ihren unausstehlichen Nachbarn Josh Bennett, der gerade erst in seine Heimat zurückgekehrt ist, um für den Sohn seiner verstorbenen Schwester zu sorgen. Da kann er es gar nicht brauchen, dass sich eine arrogante Großstädterin in seine Angelegenheiten mischt!

Während zwischen den beiden die Fetzen fliegen, merkt Alex immer mehr, dass Josh sie mit seiner starrköpfigen und hitzigen Art wie kein anderer aus ihrer Melancholie holen kann. Und auch Josh muss zugeben, dass Alex Gefühle in ihm entfacht, mit denen er nicht gerechnet hat. Doch dann taucht Alex’ Verlobter auf und will sie zurück ...

Der erste herzerwärmende Band der Lake-Anna-Reihe von Joanne St. Lucas um die romantische Kleinstadt in den Bergen.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20EpilogÜber die AutorinWeitere Titel der AutorinImpressumLeseprobe

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Über dieses Buch

Alexandra Summers steht vor den Scherben, die einmal ihr Leben waren: An einem einzigen Tag verliert sie ihren Job in einer angesehenen Kanzlei und erwischt ihren Verlobten mit ihrer besten Freundin im Bett. Als sie schließlich noch wegen Trunkenheit im Gefängnis landet, reicht es ihr endgültig. Hals über Kopf flieht sie aus San Francisco und verkriecht sich in einer Hütte in der bezaubernden Kleinstadt Lake Anna. Dort trifft Alex auf ihren unausstehlichen Nachbarn Josh Bennett, der gerade erst in seine Heimat zurückgekehrt ist, um für den Sohn seiner verstorbenen Schwester zu sorgen. Da kann er es gar nicht brauchen, dass sich eine arrogante Großstädterin in seine Angelegenheiten mischt!

Während zwischen den beiden die Fetzen fliegen, merkt Alex immer mehr, dass Josh sie mit seiner starrköpfigen und hitzigen Art wie kein anderer aus ihrer Melancholie holen kann. Und auch Josh muss zugeben, dass Alex Gefühle in ihm entfacht, mit denen er nicht gerechnet hat. Doch dann taucht Alex’ Verlobter auf und will sie zurück …

Jana Lukas als

JOANNE ST. LUCAS

Flucht des Herzens

Small-Town-Romance

Prolog

»Summers! Alexandra Summers!« Die barsche Stimme kratzte an Alex’ Nerven wie ein rostiger Nagel. »Summers! Aufstehen!«

Mit geschlossenen Augen hob sie die Hand vorsichtig an die Schläfe. Sie hatte Kopfschmerzen. Unerträgliche Kopfschmerzen. Unter ihrem Körper, der sich anfühlte, als wäre ein Truck darübergerollt, spürte sie eine harte Pritsche. Wo war sie? Was war passiert?

Noch bevor sie ihre Situation analysieren oder wenigstens die Augen öffnen konnte, griffen grobe Hände nach ihr und zogen sie auf die Beine. Das Männlein in ihrem Kopf schwang seinen Hammer unbeirrt weiter, und ihr wurde übel. Durch die halb geöffneten Lider erhaschte sie einen Blick auf die große, grobknochige Frau, die sie unsanft hochgezogen hatte. Sie trug eine Uniform. Uniform?

Erschrocken riss Alex die Augen auf, was eine neue Welle der Übelkeit über ihr zusammenschlagen ließ.

Gitter? Betonboden? Metallpritsche? Noch bevor die Erkenntnis durch den dichten Nebel in ihr Gehirn drang, zerrte die uniformierte Frau sie aus der Zelle. Oh, verdammt. Alex stöhnte auf. Was war nur passiert? Sie war in einer Zelle aufgewacht, konnte sich aber nicht daran erinnern, wie sie dort gelandet war.

Alex musste ihre gesamte Energie darauf verwenden, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich nicht zu übergeben. Langsam schwankte sie hinter dem weiblichen Officer her.

Schwarze Flecken verschwammen vor ihren Augen. Die Hand der Frau, die ihren Arm wie eine eiserne Schraubzwinge umklammert hielt, war unerbittlich. Fast war Alex froh darüber. Wenn die Polizistin sie nicht festhalten würde, würde sie wahrscheinlich auf dem schmutzigen Beton landen.

Sie wurde aus dem Zellentrakt in einen lauten, hellen Raum geführt. Es roch hier weniger nach ungewaschenen Körpern und Schweiß, eher nach abgestandenem Kaffee und scharfen Putzmitteln. Eine Polizeiwache.

Und da stand er. Robert McKellen, ihr Verlobter. Seinen großen, schlanken Körper lässig an den Tresen gelehnt, flirtete er mit einer jungen Polizistin, die errötend die Lider niederschlug und ihn unter getuschten Wimpern hervor anhimmelte.

Einen Augenblick blieb Alex stehen und verfolgte die Szene, bis die Beamtin sie vorwärts zog, immer weiter auf ihn zu. Sie konnte sich noch immer nicht daran erinnern, was eigentlich passiert war. Wie sie hier gelandet war. Sie wusste instinktiv nur eines: Sie wollte nicht zu Robert.

Lieber schmorte sie weiter in der Zelle. Sie verstand sich selbst nicht mehr.

Die uniformierte Frau ließ ihren Arm erst los, als sie am Tresen stand und sich daran festklammern konnte. Sie schob ihr ein Formular über das zerkratzte, fleckige Holz zu. Ihr wurde ein Kugelschreiber in die Hand gedrückt und ihr Zeigefinger an die Stelle gelegt, an der sie offensichtlich ihren Namen schreiben sollte.

»Hier unterschreiben«, teilte die barsche Stimme der Uniformierten mit. »Dann können Sie gehen.«

»Aber was …«, krächzte Alex.

Die Frau wies nur noch einmal nachdrücklich auf das Formular und wandte sich ihrem Papierkram zu.

Verwirrt blickte Alex auf das Blatt und setzte mit zittriger Hand ihre Unterschrift an die Stelle, die mit einem Kreuz gekennzeichnet war. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Eine große, gepflegte Hand mit einem silbernen Siegelring am kleinen Finger schob ihr einen Styroporbecher neben das Formular. Kaffee. Dankbar, dass Robert ihr ein so elementares Lebensmittel gebracht hatte, nahm sie einen tiefen Schluck.

Fast hätte sie den Inhalt auf den Tresen gespuckt. Nur mit äußerster Mühe gelang es ihr, den Milchkaffee hinunterzuschlucken. Sie hasste Milchkaffee. Sie hasste ihn vor allem deshalb, weil sie Milch hasste. Was Robert eigentlich wissen sollte. Wahrscheinlich war er beim Bestellen des Kaffees mit seinen Gedanken wieder einmal woanders gewesen.

Langsam hob sie den Blick und sah in die graublauen Augen ihres Verlobten, die unter für einen Mann fast unnatürlich schön geschwungenen Brauen lagen. Er blickte sie mit einer Mischung aus Sorge und Verärgerung an.

Plötzlich begann ihr Gehirn, wieder zu arbeiten. Bruchstücke des vergangenen Tages tauchten auf, versuchten, sich zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen.

Robert ließ ihr keine Zeit, alles zu rekonstruieren. »Verdammt, Alexandra«, fuhr er sie leise an. »Was hast du dir nur gedacht? Wir haben dich die ganze Nacht gesucht.«

»Wir?« Sie wollte die Antwort auf ihre Frage nicht hören, das wurde ihr plötzlich bewusst.

»Ja, verdammt«, fluchte er noch einmal. »Mandy und ich haben die halbe Stadt auf den Kopf gestellt. Bis mir die Polizei mitteilte, man habe dich zum Ausnüchtern in eine Zelle gesteckt und ich könne dich abholen, wenn ich die Geldbuße wegen Trunkenheit zahle.«

»Mandy?«, krächzte sie, immer noch nicht fähig, ihre Gedanken zu ordnen. Vielleicht wollte sie das auch einfach nicht. Blockierte den Gedankenfluss. Dass sie sich betrunken hatte, schien zu stimmen. Zumindest erklärte das ihren hämmernden Kopf, die Übelkeit, die in ihrem Magen hin und her schwappte, und den pelzigen Geschmack in ihrem Mund, den der Milchkaffee noch verstärkte.

»Hör mal, Darling. Fang jetzt nicht an, mir Vorwürfe zu machen. Du weißt, dass ich heute mit der Hockeymannschaft fliege. Ich bin eigentlich schon viel zu spät dran, weil ich noch hier vorbeikommen musste. Nimm dir ein Taxi, fahr nach Hause und melde dich für heute krank.« Er musterte sie mit einem tadelnden Blick. »So kannst du nicht zur Arbeit gehen.«

Alex runzelte die Stirn. In ihrem Kopf schrillte eine Alarmglocke. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrem Job, aber sie kam nicht darauf, was es war.

Robert faselte ununterbrochen weiter. »Wir reden, wenn ich zurück bin.«

»Wenn du zurück bist? Aber du …«

»In zehn Tagen. Solange die Serie der Auswärtsspiele dauert, bin ich bei der Mannschaft.« Seufzend verdrehte er die Augen. »Das weißt du doch ganz genau.«

»Ja, klar. Sicher.« Alex rieb sich die pochenden Schläfen, als könnte sie so den Schleier vor ihrem Gesicht wegwischen. Dann stockte sie. Plötzlich war alles wieder da. Mit erschreckender Klarheit wurde ihr bewusst, warum sie vorhin am liebsten in die Zelle zurückgekehrt wäre, anstatt sich in Roberts Arme zu werfen. Sie sah ihren Verlobten wieder vor sich, nackt, auf dem Rücken. In ihrem gemeinsamen Bett. Und auf ihm, ekstatisch wippend, ihre beste Freundin Mandy.

Oh Gott. »Robert, du kannst jetzt nicht gehen. Du und Mandy, ihr …«

»Das war nicht so, wie du denkst. Ich muss jetzt wirklich los, sonst verpasse ich meinen Flug«, schnitt er ihr das Wort ab. Gönnerhaft tätschelte er ihre Wange und wandte sich zur Tür.

»Es war nicht so, wie ich denke?«, fragte sie, sprach aber nur noch mit seinem Rücken. Sie spürte, wie ihre Gesichtsfarbe langsam von Weiß zu Rot wechselte. »Du kannst nicht einfach gehen. Du hast mich betrogen!« Vor Empörung kletterte ihre Stimme um eine Oktave nach oben. Die junge Polizistin mit den dick getuschten Wimpern warf ihnen einen neugierigen Blick zu.

Robert drehte sich wieder um, packte ihren Oberarm mit einem schmerzhaften Griff und zog sie so weit zu sich heran, dass sich ihre Nasen fast berührten. Alex roch seine Zahnpasta und sein Aftershave. Seine Augenbrauen zogen sich zornig zusammen.

»Hör mir gut zu, Alexandra«, zischte er. »Wage es ja nicht, hier eine Szene heraufzubeschwören. Es war schlimm genug, dich in aller Öffentlichkeit zu betrinken und in einer Ausnüchterungszelle zu landen. Was für ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.« Sein Gesicht kam einen weiteren bedrohlichen Zentimeter näher. »Du bist diejenige, die sich unmöglich benommen hat. Wenn du dich nicht schleunigst wieder in den Griff bekommst, sage ich die Hochzeit ab. Hast du das verstanden?« Er ließ sie abrupt los und ging. »Ich ruf dich an, wenn ich im Hotel bin. Versprochen«, rief er ihr über die Schulter zu.

Das war nicht so, wie sie dachte? Sprachlos starrte Alex ihm hinterher. Sie klammerte sich immer noch an den Tresen. Durch die zufallende Tür sah sie, wie Robert die Hand hob, ein Taxi herbeiwinkte, einstieg und verschwand.

Das war nicht so, wie sie dachte? Was, zum Teufel, war es denn dann gewesen?

Sie stand einfach da, wie versteinert, und blickte auf die Tür, durch die Robert gerade verschwunden war. Etwas raschelte hinter ihr. Erst nach einer Weile drehte sie sich um.

Jemand hatte einen Plastiksack mit ihren Sachen auf den Tresen gelegt. Sie nahm die Tüte und verließ die Wache ohne ein weiteres Wort. Den Milchkaffee ließ sie stehen.

Draußen traf sie die kühle, feuchte Morgenluft, die vom Pazifik herüberwehte wie eine Faust. Vorsichtig sog sie den Atem ein und stellte fest, dass die frische Luft ihr guttat. Sie ließ sich auf die Treppe vor der Wache sinken und atmete noch ein paar Mal tief durch, bevor sie die Sachen durchsah, die in der Plastiktüte lagen. Ihre Geldbörse samt Kreditkarten war noch da. Ihre silberne Kette und ihre Armbanduhr befanden sich ebenfalls in dem Beutel.

Und ihr Verlobungsring.

Sie führte die Bestandsaufnahme an ihrem Körper fort.

Ihre Pumps waren zerkratzt, ihre Strumpfhose zerrissen und ihr Kostüm würde sie auch entsorgen müssen.

Es war nicht nur zerknittert, sondern ihr Rock wies am Saum auch noch einen Riss auf, und es roch wie ein Penneroutfit. Es war nicht mehr zu retten. Ihre Augen fühlten sich verquollen an, aber ihr Blick klärte sich zunehmend.

Dafür hing ihr Haar, das sich zum größten Teil aus dem strengen Knoten gelöst hatte, wild um ihren Kopf. Sie zog die letzten Haarnadeln hinaus und ließ sie in die Plastiktüte fallen.

»Ma’am. Sie dürfen hier nicht sitzen bleiben«, forderte sie die Stimme eines freundlichen, aber bestimmten Officers auf. »Gehen Sie bitte weiter.«

Alex zog sich am Geländer hoch und überquerte mit unsicheren Schritten die Straße, den Blick fest auf die Starbucks-Filiale gerichtet, die es immer in unmittelbarer Nähe einer Polizeistation zu geben schien. Vermutlich, weil Cops die besten Kunden waren. Sie bestellte einen starken schwarzen Kaffee – ohne auch nur einen Tropfen Milch – und blieb mit dem Becher vor einem Zeitungskiosk stehen, um den ersten Schluck des Lebenselixiers zu trinken, nach dem sie so süchtig war.

Die Schlagzeile der San Francisco Times, die ihr ins Auge fiel, ließ sie erstarren.

Fabrikationshalle abgebrannt!

Millionenschaden weitet sich zu Versicherungsskandal aus.

Verdammt. Ihre Hand, die den Becher hielt, fror auf halbem Weg zu ihrem Mund vor Entsetzen ein. Jetzt erinnerte sie sich wieder. Es hatte bereits am vergangenen Morgen begonnen. Sie hatte den Fernseher eingeschaltet und das brennende Fabrikgebäude aus dem Hafengelände gesehen.

Ohne nachzudenken hielt Alex ein Taxi an und ließ sich zum Hafen fahren. Als sie wenig später vor den schwarzen, verkohlten Resten der Halle stand und die feuchte, nach Rauch und Ruß stinkende Luft einatmete, wäre sie fast in Tränen ausgebrochen.

Langsam ließ sie sich auf die Bordsteinkante sinken.

Auf ihre Kleidung musste sie schließlich keine Rücksicht mehr nehmen. Sie starrte zu der Ruine hinüber, aus der hin und wieder kleine, völlig harmlos wirkende Rauchwölkchen aufstiegen. Starrte die verkohlten Reste der Mauern an, als ob die Steine ihr sagen könnten, was sie nun tun sollte.

Kapitel 1

Am Tag zuvor

Alexandras Wecker klingelte, wie jeden Morgen, um halb sechs. Ihre Hand schnellte, ebenfalls wie jeden Tag, bereits nach dem zweiten Klingeln zielsicher auf den Nachttisch und schaltete ihn aus. Sie hatte schon immer zu den Menschen gehört, die aufstanden, sobald der Wecker klingelte. Sie sah keinen Sinn darin, liegen zu bleiben und mit dem neuen Tag zu hadern. Schließlich musste man aus dem Bett, ob man es nun wollte oder nicht. Also konnte man es auch gleich hinter sich bringen. Seit sie vor zwei Wochen mit ihrem Verlobten zusammengezogen war, hatte sich ihr Wecker-ausschalt-Instinkt sogar noch verbessert. Robert lag leise atmend neben ihr und stand in der Regel frühestens zwei Stunden nach ihr auf. Sein Tagesablauf war völlig anders aufgebaut als ihrer, und so wollte sie ihn morgens nicht wecken, wenn sie sich aus dem Bett stahl.

Ohne das Licht einzuschalten, tappte sie ins Bad, duschte und zog das schwarze Kostüm mit der weißen Bluse an. Sie suchte immer am Abend die Kleidung für den nächsten Tag heraus. So konnte sie sichergehen, dass am Morgen alles bereitlag und sie nicht versehentlich Kleidungsstücke anzog, die nicht zueinanderpassten.

Dann ging sie in die Küche, nahm einen Kaffeebecher aus dem Schrank und goss sich eine Tasse des rabenschwarzen, starken Gebräus ein, das sie ebenfalls am Vorabend vorbereitet hatte und das dank des Timers der Kaffeemaschine genau in der richtigen Minute fertig wurde. Während sie ihren Kaffee trank, schaltete sie den Fernseher ein und brachte sich mit den Frühnachrichten auf den neuesten Stand. Sie musste morgens immer wissen, was in der Welt los war. Wenn sie ihr Büro betrat, wollte sie auf alles vorbereitet sein. Ihr Boss stellte gern Fragen oder wollte eine Meinung hören. Seit gestern war nicht viel passiert. Kein Krieg war ausgebrochen, die Börsennachrichten waren okay und der Wetterbericht machte Hoffnung auf ein paar Sommertage mehr, obwohl es bereits Ende September war. Die einzige interessante Nachricht handelte von einer abgebrannten Fabrikhalle am Hafen. Es wurden Bilder von einem lichterloh brennenden Gebäude eingeblendet und der Kampf der Feuerwehr gegen das Flammenmeer in dramatischen Worten geschildert. Soweit der Reporter das zum jetzigen Zeitpunkt sagen konnte, waren in dem Gebäude keine Menschen zu Schaden gekommen.

Wenigstens das. Der Gedanke, von einem Feuer eingeschlossen zu werden, gefangen zu sein, ließ sie schaudern.

Alex schaltete den Fernseher aus, steckte ihr Haar zu einem festen Knoten auf und schlüpfte in ihre Pumps. Sie griff nach ihrer Aktentasche und zog – pünktlich um halb sieben – die Tür hinter sich ins Schloss.

Mit ihrem Mini Cooper würde sie genauso lange brauchen, dass sie inklusive Einparken in der Tiefgarage und der Aufzugfahrt in den dreizehnten Stock um Punkt sieben Uhr mit einer weiteren Tasse Kaffee hinter ihrem Schreibtisch in der Anwaltskanzlei Silverman & Partner sitzen würde. Wenn sie Partnerin werden wollte – und das wollte Alex mehr als alles andere – war es unabdingbar, sich um diese Uhrzeit hier einzufinden und sofort mit der Arbeit zu beginnen.

Alex war die aussichtsreichste Kandidatin auf die Beförderung, die demnächst anstand.

Sie hatte ihr großes Ziel so gut wie erreicht. Das war selbst ihr, die die Welt eher aus pessimistischen Augen betrachtete, klar. Sie würde ernannt werden und all die Mühe und harte Arbeit, die sie in den vergangenen Jahren in die Kanzlei investiert hatte, hätten sich gelohnt. Silverman & Partner war eine Kanzlei, die sich auf Wirtschaftsrecht, Vertragsabschlüsse und Versicherungsverhandlungen für große Firmen spezialisiert hatte und in dieser Hinsicht die exklusivste Adresse in San Francisco war. Dabei war Wirtschaftsrecht während ihres Studiums gar nicht ihr Traum gewesen.

Damals hatte sie noch eine Anwältin werden wollen, die sich mit den kleinen und großen Problemen der Menschen auseinandersetzte. Sie wollte die Menschen vertreten, denen Unrecht getan worden war, wollte für Gerechtigkeit sorgen.

Robert hatte ihr allerdings gezeigt, wie viel besser Wirtschaftsrecht zu ihr passte. Ohne viel darüber nachzudenken hatte sie diesen Weg eingeschlagen und ihr Bestes gegeben. Vielleicht hatte sie sich diese Entscheidung ein wenig zu einfach gemacht. Vielleicht hätte sie mehr für ihren Traum kämpfen sollen. Aber dafür war es inzwischen zu spät. Und nun würde sie bald belohnt werden. Mit einer Partnerschaft in einer der renommiertesten Kanzleien der USA.

Alex summte leise vor sich hin und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dreizehnten Stock des Gebäudes. Über den stillen, mit dicken Teppichen ausgelegten Gang lief sie in ihr Büro.

Als sie die Tür öffnete, blieb sie überrascht stehen. Mr Silverman saß hinter ihrem Schreibtisch. Sein zerfurchtes Gesicht war zu einer besorgten Maske verzogen und zeigte deutliche Spuren einer schlaflosen Nacht. Alex’ Blick glitt in die kleine Sitzecke, in der sie normalerweise ihre Klienten in gemütlicher Atmosphäre empfing. Dort saßen drei der Seniorpartner. Ihre Körperhaltung war steif, ihre Gesichter ernst und abweisend. Alex schluckte. Auch wenn sie nicht wusste, was los war, so musste doch irgendetwas Schlimmes passiert sein. Und es musste mit ihr zu tun haben. Sonst wäre nicht die Chefetage in ihrem Büro versammelt. Langsam schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und begrüßte die Männer.

Wie ein Schulkind, das zum Direktor zitiert wurde, stand sie vor ihrem Schreibtisch. Silverman lehnte sich in ihrem Sessel zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Sie haben die Verhandlungen für Davenport Industries geführt, Miss Summers«, stellte er mit leiser, aber scharfer Stimme fest.

»Ja, Sir«, begann sie. »Das heißt, eigentlich nein, Sir.«

Alex fuhr sich über die Stirn. »Ihr Neffe hat die Verhandlungen geführt. Ich habe ihn dabei lediglich unterstützt.«

»Mein Neffe?«, fragte der alte Mann und legte nachdenklich die gefalteten Hände unter sein Kinn. Er ließ sie noch immer nicht aus den Augen.

»Ja, Sir.« Silvermans Neffe, Lucas Silverman, war das, was man gemeinhin als Versager auf der ganzen Linie bezeichnete. Keiner wusste, wie er es überhaupt geschafft hatte, einen Studienabschluss zu erreichen, geschweige denn, in die Anwaltskammer von Kalifornien aufgenommen zu werden. Er war faul und dumm, dafür aber umso großspuriger. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, die in der Kanzlei kursierten, hatte Silverman ordentlich nachhelfen und an den richtigen Stellen Druck machen müssen, damit sein Neffe sein Studium überhaupt bestand und Anwalt werden konnte. Aber all das spielte keine Rolle. Er war der Neffe des Bosses. Silverman hatte keine Kinder, also würde Lucas die Kanzlei wohl irgendwann übernehmen.

Und Alex wollte Partnerin werden. Deshalb hatte sie sich bereit erklärt, Lucas unter die Arme zu greifen und ihn einzulernen. Demzufolge erledigte sie einen Großteil seiner Arbeit zusätzlich zu ihrer eigenen und bügelte immer wieder seine Fehler aus. So, wie die Partner sie gerade ansahen, schien sie jedoch einen seiner großen Fehler übersehen zu haben. Wofür sie jetzt würde geradestehen müssen.

»Sie sind verantwortlich für die Arbeit meines Neffen, nicht wahr, Miss Summers?«, stellte Silverman die rhetorische Frage.

»Ja, Sir«, antwortete Alex abermals.

»Wo befinden sich die Akten?«

»In Lucas’ Büro.«

»Gut, dann wollen wir sie uns einmal ansehen.« Silverman erhob sich etwas schwerfällig, und die Seniorpartner taten es ihm nach. »Nach Ihnen, Miss Summers.« Der alte Herr hielt ihr die Tür auf und folgte ihr in das Büro seines Neffen. Lucas war um diese Uhrzeit noch nicht im Haus.

Er erschien in der Regel erst, wenn es die Party, die er in der Nacht zuvor besucht hatte, zuließ. Alex kannte sich in seinem Büro aber genauso gut aus wie in ihrem. Mit einem Handgriff zog sie den richtigen Ordner aus dem Regal und legte ihn auf den Schreibtisch. Die Angst davor, was sie erwarten würde, wenn sie den Aktendeckel aufschlug, ließ ihr Herz schneller schlagen. Der Kloß, den sie zuvor in ihrem Hals gespürt hatte, wuchs in ihrem Magen zu einem riesigen Klumpen an. Was konnte sie übersehen haben?

Silverman zog den Ordner zu sich heran und öffnete ihn. Obenauf war der Vertrag abgeheftet, der eigentlich bei der Versicherung sein sollte. Der ausgehandelte Termin war längst verstrichen. Was im Umkehrschluss bedeutete … Davenport Industries genoss keinen Versicherungsschutz. Wenn also etwas passierte, zum Beispiel eine Überschwemmung oder ein Feuer …

Hastig zog Alex den Ordner zu sich und blätterte durch die Seiten, um die Bestätigung für das zu finden, was sie in diesem Moment begriff.

Da stand es. Schwarz auf weiß.

Die Fabrikationsanlagen von Davenport Industries befanden sich im Hafen. Das brennende Gebäude, das sie vor einer Stunde in den Nachrichten gesehen hatte …

Der Name der Firma war nicht genannt worden, aber die ernsten Gesichter, die sie ansahen, sagten ihr alles, was sie wissen musste. Davenport Industries war abgebrannt und die Versicherungsgesellschaft würde nicht zahlen, weil die Police nicht fristgerecht eingereicht worden war.

Nun gut, das wäre eigentlich Lucas’ Aufgabe gewesen. Zu anspruchsvoll war es sicherlich nicht, seine Sekretärin zu bitten, das zu veranlassen. Aber sie war für Lucas verantwortlich und hätte das überprüfen müssen.

Mit einem erstickten Laut ließ sie sich in den Bürosessel fallen und blickte zu den Seniorpartnern auf, die stumm und drohend auf sie herabblickten. Warum nur hatte Lucas die Police nicht abgeschickt? Wie hatte er so etwas vergessen können? Als wolle er die Frage selbst beantworten, stürmte er in diesem Augenblick ins Büro. Er war völlig zerzaust, seine Krawatte hing schief und sein Hemd war falsch geknöpft. Er sah aus, als käme er direkt aus einem Bett, und zwar nicht aus seinem eigenen.

»Was ist los, Onkel Henry? Ich bin nach deinem Anruf sofort losgefahren.« Er klang mürrisch und genervt.

»Du hast die Versicherungsverhandlungen für Davenport Industries geführt«, setzte Silverman an.

»Ja, sicher.« Irritiert blickte Lucas seinen Onkel an. Sein Blick schweifte durch den Raum. Plötzlich schien er die sonderbare Stimmung zu erkennen, begriff, dass etwas passiert sein musste.

»Das Fabrikationsgebäude brennt«, führte Silverman weiter aus.

»Und?« Lucas zuckte betont lässig die Schultern.

»Und?«, fuhr der ältere Mann ihn an. »Die Versicherungspolice liegt auf deinem Schreibtisch.«

Lucas erbleichte. Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Sein Blick wanderte abermals durch den Raum und blieb an Alex hängen. Sie sah die Berechnung, die in seinem Gesicht aufleuchtete. Sie hatte sie oft genug gesehen, um sie auf Anhieb zu erkennen. Lucas straffte die Schultern und drehte sich mit einem entschuldigenden Lächeln zu den älteren Männern um. »Meine Herren, das zu hören tut mir ehrlich leid. Ich weiß nicht, wie ein so unverzeihlicher Fehler passieren konnte. Ich hatte Miss Summers ausdrücklich darum gebeten, die Police fristgerecht abzuschicken.« Langsam drehte er sich wieder zu ihr herum. »Vielleicht können Sie uns erklären, wieso Sie das nicht getan haben. Solche Anfängerfehler sind doch sonst nicht Ihre Art, Alexandra.«

Die Blicke der Männer ruhten auf ihr. Alex erstarrte. Sie presste die Lippen zusammen, um ein Zittern zu unterdrücken. Das hier lief falsch. Völlig falsch. Was sollte sie sagen? Dass der künftige Boss ein Lügner war, faul und dumm? »Mr Silverman, bitte glauben Sie mir. Ich wusste nichts von dieser Verzögerung«, versuchte sie, sich vorsichtig zu verteidigen, ohne Lucas vor den anderen zu beleidigen.

Silverman straffte die Schultern und sah sie mit seinem unergründlichen Blick an. »Gehen Sie bitte in Ihr Büro und warten Sie dort, bis ich mich bei Ihnen melde.« Er drehte sich um und verließ den Raum, gefolgt von den Seniorpartnern. Sein Neffe folgte ihm ebenfalls.

Zitternd stand Alex auf und schlich in ihr Büro, um das Urteil abzuwarten. Nun, sie würde wohl keine Partnerin in dieser Kanzlei werden. Wenn Lucas seinem Onkel nicht doch noch sagte, was tatsächlich passiert war, hätte sie vermutlich heute Abend nicht einmal mehr einen Job. Sie konnte nur hoffen, dass er einmal das Richtige tat und sie rettete.

Die Entscheidung über ihre berufliche Karriere fiel genau zwei Stunden später. Silverman betrat, abermals begleitet von den Seniorpartnern, die sie bereits am Morgen getroffen hatte, ihr Büro. Sein Gesicht war sehr ernst. Er klärte Alex über die riesige Klage auf, die auf die Kanzlei zukam.

Davenport Industries würde eine Millionensumme im zweistelligen – wenn nicht gar im dreistelligen – Bereich einfordern. Genau den Betrag, den die Versicherung zahlen müsste, wenn sie es nicht vermasselt hätte. Außerdem bestand die Gefahr eines riesigen Imageverlustes für die Kanzlei. Bereits zu dieser frühen Stunde hatte sich das Desaster herumgesprochen, diverse Klienten hatten nachgefragt, ob mit ihren Verträgen alles in Ordnung sei. So sehr man die Zusammenarbeit mit ihr auch geschätzt habe, unter diesen Umständen sei es unerlässlich, sich von ihr zu trennen. Sie wurde angehalten, ihren Schreibtisch bis spätestens zwölf Uhr zu räumen, ihre Codekarte für den Eingang und ihren Parkausweis abzugeben. Da man bis zum heutigen Tag mit ihrer Arbeit sehr zufrieden gewesen sei, habe man sich entschieden, ihr eine großzügige Abfindung zukommen zu lassen.

Alex saß starr auf ihrem Schreibtischsessel und hörte dem alten Mann zu. Sie hatte so große Hoffnungen auf eine gute Position in seiner Firma gesetzt. Jetzt warf er sie wegen der Unfähigkeit seines Neffen hinaus. Die Zeit, die sie allein in ihrem Büro verbracht hatte, hatte sie dazu genutzt, sich die Davenport-Akte noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Sie erinnerte sich genau daran, wie sie Lucas dazu angehalten hatte, die Police abzuliefern und ihm sogar angeboten hatte, sich selbst darum zu kümmern, weil sie seine Unzuverlässigkeit kannte. Er hatte sie mit einem herablassenden Lächeln gemustert. »Schätzchen, das werde ich ja wohl hinkriegen, oder?« Dann hatte er sie aus seinem Büro komplimentiert, weil irgendeine heiße Blondine, wahlweise Brünette oder Rothaarige, angerufen hatte.

Es machte keinen Sinn, ihrem Boss die Fakten an den Kopf zu werfen. Er würde ihr kein Wort glauben und sie höchstens noch als schlechte Verliererin betrachten.

Also senkte sie die Lider und versuchte, vor den Augen der Partner nicht in Tränen auszubrechen. Versuchte, sich nicht vor den Menschen, zu denen sie gern gehören wollte, zu demütigen. Sie hielt den Blick auf den Fußboden gerichtet und wartete, bis die Männer ihr Büro verlassen hatten.

Dann stand sie schwerfällig auf und suchte sich in der Teeküche einen alten Karton, in den sie ihre Habseligkeiten packte. Sie war erstaunt, wie wenig Privates seinen Weg in ihr Büro gefunden hatte, obwohl sie doch die meiste Zeit der sieben Wochentage hier verbracht hatte. Nun, das würde sich jetzt wahrscheinlich ändern. Sie würde sieben Tage die Woche Zeit haben. Alex seufzte und packte den Briefbeschwerer ein, den letzten persönlichen Gegenstand in diesem Büro.

Als Schritte erklangen, blickte sie auf. Lucas Silverman lehnte lässig im Türrahmen und grinste sie an.

»Gibt es noch etwas, Lucas?«, fragte sie betont gleichmütig. Vor ihm würde sie ihre Fassade nicht verlieren, ganz gleich, wie sehr sie innerlich zitterte.

»Alex, Schätzchen. Ich wollte mich nur vergewissern, dass Sie nichts mitnehmen, was der Kanzlei gehört. Diebstahl macht sich in der Akte einer Anwältin nicht besonders gut.«

»War’s das?«, gab sie zurück und unterdrückte das Bedürfnis, ihm den Briefbeschwerer, den sie gerade noch in der Hand gehalten hatte, an den Kopf zu werfen.

»Nein.« Wie ein großes Raubtier kam er näher und baute sich vor ihr auf. »Damit wir uns verstehen – sollten Sie meinem Onkel gegenüber auch nur andeuten, ich hätte den Deal mit Davenport verbockt, werde ich Sie persönlich vernichten. Dann werden Sie in dieser Stadt als Anwältin keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Verstanden?« Mit einem überheblichen Lächeln beugte er sich über ihren Schreibtisch – ihren ehemaligen Schreibtisch – und musterte sie von oben bis unten.

»Ach, Lucas.« Es gelang ihr, eine nachsichtige Miene aufzusetzen, während sie ihren Karton unter den Arm klemmte und an ihm vorbeiging. An der Tür drehte sie sich um und sah ihn eindringlich an. »Lucas, Sie sind so dumm, wie Ihre Anzüge teuer sind. Jetzt, wo wir nicht mehr zusammenarbeiten, freut es mich, Ihnen das einmal sagen zu dürfen. An Ihrer Drohung kann man sehen, wie wenig Ahnung Sie haben. Sie können mich nicht vernichten. Das hat Ihr Onkel bereits getan. Oder glauben Sie tatsächlich, ich werde nach diesem Skandal noch von irgendjemandem in San Francisco eingestellt?« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Gott, Lucas. Sie sind so blöd, dass es zum Himmel stinkt.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschierte hoch erhobenen Hauptes zum Fahrstuhl. Sie würde nicht weinen.

Sie würde nicht weinen.

Sobald sich die Türen des Aufzugs hinter ihr schlossen, stieß sie einen zittrigen Seufzer aus und presste die Lippen aufeinander. Sie würden sie nicht einmal auf der Überwachungskamera weinen sehen.

*

Henry Silverman stand in der Kaffeeküche und blickte Alex nach, bis sie im Aufzug verschwunden war. Unbeabsichtigt war er Zeuge des Gesprächs zwischen ihr und seinem idiotischen Neffen geworden. Alex hatte keinen Fehler gemacht. Das war ihm ziemlich schnell klar geworden.

Alexandra Summers machte keine Fehler. Nicht umsonst hatte er sie gebeten, seinen Neffen unter ihre Fittiche zu nehmen. Aber Blut war nun mal dicker als Wasser. Daran konnte er nichts ändern. Er hatte seiner Schwester versprochen, sich um Lucas zu kümmern. Dieses Versprechen war unumstößlich.

Alex würde fehlen. Ihm persönlich und in der Kanzlei. Sie war eine der besten Anwältinnen, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Ihr Rauswurf würde die Kanzlei hart treffen. Vor allem musste er sich überlegen, welchem ahnungslosen Opfer er seinen Neffen jetzt aufs Auge drückte. Er selbst ertrug ihn keine zwei Stunden am Stück.

Henry dachte über das nach, was Alex zum Abschied zu Lucas gesagt hatte. Er besaß kein besonders ausgeprägtes Gewissen, aber die junge Frau hatte recht. Mit ihrer Entlassung beendete er ihre Karriere als Anwältin in San Francisco – eine Karriere, die sehr vielversprechend begonnen hatte. Jeder würde von ihrer Entlassung im Zusammenhang mit dem Davenport-Skandal erfahren.

Niemand würde mehr mit ihr zusammenarbeiten wollen.

Niemand. Zumindest bis Gras über die Sache gewachsen war. Und das würde definitiv eine Weile dauern. Nachdenklich strich er sich über das Kinn. Vielleicht konnte er mal mit ein paar Bekannten in anderen großen Städten telefonieren. Besonders große Hoffnungen machte er sich allerdings nicht.

*

Alex saß in der Tiefgarage in ihrem Wagen und hielt sich am Lenkrad fest. Sie wartete, bis ihre Hände aufhörten zu zittern, damit sie den Schlüssel ins Zündschloss stecken konnte. Sie startete den Motor und kehrte ihrer Kanzlei endgültig den Rücken zu. Kurz überlegte sie, ihre Freundin Mandy anzurufen, um sich mit ihr zu treffen. Vielleicht könnte sie sie trösten. Doch ihr fiel ein, dass Robert heute zu Hause war, weil er am nächsten Tag mit einem Eishockeyteam zu einer Auswärtsserie fliegen und erst in zehn Tagen zurückkehren würde. Den letzten Tag vor einem längeren Trip nahm er sich immer frei, um all seine Termine zu regeln und anschließend einen schönen Abend mit ihr zu verbringen.

Nun, heute würde er sich um sie kümmern und ihr helfen müssen, diesen Tiefschlag zu verarbeiten. Er würde ihr Ratschläge geben, sie im Arm halten, ihr Tee kochen. Ihren Boss und Lucas verfluchen. All das, was ein Verlobter in so einem Fall tat.

Ihren Pappkarton in der Hand, betrat sie wenig später die gemeinsame Wohnung und wäre fast über ein Paar Stiletto-Pumps gestolpert. Alex registrierte das leuchtend rote Leder der Schuhe. Mandy hatte sie erst vor kurzem bei einer gemeinsamen Shoppingtour erstanden. Also war ihre beste Freundin hier.

Sie hatte ihren Besuch zwar nicht angekündigt, aber umso besser. Wenn die zwei Menschen, die ihr außer ihrem Bruder am wichtigsten waren, hier waren, würde es schnell wieder aufwärts gehen und Alex es sicher schnell schaffen, über ihre Kündigung hinwegzukommen.

Sie verstaute den Karton im Garderobenschrank und ging ins Wohnzimmer. Dort war niemand, aber eine breite Spur aus Kleidern, Damen- und Herrenbekleidung, zog sich durch die halb geschlossene Tür bis ins Schlafzimmer. Die Geräusche waren an Eindeutigkeit nicht zu überbieten.

Alex’ Herz krampfte sich zusammen. Ihr Atem stockte. Sie fühlte sich, als befände sie sich mitten in einem Albtraum. Es wurde höchste Zeit aufzuwachen.

Sie hatte begriffen, was sie in ihrem Schlafzimmer erwarten würde. Und doch schaffte sie es nicht, sich abzuwenden und einfach zu gehen. Wie in Trance steuerte sie auf die Tür zu und schob sie ganz auf. Als ob sie diesen Verrat nur glauben könnte, wenn sie ihn mit eigenen Augen sah. Sie betrachtete Mandy, wie sie verzückt, mit wild hüpfenden Brüsten und einer ungebändigten, roten Lockenmähne, ihren Verlobten vögelte – in dem Bett, das sie mit ihm teilte. Alex konnte es nicht glauben.

Der Stress.

Die Entlassung.

Vielleicht hatte sie einfach angefangen, sich Dinge einzubilden. Das wäre eine Erklärung für das Bild vor ihr.

Doch dann traf Roberts Blick ihren. Er blinzelte kurz, riss die Augen auf und wurde blass. »Alex«, keuchte er.

»Süßer, wenn du mich noch mal so nennst, hast du heute zum letzten Mal deinen Spaß gehabt.« Mit einem kehligen Lachen stützte Mandy ihre Hände auf seiner Brust ab und beugte sich hinunter. Sie küsste ihn.

»Alex«, stammelte Robert noch einmal. Jetzt schien auch Mandy zu verstehen, dass er nicht sie meinte. Die kreisenden Bewegungen ihres Beckens wurden langsamer, und sie folgte Roberts Blick, bis auch sie ihre Freundin sah. War das ein triumphierendes Lächeln in ihren Augen? Im nächsten Moment war der Ausdruck verschwunden, und Mandy zog das Laken über sich. »Scheiße«, murmelte sie.

Seit Alex die Tür geöffnet und die beiden entdeckt hatte, hatte sie sich nicht mehr gerührt. Stumm hatte sie die Szene beobachtet. Jetzt erwachte sie langsam aus ihrer Erstarrung und nahm ihr wild klopfendes Herz wieder wahr. Wie verhielt man sich in einem solchen Moment? Müsste sie toben? Ihren Verlobten und ihre beste Freundin verfluchen? Ihre Klamotten aus dem Fenster werfen? Alex wusste es nicht, also war es am besten, einfach zu gehen. Konsequenzen ziehen konnte sie später immer noch. Als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog, hörte sie Robert nach ihr rufen. Sie reagierte nicht darauf.

Alex hielt vor dem Haus ein Taxi an. Sie ließ sich in Richtung Stadt fahren und stieg an der Fisherman’s Wharf aus. Sie wusste nicht, wohin. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ohne Job und ohne Beziehung. Eine überfüllte Touristenbar war genauso gut wie jeder andere Ort. Hier waren jede Menge Menschen, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um sie wahrzunehmen. Alex ließ sich an dem kleinen Bartresen auf den letzten Platz in der Ecke fallen und lehnte den Oberkörper gegen die Wand. Sie wollte einen Kaffee bestellen, doch dann entschied sie sich anders und orderte ein Glas Wein. Es war erst elf Uhr morgens. Sie hatte um diese Uhrzeit noch nie Alkohol getrunken, nicht einmal zu Studentenzeiten. Aber was sollte es? Als arbeitslose Anwältin, die von ihrem Verlobten betrogen wurde, war es in Ordnung, sich ein Gläschen zu genehmigen. Was musste sie als Nächstes tun? Sie trank einen großen Schluck Wein und schloss die Augen, als der Alkohol begann, ihr in den Kopf zu steigen. Bevor sie sich darüber den Kopf zerbrach, wie es jetzt weiterging, würde sie diesen Schmerz, der ihre Brust zerriss, betäuben. Mit ein paar weiteren großen Schlucken leerte sie ihr Glas und bestellte ein Zweites.

Die Zeit verschwamm genauso wie die glücklich strahlenden Gesichter der Touristen, die kamen und gingen, während Alex an die Wand gelehnt auf ihrem Platz hockte. Irgendwann entschied der Kellner, dass sie genug hatte.

Wie viele Gläser hatte sie getrunken? Sie war sich nicht sicher, aber es war ihr auch egal. Sie unterschrieb mit unsicherer Schrift ihren Kreditkartenbeleg, rutschte vorsichtig vom Barhocker und taumelte aus dem Café.

Mittlerweile neigte sich der Nachmittag bereits seinem Ende zu. Alex ließ sich am Pier auf eine Bank fallen und wartete auf den Sonnenuntergang über der Bucht von San Francisco. Still saß sie da und versuchte, nicht zu denken. Versuchte, den vergangenen Morgen einfach auszublenden. Nachdem die Sonne untergegangen war, hatte die Wirkung des Alkohols etwas nachgelassen, und Alex fror in der kühlen Brise, die vom Pazifik herüberwehte.

Sie konnte nicht in Roberts Wohnung zurückkehren, schon gar nicht, um in ihrem Bett zu schlafen. Wenn sie doch nur ihr altes Apartment noch hätte, aber die hatte sie vor zwei Wochen aufgegeben, um mit Robert zusammenzuziehen. Sie könnte in ein Hotel gehen, aber wahrscheinlich würde die Einsamkeit sie umbringen.

Sie stand auf und lief langsam über den Pier, wich den fröhlichen, feiernden Menschen um sich herum aus. Als sie einen kleinen Liquor Store entdeckte, entschied sie, den schlimmsten Tag ihres Lebens lieber noch eine Weile auszublenden. Sie kaufte eine Flasche Wodka. Mit dem Wein hatte das schließlich auch gut geklappt. Sie kehrte mit der Flasche, die in einer hübschen braunen Papiertüte verpackt war, zu der Bank zurück, von der aus sie zuvor den Sonnenuntergang beobachtet hatte. Alex trank in kleinen Schlucken von dem Wodka, bis die Dunkelheit über dem Meer auch sie einhüllte wie eine tröstliche, warme Decke.

Von der Polizeistreife, die sie auf der Bank liegend fand, nicht ansprechbar und mit einer halb leeren Wodkaflasche in der Hand, bekam sie nichts mit. Sie wurde in den Streifenwagen geschubst und zum Ausnüchtern in eine Zelle des San Francisco PD gesperrt. Die Beamten fanden Roberts Handynummer in ihrer Geldbörse und riefen ihn an, damit er das Bußgeld, das für öffentliches Trinken fällig wurde, beglich und sie auf dem Revier abholte.

Kapitel 2

Auf der Bordsteinkante vor der Brandruine, die einmal Davenport Industries gewesen war, wurde sich Alex einiger der Konsequenzen bewusst, die die Geschehnisse vom Vortag nach sich ziehen würden. Noch immer wollte sie nicht darüber nachgrübeln, wie sie ihr Leben wieder unter Kontrolle bekommen konnte, obwohl das bereits am Tag zuvor nicht wirklich weitergeholfen – und in einer Zelle geendet – hatte.

Statt ihre Situation zu analysieren, wie sie es sonst normalerweise tat, beobachtete sie die Feuerwehrleute, die vorsichtig nach Brandnestern, und vermutlich auch nach der Brandursache, in der Fabrikhalle suchten. Zwei Feuerwehrmänner standen vor dem Gebäude und unterhielten sich gestikulierend, drei weitere kletterten in den Trümmern herum. Hinter der Ecke des Gebäudes, oder dem, was noch davon übrig war, kam ein struppiger, schmutziger Hund herangetrottet. Er schlich unter dem Absperrband hindurch und kam auf ihre Straßenseite. Einen Meter neben Alex drehte er sich zu der Ruine um, ließ sich nieder und betrachtete den Ort der Verwüstung. Er stank nach Rauch und nach Hund. Sein Fell war voller Ruß, und seine Augen blickten traurig. Alex wäre nicht verwundert gewesen, wenn er einen abgrundtiefen Seufzer ausgestoßen hätte.

Ein junger Mann löste sich aus der kleinen Menge der Schaulustigen und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Na, Angelo. Blöde Sache, was? Jetzt wird dich niemand mehr durchfüttern«, flüsterte er dem Hund zu. Der blickte flehend zu ihm auf. »Ja, ich weiß«, redete der Mann weiter beruhigend auf den Hund ein. »Aber du wirst jemand anderen finden, der sich um dich kümmert.«

Alex lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Hat der Hund jemandem gehört, der …« Sie traute sich nicht, den Satz zu vollenden. Es hatte am vergangenen Morgen in den Nachrichten geheißen, dass niemand zu Schaden gekommen war. Ihr fehlten mittlerweile allerdings die Informationen eines ganzen Tages. Der Hund schien in Verbindung zur Davenport-Fabrikationshalle zu stehen.

»Nicht direkt.« Der junge Mann musterte ihr derangiertes Outfit und ließ seinen Blick ungeniert über ihren Körper gleiten. »Er ist ein Streuner. Irgendwann hat ihn jemand gefüttert, nachdem er tagelang um die Firma geschlichen ist. Seitdem sind wir ihn nicht mehr losgeworden, haben ihn Angelo getauft und als unser Maskottchen betrachtet. Er hat in der Fabrikhalle geschlafen, und irgendjemand hat ihm immer den Bauch gekrault.« Der Mann richtete sich auf und trat zurück. »Aber Maskottchen hin oder her. Er hat uns kein Glück gebracht. Jetzt wird er wieder zu seinen Streunerfreunden zurückkehren müssen. Denn so wie es aussieht, haben wir erst mal keine Arbeit mehr. Wenn es stimmt, was die Zeitungen sagen, zahlt die Versicherung nicht. Also ist Davenport pleite«, ergänzte er in resigniertem Ton. Er verschwand wieder in der Menge.

Alex schluckte. Sie war also für die Arbeitslosigkeit vieler Menschen und das Schicksal eines Hundes namens Angelo verantwortlich. Sie versuchte, die Tränen zurückzudrängen. Wahrscheinlich hatten der Alkohol von gestern und der Rauch an diesem Brandort ihre Augen überreizt. Denn so schnell war ihr sonst nicht zum Heulen zumute. Sie blickte weiter starr auf die Ruine und wartete, bis sie ihre Emotionen wieder etwas besser im Griff hatte.

Gegen Mittag waren auch die letzten Schaulustigen verschwunden. Nur Alex und Angelo hockten noch auf der Bordsteinkante. Der Hund warf ihr ein paar – vermutlich aus seiner Sicht unauffällige – Seitenblicke zu, bevor er langsam näher rutschte. Mit seiner kühlen Schnauze stieß er gegen ihre Hand. Alex, die sich eigentlich nichts aus Tieren machte, legte ihre Finger in sein drahtiges Fell und begann, ihn hinter den Ohren zu kraulen. Das schien sie beide zu beruhigen, und Alex begriff langsam, dass sie sich endlich ihrer Situation stellen musste. Es wurde höchste Zeit, damit zu beginnen, die Bruchstücke ihres Lebens zu retten.

Robert würde zehn Tage weg sein. Bis zu seiner Rückkehr musste sie alle wichtigen Entscheidungen getroffen haben.

Sie rief von ihrem Handy aus ein Taxi, das kurze Zeit später um die Ecke bog. Beim Öffnen der Autotür hörte sie ein Winseln hinter sich. Sie drehte sich um, und ihr Blick blieb an Angelos verzweifeltem Gesichtsausdruck hängen. Zumindest kam es ihr so vor, als ob er sie flehentlich ansah. Sie war für seine Obdachlosigkeit verantwortlich.

Den Mitarbeitern von Davenport Industries konnte Alex ihre Jobs nicht wiedergeben. Aber sie konnte wenigstens den Hund retten. Mit einer Handbewegung forderte sie ihn auf, ins Taxi zu springen, was ihr angesichts des stinkenden, schmutzigen Tieres einen bitterbösen Blick des Fahrers einbrachte.

»Wenn das Vieh in den Wagen macht, übernehmen Sie die Kosten, Lady«, brummte er.

Alex nickte. Sie würde ihm ein gutes Trinkgeld geben. Der Blick des Mannes war berechtigt. Angelo musste dringend gesäubert werden. Und sie selbst hatte ein Bad ebenso nötig. Also nannte sie dem Taxifahrer die einzige Adresse, zu der sie im Moment gehen konnte. Das Haus ihrer Mutter, die sich zurzeit auf einer Kreuzfahrt befand.

Alex schrubbte Angelo in der Dusche mit dem teuren Shampoo ihrer Mutter das Fell, zündete im Kamin ein Feuer an und platzierte den Hund auf dem Läufer davor, damit er wieder trocknete. Dann gönnte sie sich selbst ein Bad, was wenigstens ein paar ihrer Lebensgeister zurückkehren ließ. Anschließend taute sie ein Pfund Hackfleisch auf, das sie in der Kühltruhe fand. Sie selbst hatte keinen Appetit. Ihr genügten eine Tasse starken schwarzen Kaffees und ein Keks. Aber Angelo hatte nach den Aufregungen der letzten beiden Tage sicher einen Mordshunger. Sobald das Fleisch aufgetaut war, legte Alex es in eine Schüssel und stellte es dem Hund vor den Kamin. Er verschlang es mit wenigen Bissen, schleckte sich die Schnauze und sah erwartungsvoll zu ihr auf.

»Hundefutter kommt wohl ganz oben auf die Liste.« Sie strich dem Hund noch einmal über das mittlerweile glänzende Fell. Dann räumte sie die Schüssel weg, nahm ihren Kaffee und einen Notizblock und ließ sich neben Angelo auf den Teppich fallen. Sofort legte er seinen Kopf vertrauensselig auf ihren Oberschenkel, womit er Alex ein kleines Lächeln entlockte. »Du bist wirklich ein lieber Kerl«, sagte sie und kraulte ihn. Wenn ihre Mutter wüsste, dass vor ihrem Kamin ein Hund lag, würde sie wahrscheinlich ausflippen.

Nach ein paar weiteren Streicheleinheiten für ihren neuen Freund widmete sie sich der Liste, die sie erstellen wollte. Sie musste einen neuen Job zu finden. Wie sie das anstellen sollte, konnte sie sich im Moment nicht vorstellen. In San Francisco würde sie wohl niemand mehr einstellen. Sie könnte Silverman fragen, ob er jemanden kannte, der sie nehmen würde. »Nein! Das werde ich auf keinen Fall tun«, wies sie sich halblaut zurecht. Mit Silverman hatte sie abgeschlossen. Andererseits war sie nun an keinen Ort mehr gebunden, sie konnte überall hingehen. Sogar an die Ostküste, wie ihr Bruder.

Doch diese Entscheidung hatte noch Zeit. Also schrieb sie auf die erste Zeile des Blattes nur ›Neuer Job‹.

Darunter notierte sie ›Hochzeit absagen‹. Sollte sie das wirklich tun? Sie war sich nicht sicher. Schließlich war sie mit Robert seit dem Studium zusammen, und sie waren schon eine ganze Weile verlobt. In drei Wochen war ihr Hochzeitstermin, den sie nach vielen Jahren endlich festgemacht hatten. Die Einladungen waren verschickt worden, alle Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Vielleicht sollte sie sich doch erst anhören, was Robert zu seiner Entschuldigung zu sagen hatte. Sie konnte all die Jahre, die sie zusammen gewesen waren, nicht einfach wegwerfen. Vielleicht war es nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Schließlich hatte sie in den vergangenen Wochen nicht gerade viel Zeit für ihren Verlobten gehabt. Andererseits ließ die Art, wie Robert und Mandy miteinander umgegangen waren, eher auf das Gegenteil eines Ausrutschers schließen.

Robert hatte ihr auf der Polizeiwache gedroht, die Verlobung zu lösen, wenn sie ihm eine Szene machte. Er hatte ihr gedroht. Die Erinnerungen an ihr Aufeinandertreffen an diesem Morgen verwandelten den Kaffee, den sie trank, in ihrem Magen in einen Eisklumpen.

Ein Klopfen an der Haustür riss sie aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie hoch. Angelo stieß ein alarmiertes Knurren aus.

»Ist gut, Süßer.« Alex strich ihm beruhigend über den Kopf und stand auf. Ihr Herz raste. Hatte Robert es sich doch anders überlegt und war zurückgekommen, um mit ihr zu reden? Niemand außer ihm würde sie hier suchen.

Außer vielleicht … »Mandy«, stellte sie erschrocken fest, als sie die Tür öffnete.

»Hab ich es mir doch gedacht. Hier versteckst du dich also.« Die Rothaarige wollte an ihr vorbei ins Haus gehen.

Doch Alex hielt die Tür so, dass Mandy nicht eintreten konnte.

»Was willst du?«, fragte sie und versuchte, ihr Unbehagen möglichst nicht zu zeigen und kühl und gelassen zu klingen. Mandy sah wie immer atemberaubend aus. Perfektes Make-up, fantastisch gestylte rote Lockenmähne, schicker Hosenanzug. Einfach hinreißend von Kopf bis Fuß. In der umgeschlagenen Jogginghose ihres Bruders, dem alten ausgeleierten T-Shirt und dem Handtuch, das sie sich nach dem Haarewaschen um den Kopf geschlungen hatte, fühlte Alex sich neben dieser Frau geradezu schäbig. Das schien Mandy ebenfalls bewusst zu sein, so ungeniert, wie sie Alex von oben bis unten musterte.

»Willst du mich nicht hereinbitten?«, fragte sie schließlich.

»Nein. Sag mir, was du hier willst, und geh.«

Mit einem Seufzen ließ sich Mandy auf der Treppe vor der Tür nieder. Mit unschuldigem Blick sah sie Alex an. Selbst in dieser Position wirkte sie noch überlegen.

»Robert hat mich gebeten, nach dir zu sehen.«

»Gut. Das hast du ja hiermit getan.« Alex wollte die Tür schließen, doch Mandy hielt sie mit einer Handbewegung zurück. Sie setzte einen ernsten Blick auf.

»Was hast du erwartet, Alexandra? Dass ein Typ wie Robert dir ein Leben lang treu sein kann? Mein Gott, er sieht wahnsinnig gut aus, ist witzig und charmant. Er berichtet über sportliche Ereignisse, hängt mit den Teams rum und hat den gleichen Zugriff auf die Groupies wie die Sportler.« Sie lachte boshaft. »Glaubst du denn, er hat dich noch nie betrogen? Ich rede hier von Klassefrauen, schillernden Persönlichkeiten, nicht von solchen grauen Mäusen wie dir, die jeden Morgen ins Büro gehen, um bis Mitternacht zu arbeiten. Robert will Spaß. Er will sein Leben genießen. Das ist doch mit jemandem wie dir nicht möglich. Du bist nur das, was seine Eltern für ihn wollen.«

Wieder war da dieses Glitzern in Mandys Augen, das Alex schon bemerkt hatte, als sie sie mit Robert im Bett erwischt hatte. Wenn sie sich nicht am Türrahmen festgehalten hätte, wäre sie bei so viel Gemeinheit wohl zurückgetaumelt.

Der Eisklumpen in ihrem Magen begann zu wachsen. Sie bemühte sich jedoch um Selbstbeherrschung. Robert hatte Mandy wahrscheinlich wirklich zu ihr geschickt. Aber sicherlich, um sie zu beruhigen und nicht, um sie noch mehr auf die Palme zu bringen.

Mandy hatte sich schon immer genommen, was sie wollte. Ohne Rücksicht auf andere. Aber Alex hatte nie darüber nachgedacht, wie weit sie bei ihr gehen würde, weil sie Freundinnen waren. Stimmte das, was Mandy gesagt hatte? War sie für Robert nur die langweilige graue Maus? Lachten sie hinter ihrem Rücken über sie? Sie schloss die Augen und rieb ihren schmerzenden Magen.

»Du bist kein Sportlergroupie. Aber du hast trotzdem mit ihm geschlafen«, stellte sie leise fest.

Mandy lachte. »Sei froh, dass ich es war. Ich habe wenigstens keine ansteckenden Krankheiten.«

»Das war nicht das erste Mal, oder?« Alex konnte sich die Frage nicht verkneifen.

»Was glaubst du denn?«, fragte Mandy sichtlich amüsiert zurück.

»Wie lange geht das schon?«