Lake Anna - Heimat des Herzens - Joanne St. Lucas - E-Book

Lake Anna - Heimat des Herzens E-Book

Joanne St. Lucas

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Beschreibung

Katie Travis kann es nicht fassen: Vor ihr steht Ewan Blake. Im Lake View Inn, ihrer Pension. Der gleiche Ewan, der sie vor zwölf Jahren sang und klanglos abserviert und die Stadt in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen hat. Katie spürt, dass die Mauer um ihr Herz immer mehr zu bröckeln beginnt, je länger er in der Stadt ist. Bald sprühen zwischen den beiden wieder die Funken und Ewan stellt Katies Leben gehörig auf den Kopf. Doch Katie hat nicht nur die Pension und ihre Kinder, an die sie denken muss. Sie hat auch ein Geheimnis, das Ewan niemals erfahren darf.

Der sechste und letzte herzerwärmende Band der Lake-Anna-Reihe von Joanne St. Lucas um die romantische Kleinstadt am See.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelWidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16EpilogDankÜber die AutorinWeitere Titel der AutorinImpressum

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Über dieses Buch

Katie Travis kann es nicht fassen: Vor ihr steht Ewan Blake. Im Lake View Inn, ihrer Pension. Der gleiche Ewan, der sie vor zwölf Jahren sang und klanglos abserviert und die Stadt in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen hat. Katie spürt, dass die Mauer um ihr Herz immer mehr zu bröckeln beginnt, je länger er in der Stadt ist. Bald sprühen zwischen den beiden wieder die Funken und Ewan stellt Katies Leben gehörig auf den Kopf. Doch Katie hat nicht nur die Pension und ihre Kinder, an die sie denken muss. Sie hat auch ein Geheimnis, das Ewan niemals erfahren darf.

Jana Lukas als

JOANNE ST. LUCAS

Heimat des Herzens

Small-Town-Romance

Für alle Fans von Josh, Max und Ryan

Prolog

Ewan befand sich inmitten einer Staubwolke.

Zumindest fühlte er sich so. Nicht erst, seit er in Frankfurt aus dem Flieger gestiegen war.

Der Dreck hatte sich irgendwo zwischen dem afghanischen Kabul und der turkmenischen Grenze in seinen Kleidern festgesetzt. Auf dem Flug von Aschgabat nach Istanbul hatte er seinen Mund ausgetrocknet, und auf dem Weg nach Deutschland begannen die feinen Schmutzkörnchen schließlich, in seinen Augen zu reiben.

Erschöpft sammelte er seine Ausrüstung und sein Gepäck – zumindest das, was davon übriggeblieben war – vom Band und schleppte sich in eines der Flughafenhotels. Er checkte ein und ließ in seinem Zimmer alles fallen, wo es war. Ihm blieben eineinhalb Tage bis zu seinem Weiterflug nach Los Angeles. Zeit, die er nach einer mindestens einstündigen Dusche ausschließlich mit Schlafen und Essen verbringen wollte.

Bevor er sich in diesen himmlischen Zustand versetzen konnte, bestanden seine drei letzten Pflichten darin, seinen Redakteur davon in Kenntnis zu setzen, dass er noch am Leben war, seine Verlobte anzurufen und seine Mailbox abzuhören. Sein Handy war in dem Chaos, das in der afghanischen Hauptstadt geherrscht hatte, verloren gegangen. Das war zu diesem Zeitpunkt nicht weiter schlimm gewesen. Mobilnetzempfang oder gar Internetzugang hatte es, genau wie Strom, nur sporadisch gegeben.

Irgendwann musste er seinen Beitrag für die L. A. Times schreiben. Aber das hatte Zeit. Der Flug nach Hause würde sich sowieso endlos ziehen.

Nach Hause. Bei diesem Gedanken setzte sein Herz wie immer einen Schlag aus. Zu Hause war nicht das winzige Bergstädtchen in Montana, in dem er aufgewachsen war. Seine Wahlheimat hieß Los Angeles, eine schnelllebige, pulsierende Stadt, in der es sich wunderbar aushalten ließ. Warm und lebendig. Sonne, Strand und Meer.

Im Moment war es an der Westküste der USA drei Uhr morgens. Er hinterließ Bud eine Mitteilung mit seinem aktuellen Aufenthaltsort, seinen Flugdaten und der groben Idee für seinen Beitrag in der Zeitung. Anschließend wählte er die Nummer für die Fernabfrage seiner Mailbox. Er hatte Jessica gebeten, seine Nachrichten regelmäßig abzuhören und sich um die Dinge zu kümmern, die er selbst aus dem Krisengebiet nicht regeln konnte.

Sechsundzwanzig Nachrichten. Er trank einen Schluck Wasser, um das sandige Gefühl hinunterzuspülen. Er würde sich nicht alles anhören, nur durchklicken, ob etwas Wichtiges dabei war. Auf Jess war Verlass. Sie managte sein Leben aus der Ferne so gut wie möglich und hatte alles im Griff. Die ersten beiden Nachrichten stammten von seinem Versicherungsvertreter, eine von einer Fernsehproduzentin, die ihn um einen Rückruf wegen eines interessanten Projektes bat. Die vierte Aufzeichnung ließ ihn im ersten Moment schmunzeln. Sein knurriger Cousin Max aus den wilden Bergen, der es hasste, zu telefonieren. Das hatte zur Folge, dass er nur selten anrief, genau genommen nur einmal im Jahr, zu Ewans Geburtstag. Was wollte er also?

Ewan lauschte den wenigen wütenden Sätzen, die Max von sich gab und spürte, wie das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Bevor die nächste Nachricht abgerufen wurde, spielte er die Informationen noch einmal ab. Und noch einmal.

»Ewan, du Idiot«, ließ sich Max, begleitet von einem dumpfen Rauschen, vernehmen. »Wir verstehen es, dass du mehr Spaß daran hast, dich in der Weltgeschichte herumzutreiben, als dich mit uns auseinanderzusetzen. Trotzdem verhältst du dich im Moment wie das letzte Arschloch. Dein Vater ist gestorben, Mann. Er ist tot, verstehst du? Wenn du schon nicht bereit bist, ihm die letzte Ehre zu erweisen, lass uns wenigstens wissen, was deine Wünsche für seine Beerdigung sind. Und setz dich mit Alex in Verbindung. Sie muss dir sein Testament eröffnen. Meine letzten drei Anrufe hast du ignoriert. Wenn ich dein hässliches Gesicht nicht regelmäßig über den Bildschirm flimmern sehen würde, wäre ich mir nicht sicher, ob es dich überhaupt noch gibt. Das ist mein letzter Anruf. Wenn du nicht reagierst, kümmern wir uns selbst um Onkel George.« Für einen Moment herrschte Stille in der Leitung, bevor Max ein »Pass auf dich auf, Kleiner.« hinterherschob.

Ewan legte sein Handy auf den Nachttisch und nahm drei Whiskeyfläschchen aus der Minibar. Konzentriert schraubte er die erste auf, setzte sie mit geschlossenen Augen an die Lippen und ließ den gesamten Inhalt in seine Kehle laufen. Der Alkohol brannte und betäubte gleichzeitig. Sein Vater war tot. Ewan hatte nicht erwartet, dass sich George Blake über so viele Jahre am Leben halten würde, bis ihn der Teufel schließlich geholt hatte. Anders konnte es nicht sein. Wenn es auf der Welt einen Hauch von Gerechtigkeit gab, schmorte sein alter Herr in der Hölle.

Er öffnete die zweite Whiskeyflasche. Sein Vater war gestorben. Wie er es auch drehte und wendete, er kam immer zum gleichen Ergebnis. Er musste zurückkehren in die Berge Montanas. In seine Heimatstadt, der er vor zwölf Jahren voller Verzweiflung und Hass den Rücken zugekehrt hatte. Zurück nach Lake Anna.

Kapitel 1

»Baby?« Jessica legte erschrocken die Hand an ihren Hals. Sie hatte verständlicherweise nicht damit gerechnet, Ewan plötzlich in ihrem Schlafzimmer stehen zu sehen. Wie es ihre Art war, fasste sie sich schnell wieder. »Oh mein Gott! Ewan Blake! Du bist zurück!« In ein Badetuch gehüllt, einen Handtuchturban auf dem Kopf, fiel sie ihm um den Hals, presste ihren verführerischen Körper an seinen. »Ich war gerade dabei, mich schön zu machen, bevor ich dich am Flughafen abhole«, raunte sie ihm ins Ohr. »Aber wenn du eher zurückgekehrt bist, konntest du es wahrscheinlich genauso wenig erwarten wie ich.« Sie trat zurück, zog den Turban vom Kopf und schüttelte ihr feuchtes Haar. Mit einer eleganten Bewegung löste sie das Handtuch von ihrem Körper. Sie ließ es fallen, vergönnte ihm einen kurzen Blick auf ihre anbetungswürdigen Kurven, und schmiegte sich wieder an ihn. Ihre Hand glitt über seinem Hemd am Bauch in Richtung Süden.

Ewan fing sie ab, bevor sie kritisches Terrain erreichte, und löste sich von ihr. Auch nach zweieinhalb Monaten ohne Sex hatte er im Moment keine Lust auf seine Verlobte. Was er wollte, waren Antworten.

Seine Stimmung hatte sich auch nach drei Whiskeyfläschchen in einem deutschen Flughafenhotel nicht gebessert. Er hatte geduscht und versucht, zu schlafen. Trotz seiner Erschöpfung war er nicht zur Ruhe gekommen. Unerwünschte Gedanken und schmerzhafte Gefühle hatten in seinem Kopf einen Looping nach dem anderen gedreht, ihn wach gehalten. Schließlich hatte er seine Empfindungen in der Hotelbar ertränkt und war in einen unruhigen, von Albträumen geplagten Schlaf gefallen. Ihn hatte nichts mehr in Deutschland gehalten. Die Erholung, die er sich erhofft hatte, hatte er hier nicht finden können. Doch schließlich war es egal gewesen, in welchem Zustand er in Los Angeles landete. Es änderte nichts an seiner Gefühlslage. Er hatte einen früheren Flug erwischt und darauf verzichtet, Jessica anzurufen. Er hatte ihr keine Chance geben wollen, sich eine Entschuldigung zurechtzulegen. »Mein Vater ist gestorben«, sagte er und erkannte seine Stimme fast selbst nicht. Sie klang noch immer nach Staub und Sand.

»Ja.« Einen Moment blickte Jessica ihn irritiert an. Dann bückte sie sich und hob langsam das Handtuch auf, um sich wieder darin einzuhüllen.

»Das ist alles, was du dazu zu sagst?«

Jessica zuckte mit den Schultern, ging an ihm vorbei und zog ihren Morgenmantel aus dem Schrank. Noch einmal ließ sie das Badetuch fallen, präsentierte ihm ihre makellose Rückseite und schlüpfte in die raschelnde Seide. Auch dieser Anblick zündete keinen Funken der Erregung in seinem Inneren. »Was soll ich dazu sagen? Ich dachte, du hasst deinen Vater und hast ihn seit zwölf Jahren nicht gesehen.«

»Was nicht bedeutet, dass du das Recht hast, Nachrichten meiner Cousins von meiner Mailbox zu löschen.« Die Erschöpfung, der Jetlag und die verdammten Emotionen, die er nicht näher erforschen wollte, waren dabei, seinen Kopf zu spalten.

»Ich dachte, es ist unwichtig. Dein Vater bedeutet dir nichts. Ich wollte es dir nach deiner Rückkehr sagen. Das war meiner Meinung nach noch früh genug. Was regst du dich so auf?« Sie griff nach einer Lotion auf ihrem Schminktisch und massierte sie sanft in ihre Augenwinkel.

»Es steht dir nicht zu, diese Art von Entscheidung für mich zu treffen.«

»Tatsächlich?« Sie fuhr zu ihm herum, verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und kniff die Augen leicht zusammen. Ein deutliches Anzeichen für ihre Kampfbereitschaft. Sein momentan ziemlich angeschlagenes Gehirn würde sicher nicht mit ihr mithalten können. »Ich habe kein Recht dazu? Als deine Verlobte oder als deine Agentin? Wenn ich nicht die richtigen Entscheidungen treffe, wer dann?« Ihr Ton ließ keinen Zweifel. Sie war stinksauer, weil der Abend nicht so lief, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie seine Heimkehr akribisch geplant haben musste.

Ewan war sich nicht ganz im Klaren, warum ihn ihr Verhalten so ärgerte. Ihr Argument lag auf der Hand. Er hasste seinen Vater. Von dem Augenblick an, in dem er sein Zuhause verlassen hatte, hatte er sich nie mehr umgedreht. Okay, das stimmte nicht ganz. Eine Zeit lang hatte er verdammt viele Blicke zurückgeworfen. Vergebens. Also hatte er irgendwann entschieden, die Augen in seine Zukunft zu richten und seine Vergangenheit hinter sich zu lassen.

»Hör zu, Darling.« Jessica legte ihm eine Hand mit bonbonrosa lackierten Fingernägeln auf den Arm. »Ich habe dir nichts gesagt, weil ich dich nicht beunruhigen wollte. Wir hatten so wenige Möglichkeiten, überhaupt miteinander zu sprechen. Was wäre geschehen, wenn ich dir in aller Kürze am Telefon davon erzählt hätte? Du weißt ganz genau, was passieren kann, wenn du nicht zu einhundert Prozent konzentriert bist. Das klingt hart, keine Frage, aber dein Vater ist tot. Daran lässt sich nichts mehr ändern. Dein Leben ist mir wichtig genug, es nicht wegen einer solchen Nachricht aufs Spiel zu setzen.«

Ewan rieb sich gereizt über den Nacken. Das Schlimme daran war: Jess hatte recht. Vielleicht lag es an seiner Übermüdung. Oder an etwas anderem, worüber er nicht nachdenken wollte. Sicher war nur, dass er sich im Augenblick selbst nicht mehr verstand. Das Einzige, was er begriff, war ihm bereits in dem Flughafenhotel in Deutschland klar geworden. »Ich muss nach Lake Anna.«

Der Streit mit Jessica war nicht zu seinen Gunsten ausgegangen. Seine Ankündigung, nach Hause zu fahren, hatte sie ziemlich aufgebracht. Sie hatte Karten für eine Gala zwei Tage später ergattert. Wichtige Promis. Jede Menge Kontakte. Die einmalige Chance, ihre Karrieren voranzutreiben.

»Erwarte ja nicht, dass ich dich begleite«, hatte sie gefaucht. »Wenn du nicht in der Lage bist, die Bedeutung dieser Veranstaltung zu begreifen, ist dir nicht zu helfen. Die Beerdigung deines Vaters findet frühestens im Frühjahr statt. Es gibt keinen Grund, ausgerechnet jetzt dorthin zu fahren.«

In Städten wie Lake Anna fanden im Winter keine Begräbnisse statt, weil der Boden tiefgefror. Jessica hatte sich also bereits schlaugemacht. Das hatte ihn richtig sauer werden lassen. »Ich hatte auch nicht vor, dich um deine Begleitung zu bitten. Ich fahre allein.«

»Ich habe mich seit Ewigkeiten auf diese Gala vorbereitet, Listen mit möglichen Klienten angelegt und mir gegen ein ziemlich hohes Schmiergeld einen Sitzplan besorgt. Wir haben einen fantastischen Tisch. Wenn du diesen Termin platzen lässt, nur um sinnloserweise in diese Eiswüste zu fahren, sind wir geschiedene Leute.« Natürlich war sie eine Dramaqueen. Sie zeterte und schrie, was sich wie rostige Nägel auf Metallplatten anhörte, wenn man kurz davorstand, den Kopf zu verlieren.

Natürlich hatte sie maßlos übertrieben, als sie ihm schließlich in einer Geste, die nach gebrochenem Herzen aussehen sollte, ihren Verlobungsring an den Kopf geworfen hatte, wo der Diamant einen kleinen Kratzer hinterließ.

Sie hatte überreagiert und wahrscheinlich schon eine halbe Stunde später jedes einzelne Wort bereut, das sie ihm neben dem Schmuckstück entgegengeschleudert hatte. Normalerweise mochte Ewan ihr Temperament. Es machte eine durchsetzungsstarke Agentin aus ihr. Und im Bett ließ es sie zur Wildkatze werden. Doch nach seiner Rückkehr aus Afghanistan hatte es ihn einfach nur Nerven gekostet. Vielleicht war ihr Ausbruch der richtige Moment, ihre Beziehung tatsächlich zu überdenken.

Nach ihrer Auseinandersetzung war er in seine Wohnung gefahren und hatte endlich den Schlaf gefunden, den er so dringend brauchte. Jess hatte sich erstaunlicherweise bis zum nächsten Morgen zurückgehalten, bis sie begann, ihn mit Anrufen und Nachrichten zu bombardieren. Er schaltete sein Handy auf lautlos und ignorierte sie. In dem Café, das sich im selben Haus wie seine Wohnung befand, gönnte er sich ein riesiges Frühstück aus Würsten, Speck, Eiern und Pfannkuchen, die er in einem See aus Ahornsirup ertränkte, um seine Energiespeicher aufzufüllen.

Dann packte er seine Tasche neu, sammelte seine Fotoausrüstung und seinen Laptop ein und machte sich auf die Reise Richtung Norden.

Ewan hatte Max nicht angerufen. Einfach, weil er keine Ahnung gehabt hatte, was er seinem Cousin sagen sollte. Er musste in das Tal des Thunder Creek zurück, auch wenn er keinen Schimmer hatte, was er tun sollte, wenn er dort ankam. Als Siebzehnjähriger hatte er Lake Anna bei Nacht und Nebel verlassen, und seitdem zu niemandem außer seinen Cousins Kontakt gehabt.

Sein SUV rollte ruhig und gleichmäßig über die endlosen Highways des Westens. Unweigerlich wurden seine Gedanken in die Zeit zurückgezogen, in der er den Weg in die entgegengesetzte Richtung gefahren war. In einem rostigen Pick-up, von dem er nicht wusste, ob er die Distanz überhaupt überwinden würde. Mit fünftausend Dollar in der Tasche und voller Zorn. Er hatte sich verraten gefühlt. Und doch war die Hoffnung in ihm noch nicht gestorben gewesen. Die Hoffnung auf eine Zukunft mit dem hübschen blonden Mädchen, das seine ersten weiblichen Kurven unter hochgeschlossenen, züchtigen Blusen verbarg. Dem Mädchen, dessen seidenweiches Haar, meist zum Zopf geflochten, fast bis zu ihrem knackigen, siebzehnjährigen Hintern reichte. Natürlich funktionierte das Leben so nicht. Weder heute noch damals. Das hatte er in einer bitteren Lektion lernen müssen.

Immerhin hatte ihm seine Flucht aus Lake Anna trotz allem Glück gebracht und ihm einen Weg aufgezeigt. Er hatte sich von einem schlimmen Raufbold und Sohn des Stadtsäufers zu einem ernsthaften Journalisten gemausert, dessen Meinung das ganze Land Gehör schenkte.

Seine Cousins hatten aus der Bennett-Ranch, die sich seit Generationen in Familienbesitz befand, ihre Heimatbasis gemacht. Max hatte das Tal nie verlassen, und Ryan und Josh waren zurückgekehrt und kümmerten sich gemeinsam um ihren Neffen Shane, den Sohn ihrer viel zu früh gestorbenen Schwester Vicky. Auch seine Cousins hatten es unter ihrem Vater nicht leicht gehabt, aber sie hatten es geschafft, wieder zu einer Einheit zu verschmelzen. Sie hatten sich verliebt und ihre Familie vergrößert.

Doch was erwartete ihn, wenn er zurückkehrte? Seinen Vater, den Stadtsäufer, gab es nicht mehr. Alles, was ihm blieb, war eine verwahrloste Hütte im Wald, die er nicht einmal betreten würde, wenn die Zombieapokalypse über die Welt hereinbrechen und sich dort das letzte Versteck befinden würde.

Immerhin konnte er sich beschäftigen. Jess hatte mit seinem Verleger vor einiger Zeit einen fantastischen Deal ausgehandelt. Sie wollten einen Bildband mit den Aufnahmen seiner Karriere herausbringen. Die Arbeit, die dazu nötig war, hatte er schon viel zu lange vor sich hergeschoben. Für sein Geheimprojekt – wie er seine Cole-Flanagan-Romane gern nannte – musste er sich ebenfalls wieder einmal ausreichend Zeit nehmen. Langweilig werden würde es ihm in Lake Anna mit Sicherheit nicht.

Kapitel 2

Lake Anna begrüßte seine Gäste seit Jahrzehnten mit dem gleichen Schild. Direkt hinter der Straßenbiegung, wo der gleichnamige See in den Thunder Creek floss, dem wiederum das Tal seinen Namen zu verdanken hatte. Das Einzige, was sich an dem Schild änderte, war hin und wieder die Einwohnerzahl, die übermalt und neu geschrieben wurde. Früher war sie jedes Jahr ein wenig weiter gesunken. Inzwischen gab es aber tatsächlich ein paar neue Einwohner. Nicht wenige von ihnen waren mit seiner Familie, den Bennetts, verbandelt.

Ewan fuhr von Missoula aus in das Tal. Obwohl er sich dagegen wehrte, raubte ihm die Umgebung den Atem. Das war früher anders gewesen. Das Tal war das Tal. Fertig.

Monate in Wüsten, in Bürgerkriegsgebieten, in Städten, die Mondlandschaften glichen, hatten seinen Blickwinkel auf diesen Zipfel scheinbar heiler Welt offenbar verändert.

Der Schnee und das Eis, die ihn umgaben und trotz seiner Sonnenbrille blendeten, waren von einem so reinen Weiß, dass sie sich nur mit dem Wort unschuldig beschreiben ließen. Die schmale Passstraße, die im Winter hinter dem See gesperrt wurde, schlängelte sich schmal und hoch über dem Fluss an der Wand der Schlucht entlang. Dort, wo das Wasser normalerweise mit reißender Geschwindigkeit ins Tal schoss, hatte die Kälte die Naturgewalten ausgebremst. Eingebettet in einen dicken Eismantel schlängelte sich der Thunder Creek nur noch als sanftes Rinnsal durch sein Bett. Die wilden Stromschnellen, die im Sommer zu den hoch geschätzten Attraktionen der Wassersportler zählten, hatten Kunstwerke bizarrster Formen entstehen lassen.

Die kahlen Äste der Laubbäume waren ebenso mit dicken Schneehauben überzogen wie die Tannen in ihrem dunklen, beruhigenden Grün.

Er hatte das Bergstädtchen Thunder Creek hinter sich gelassen und passierte das Schild, das ihn in Lake Anna willkommen hieß. Er fuhr an den Straßenrand. Vor ihm lag der See, eine einzige, eisig weiße Fläche inmitten der unwirtlichen, steilen Bergwände, die ihn für einen Moment zwangen, die Augen zu schließen. Mit dem Blick des Fotografen, der er war, erfasste er die Schönheit des Motives.

Aber er war auch Realist. So überwältigend dieser Anblick auch war, verdeckte er doch nur den Schmutz, der sich unter dem Schnee verborgen hielt. Wenn das Weiß dieser perfekten Welt im Frühjahr dahinschmolz, blieb nichts als Dreck und Schlamm zurück. Mit etwas Glück hatte er der Stadt bis dahin abermals den Rücken gekehrt.

Bis jetzt hatte er sich keine Gedanken über seine Ankunft gemacht. Er konnte zur Bennett-Ranch hinausfahren, entschied sich aber dagegen. Seine Cousins würden ihn willkommen heißen, keine Frage, aber sie waren mit Sicherheit auch sauer und genervt von ihm. Es war besser, erst einmal zur Ruhe zu kommen und den Jetlag, der immer noch durch seinen Körper tobte, richtig auszuschlafen. Mit einem klaren Kopf war er seiner Verwandtschaft besser gewachsen.

Im Kings Motel einzuchecken kam für einen Einheimischen, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, nicht infrage. Das hatte sich in den vergangenen Jahren mit Sicherheit nicht geändert. Zumindest nicht zum positiven. Blieb das Lake View Inn. Er würde viel dafür geben, nicht dort übernachten zu müssen, aber in seiner Abwesenheit hatte kein weiteres Hotel in Lake Anna eröffnet. Für einen Augenblick zögerte er, dann lenkte er den SUV wieder auf die Straße und fuhr zum Inn. Er hatte keine Wahl. Vielleicht kam er wenigstens ungesehen davon. Mit etwas Glück – wobei ihm das in letzter Zeit nicht gerade hold gewesen war. Er parkte vor der Pension, ließ seine Sachen im Wagen und betrat die Rezeption. Er setzte die Sonnenbrille ab und sah sich um. Es hatte sich nicht viel verändert, auch wenn die Wände inzwischen in frischeren und freundlicheren Farben gestrichen waren.

Der Tresen war nicht besetzt, also drückte er die Klingel.

»Ich komme«, rief eine helle, ihm unbekannte Stimme aus den Tiefen des Gebäudes. Ewan entspannte sich. Ein Mädchen, vielleicht neun oder zehn Jahre alt, schoss durch die Tür mit dem Privat-Schild und kam hinter dem Tresen zum Stehen. Sie sah aus wie … Er blinzelte.

Das Mädchen starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.

»Oh … oh, mein Gott!«, stammelte sie. »Sie … Sie sind …«

»Ewan Blake«, sagte das erwachsene Ebenbild des Mädchens, das hinter ihr durch die Tür trat.

Sein Magen zog sich für einen Augenblick zusammen.

Er musterte die Frau mit einem langen Blick. »Katie Travis. Schön, dich zu sehen«, log er.

*

Katie würde nicht mit ›Danke, gleichfalls‹ antworten, denn das wäre definitiv eine Lüge. Davon gab es in ihrem Leben schon genug, auch wenn sie ihre Kinder dazu erzog, bei der Wahrheit zu bleiben.

Ewan Blake. Sie versuchte, ihn nicht anzustarren.

Schließlich wusste sie, wie er aussah. Aus dem Fernsehen, aus der Zeitung. Er flimmerte zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit durch ihr Leben. »Was kann ich für dich tun?« Katie war verdammt stolz auf ihre feste, kühle Stimme, die ganz klar sagte: Du bist hier nicht willkommen.

Sie hatte sich in wenigen Dingen geirrt, seit Ewan im letzten Highschooljahr die Kurve gekratzt hatte. Er war nie zurückgekehrt. Er hatte sich nie mit seinem Vater versöhnt.

Sie war sich sicher gewesen, auch George Blakes Beerdigung in Abwesenheit seines Sohnes stattfinden zu lassen. Doch da hatte sie offenbar danebengelegen. Hier stand er. In der kleinen Rezeption ihrer Pension und ließ den Raum um sie herum schrumpfen. Er war seit ihrer Jugend nicht mehr gewachsen, aber inzwischen füllten ein paar ansehnliche Muskeln seinen schlaksigen Körper. Die Spitzen seines sandbraunen Haares lugten unter seiner Beanie hervor, und er hatte sich offensichtlich seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert. Die dunklen Augen, die an schmelzende Schokolade erinnerten, identifizierten ihn eindeutig als einen Angehörigen des Bennett-Clans.

Vertraulich lehnte er sich gegen den Tresen, und Katie wich automatisch einen Schritt zurück. Von Lara war keine Hilfe zu erwarten. Sie war mit ihrem Handy beschäftigt. Als offiziell Ewan Blakes größter lebender Fan – zumindest in Lake Anna – war ihre Tochter vermutlich gerade dabei, all ihren Freundinnen die Ankunft des Heilands zu verkünden. Der leibhaftige Grund, aus dem Lara Auslandsreporterin werden wollte, stand in ihrem Haus. Es konnte maximal noch Sekunden dauern, bis diese Sensation auf Instagram oder Tiktok auftauchte.

»Ich möchte ein Zimmer mieten. Oder eines der Cottages.« Seine Stimme war ebenfalls erwachsen geworden.

Was Katie natürlich aus dem Fernsehen wusste. »Warum schläfst du nicht bei den Bennetts?«

»Mom!« Lara sah für einen Augenblick von ihrem Handy auf, eine Mischung aus Empörung und Entsetzen im Gesicht. Der berühmte Ewan Blake verlangte nach einer Bleibe. Ihre Tochter würde es nicht verstehen, dass Katie ihn nicht im Inn haben wollte. Sie hätte vermutlich ihr eigenes Zimmer hergegeben und wäre bei ihrem Bruder eingezogen, wenn ihn das hier halten würde.

»Muss ich die Frage beantworten? Die Antwort geht dich nämlich nichts an.« Er gab sich ebenso kühl und kontrolliert wie sie. Seine Augen waren leere, dunkle Flächen, die nichts aus seinem Inneren preisgaben. So war er schon immer gewesen. Wenn er jemanden ausgrenzen wollte, setzte er genau diesen Blick auf.

»Vergiss es.« Sie winkte ab und schenkte ihm ein Lächeln, das so falsch war wie das dieser Tussi, die diese Modelshow im Fernsehen moderierte. »Ein kleiner Versuch, mich in Small Talk zu üben. Wir haben leider nur noch ein Cottage frei.« Auch das war gelogen. Aber wenn er unbedingt im Inn unterkommen wollte, würde sie zumindest ein Geschäft daraus machen, und ihm die exklusivste ihrer Hütten anbieten.

»Perfekt. Ich miete es für eine Woche.«

»Eine ganze?« Katie schluckte. Ihr Mund war trocken wie die Wüste.

»Eine mit sieben Tagen.« Er legte seine Kreditkarte auf den Tisch, ließ sie die Formalitäten erledigen und wartete schweigend, bis sie die Kredit- und Zimmerkarte zurückschob. Offenbar achtete er ebenso peinlich wie sie darauf, eine Berührung ihrer Hände zu vermeiden.

»Herzlich willkommen im Lake View Inn. Frühstückszeiten, Sehenswürdigkeiten der Gegend und eine Liste von Restaurants für das Dinner kannst du der Broschüre entnehmen.«

»Danke.« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ließ sie stehen.

Katie sah ihm von ihrem Platz hinter dem Tresen aus zu, wie er seine Sachen aus dem Wagen holte und zu der Hütte schleppte, die am weitesten entfernt vom Haus stand. Sobald er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte.

»Bennett-Ranch. Sara Cross am Apparat«, meldete sich ihre Freundin und Max’ Verlobte.

»Ich bin’s, Katie. Kannst du Max und seinen Brüdern etwas von mir ausrichten?« Sie atmete tief durch. »Ewan ist zurück in Lake Anna.«

»Was?« Sara schnappte überrascht nach Luft. »Wo ist er? In der Hütte seines Vaters?«

»Nein. Hier. In der Pension.«

*

Langsam kämpfte sich Ewan aus dem Schlaf. Das Klopfen entsprang nicht seiner Fantasie. Jemand hämmerte unermüdlich an seine Tür. Orientierungslos sah er sich um. Wo war er? Lake Anna. Richtig. Er war nach Lake Anna gefahren und hatte sich im Lake View Inn eingebucht. Nach seiner Begegnung mit Katie war er in das gemietete Cottage eingezogen und direkt ins Bett gefallen.

Hinter ihm lag eine unangenehme Nacht. Jessica hatte ganze vierzehn Mal versucht, ihn zu erreichen. Sie bereute ihren Ausraster bereits, aber er hatte sie noch nicht zurückgerufen. Weil er keine Ahnung hatte, was er ihr sagen sollte.

Sein Gehirn war mit einer anderen Frau beschäftigt gewesen. Und mit deren Tochter, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war. Auch wenn das Mädchen nicht mal im Ansatz so spießig angezogen und frisiert war wie ihre Mutter, als sie in diesem Alter war. Gott, Katie hatte ein Kind. Er kannte sich nicht gut aus, aber das Mädchen schien schon ziemlich alt zu sein. Mindestens neun. Oder eher zehn, oder so. Katie hatte also eine Familie gegründet. Ihm war kein Ehering aufgefallen, und sie hatte ihn beim Nennen ihres Mädchennamens nicht korrigiert. Entweder war ihre Tochter unehelich zur Welt gekommen, oder – was wahrscheinlicher war – sie war geschieden. Beides passte nicht zu der Katie, die er gekannt hatte. Allerdings hatte er sie offenbar nie so gut durchschaut, wie er als siebzehnjähriger Ausreißer geglaubt hatte. Sie hatte nicht zu ihrem Wort gestanden und ihm verdammt viele einsame Stunden in Los Angeles beschert.

Katies Anblick hatte genügt, die alte Bitterkeit wieder hochkochen zu lassen. Vielleicht tat er ihr auch unrecht, und es war seine ganze verdammte Rückkehr nach Lake Anna, die ihn aus der Bahn warf. Das Schlimmste daran war, dass ihn das nicht davon abgehalten hatte, sich im Halbschlaf im Bett herumzuwälzen und Erinnerungen an ihren Teenagerkörper heraufzuschwören.

Sie hatte sich seitdem verändert. Allerdings nicht zu ihrem Nachteil. Das glatte blonde Haar reichte ihr nur noch knapp über die Schultern und fiel in einem zeitgemäßen Stufenschnitt weich um ihr Gesicht. Ihre Züge waren erwachsener und weiblicher, aber noch genauso anziehend wie vor zwölf Jahren. Ihr Körper hatte sich ebenfalls an genau den richtigen Stellen entwickelt. Ein anschmiegsamer Rollkragenpullover hatte ihren schlanken Hals betont, und ihre endlos langen Beine füllten die Jeans perfekt aus. Er hatte sich viel zu ausführlich mit ihrem Auftauchen hinter dem Tresen der Rezeption beschäftigt.

Ihre Augen, die ihn an den Sommerhimmel über Montana erinnerten, waren allerdings nicht wie in der Vergangenheit schüchtern hinter halb gesenkten Lidern versteckt gewesen. Sie hatte ihn offen angesehen. Die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen war neu. Sie signalisierte ganz deutlich ihre Verärgerung über sein Erscheinen. Eine solche Empfindung hatte er früher nie bei ihr ausgelöst. Er war derjenige, der es immer geschafft hatte, ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Eine verdammt dumme Idee, sich diesen Gedanken hinzugeben.

Das Hämmern an seiner Tür ließ nicht nach. Da der Störenfried ganz offensichtlich nicht verschwinden würde, quälte sich Ewan aus dem Bett und riss die Tür auf. »Was zur Hölle …«

Auf der kleinen Veranda stand der Sheriff. Ein blonder Hüne. Ewan war eins achtundachtzig groß, aber der Mann vor ihm überragte ihn um einige Zentimeter. Die breiten Schultern spannten den kakifarbenen Parka mit dem Wappen der Stadt und seinem Stern. Die Arme vor der Brust verschränkt, taxierte er ihn durch seine Pilotenbrille. Zumindest vermutete Ewan das, weil er in den verspiegelten Gläsern nur sein eigenes verschlafenes Ich zu sehen bekam.

Ewan seufzte und fuhr sich durch seine – laut Brille – sowieso schon völlig wirren Haare. Er drehte sich um und kehrte in die Wärme des Cottages zurück. Die Hoffnung, noch eine Weile von der Familie verschont zu bleiben, war dahin. Im Moment fühlte er sich noch nicht in der Lage, es mit ihnen aufzunehmen. Er kippte Wasser in die Keurig, die auf dem kleinen Küchentresen stand, und legte eine Kapsel ein. Der Standard in Katies Pension war ganz eindeutig gestiegen, seit er zum letzten Mal hier gewesen war.

Die Hütte, die sie ihm für die nächste Woche vermietet hatte, hatte vor zwölf Jahren noch gar nicht existiert. Sie war überraschend luxuriös eingerichtet und verfügte sogar über einen Jacuzzi auf der hinteren Terrasse.

Gemeinsam mit dem Kaffeeduft, der von der Maschine aufstieg, trat sein Cousin Ryan in die Hütte und schloss die Tür hinter sich. »Willkommen zu Hause.« Er klang sauer.

Ewan verstand zwar, warum, aber er hatte keine Lust, sich dafür zu rechtfertigen, warum er erst jetzt seinen Weg nach Lake Anna gefunden hatte. Warum er lieber im Inn abgestiegen war, anstatt auf der Bennett-Ranch zu wohnen, verstand seine Familie mit Sicherheit auch nicht. Er zog die Kaffeetasse unter der Maschine hervor und trank einen ersten, belebenden Schluck. »Sonst noch was?«

Ryan nahm seine Sonnenbrille ab. Die Augen seines Cousins hatten den gleichen Farbton wie seine eigenen.

Der milde Ausdruck in Ryans Gesicht ließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge zurück. Er stellte den Kaffee zur Seite und machte sich für das bereit, was unweigerlich kommen würde.

Ryan legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sorry, Mann. Tut mir leid um deinen Dad.«

»Das muss es nicht«, presste Ewan hervor. Er wollte kein Mitgefühl. Nicht dafür.

Bevor Ryan weitersprechen konnte, knackte sein Funkgerät und seine Dispatcherin teilte ihm mit, dass Billie Newton mit seinem Schneepflug die Snowboards irgendwelcher Juppie-Typen überfahren und in Sägespäne verwandelt hatte.

Ryan bestätigte und verdrehte die Augen. »Ich muss los. Ich bin nur vorbeigekommen, um dich wissen zu lassen, dass du deinen Hintern heute Abend auf die Ranch schwingen sollst. Es wird ein Essen zu Ehren der Heimkehr des verlorenen Cousins geben. Wenn du nicht auftauchst, bin ich angewiesen, dich zu holen. Erspar uns das Theater und sei pünktlich. Sechs Uhr.«

»Immer noch ganz der Alte«, brummte Ewan.

Er sah ein schnelles Grinsen im Mundwinkel seines Cousins auftauchen, bevor er seine Pilotenbrille auf die Nase zurückschob, sich umdrehte und ihn allein ließ.

Ewan sah ihm nach. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie der einzige Tunichtgut der Stadt, der ihm in nichts nachgestanden hatte, es fertiggebracht hatte, der Sheriff von Lake Anna zu werden.

Kapitel 3

Katie bewältigte den Frühstücksansturm in der Pension, buk im Akkord Pfannkuchen und Muffins, briet Würstchen und Speck. Das Inn lief gut. Die Buchungszahlen hatten ihre vorsichtig positiven Erwartungen in den vergangenen drei Jahren übertroffen. Nur in den ersten Frühlingswochen, wenn die Schneeschmelze das Tal in ein ungemütliches Schlammloch verwandelte, ließ die Zahl der Gäste nach und erlaubte ihr, durchzuatmen.

Sie war dankbar, wenn die Kasse klingelte. Sie musste die Hypothek abzahlen, die sie zum Renovieren der bestehenden und dem Neubau dreier weiterer Cottages aufgenommen hatte. Und dann waren da noch die Collegefonds ihrer Kinder. Eines der größten Ziele ihres Lebens war es, Lara und Ben die Möglichkeit zu geben, zu studieren, wonach ihnen der Sinn stand. Sie sollten nicht von Stipendien abhängig sein und ihre Freiheit genießen.

Sie blickte durch die großen Sprossenfenster, während sie den Teig für neue Pfannkuchen rührte. Von hier aus konnte sie morgens den Sonnenaufgang sehen, was ihr die Arbeit für ihre Gäste noch mehr versüßte. Im Moment lag der zugefrorene See still und glatt vor ihr. Am Nachmittag würde er auf dem Eis vor eishockeyverrückten Teenagern nur so wimmeln. Die dicken Daunenjacken würden wie bunte Farbtupfer aufblühen. Gebrüllte Flüche und haltloses Lachen würden die eisige Luft zerschneiden.

Um diese Jahreszeit bestand die Gästeschar hauptsächlich aus Wintersportlern, die den Schnee und die Kälte gebührend nutzen wollten. Katie liebte den Winter ebenfalls. Sie fuhr leidenschaftlich gern Ski und hatte nichts dagegen, auf dem See ihre Runden zu drehen. Allerdings lieber zu fetziger Popmusik im Sternenlicht, als mit Helm und Schienbeinschonern. Anders als ihr Sohn, der zu einem Rowdy mutierte, sobald er Schlittschuhe an den Füßen und den Eishockeyschläger in der Hand hatte.

Doch wem machte sie etwas vor? Katie stützte die Hände auf den Rand der Spüle und ließ den Kopf hängen. All diese Dinge, über die sie sich Gedanken machte, dienten dazu, sich von Ewan abzulenken – und von seiner Rückkehr. Sie war froh, dass er nicht zum Frühstück aufgetaucht war. Sie hatte ihm eine der neuen Hütten gegeben. Genau genommen die luxuriöseste – die zudem am weitesten vom Haupthaus entfernt lag. Nun hoffte sie, ihm nicht über den Weg zu laufen.

Sie rieb sich über den verspannten Nacken und ließ den Blick durch die Küche wandern. Ein Anblick, der sie immer beruhigte. Der Raum war das Herzstück der Pension. Das war er schon gewesen, als ihre Tante Milly hier noch das Regiment geführt hatte. Im Rahmen der Renovierung hatte sich Katie einen kleinen Wunsch erfüllt. Mit den Jahren hatte sie gelernt, ihre großen Träume zu begraben, aber dieser war wahr geworden. Die Küche war groß. Moderne Geräte waren in Schrankfronten im Landhausstil eingebettet. Auf den Fensterbänken stand eine Reihe bunter Keramiktöpfe, in denen die verschiedensten Kräuter wuchsen. Sie hatte sie selbst gezogen, nachdem sie das Glück beim Anlegen eines eigenen Kräuterbeetes verlassen hatte. Abwechselnd hatten ihr entweder die Witterung oder die Rehe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Seither stand ihr Garten auf der Fensterbank.

In der Ecke summten zwei große Gastronomiekühlschränke. Eine professionelle Kücheninsel beherrschte die Mitte des Raumes, und auf der anderen Seite befand sich eine gemütliche Sitzecke mit einem großen, rustikalen Holztisch, dazu passenden Stühlen und einer Eckbank.

Katie verbrachte den Großteil des Tages hier, ihre Kinder frühstückten in der Essecke, bevor sie sich auf den Weg zur Schule machten. Sie aßen hier zu Abend. Der Vorteil der Pensionsküche war, dass sie in ihren privaten Räumen, die sich daran anschlossen, keine Kochgelegenheit brauchte. Ein Schritt durch die Seitentür, und man stand direkt in ihrem Wohnzimmer, von dem ihr Schlafzimmer und die Zimmer der Kinder abgingen. Die Wand des vierten Raumes hatte sie einreißen und das Bad vergrößern lassen.

Ihre privaten Räume waren gemütlich und schön, aber ihr Zuhause war diese Küche.

Es war ein Schock gewesen, Ewan plötzlich vor sich zu sehen. In ihrer Pension, ihrem Wohlfühlbereich. Was ausschließlich daran lag, dass sie nicht auf diese Begegnung vorbereitet gewesen war, gestand sie sich ein.

Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn jemals wieder in Lake Anna zu sehen. Nur deshalb hatte seine Anwesenheit sie aus der Bahn werfen können. Am meisten ärgerte sie, dass sie sich von seinem Auftauchen überhaupt hatte überrumpeln lassen. Sie hätte cooler reagieren müssen. Souveräner. Sie hätte ihm sagen müssen, dass sie ausgebucht war. Oder wenigstens, dass sie ihm das Cottage nur für zwei Nächte vermieten konnte. Irgend so etwas. Aber ihr Gehirn hatte bei seinem Anblick einfach ausgesetzt.

Sie fuhr herum, als ihre Hintertür aufgezogen wurde. Dick eingepackt stampften ihre Freundinnen herein. Wenn sie um diese Zeit hier auftauchten, hatte Trish ihr Büchercafé geschlossen und Faye die Vorbereitungen in ihrem Restaurant in Thunder Creek aufgeschoben. Alex hingegen gestaltete ihre Tage in der Anwaltskanzlei flexibel, und die hochschwangere Sara, die die Hand ihrer hüpfenden Tochter Allie hielt, arbeitete im Moment nicht mehr.

»Katie, Katie!« Allie riss sich los und stürmte auf sie zu. »Machst du uns Pfannkuchen?« Voller kindlichem Vertrauen ließ sie sich in Katies Arme fallen und hochheben. Zur Begrüßung drückte sie ihr die eisigen, aber trotzdem klebrigen Lippen auf die Wange. »Guck mal. Ich habe einen neuen Schal und eine neue Mütze«, plapperte sie weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. In ihrem Universum war es eine Selbstverständlichkeit, Pfannkuchen zu futtern, nachdem sie schon irgendetwas Süßes genascht hatte. »Max hat sie für mich ausgesucht.«

»Wie hübsch.« Katie bewunderte die Accessoires ausführlich, bevor sie sich ihren Freundinnen, die sich aus ihren Mänteln schälten, zuwandte. »Was treibt euch her? Ist etwas passiert?«

»Wir sind deinetwegen hier«, erklärte Alex.

»Meinetwegen?« Katie setzte Allie ab, die zu ihrer Mutter zurücksauste, um sich ihren Anorak ausziehen zu lassen.

»Ewan ist zurück.« Trish legte ihr die Hand auf die Schulter. »Wir wissen, dass dir das an die Nieren geht.«

Wie es ihre Gewohnheit war, suchten sich alle einen Platz am Tisch.

Katie seufzte innerlich. »Wollt ihr vielleicht Pfannkuchen?«, fragte sie unnötigerweise.

»Wenn du zufällig sowieso welche machst …« Sara schenkte ihr ein umwerfendes Grinsen.

Auf das sich ihre Tochter ebenfalls perfekt verstand. »In Mamas Bauch ist ein Baby. Das hat auch Hunger. Deshalb muss Mama viel mehr essen als früher.«

»Aha.« Katie biss sich auf die Innenseite der Wange. Für einen Augenblick hatte Allie es geschafft, ihre Stimmung aufzuhellen. »Ihr irrt euch.« Sie wandte ihren Freundinnen den Rücken zu und schaltete den Herd ein. »Mir persönlich ist es egal, ob Ewan wieder da ist. Wir sind früher nicht gerade gut miteinander ausgekommen. Es hat mich nur überrascht, ihn tatsächlich im Inn stehen zu sehen. Ich habe nicht erwartet, dass er jemals nach Lake Anna zurückkehrt.« Sie zuckte die Achseln. »Nun ist er zwar hier, aber es ist zu spät für George. Und das macht mich wahnsinnig traurig. Ich habe George sehr gemocht.«

»Wir doch auch, Süße.« Alex stand auf, legte ihr einen Arm um die Schultern und lehnte ihren Kopf an Katies.

»Ewan hat dem alten Mann das Herz gebrochen«, konnte Katie sich nicht verkneifen.

Sara griff nach ihrer Hand. »Sie haben sich gegenseitig die Herzen gebrochen. Und«, sie zwinkerte frech, »ich erinnere mich an eine Zeit vor Ewans Verschwinden, in der ihr zwei euch ziemlich gut verstanden habt.«

Katie schüttelte den Kopf. »Da trügt dich deine Erinnerung.«