Lake Anna - Sehnsucht des Herzens - Joanne St. Lucas - E-Book

Lake Anna - Sehnsucht des Herzens E-Book

Joanne St. Lucas

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Beschreibung

Die Suche nach ihrem Vater bringt Faye Harper in das idyllische Bergdorf Lake Anna. Dort wartet nicht nur die Hoffnung, endlich eine Familie zu finden, sondern auch der attraktive Sheriff Ryan Bennett. Zwischen ihnen funkt es sofort und während sich Faye ihrer Vergangenheit stellt, ahnt sie nicht, dass sie in Ryan vielleicht auch ihre Zukunft gefunden hat. Doch Ryan macht klar, dass er nichts so sehr verabscheut wie Geheimnisse und Lügen. Und davon hat Faye leider eine ganze Menge ...

Der fünfte herzerwärmende Band der Lake-Anna-Reihe von Joanne St. Lucas um die romantische Kleinstadt am See.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelWidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24EpilogÜber die AutorinWeiterere Titel der AutorinImpressumLeseprobe

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Über dieses Buch

Die Suche nach ihrem Vater bringt Faye Harper in das idyllische Bergdorf Lake Anna. Dort wartet nicht nur die Hoffnung, endlich eine Familie zu finden, sondern auch der attraktive Sheriff Ryan Bennett. Zwischen ihnen funkt es sofort und während sich Faye ihrer Vergangenheit stellt, ahnt sie nicht, dass sie in Ryan vielleicht auch ihre Zukunft gefunden hat. Doch Ryan macht klar, dass er nichts so sehr verabscheut wie Geheimnisse und Lügen. Und davon hat Faye leider eine ganze Menge …

Jana Lukas als

JOANNE ST. LUCAS

Sehnsucht des Herzens

Small-Town-Romance

Für meine Familie

Prolog

Faye trat durch die Hintertür in die Küche des Black Fox. Vor den glänzenden Edelstahlarbeitsflächen stapelten sich die Kisten der Lieferanten. Sie atmete den Geruch nach Reinigungsmitteln und Sauberkeit ein, der um diese Uhrzeit herrschte. In ein oder zwei Stunden würde der Duft von Kräutern und Gewürzen in der Luft liegen, gemischt mit den Dämpfen aus dem Topf des angesetzten Soßenfonds. Noch ein wenig später würde all das mit den Aromen gegrillten Fleisches, gebratenen Fisches und dem exzellenter Beilagen zu einem Potpourri gehobener Küche verschmelzen.

Sie ging in den Umkleideraum und zog ihre Kochkluft aus dem Spind. Die Tür hinter ihr öffnete sich, und Adam Foster, der Oberkellner des Black Fox und ihr künftiger Geschäftspartner, warf einen Blick in den Raum.

»Hey.« Sie grinste über die Schulter und schloss die Knöpfe ihrer Kochjacke.

»Hi. Marshall will dich im Büro sprechen.«

»Alles klar.« Sie stopfte ihre Handtasche in den Spind und folgte Adam in das Büro des Black Fox. Im Gegensatz zum luftigen Gastraum des Restaurants und der großen, glänzend sauberen Küche, war dieser Raum klein und vollgestopft. Das wäre eines der ersten Dinge, die sie ändern würde, wenn ihnen das Restaurant gehörte. Einmal kräftig ausmisten und alle Kochzeitschriften und Artikel, die älter als zwanzig Jahre waren, aussortieren. Selbst dann bliebe noch genug übrig. Vielleicht sollte sie rebellisch sein und alles entsorgen, was in den vergangenen zehn Jahren niemand mehr in die Hand genommen hatte.

Marshall Gross saß hinter dem winzigen Schreibtisch. Auf der Kante hockte seine aktuelle Freundin und Kellnerin im Black Fox, Sheyna Penn. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und verzog die Miene zu einer bitterbösen Grimasse.

»Sheyna.« Faye ignorierte den mörderischen Blick und nickte der Frau zu. »Hey, Marsh. Was gibts?« Bis auf Sheyna waren sie genau das Gespann, das das Black Fox in ein paar Tagen übernehmen würde. Wenn es hinsichtlich ihrer Partnerschaft etwas zu besprechen gab, was wollte Marshalls Freundin dann hier? Faye mochte sie nicht, aber für ihren Freund konnte sie ihre Existenz akzeptieren. Sie lächelte in die Runde.

Einen Moment lang sprach niemand. Marshall kratzte sich am Kopf.

Fayes Lächeln verschwand. »Was ist los?«, fragte sie vorsichtig.

»Wir sind verlobt«, platzte Sheyna heraus.

»Wow.« Warum zog sie dann so ein Gesicht? »Das ist toll. Ich freue mich für euch. Herzlichen Glückwunsch.« Faye würde die Frau nicht umarmen. Es schien, als hätte sie vor, ihr die Augen auszukratzen, sollte sie das auch nur in Erwägung ziehen. Faye war sich sicher, Sheyna nie einen Grund für ihre Feindseligkeit geboten zu haben, aber wenn ihnen das Restaurant gehörte und Marshall sie heiratete, würden sie eng zusammenarbeiten müssen. Es war also angebracht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie konnte die Kellnerin vielleicht nicht ausstehen, aber ihr Freund war total verknallt in sie und legte ihr die Welt zu Füßen.

»Und ich weiß alles«, fuhr Sheyna in die erneute Stille hinein fort.

Faye runzelte die Stirn. Irritiert sah sie zwischen Marshall und seiner Verlobten hin und her. »Was weißt du?«

»Du hast mit Marshall geschlafen«, fauchte Sheyna.

»Was?« Marshall wich Fayes Blick aus und starrte auf den winzigen Fleck der Schreibtischplatte, der nicht mit Papieren bedeckt war. Adam seufzte leise hinter ihr. Die Einzige, die sich mit ihr auseinanderzusetzen schien, war Sheyna. Faye sah ihr in die vor Zorn blitzenden Augen.

»Hat er dir das erzählt?«, fragte sie ungläubig.

»Wir haben keine Geheimnisse voreinander.«

Faye schluckte eine wesentlich bissigere Bemerkung herunter. »Scheint so.«

»Willst du es etwa abstreiten?« Die Wangen der Kellnerin verfärbten sich dunkelrot.

Faye verschränkte die Arme vor der Brust. Sie verstand nicht, worauf diese Unterhaltung hinauslief. Ihr Bauch sagte ihr, dass es nichts Gutes war. »Selbstverständlich streite ich das nicht ab. Ich verstehe allerdings nicht, in welcher Art und Weise das von Belang sein …«

»Du schläfst mit meinem Mann und hältst das für belanglos?« Sheyna sprang vom Schreibtisch und baute sich vor ihr auf.

Faye hob den Blick. Ihr Gegenüber war an sich schon ein Stück größer als sie und trug zusätzlich mörderische High Heels. Allerdings war es noch nie Fayes Art gewesen, sich von irgendwem oder irgendetwas einschüchtern zu lassen. Schon gar nicht von diesem dürren Gestell, das der Windzug einer zufallenden Tür umwehen konnte. »Worum geht es hier eigentlich?« Die Frage war an Marshall gerichtet.

Er sah nicht auf. Sheyna antwortete an seiner Stelle. »Du hast dir den falschen Mann ausgesucht. Ich lasse dir das nicht durchgehen. Du bist raus aus der Partnerschaft.«

Faye konnte nicht anders. Sie musste lachen. »Ich glaube nicht, dass du das zu entscheiden hast, Barbie«, nannte sie Sheyna bei dem Spitznamen, den die Belegschaft ihr hinter ihrem Rücken verpasst hatte.

»Marshall und ich sind verlobt.« Sie fuchtelte mit ihrer frisch beringten Hand vor Fayes Gesicht herum.

»Deshalb triffst du hier noch lange keine Entscheidungen.«

Endlich hob ihr Geschäftspartner und Freund seit dem ersten Tag an der Culinary School den Kopf. Sein Gesicht hatte einen gequälten Ausdruck angenommen. »Wir haben uns überlegt, ob es nicht das Beste wäre, wenn du dir ein anderes Restaurant suchst.«

Was? Sie wollte das Wort aussprechen, aber es kam nicht über ihre Lippen. Sie war sprachlos.

»Sheyna hat recht. Für den Frieden im Black Fox wäre es besser, wenn du woanders arbeiten würdest.«

Faye öffnete den Mund und schloss ihn wieder. In ihrem Kopf rauschte es. »Bis deine Verlobte«, sie betonte das letzte Wort sarkastisch, »angefangen hat, herumzuzicken, hat Frieden im Black Fox geherrscht.« Sie drehte sich zu Adam um. Er lehnte lässig an der Wand. Die Hände in den Hosentaschen, zuckte er mit den Achseln. Es war ihnen ernst. Sie sollte das Restaurant verlassen. »Ich soll gehen? Ist das euer Ernst?«, brachte sie schließlich heraus. »Das wollt ihr alle drei?« Sie musste sich noch einmal rückversichern, dass sie das gerade richtig verstanden hatte. »Ich soll gehen, weil wir im College, lass mich überlegen, das muss vor über zehn Jahren gewesen sein, einmal miteinander geschlafen haben? Einmal? Was im Übrigen nicht einmal weltbewegend war. Für keinen von uns beiden.«

Sheyna fauchte.

»Was hat das, verdammt noch mal, mit dem Black Fox zu tun?« Marshall und sie waren in ihrem Juniorjahr nach einer durchfeierten Nacht zusammen im Bett gelandet und hatten es nach dem Aufwachen bereut. Sie waren Freunde, beste Freunde. Aber offensichtlich kein Liebespaar. Die einzige Leidenschaft, die zwischen ihnen brodelte, war die fürs Kochen. Nach den ersten unangenehmen Momenten hatten sie über ihren Ausrutscher gelacht und sich geschworen, die besten Köche der Welt zu werden, gemeinsam ein Restaurant zu eröffnen und sich als Sterneköche zu etablieren. An diesem Schwur hatten sie festgehalten. Bis heute. Zwei Tage vor der Unterzeichnung des Vertrages für ihr erstes eigenes Restaurant sollte sich der Traum, den sie so viele Jahre lang zusammen geträumt hatten, in Luft auflösen.

»Du warst schon damals scharf auf ihn«, ließ Sheyna sie von oben herab wissen. »Nur, weil er dich abgewiesen hat, heißt das nicht, dass du ihn nicht noch immer willst.«

Faye schüttelte den Kopf. »Du bist paranoid. Mit Marshall zu schlafen war, wie mit einem Bruder ins Bett zu gehen. Ich will nichts von ihm, außer seine Souschefin werden.«

»Ich glaube dir kein Wort. Und ich dulde einen solchen Störfaktor nicht.«

Faye hob die Augenbrauen. Ein sarkastisches Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. »Du duldest das nicht? Seit wann hast du denn ein Mitspracherecht? Es geht hier um Adams, Marshalls und mein Restaurant. Du bist Kellnerin.«

»Ich bin ab jetzt keine Kellnerin mehr. Wenn wir das Restaurant übernommen haben, leite ich den Servicebereich.«

Aha. Warum führte sie dieses Gespräch eigentlich mit Sheyna anstatt mit ihren Partnern? Faye verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich weiß nicht, wie ihr das Restaurant ohne meinen Anteil kaufen wollt. Ich glaube kaum, dass du neben deinen Ausgaben für Schuhe und die Kosmetikerin«, und die Brustvergrößerung, fügte sie im Stillen hinzu, »genug Trinkgeld zur Seite gelegt hast, um meinen Anteil auszugleichen.«

Einen Moment herrschte angespannte Stille. Sheyna hob herausfordernd das Kinn. Schließlich räusperte sich Adam hinter ihr. »Dale wird uns das Geld leihen.«

Faye fuhr zu ihm herum. Er zuckte abermals mit den Schultern. »Du bist so ein Flittchen, Adam«, entfuhr es ihr.

»Hey! Das sagst du bloß, weil ich schwul bin.«

»Nein, das sage ich, weil du nicht treu sein kannst.« Sie sah ihn scharf an. »Das wird nicht gut gehen. Das wisst ihr beide.« Sie grenzte Sheyna bewusst aus. »Du wirst es verbocken, Adam, genau wie in jeder einzelnen Beziehung, die du bisher hattest. Irgendwann wirst du Dale untreu, und dann wird er sein Geld zurückverlangen. Was macht ihr, wenn das passiert?«

Marshall erhob sich. »Es hat keinen Sinn, herumzudiskutieren. Wir haben uns beraten und beschlossen, dass es am besten ist, wenn sich unsere Wege trennen. Sheyna ist nicht glücklich mit dem Wissen über unsere Vergangenheit.«

»Dann hättest du es ihr nicht erzählen dürfen«, zischte Faye.

Marshall versteifte sich. »In einer guten Beziehung hat man keine Geheimnisse voreinander.«

»Schön.« Sie hob die Hände, wie um sich zu ergeben. »Kein Problem. Ich gehe.« Das war zu lächerlich. In zwei Tagen würden sie bettelnd vor ihrer Tür stehen und sie anflehen, doch noch ins Black Fox einzusteigen. Sie konnten das Restaurant nicht ohne sie führen. Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Sie griff an Sheyna vorbei nach ihrem Rezepteordner, der in einem der vollgestopften Regale sein Dasein fristete.

»Was tust du da?« Die Kellnerin griff automatisch danach.

»Ich nehme meine Sachen und gehe.«

»Das ist Eigentum des Restaurants.«

»In deinen Träumen vielleicht.« Faye riss kräftig an dem Ordner.

Sheyna ließ los und taumelte auf ihren meterhohen High Heels nach hinten, verlor das Gleichgewicht und setzte sich äußerst ungalant auf ihren klapperdürren Hintern. »Du Miststück«, kreischte sie.

»Verklag mich doch.« Faye zeigte Adam und Marshall den Mittelfinger und verließ mit ihren Rezepten unter dem Arm das Büro. Früher oder später würden sie sie anflehen, zurückzukommen. Sie würde sie leiden lassen. Auf Knien würden sie vor ihr rutschen. Sie erlaubte sich nicht eine Sekunde den Gedanken, dass der Traum ihres Lebens gerade platzte. Dass sie kein Restaurant mit ihrem besten Freund führen würde, dass sie sich nicht gemeinsam einen Stern erkochen würden. So weit würde es nicht kommen. Zumindest nicht, weil eine dumme Zicke, die sie hasste und eifersüchtig war, solange sie sich kannten, ihren Freund so unter der Fuchtel hatte, dass er blind tat, was sie verlangte.

Kapitel 1

Faye schlug so hart gegen ihre Spindtür, dass sie zuknallte und unter der Kraft des Schlages wieder zurückpendelte. Sie zerrte ihre Sachen aus dem Schrank und stopfte sie in den Müllsack, den sie aus der Putzkammer geholt hatte. Wut pulsierte durch ihre Adern.

Die Tür zum Umkleideraum wurde aufgestoßen. Faye musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es Marshall war. Wer sonst würde es wagen, hier hereinzukommen, wenn sie wirklich wütend war? Niemand außer ihm. Sie ignorierte ihn, zog weiter blindlings Sachen aus dem Spind. Was war da nur alles drin? Wie viel Zeug hatte sich in den vergangenen Jahren angesammelt?

»Ich hatte gehofft, du würdest es verstehen«, begann Marshall leise.

»Es gibt nichts zu verstehen.« Faye fuhr zu ihm herum. »Du zerstörst gerade meinen Traum. Und deinen gleich mit. Du kannst dir nicht von deiner Freundin das Leben verpfuschen lassen.«

»Genau da liegt das Problem. Du begreifst es nicht.« Er ließ sich auf den Stuhl sinken, der neben der Tür stand. »Sheyna verpfuscht mein Leben nicht. Sie bereichert es. Sie macht mich zum glücklichsten Mann des Universums. Davon hast du keine Ahnung, weil du nicht weißt, was Liebe bedeutet. Du warst vermutlich in deinem Leben noch nie in etwas anderes verliebt als in die Küche und deine Messer. Aber ich liebe Sheyna.«

»Tolle Liebe, wirklich. Eine Frau, die austickt, weil ihr Verlobter vor tausend Jahren mal mit einer anderen Frau geschlafen hat. Ganz wunderbar. Was ist mit allen anderen Frauen, mit denen du jemals zusammen warst? Bekommen die alle Hausverbot?« Faye drehte sich wieder um und schlug noch einmal mit der flachen Hand gegen die Spindtür, die abermals zuschlug und zurückfederte. Entnervt ließ sie den Müllsack fallen.

»Ich habe gehofft, du würdest es nicht ganz so schwernehmen. Du bist eine unfassbar gute Köchin. Die beste, die ich kenne. Du wirst überall einen neuen Job finden. Jedes Restaurant, das etwas auf sich hält, wird dich mit Kusshand nehmen.« Er lehnte den Kopf gegen die Wand. Erst jetzt bemerkte Faye die dunklen Ringe unter seinen Augen und begriff, dass ihm die Entscheidung alles andere als leichtfiel. Er musste sich zwischen seinem Traum und seiner Traumfrau entscheiden – und war dabei, die falsche Wahl zu treffen.

»Das geht nicht gut.« Ihr Zorn ließ ein wenig nach. Ihre Worte waren die reine Wahrheit. Es würde niemals funktionieren ohne sie. »Du brauchst mich in der Küche des Black Fox. Ich bin deine Souschefin.«

»Peter wird den Job übernehmen können. Zumindest vorübergehend.«

Der Saucier? Sie schüttelte den Kopf. »Du wirst noch an meine Worte denken.«

»Peter hat die notwendige Erfahrung«, beharrte Marshall. Ein störrischer Zug, den sie nur zu gut kannte, legte sich um seinen Mund. Es hatte keinen Zweck, weiter über dieses Thema zu philosophieren. Peter war klasse auf seinem Gebiet, ihm fehlte aber jegliche Kreativität und Fantasie. Er würde sie nicht einmal im Ansatz ersetzen können.

Faye war nicht eingebildet und nahm sich nicht zu wichtig. Aber sie wusste, was sie konnte – und das war kochen. Die Idee, das Black Fox zu übernehmen, resultierte aus der Tatsache, dass Marshall und sie ein unschlagbar einfallsreiches und experimentierfreudiges Team waren.

Sie schloss ihren Spind, leise diesmal, hob den Müllsack auf und warf ihn sich über die Schulter. »Ich weiß vielleicht nichts über die Liebe, aber ich weiß, was sie wert ist, wenn du dafür auf ewig deinem Traum hinterherjagen musst.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und wartete, bis er ihr in die Augen sah. »Es wird nicht funktionieren. Allein der Gedanke, dass sich Adam Geld von Dale leiht, verursacht mir eine Gänsehaut. Ich liebe Adam wie meinen Bruder, aber er ist und bleibt die größte Schlampe, die in Boston herumläuft. Er wird Dales Herz brechen und es auf den Haufen ausrangierter Herzen werfen, auf dem er tagtäglich herumtrampelt. Er wird ihm keinen ganzen Monat treu bleiben können. Was macht ihr, wenn Dale – verletzt und verbittert – sein Geld aus dem Restaurant zieht? Was dann? Dann verlierst du deinen Traum wegen deiner Traumfrau. Ein wirklich toller Plan, Marsh.« Sie konnte den bitteren Unterton in ihrer Stimme nicht vermeiden.

Ihr Freund erwiderte nichts, also ließ sie ihn sitzen. Je länger sie über die Worte nachdachte, die sie ihm gerade an den Kopf geworfen hatte, desto sicherer war sie, dass Marshall seinen Fehler erkennen und sie zurückholen würde. Sie konnten das Black Fox nicht ohne sie führen.

Die Küche war leer, als sie aus dem Umkleideraum trat. Auf dem Herd köchelten zwei große Töpfe. Sie hörte Annie im Kühlraum über irgendetwas lachen, was Greg sagte. Faye öffnete ihre Messerschublade, holte ihre Klingen heraus und packte sie in ihr Etui. Vorsichtig schob sie sie in ihre große Handtasche, schulterte den Müllsack mit ihren restlichen Habseligkeiten und öffnete die Hintertür, durch die sie das Restaurant vor gerade einmal einer halben Stunde betreten hatte. Zwei Tage blieben Marshall und Adam, um zur Besinnung zu kommen. In zwei Tagen würden sie den Kaufvertrag für das Black Fox unterschreiben. Bis dahin würde sich Marshall daran erinnern, dass das Restaurant nicht sein, sondern ihr gemeinsamer Traum gewesen war.

Zwei Tage später setzte Faye ihre Großmutter Maxine im Einkaufszentrum ab und lieh sich ihren Wagen, um in die Stadt zu fahren. Sie konnte nicht nachvollziehen, warum ihre Granny und deren Freundinnen vom Bridgeclub es als Sport betrachten, vor dem Öffnen der Geschäfte durch die leeren Gänge des Einkaufszentrums zu walken. In der klimatisierten Luft marschierten sie in strammem Schritt an den dunklen Schaufenstern vorbei, lediglich beobachtet von Bob, dem pensionierten Officer, der als Wachschutz arbeitete. An der Ostküste hielt gerade der Herbst Einzug. Die Luft war kühl und klar, die frühen Sonnenstrahlen wärmten bereits. Der Tag versprach, wunderschön zu werden. Warum sollte man dieses schöne Wetter gegen das muffige Einkaufszentrum eintauschen? Außer vielleicht wegen Bob. Der Officer machte mit seinem vollen weißen Haar, den buschigen Augenbrauen und den Lachfältchen sicher großen Eindruck auf die Damen in Maxines Alter. Sein kleines Bäuchlein verriet, dass er gern aß und nichts gegen die Kekse und den Kuchen hatte, die die Walkingherde ihm garantiert regelmäßig zusteckte.

Faye schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Milchkaffee. Sie hatte sich noch nie Gedanken über Bob, ihre Großmutter und deren Freundinnen gemacht. Sie wusste, warum sie es jetzt tat. Es war ein Versuch, sich von dem abzulenken, was ihre Gedanken tatsächlich beschäftigte. Marshall und Adam hatten nicht angerufen. Sie hatten sie nicht angebettelt, zurückzukommen.

Sie hatte an einem der kleinen Bistrotische vor einem Café Stellung bezogen. Es lag der Kanzlei, in der der Kaufvertrag für das Black Fox unterzeichnet werden sollte, genau gegenüber. Trotz der Eiche, die das Licht über ihr filterte, trug sie eine Sonnenbrille und fühlte sich wie eine Geheimagentin. Oder eine miese Stalkerin. Je nachdem, von welchem Standpunkt aus man es betrachtete. Sie hatte ihren beiden ehemals besten Freunden Marshall und Adam, begleitet von Sheyna und Dale, dabei zugesehen, wie sie das Gebäude betreten hatten. Über eine Stunde waren sie nun schon bei dem Anwalt. Wie lange dauerte ein Restaurantkauf? Und warum saß sie noch immer hier? Sie hatten sie nicht angerufen, nicht erkannt, wie wichtig sie für das Black Fox war. Glaubte sie ernsthaft, Marshall würde aus dem Gebäude gestürmt kommen, weil er seine Meinung geändert hatte und das Restaurant auf keinen Fall ohne sie führen wollte?

Sie musste ehrlich zu sich selbst sein. Möglicherweise hatte sie überreagiert. Vielleicht war sie nicht so eine gute Köchin, wie sie dachte. Vielleicht hatten sie nur nach einem Weg gesucht, sie loszuwerden, ohne ihr sagen zu müssen, wie schlecht sie in der Küche war. Wie war sie auf die Idee gekommen, sich für unentbehrlich zu halten? Indem sie selbstmitleidig in diesem Café saß, machte sie sich lächerlich. Verdammt lächerlich. Es war an der Zeit einzusehen, dass sie verloren hatte. Sie entzog ihr Bein dem Terrier vom Nebentisch, der, von seinem Frauchen nicht zur Ordnung gerufen, um sie herumschlich. Er hatte bereits zweimal versucht, Liebe mit ihrem Schienbein zu machen. Sie zog ein paar Dollarscheine aus ihrer Jeanstasche und schob sie unter die Tasse.

Es war an der Zeit, neu zu beginnen. Sie hatte sich noch nie von Rückschlägen aufhalten lassen, hatte noch nie zu den Menschen gehört, die sich selbst bemitleideten. Das Kapitel Black Fox war offensichtlich abgeschlossen. Natürlich würde sie ihre Situation noch analysieren müssen, aber sie wäre nicht so erbärmlich, sich hier von der Restaurantcrew erwischen zu lassen.

Sie stand in dem Moment auf, in dem sich die Tür der Kanzlei öffnete und Marshall und Adam mit Sheyna und Dale blinzelnd ins Sonnenlicht traten. Faye machte einen Schritt zur Seite, um hinter dem Stamm der Eiche in Deckung zu gehen. Ihr Fuß blieb an irgendetwas hängen. Ehe sie begriff, dass sie sich in der Leine des verliebten Terriers, die sich um ihre Füße und den Stuhl schlängelte, verheddert hatte, war ihr Gleichgewicht bereits aus den Fugen geraten. Sie versuchte, sich am Tisch festzuhalten. Gleichzeitig machte der Hund einen erschrockenen Satz zur Seite, wodurch der Stuhl kippte und ihr Gleichgewicht noch weiter in Schieflage geriet. Der Tisch war offensichtlich nicht geeignet, ihre Lage zu stabilisieren. Er neigte sich zur Seite und stürzte gemeinsam mit ihr, der leeren Kaffeetasse, ihren Dollarnoten und der Blumenvase mit der einzelnen pinkfarbenen Gerbera laut scheppernd zu Boden.

Die Aufmerksamkeit der Cafégäste war ihr gewiss. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich auch die Black Fox-Crew nach dem Lärm umdrehte. Scheiße, war das Letzte, was sie dachte, bevor sie neben dem Tisch auf den Fliesen der Caféterrasse landete. Sie schloss die Augen und blieb sitzen. Vielleicht hatten sie sie nicht gesehen. Vielleicht gingen sie einfach weiter, um den Kauf des Restaurants zu feiern.

»Faye?«

Mist. Sie öffnete die Augen und blickte in Marshalls Gesicht. Bei ihrem Sturz hatte sie ihre Sonnenbrille verloren.

»Alles okay?« Er sah sie besorgt an.

Hinter seiner Schulter tauchte Sheynas weniger mitfühlende Grimasse auf. »Spionierst du uns nach?«

Auf Marshalls anderer Seite erschien Adam mit neugierigen Augen. Der Terrier schien sich von seinem Schreck erholt zu haben und schnüffelte schon wieder an ihrem Bein herum. Sie schob ihn zur Seite und rappelte sich auf.

Mit zitternden Fingern klopfte sie ihre Jeans ab, ohne einen der Anwesenden anzusehen. Sie konnte geradezu spüren, wie ihr die Schamesröte in die Wangen kroch – der Fluch der Rothaarigen, wie ihre Großmutter es immer nannte. »Ich habe einen Kaffee getrunken. Das ist in Boston noch nicht verboten, oder?«

»Ganz zufällig gegenüber der Kanzlei, in der wir den Kaufvertrag für das Restaurant unterschreiben. Wer’s glaubt.« Sheyna schnaubte wenig damenhaft.

»Glaub, was du willst.« Faye stieg aus dem Wirrwarr von Hundeleine und Stuhlbeinen. Mit einem großen Schritt trat sie aus dem Chaos. Peinlicher konnte der Moment nicht werden, also konnte sie sich genauso gut umdrehen und einfach gehen.

»Faye«, rief Marshall ihr hinterher.

Ohne zurückzusehen, hob sie den Arm und streckte zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen den Mittelfinger aus. Sie ließ ihn oben, bis sie um die Hausecke verschwunden war.

Kapitel 2

Faye ließ das Debakel hinter sich und fuhr nach Hause. In der Auffahrt stand ein smaragdgrüner Pick-up mit dem Schriftzug Coleman Constructions. Sie parkte den Wagen ihrer Großmutter an der Straße und betrat das Haus durch die Waschküche.

»Grandma? Ich bin wieder da«, rief sie in die Stille, die sie empfing.

»Ich bin hier, Schätzchen.«

Faye legte ihre Handtasche auf den Küchentresen und folgte dem Ruf ihrer Großmutter ins Wohnzimmer. Maxin saß mit einem attraktiven Mann in Fayes Alter bei Keksen und Tee auf der Couch. Sie schienen sich blendend zu amüsieren.

»Schätzchen, gut, dass du da bist. Darf ich dir Geno Coleman vorstellen? Er kommt wegen des kaputten Dachfensters. Geno, das ist meine Enkelin Faye.«

Faye kannte das. Die Augen ihrer Großmutter leuchteten verdächtig. Sie sah schon hübsche Urenkel mit den dunklen Haaren und blauen Augen des Mannes, der ihr gegenübersaß, durch das Haus rennen.

»Schätzchen, kannst du Geno das Fenster zeigen? Ich kann die vielen Stufen bis unter das Dach nicht mehr steigen.«

Natürlich. Maxin konnte noch keine Stunde vom Powerwalking im Einkaufszentrum zurück sein, sah sich aber nicht in der Lage, die Treppen hinaufzugehen. Faye seufzte innerlich. »Kein Problem, Mr Coleman, ich zeige Ihnen das Fenster, das repariert werden muss.«

Der Mann stand auf. Er war groß. »Angenehm, Sie kennenzulernen.« Er reichte ihr die Hand. »Nennen Sie mich Geno.«

»Faye«, sagte sie automatisch.

»Geno ist Architekt«, teilte Maxin ihr unnötigerweise mit.

»Aha.« Faye sah zu ihm auf. »Brauchen wir einen Architekten für unser Dachfenster?«

Geno schenkte ihr ein Grübchengrinsen. »Vermutlich nicht. Ich arbeite für die Firma meines Vaters. Also betrachten Sie mich doch einfach als den Handwerker, als der ich hier bin.«

»Na, dann kommen Sie mal mit.« Faye führte ihn auf den Dachboden und zeigte ihm das Fenster, das zur Straße hinauszeigte.

»Baseball?«, fragte er.

»Fußball. Der Junge von Gegenüber hat einen verdammt guten linken Fuß. Ein Schuss, ein Treffer.«

Geno zog ein Notizbuch und ein Maßband aus seiner hinteren Hosentasche und vermaß mit schnellen und effizienten Bewegungen das Fenster. Faye beobachtete ihn. Auf ihn traf das Attribut sexy zu wie maßgeschneidert. Wenn sie sich nicht gerade mit völlig anderen Dingen auseinandersetzen müsste, hätte sie ihn durchaus interessant gefunden.

»Okay.« Er steckte Maßband und Notizbuch weg und drehte sich zu ihr um. »In zwei Tagen sollte die Glasscheibe zugeschnitten sein. Wir rufen an, um einen Termin für den Einbau zu vereinbaren.«

»Wunderbar.« Sie wandte sich zur Treppe.

»Eins noch, Faye.«

»Ja?« Sie drehte sich wieder um.

Er kam auf sie zu, und sie wich einen Schritt zurück. »Wenn ich die Blicke Ihrer Großmutter richtig verstanden habe, hätte sie gern, dass ich Sie mal zum Essen oder auf einen Drink einlade.«

Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Sie können die Blicke meiner Großmutter offenbar gut interpretieren.«

Er sagte nichts, grinste sie nur an.

»Sie würden mich einladen, nur um meiner Großmutter einen Gefallen zu tun?«

Er kam noch einen Schritt näher, und sie wich einen weiteren Schritt zurück. »Sicher. Älteren Damen soll man keinen Wunsch abschlagen.« Er breitete unschuldig die Arme aus. »Sie sehen, ich bin gut erzogen worden. Sie können also unbesorgt mit mir ausgehen.« Er flirtete locker, aber er hatte etwas von einem großen, geschmeidigen Raubtier.

Dunkel und gefährlich. Er kam noch einen Schritt näher.

»Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich es nicht nur für Ihre Großmutter tun, sondern auch für Sie. Und für mich.«

Faye schluckte. Ein sexy Raubtier. Seine Augen fixierten sie, und er legte spielerisch den Kopf schief. Er schien sie zu hypnotisieren. Vorsichtig setzte sie noch einen Schritt zurück und stieß einen Stapel alter Zeitschriften um. Das brach den Bann. Sie räusperte sich. Wahrscheinlich war sie einfach zu lange mit keinem attraktiven Mann mehr allein in einem Raum gewesen. »Tut mir sehr leid, Geno. Ich würde wirklich gern mit Ihnen ausgehen, aber im Moment muss ich mich um ein paar Dinge kümmern und habe den Kopf nicht frei. Wenn Sie sich verabreden, sollte die Aufmerksamkeit der Frau, die Ihnen gegenübersitzt, nur Ihnen gelten.«

Er grinste. »Da haben Sie vermutlich recht.« Sein Blick wurde ernst. »Obwohl ich es wirklich schade finde.«

Um seinem eindringlichen Blick zu entgehen, bückte Faye sich und hob die Zeitungen auf, die sie bei ihrem Schritt nach hinten vom Stapel gefegt hatte. Sorgsam legte sie eine nach der anderen zurück. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er mit den Schultern zuckte.

»Wer weiß. Vielleicht laufen wir uns ja noch einmal über den Weg, wenn die Voraussetzungen anders sind.«

»Vielleicht«, murmelte sie.

»Auf Wiedersehen, Faye. Es war wirklich schön, Sie kennenzulernen.«

»Gleichfalls.« Sie richtete sich auf, um ihn zur Treppe zu bringen.

»Bemühen Sie sich nicht. Ich finde hinaus.« Er verschwand die Treppe hinunter.

Faye seufzte, legte die Zeitung, die sie in der Hand hatte, auf den Stapel und griff nach der nächsten.

Einen Moment stand sie wie erstarrt in der staubigen Luft. Dann bückte sie sich und hob das Foto auf, das unter dem Altpapier zum Vorschein gekommen war. Sie betrachtete es im dämmrigen Licht der schwachen Glühbirne über sich. Sie hatte diese Aufnahme noch nie gesehen und es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was sie da entdeckt hatte. Gestochen scharf, obwohl die Konturen des Fotos weich waren. Fast verschwommen. Fayes Herz begann zu rasen. Vorsichtig, als wäre es explosiv, drehte sie das Foto um und las die schnörkelige Handschrift ihrer Mutter.

Als ihre Großmutter ein paar Minuten später die Treppe hinaufhüpfte wie ein junges Reh, starrte sie noch immer auf das lachende Pärchen, das auf einem Bootssteg saß und die Beine ins Wasser baumeln ließ. Der Kleidung nach schien es ein warmer Sommertag gewesen zu sein, auch wenn sich im Hintergrund eine Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln durchs Bild zog. Auf der Rückseite stand: Lake Anna 1992.

»Das war ein wirklich netter, junger Mann«, bemerkte Maxin. »Und so gute Manieren. Hat er dich zum Essen eingeladen?«

Faye ignorierte ihre Frage und hielt das Foto hoch. »Ist das mein Vater?«

*

Ryan kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, um das Pochen zu vertreiben, das sich von dort aus über seine Stirn ausbreitete. Sophia Weatherly schien es darauf anzulegen, ihm den letzten Nerv zu rauben. Besonders, weil jede Schandtat des Mädchens ein wirklich anstrengendes Treffen mit ihrer Mutter nach sich zog. Er drückte die Sprechtaste seines Funkgeräts. »Linda Mae für Sheriff Bennett.«

»Kommen, Sheriff«, klang die geschäftsmäßige Stimme seiner Dispatcherin aus dem Lautsprecher.

»Ich habe den Bereich oberhalb des Thunder Creek überprüft. Keine Wilderer. Allerdings habe ich von hier oben einen wunderbaren Ausblick auf die Turnhalle der Middle School. Rufen Sie die Eltern von Sophia Weatherly, Janet Templeton und Nora Jankins an. Ich habe ihre Töchter beim Schwänzen und Rauchen erwischt und werde sie in der Schule abliefern.«

»Verstanden, Sheriff. Ich kümmere mich sofort darum.«

»Wunderbar«, murmelte Ryan und startete den Wagen. Er fuhr die ausgewaschene Schotterstraße hinunter und hielt auf die Mädchengruppe zu, die es sich auf der Rückseite des Schulgeländes an der Böschung des Thunder Creek gemütlich gemacht hatte. Ryan hielt sich eigentlich für einen entspannten Menschen, aber Sophia Weatherly stellte seine Geduld in letzter Zeit wahrlich auf die Probe. Mit ihrem dreizehnten Geburtstag war sie zur Plage mutiert. Wenn sein Neffe Shane auch so wurde, wenn ihn die Pubertät erwischte, dann prost Mahlzeit. Er wollte nicht einmal daran denken.

Bis er die Mädchen erreichte, hatten sie die Zigaretten unter ihren Sohlen ausgedrückt und die Kippen über die Böschung in den Fluss geworfen. »Einen schönen guten Tag, meine Damen«, grüßte Ryan sarkastisch, als er ausstieg. Er tippte sich an die Hutkrempe und streckte die Hand aus.

Janet seufzte und ließ drei Zigaretten und ein Feuerzeug hineinfallen. Ryan musterte alle drei. Sophias Freundinnen wirkten zumindest im Ansatz schuldbewusst und ein wenig ängstlich. Sie selbst funkelte ihn herausfordernd an. Diesen Blick kannte er. Er zerknüllte die Zigaretten in seiner Hand, schob sie in die Hosentasche und streckte den Arm erneut aus. »Den Rest auch.«

»Welchen Rest?« Sophia hob das Kinn noch ein Stück weiter. Die pure Herausforderung. Nora warf ihrer Freundin einen ängstlichen Blick zu.

»Den Rest, den du mir nicht gegeben hast.«

Sie zuckte die Achseln. »Wir hatten nur drei.«

»Wer’s glaubt.« Er vermied es, sich über die inzwischen pochende Schläfe zu reiben. Teenager verursachten Kopfschmerzen, und zwar jede Menge. Er schnappte sich Sophias Schultasche, die neben ihr auf dem Boden lag, und durchsuchte sie systematisch. Lange brauchte er nicht, um die angerissene Packung Kippen zu finden. Wie du mir, so ich dir. Obwohl sich in seinen Hinterkopf der Gedanke schlich, dass er sich nicht so kindisch verhalten sollte wie die Mädchen, die vor ihm standen, konnte er es sich nicht verkneifen. Er ließ die Schachtel mit einem Grinsen vor Sophia auf den Boden fallen und zermalmte sie genüsslich unter seinem Stiefelabsatz. Sie fixierte ihn mit unbewegter Miene. Er wusste nicht, was hinter ihrer hübschen Stirn vor sich ging, aber er war sich sicher, dass er sich nicht zum letzten Mal mit ihr auseinandersetzte.

»Einsteigen, die Damen.« Er hob die Schachtel auf und öffnete die hintere Tür seines Streifenwagens. Die Mädchen krochen hinein und hockten wie die Lemminge auf der Kante der Sitzbank. Wenigstens Nora und Janet wurden bei der Erwähnung ihrer Eltern noch eine Spur blasser und sanken bei dem Vortrag, den er ihnen über die Gefahren des Rauchens hielt, ein wenig in sich zusammen. Sophia warf ihm lediglich einen gelangweilten Blick zu und verdrehte die Augen.

Er parkte vor dem Schulgebäude und lieferte die Sünderinnen im Sekretariat ab. Er würde ihnen ein paar Arbeitsstunden aufbrummen, und die Rektorin ließ sich sicher auch etwas für sie einfallen, wie er sie kannte. Er nickte der Sekretärin zu und trat auf den Gang hinaus, als er das vertraute Stakkato klappernder Absatzschuhe und die dazugehörige Stimme hörte. »Hast du den Sheriff gesehen? Sein Wagen steht vor der Tür. Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht hat. Also wirklich, dieses Mädchen treibt mich noch in den Wahnsinn.«

»Wahrscheinlich ist der Sheriff noch im Sekretariat«, antwortete eine unbekannte Frauenstimme.

»Ich sollte mich bei ihm bedanken.«

Auf keinen Fall. Ryan sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Wenn er noch fünf Sekunden hier stehen blieb, lief ihm Sophias Mutter direkt in die Arme. Er probierte die Tür neben dem Sekretariat. Abgeschlossen. Die Tür gegenüber führte zu einem Putzraum, der offen war.

Er schlüpfte hinein. Keine Sekunde zu früh. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, bogen Noras Mutter und Janet Weatherly um die Ecke.

Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und atmete erleichtert aus. Als er wieder Luft in seine Lungen sog, roch er Putzmittel und – Rauch. Zigarettenrauch. Hatte er noch den Geruch von den Mädchen in der Nase? Nein, vor ihm glühte in der Dunkelheit eine Zigarettenspitze auf. Er tastete nach dem Lichtschalter und tauchte den Raum in gleißendes Licht. »Rektorin Sloan?«

Sie blinzelte ihn an. »Sheriff.«

»Was tun Sie hier?«

»Nach was sieht es denn aus?« In ihrem strengen, dunklen Kostüm, einer Perlenkette um den Hals, die sie schon getragen hatte, als er noch zur Schule gegangen war, stand sie an der gegenüberliegenden Wand und zog genüsslich an ihrer Kippe. Neben ihr stand ein halb voller Aschenbecher in einem Putzmittelregal. Sie war nicht zum ersten Mal hier.

Er zog die Augenbrauen nach oben. »Sie sitzen im Dunkeln und rauchen?«

»Manchmal braucht man das. Einen stillen, dunklen Raum und die Droge seiner Wahl, oder die Kinder befördern einen auf direktem Weg in die nächste Nervenheilanstalt.« Mit dem Kinn wies sie in Richtung Decke. »Das ist der einzige Raum im ganzen Gebäude, in dem kein Rauchmelder hängt. Deshalb verstecke ich mich hin und wieder hier, wenn es mir auf der anderen Seite des Ganges zu bunt wird.« Sie inhalierte noch einmal tief. »Und vor wem sind Sie auf der Flucht?«

»Ich bin nicht auf der Flucht.«

Sie schnalzte mit der Zunge und warf ihm diesen Blick zu, der ihm als Junge Gänsehaut verursacht hatte – und immer noch verursachte, wie er gerade feststellte. In seinen Teenagerjahren hatte er einige Stunden in ihrem Büro verbracht und jede Menge Standpauken und Strafarbeiten verpasst bekommen. Er hatte sie immer gefürchtet, obwohl er ihr bereits mit vierzehn über den Kopf gewachsen war. Er hatte keine Ahnung, woran es lag, aber auch auf sein dreiunddreißigjähriges Ich hatte sie immer noch dieselbe Wirkung.

Er seufzte. »Ich versuche, Sophias Mutter aus dem Weg zu gehen.«

Die Rektorin strich sich den Kostümrock glatt und nickte. »Ich habe gehört, sie sei auf der Jagd nach Ehemann Nummer drei, und ihre Wahl fällt auf Sie, Sheriff.«

Er sank ein wenig in sich zusammen. Die Feststellung basierte nicht vollständig auf Gerüchten. In letzter Zeit ließ Janet Weatherly ihn ihr Interesse immer wieder spüren, und das nicht gerade unterschwellig. Er ging ihr aus dem Weg, wo er nur konnte. Bis jetzt hatte sie das allerdings noch nicht von ihren Plänen und den erbärmlich schlechten Aufläufen, mit denen sie ihn versorgte, abgebracht.

Miss Sloan sprühte sich eine ordentliche Ladung Odol in den Mund. »Ich werde mir die Ladys jetzt vorknöpfen. Mütter und Töchter. Rauchen ist wirklich eine Unart«, sagte sie mit einem ironischen Blick auf den Aschenbecher.

Dann zwinkerte sie Ryan zu. »Wenn ich die Damen in der Mangel habe, sollten Sie die Beine in die Hand nehmen, Sheriff.«

»Danke, Rektorin Sloan.« Ryan wartete, bis sie den Raum verlassen hatte, schaltete das Licht aus und lehnte sich im Dunkeln gegen das Regal mit den Putzmitteln. Er zog einen Schokoriegel aus seiner Hemdtasche, riss ihn auf und biss die Hälfte ab. Sein Leben war wirklich fantastisch. Eine aufmüpfige Jugendliche als Gegnerin, ihre Männer jagende Mutter auf den Fersen und als Komplizin eine heimlich rauchende Rektorin. Das Dasein eines Polizeichefs auf dem Land.

Er kehrte ins Sheriffbüro zurück und schrieb seinen Bericht. Die Mädchen würden für ihre Verfehlung fünf Stunden lang Müll an der Lake-Anna-Uferpromenade einsammeln. Eine angemessene Strafe, aber sie brachte keine Zufriedenheit. Irgendetwas ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, also entschied er, zeitig Feierabend zu machen.

Er wechselte in seine Laufkleidung und absolvierte einen langen Lauf am Ufer des Sees entlang. Entgegen der sonstigen Wirkung, die der Sport auf ihn hatte, wurde er die Verspannung nicht los. Sie saß ihm im Nacken und machte ihn unruhig und nervös. In seiner Wohnung trainierte er weiter. Klimmzüge, Planks, Sit-ups. Es half nichts.

Schließlich beschloss er, dass es höchste Zeit wurde, wieder einmal aus der Stadt herauszukommen und irgendwo hinzufahren, wo er nicht der Sheriff von Lake Anna war, den jeder kannte.

*

Faye betrachtete ihr Gesicht im Rückspiegel. Sie sah so aus wie vor drei Wochen. Keine der Erfahrungen, die sie seit der Begegnung mit Geno Coleman auf dem Dachboden ihrer Großmutter gemacht hatte, schien sich in ihren Zügen widerzuspiegeln. So viel war passiert, seit sie das Foto gefunden hatte. Ihr Leben hatte sich einmal um einhundertachtzig Grad gedreht. Und sie hierhergeführt. Statt einer netten Verabredung mit einem gut aussehenden Architekten hatte sie ihre Sachen gepackt, ein Auto gekauft und war zu einem Roadtrip quer durch die Staaten aufgebrochen.

Maxin war von ihrer Idee alles andere als begeistert gewesen, aber sie hatte bestätigt, dass der Mann auf dem Foto ihr Vater war. Zumindest hatte ihre Mutter das behauptet. Ihre Großmutter hatte ihn nie zu Gesicht bekommen. Faye nahm sein Bild einmal mehr zur Hand und verglich seine Züge mit denen ihres Spiegelbildes. Arthur Flanagan, Besitzer eines Diners in einem Bergstädtchen namens Lake Anna, Montana. Er war Koch. Wie passend.

Irgendwo musste ihr Talent herkommen, und von ihrer Mutter oder Grandma stammte es mit Sicherheit nicht. Sie hatte noch nie von diesem Ort gehört und im Internet versucht, mehr herauszufinden. Dabei war sie auf der Facebook-Seite der Stadt ziemlich schnell über ein Bild ihres Vaters gestolpert. Eine ältere Version des Mannes, der mit ihrer Mutter auf dem Bootssteg gesessen hatte.

Er hatte Faye offensichtlich seine roten Locken vererbt.

Auf dem alten Foto standen sie in ungebändigten orangeroten Spiralen von seinem Kopf ab, so wie sie es jeden Morgen bei ihr taten. Auf dem aktuelleren Bild, auf dem er vor seinem Diner stand, war die kräftige Farbe dem Grau des Alters gewichen, die Locken hielten sich jedoch beharrlich. Bis auf die Frisur hatte Faye ihrer Mutter sehr ähnlich gesehen. Nun wusste sie, woher ihr wilder Haarschopf stammte.

Faye war sich nicht sicher, was sie tun würde, wenn sie ihrem Vater schließlich gegenüberstand. Bis jetzt hatte sie es vermieden, darüber nachzudenken. Sie hatte Boston verlassen wollen, um das Black Fox und ihre ehemals besten Freunde hinter sich zu lassen. Ihr Rauswurf brach ihr jedes Mal erneut das Herz, wenn sie die Gedanken daran zuließ. Also verdrängte sie sie. Alles im Leben hatte einen Grund. Aus jeder Situation konnte sich etwas Positives entwickeln, wenn man es nur zuließ. Sie wollte nicht so verbittert und unzufrieden enden wie ihre Mutter, die sich in den schönsten Momenten des Lebens selbst im Weg gestanden hatte und an der alles Gute abgeprallt war. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die sich unterkriegen ließen.

Hätte sie gemeinsam mit Marshall und Adam den Kaufvertrag für das Black Fox unterschrieben, wäre sie nicht mit Geno auf den Dachboden gestiegen. Das Foto ihrer Eltern läge immer noch unter einem Stapel alter Zeitungen. Der Rauswurf aus dem Restaurant war ein deutliches Zeichen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Im Moment konnte sie nicht viel mit sich anfangen, aber sie hatte einen ganzen Haufen Geld übrig, den sie nun nicht mehr für das BlackFox einsetzen musste. Der Zeitpunkt war perfekt, um sich auf die Suche nach ihrem Vater zu machen, und vielleicht half ihr diese Reise dabei, ihrem Leben eine neue Bestimmung zu geben.

Sie hatte bei einem etwas windig aussehenden Gebrauchtwagenhändler einen dunkelroten Jeep Patriot gekauft, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte, und war in Richtung Westen aufgebrochen. Sie war nur langsam vorangekommen, hatte gehalten, wo immer es ihr gefallen hatte, kostete Weine, probierte die Spezialitäten jeder Region, durch die sie kam. Sie hatte durchgeatmet, alles nachgeholt, wofür sie während ihres Studiums und in den ersten harten Berufsjahren danach keine Zeit gehabt hatte. Ihr Ordner hatte sich beständig mit Ideen für neue Gerichte, Kontaktadressen von Käsereien, Weingütern und Mikrobrauereien gefüllt. Sie fühlte sich so frei und lebendig wie nie zuvor. Zwei Wochen waren vergangen, seit sie die Bostoner Skyline hinter sich gelassen hatte.

Doch nun näherte sie sich unausweichlich ihrem Ziel. Von Missoula aus fuhr sie in das Tal des Thunder Creek. Der Anblick, der sich bot, je weiter das Tal anstieg, überwältigte Faye. Die Straße schlängelte sich schmal und hoch über dem Fluss an einer der Felswände der Schlucht entlang. Das Wasser schoss in reißender Geschwindigkeit und durchsetzt von unzähligen Stromschnellen durch das enge Tal. Hin und wieder blitzten Raftingboote oder die Kajaks todesmutiger Wassersportler auf. An Stellen, an denen das Flussbett ein wenig breiter war und das Wasser ruhiger dahinfloss, hatten sich Fliegenfischer eingerichtet und ließen ihre Angelsehnen unermüdlich durch die Luft sausen.

Die Blätter der Bäume begannen, sich in einem Kaleidoskop aus Gelb, Orange und Rot zu färben. Sie erinnerten sie an ihre Heimat an der Ostküste, die sie noch nie zuvor verlassen hatte. Doch irgendwann konnte die malerische Landschaft sie nicht mehr davon ablenken, dass sie sich ihrem Ziel unaufhaltsam näherte. Sie erreichte Thunder Creek, ein Bergstädtchen, das etwa eine halbe Stunde von Lake Anna entfernt lag, und fuhr an den Straßenrand. Ihre Hände waren feucht und ihr Herz schlug ein wenig zu schnell.

Was sollte sie tun, wenn sie ihrem Vater gegenüberstand? Was sollte sie sagen? Sollte sie ihn erst einmal anrufen? Sollte sie ihn sich zuerst einmal ansehen? Vielleicht war er ihr überhaupt nicht sympathisch. Über das Internet hatte sie herausgefunden, dass er eine Tochter hatte. Von einer Ehefrau hatte sie nichts gelesen, was aber nichts heißen musste. Sie musste vorsichtig vorgehen, schließlich wollte sie niemanden vor den Kopf stoßen. Das Beste wäre, noch einmal in Ruhe über ihre Situation nachzudenken.

Anstatt nach Lake Anna weiterzufahren, folgte sie den Hinweisschildern der Hotels und entschied sich schließlich für die Eagle Peek Lodge, einem wunderschönen Ressort mit Blick über das Tal und die Berge. Sie nutzte das Fitnessstudio des Hotels – sie hatte seit über zwei Wochen keinen Sport mehr gemacht, es wurde also höchste Zeit – und ließ sich im Spa verwöhnen. Sie genoss eine Gesichtsbehandlung und eine Massage, ließ ihre geschundenen Kochhände pflegen.

Nun stand sie in ihrem Zimmer mit den rustikalen Wänden im Blockhausstil und den farbenfrohen Wandteppichen, die sicher von Ureinwohnern gefertigt worden waren. Ihre Finger fuhren über den weichen Quilt auf ihrem Bett, der vermutlich Handarbeit war, und überlegte noch immer ihre nächsten Schritte. Sie kam einer Entscheidung nicht einen Hauch näher. Sie beschloss, das Nachdenken noch einmal zurückzustellen und sich zunächst um ihren knurrenden Magen zu kümmern.

Sie wusste, sie schob die Entscheidung nur auf, aber wenn es etwas gab, wovon sie mehr als genug hatte, dann war es Zeit. Sie würde in der Bar der Lodge einen Drink nehmen und das Essen im Restaurant probieren.

Entschlossen suchte sie ein Kleid und ihre Lieblings-High-Heels aus ihrem Gepäck. Nur weil sie den größten Teil des Tages in ihrer Kochmontur und rutschfesten Schuhen verbrachte, hieß das nicht, dass sie ein weibliches Outfit nicht zu schätzen wusste. Sie war eine Frau, die Liebe zu einem hübschen Paar Schuhe war genetisch in ihr verankert. Sie schlüpfte in die Kleidung, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, um sie wenigstens etwas zu zähmen, und zog die Zimmertür hinter sich ins Schloss.

*

Ryan blieb im Türrahmen der Bar der Eagle Peek Lodge stehen und warf einen Blick in den Raum. Wenn er seinem Leben in Lake Anna entfliehen wollte, kam er hierher. In der Lodge traf er bis auf den Barkeeper selten auf Einheimische. Hier trieben sich nur Touristen, Jäger, Angler und Outdoor-Sportler herum. Niemand nervte ihn. Niemand wollte etwas von ihm. Er konnte einfach in Ruhe ein Bier oder einen Whiskey trinken und genießen, ein anonymer Mensch zu sein. Manchmal traf er auf eine hübsche Frau, die ihm bei einem Essen Gesellschaft leistete – und hin und wieder endete so ein Abend auch in einem der Hotelzimmer. Ryan konnte sich nicht mit den Frauen aus Lake Anna verabreden. Sie würden sofort davon ausgehen, zwei Wochen später einen Heiratsantrag zu erhalten. Janet Weatherly war das beste Beispiel. Er hatte sie einmal, nachdem sie sich wegen ihrer Tochter bei ihm ausheulte, auf einen Drink ins Crazy Bear eingeladen – wider besseren Wissens. Jetzt hatte er sie an der Backe und musste aus der eigenen Stadt flüchten, um einen ruhigen Abend verbringen zu können.

Die Bar war nur mäßig besucht. An einem der Tische saßen drei Männer, vermutlich Angler, und am rechten Ende des Tresens ließen sich zwei weitere Typen ein Bier schmecken. Ihren orangefarbenen Kappen nach waren sie Jäger. Sie schienen nach ihrer Rückkehr aus den Wäldern den direkten Weg an die Tränke gewählt zu haben.

Ryans Blick glitt nach links und blieb an einer Frau hängen, die allein an der Bar saß und an einem Glas Rotwein nippte. Ihre Kurven waren atemberaubend. Sie hatte etwas von einem Pin-up-Girl der Fünfzigerjahre. Ihr Körper steckte in einem anschmiegsamen schwarzen Kleid.

Der hohe Barhocker erlaubte es ihm, ihre übereinander-geschlagenen Beine in den heißen Absatzschuhen in ihrer ganzen Pracht zu bewundern. Die obere Hälfte ihres Rückens war von einer wilden Wolke feuerroter Locken bedeckt, die ein Eigenleben zu haben schienen. Sie wippten, als stünden sie unter Strom. Er bezweifelte die Echtheit dieser Haarfarbe, aber wenn es einer Frau stand, konnte sie seinetwegen auch blaue Haare haben. Das Gesicht der Fremden konnte er im Spiegel hinter der Bar nur verschwommen ausmachen. Trotzdem gefiel ihm, was er sah. Er nickte dem Barkeeper zu und wies mit den Augen in ihre Richtung. Pete, mit dessen älterem Bruder er zur Schule gegangen war, grinste ihn an und hob unauffällig den Daumen. Das Zeichen, dass die Dame allein hier war und er nicht Gefahr lief, sich mit einem Ehemann oder Verlobten auseinandersetzen zu müssen, weil er ihr einen Drink spendierte.

Er warf einen Blick auf sein Handy. Shane hatte ihm eine Nachricht geschrieben und beschwerte sich über das sklaventreiberische Verhalten seines Onkels Max. Sein Bruder würde seinem Neffen garantiert nicht zu viel der Arbeit, die es auf der Familienranch zu erledigen gab, aufbrummen. Er schrieb Shane, er solle sich nicht bei ihm ausheulen, sonst würde er Max dazu bringen, ihn noch den Pferdestall ausmisten zu lassen. Zufrieden mit seinen pädagogischen Fähigkeiten, schaltete er das Handy auf lautlos und schob es in seine Hosentasche. Nichts hob seine Stimmung mehr als eine kleine verbale Keilerei mit seinen Brüdern oder seinem Neffen – höchstens der Anblick einer sexy Frau wie der an der Bar konnte da mithalten.

Er ging zu ihr hinüber und ließ sich auf den Barhocker neben ihr gleiten. »Hi.«

Sie wandte sich zu ihm um und lächelte ihn an. »Hallo.«

Einen Moment sagte er nichts, sondern sah sie einfach nur an. Diese Frau war wirklich schön. Volle Lippen, die perfekt zu ihrem Betty-Boop-Körper passten. Eine schmale Nase und große Augen von der Farbe eines alten Whiskeys, die von langen, geschwungenen Wimpern beschattet wurden.

*

Was für ein Kerl, war das Erste, was Faye durch den Sinn ging, als sie den Mann im Spiegel hinter der Bar erblickte. Er stand im Türrahmen und tippte eine Nachricht in sein Handy, bevor er es wegsteckte, geradewegs auf sie zukam und sich neben sie setzte. Groß, breitschultrig und blond. Vermutlich war er ein echter Naturbursche. Als er seine Unterarme lässig auf den Tresen legte, schimmerten die blonden Härchen auf der gebräunten Haut wie Gold.

Am meisten beeindruckten sie seine Augen. Sie hatten die Farbe von geschmolzener Schokolade und waren von Lachfältchen umringt. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn anzulächeln. Vorsichtig schielte sie in Richtung seiner Finger. Er trug keinen Ring. Es schien ungefährlich, das zweite Glas Wein zu trinken, auf das er sie einlud. Er stellte sich als Ryan vor. Ein Name, der gut zu ihm passte.

Sie plauderten über die Lodge, das Wetter und das Tal des Thunder Creek. Ryan schien sich gut auszukennen und nannte ihr ein paar Stellen, an denen man wunderbar angeln oder im Morgengrauen Rehe, Hirsche und Elche auf ihrem Weg zu den Tränken am Fluss beobachten konnte.

»Sind Sie Jäger oder Angler?«

Er zwinkerte ihr zu und nahm einen Schluck von seinem Draft. »Beides. Manchmal angele ich. Und hin und wieder begebe ich mich auf die Jagd.«

Seine Antwort war mehr als zweideutig. Sie musste das wohlige Schaudern unterdrücken, das sich durch ihren Körper zog. Dieser Mann war sexy. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, die Finger unter sein blaues Hemd zu schieben und über seinen flachen Bauch wandern zu lassen. Seine Lippen waren fest, sein Kinn kantig. Wie er wohl küsste? Sie tippte auf frech und fordernd.

Er ertappte sie beim Starren und grinste. »Was treibt Sie nach Thunder Creek, Faye? Sie wirken weder wie eine Jägerin noch wie eine Anglerin. Nicht, dass Sie mit Schlapphut und in Gummistiefeln nicht umwerfend aussehen würden.«

Sie lachte, während seine großen Hände aus der winzigen Serviette, die er unter ihrem Weinglas hervorzog, eine Blume falteten und in ihr Haar schoben. »Ich will nur ein paar Tage entspannen. Das Spa in diesem Hotel ist einfach wundervoll.« Sie sah keinen Sinn darin, einem völlig Fremden, den sie vermutlich nach diesem Abend nie wiedersah, von ihren verzwickten Familienverhältnissen zu erzählen.

Er nickte. »Kein schlechter Ort, um zu relaxen.« Fayes Magen knurrte und brachte ihn erneut zum Grinsen. »Es gibt hier ein ausgezeichnetes Restaurant. Hätten Sie Lust, mir beim Dinner Gesellschaft zu leisten?«

Faye zögerte nicht eine Sekunde. Wahrscheinlich war es falsch, mit diesem Adonis zu flirten, anstatt sich Gedanken zu machen, wie sie ihrem Vater gegenübertreten sollte. Aber es war ein angenehmes Gefühl, Ryan tief in die Augen zu sehen und ein bisschen dahinzuschmelzen. »Sehr gern.«

Er zahlte die Drinks und legte ihr auf dem Weg in das Restaurant der Lodge die Hand in den unteren Rücken, knapp über ihrem Po. Seine Wärme – oder besser: Hitze – strahlte durch den dünnen Stoff ihres Kleides und versengte ihre Haut. Selbst, als sie an einem kleinen Fenstertisch Platz genommen hatten, konnte sie die Stelle, an der er sie berührt hatte, noch spüren.

Er überredete sie zu einem dritten Glas Wein, und sie nahm es an. Sie würde einen kleinen Schwips bekommen, trotzdem wusste sie noch genau, was sie tat. Dieses Dinner schien eindeutig auf etwas wesentlich sinnlicheres als Essen hinauszulaufen. Sie musste sich zusammenreißen. Seit wann reagierte sie so auf einen Mann? Okay, sie hatte seit einer ganzen Weile weder eine Beziehung gehabt noch ein Abenteuer genossen. Ihr Leben hatte sich ausschließlich um das Black Fox gedreht. Wenn sie ehrlich war, trauerte sie der Fast-Verabredung mit dem Architekten ein kleines bisschen nach. Geno Coleman konnte dem Mann, dem sie gegenüber saß, allerdings nicht das Wasser reichen. Eine solche Anziehung hatte sie noch nie erlebt. Die Situation war neu, aber spannend. Sie genoss es, umgarnt zu werden, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit dieses Fremden zu sein.

Irgendwie schaffte Ryan es, das Gespräch locker dahinfließen zu lassen, während sich ihr Hirn zunehmend in Matsch verwandelte. Sie beschäftigte sich immer intensiver mit dem Gedanken, wie sich sein Mund auf ihrem anfühlen würde. Wie wäre es, ihn zu küssen? Bargen seine Lippen die gleiche Hitze wie die Hand, die er ihr vorhin auf den Rücken gelegt hatte?

Er bestellte Crème brulée als Dessert und sah ihr dabei zu, wie sie mit dem Löffel durch die Kruste brach und kostete. Die Geschmacksexplosion aus Vanille und Karamell ließe sie die Augen schließen. Als sie sie wieder öffnete, blickte sie in Ryans. Er fixierte sie wie die Schlange das Kaninchen.

»Du hast da was.« Seine Stimme klang ein wenig heiser. Er fuhr mit dem Daumen über ihren Mundwinkel, wischte einen winzigen Klecks Creme weg und leckte ihn, ohne den Blick von ihrem zu lösen, von seinem Finger.

Faye schluckte. Ihr Herz raste. Das war verrückt. Sie war verrückt. Verrückt nach diesem Mann. Sollte sie es wagen? Ja, sie verdiente dieses Kribbeln im Bauch. »Wie lange bist du hier?«, platzte sie heraus.

Er runzelte die Stirn, so als ob er ein Problem mit dieser Frage hatte. Dann fuhr er mit dem Zeigefinger über ihren Handrücken und verursachte ihr eine Gänsehaut. Er wusste offenbar genau, wie man eine Frau verführte. »Nur heute Nacht«, erwiderte er schließlich.

Er war nur für eine Nacht hier. Sie ebenfalls. Sie waren Fremde und würden sich nie wiedersehen. Sie wollte diese Nacht, wollte genießen, was er ihr zu bieten hatte, ohne sich danach umzudrehen und zurückzusehen. Morgen früh war dieser Abend Geschichte. Sie würde sich wieder auf die wesentlichen Dinge in ihrem Leben konzentrieren. Faye biss sich auf die Unterlippe und nahm all ihren Mut zusammen. So etwas wie das hier hatte sie noch nie getan.

Sie beugte sich vor, bis sich ihre Lippen fast berührten. »Perfekt«, murmelte sie. »Ich stelle mir schon die ganze Zeit vor, wie es wäre, dich zu küssen.« War sie zu dreist? Zu direkt?

Die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich. »Ich weiß. Deine Blicke lassen sich ziemlich leicht lesen.«

»Ach ja?« Immer noch waren sie nur Zentimeter voneinander entfernt.

»Hm«, gab er zurück und hinterließ ein Vibrieren in ihrem Magen.

Faye hob den Blick und sah ihm in die Augen. Sie überwand die letzte Distanz und küsste ihn. Oh Gott, war alles, was ihr durch den Kopf schoss, als sich ihre Lippen trafen.

*