Lake Anna - Rückkehr des Herzens - Joanne St. Lucas - E-Book

Lake Anna - Rückkehr des Herzens E-Book

Joanne St. Lucas

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Beschreibung

Sara Cross kehrt nach zwölf Jahren zurück in ihre Heimatstadt Lake Anna. Dort will sie die Arztpraxis übernehmen und ihrer Tochter ein ruhiges Leben außerhalb der Großstadt ermöglichen. In dem kleinen Ort begegnet sie nicht nur alten Freunden wieder, sondern auch ihrer Jugendliebe Max Bennett - mit dem sie damals nicht im Guten auseinanderging.

Als sie bei einem ungewollten Campingabenteuer aufeinandertreffen, flammen alte Gefühle wieder auf. Sara und Max tragen beide noch alten Groll mit sich herum, doch der Grat zwischen Liebe und Hass ist bekanntlich sehr schmal.

Der dritte herzerwärmende Band der Lake-Anna-Reihe von Joanne St. Lucas um die romantische Kleinstadt am See.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelWidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14EpilogÜber die AutorinWeiterere Titel der AutorinImpressumLeseprobe

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Über dieses Buch

Sara Cross kehrt nach zwölf Jahren zurück in ihre Heimatstadt Lake Anna. Dort will sie die Arztpraxis übernehmen und ihrer Tochter ein ruhiges Leben außerhalb der Großstadt ermöglichen. In dem kleinen Ort begegnet sie nicht nur alten Freunden wieder, sondern auch ihrer Jugendliebe Max Bennett – mit dem sie damals nicht im Guten auseinanderging.

Als sie bei einem ungewollten Campingabenteuer aufeinandertreffen, flammen alte Gefühle wieder auf. Sara und Max tragen beide noch alten Groll mit sich herum, doch der Grat zwischen Liebe und Hass ist bekanntlich sehr schmal.

Jana Lukas als

JOANNE ST. LUCAS

Rückkehr des Herzens

Small-Town-Romance

Für meine Mädels

Prolog

Sara schob sich ein Stück Schokolade in den Mund und ließ es auf der Zunge zergehen. Sie spürte, wie der Zucker aus der Süßigkeit in ihren Blutkreislauf überging. Er versorgte sie mit neuer Energie, die sie nach der langen Fahrt dringend brauchte. Vor ihr lag noch eine halbe Stunde Fahrt, die sie irgendwie hinter sich bringen musste. Mit einem Schluck Cola spülte sie nach.

Sie hielt am Aussichtspunkt des Big-Cloud-Passes und vergewisserte sich mit einem Blick in den Rückspiegel, dass ihre Tochter tief und fest schlief. Erst dann öffnete sie die Autotür und stieg aus. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie langsam über den Parkplatz ging und an das Geländer trat. Das alte, verwitterte Holz trennte sie von der Schlucht, die sich in der Dunkelheit unsichtbar mehrere Hundert Meter unter ihr erstreckte. Im Sommer war dieser Fleck ein Touristenmagnet. Jetzt, im Herbst – und mitten in der Nacht –, lag er still und verlassen da. Nicht mehr lange, und die schmale Passstraße würde für den Winter gesperrt werden.

Sara sog die klare Luft ein. Um sie herum roch es nach dem Nadelwald, der unterhalb des Aussichtspunktes lag.

Der Duft ihrer Kindheit.

Sie spürte das Holz des Geländers unter ihren Händen und schloss die Augen. Links von sich konnte sie das Dröhnen des Thunder Falls hören. Der Wasserfall mündete in den Lake Anna, den See, an dem ihre Heimatstadt lag.

Sara legte den Kopf in den Nacken und hob die Lider.

Über ihr breitete sich das Meer der Unendlichkeit aus, ein Sternenteppich, der an Schönheit nicht zu überbieten war. In Portland hatte sie nur selten einen Blick für die Sterne übriggehabt. Überhaupt hatte sie in letzter Zeit wenig Schönes zu sehen bekommen. Ein kleines, schneeweißes Gesicht drängte sich vor ihr inneres Auge. Blut, das in einem nicht enden wollenden Strom über ihre grünen Latexhandschuhe lief.

Verdammt! Sara schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden. Sie kehrte nach Lake Anna zurück, um Abstand zwischen sich und die Notaufnahme des Portland General zu bringen. Hier erwartete sie ein völlig anderes Leben. Keine Messerstechereien. Keine Schießereien, bei denen kleine siebenjährige Mädchen ums Leben kamen. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihre Mitte. Das blasse Gesicht wollte sich wieder in ihre Gedanken schieben, aber sie drängte es entschlossen zurück und ließ stattdessen ihren Blick über den See wandern, der tief unter ihr im Mondlicht glitzerte. Die Stadt konnte sie nur erahnen. Um diese Zeit waren die Lichter in den Häusern längst gelöscht. Ein Stück weiter links machte sie die Umrisse der Bennett-Ranch aus. Ihr erstes Zuhause. Die erste Liebe.

Das erste gebrochene Herz.

Warum dachte sie überhaupt daran? Ruckartig drehte sie sich um und lief zu ihrem Wagen zurück. Es gab viele Gründe, nach Lake Anna zurückzukehren. Max Bennett wiederzusehen, war keiner davon.

Kapitel 1

Ein halbes Jahr später

Sara schlüpfte in die Ugg Boots und zog ihre Daunenjacke über den Pyjama. Mit der Kaffeetasse in der Hand trat sie aus dem Haus und lehnte sich gegen den Verandapfosten an der Treppe. Sie genoss die Sonnenstrahlen, die endlich den Frühling ankündigten. Obwohl dem Kalender nach schon bald der Sommer Einzug halten müsste, war es noch nicht wirklich warm. Genau genommen war der Wind, der von den Bergen herunterfegte, eisig kalt, aber der Schnee im Tal war zu großen Teilen geschmolzen, das Eis auf dem Lake Anna verschwunden. Das Wetter in den Bergen war allerdings trügerisch. Selbst Mitte Mai musste man noch mit der Rückkehr des Winters rechnen, oder zumindest mit seinem letzten Versuch, die Herrschaft über die Jahreszeiten zu behalten.

Sara vertraute auf einen Sieg des Frühlings. Bald würden die ersten mutigen Frühjahrsblüher ihre Köpfe aus dem kalten, braunen Boden strecken und die Bäume zu blühen beginnen. Es wäre warm genug, ein paar hübsche, bunte Blumentöpfe auf die Veranda zu stellen und hinter dem Haus den kleinen Kräutergarten anzulegen, von dem sie schon lange träumte.

Ihren ersten Winter nach ihrer Rückkehr nach Lake Anna hatte sie genossen. Aber langsam hatte sie genug von Eis, Schnee und Blizzards.

Sie trank einen Schluck Kaffee und lauschte auf die Stille. Alissa hatte die Nacht bei ihrer Großmutter Rosie verbracht, was Sara die Chance gegeben hatte, sich mit ihren Freundinnen auf ein Glas Wein im Crazy Bear zu treffen.

Etwas, das sie sehr genoss. In Portland hatte ihr Leben nach der Trennung von Todt aus Arbeit und ihrem Kind bestanden. Die wenigen Stunden, die ihr zwischen ihren Schichten im Krankenhaus blieben, hatte sie mit Alissa verbracht. Viel Zeit für Freunde hatte es nicht gegeben.

In Lake Anna liefen die Uhren anders. Als Landärztin musste sie sich nicht mehr zu Tode schuften, und ihre Mutter war überglücklich, wenn sie Zeit mit ihrer Enkeltochter verbringen konnte. Das gab Sara die Chance, alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen und neue zu schließen.

Heute musste sie erst mittags in der Praxis sein, also gönnte sie sich eine zweite Tasse Kaffee und sah eine Zeit lang den Rehen am Waldrand zu. Genüsslich strich sie mit den Fingern über das glatte Holz des Verandageländers.

Seit ihrer Jugend war sie in das kleine Craftsman House in der Mountain Lane verliebt. Nicht nur das Häuschen hatte es ihr angetan, sondern auch der Blick, den man von hier über die Stadt und den Lake Anna hatte. Auf halber Höhe des Berges war der Ausblick atemberaubend. Unter ihr lag ihr pittoresker Heimatort, der Besuchern oft den Atem verschlug. Ihre Freundin Alexandra hatte ihr einmal anvertraut, dass sie einen Moment lang glaubte, durch ein Zeitloch in den Wilden Westen des neunzehnten Jahrhunderts gefallen zu sein, als sie den Ort zum ersten Mal sah. Diese Wirkung hatte die Stadt auf ihre Gäste genauso wie auf die Menschen, die immer hier lebten. Und Bürgermeister Patterson legte viel Wert auf dieses wildromantische Image.

Lake Anna lebte zum größten Teil vom Tourismus. Und es lebte gut davon.

Wanderer, die den Nationalpark erkundeten, und Kletterer, die die langen, herausfordernden Felswände zu schätzen wussten, fand man hier genauso wie Kanufahrer, Angler und Jäger. Im Winter wurde das Tal zu einem Paradies für Skifahrer. Die Lifte in Thunder Creek standen nicht still, die Langlaufrouten am Fluss und am See entlang waren endlos. Es wurden Skitouren auf die Berge angeboten – und wer genug Geld hatte, leistete sich Heliskiing, um über unberührte, weiße Hänge zu gleiten.

Aber man musste nicht sportlich aktiv sein, um das Tal des Thunder Creek zu lieben. Der Blick von ihrer Veranda war wie Meditation. Sobald sich der Nebel vom Lake Anna hob, würde die Wasseroberfläche in der Sonne glitzern. Das dunkle Grün der Tannen würde sich bald mit dem hellen Frühlingsgrün der knospenden Laubbäume mischen. Die Wälder zogen sich weit hinauf auf die steilen Berghänge, die das Tal umschlossen. In den Höhen, in denen sie der Witterung nicht mehr trotzen konnten, wurden sie von nackten Felsen abgelöst. Die Gipfel der Berge waren auch im Sommer nie schneefrei. Eine raue Gegend, und gleichzeitig der schönste Ort, den sich Sara vorstellen konnte.

Das Glück hatte es gut mit ihr gemeint, als Sara ins Tal zurückgekehrt war. Die alte Dame, die in dem Haus gewohnt hatte, war schon vor Jahren ins warme Arizona übergesiedelt. Ein junges Aussteigerpärchen hatte es vor eineinhalb Jahren gekauft. Nach ihrem ersten Winter in den Bergen hatten sie, wie viele andere auch, aufgegeben. Sie verkauften an Sara und verschwanden aus dem Tal. Von Portland aus hatte sie die Renovierung in die Wege geleitet. Ihr Stiefvater Stan, der sie schon immer behandelt hatte wie seine eigene Tochter, war überglücklich gewesen, gemeinsam mit ein paar Freunden Böden abzuschleifen, Wände zu streichen und Einbauschränke zu lackieren. Und aus dem Häuschen ein Zuhause zu machen.

Alissa und sie hatten sich gut eingelebt und viele kuschlige Winterabende vor dem Kamin im Wohnzimmer verbracht. Eines der größten Abenteuer für ihre Tochter war der Ausflug gewesen, den Stan im Dezember mit ihr in den Wald unternommen hatte. Sie durfte einen Weihnachtsbaum für ihr neues Haus aussuchen und helfen, ihn zu fällen. Was sie in blanke Euphorie versetzt hatte.

Sara hingegen war in Lake Anna zur Ruhe gekommen. Sie fuhr sich über das Gesicht und vertrieb das schneeweiße Kindergesicht, das nur noch selten in ihren Träumen auftauchte. Sara schüttelte den Kopf, nicht sicher, warum es gerade jetzt aufgetaucht war und sie ausgerechnet an einem so schönen, sonnigen Morgen an das Blut denken musste, das über ihre Hände geflossen war. Ihr Leben hatte eine gemütliche Routine entwickelt, die sie sich in Portland gar nicht hätte vorstellen können. Sie trank noch einen Schluck Kaffee und überlegte, ob sie sich etwas zum Frühstück machen sollte, entschied sich aber dagegen. An den Tagen, an denen Alissa bei ihrer Granny war, lebte sie ihr kleines Laster für Burger, Pommes und Süßigkeiten voll aus. Natürlich wusste sie als Ärztin, wie ungesund Fast- und Junkfood waren. Trotzdem konnte sie die Finger nicht davon lassen. Deshalb hatte sie schon vor Jahren einen Kompromiss mit sich selbst geschlossen und gönnte sich diese ungesunden Leckereien nur an besonderen Tagen – und vor allem nur dann, wenn ihre Tochter nichts davon mitbekam, damit sie keine Diskussionen darüber anfing, ob das Gemüse, das sie zu ihrem Dinner bekam, wirklich sein musste. Verhandeln konnte Alissa mit ihren vier Jahren nämlich schon verdammt gut.

Heute jedenfalls würde sie sich etwas gönnen und auf dem Weg in die Praxis bei Katie einen Cupcake holen.

Vielleicht hatten Alexandra, die von allen nur Alex genannt wurde, und Trish ja Zeit für ein bisschen Klatsch und Tratsch? Das würde ihr den Tag versüßen, bevor sie sich heute Abend in die Höhle des Löwen begab. Beim Gedanken an das Treffen der Bergrettung grummelte ihr Magen. Rick Henderson, der Chef der Bergwacht, die für das Gebiet um Lake Anna und die Nachbarstadt Thunder Creek zuständig war, redete schon seit ihrer Rückkehr im Herbst auf sie ein, der Organisation beizutreten. Alec, ihr Partner in der Praxis, litt unter Höhenangst. Aber die Bergretter brauchten dringend einen Arzt, der mehr konnte, als an der Basis zu warten, bis die Verletzten zu ihm gebracht wurden. Sie brauchten einen Arzt, der mit ihnen ins Gelände ging. Saras Vorgänger, der alte Dr. Burke, war Mitglied der Bergwacht gewesen, solange sie denken konnte.

Und sie selbst war als Kind und Teenager oft mit den Bennett-Brüdern in den Bergen gewandert und geklettert. Sie kannte die Gegend und wusste, wie sie sich bei den unterschiedlichen Wetterlagen verhalten musste oder was zu tun war, wenn sie auf wilde Tiere wie Bären oder Berglöwen traf.

Sara hatte sich schließlich von Rick breitschlagen lassen. Und sie wollte wirklich ein Teil der Bergrettung sein. Das gehörte in einem kleinen Ort wie Lake Anna dazu. Man brachte sein Wissen und sein Können in die Gemeinschaft ein. Unter normalen Umständen hätte sie sich auch kein halbes Jahr bitten lassen, sondern wäre sofort nach ihrer Rückkehr in den Verein eingetreten. Wenn nur nicht ausgerechnet Max Bennett der stellvertretende Leiter der Bergwacht wäre.

Sie hatte immer gedacht, wenn es einer der Bennetts so weit bringen würde, wäre das Ryan, der verrückte Sportler, der in ihrer Jugend ständig versucht hatte, irgendwelche Rekorde zu brechen. Vermutlich war jedoch Max mit seiner ruhigen, besonnenen Art für diesen Posten besser geeignet. Sie konnte sich vorstellen, dass er seine Aufgaben sogar außerordentlich gut erledigte. Sara hatte trotzdem keine Lust, ihn zu treffen. Ihm Auge in Auge gegenüberzustehen. Seit sie wieder in Lake Anna lebte, ging sie ihm so weit wie möglich aus dem Weg. Das war nicht immer einfach. Seine Brüder, die Zwillinge Josh und Ryan, waren alte Freunde.

Sie waren ein Jahr älter als Sara und hatten sie nach ihrer Rückkehr mit offenen Armen empfangen. Josh hatte sich zudem in einer großen, romantischen Geste am Valentinstag mit ihrer Freundin Alex verlobt, was den Freundeskreis noch enger zusammenschweißte.

Ein klein wenig hatte Sara darauf gehofft, dass die Zeit Max mitgespielt hatte, dass man ihm das Alter mittlerweile ansah. Dass er fett geworden wäre oder eine Halbglatze bekommen hätte. Aber nichts davon war passiert.

Sein blondes Haar war voll wie eh und je – die Länge hing jeweils davon ab, ob er daran dachte, zum Friseur zu gehen. Er war ein paar Zentimeter kleiner als seine Brüder, überragte Sara aber trotzdem noch ein gutes Stück. Die jahrelange Arbeit auf der Ranch hatte seine Schultern breit und seine Oberarme muskulös werden lassen. Am meisten beeindruckten sie allerdings immer noch seine Augen. Sie funkelten in einem tiefen Schokoladenbraun. Wenn er lachte, gruben sich kleine Fältchen in seine Augenwinkel.

Sara seufzte und trank einen weiteren Schluck Kaffee.

Sie würde eng mit der Leitung der Bergrettung zusammenarbeiten, die Mitglieder in Erster Hilfe schulen, Trainings absolvieren und an Einsätzen teilnehmen müssen. Sara war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, diese Augen einfach auszublenden.

Den Winter über hatte sie sich für ihre Entscheidung Zeit gelassen. Doch schließlich war sie aber zu dem Schluss gekommen, die Bergrettung nicht im Stich lassen zu können und würde heute Mitglied werden. Sie hoffte, dass Max und sie irgendwie miteinander klarkommen würden. Sie waren schließlich keine Kinder mehr. Sie würden es schaffen, sich wie Erwachsene zu benehmen.

Max lag sowieso nichts an ihr.

Und sie würde einfach so tun, als ob sie nie etwas für ihn empfunden hätte.

*

Max hob den Arm und schlug zu. Das Holz spaltete sich und fiel links und rechts neben dem Hackklotz auf einen Haufen. In seinem Kopf hämmerte ein kleines Männchen im Gleichklang mit der Axt, die er niedersausen ließ.

Als sein jüngerer Bruder Josh im Herbst nach Lake Anna zurückgekehrt war, hatte der das Holzhacken übernommen. Josh hatte viel Wut und Zorn in sich aufgestaut. Die Axt und der Holzhaufen waren das beste Ventil für seine Aggressionen gewesen. Doch seit sein Bruder mit Alex zusammen war, hatte er anderes zu tun. Max verdrehte die Augen. Es war nötig, die Vorräte aufzustocken, damit sie bis zum Herbst austrocknen konnten. Und daran änderte sich auch nichts, nur weil Josh verliebt war. Der letzte Winter war extrem lang und kalt gewesen. Ihr Holzhaufen schrumpfte kontinuierlich. Insbesondere, weil Josh immer wieder Holz klaute, um damit sein und Alex’ Liebesnest zu beheizen.

Die Arbeit war Max mehr als unrecht. Er hatte so viel anderes auf der Ranch zu tun und sein pochender Schädel, den er unter anderem seinem Neffen Shane verdankte, trieb ihn in den Wahnsinn. Der Junge raste mit Alex’ Promenadenmischung Angelo und seinem Labrador wild brüllend durch den Garten. Natürlich machten die dummen Viecher es dem Kleinen nach – und kläfften ebenfalls wie verrückt. Shane hatte seinem unerzogenen Welpen, der unter dem Weihnachtsbaum auf ihn gewartet hatte, den Namen Wolverine gegeben. Zweifellos hatte er den Superhelden im Sinn gehabt, doch Max war der Meinung, dass der Name auch sonst gut zu dem Tier passte, schließlich war es ein Vielfraß, der weder vor Socken noch vor Zeitungen oder Schlüsselanhängern haltmachte. Sie konnten von Glück reden, einen Tierarzt in der Familie zu haben. Sonst hätte sich der Hund längst mit Duschgel, Blumenerde oder einer Packung Kopfschmerztabletten umgebracht, die er im Ganzen verschlungen hatte.

Das Hämmern hinter Max’ Stirn nahm zu. Er konnte dem Jungen nicht böse sein, so sehr er ihn auch am Kragen packen und ihm ein riesiges Pflaster auf den Mund kleben wollte. Shane benahm sich wie ein ganz normaler Zehnjähriger.

Wer hätte das im letzten Herbst gedacht?

Erst ein halbes Jahr war vergangen, seit Josh den verstockten, bockigen Jungen angeschleppt hatte, der als Erstes einem Mitschüler die Nase brach und danach eine Woche die Schule schwänzte. Inzwischen hatte Shane seine Onkel akzeptiert. Er gehörte zu ihnen. Auf die Ranch der Bennetts.

Er gehörte nach Lake Anna.

Und dieses verdammte Gejohle machte ihn zu einer echten Nervensäge.

Max hatte einen ansehnlichen Berg Holz gehackt. Das musste fürs Erste reichen. Er räumte die Axt weg und hob seine Jacke auf, die er ausgezogen hatte, als ihm zu warm geworden war. In der Küche holte er sich einen Kaffee und setzte sich zu einer kurzen Pause auf die oberste Stufe der Verandatreppe. Das Holz hacken hatte ihm zwar viel Zeit geraubt, die er eigentlich für andere Arbeiten auf der Ranch brauchte, aber für ein kurzes Innehalten und einen Blick über den See nahm er sich immer Zeit. Das war seine Art der Entschleunigung.

Er war hier geboren worden und hatte die Ranch nur verlassen, um aufs College zu gehen. Selbst damals hatte er gewusst, dass er zurückkehren und seinen Platz hier einnehmen würde.

Auch nach dreiunddreißig Jahren auf der Ranch liebte er den Blick über den Lake Anna. Der Frühling war im Anmarsch und drängte den Schnee auf die Berghänge zurück. In den nächsten Wochen würde sich langsam, aber sicher das Grün gegen das Weiß behaupten. Das Frühjahr war seine liebste Jahreszeit. Die Kälber und Fohlen, die im Februar und März geboren wurden, wagten sich in die Natur hinaus, um ihren neuen Lebensraum zu erkunden.

Ein neuer Lebenszyklus begann. Niemand lebte so im Einklang mit den Jahreszeiten wie ein Rancher.

Andere verließen Lake Anna, aber er war hier zu Hause. Er gehörte hierher. Nirgendwo auf der Welt würde er sich so fühlen wie auf den Stufen dieser Veranda. Wie auf diesem Land. Dem Zuhause seiner Familie.

Nicht jeder konnte auf Dauer hier leben. Manch einer drehte der Stadt und dem See den Rücken zu und kehrte nie zurück.

Manche kamen erst nach Jahren wieder nach Hause.

Sein Bruder Josh und Sara gehörten zu diesen Menschen.

Josh war im vergangenen Jahr nach Hause gekommen. Als die Familie ihn brauchte, hatte er sein Leben an der Ostküste von heute auf morgen an den Nagel gehängt. Das Schicksal hatte ihn dafür belohnt, indem es Alex im Nachbarhaus einziehen ließ.

Und Sara? Von ihr hatte Max immer geglaubt, sie wäre für Größeres bestimmt, als sie ihr Stipendium an der OHSU in Portland erhalten hatte. Sie hätte sicher eine berühmte Herz- oder Gehirnchirurgin werden können. Das Zeug dazu hatte sie. Und doch war sie zurückgekehrt. Als Landärztin – und alleinerziehende Mutter.

Das Pochen über seiner Nasenwurzel nahm zu. Heute Abend, auf der Versammlung der Bergwacht in Thunder Creek, würde sie offiziell in die Bergrettung aufgenommen werden. Rick hatte sie endlich weichgeklopft. Ihre Entscheidung wunderte Max nicht. Sie passte zu ihr. Ihre Pflichten hatte sie schon immer ernst genommen. Besonders, wenn sie dadurch jemandem helfen konnte. In dieser Hinsicht ähnelte sie Josh.

Sie war sogar bereit, über ihren Schatten zu springen und mit ihm zusammenzuarbeiten, wenn es gut für die Bergwacht war. Max hatte eine Weile darüber nachgedacht und war sich nicht sicher, wie er das fand. Sie brauchten jemanden wie Sara im Team, aber Max befürchtete, dass sie auf Kurz oder Lang aneinandergeraten würden. Eigentlich ging Sara ihm aus dem Weg, seit sie vor einem halben Jahr in die Stadt zurückgekehrt war. Bisher hatten sie nicht mehr als zwei Dutzend Worte gewechselt, obwohl sie mit Alex und seinen Brüdern gut befreundet war. Shane betete sie und ihre kleine Tochter Alissa an. Wodurch eine merkwürdige Situation entstanden war, bei der Max das Gefühl hatte, dass alle auf Zehenspitzen um ihn herumschlichen, um ihn nicht zu sehr daran zu erinnern, dass er bei dieser Geschichte außen vor war.

Saras trug ihre Haare nicht mehr in einer wilden, kastanienbraunen Lockenmähne, die ihr früher fast bis zum Po reichte, sondern in einem kinnlangen Bob. Der Blick aus ihren himmelblauen Augen hingegen hatte sich nicht verändert. Sie hatte ihm nicht einmal im Ansatz verziehen, was vor zwölf Jahren geschehen war. Dabei war das, was er getan hatte, das Beste, das ihr hatte passieren können. Er hatte ihr die Chance gegeben, die Stadt zu verlassen und ihren Traum, Medizin zu studieren, zu verwirklichen. Er hatte vor zwölf Jahren keine ernsthafte Beziehung gewollt. Nicht mit ihr oder sonst jemandem. Er wollte überhaupt keine Beziehung. Damals nicht und heute noch viel weniger. Dafür war in seinem Leben einfach kein Platz. Schon gar nicht, seit Shane auf die Ranch gezogen war.

Saras Eintritt in die Bergwacht würde sicher nicht ganz einfach werden. Denn er war derjenige, der für die Ausbildung neuer Rekruten zuständig war und die Bereitschaftspläne aufstellte. Sie würden einen engen Kontakt halten müssen. Sehr eng. Max war sich nicht sicher, ob er damit klarkam. Aber was sollte er anderes tun? Er musste es zumindest versuchen.

Er trank einen Schluck Kaffee und starrte weiter auf den See. Sara war perfekt für den Job als Ärztin in der Bergwacht. Das war auch ihm klar. Sie war noch immer ein durch und durch fröhlicher Mensch. Und noch genauso mitfühlend, wie sie es schon als Kind gewesen war. Abgesehen davon wirkte sie reifer, erwachsener. Auch wenn man sie von Weitem nach wie vor für ein Mädchen halten konnte, war sie aus der Nähe ganz und gar Frau. Und Mutter. Sara hatte eine Durchsetzungskraft und Zähigkeit entwickelt, die er früher nicht von ihr gekannt hatte. Wahrscheinlich war das notwendig, wenn man als Ärztin in einer Notaufnahme bestehen wollte.

Max seufzte. Vielleicht konnte er seine Brüder überreden, vor der Sitzung noch ein Bier trinken zu gehen. Das half eventuell, ihn von diesen Gedanken abzulenken, die ständig um Sara kreisten.

Erst einmal musste er aber dafür sorgen, dass Shane seinen Teil der häuslichen Pflichten erfüllte. Er wartete, bis sein Neffe das nächste Mal, gefolgt von den Hunden, um die Hausecke schoss. »Hey, Shane. Vergiss nicht, das Holz einzustapeln. Wir müssen heute Abend zur Sitzung der Bergwacht, also holt Alex dich nachher ab. Bis dahin solltest du das erledigt haben, okay?«

Shane rollte mit den Augen und murmelte etwas von Sklavenarbeit.

»Kannst ja deine Freunde fragen.« Er wies mit dem Finger auf die Hunde. »Ob sie dir helfen. Ich gehe duschen. Bring dich in der Zwischenzeit nicht aus Versehen um, okay?«

Er beobachtete, wie sich Shane neben dem Hackklotz auf den Rücken fallen ließ und sich totstellte. Sofort stürzten sich die Hunde, in der trügerischen Hoffnung, den Kampf gegen den Kleinen gewonnen zu haben, auf ihn.

Max konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Shane war so normal, wie ein zehnjähriger Junge nur sein konnte. Und das war mehr, als sie noch vor ein paar Monaten zu hoffen gewagt hatten.

*

Sara fuhr gemeinsam mit Katie und Trish zur Sitzung der Bergwacht nach Thunder Creek. Trish und Katie waren keine Bergretter. Sie gehörten allerdings zu den Förderern und Unterstützern.

Trish war eine umwerfend attraktive Frau von über einem Meter achtzig. Sie war einige Jahre älter als Sara und hatte sich erst nach ihrem Weggang aus Lake Anna in der Stadt niedergelassen. Trish gehörte das Büchercafé, ein kleiner Buchladen mit einer gemütlichen Sitzecke, in dem man den besten Kaffee des gesamten Countys bekam. Nach ihrer Rückkehr hatte Sara die Frau sofort in ihr Herz geschlossen, was nicht nur daran lag, dass sie die Dealerin ihrer schwarzen Lieblingsdroge war. Trish war eine von vielen Bewohnern der Gegend, die ihre Vergangenheit hüteten wie einen Schatz und nicht bereit gewesen war, etwas über ihr Leben preiszugeben. Wie viele Menschen, die etwas verbargen, hatte ihr Verhalten Trish zu einem Menschen gemacht, der andere faszinierte und eine unausweichliche Anziehungskraft besaß. Besonders Männer umschwirrten sie wie die Motten das Licht – und waren allesamt abgeblitzt, bis ihr Marcus Parker begegnet war.

Sara hatte Trishs Geheimnis in dem Moment entdeckt, in dem sie das Büchercafé zum ersten Mal betreten hatte. Auch wenn sie ihr Haar inzwischen statt der ehemals wallenden platinblonden Lockenmähne in einem radikalen Kurzhaarschnitt trug, der ihr fantastisch stand, war dieses Gesicht unverkennbar. Mit großen Augen hatte Sara das ehemalige Model Diamond angestarrt. Sie hatte es gar nicht glauben können, dass es dieser Promi geschafft hatte, inkognito im Tal zu leben. Erst als sich Trish im Herbst hatte entscheiden müssen, ob sie weiter ihr Geheimnis hüten oder offen zu Marcus und seiner wundervollen Tochter stehen sollte, war sie über ihren Schatten gesprungen und hatte ihre Identität gelüftet. Und wie es in Lake Anna üblich war, hatten die Nachbarn den Umstand mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis genommen und waren dann wieder zum Alltag übergegangen.

Trish unterstützte die Bergrettung bei den Einsätzen mit Muffins und Keksen, die genug Zucker enthielten, um einem Retter wahrscheinlich über Tage Energie zu liefern.

Katie war, wie Sara, alleinerziehende Mutter und managte das Lake View Inn. Mit Katie war Sara schon befreundet, seit sie sich in der ersten Klasse nebeneinandergesetzt hatten. Erst im Jahr ihres Highschoolabschlusses hatten sie sich voneinander entfernt. Umso glücklicher war Sara, als Katie sie bei ihrer Rückkehr nach Lake Anna mit offenen Armen empfangen hatte. Im Gegensatz zu Trishs exotischer Schönheit war Katie mit ihrem glatten, blonden Haar und den bernsteinfarbenen Augen das hübsche Mädchen von nebenan. Jeans, Stiefel, ein fröhliches Lachen. Sie war der Inbegriff des all american girls.

Katie half ebenfalls bei der Versorgung der Bergrettung. Wenn die Truppe im Einsatz war, bereitete sie Sandwiches zu. Hin und wieder hatte sie bei besonders langwierigen Rettungs- oder Bergungsaktionen auch Unterkünfte für die Einsatzkräfte zur Verfügung gestellt.

Heute würden die Freundinnen Gebäck und Häppchen zur Sitzung beisteuern – und Sara moralisch unterstützen.

Ryan hatte sie am Nachmittag angerufen und gefragt, ob sie gemeinsam mit ihm und seinen Brüdern nach Thunder Creek fahren wollte. Sara hatte dankend abgelehnt. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen ziemlich intensiv mit der Bergrettung des Countys auseinandergesetzt und einige Dinge zu sagen, die Max sicher nicht schmecken würden. Da wollte sie nicht auch noch im selben Wagen wie er sitzen. Sie zog Katies und Trishs Gesellschaft vor. Auch wenn sie dadurch später nach Hause kam, weil nach der Veranstaltung erst noch die Überreste des kleinen Buffets eingesammelt werden mussten. Ein Umstand, den sie gern in Kauf nahm.

Das Treffen fand in der Turnhalle der Highschool statt. Helfer hatten Tische und Bänke aufgestellt. Rick Henderson, Max und die Leiterin der Suchhundestaffel saßen an einem Tisch, der quer vor den anderen stand, sodass sich niemand den Kopf verrenken musste, um sie sehen zu können. Neben Max saß sein Bruder Ryan, der Sheriff des Countys. Josh, der als normales Bergwachtmitglied beim Fußvolk – wie er es scherzhaft nannte – saß, hatte es sich neben Sara bequem gemacht.

Sie sah sich unauffällig im Raum um. Die meisten Gesichter kannte sie. Ein paar der jüngeren Mitglieder konnte sie nicht zuordnen. Sie waren wahrscheinlich erst nach ihrem Weggang aus Lake Anna in die Stadt gezogen.

Rick eröffnete die Sitzung und zog Saras Aufmerksamkeit auf sich. Er arbeitete seine Programmpunkte fast eine Stunde lang präzise der Reihe nach ab, bis er endlich beim letzten – ihr – anlangte. »Ich freue mich besonders, euch unseren kompetenten Zuwachs vorstellen zu dürfen.« Saras Herzschlag beschleunigte sich. Ihr Blick huschte von Rick zu Max’ Gesicht, der mit neutraler Miene an ihr vorbei an die hintere Wand der Turnhalle starrte. Sie schluckte und konzentrierte sich wieder auf Rick, der ihr aufmunternd zulächelte. »Ab sofort haben wir eine Ärztin im Team«, fuhr er fort. »Und zwar keine, die an Höhenangst leidet und uns in den Hubschrauber kotzt wie Doc Royce.«

Schallendes Gelächter brach aus und die gelöste Stimmung entspannte Sara ein wenig. Alec war sein erster und einziger Einsatz für die Bergwacht nicht besonders gut bekommen. Seitdem wurde er zum Opfer gutmütigen Spotts, sobald das Thema auf eine Felswand oder den Einsatzhelikopter zu sprechen kam. Als sich alle wieder beruhigt hatten, fuhr Rick fort.

»Wir wissen Doc Royces Engagement zu schätzen, und wir sind dankbar, dass er nach wie vor an der Einsatzbasis vor Ort sein wird, um zu helfen. Aber wir können uns glücklich schätzen, ab sofort eine weitere Ärztin an Bord zu haben. Eine, die in den Bergen aufgewachsen ist und sie wie ihre Westentasche kennt. Sie wird einen neuen, frischen Wind in die Bergrettung bringen. Macht euch auf etwas gefasst. Herzlich willkommen, Dr. Sara Cross.«

Die Anwesenden applaudierten und Sara erhob sich.

»Vielen Dank für den freundlichen Empfang«, sagte sie in den Lärm hinein und wartete, bis das Klatschen verebbte. »Dass ich die Berge wie meine Westentasche kenne, ist übertrieben. Wie die meisten von euch wissen, war ich zwölf Jahre weg. Aber ja, es stimmt, früher war ich viel in den Bergen unterwegs und ich freue mich, euch künftig unterstützen zu dürfen.« Sie warf Rick einen Blick zu. Er nickte sein Einverständnis über die Dinge zu sprechen, die sie im Vorfeld mit ihm durchgegangen war. Also gut. Auf in die Schlacht. Sie atmete tief durch »Die Erfolge der Bergwacht waren in den vergangenen Jahren sehr solide. Und doch gibt es einiges, an dem wir arbeiten müssen.«

Ein leises Rumoren zog durch den Raum.

»Und was soll das sein?« Max lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Natürlich, ging es ihr durch den Kopf, wer sonst suchte sofort die Konfrontation, statt sie überhaupt erst einmal ausreden zu lassen? Sara warf Max einen Blick zu und hob beschwichtigend die Hände. »Keine Angst, ich will die Bergrettung nicht umkrempeln. Doch es gibt einige Dinge, an denen wir arbeiten sollten. In erster Linie geht es um die medizinische Ausbildung der Mitglieder.«

»Wir haben alle einen Erste-Hilfe-Kurs«, erwiderte Max.

»Das ist richtig. Der Kurs ist ja auch Voraussetzung für die Bergrettung. Ich habe mir die Akten der einzelnen Bergretter angesehen. Scott Jebson zum Beispiel …« Sie nickte dem Mann zu. »… ist vor fünf Jahren dazugestoßen. Das heißt, sein Kurs liegt fünf Jahre zurück. Manche von euch hatten seit zwanzig Jahren keine Auffrischung ihrer Erste-Hilfe-Kenntnisse.« Sie ließ den Blick durch die Turnhalle schweifen. »Die Zeit ist nicht stehen geblieben. Es gibt neue Erkenntnisse in der Medizin. Wir können mit moderneren Geräten und Techniken arbeiten. Das ist aber nur möglich, wenn wir sie kennen und beherrschen. Deshalb ist eine neue Erste-Hilfe-Ausbildung unumgänglich.«

Die Leute im Saal schwiegen nachdenklich, bis auf Max. Er kniff die Augen gefährlich zusammen und runzelte die Stirn. Sie kannte ihn gut genug. Gleich würde er zum Angriff übergehen.

»Willst du uns sagen, wie wir die Bergrettung zu organisieren haben? Denn erstaunlicherweise haben wir das ohne dich jahrelang ganz gut hinbekommen.«

Die Debatte schien sich zu einem Streit zwischen ihr und Max zu entwickeln. »Ich rede euch nicht in die Organisation hinein, ich verbessere nur die medizinische Ausbildung der Einsatzkräfte.«

»Du bist gerade erst beigetreten.«

»Ja. Und ich wurde unter anderem deshalb in die Bergrettung geholt, um die Dinge zu verbessern, die in meiner Macht stehen. Das kommt uns schließlich allen zugute.«

Max stand auf. Auf diese bedächtige, gefährliche Art. Er erinnerte Sara an einen Puma, der sich langsam, aber tödlich seiner Beute näherte. »Das sehe ich anders.«

»Ach ja?« Sie stützte die Arme in die Hüften und funkelte ihn an. »Wann war denn dein letzter Kurs?«

»Darum geht es …«

»Ich kann es dir sagen. Vor acht Jahren.« Sara zwang sich, Max’ Blick standzuhalten, was zu einer Art stummen Kräftemessen ausartete.

Josh bemühte sich neben ihr, sich das Lachen zu verkneifen und Ryan stieß Max mit dem Ellenbogen gegen den Oberschenkel. »Setz dich wieder hin. Sie hat nicht unrecht«, zischte er.

Max ignorierte seinen Bruder. »Ich bin für die Ausbildung zuständig. An ihr gibt es nichts auszusetzen. Wir haben in den letzten vier Jahren keinen Mann am Berg verloren. Weder einen Retter noch einen in Not geratenen Bergsteiger oder Skifahrer.« Offenbar ging es Max ums Prinzip.

»Das stimmt. Die Ausbildung der Bergretter ist ja auch gut. Nur das medizinische Wissen und die Techniken, die wir einsetzen können, haben sich in den letzten Jahren radikal verbessert. Natürlich können wir stolz darauf sein, niemanden verloren zu haben. Aber es gab einen Fall, bei dem eine geborgene Person ihr Bein verloren hat. Was möglicherwiese zu verhindern gewesen wäre. Zweimal hatten Patienten mit einer lebensbedrohlichen Sepsis zu kämpfen«, zählte sie auf. »Von dieser Sorte gibt es noch ein paar Beispiele. Und wir sollten uns zum Ziel setzen, so etwas nach Möglichkeit künftig zu verhindern.«

»Sie hat recht. Wir könnten uns, verdammt noch mal, verbessern«, rief jemand von weiter hinten.

Max schnaubte abfällig.

Nun erhob sich auch Rick. »Ich habe mir schon Gedanken über Saras Angebot gemacht. Wir nehmen es an. Die Pläne und Termine sind bereits vorbereitet. Ich will, dass jeder von euch innerhalb eines halben Jahres einen Auffrischungskurs bei Dr. Cross belegt. Die Listen liegen hier vorn aus.«

*

Max kochte vor Wut. Was bildete sich dieser lockenköpfige Zwerg eigentlich ein, seine Ausbildung auf den Kopf zu stellen? Sie hatte sich schon mit Rick abgestimmt? Das war eine verdammte Frechheit! Max war sein Stellvertreter. Seine rechte Hand. Er hätte das mit ihm besprechen müssen. Mühsam beherrscht setzte er sich wieder hin, denn die Dr.-Sara-Cross-Show ging weiter.

»Ich habe die Akten aller Einsätze aus den vergangenen drei Jahren eingesehen.«

Natürlich hatte sie das. Frau Doktor war gründlich. War sie schon immer gewesen. Wütend trommelte Max mit den Fingern auf dem Tisch vor sich.

»Mir sind einige veraltete Techniken aufgefallen. Beim Transport. Beim Schienen. Es ist, wie bereits gesagt, meistens gut gegangen, aber es hätte auch anders enden können. Daran müssen wir arbeiten.« Sie sprach noch eine Weile darüber, wie sie die Dinge verbessern und modernisieren wollte. Immer mehr seiner Leute begannen, ihr bewundernde Blicke zuzuwerfen. Wunderbar. Im null Komma nichts zog sie seine Mannschaft auf ihre Seite und wickelte sie um den kleinen Finger. Das machte Max wirklich sauer. Erst ließ sie sich ein halbes Jahr lang bitten, und dann übernahm sie in einem Wimpernschlag den Laden.

Er sagte nichts mehr, auch wenn es in ihm brodelte wie in einem Vulkan. Es war nicht seine Art, sich – wie gerade eben – öffentlich auf ein Streitgespräch einzulassen. Er wartete ab, bis die Sitzung beendet war. Dann bat er Rick in einen Nebenraum und sagte ihm, was er von Saras Ideen hielt.

»Falsch«, antwortete Rick, den er bis gerade eben als loyalen Freund betrachtet hatte. »Ich finde die Idee fantastisch. Sara übernimmt die Ausbildung unserer Leute sogar kostenlos. Und sie hat mir Gesundheitschecks für alle Mitglieder der Bergwacht angeboten. Das werde ich annehmen.« Er stieß Max mit dem Finger in die Brust. »Und du wirst allen zeigen, wie toll du die Idee findest, und dich als Erster von ihr untersuchen lassen.« Mit diesen Worten machte Rick auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.

»Dass du dich da mal nicht geschnitten hast«, murmelte Max. Auf keinen Fall würde er sich von Sara Blut abnehmen lassen, damit sie sich über seine Nadel-Phobie lustig machen konnte. Ja, er hasste Nadeln. Zumindest, wenn sie in seinem eigenen Arm steckten. Das war kein Verbrechen. Aber diese Blöße würde er sich vor Sara ganz bestimmt nicht geben.

Glücklicherweise hatte er im vergangenen Jahr einen kompletten Gesundheitscheck bei Alec machen lassen. Das war eine der Voraussetzungen für Shanes Vormundschaft gewesen. Dr. Sara Cross konnte ihm gestohlen bleiben.

Kapitel 2

Sara impfte den Forstarbeiter, der mit blassem Gesicht vor ihr saß, gegen Tetanus. Was war das nur mit den Männern? Sie spielten mit riesigen Motorsägen herum und fällten Bäume, die so dick waren, dass sie nicht um sie herumfassen konnten, aber wenn sie sich verletzten, genäht werden mussten und eine winzige Spritze bekommen sollten, kippten sie aus den Latschen.

Sie tupfte die Einstichstelle ab und klebte ein kleines Pflaster auf. »Bleiben Sie einen Moment sitzen, Walt. Schwester Lynn holt Sie gleich ab.« Die Latexhandschuhe schnappten, als sie sie von den Händen zog. Sie warf sie in den Müll, klemmte sich die Patientenakte unter den Arm und verließ das Behandlungszimmer.

Der Tag war ruhig angelaufen. Im Wartezimmer hatten drei Patienten Platz genommen, und Walt, der in einem der Forstbetriebe im Tal arbeitete, war bisher der einzige Notfall. Sie hatte sich erstaunlich schnell in die Routine der Praxis eingelebt. Alec war ein angenehmer, ruhiger Mann, der ihr den Einstieg leicht gemacht hatte. Er war vor drei Jahren der Partner ihres Vorgängers, Dr. Burke, geworden. Dem Arzt, den es in Lake Anna gegeben hatte, solange Sara zurückdenken konnte. Er hatte oft davon gesprochen, sich zur Ruhe zu setzen und seine Zeit mit Angeln und Wandern zu verbringen. Keiner hatte ihm geglaubt. Umso erstaunter waren die Einwohner des Städtchens gewesen, als er seine Ankündigung im vergangenen Jahr wahr gemacht hatte.

Für Sara hätte sie zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, denn der alte Arzt hatte seine Stelle nur zu gern an sie abgetreten und seine geliebte Praxis und die Patienten, die er jahrzehntelang betreut hatte, vertrauensvoll in ihre Hände gelegt.

Von außen sah die Praxis aus wie alle Gebäude am Lake View Drive. Charmant altmodisch und gemütlich. Auf diese ganz spezielle Art Retro, die Lake Anna so liebenswert machte. Innen war alles hell und freundlich. Die Behandlungsräume waren modern, das Wartezimmer in beruhigendem Blaugrau gestrichen. Mehrere Krankenzimmer gaben ihnen die Möglichkeit, Patienten zur Beobachtung über Nacht dazubehalten, ohne sie sofort ins Krankenhaus nach Thunder Creek einliefern zu müssen.

Hier zu arbeiten, war ein Segen. Nicht zu vergleichen mit dem rasenden Puls und den hektischen Entscheidungen der Notaufnahme in Portland, in der sie sich aufgerieben hatte.

Lynn stand an der Rezeption und telefonierte. Sie drehte sich nach ihr um und winkte sie heran. »Einen Augenblick, Dr. Cross kommt gerade.« Sie legte eine Hand über die Sprechmuschel. »Miss Summers. Sie will Sie unbedingt sprechen.«

»Danke.« Sara nahm den Hörer entgegen. »Lassen Sie Walt noch einen Moment im Behandlungszimmer sitzen. Er ist etwas wacklig auf den Beinen«, sagte sie zu Lynn und meldete sich dann. »Dr. Cross.«

»Sara! Gott sei Dank erreiche ich dich.« Alex klang aufgeregt.

»Was ist los?«

»Die Schule hat angerufen. Ich musste Shane abholen. Stell dir vor, sie schließen die Schule. Windpocken. Die Hälfte der Schüler hat sich bereits angesteckt. Sie haben alle nach Hause geschickt.«

Sara hörte, wie Alex aus dem Wohnzimmer ihrer Hütte nach draußen ging und die Verandatür hinter sich zuzog.

Leise sprach die Freundin weiter. »Ich weiß nicht, ob Shane die Windpocken schon hatte. Ich habe ihn gefragt. Er kann es mir nicht sagen. Was soll ich tun? Solche Dinge müssen wir doch wissen, oder?« In der Stimme ihrer Freundin schwang eine leichte Panik mit, die Sara von der Anwältin so nicht kannte. Alex hatte es vor einem halben Jahr nach zwei herben Schicksalsschlägen nach Lake Anna verschlagen. Arbeitslos und auf der Suche nach sich selbst war sie als Nanny für Shane eingesprungen. Max, Josh und Ryan Bennett, die nicht so richtig gewusst hatten, wie sie mit dem Sohn ihrer verstorbenen Schwester umgehen sollten, hatten Alex viel zu verdanken. Sie hatte es nicht nur geschafft, eine Beziehung zu Shane aufzubauen. Sie hatte auch die Vormundschaft für die Bennetts durchgeboxt. Nach einem Vierteljahr im Tal hatte sie ihre eigene Kanzlei in Lake Anna eröffnet und sich ganz nebenbei Josh geschnappt, der sie in diesem Herbst heiraten wollte.

Alex kümmerte sich nach wie vor um Shane, wenn er aus der Schule kam. Obwohl sie keine Erfahrung mit Kindern gehabt hatte, machte sie ihre Sache gut. Nur manchmal – wie in diesem Moment – schien sie an ihre Grenzen zu stoßen.

»Beruhige dich erst einmal, Alex.« Sara klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und suchte Shanes Krankenakte aus dem Karteischrank. Sie war dünn, zu dünn. Und begann vor genau einem halben Jahr. Mist, keine älteren Angaben. »Ich habe nichts zu Shane, aber mach dir keine Sorgen, ich werde mich darum kümmern. Behalte ihn einfach im Auge. Wenn sich nicht in den nächsten achtundvierzig Stunden die ersten Symptome zeigen, dürfte er davongekommen sein.«

»Okay.« Alex atmete tief durch. »Ich klinge wahrscheinlich ziemlich hysterisch.« Sie lachte leise. »Aber das ist alles noch so neu. Ich muss mich erst daran gewöhnen.«

»Das wirst du. Glaub mir. Wenn noch etwas ist, ruf wieder an. Ansonsten machen wir jetzt die Leitung frei. Wenn die Windpocken ausgebrochen sind, bekommen wir vermutlich gleich jede Menge Arbeit.«

»Ja. Alles klar. Und … danke, Sara.«

»Keine Ursache. Wir sehen uns.«

Zwei Tage hatten sie in der Praxis alle Hände voll zu tun. Es hatte eine Menge Schüler erwischt. Sie hatten sich um das leichte Fieber ihrer kleinen Patienten gekümmert. Die Kopf- und Gliederschmerzen behandelt und Cremes verschrieben, die den Juckreiz stillten. Inzwischen war der Ansturm auf die Praxis aber abgeebbt und die Kinder wurden zu Hause gepflegt. Für Sara und Alec bedeutete das, dass sie wieder ihre übliche Arbeitsroutine aufnahmen.

Sara waren an diesem Tag die Hausbesuche zugefallen und sie war gerade auf dem Rückweg von einer der abgelegenen Farmen, als sie an der Bennett-Ranch vorbeifuhr. Spontan entschied sie, dass dieser Zeitpunkt so gut wie jeder andere war, um das Problem um Shanes Krankenakte in Angriff zu nehmen. Sie riss das Lenkrad herum und fuhr auf den Hof. Einen Moment blieb sie im Wagen sitzen und ließ den Blick schweifen. Hier war alles noch genauso wie in ihrer Kindheit. Das Ranchhaus aus grauen Flusssteinen, mit der weißen Veranda und weißen Fensterläden, erhob sich majestätisch wie eh und je über das Anwesen. Sie konnte das Innere blind beschreiben. Die große, behagliche Küche, der riesige Flusssteinkamin im Wohnzimmer, die glänzenden Dielenböden mit den bunten Teppichen. Die Holztreppe, die an der vierten Stufe knarrte. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich sogar an den Geruch im Haus erinnern.

Ihr Blick wanderte weiter. Der Pferdestall konnte einen neuen Anstrich vertragen, aber die Scheune war in tadellosem Zustand. Max hatte die Ranch offensichtlich gut im Griff. Sara verdrehte die Augen über diesen Gedanken. Sie kamen nicht besonders gut miteinander aus, aber Max war schon immer ein fantastischer Rancher gewesen, dem viel an seinem Land und seinem Betrieb lag.

Statt noch länger ihren Gedanken nachzuhängen, stieg Sara aus und atmete den Geruch ihrer Jugend ein. Pferde, Heu und der See, der nur wenige Meter entfernt gegen den hölzernen Steg schwappte. Auf der Koppel zählte sie drei Fohlen, die übermütig um die Wette sprangen. Bei dem Anblick lächelte sie. Alissa hatte ihr schon von dem vierbeinigen Nachwuchs vorgeschwärmt. Pferde lagen auf ihrer Beliebtheitsskala direkt hinter Hunden.

Im Haus und im Stall war niemand. Schließlich entdeckte sie Max in der Scheune. Er gabelte Heu vom Heuboden nach unten, bekleidet mit Jeans und T-Shirt, die beide schon bessere Zeiten gesehen hatten, aber das Spiel seiner Muskeln regelrecht betonten, als er die Heugabel schwang. Sara schluckte, als ihr bewusst wurde, dass sie Max anstarrte, und riss den Blick von ihm los. Doch er hatte sie bereits bemerkt. Einen Moment hielt er inne und starrte sie aus drei Metern Höhe an, dann legte er wortlos die Gabel zur Seite und kletterte zu ihr herunter.

Kaum berührten seine Stiefel den Boden, griff er nach einem Flanellhemd, das er neben eine Schubkarre geworfen hatte, und zog es über. Sara atmete vorsichtig aus. Jetzt, wo sie nicht mehr auf das enge T-Shirt starren musste, das seine muskulösen Schultern und den flachen Bauch betonte, konnte sie sich wieder auf den Grund ihres Besuches konzentrieren.