Legends of Askja 2. A Melody of Salt and Tears - Amy Erin Thyndal - E-Book

Legends of Askja 2. A Melody of Salt and Tears E-Book

Amy Erin Thyndal

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Liebe ist die stärkste Waffe Das Inselkönigreich Askja ist nun durch eine magische Barriere geschützt, doch der Frieden hat einen hohen Preis. Nur die Sirenen können den Schutzzauber durchqueren, weshalb Adelaide es als ihre Aufgabe ansieht, das verfeindete Kaiserreich Myredal zu überwachen. Nach dem Tod ihrer Königin stehen nicht alle Sirenen hinter dem Bündnis mit den Askjern: Der Sirenenrat fordert blutige Rache. Im verzweifelten Versuch, den drohenden Krieg abzuwenden, nimmt Adelaide den Admiral Marcus gefangen, um mehr über die Pläne Myredals zu erfahren. Dabei erfährt sie nicht nur, dass diese einen Weg gefunden haben, die Barriere zu durchqueren, sondern auch, dass selbst ein magiehassender Seemann wie er dem Zauber einer Sirene erliegen kann - und umgekehrt… Legends of Askja 2. A Melody of Salt and Tears: Eine spicy Romantasy in einer faszinierenden Fantasywelt - Magie, Intrigen und verbotene Gefühle: Packende New-Adult-Romance über eine verführerische Sirene im Kampf um ihr Inselkönigreich. - Zwischen Loyalität und Liebe: Bei der Schlacht gegen das Kaiserreich Myredal nimmt die Sirene Adelaide den Admiral Marcus gefangen und verliebt sich in ihn. - Fesselnd und romantisch: Eine mitreißende Fantasy Romance mit den beliebten Tropes "forbidden love" und "morally grey characters". - Band 2 der Erfolgsreihe "Legends of Askja": Der spicy Roman begeistert alle New-Adult-Leser*innen, die gerne ihr Herz an den Feind verlieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Das Inselkönigreich Askja ist nun durch eine magische Barriere geschützt, doch der Frieden hat einen hohen Preis. Nur die Sirenen können den Schutzzauber durchqueren, weshalb Adelaide es als ihre Aufgabe ansieht, das verfeindete Kaiserreich Myredal zu überwachen. Nach dem Tod ihrer Königin stehen nicht alle Sirenen hinter dem Bündnis mit den Askjern: Der Sirenenrat fordert blutige Rache. Im verzweifelten Versuch, den drohenden Krieg abzuwenden, nimmt Adelaide den Admiral Marcus gefangen, um mehr über die Pläne Myredals zu erfahren. Dabei erfährt sie nicht nur, dass diese einen Weg gefunden haben, die Barriere zu durchqueren, sondern auch, dass selbst ein magiehassender Seemann wie er dem Zauber einer Sirene erliegen kann – und umgekehrt …

Amy Erin Thyndal

A Melody of Salt and Tears

 

 

 

Für alle, die das Meer lieben, und auch für die, die es am liebsten lesend am Strand genießen. Dieses Buch ist für euch.

Tödlich wie die See

Adelaide

Der magische Sturm um Askja ist undurchdringlich.

Blitze zucken durch den dichten Nebel, der die Eisinsel umgibt. Regen peitscht auf die Wellen, deren Höhe den Bergen des Firnisgebirges Konkurrenz macht. Kein Schiff dieser Welt könnte diese Barriere jemals bezwingen.

Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich mich wie jede Woche versichere, dass meine Freundinnen auf der Insel sicher sind. Über ein Jahr ist vergangen, seit wir den Sturm errichtet und Myredal aus unseren Leben verbannt haben. Doch noch wage ich es nicht, mich sicher zu fühlen, denn dem Kaiserreich ist nicht zu trauen. So überprüfe ich immer wieder den Sturm und patrouilliere die früheren Schiffsrouten der Menschen, obwohl die anderen Meertöchter mich deswegen für verrückt halten.

Auch diese Woche ist bei Askja alles in Ordnung, also lasse ich mich zurück ins Meer sinken. Die kräftigen Schläge meiner goldenen Schwanzflosse katapultieren mich voran, als ich mich auf den Weg zum Palast unter den Wellen mache, in dessen Nähe ich lebe.

Aber ich schaffe es nicht mal bis zum Meeresgrund, bis ich spüre, dass etwas nicht stimmt. Das Korallenriff unter mir ist wie ausgestorben, die normalerweise neugierig umherschwimmenden Fische verschwunden. Ein weißer Hai löst sich aus der Tiefe und schnellt zielstrebig an mir vorbei Richtung Osten.

Stirnrunzelnd blicke ich ihm nach, konzentriere meine Sinne auf das Meer.

»Bei allen Meeresströmungen«, fluche ich, als ich mit meiner Magie die Bedrohung im Wasser erspüre. Ein weiterer künstlicher Sturm, der nur eines bedeuten kann: ein Angriff auf ein Menschenschiff.

Wieder katapultiere ich mich mit meiner Schwanzflosse voran, folge dem Hai. Das Meer wird kälter, dunkler. Der Abgrund wird tief genug für große Schiffe, wie die Menschen vom Kontinent sie verwenden. Wellen türmen sich an der Wasseroberfläche über mir, Blitze zucken über den Himmel, und in der Strömung nehme ich die verstörten Rufe meiner Schwestern wahr.

Ein paar weitere Flossenschläge, und ich entdecke das Schiff. Von hier unten wirkt es bereits gigantisch: Der hölzerne Rumpf ist länger als der größte Riesenkalmar, der Schwung des Bugs deutet an, dass es über der Wasserlinie weit in die Höhe geht. Zahlreiche Marinas stechen mit ihren Speeren auf das Holz ein, doch die glatte Außenhülle gewährt kein Durchkommen. Sirenen schwimmen an mir vorbei, die Augen voller Furcht, einige verletzt. Vereinzelt tragen sie Männer mit sich, die sich gegen ihre Umarmung wehren, wie es kein Mensch beim süßen Wassertod können sollte. Was mich am meisten erschreckt, sind die Nixen und Novizinnen, die um mich herumschwimmen, sich am Kampf beteiligen. Selbst Meertöchter, die noch lange vom Ritual entfernt sind, tragen Speere in der Hand. Stechen auf das Schiff ein und weichen währenddessen den Kanonenkugeln und Pfeilen aus, die von oben aufs Wasser prallen.

Nicht allen gelingt es.

»Hilf ihr«, fahre ich eine an mir vorbeischwimmende Marina an und deute auf eine Novizin, die bewusstlos in die Tiefe sinkt. Schwarze Schlieren ihres Bluts ziehen sich durchs Wasser.

Erst scheint die Marina widersprechen zu wollen, dann mustert sie mich und meinen goldenen Armreif genauer. Sie besinnt sich eines Besseren und taucht zu der Bewusstlosen. Hinter ihr entdecke ich weitere Meertöchter, die Hilfe benötigen, doch es bleibt keine Zeit dafür: Die Verluste werden sich nur vergrößern, je länger diese Schlacht andauert. Deshalb zwinge ich mich dazu, abzudrehen und zur Oberfläche zu schwimmen. Mitten in den Sturm, in den Kampf.

Als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbricht, weiche ich prompt einem Pfeil mit Messingspitze aus, der an mir vorbeizischt. Der Blick zum Schiff lässt mich nach Luft schnappen, denn die Fregatte ist größer als alles, was mein Volk zu Bestzeiten angegriffen hat. Schlimmer noch, die Soldaten auf dem Schiff wirken weder verängstigt noch betört. Am Steuer entdecke ich einen Seemann, der entschlossener scheint denn je, während um ihn herum Männer zielsicher übers Schiff marschieren. Kanonen beladen, die Segel sichern. Bogenschützen richten ihre Waffen auf mich und die Sirenen, die um das Schiff herumschwimmen. Einige Meertöchter singen, spinnen ihren Zauber, doch er entgleitet ihnen immer wieder, wenn sie einem Schuss ausweichen und untertauchen müssen. Marinas schleudern Speere nach den Segeln, doch die Fregatte ist viel zu hoch, um das Tuch mit einem Wurf aus dem Wasser zu erreichen. Links von mir thronen drei Sirenen auf einem Stein im Wasser, die Hände zum Himmel gerichtet. Eine von ihnen ist Sirene Ilona. Die Worte, die aus den Mündern der drei kommen, sind der einzige Grund, warum um mich herum überhaupt noch gekämpft wird. In der Sprache der Magie strömt die Macht aus ihnen, bringt die Luft zum Vibrieren. Sie lenken den Sturm, beschwören die meterhohen Wellen, mit denen das Schiff ringt. Rufen die Blitze, von denen im nächsten Augenblick einer in den Hauptmast der Fregatte einschlägt.

Die alarmierten Rufe der Seemänner lassen mich Hoffnung schöpfen, doch sie ist nicht von Dauer. Der Mast hält, seine verkohlte Spitze bremst das Schiff kaum ab. Unbeirrt hält die Fregatte auf die drei Sturmsängerinnen zu, eindeutig mit dem Vorhaben, sie und ihren Einfluss auf das Wetter auszulöschen. Die nächste Salve Kanonen feuert, und eine Marina wirft sich vor die Sirenen, um sie zu schützen, sinkt jedoch selbst getroffen zurück ins Wasser. Offensichtlich enthalten auch die Kanonen das gefährliche Messing, das vom Festland inzwischen in all seine Waffen eingearbeitet wird.

Wieder ducke ich mich unter einem Pfeil hinweg. Um mich herum herrscht Blutvergießen. Das schwarze Blut meiner Schwestern färbt die Wellen, die gegen das Schiff schlagen. Kaum ein Seemann steht unter unserem Bann. Eine verlorene Schlacht. Ein Massaker an meinen Schwestern, an meinem Volk.

So viel Sterben, und das ohne Zweck. Meine Schwestern werden unnötig in den Tod geschickt. Aus Erfahrung weiß ich, dass sie dies Ilona zu verdanken haben. Doch ohne sie und die anderen Sturmsängerinnen sind wir alle verloren.

Sie zur Rede zu stellen, muss warten.

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, meine Schwestern zu retten: Ich muss mich dem Kampf anschließen.

Meine Stimme ist hell und klar, als ich beginne, zu singen. Wie ein Glockenschlag klingt mein Ruf durch den Sturm, übertönt den Wind, die Wellen, die Gischt. Mit jedem Wort des uralten Lieds webe ich den Zauber, der mir in die Wiege gelegt worden ist. Singe von Sehnsucht, von Träumen, von Leidenschaft. Die Melodie legt sich über das Schiff wie ein Netz aus Wünschen und Begehren, das die tiefsten Begierden der Menschen anspricht. Die Magie darin dringt übers Wasser in die Herzen der Seeleute. Selbst der dichteste Teer in ihren Ohren kann meine Stimme nicht fernhalten, als ich ihnen meinen Willen aufzwinge. Gezielt fokussiere ich mich auf das Dutzend Bogenschützen und Kanoniere, webe meine noch unverbrauchte Magie um sie. Während die Menschen an den Segeln und Tauen alarmiert ihre Kollegen warnen, lassen die Angreifer die Kanonenkugeln fallen, die Bögen, die Pfeile. Ohne Zögern findet ihr Blick mein Gesicht, meine Lippen. Die durch meine Schuppen kaum verhüllten Brüste, deren Ansätze unter den Wellen erkennbar sind. Das Verlangen in ihren Augen ist unübersehbar.

Es ist egal, wer sie einst waren, was sie einst wollten. Die Menschen kennen nur noch einen Wunsch: für mich zu sterben. Die Angriffe auf meine Schwestern lassen nach, als die Seemänner einer nach dem anderen zum Bug laufen. Ein letzter Blick zu mir, die Vergewisserung, dem Objekt ihrer Begierde näher zu kommen. Ihr Verlangen ist zu stark für Widerstand, und sie springen.

Mein Gesang übertönt das platschende Geräusch, als sie im Wasser ankommen. Ab hier übernehmen meine Schwestern den Rest. Wie ein aufgeregter Fischschwarm drängen sie zu ihrer Beute, fassen die Männer, um sie mit sich zu ziehen. Einige nehmen ihre Leben gleich hier, während andere die Männer fortbringen.

Die ausbleibenden Angriffe ermöglichen es den Sturmsängerinnen, ihre Magie zu bündeln. Das Unwetter wird stärker, Blitze schlagen auf dem Schiff ein. Einer trifft erneut den Mast, dessen Spitze absplittert. Neue Matrosen heben die fallen gelassenen Waffen auf, aber noch immer singe ich, konzentriere mich auf die nächsten und fordere alles von den Menschen auf diesem Schiff. Die hohen Wellen spielen mit dem Schiff, schleudern einige unvorsichtige Seemänner ins Wasser. Weitere Sirenen stimmen in meinen Gesang mit ein, das gemeinsame Lied vervielfacht unsere Magie. Sie betören jene, die sich meinem Griff entziehen, bis wir schließlich die gesamte Mannschaft unter Kontrolle bringen.

Der Mann am Steuer widersteht am längsten. Als er bemerkt, dass seine Kameraden das Schiff verlassen, blickt er wild um sich, ruft ihnen Dinge zu. Ohne das Steuer loszulassen, packt er einen am Arm, der wie in Trance an ihm vorbeigeht. Versucht, ihn aufzuhalten. Erfolglos, denn wir entlassen keinen aus unserer Magie, zwingen ihn, sich loszureißen, bis er im kalten Meerwasser ist. Der Steuermann versucht es beim Nächsten, doch gegen den Zauber, der inzwischen aus unzähligen Sirenenmündern erklingt, hat er keine Chance. Er fährt sich durch die kurzen dunklen Haare, fleht, doch es nützt ihm nichts. Bald ist er der einzige Mensch auf dem Schiff, und ich konzentriere all meine Bemühungen auf ihn. Endlich lässt er das Steuer los, doch statt seinen Kameraden zu folgen, läuft er zu einem am Boden liegenden Bogen und hebt ihn auf. Beinahe lache ich, als er einen Pfeil aufspannt und auf mich zielt. Glaubt er, das wird ihn retten?

Gleichzeitig wundert es mich, dass er sich so lange gegen meine Magie sträubt, und das erfolgreich. Gerade, als er den Pfeil abschießen will, verändert sich sein Gesichtsausdruck. Er wankt zur Seite und der Schuss geht ins Leere.

Der Sturm der Sängerinnen hinter mir hat nun volle Kraft, ihre Magie konzentriert sich vollständig auf den Wind und die Wellen. Das Meer tobt immer stärker, und just in dem Augenblick, als ich den Mann am Steuer betöre, trifft eine riesige Welle das Schiff. Ich höre Holz krachen, knarzen, ächzen. Die Fregatte lehnt sich bedrohlich zur Seite, kämpft um ihr Gleichgewicht – und verliert.

Gefährlich wie der Sturm

Adelaide

Marinas rufen Warnungen in den Sturm, weichen dem Schiffsrumpf aus. Die Planken brechen, als die Fregatte seitlich auf die Meeresoberfläche prallt. Masten zersplittern, und die Segel werden schlaff. Das Gewicht des Schiffes löst eine Flutwelle aus, angesichts derer die Nixen und Novizinnen untertauchen. Der Hai, der mich begleitet hat, nutzt die Gelegenheit, um mit voller Kraft das Schiff zu rammen. Mehr braucht es nicht, um den Schiffsrumpf endgültig zu zerstören und das Schiff entzweizubrechen. Einige letzte Seemänner, die sich im Inneren des Schiffes an den Kanonen befanden, schreien entsetzt auf. Ihr Protest ist kurzweilig, denn die anwesenden Sirenen betören sie sofort. Blut färbt das Wasser, als der Hai seinen Tribut einfordert, während die Einzelteile der Fregatte sich langsam mit Wasser füllen.

Die Schlacht ist gewonnen. Ich lasse die Melodie aus meiner Kehle verebben, sinke erleichtert zusammen, als der Kraftstrom versiegt. Mit Genugtuung beobachte ich, wie Fässer und Männer versinken. Der geteerte Rumpf treibt noch für einen Augenblick oben auf, bis auch er den Kampf gegen die Wellen verliert.

»Wir hatten alles unter Kontrolle«, vernehme ich die aufgebrachte Stimme Ilonas, die ihren Stein verlassen hat und zu mir geschwommen ist.

Mit einem Schnauben mustere ich die Wunden an ihrer Schulter und ihrem Ohr, wo sie Pfeile gestreift haben müssen. Dann blicke ich bedeutungsschwer um uns herum auf das blutgetränkte Wasser. Die rote Farbe menschlichen Blutes herrscht nicht vor, sondern das Schwarz der Meertöchter, die in dieser Schlacht verletzt wurden. Doch bevor ich über Ilonas falsche Arroganz spotten kann, entdecke ich einen goldenen Schimmer an der Hand eines Mannes, der sich verzweifelt an den Schiffsmast klammert.

»Algenpest«, fluche ich und tauche unter, ohne Ilona eines weiteren Wortes zu würdigen.

Stattdessen schlage ich mit meinem Fischschwanz, so schnell ich kann. Ich schieße durchs Wasser, schwimme unter den Wellen hindurch und weiche Meertöchtern wie Wrackteilen aus, um den Mann zu erreichen. Das dunkle Haar weist ihn als denjenigen aus, der zuvor am Steuer stand und sich mir am längsten widersetzte. Sich nie meinem Zauber ergeben hat, wie mir klar wird, als ich näher komme und den breiten goldfarbenen Ring erkenne, der seinen Finger schmückt. Diesen Farbton würde ich immer wiedererkennen, auf jede Entfernung, bei jedem Licht. Viel zu lange wurde ich damit gefangen gehalten …

Der Ring des Steuermanns ist aus Messing, dem Metall, das jegliche Magie blockiert und einer Sirene wie mir somit alle Kräfte nehmen kann. Messing, ein Material, das schwierig herzustellen ist und das die Menschen zwar in geringer Menge in ihre Waffen einarbeiten, aber selten in reiner Form verwenden. Noch nie habe ich es an einem Matrosen entdeckt. Wenn die Menschen auf dem Kontinent genügend davon hätten, um ihre Seeleute vor uns zu schützen, würden sie alle damit ausstatten, um nie wieder einen der Ihren an uns Sirenen zu verlieren. Doch dieser Mann, der vor mir mit den Wellen gegen das Ertrinken kämpft, ist seit meiner Gefangenschaft in Ask vor über einem Jahr der erste Mensch, den ich damit sehe.

Diese Fregatte war kein gewöhnliches Schiff, dieser Mann kein gewöhnlicher Matrose. Es steckt mehr hinter unseren heutigen Gegnern, und ich muss herausfinden, was.

Kurz bevor ich ihn erreiche, wird der Mann mit dem Messingring von der nächsten Welle verschluckt. Wenige Ellen vor mir sinkt er in die Tiefe, rudert verzweifelt mit den Armen. Ohne Erfolg. Der untergehende Schiffsrumpf übt einen Sog aus, dem auch ich schwer widerstehen kann. Die Strömung will uns in die Tiefe zerren, doch ich packe den Mann am Arm und schlage mit der Schwanzflosse, um ihn zurück an die Luft zu ziehen.

Meine Berührung reißt ihn aus dem Überlebenskampf. Der Seemann öffnet die Augen, erkennt mich und beginnt nun, statt auf das Wasser auf mich einzuschlagen. Kurz bin ich versucht, meinen Verführungszauber auf ihn zu wirken, doch das Messing macht meine Magie wirkungslos. Stattdessen vermeide ich tunlichst den direkten Kontakt zu dem Metall, während ich mittels meiner Magie Kraft aus dem Meer ziehe, um ihn festzuhalten. Ich drehe ihm die Arme auf den Rücken und mache ihn bewegungsunfähig, bevor ich uns wieder an die Oberfläche des Meeres trage.

Als wir die Wellen durchbrechen, hat sich der Sturm bereits gelegt. Statt düsteren Wolken strahlt die Sonne auf die Wrackteile, die im ruhigen Wasser treiben. Von der einst stolzen Fregatte sind nur noch Holzplanken übrig, nachdem meine Schwestern alles von Wert geplündert und die Seemänner mit sich in die Tiefe gezogen haben. Ilona und die anderen Meertöchter haben den Ort der Schlacht verlassen. Ich entdecke den Hai, der sich gerade ebenfalls auf den Rückweg ins Korallenriff macht. Zurück bleiben ich und der fremde Matrose, der sich in meinem Griff windet. Nach Luft schnappend versucht er, sich die nassen Haare aus dem Gesicht zu schütteln, doch die braunen Strähnen kleben ihm auf der Haut und in den Bartstoppeln.

»Lass mich los, Dämon!«, fordert er und zerrt an meinem Griff, der stählern bleibt.

Statt auf seine Worte einzugehen, frage ich ruhig: »Wer bist du?«

Der Seemann spuckt verächtlich ins Wasser. »Dir werde ich nichts verraten. Beende es, Teufelsweib.«

Seine Beleidigungen werden ja immer kreativer.

»Es beenden?«, echoe ich spöttisch. »Todessehnsucht, Kapitän?«

Der Mann zuckt zusammen. Weil ich ihn als Kapitän bezeichnet habe? Da er am Steuer des Schiffes stand, liegt die Vermutung nahe, dass er einen hohen Rang bekleidet.

»Töte mich!«, bestätigt er. »Lieber wähle ich den Tod, als einen Moment länger in der Gegenwart des Bösen zu verbringen.«

Ganz schön melodramatisch. Trotz der Beleidigung muss ich grinsen.

»Vielleicht hat das Böse andere Pläne mit dir«, gurre ich, woraufhin der Seemann erstarrt. »Lebend nützt du mir sicherlich mehr als tot.«

Von der Drohung ist er kurz abgelenkt, und ich nutze den Augenblick, um seine beiden Arme mit einer Hand zu fixieren. So kann ich ihm endlich den Messingring abstreifen. Die Berührung mit dem Metall blockiert auf einen Schlag meine Verbindung zur Magie. Es fühlt sich grässlich an, zu wissen, dass ich mich so nicht verwandeln könnte, keine Macht über den Sturm oder das Meer hätte. Nicht mehr eins mit den Wellen zu sein oder die Harmonie der See zu spüren wie einen zweiten Herzschlag.

Sobald ich den Ring über den Finger des Matrosen gezogen habe, lasse ich das Schmuckstück angewidert fallen. Soll es im Meeresabgrund unter uns verrotten.

»Nein!«, klagt der Matrose, versucht, das fallende Metall aufzufangen, doch es ist längst zu weit weg. Vehement wehrt sich der Seemann gegen meinen Griff, und diesmal lasse ich ihn gewähren. Mit einem kräftigen Stoß löst er sich von mir, während ich bereits meinen Zauber um ihn spinne. Er macht einige verzweifelte Schwimmzüge, während ich beginne, zu singen. Erneut erklingt mein Lied der Sehnsucht, der Leidenschaft. Die Bewegungen des Matrosen werden langsamer, während er gegen meinen Zauber ankämpft. Ich zwinge ihm meinen Willen auf, bringe ihn dazu, sich langsam zu mir umzudrehen. Er tritt Wasser, während er mich mit entschlossenem Blick ansieht, der immer wieder von meiner Magie verklärt wird. Noch bemüht er sich, mir zu widerstehen, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis mein Lied ihn überwältigt. Seine Wehrhaftigkeit überrascht mich, bis mein Blick auf den golden schimmernden Dolch in seinem Gürtel fällt.

Bevor ich dem auf den Grund gehen kann, taucht eine Novizin neben mir auf, was mich verstummen lässt. Ihr Fischschwanz glänzt unter der Wasseroberfläche, während sie dem Seemann einen irritierten Blick zuwirft.

Respektvoll verneigt sie sich vor mir, dann verkündet sie: »Sirene Adelaide, Ihr wurdet vom Rat einberufen.«

Erneut sieht sie den Matrosen an, der nach Verklingen meines Liedes zunehmend an Fassung gewinnt. Sein grimmiger Gesichtsausdruck kehrt zurück, doch die Novizin lässt sich davon nicht beirren.

»Falls …«, setzt sie an und schluckt. »Falls Ihr es wünscht, bringe ich den Menschen in Euer Anwesen. Oder … entsorge ihn.«

Dass sie so kühn ist, Zweiteres vorzuschlagen, entlockt mir ein belustigtes Schnauben. Eine junge Novizin wie sie, die im Rang weit unter mir steht, sollte nicht einmal davon träumen, ihn mir abzunehmen. Vor allem bezweifle ich, dass sie erfolgreicher als ich sein würde, ihn in ihren Bann zu ziehen. Vermutlich würde er sie mit dem Dolch an seinem Gürtel erstechen, bevor sie das erste Wort singt.

»Ich kümmere mich um ihn«, wehre ich ihren Vorschlag ab. »Teile dem Rat mit, dass ich im Anschluss vorsprechen werde.«

Enttäuscht nickt die Novizin, dann verschwindet sie wieder unter den Wellen.

»Und nun zu dir«, wende ich mich wieder an den Menschen.

Der Seemann hat inzwischen seinen Dolch gezogen, der tatsächlich ebenfalls mit Messing überzogen ist.

»Bleib weg, Hexe«, droht er.

Ich schnalze missbilligend mit der Zunge und beschwöre gezielt eine Welle, um ihm die Waffe aus der Hand zu schleudern. Bevor er danach greifen kann, umklammere ich erneut seine Arme und ziehe ihn zu mir. Nachdenklich mustere ich das dunkle Braun seiner Augen. Erwäge, ihm hier und jetzt das Leben zu nehmen, doch verwerfe den Gedanken.

Ich muss herausfinden, was besonders an ihm ist. Warum trug er Gegenstände aus Messing bei sich? Steckte hinter dieser Fregatte tatsächlich mehr, als von außen anzunehmen war? Obwohl ich seit Jahrzehnten keinen mehr gefangen genommen habe, fällt es mir leicht, die Entscheidung zu treffen: Vorerst werde ich diesen Seemann behalten.

Noch immer wehrt er sich, als ich ihn zu einem Kuss heranziehe. Statt ihm damit seine Lebenskraft zu stehlen, hauche ich Luft durch seine leicht geöffneten Lippen. Sauerstoff, den seine Lunge brauchen wird. Gleichzeitig webe ich einen Schlafzauber, dann ziehe ich ihn mit mir in die Tiefe. Statt zum Korallenriff oder einer unserer beiden Städte zu schwimmen, folge ich den Windungen des Abgrunds unter uns. Immer tiefer, bis wir den Meeresboden erreichen. Grün schimmernde Leuchtsteine weisen mir den Weg zum schwarzen Höhleneingang unseres Gefängnisses, das in die Wand der Schlucht gemeißelt ist.

»Sirene«, begrüßt mich die wachhabende Marina mit einer Verbeugung.

Hinter ihr büßt eine Nixe ihre Strafe ab, die neugierig den Kopf hebt. Die anderen Zellen wären frei, dennoch setze ich meinen Weg fort, folge dem mit Glühsteinen beleuchteten Gang des Gefängnisses, der sich allmählich nach oben windet.

Ein Schwimmzug, zwei Schwimmzüge, drei. Mit jedem Augenblick frage ich mich mehr, wie lange ein Mensch den Atem anhalten kann. Ob meine Magie ausreichen wird, ihn von der Schwelle des Erstickungstods zurückzuholen. Ob er und sein Wissen es überhaupt wert sind, das zu versuchen.

Als ich beinahe die Hoffnung für sein Leben aufgegeben habe, brechen wir durch die Wasseroberfläche. Im hintersten Teil des Gefängnisses gibt es eine kleine Luftblase, die es uns möglich macht, hier Menschen festzuhalten. Schließlich benötigen die meisten Meertöchter einen sicheren Ort, um ihre Sklaven gefügig zu machen. Doch die unnatürliche Luftansammlung war an die Magie der Wellenkönigin geknüpft. Nach ihrem Tod blieb nur der letzte Rest am Ende das Ganges erhalten. Inzwischen ist es Aufgabe der Marinas, die Luft gelegentlich magisch auszutauschen.

Ein dumpfer Schlag gegen die steinernen Gitterstäbe schreckt mich auf. Offensichtlich war ich nicht die Einzige mit der Idee, ihre Beute hier unterzubringen. Neben mir kämpft ein Mann vergeblich mit der Tür seiner Zelle, das Wasser reicht bei ihm bis zur Hüfte. Daneben schläft ein Seemann auf dem Boden im Trockenen, in der wiederum nächsten Zelle blickt der Mensch darin nicht mal auf, als ich mich auf den Stein vor seinen Gitterstäben hieve. Gegenüber sitzen zwei weitere Gefangene, die sich leise unterhalten und bei meinem Anblick verstummen. Goldene Armreifen zieren die Haken neben den belegten Zellen, um die Besitzansprüche der jeweiligen Sirene auf die Insassen zu verdeutlichen. Eine Zelle wird vom Silberreif einer Marina markiert.

»Kapitän?«, ruft einer der Insassen, als ich den Seemann neben mir ablege.

Das bestätigt meine Vermutung über seinen Rang.

Eine einzige, letzte Unterbringung mir gegenüber am Ende des Ganges ist noch frei. Die Einzige, die mit Flossen unter keinen Umständen erreichbar ist. Mit einem Seufzen beschwöre ich meine Magie, um meinen Fischschwanz gegen Beine einzutauschen. Ich hasse es, wie ungelenk ich mit diesen seltsamen menschlichen Füßen bin.

Noch mehr hasse ich es jedoch, mir Gefälligkeiten aufgrund meines Ranges einzufordern. Jede andere Sirene hätte wohl Nixen hergebracht, um diese Aufgabe zu übernehmen, oder zumindest die Marina am Eingang zur Unterstützung verpflichtet. Ich dagegen beiße die Zähne zusammen, um mich wackelig zu erheben und den Seemann zur Zelle zu schleifen. Außerhalb des Wassers spüre ich sein Gewicht allzu deutlich, während ich ihn Elle um Elle in die Zelle ziehe und schließlich zu Boden fallen lasse.

Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie der Seemann in der nächsten Zelle bis an die Gitterstäbe gerückt ist, um mich zu beobachten. Erneut presse ich meine Lippen auf die meines Gefangenen, hauche ihm Luft in die Lunge, wodurch sich seine Brust sacht hebt. Dann stehe ich auf, verlasse seine Zelle und lasse mit einem einfachen Zauber Gitterstäbe davor aus dem Boden wachsen. Während der Seemann hustend zu sich kommt, betrachte ich nachdenklich den einzelnen goldenen Armreif an meinem Handgelenk und entscheide mich schließlich dagegen. Widerwillig nehme ich den winzigen goldenen Ohrstecker aus meinem Ohrläppchen und lege ihn auf das Ablagefach neben der Zelle meines Seemanns. Mit einem letzten Blick zu ihm springe ich zurück ins Wasser, rufe meine Schuppen und mache mich auf den Weg zum Sirenenrat.

Gefangen wie die Dunkelheit

Marcus

Ich habe die grässliche Gewissheit, ertrunken zu sein. Anders kann ich mir meine letzten Erinnerungen nicht erklären. Die wunderschöne Sirene, das Meer, das mich verschluckte. Die Nässe meiner Haut, meiner Haare. Ein Husten erschüttert meine Lunge, und stöhnend hebe ich eine Hand, um mir das Salzwasser aus dem Gesicht zu wischen.

Wenn ich ertrunken wäre, würde meine Brust jedoch nicht so schmerzen. Ich war stets sicher, nach meinem Tod in Bellums heiligen Hallen aufgenommen zu werden. Für meinen Dienst am Kaiserreich mit einer Ewigkeit voller Wein, Gold und Glück belohnt zu werden. Nicht in einer schwach beleuchteten, klammen Zelle zu erwachen, wie sie zu Ignavus’ Dämonen passen würde.

»Kapitän?«, reißt mich eine bekannte Stimme aus meinen Todesgedanken.

Blinzelnd setze ich mich auf und erkenne, dass ich doch am Leben bin. Zum Besseren oder zum Schlechteren, denn die Gitterstäbe vor mir verheißen nichts Gutes. Grün leuchtende Steine spenden gerade so genügend Licht, dass ich meinen Nachbarn entdecke. Er kauert direkt hinter den Gitterstäben, die seine Zelle vom Gang trennen.

»Florin«, vermute ich und ziehe die Augenbrauen zusammen.

Die Gestalt nickt heftig. »Geht es Euch gut?«, will der Offiziersanwärter wissen.

Wir wurden von magischen Meereskreaturen gefangen genommen, die uns töten wollen oder Schlimmeres. Auf seine Frage gibt es nur eine Antwort, doch sie hilft uns nicht weiter. Deshalb verkünde ich stattdessen: »Wir müssen hier raus.«

Prüfend berühre ich die Gitterstäbe, die sich glatt anfühlen, aber nicht aus Stahl sind. Die Oberfläche erinnert eher an geschliffenen Stein oder die Schale einer Muschel. Feuchtigkeit hängt daran, sicherlich wegen des Meeres, das ich im Hintergrund schwappen höre.

»Die Zellen sind fest verschlossen«, meldet Florin, als ich an einer der Stangen zerre.

Es stimmt, der Stein rührt sich keinen Millimeter. Mit den Fingern folge ich seiner Form nach unten, wo er nahtlos in den Boden übergeht.

»Ich habe beobachtet, wie die Sirene Euch hergebracht hat«, fährt Florin fort. »Sie hat einen Zauber gesprochen, um Eure Zelle zu verschließen. Ich bezweifle, dass wir sie ohne Magie verlassen können.«

»Verfluchtes Hexenpack«, knurre ich und schlage mit der Faust gegen das Gitter, um meinem Ärger Luft zu machen. Langsam verstehe ich, warum mein Bruder jegliche Magie so sehr verabscheut. Mich mittels eines Zaubers einzusperren, fühlt sich ungerecht an, als verstoße das Fischweib gegen die unausgesprochenen Regeln des Krieges.

Aber ich will nicht glauben, dass unsere Situation aussichtslos ist. Dass ich einer Dämonin ausgeliefert bin. Unwillkürlich greife ich an meinen Gürtel, zur leeren Dolchscheide. Die Waffe und der Ring, die nun beide am Grund des Meeres liegen dürften, waren meine Verteidigung gegen ihre Magie. Beides habe ich von meinem Bruder erhalten – und beides konnte mich nicht retten.

Dabei war ich mir so sicher, dass wir überleben würden, um diese Geschichte zu erzählen. Dank des Messings und des Sonnentau-Wassers, das ich verdünnt meinen Männern zu trinken gab … Eigentlich hätte die Tempeta nie sinken sollen.

»Was glaubt Ihr, haben die Meerjungfrauen mit uns vor?«, will Florin wissen. Seine Stimme klingt hoffnungslos.

»Sie töten Seeleute, um sich zu ernähren«, wiederhole ich das, was mein Bruder mir erklärt hat. »Allerdings fordern sie weitaus mehr Opfer als die Eisdämoninnen oder die Najaden auf Askja, wenn die Berichte unserer Spione auf der Insel stimmen. Entweder ihr Volk ist deutlich zahlreicher oder …«

Ich lasse den Blick durch den Kerker schweifen, zu den anderen Gefängnisinsassen. Obwohl meine Augen sich inzwischen an das Licht der Glühsteine gewöhnt haben, erkenne ich wenig. Geradeaus befindet sich ein Gang, der weiter hinten unter Wasser verschwindet. In den Zellen links und rechts davon liegen die Männer am Boden. Vermutlich schlafen sie. Die Sirenen hätten sich kaum die Mühe gemacht, sie einzusperren, wenn sie tot wären.

»Oder sie haben eine andere Verwendung für uns«, vollendet Florin meinen Satz mit unheilvollem Unterton.

»Womöglich«, stimme ich zu. »Wichtig ist vor allem, dass wir ihnen unter keinen Umständen Informationen über unsere Mission verraten.«

Florin schnaubt. »Habt Ihr es nicht gefühlt?«, fragt er mich. »Als ich ihren Gesang hörte, hatte ich keinen eigenen Willen mehr. Ich hätte alles für sie getan. Alles. Und Ihr glaubt, wir könnten Informationen zurückhalten?«

Betreten schweige ich. Ich habe gesehen, wie meine Matrosen ihren Verstand verloren haben. Als meine Männer vom Zauber betört wurden, waren sie nicht mehr sie selbst. Folgten der Stimme der Sirene in den Tod oder hierher. Ich will nicht darüber nachdenken, wie viele Männer, die ich einst Freunde nannte, heute das Leben ließen. Wegen dieser verfluchten Fischweiber.

Auch ich habe den Sog gespürt, als die Sängerin mich festhielt. Nachdem sie mir den Messingring abstreifte, war da dieser unbändige Wunsch, ihr zu Gefallen zu sein. Gänzlich irrational, schließlich wusste ich, dass sie meine Feindin ist. Dennoch lag mir die Logik nie ferner als in diesem Moment, als sie mich mit ihren sturmgrauen Augen fixierte und ihre Lippen auf meine drückte.

Verflucht, ich muss einen Weg finden, ihr zu widerstehen. Ich umklammere die Dolchscheide an meinem Gürtel, das letzte Überbleibsel meiner Verteidigung gegen ihre Magie. Doch die Messingwaffe darin ist fort.

Golden wie die Schuppen

Adelaide

Der Sirenenrat empfängt mich im Palast der Königin.

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob ich ihre Entscheidung verurteilen oder bejubeln soll, sich den Palast einzuverleiben und dort alle Regierungsgeschäfte zu führen. Schon immer war das Schloss unter den Wellen dazu auserkoren, unser Volk zu leiten, und unsere verstorbene Königin Daina braucht es nun nicht mehr. Dennoch fühlt es sich falsch an, durch die mir bekannten Gänge zu schwimmen, die früher vom Treiben des Hofes, von Gelächter und Spielen erfüllt waren. Heute durchbricht nur das leise Rauschen des Wassers die Stille. Jede Ecke des nun leeren goldenen Palastes erinnert mich an unsere einstige Königin, lässt Sehnsucht in mir aufflammen nach einer Zeit, in der alles einfacher war.

Von den vier Marinas, die mich am Schlosseingang begrüßt haben, folgt mir eine schweigend zum Thronsaal. An dessen funkelndem Torbogen wird sie durch eine andere abgelöst, die vor mir in den Raum huscht und mich ankündigt.

»Sirene Adelaide, wie gewünscht vor den Rat berufen.«

Neun Sirenen ruhen vor mir aufgereiht auf schimmernden Sitzgelegenheiten aus Perlmutt, die an Throne erinnern. Sie sind einige Stufen über mir als Bittstellerin platziert. Die goldenen Fischschwänze der Ratsmitglieder schweben in der leichten Strömung, die durch die Fenster in den Raum dringt. Ebenmäßige Gesichter in verschiedenen Hautfarben blicken auf mich herab, einige besorgt, andere streng. Insbesondere Ilona, die heute in der Mitte des Rates sitzt, verzieht die Miene.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sie für anziehend halten, mit ihrer kleinen Nase, den Sommersprossen und den hellen blauen Augen, die mich an einen Himmel ohne Wolken erinnern. Doch die Art, wie sie ebendiese Nase rümpft und die schönen Augen zusammenkneift, ist völlig unsympathisch. Vor allem, weil ich weiß, warum ich herbeordert wurde.

Gerade als Ilona das Wort ergreifen will, komme ich ihr zuvor: »Wie könnt ihr es wagen, unser Volk einer solchen Gefahr auszusetzen?«

Ich fixiere Ilona und ihre beiden Komplizinnen. Es waren Lilja und Oona, die zuvor mit ihr auf dem Stein den Sturm besungen haben und nun neben ihr sitzen. Im Gegensatz zu ihrer Anführerin wirken die zwei schuldbewusst, beinahe peinlich berührt.

Meine vorwurfsvollen Worte scheinen die Ratsmitglieder in Schock zu versetzen, denn keine der Sirenen antwortet mir.

»Drei Sirenen«, fahre ich fort und deute auf die Sängerinnen. »Dazu etwa dreißig Marinas. Wie wolltet ihr in dieser Konstellation eine Kriegsfregatte besiegen, die mit hundert Matrosen bemannt war und beinahe zwanzig Kanonen trug?«

Ilona setzt zum Widerspruch an, doch ich spreche weiter: »Oder dachtet ihr, die Nixen und Novizinnen würden die Schlacht zu euren Gunsten wenden?«

Agnes, das älteste Ratsmitglied, saugt scharf die Luft ein.

»Nixen und Novizinnen, die eigentlich nicht einmal Waffen tragen dürfen. Die weder kampferprobt sind noch nennenswerte Magie in sich tragen. Was, bei der Mutter des Meeres, habt ihr euch dabei gedacht?«

Während Ilona einen trotzigen Schmollmund zieht, sinken Lilja und Oona gerügt in sich zusammen.

»Ich habe euch so oft vor Myredal und seinen Kriegsschiffen gewarnt. Will ich überhaupt wissen, wie viele Opfer der Kampf gefordert hat?«, frage ich. »Wie viele gestorben sind, wie viele verletzt wurden?«

Noch bevor meine Worte im Thronsaal verklingen, erhebt Ilona sich.

»Es sind zwei Novizinnen gefallen«, antwortet sie abfällig.

Zwei Leben zu viel für mich, aber ihr Tonfall macht deutlich, wie wenig Bedeutung sie dem Leben zweier Meertöchter beimisst, die so weit unter ihr stehen.

»Die paar Verletzten werden sich schnell erholen«, meint sie. »Insbesondere da sie dank unserer erfolgreichen Jagd nun Menschenleben zur Verfügung haben, um ihre Kräfte wiederherzustellen.«

Sie breitet die Arme aus.

»Viel zu lange haben wir gezögert, Schiffe anzugreifen«, behauptet sie. »Durch den Terror der Menschen und den Tod unserer Königin haben wir so viel Macht verloren. So viele Meertöchter haben ihr Leben gelassen und finden sich nur noch als Wellenschaum in unserer Heimat. Das Joch des Menschenkönigs ist gebrochen, aber hat sich unsere Situation wirklich verbessert? Inzwischen haben wir mehr Novizinnen, als wir zählen könnten, und selbst ranghohe Marinas warten darauf, endlich einen Mann ihr Eigen zu nennen.«

Mit gehobenen Augenbrauen lässt sie ihren Blick durch den Saal wandern und bleibt schließlich an mir hängen.

»Du predigst Vorsicht«, verkündet sie vorwurfsvoll. »Mäßigung, Zurückhaltung. Wenn es nach dir ginge, würde unser Volk nie zu seiner alten Stärke zurückfinden. Laut dir sind die Menschen Askjas unsere Verbündeten, und wir müssen nur Geduld haben, um uns von dem Schlag zu erholen, den sie uns zugefügt haben.« Entrüstet schnaubt sie. »Dabei vergisst du allzu leicht, dass alle Menschen unsere Feinde sind. Die Askjer haben unsere Königin ermordet, und du willst Frieden mit ihnen schließen.«

Bei ihren Worten schnauben einige Ratsmitglieder verärgert.

»Aber ich erinnere mich an die alten Zeiten.«

Es ist, als würde selbst die Strömung im Saal versiegen, um Ilona zu lauschen.

»Einst waren wir die Herrscher der Meere. Als Daina noch das Meervolk regierte, als die Menschen unsere Magie noch nicht mit ihren Zaubern verwirrten, konnte kein Schiff dieser Welt uns etwas anhaben, kein Mensch uns widerstehen. Unsere Stadt gedieh, und jede Sirene, jede Marina, sogar die Nixen konnten sich alle Wünsche erfüllen. So viele Leben nehmen, wie sie wollten, so viele Männer halten, wie ihre Magie erlaubte. Damals waren unsere Ressourcen nicht der begrenzende Faktor, sondern unsere Vorstellungskraft. Während du uns heute dazu anhalten willst, weiter am Hungertuch zu nagen. Weder Rache zu nehmen noch sonstige Risiken einzugehen.« Anklagend deutet sie auf mich. »Du willst unser Volk kleinhalten. Wie kannst du es wagen, uns daran zu hindern, zu wahrer Größe zurückzufinden?«

Ilonas Theatralik lässt mich den Kopf schütteln, doch zu meiner Besorgnis scheint sie einige der anderen zu überzeugen. Wie verblendet kann eine Sirene sein, um nicht zu erkennen, was sie mit ihren Taten auslöst?

»Ohne mich und meine Magie hättet ihr die Schlacht verloren«, verkünde ich. »Die Menschen hätten euch niedergemetzelt und alle anwesenden Marinas, Nixen und Novizinnen gleich mit. Willst du dieses unüberlegte Blutbad wirklich rechtfertigen?«

»Wir hatten die Situation unter Kontrolle«, bekräftigt Ilona mit zusammengebissenen Zähnen.

Der zweifelnde Blick, den Lilja und Oona wechseln, beweist das Gegenteil. Dennoch widersprechen die beiden nicht, und ansonsten war keines der Ratsmitglieder anwesend, als ich in den Kampf eingriff.

»Ich stimme Adelaide zu, dass Nixen und Novizinnen in einem Kampf nichts verloren haben«, ergreift Agnes für mich Partei, weshalb ich erleichtert die Schultern sinken lasse.

»Dennoch gibt der Erfolg Ilona recht«, setzt eine andere Sirene dagegen. »Ihr Vorstoß hat dazu geführt, dass zahlreiche Männer erbeutet wurden. Die meisten Verletzten konnten sich noch vor Ort durch die Lebenskraft der Seemänner stärken, und fünf Novizinnen wurden für den Übertritt in dieser Woche ausgewählt.«

Die Aussage lässt Ilona den Kopf recken.

»Zudem war unser Angriff nicht unüberlegt«, betont sie. »Vor unserer Mission haben Lilja, Oona und ich Matildas und Eiras Zustimmung gesichert. Damit war eine Mehrheit des Sirenenrats dafür, diese Schlacht zu führen.«

Wie gerne würde ich ihr das süffisante Grinsen aus dem Gesicht wischen.

»Nach den Regeln, die wir nach Dainas Tod zur Bildung des Sirenenrats festgelegt haben, ist jeglicher Beschluss rechtens, der von der Mehrheit getroffen wird«, erläutert sie. »Demzufolge bin nicht ich allein diejenige, die du infrage stellst, Adelaide. Wer bist du, um die Entscheidungen des Sirenenrats anzuzweifeln?«

Ihre rhetorische Frage verhallt im Raum, und ich wechsle einen Blick mit Agnes, die hilflos mit den Achseln zuckt. Nach Dainas Ermordung sind die Mitglieder des Sirenenrats unsere neuen Anführer. Ich war dabei, als unser Volk dies endgültig beschloss. Ohne das Abdanken der alten Wellenkönigin war es nicht möglich, eine neue zu krönen. Nicht nötig, wie wir befanden, denn ein Rat, der für das Wohlbehalten aller sorgt, wäre gerechter für alle Meertöchter. Ausgeglichener als die Launen einer einzelnen Herrscherin wie zuvor Daina. Und obwohl ich eingeladen, geradezu bedrängt wurde, ebenfalls Mitglied dieses Rats zu werden, habe ich mich dagegen entschieden. Das Angebot und die Verantwortung ausgeschlagen, nur um trotzdem hier zu stehen und ihre Entscheidungen zu verurteilen.

»Du magst mächtig und einst Dainas Vertraute gewesen sein, doch du bist nicht unsere Königin«, stellt Ilona klar. »Du bist nicht befugt, an unseren Beschlüssen mitzuwirken, nachdem du eine Position im Rat ausgeschlagen hast. Oder soll das eine Herausforderung sein?«

Zustimmendes Gemurmel geht durch den Sirenenrat, sodass ich nur mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf senken kann.

»Entschuldigt meine harschen Worte«, bringe ich hervor. »Selbstverständlich unterstütze ich wie jede Meertochter jegliche Verfügung des Sirenenrats.«

Ilona grinst hochmütig.

»Ich ersuche nur jede Einzelne von euch, Vorsicht walten zu lassen«, fahre ich fort. »Jedes Leben ist wertvoll. Der Verlust von Novizinnen schmerzt mich, wie auch ihre Mütter und Schwestern. Vor allem, wenn er vermeidbar ist. Bitte berücksichtigt die Gefahren, die eure Entscheidungen für das einfache Volk haben könnten.«

Ohne darauf zu warten, entlassen zu werden, drehe ich mich um und schwimme aus dem Raum. Hinter mir bricht eine Diskussion aus. Ilonas forsche Fraktion gegen die bedachteren Sirenen, die ich allzu gern unterstützen würde. Doch ich bin nicht die zehnte Sirene im Rat, sondern eine ihrer Untertanen, wie ich es selbst beschlossen habe. Ob diese Entscheidung richtig war?

Stetig wie der Fels

Marcus

»Was denkt Ihr, wie viel Zeit wir haben?« Trotz der gesenkten Lautstärke hallt Florins Stimme durch unser Gefängnis. Es spielt keine Rolle, denn die Einzigen, die uns hören, sind die anderen gefangenen Seemänner.

»Womöglich die Ewigkeit«, antworte ich düster.

Ich weiß nicht, wie lange wir schon hier sind. Das unveränderliche Leuchten der Glühsteine gibt keinen Hinweis darauf, ob Minuten oder Stunden an uns vorüberziehen. Womöglich haben diese Monster uns in diese Zellen gesperrt, damit wir verrückt werden und verrotten. Womöglich sind wir hier unten, bis wir verdursten – doch bis dahin haben wir Zeit, die ich beabsichtige, zu nutzen.

Als die Tempeta sank, trug ich nicht einmal einen Mantel oder einen Säbel bei mir. Meine Kleidung, der Dolch und der Ring waren alles, was ich hatte. Beinahe nutzlos in diesem von der Welt vergessenen Kerker. Doch so stabil die steinernen Gitterstäbe meiner Zelle auch scheinen mögen, sie bieten einen Vorteil, den metallene nicht hätten: Stein gibt nach. Es mag langwierig sein, einen Felsen zu bearbeiten, aber es ist besser, als aufzugeben. Und seit ich begriffen habe, dass der Stein gegen das Metall meiner Gürtelschnalle verliert, bearbeiten Florin und ich damit die steinernen Stangen. Millimeter um Millimeter kratzen wir eine Kerbe in das Material. Inzwischen habe ich eine spürbare Rille in eine Stange gearbeitet, die beinahe so tief wie meine Fingerkuppe ist. Ein Drittel des Stabs ist damit geschafft, und ich prüfe immer wieder, ob ich ihn mit einem gezielten Tritt durchbrechen kann.

Zwei Stäbe, womöglich drei werde ich entfernen müssen, um mich hindurchzwängen zu können. Es wird dauern, aber es ist machbar.

»Die Strategie hat Potenzial«, meint eine raue Stimme zu meiner Rechten so plötzlich, dass ich zusammenzucke.

Erst jetzt bemerke ich, dass sich die Gestalt in der Zelle gegenüber von Florins aufgerichtet hat.

»Steuermann Eryk«, begrüßt ihn Florin überrascht. »Wie erfreulich, Euch zu sehen.«

Obwohl Eryk einer von zwei Steuermännern ist, die direkt unter mir als Kapitän dienen, habe ich seine Stimme nicht erkannt, so kratzig ist sie. Auch das bellende Lachen, das er nun von sich gibt, hat wenig mit dem fröhlichen Mann gemeinsam, den ich von meinem Schiff kenne.

»Erfreulich ist hier nur der Ausweg in den Tod«, erwidert er bitter. »Und auch euer Weg wird dorthin führen.«

Bei Bellums Streitaxt, die Dämoninnen scheinen ihm übel mitgespielt zu haben, so dunkel, wie die Verzweiflung seine Stimme färbt.

»Wir werden flüchten«, verkünde ich fest und wünsche mir, dass die Überzeugung in meinen Worten das Schicksal gnädig stimmt.

»Ihr solltet es auch versuchen«, schlägt Florin vor. »Wir haben nur noch unsere Gürtelschnallen, aber wenn Ihr einen Dolch bei Euch tragt oder ein Messer …«

Tatsächlich haben sich zwei weitere Gefangene ein Beispiel an uns genommen. Ein Schiffsjunge bearbeitet seine Gitterstäbe mit einem Küchenmesser. Der Hilfskanonier in der Zelle neben Florin trug bei seinem Sprung ins Meer unglücklicherweise keinen Gürtel, weshalb er mit einem Knopf seines Hemds am Stein schabt. Die hundert Männer meiner ehemaligen Besatzung sind auf das Dutzend in diesem Kerker zusammengeschrumpft. Eryk ist erst der Fünfte von ihnen, der ansprechbar ist.

»Es hat keinen Sinn«, widerspricht dieser Florin. »Selbst wenn ihr die Gitterstäbe überwindet, gibt es keinen Ausgang aus diesem Loch.«

Florin stockt, aber ich feile verbissen weiter am Gitter.

»Die Sirenen haben kein Problem damit, hinauszugelangen«, kontere ich.

Erneut lacht Eryk ohne jegliche Belustigung. »Diese Kreaturen sind wider die Natur. Oder erinnert sich keiner außer mir daran, wie wir hier gelandet sind?«

Nicht im Geringsten, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß nur noch, wie die Sirene mich mit einem Kuss unter Wasser zog.

Die anderen schweigen ebenfalls betreten, kratzen weiter am Stein, sodass Eryk schließlich fortfährt: »Die Hexen sind mit uns getaucht. Hunderte Ellen tief, vielleicht Tausende. Haben uns mit einem Zauber belegt, Luft eingehaucht oder so ähnlich. Und als wir am Eingang dieses Gefängnisses ankamen, war alles voller Wasser. Meine Fängerin zog mich durch den Gang da vorn, Zelle um Zelle, bis wir ganz am Ende hier ankamen.« Er seufzt. Mit jedem seiner Worte wiegt mein Herz schwerer. »Jeder normale Mensch würde ertrinken, wenn er aus dem Gefängnis hinaustaucht. So wie ich das sehe, haben wir die Wahl zwischen dem Tod durch Ertrinken oder durch den Kuss einer Sirene.«

Und ich hatte so sehr gehofft, dass diese Geschichte womöglich doch ein glückliches Ende findet. Dass unsere Mission doch nicht das Selbstmordkommando war, vor dem die Berater des Kaisers uns gewarnt haben. Ich habe mein Schiff in diesen Sturm gesegelt, habe die Sirenen herausgefordert. Meinetwegen sind so viele meiner Männer gestorben, und ich will zumindest den Tod der übrigen verhindern.

»Wenn die Angst einen Mann im Griff hält, erscheint jeder Moment wie eine Ewigkeit«, versuche ich, Eryks Worte zu entkräftigen. Ich weiß nicht, ob es stimmt, doch es gibt keine Alternative. »Außerdem ertrinke ich lieber, als mich dem Hexenpack auszuliefern«, füge ich entschlossener hinzu.

Die Geräusche der Steinbearbeitung, die zwischenzeitlich kurz verstummt waren, nehmen damit wieder an Fahrt auf. Scheinbar hat mein Wort als Kapitän auch hier unten Gewicht. Oder die Männer klammern sich an jeden Strohhalm, der ihnen bleibt.

»Hm«, brummt Eryk als Antwort. »Wenn Ihr Eure Zeit verschwenden wollt …« Er beendet seinen Satz nicht, sondern legt sich wieder auf den Boden seiner Zelle. Ignoriert uns, während wir weiter feilen. Selbst wenn die Flucht scheitern sollte, ist der Versuch immer mehr wert, als aufzugeben.

Bevor ich allzu weit komme, ertönt ein schwappendes Geräusch, und ich erkenne Wellen auf dem Wasser am Ende des Gangs.

»Versteckt eure Werkzeuge«, befehle ich.

Mir bleibt keine Zeit, meinen Gürtel wieder anzulegen, also setze ich mich kurzerhand darauf. Keinen Moment zu früh, denn schon bricht der Oberkörper einer Sirene durch die Wasseroberfläche. Ihre schwarzen Haare kleben an ihrem Körper, als sie sich auf den Steinboden setzt. Im schwachen Licht der Glühsteine erkenne ich sie kaum, während ich heimlich bete, dass sie nicht meinetwegen gekommen ist.

»Wer ist es?«, fragt das Fischweib.

Verwirrt tausche ich einen Blick mit Florin, doch sogleich wird klar, dass die Frage nicht an uns gerichtet war. Eine weitere Meerjungfrau taucht hinter der ersten auf. Sie schüttelt die Haare aus dem Gesicht und antwortet mit schwerer Stimme: »Ganz hinten.«

Ich flehe Bellum um Gnade an, während ich ans Ende meiner Zelle rutsche. Meiner Zelle, die die letzte des Ganges ist – ganz hinten.

»Wunderbar«, flötet die erste Sirene. Ich blinzle überrascht, als sie Beine aus dem Wasser schwingt, die soeben noch ein Fischschwanz waren. Noch nie habe ich ein Fischweib ohne Fischschwanz gesehen. Meine Augen zeigen mir, was mein Verstand versucht, zu begreifen: Die Dämonin erhebt sich und folgt mit stetigen Schritten dem Verlauf des Gangs, während die andere im Wasser bleibt. Sie geht direkt auf mich zu. Die Furcht vor dem Tod schnürt mir die Kehle zu, ich suche mit den Fingern die Wand in meinem Rücken ab. Taste im Fels nach etwas, irgendetwas, das mir womöglich gegen dieses Monster helfen könnte. Ich fühle nur Wassertropfen auf dem Stein. Mit einer Hand umklammere ich meinen Gürtel, obwohl er sicherlich keine gute Waffe darstellt.

Erst als die Seelenräuberin näher kommt, erkenne ich, dass sie nackt ist. Die goldenen Schuppen, die eine Meerjungfrau für gewöhnlich bis zur Brust bedecken, sind verschwunden und geben einen wunderschönen Körper frei. Bis auf die goldenen Armreifen und eine breite Halskette ist ihre Haut unbedeckt. Ein Mann rutscht näher an das Gitter seiner Zelle, um einen besseren Blick auf sie zu erhaschen. Die Kurven der Hexe sind derart verlockend, dass ein Teil meines Körpers den Hunger in ihrem Blick als Verlangen missinterpretiert. Womöglich wäre es leichter, die Lüge ihrer verheißungsvollen Miene zu glauben und den Versprechungen ihrer rosigen Brüste zu verfallen. Statt Lust steigt jedoch Panik in mir auf. Mir war noch nie so bewusst, dass ich leben wollte.

Doch statt zu mir zu kommen, bleibt die Sirene an der Zelle daneben stehen und greift nach einem silbernen Armreif, der an der Wand zu Florins Zelle hängt.

»Ein schönes Schmuckstück«, bemerkt sie und wirft den Reif gezielt hinter sich, wo die andere ihn auffängt.

»Ich hatte gehofft, den Menschen zu behalten, nicht den Schmuck«, bemerkt die Wartende mit deutlicher Frustration in der Stimme. »Ich war stolz darauf, den Hunger zurückgedrängt und ihn gerettet zu haben. Bisher habe ich keinen Mann.«

Die Sirene vor mir, die Florin fixiert, schnalzt mit der Zunge.

»Willst du ihn mir etwa verwehren?«, will sie wissen. »Bedenke, wer und was ich bin. Meine Freundschaft könnte einer Marina wie dir viele Türen öffnen. Mein Ärger dagegen …« Sie lässt die Drohung im Gefängnis verklingen. Ihre Begleiterin – eine Marina? – senkt demütig den Kopf.

»Selbstverständlich schenke ich ihn Euch, Sirene Elina«, erklärt sie und taucht ab, bevor sie eine Antwort erhält.

Die Sirene vor uns verzieht die Lippen zu einem Grinsen und hebt die Hand an die Gitterstäbe vor Florin.

»Bitte lasst mir mein Leben«, fleht der Offiziersanwärter, doch die Hexe beachtet ihn nicht.

Stattdessen murmelt sie einige Worte in einer mir unbekannten Sprache. Von einem Moment zum nächsten sind die Gitterstäbe nicht mehr in der Wand verankert, sondern bilden ein Tor, das die Sirene mühelos öffnet.

»Nein«, murmelt Florin, als sie näher kommt. »Bitte nicht!«

»Schh«, macht die Dämonin, um ihn zu beruhigen. »Hab keine Angst. Mit mir wirst du sehr, sehr glücklich werden.«

Dann beginnt sie, zu singen. Leise Worte nur, bis ich mir hastig die Hände auf die Ohren presse. Die meisten anderen sind nicht so schnell. Eryk zu meiner Rechten kriecht ans Gitter, streckt sehnsüchtig die Hände hindurch. Der Küchenjunge zerrt an den Steinstäben vor seiner Zelle, doch diesmal nicht, um zu fliehen, sondern um zur Sirene zu gelangen.

Ich dagegen bin von Grauen erfüllt, als ich beobachte, wie Florins Blick sich verklärt. Er gibt seine defensive Position am Ende der Zelle auf, öffnet die Arme und erhebt sich langsam. Die Lippen der Sirene bewegen sich, während sie ihn besingt. Mehr Überredung braucht Florin nicht, um aus seiner Zelle zu treten, direkt zu ihr. Er schlingt die Arme um die Hexe, presst ihren Körper an seinen. Sein Gesichtsausdruck zeigt reines Glück, als er sich zu ihr runterbeugt und ihre Lippen mit seinen versiegelt.

Als sie sich voller Leidenschaft küssen, lasse ich die Hände sinken. Statt Sirenengesang sind nur noch die Geräusche ihrer Münder zu hören, und auch die Männer um mich herum kommen langsam zu sich. Eryk wendet sich angewidert von den beiden ab, der Küchenjunge setzt sich ermattet. Ausschließlich Florin bleibt verzaubert, denn er deutet keine Gegenwehr an. Im Gegenteil, eine Hand streicht über den nackten Po der Sirene, die andere berührt ihre Brüste. Sie lässt ihre Hand an seine Hose wandern, was ihn aufstöhnen lässt. Die Lüsternheit der beiden ist mehr als deutlich, und kurz glaube ich, dass ihr Ziel womöglich nicht sein Leben, sondern sein Körper ist. Doch gerade als Florin mit einer Hand zwischen ihre Beine fasst, verändert sich der Kuss.

Es dauert nur einen Moment. Eben noch waren Florins Bewegungen voller Leidenschaft, dann werden seine Arme schlaff. Er sinkt kraftlos zu Boden, während die Lippen der Sirene nach wie vor an seinen kleben. Ich beobachte geradezu, wie sie das Leben aus ihm heraussaugt, bis er schließlich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden aufprallt. Blass wie der Tod, ohne jegliche Regung oder Atem, denn den hat die Sirene ihm genommen. Florin, mein vielversprechendster Offiziersanwärter, mein Freund in dieser dunklen Stunde – er ist nicht mehr.

Dieses Monster hat sein Leben gestohlen und empfindet nicht einmal Reue dabei. Wie gern würde ich ihr das breite Grinsen aus dem Gesicht wischen, als sie Florin mit dem Fuß anstupst.

»Tot«, stellt sie fest. Obwohl sie seine Mörderin ist, wirkt sie beinahe enttäuscht.

»Ich vergesse immer, wie zerbrechlich ihr Menschlein seid«, meint sie in Eryks Richtung. Dann hält sie sich beschämt die Hand vor den Mund, als hätte sie sich gerade daran erinnert, dass es sich nicht gehört, mit dem Essen zu spielen.

Obwohl ich beim Untergang der Tempeta so viel Tod miterlebt habe, schnürt mir Florins Dahinscheiden die Kehle zu. Der Offiziersanwärter war jung, hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Vor allem war er es, der mit mir in diesem Loch die Hoffnung geteilt hat. Der trotz meines Scheiterns im Kampf gegen diese Monster noch immer zu mir aufgesehen hat.

Eryk in der Zelle neben mir stößt ein verächtliches Schnauben aus. Ich lese ein Ich hab’s euch doch gesagt darin.

Das Geräusch schreckt die Sirene auf. Mit neuem Interesse blickt sie zu Eryk, als würde sie ihn zum ersten Mal entdecken. Der Steuermann verkrampft sich, als sie zwei Schritte auf ihn zugeht.

»Lecker«, kommentiert sie und streicht mit den Fingern über den goldenen Armreif, der neben seiner Zelle hängt. »Aber leider vergeben. Mit Lilja lege ich mich nicht an.«

Seufzend lässt sie den Blick durch den Gang schweifen, zu den goldenen Armreifen, die neben jeder anderen Zelle hängen. Ihre Augen bleiben neben meiner hängen.

»Und wer hat dich hierhergebracht?«

Mit raubtierhaftem Gang nähert sie sich meiner Zelle.

»Ein Ohrring«, bemerkt die Sirene irritiert.

Sie greift an die Wand neben meinem Gitter und klaubt einen filigranen Ohrring daraus, den sie von allen Seiten inspiziert. Seine goldene Halterung umfasst eine schimmernde Perle, die kaum so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers ist. Ob der Schmuck die beanspruchte Beute kennzeichnet?

»Vielleicht sollte ich es einfach riskieren«, überlegt Florins Mörderin.

Nein. Bei Ignavus’ Dämonen, nein.

»Bleib mir fern«, warne ich, was sie mit einem Lächeln quittiert.

In aller Seelenruhe streckt sie die Hände nach meinen Gitterstäben aus und spricht ihren Zauber. Die leichte Vertiefung, die ich mit meinem Gürtel in eine Steinstange geritzt habe, verschwindet restlos, als die Stangen sich zu einem Tor formen. Terror ergreift mich, als die Hexe jenes öffnet. Schluckend hebe ich den Gürtel als behelfsmäßige Waffe. Bereit, mich bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Oder zumindest, bis die Sirene mich verzaubert. Bis ich sämtliche Gegenwehr vergesse und mich ihr willig hingebe.

Denn dies scheint das Ende zu sein, das Bellum für mich auserkoren hat.