Sternenglut. Prinzessin der Nacht - Amy Erin Thyndal - E-Book

Sternenglut. Prinzessin der Nacht E-Book

Amy Erin Thyndal

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Beschreibung

**Erfahre die Geschichte der ersten Sternentochter** Schon ihr ganzes Leben lang weiß Ri: Sie ist die erste Sternentochter und dazu auserwählt, Midland vor dem Untergang zu bewahren. Doch ihre so dringend benötigten magischen Fähigkeiten scheinen sich trotz aller Mühen nicht zeigen zu wollen. Immer verzweifelter spielt Ri mit dem Gedanken, ihre Heimat und ihre Misserfolge hinter sich zu lassen, aber ihr bester Freund und Kronprinz Huoyan setzt alles daran, das zu verhindern. Er erzählt ihr von einer mystischen Höhle im Westen des Landes, von der es heißt, dass sie alle Wünsche erfüllen kann. Voller Hoffnung macht sich Ri zusammen mit dem Prinzen auf den Weg und begibt sich damit auf eine Reise, die ihr Herz bis zu den Sternen und wieder zurück tragen wird … »Der unscheinbare Stern am Himmel gehört zu mir, wie ich zu ihm gehöre, und das ist fast Beweis genug für meine Magie.« Eine erste Sternentochter, die die Wahrheit über ihre Herkunft erst noch erfahren muss, und ein Kronprinz, der nur mit ihrer Hilfe sein Land retten kann. Amy Erin Thyndal schenkt ihren Leser*innen eine weitere funkelnd-dramatische Liebesgeschichte, die jedes Herz höherschlagen lässt. //Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann als Einzelband gelesen werden.//

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Amy Erin Thyndal

Sternenglut. Prinzessin der Nacht

**Erfahre die Geschichte der ersten Sternentochter**Schon ihr ganzes Leben lang weiß Ri: Sie ist die erste Sternentochter und dazu auserwählt, Midland vor dem Untergang zu bewahren. Doch ihre so dringend benötigten magischen Fähigkeiten scheinen sich trotz aller Mühen nicht zeigen zu wollen. Immer verzweifelter spielt Ri mit dem Gedanken, ihre Heimat und ihre Misserfolge hinter sich zu lassen, aber ihr bester Freund und Kronprinz Huoyan setzt alles daran, das zu verhindern. Er erzählt ihr von einer mystischen Höhle im Westen des Landes, von der es heißt, dass sie alle Wünsche erfüllen kann. Voller Hoffnung macht sich Ri zusammen mit dem Prinzen auf den Weg und begibt sich damit auf eine Reise, die ihr Herz bis zu den Sternen und wieder zurück tragen wird …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Aussprache der Namen

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© Anna Glatt

Amy Erin Thyndal lässt sich von ihren Freunden gern damit aufziehen, dass sie Bücher doch toller fände als Menschen. Nichtsdestotrotz sind es die Menschen um sie herum, die sie zum Schreiben inspirieren und ihrem Leben das gewisse Etwas verleihen. Und zwischen wissenschaftlichem Labor, Hobbys, Freunden und natürlich der obligatorischen Lesesucht widmet sie sich der großen Liebe – ob in ihren Büchern oder in der echten Welt.

Für meinen Großvater

Aussprache der Namen

Ri – Wri

Changye – Tschang-je

Cai – Kai

Yong – Jung

Huoyan – Chwor-jen

Mingyue – Ming-yö

Yushi – Jü-sche

Ouyuan – Ou-yön

1

Darius

Mina beugt sich nach vorn, sodass ihr einige Strähnen ins Gesicht fallen. Trotz des furchtbaren Anblicks, der sich uns beiden bietet, kann ich gar nicht anders, als ihre Schönheit zu bewundern. Ihr feuerrotes Haar glänzt wie Seide, ihre weiche Haut hat die Farbe von Honig. Ihr Gesichtsausdruck dagegen ist ernst. Sie hat die Lippen aufeinandergepresst und ihre grauen Augen wirken traurig, während sie von unserem Aussichtspunkt nach unten auf die Erde blickt.

»Sie stirbt jeden Tag mehr«, wispert sie, ein Zittern liegt in ihrer Stimme.

Ich schlucke und schlinge einen Arm um sie, um mit ihr die Zerstörung unter uns zu betrachten. Vieles davon ist den Menschen zuzuschreiben, derjenigen Spezies, in der ich einst so viel Potenzial sah. Seit ihre Seele sie verlassen hat, ist das Schicksal der Erde besiegelt.

Ganze Landstriche sind kahl, die Wüsten breiten sich aus. Wälder sind mit einer dicken Ascheschicht bedeckt, sodass die Bäume sterben. Es gibt noch einige Orte, an denen Leben möglich ist, doch sie werden mit jedem Tag kleiner. Stattdessen mehren sich Geisterstädte und Tod in der Welt unter uns.

Beruhigend streichle ich Mina über die Schulter, deren Augen feucht werden. Ihr Mitgefühl berührt mich, dennoch hasse ich es, sie traurig zu sehen.

»Glaubst du wirklich, sie ist nicht zu retten?«, fragt sie leise, den Blick auf das zerstörte Olympia gerichtet, wo wir vor vielen Jahrhunderten gemeinsam lebten.

Ich ziehe sie enger an mich, um ihr mit meiner Nähe Trost zu spenden, als ich den Kopf schüttele.

»Ohne die Göttin kann der Planet nicht überleben«, antworte ich, was sie längst weiß, »und auch die Sonne wird mit jedem Tag schwächer, seit ihr Herrscher sie zurückgelassen hat. Kein Licht, kein Leben.«

Dabei ist es erstaunlich, dass die Sonne überhaupt noch Licht spendet. Wenn einer von uns seinen Stern verlässt, erlischt dieser zeitnah. Nur eine rasche Rückkehr binnen Tagen kann unsere Himmelskörper erhalten. Wie wir Sterne sind auch die Sonne und die Erde eigentlich davon abhängig, dass ihr Bewohner, ihre Seele, bei ihnen bleibt. Doch trotz des Verlusts des Sonnengottes klammert die Sonne sich verzweifelt an ihr Feuer, während keiner von uns mehr daran glaubt, dass ihr Bewohner jemals zurückkehren wird.

Mina seufzt schwer und es ist, als würde das Leid der ganzen Welt darin liegen.

»Ich weiß«, murmelt sie leise, den Blick noch immer auf die Erde gerichtet, »ich wünschte nur, es gäbe Hoffnung. Ich wünschte, wir könnten irgendwie helfen.«

Das sagt sie jeden Tag, wenn wir die fortschreitende Zerstörung beobachten, und doch weiß ich, dass es keine leeren Worte sind. Dass sie, wenn sie könnte, alles geben würde, um den sterbenden Planeten und die Menschen zu retten. Aber wir sind hier oben, auf unserem Stern, abgeschnitten von allem anderen. Unser Zuhause ist sicher, aber helfen können wir niemandem. Ich habe mich längst damit abgefunden, aber Mina wehrt sich noch immer dagegen.

»Komm«, meine ich und führe sie langsam weg von dem Aussichtspunkt zurück zu unserem Haus. Es hilft keinem von uns, so lange über das Ende der Welt nachzudenken. Dennoch kann Mina nicht anders und für ihr Mitleid liebe ich sie nur noch mehr.

Mina schweigt, während wir durch das Haus in das Musikzimmer gehen. Ihr verhärmter Gesichtsausdruck bricht mir beinahe das Herz. Dass andere für sie einen so hohen Stellenwert haben, könnte mich eifersüchtig machen, aber es beeindruckt mich nur. Obwohl ich mir so sehr wünschte ihr Lächeln wieder hervorlocken zu können.

Als ich sie zur Zither führe, in der Hoffnung, sie auf andere Gedanken zu bringen, schüttelt meine Begleiterin nur den Kopf.

»Ich bin nicht in der Stimmung«, murmelt sie und wendet sich ab. Ich drücke ihr einen Kuss aufs Haar.

»Wie kann ich dich wieder glücklich machen?«, will ich sanft wissen.

Ihre Mundwinkel heben sich leicht, als sie mich endlich ansieht. Die Zuneigung in ihren Augen, die langsam die Trauer vertreibt, wärmt mein Herz.

»Wie könnte ich je unglücklich sein, solange ich dich habe?«, fragt sie liebevoll zurück.

»Gar nicht«, entgegne ich mit einem Grinsen im Gesicht, das auch sie zum Lächeln bringt.

»Da hat aber jemand eine hohe Meinung von sich selbst«, neckt sie mich und versetzt mir einen spielerischen Schlag gegen die Schulter. Ich mime den Getroffenen und weiche entsetzt zurück.

»Nur zu Recht«, erwidere ich auf ihre Aussage, »schließlich gehört mir dieser Stern, der hoch am Himmel steht.«

Mina verdreht die Augen und ich spüre den inneren Triumph, sie auf andere Gedanken gebracht zu haben.

»Dieser Stern gehört uns beiden«, stellt sie klar. Technisch gesehen ist das nicht ganz richtig. Mina ist eher mein Gast als Besitzerin dieses Sterns, aber sie gehört zu mir wie ich zu diesem Himmelskörper. Seit Jahrhunderten teilen wir alles, unser Leben, unsere Liebe. Besitz ist da irrelevant.

»Vielleicht lasse ich mich auf einen Tauschhandel ein, um dir ein Stück davon abzugeben«, ziehe ich sie auf und trete näher.

»Glaub ja nicht, dass die Masche bei mir zieht«, gibt sie zurück und hebt drohend den Finger, als wollte sie mich davon abhalten, weiter zu scherzen. Die Geste steht in starkem Kontrast zu ihrer zierlichen Gestalt, sodass ich lachen muss. Schmollend verzieht sie den Mund, aber statt einen Kommentar zurückzugeben, ziehe ich sie an mich und drücke meine Lippen auf ihre.

Ich kann ihr anmerken, dass sie mich noch ein wenig für die Sticheleien leiden lassen möchte, aber sie hält nicht lange durch. Mit einem Seufzer öffnet sie ihre Lippen und erwidert den Kuss innig.

Wusste ich doch, dass sie mir nicht widerstehen kann, denke ich zufrieden. Wie immer ist unser Kuss ein Geständnis und eine Offenbarung zugleich. Die starken Gefühle, die wir teilen, lassen mich alles außer Mina vergessen. Sie ist die eine, ohne die ich nicht leben könnte. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir die Ewigkeit miteinander verbringen.

»Es ist ungerecht, deine körperlichen Reize einzusetzen, um meine Vergebung zu erzwingen«, flüstert Mina an meinen Lippen.

»Du hast angefangen«, entgegne ich, woraufhin sie verwirrt die Augenbrauen zusammenzieht. »Deiner Schönheit kann ich einfach nicht widerstehen«, stelle ich klar und sie grinst.

»Nur auf äußerliche Werte bedacht, hm?«

»Und ich liebe deine Intelligenz«, füge ich schnell hinzu, »deinen Charakter. Dein Mitgefühl, dein inneres Strahlen, einfach alles an dir.«

Sie verzieht nachdenklich die Lippen, die immer noch nur wenige Zentimeter von meinen entfernt sind. Ich kenne sie lang genug, um sie nicht zu drängen, sondern abzuwarten, bis sie meine Aussage akzeptiert und zufrieden lächelt.

»Du kannst mir ruhig öfter Komplimente machen«, weist sie mich dann an und drängt sich wieder an mich. Ich verkneife mir die Bemerkung, dass ich das täglich tue, und genieße stattdessen den Kuss, den sie mir schenkt.

»Die Ewigkeit mit dir zu teilen, war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe«, gestehe ich ihr und Minas Augen werden weich. Es ist eine Phrase, die ich schon unzählige Male ausgesprochen habe, doch sie ist noch so wahr wie beim ersten Mal.

»Lass uns für immer zusammen sein«, erwidert sie das, was sie immer erwidert, während sie langsam rückwärtsgeht. Ich folge ihr, um ihr weiterhin nah zu sein, und bemerke mit einem Grinsen, dass sie das Schlafzimmer ansteuert. Ich bin schlicht verrückt nach dieser Frau. Auch nach all den Jahren kann ich mein Glück noch immer kaum fassen.

Da stockt Mina plötzlich und bleibt stehen. Sie runzelt verwirrt die Stirn, während ihre Augen einen seltsamen Ausdruck annehmen. Statt mich anzusehen, ist es, als blicke sie durch mich hindurch, in die Ferne.

»Ich werde gerufen«, sagt sie abwesend.

»Was?«, hake ich irritiert nach, was sie zurück ins Hier und Jetzt bringt. Statt des eben noch glücklichen Gesichtsausdrucks erkenne ich Angst in ihrem Gesicht.

»Darius«, meint sie, ihre Stimme klingt fast panisch, »Darius, ich …«

»Was ist los?«, will ich wissen, Sorge hat sich in meine Stimme geschlichen. Wir sind auf meinem Stern, fernab jeglicher Gefahr, aber warum schaut Mina dann so erschrocken?

»Ich werde gerufen«, wiederholt sie ihre Worte. Sie klingen verzweifelt.

»Was bedeutet das?«, frage ich und packe sie an den Schultern, als wollte ich die Antwort aus ihr herausschütteln. Statt mir jedoch zu antworten, hebt sie eine Hand und blickt auf ihre Fingerspitzen. Ihre Fingerspitzen, die von einem Moment auf den anderen durchscheinend werden.

»Ich kann mich nicht wehren«, murmelt sie voller Angst und mein Verstand setzt aus. Panik setzt sich in meinem Herzen fest. Mir wird eiskalt, als ich sehe, wie Minas ganzer Körper nach und nach durchsichtig wird, als wäre sie ein Geist.

»Mina!«, rufe ich ihren Namen, sodass sie nicht mehr ihre Finger, sondern mich anblickt. »Was geschieht hier?«

Ich stolpere, als ihr Körper unter meinen Händen plötzlich nicht mehr fest ist. Mein Griff an ihren Schultern geht ins Leere, als würde sich Mina auflösen.

»Ich weiß es nicht«, gibt sie zu und ich entdecke Tränen, die ihr das Gesicht hinablaufen.

»Darius, ich liebe dich«, ruft sie und ist mit einem Mal verschwunden. Die Stelle, an der eben noch meine Begleiterin stand, ist leer. Sie ist weg, ohne eine Spur zurückzulassen.

»Mina!«, schreie ich entsetzt ihren Namen. Ich kann und will nicht glauben, dass die Frau, mit der ich die Ewigkeit verbringen wollte, plötzlich fort ist. Doch selbst nachdem ich meinen ganzen Stern nach ihr abgesucht habe, gibt es keinen Hinweis auf ihren Verbleib. Habe ich Mina wirklich verloren?

2

Jahre später

Darius

Es ist seltsam, dass man in einem Moment alles besitzen und dann innerhalb weniger Minuten alles verlieren kann. Dass man das Glück der Welt sein Eigen nennen kann und es mit einem Mal verschwindet, als wäre es nie da gewesen. Kein lebendes Wesen vermag zu verstehen, was ich durchmache. Ich fühle mich so allein wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Die Einsamkeit ist ein Monster, das seine scharfen Klauen nach mir ausstreckt und sie in mein Herz bohrt. Dabei kann es die schrecklichsten Schmerzen auslösen, mich peinigen wie nichts anderes und doch zeigt mein Äußeres keine Wunden. Es ergibt keinen Sinn, dass ich noch da bin, unversehrt auf meinem Stern lebe, während mein Grund zu leben verschwunden ist. Nichts in meinem Leben ergibt mehr einen Sinn.

Und doch habe ich gelernt mit dem Schmerz zu leben. Ihn auszuhalten, zu überdauern, mein Licht leuchten zu lassen. Denn obwohl ich fast aufgegeben habe, bleibt dieser kleine Schimmer der Hoffnung, sie eines Tages wiederzusehen. Herauszufinden, was mit Mina geschehen ist, und sie zurückzubringen. Die schwache Hoffnung, dass dies nur eine Prüfung ist, die wir überstehen müssen, bis wir unsere gemeinsame Ewigkeit fortsetzen können.

Eine Hoffnung, die mit jedem Tag kleiner wird. Auch meine Kraft schwindet, inzwischen fühle ich mich wie betäubt. Anfangs waren Trauer- und Wutausbrüche meine ständigen Begleiter, oft versuchte ich das Geschehene einfach zu leugnen. Mir einzureden, dass Mina nur in einem anderen Raum unseres Heims auf mich wartet oder ich sie an unserem Aussichtspunkt finden würde. Nur um dann zusammenzubrechen, als dies nicht der Fall war.

Irgendwann musste ich akzeptieren, dass es nicht so einfach ist. Ich habe Jahre gebraucht, um das zu verstehen, Jahre, in denen ich verzweifelt nach Antworten gesucht habe, sie jedoch nie finden konnte. Meine Mina nicht wiederfinden konnte.

Und doch ist sie da, diese Hoffnung, die brüllend aufflammt, als ich die weiße Gestalt erkenne, die auf meinen Stern zusteuert.

Mingyues lange Drachengestalt schlängelt sich hell über den Nachthimmel. Seine weißen Schuppen schimmern im Sternenlicht und seine Mähne wallt durch die Bewegung. Der Drache, der auf dem Mond lebt, ist ein beeindruckendes Wesen, aber ich habe ihn schon so oft gesehen, dass ich gegen sein majestätisches Auftreten immun bin. Zudem hat seit Minas Verschwinden nichts mehr eine Bedeutung für mich. Seit Jahrhunderten war all mein Sein auf sie ausgerichtet und obwohl sie fort ist, bleiben meine Gefühle für sie.

Ich befinde mich wie so oft am Aussichtspunkt, von dem ich jeden Tag auf die Welt hinabblicke, hoffend, in den schwindenden Archiven der Menschen irgendeinen Hinweis zu finden.

Dass der Drache mich aufsucht, ist mehr, als ich mir seit Langem erhofft habe. Anfangs war ich es, der ihn jeden Tag besuchte. Mingyue war das Opfer vieler meiner Wutausbrüche, da er mir nicht die Antworten geben konnte, nach denen ich verlangte. Er, der immer allwissend schien, hatte keine Ahnung, was mit Mina geschah. Er konnte mir nur versprechen mir bei meiner Suche zu helfen. Ein, wie ich dachte, leeres Versprechen und doch ist er hier, landet neben mir auf meinem Stern und blickt mich weise an.

»Hast du sie gefunden?«, ist die erste Frage, die ich stelle. Ich habe keine Zeit für Begrüßungen, höfliche Floskeln oder gar Respekt. Mina ist alles, woran ich denken kann.

Aus der Schnauze des Drachen steigen Rauchschwaden auf und seine schwarzen Augen blicken unglücklich, als er sich neben mir niederlässt. Der Gesichtsausdruck beantwortet meine Frage, ohne dass er etwas sagen muss, weshalb ich zusammensacke. Er weiß nicht, wo sie ist. Noch immer nicht.

»Warum bist du dann hier?«, will ich unfreundlich wissen. Warum wagt der alte Drache es, mich zu besuchen, ohne mir Antworten zu geben?

»Darius.«

Als der Drache sanft meinen Namen sagt, erinnere ich mich an den letzten Rest meiner Manieren. Mina ist schon so lange fort, dass wenige Sätze keinen Unterschied ausmachen dürften.

»Bitte«, überwinde ich mich zu sagen und hoffe, dass er diese Aufforderung, den Grund für sein Auftauchen zu erklären, versteht.

Der Drache seufzt schwer, das raue Ausatmen klingt wie ein Feuerstoß.

»Ich weiß nach wie vor nicht, wo deine Begleiterin ist oder warum sie verschwunden ist«, gesteht der Drache schwermütig. Ich nicke gleichgültig. »Dennoch habe ich Neuigkeiten.«

Ich schwöre, wenn er mich jetzt zur nächsten jährlichen Versammlung einlädt, wird er auch Opfer meines nächsten Wutausbruchs. Zwar kann ihm meine Magie nichts anhaben, dennoch wird es befriedigend sein, ein paar Feuerbälle nach ihm zu werfen. Schlimm genug, dass ich meinen Sternenbrüdern nichts von meinem Verlust erzählen darf. Ich kann verstehen, dass ich unter den Sternen keine Massenpanik auslösen soll, denn bisher schien es unmöglich, seine Begleiterin zu verlieren. Aber Mingyue kann nicht von mir erwarten, dass ich mich unter sie begebe und mit ihnen spreche, als wäre nichts geschehen. Als wäre ich noch vollständig.

Unwillkürlich balle ich die Hände zu Fäusten.

»Mina ist nicht die einzige Begleiterin, die verschwunden ist.«

Mingyues Worte wirken wie ein Schwall eiskaltes Wasser und werfen mich völlig aus der Bahn. Es ist die Ankündigung, die wir bereits seit Jahren befürchtet haben, und doch trifft sie mich unvorbereitet. Ich kann aus Erfahrung bestätigen, dass einen Stern nichts mehr schmerzt, als seine Begleiterin zu verlieren. Ich würde mein Schicksal keinem meiner Brüder wünschen. Allerdings hoffte ich auch insgeheim auf diese Worte. Wenn es auch mit Begleiterinnen von anderen Sternen geschieht, muss es einen rationalen Grund für ihr Verschwinden geben. Vielleicht können wir ihn gemeinsam herausfinden.

Dennoch habe ich Mitgefühl für die anderen, die nun den gleichen Verlust durchleiden mussten.

»Vor wenigen Stunden haben zwei weitere Sterne ihre Begleiterinnen verloren«, fährt der Drache fort, »sie berichten Ähnliches wie du damals.«

Grimmig nicke ich. Die Erinnerungen an die letzten Momente mit Mina brechen mir noch immer das Herz. Ich weiß nur zu gut, wie die anderen Sterne sich jetzt fühlen müssen.

»Wer?«, hake ich nach und der Drache nennt mir die Namen. Zwei Brüder, die mein Schicksal teilen. Ich kenne die beiden nicht gut, aber in den Jahrhunderten unserer Ewigkeit habe ich das ein oder andere Wort mit ihnen gewechselt.

»Ich werde sie aufsuchen und mit ihnen sprechen«, verkünde ich, was der Drache mit einem Nicken zur Kenntnis nimmt. Zwar kann ich meinen Stern nicht für lange Zeit verlassen, aber ein kurzer Moment wird ihm nicht schaden. Und es sollte nicht zu viel Magie benötigen, mich zu den Brüdern zu transportieren … Dagegen wird es mich viel Energie kosten, mit ihnen zu sprechen.

Fast muss ich lachen, so seltsam ist die Situation. Sterne, die eine Trauergruppe bilden, wie es Menschen tun würden. Doch ich will meinen Schmerz nicht mit ihnen teilen. Ich weiß, dass nichts unser Leid lindern kann. Stattdessen will ich meine Brüder mobilisieren. Wenn wir gemeinsam nach Antworten suchen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir fündig werden.

»Ich habe ihnen deinen Besuch bereits angekündigt«, bemerkt der Drache und ich verdrehe die Augen. Auch wenn es absehbar war, hätte er mich zunächst fragen können, bevor er Versprechungen in meinem Namen macht.

»Sie werden noch ein wenig warten müssen«, entgegne ich unter anderem wegen meines Unmuts darüber, »ich bin hier noch nicht fertig.«

Natürlich könnte ich auch nach meinem Besuch oder morgen damit fortfahren, die Bibliotheken der Erde nach Informationen abzusuchen. Zeit ist etwas, wovon wir Sterne mehr als genug haben. Ich umso mehr, nachdem die Einzige, der ich meine Zeit schenken wollte, verschwunden ist.

Mingyue schnaubt, sodass die Rauchfahnen aus seiner Schnauze dunkler werden.

»Wie du wünschst.«

Bevor er sich dazu anschicken kann, meinen Stern zu verlassen, kehre ich ihm demonstrativ den Rücken zu und richte den Blick zurück zur Erde. Es ist nicht seine Schuld, dass er bisher nicht herausfinden konnte, was mit Mina geschehen ist, und doch … Ich kann nicht anders, als es ihm übel zu nehmen. Er ist derjenige, der Antworten auf meine Fragen haben sollte, der als Sohn zweier Götter viel mehr wissen sollte, obwohl ich weiß, dass auch er nicht allmächtig ist.

Meine Augen gewöhnen sich schnell daran, nicht mehr mein Gegenüber anzublicken, sondern in die Ferne zu blicken. Der Aussichtspunkt ermöglicht es mir auf magische Weise, direkt in die Leben der Menschen zu blicken und die Details der Erde wahrzunehmen, als stände ich selbst darauf. Die Magie der Sterne, die selbst wir nicht völlig verstehen, lässt mich in die kaiserliche Bibliothek Midlands blicken, auf die Schriftrolle eines Gelehrten, der sie konzentriert studiert. Ich kann die Bücher nicht selbst nach Informationen durchsuchen, sie nicht aus den langen Regalreihen ziehen und darin blättern, aber ich kann dem Midländer über die Schulter blicken und mitlesen. Wobei ich enttäuscht feststellen muss, dass die geheimnisvoll aussehende Schriftrolle nur einen Liebesroman enthält.

Ich will bereits nach einem anderen Gelehrten suchen, der sich hoffentlich anspruchsvollerer Lektüre widmet, als wir beide hören, wie die Tür zur Bibliothek aufgestoßen wird. Gemeinsam blicken wir auf und was ich sehe, bringt mein Herz zum Stillstand.

»Mina«, stoße ich hervor, als ein kleines Mädchen in die Bibliothek stürmt. Die grauen Augen, mit denen sie den Gelehrten überrascht anblickt, würde ich überall wiedererkennen. Ihr feuerrotes Haar, das sie sich hinter die Ohren streicht, erinnert mich schmerzlich an meine Begleiterin. Das Mädchen ist vermutlich gerade mal fünf Jahre alt und doch ist sie Mina wie aus dem Gesicht geschnitten. Die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen, die dunklen Augenbrauen, die sie erschrocken hebt, als sie den Lesenden anstarrt.

»Was ist los, Darius?«, höre ich Mingyue im Hintergrund fragen, der scheinbar entschieden hat meinen Wunsch, dass er geht, zu ignorieren. Ausnahmsweise bin ich froh, dass der Drache sich so viel herausnimmt, denn ich würde mir selbst nicht glauben, wenn jemandem von diesem Anblick erzählen würde.

»Sieh«, fordere ich ihn schlicht auf und beobachte, wie das Mädchen unsicher vom Gelehrten zur Tür blickt.

»Entschuldigung, ich dachte, Ihr wärt Huoyan«, murmelt es und sogar die Stimme erinnert mich an meine Begleiterin. Das Mädchen tritt langsam aus der Bibliothek und schließt die Tür hinter sich.

Der Gelehrte mit der Schriftrolle blickt ihr ebenso fassungslos nach wie ich und schnalzt missbilligend mit der Zunge.

»Diese Ri glaubt auch, sie könne sich alles erlauben«, meint er zu sich selbst, ehe er weiterliest. Ich halte den Blick auf die Tür gerichtet, entscheide mich jedoch dagegen, dem Mädchen zu folgen und es zu beobachten. Zunächst muss ich mit Mingyue sprechen, der die ganze Zeit über nichts gesagt hat.

Als ich mit dem Bewusstsein auf meinen Stern zurückkehre, sind die Augen des Drachen glasig, bis auch er blinzelt und den Blick nicht mehr in die Ferne richtet.

»Interessant«, stellt er fest und zieht das Wort nachdenklich in die Länge, als wüsste er selbst nicht so ganz, was er davon halten soll.

»Interessant?«, echoe ich fassungslos. »Sie sah aus wie Mina! Was hat das zu bedeuten?«

Der Drache legt nachdenklich den Kopf schief. Ich kenne seine Tendenz, nicht zu spekulieren, keine Annahmen zu machen, wenn ihm noch Details fehlen. Ich habe in meinen Jahrhunderten genügend Gespräche mit ihm geführt, um zu wissen, dass er keine Überlegung in Betracht ziehen wird, bis er sich eingehend mit dem Thema beschäftigt hat. Er wird eine philosophische Aussage treffen, davonfliegen und über dem Thema brüten, bis er nach unendlich langer Zeit zu einer Schlussfolgerung kommt, die er mir offenbart. Eine Zeit, die ich nicht warten möchte.

»War es Mina?«, beginne ich deshalb meine Gedanken auszusprechen. »Sie sah aus wie Mina, sie verhielt sich wie sie, aber sie war viel zu jung …«

Wer auch immer dieses Mädchen ist, ich werde es herausfinden, alles darüber erfahren. Erkennen, wie Minas Verschwinden damit zusammenhängt. Dass es eine Verbindung gibt, ist bei dieser Ähnlichkeit offensichtlich.

»Vielleicht ist das Mädchen mit Mina verwandt«, überlege ich stirnrunzelnd, »vielleicht ihre Tochter.«

Der Gedanke lässt ein bitteres Gefühl in mir aufsteigen. Die Idee, dass Mina ein Kind von einem anderen Mann haben könnte … gefällt mir gar nicht. Aber welche andere Erklärung könnte es geben?

»Oder Minas Wiedergeburt«, fahre ich fort und denke an die alten Legenden der Menschen, denen wir Sterne durch unsere Unsterblichkeit bisher wenig Bedeutung beigemessen haben, »womöglich wurde sie in dem Mädchen wiedergeboren.«

Die zusammengepressten Lefzen des Drachen zeigen mir, dass er einen ähnlichen Gedanken hatte, obwohl er im Gegensatz zu mir nicht wagt ihn auszusprechen. Das Alter des Mädchens würde passen, Mina wurde mir vor etwas mehr als fünf Jahren entrissen. Um als Mensch wiedergeboren zu werden? Das ergibt überhaupt keinen Sinn.

Dennoch bin ich fasziniert von dem Gedanken. Ich könnte Mina gefunden haben. Ich könnte wissen, wo meine Begleiterin ist.

»Ich muss sie zurückholen!«, verkünde ich aufgeregt und beginne auf und ab zu laufen.

Die wachsenden Rauchschwaden, die Mingyue ausstößt, und seine zitternden Schnurrhaare zeigen mir, dass auch er von der Situation überwältigt ist.

»Sie ist ein kleines Mädchen«, sagt er grollend und doch klingt die Verunsicherung heraus, »du kannst kein kleines Mädchen auf deinen Stern holen und mit ihm die Unendlichkeit verbringen.«

Diese Aussage lässt mich stehen bleiben.

»Aber wenn es Mina ist?«, protestiere ich schwach, doch der Drache schüttelt den Kopf. Er hat recht. Mina wurde wie die anderen Frauen von der Erde als Erwachsene geschaffen und genoss auf meinem Stern die Alterslosigkeit. Das Wunder von Kindern lernten wir erst kennen, nachdem wir unsere Entscheidung getroffen hatten. Ein kleines Mädchen auf meinen Stern zu holen, wäre völlig anders, als die Ewigkeit mit meiner geliebten Begleiterin zu verbringen, selbst wenn es ein und dieselbe Person wäre.

»Ich …«, stottere ich, »ich … wenn … aber … Mina.«

Der Drache legt mir sanft eine Tatze auf die Schulter, die mich schwer zu Boden drückt und doch beruhigt.

»Falls es Mina ist, müssen wir warten, bis sie erwachsen ist, bevor du sie zurückholen kannst«, verkündet er.

»Ich könnte …«, setze ich an, breche aber ab. Was könnte ich? Ich will nicht länger von Mina getrennt sein, aber es wäre auch nicht sinnvoll, sie jetzt zu mir zurückzuholen. Kann ich sie auf der Erde besuchen? Wenn ich dort lebte, könnten wir zusammen sein …

Aber wenn ich meinen Stern für lange Zeit verlasse, wird er verglühen. Selbst kurze Besuche wären risikoreich, denn wenn Mina erwachsen ist und ich sie endlich zu mir holen kann … Mein Stern wird alle Kraft brauchen, die er hat. Auch Mingyue scheint keine andere Möglichkeit zu sehen, als abzuwarten.

»Wir haben Jahre Zeit, um herauszufinden, was geschehen ist«, meint er, »wie es geschehen ist. Und wie du sie zurückbekommen kannst.«

Der Drache blickt mir fest in die Augen und ich bin überrascht, dass ich mir nicht wie sonst Rätsel oder Ausflüchte anhören muss. Stattdessen spricht aus ihm die gleiche Entschlossenheit, die auch ich fühle. Das Wissen, dass er mir helfen wird, diesmal richtig, überzeugt mich zu nicken.

Wir werden Mina zurückholen.

3

Ri

Eine Geheimwaffe des Kaiserreichs zu sein, ist keine leichte Aufgabe, aber sie hat auch ihre Vorzüge. Die Sonderbehandlung, die mir seit meiner Geburt zuteilwird, kann wirklich schön sein. Beispielsweise darf ich an Festessen mit der kaiserlichen Familie teilnehmen, bei denen jedes Gericht köstlich schmeckt und es so viel zu essen gibt, dass es selbst für die zahlreichen Gäste unmöglich ist, alles aufzuessen. Es ist eine Verschwendung, während der Rest Midlands Hunger leidet. Aber wenn ich die Dienstboten sehe, die das Essen herein- und hinaustragen und hungrig auf unsere Mahlzeiten starren, befürworte ich diesen Überschwang dennoch. Sie werden die Reste verspeisen dürfen, heute Nacht mit vollem Magen und einem Lächeln im Gesicht zu Bett gehen und das macht mich froh.

Ich unterdrücke einen schwärmerischen Seufzer, als ich mir einen Bissen Ente auf der Zunge zergehen lasse.

»Alles in Ordnung?«, fragt Huoyan neben mir. Sein Grinsen zeigt mir, dass ihm aufgefallen ist, wie sehr ich für das Gericht schwärme.

»Keine Zeit zu reden«, stoße ich zwischen zwei Bissen hervor, was ihn zum Lachen bringt. Keine Ahnung, warum der Kronprinz Zeit mit Sprechen verschwendet, anstatt zu essen.

Aber selbst von dieser Speise, die zu meinen liebsten zählt, kann ich nicht allzu viel essen, denn ich bin bereits von den vorherigen fünf Gängen so voll, dass ich das Gefühl habe zu platzen. Als ich keinen weiteren Bissen essen kann, schiebe ich den Teller von mir und lehne mich zurück. Ich höre das missbilligende Räuspern der Kaiserin wegen meiner fehlenden Tischmanieren, ignoriere sie jedoch und begegne dafür Huoyans amüsiertem Blick.

»Wie soll aus dir nur je eine richtige Dame werden?«, neckt er mich. Ich hebe ergeben die Hände.

»Wenn es um Essen geht, bin ich wohl ein hoffnungsloser Fall.«

Er lacht und isst weiter. Ich hingegen genieße das Gefühl der Sättigung und lasse versonnen meinen Blick durch den Saal schweifen. Obwohl ich die große Auswahl an Speisen befürworte, kann ich über die restlichen Ausschweifungen im Raum nur missbilligend die Lippen schürzen. Der Festsaal ist riesig und eleganter ausgestattet als in diesen Zeiten nötig. Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt, in das tanzende Kraniche geschnitzt wurden, die mit Jade verziert sind und im Licht der zahlreichen Kerzen grün leuchten. Der Boden besteht aus einem riesigen Mosaik, das die wunderschöne Landschaft Midlands zeigt. In der Mitte windet sich ein goldener Drache, die Schnurrhaare neugierig erhoben. Auch die Deckenmalereien sind zu Ehren des Drachenkaisers von Abbildungen des mythischen Tieres geprägt, dabei ist echtes Gold in die Verzierungen eingebettet.

Ebenso prunkvoll ist der lange Ebenholztisch, an dem ich mit der Kaiserfamilie, meinen Schwestern und zahlreichen Ministern und Würdenträgern sitze. Die Stühle sind mit Gänsefedern gepolstert und mit roter Seide überzogen, die mit filigranen Blumen bestickt ist. Jeder Teller besteht aus feinstem kunstvoll bemalten Porzellan und unsere Stäbchen aus echtem Elfenbein. Der Kaiser hat vor seinem Tod weder Kosten noch Mühen gescheut, den schönsten Bankettsaal der Welt anfertigen zu lassen und die passende Ausstattung zu erwerben. Auch unsere Kleider sind perfekt daran angepasst. Mein dunkles Seidenkleid ist von edelstem Stoff und von der kaiserlichen Schneiderin nur für diesen Anlass persönlich für mich angefertigt worden. Bei den Wundern dieses Banketts wird sich keiner der Gäste damit beschäftigen, dass wir uns seit Jahrzehnten in einem Krieg mit Atlas und unseren anderen Nachbarreichen befinden, den wir dabei sind zu verlieren.

Weil ich Midland bisher nicht zum Sieg geführt habe.

Bevor ich länger über den ständigen Misserfolg in meinem Leben nachdenken kann, reißt mich ein Zupfen am Arm aus meinen Gedanken.

»Isst du das noch?«, will Cai wissen und ich bedenke die jüngere Sternentochter mit einem Lächeln. Als Antwort gebe ich ihr meinen Teller, von dem sie die letzten Reste kratzt, was der Kaiserin erneut ein missbilligendes Räuspern entlockt. Cai ist dabei, einige meiner schlechten Angewohnheiten anzunehmen, denn auch sie ignoriert die Kaiserin und genießt ihr Essen.

»Und womit hast du heute deinen Tag verbracht, werte Hoheit?«, wende ich mich wieder an Huoyan, der bei meiner gespielt unterwürfigen Anrede die Augen verdreht. Unsere Neckereien rufen ein warmes Gefühl in mir hervor, das ich jedoch schnell verdränge. Auch das Grinsen in Huoyans Gesicht weicht schnell und macht einem grimmigen Ausdruck Platz.

»Der Kriegsrat hat sich stundenlang beraten«, antwortet er ernst, »wir verlieren jeden Tag mehr Land. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Atlas uns überrennt.«

Bei dieser Aussage meldet sich wieder mein schlechtes Gewissen zu Wort. Es ist meine Schuld, das wissen wir beide, obwohl Huoyan es natürlich abstreiten würde. Wenn ich die legendäre, magiebegabte Sternentochter wäre, die die Drachenwahrer bei meiner Geburt erschaffen wollten, hätte Midland längst seine Überlegenheit bewiesen. Ich wäre an der Front, nicht in diesem Festsaal, und würde Atlas mit einer Machtdemonstration in die Schranken weisen.

Stattdessen bin ich nur ein gewöhnliches Mädchen, das etwas anders aussieht als die anderen.

Huoyan legt sanft seine Hand auf meine, offensichtlich ist ihm aufgefallen, dass er meinen wunden Punkt getroffen hat.

»Außerdem hat meine Mutter mir befohlen einen Liebesbrief an die Tochter unseres Heerführers zu schreiben«, fährt er fort und lockert damit die Stimmung. Ich bin froh, dass er versucht mich auf andere Gedanken zu bringen, und es funktioniert. Wenn ich mir vorstellen, wie mein bester Freund einen Liebesbrief schreibt, heben sich automatisch meine Mundwinkel.

»Hast du dich geweigert oder die Aufgabe an deinen Schreiber weitergegeben?«, will ich neugierig wissen.

Huoyan verzieht das Gesicht.

»Hast du so wenig Vertrauen in mich?«

Ich schnaube belustigt. Wir beide wissen, dass Huoyan in etwa so viel Poesie in sich trägt wie eine Backpflaume.

»Mein Schreiber soll sich etwas ausdenken«, gibt Huoyan schmollend zu und bringt mich damit wieder zum Lachen.

»Du hast offensichtlich das schwerere Los von uns beiden«, scherze ich, »von mir verlangt das Kaiserreich wenigstens nicht zu heiraten.«

»Wohl wahr«, stimmt Huoyan zu, »du weißt gar nicht, wie anstrengend es ist, sich all der Verehrerinnen zu erwehren.«

Darüber verdrehe ich die Augen und meine gute Laune verschwindet augenblicklich.

»Einer würde mir schon reichen«, gebe ich bitter zurück, was Huoyan zusammenzucken lässt.

»Ri, ich meinte nicht …«, setzt er an. »Ich bin mir sicher …«

Statt mir seine Erklärungsversuche weiter anzuhören, schiebe ich meinen Stuhl zurück und erhebe mich. Mit einem Nicken in Richtung Kaiserin, deren Ärger über mein ungewünschtes Aufstehen offensichtlich ist, verabschiede ich mich und verlasse den Raum. Mir ist bewusst, dass ich völlig überreagiere, aber Huoyan kennt mich nun bereits seit siebzehn Jahren. Er weiß genau, wo meine Schwächen liegen, welche Unsicherheiten ich in mir trage. Dennoch hat er heute zwei davon angesprochen.

Mir ist bewusst, er kann nichts dafür, dass ich so unsicher bin und mir wie eine Versagerin vorkomme. Es ist nicht seine Schuld, dass das andere Geschlecht kein Interesse an mir zeigt. Wobei selbst er mich kaum als Frau wahrzunehmen scheint … Aber es steht fest, dass ich Midland nicht durch meine Magie retten kann. Würde ich eine politisch vorteilhafte Ehe eingehen, könnte ich zumindest einen kleinen Nutzen für das Kaiserreich darstellen. Nur dass niemand mir auch nur den Hof machen will. Keiner will eine Frau, die wie eine Atlaerin aussieht. Ich fürchte mich bereits jetzt vor dem Moment, wenn ich Cai und Changye erklären muss, warum wir nie einen Liebesbrief bekommen werden, warum kein Mann um unsere Hand anhalten wird. Warum ich eine alte Jungfer sein werde, während Huoyan zahlreiche Enkel umschwirren. Wenn Midland nicht vorher von Atlas eingenommen wird …

Manchmal wünsche ich mir das sogar. Obwohl ich meinem Reich gegenüber loyal bin, wispert mir eine kleine Stimme zu, dass ich dann frei wäre. Dass ich ohne die Ketten des Kaiserreichs gehen könnte, wohin ich wollte, und nie mehr die Prüfungen der Drachenwahrer ertragen müsste.

Wie von selbst führen mich meine Schritte zum Tempel, der um diese Zeit verlassen daliegt. Ich komme oft hierher, nicht, weil ich besonders gläubig bin, sondern weil der Tempel eine kleine Aussichtsplattform hat. Ich ignoriere die goldenen Statuen darin und marschiere die Treppe nach oben, bis ich auf der Plattform ankomme und in den Himmel blicken kann. Die kalte Nachtluft lindert meine Wut auf den Prinzen, die ohnehin kaum begründet war, während mein Blick über die Sterne schweift. Es gibt nicht viele Orte, an denen ich mich entspannen kann, aber hier oben ist einer davon.

Der Weiße Tiger des Westens leuchtet hell, während meine Augen zielsicher zu seinem Fuß finden. In dessen Mitte leuchtet ein bläulicher Stern, der auf mich herabzuschauen scheint. Der nur für mich zu blinken scheint, als ich mich setze.

Hier oben kann ich daran glauben, dass ich tatsächlich eine Sternentochter bin. Dass mein andersartiges Aussehen tatsächlich magisch bedingt ist und die roten Haare nicht daher kommen, dass ich der Bastard eines Atlaers bin. Denn ich fühle sie, die Verbindung zu meinem Stern, dieses magische Ziehen, das mein Herz nach ihm ausrichtet. Der unscheinbare Stern am Himmel gehört zu mir, wie ich zu ihm gehöre, und das ist fast Beweis genug für meine Magie.

Aber nur fast. Das Gefühl, mit einem Stern verbunden zu sein, reicht nicht aus, um Midland zu retten. Magie, die laut den Drachenwahrern durch diese Verbindung in mir schlummern sollte, wäre dafür nötig, aber sie ist in all den Jahren nicht erwacht. Das lässt mich zweifeln, ob ich mir dieses Band nur einbilde.

Wut auf diesen Stern überkommt mich, der mir Magie geben sollte und es doch nicht tut.

»Warum hilfst du mir nicht?«, frage ich zornig in die Nacht, eine Verrückte, die mit einem Himmelskörper spricht. Natürlich antwortet der Stern nicht, also stehe ich auf und verlasse den Tempel.

4

Ri

Am nächsten Tag gehe ich Huoyan aus dem Weg. Nicht dass ich noch böse auf meinen besten Freund wäre. Im Gegenteil, mein schlechtes Gewissen brennt tief in mir. Aber mein Stolz hält mich davon ab, ihn aufzusuchen, denn dann müsste ich mich entschuldigen und erneut mit den Themen befassen, die ich am liebsten verdrängen würde. Als allererste Sternentochter erwarten alle so viel von mir. Ein Waisenkind, von den Drachenwahrern auf magische Weise mit einem Stern verbunden … Ich sollte Feuerbälle schleudern, Armeen in Brand setzen, die Welt erleuchten. So viele Dinge, die ich nicht kann. Wir wollten unsere Feinde überraschen, sobald sich meine Magie zeigt. Nur hat sie das nie getan und ich vermute, die Existenz meiner Schwestern und mir bleibt nur noch geheim, weil sich keiner eingestehen möchte versagt zu haben.

Ich selbst kann die Demütigung kaum ertragen und will nicht schon wieder vor dem Prinzen in Tränen ausbrechen. Huoyan hat schon viel zu viel Zeit damit verbracht, mich zu trösten. Er sollte sich besser darauf konzentrieren, ein Land zu regieren, oder mit dem Liebesbrief an die Tochter des Heerführers eine politisch vorteilhafte Ehe einzufädeln.