SnowFyre. Elfe aus Eis (Königselfen-Reihe 1) - Amy Erin Thyndal - E-Book

SnowFyre. Elfe aus Eis (Königselfen-Reihe 1) E-Book

Amy Erin Thyndal

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Beschreibung

»Ich bin die Inkarnation von Winter, von Kälte, von Eis« Bekannt als gefühlskalte Schwester der Winterkönigin, verbirgt die Elfe Fyre ihr gebrochenes Herz hinter einer Fassade aus Eis und Frost. Als sie jedoch den Auftrag bekommt, den Frühling einzuleiten, soll ausgerechnet Ciel sie unterstützen — der Prinz des Sommerhofes, der sie einst so sehr verletzt hat, dass sie nun niemanden mehr an sich heranlässt. Für die Königreiche steht zu viel auf dem Spiel, um seine Hilfe ablehnen zu können, deshalb muss Fyre sich ihrer Vergangenheit stellen. Doch Ciel weckt noch immer die Gefühle in ihr, die sie einst gebrochen haben ...  Erlebe eine Liebe so gegensätzlich wie Feuer und Eis!   //Alle Bände der märchenhaften Königselfen-Trilogie:   -- SnowFyre. Elfe aus Eis (Königselfen-Reihe 1)   -- SnowCrystal. Königin der Elfen (Königselfen-Reihe 2)   -- SnowRose. Tochter der Feen (Königselfen-Reihe 3)// 

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Amy Erin Thyndal

SnowFyre. Elfe aus Eis (Königselfen-Reihe 1)

»Ich bin die Inkarnation von Winter, von Kälte, von Eis«Bekannt als gefühlskalte Schwester der Winterkönigin, verbirgt die Elfe Fyre ihr gebrochenes Herz hinter einer Fassade aus Eis und Frost. Als sie jedoch den Auftrag bekommt, den Frühling einzuleiten, soll ausgerechnet Ciel sie unterstützen — der Prinz des Sommerhofes, der sie einst so sehr verletzt hat, dass sie nun niemanden mehr an sich heranlässt. Für die Königreiche steht zu viel auf dem Spiel, um seine Hilfe ablehnen zu können, deshalb muss Fyre sich ihrer Vergangenheit stellen. Doch Ciel weckt noch immer die Gefühle in ihr, die sie einst gebrochen haben …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© Anna Glatt

Amy Erin Thyndal lässt sich von ihren Freunden gern damit aufziehen, dass sie Bücher doch toller fände als Menschen. Nichtsdestotrotz sind es die Menschen um sie herum, die sie zum Schreiben inspirieren und ihrem Leben das gewisse Etwas verleihen. Und zwischen wissenschaftlichem Labor, Hobbys, Freunden und natürlich der obligatorischen Lesesucht widmet sie sich der großen Liebe – ob in ihren Büchern oder in der echten Welt.

Für meine Schwester

-1°C

Schneefall

Fyre

Wenn es schneit, so heißt es, kann man manchmal die Schneekönigin inmitten der Schneeflocken erkennen …

Angestrengt starre ich in die Dunkelheit, Hans Christian Andersens Märchen aufgeschlagen auf dem Schoß, mein iPod spielt Lindsey Stirlings Geigenversion von Crystallize. Die Schneeflocken, die durchs Fenster hereinwehen, setzen sich wie sanfte Liebkosungen auf meine Schultern und mein Haar.

Ja, ich liebe den Winter. Die Kälte, der Schnee, das Eis, das ist es, was das Leben lebenswert macht. Für Hitze und Sandstrände habe ich nichts übrig, meine Welt ist weiß. Sie ist blau, grau, dunkel, kalt – und wunderschön. Nicht zu vergleichen mit Schweiß, schwüler Luft oder Wüstenstaub.

Ich hauche die kalte Fensterscheibe an und zeichne das Abbild einer Schneeflocke. Schneekönigin, nimm mich mit – dieser öde Kai war deiner nicht wert. Ich würde es besser machen!

Aber leider erhört mich niemand. Nicht, dass ich das erwarte. Mein Leben ist kein Märchen, zumindest keines im klassischen Sinne.

Ich lehne mich aus dem Fenster, atme die eisig kalte Luft. Ein Rabe fliegt einsam durch die Nacht, sein Schatten erhebt sich dunkel gegen das Licht der Straßenlaternen.

Komm zu mir, bitte ich stumm, sei so gut.

Abrupt lässt sich der Rabe auf einem Ast nieder, den ich soeben vereist habe und starrt mich an. Dann krächzt er irritiert. Kichernd schließe ich das Fenster.

Eine Tür in meinem Rücken öffnet sich und jemand tritt hinter mich.

»Callum«, hauche ich, drehe mich um und sehe dem hellblonden Elf tief in die Augen. Atemlos starrt er mich an, kann sich nicht zurückhalten, kommt näher und legt seinen Arm um meine Hüften. Er senkt seine Lippen auf meine, während seine andere Hand suchend auf meinem Rücken umherstreift.

Lachend entwinde ich mich seinem Griff.

»Das hast du doch nicht ernsthaft geglaubt, oder?«

Er wendet sich enttäuscht ab.

»Crystal sucht dich.«

Seufzend drehe ich mich um und stolziere davon. Wenn eine Königin dich sucht, sei besser zur Stelle, selbst wenn sie deine Schwester ist. Gerade dann, befürchte ich.

Erhobenen Hauptes schreite ich durch die Gänge des Hauses. Der Hof der Winterkönigin ist groß, allein das zugehörige Haus, oder wohl eher der Palast, ist riesig. Müsste man hier putzen, würde man niemals fertig werden. Die antike französische Ausstattung glänzt, seit ich denken kann, ohne auch nur ein Körnchen Staub anzusetzen, und keine Spinne würde es wagen, hier ihr Netz zu spinnen. Den Anblick des weißen Marmorbodens beschämt nicht ein einziger Fleck oder Fehler im Stein, die Deckenmalereien wirken so frisch, als wäre da Vinci erst gestern bei uns zu Gast gewesen.

Im Vorbeigehen lasse ich alle Lichter erlöschen, von pompösen elektrischen Kronleuchtern zu schlichten Kerzen und einsamen Glühbirnen in Abstellräumen mit angelehnten Türen. So schön mancher unsere Einrichtung auch finden mag, so sehr sie zu tiefgründigen Gedichten anregt, so ist sie doch nicht so ganz mein Fall. Ich kann diesen übertriebenen Prunk nicht ausstehen, aber vor allem nicht dieses widerlich warme Licht. Obwohl ich am Hof der Winterkönigin bin – wieso erinnert hier so viel an den Sommer? Zischendes Feuer in den Kaminen, funkelnde Kronleuchter, angezündete Kerzen, heiße Küchenherde und sogar eine verdammte Bodenheizung.

Crystal ist keine winterliche, eisige Winterkönigin, wie sie im Buche steht, fürchte ich. Meine Schwester ist viel zu nachsichtig, gutmütig, verantwortungsbewusst, und wäre das nicht mit unangenehmen Nebeneffekten verbunden gewesen, hätte ich sie längst umgebracht und ihren Platz eingenommen.

Geschwisterliebe kennen wir nicht, beziehungsweise, kenne ich nicht. Die Liebe ist ein zu warmes, hässliches Gefühl – was soll ich denn bitteschön damit?

Crystal zieht mich oft damit auf, dass ich der eigentliche Winter bin, aber das wissen ohnehin alle. Ich bin die Inkarnation von Winter, von Kälte, von Eis. Ich bin die vollendete Winterelfe.

Wahrscheinlich hat unsere Mutter deshalb Crystal als Königin erwählt. Ich bin zu kaltblütig, zu berechnend, zu gern für mich allein, niemals hätte ich mich um die tausenden Winterelfen kümmern können. Die Bedeutung dieses Wortes ist mir sowieso ein Rätsel. Wieso hätte ich das bitte tun sollen? Meine Schwester hat vielleicht spezielle Kräfte, für die manch einer seine Seele verkaufen würde, aber die habe ich als ihr Zwilling auch. Nur ihre Macht über unser Volk, ihre Autorität habe ich nicht.

Nachdenklich bleibe ich vor einem Spiegel stehen und betrachte mein kaum erleuchtetes Abbild. Ebenholzfarbenes Haar, schneeweiße Haut, blutrote Lippen. Ich bin nicht eitel, ich weiß, ich bin vollkommen.

Aber etwas in diesem Spiegel stimmt nicht, etwas muss verändert werden. Ich lege meine Hand auf das kalte Glas, drückte einen Moment dagegen und betrachte zufrieden, wie sich schmerzhafte Risse durch das Glas ziehen.

In diesem Moment spüre ich etwas. Hinter mir, da ist – Wärme. Angewidert drehe ich mich um in der Erwartung, eine Kerze zu sehen oder etwas Ähnliches, das sein widerwärtiges Licht verbreitet.

Aber hinter mir ist keine Kerze, die ich nicht schon gelöscht hätte. Hinter mir ist absolut gar nichts außer dem dunklen Gang, in dem durch mein perfektes Werk Eiseskälte herrscht. Erfolgreich habe ich auf meinem Weg alle Lichter mit meiner Magie gelöscht, alle Heizungen ausgeschaltet und jede Hitzequelle eliminiert. Dennoch war da etwas …

Irritiert suchen meine Augen die Umgebung ab. Ich weiß, ich habe mich nicht getäuscht. Ich täusche mich nie.

Unverhofft spüre ich eine warme Hand, die meine Schulter berührt. Verärgert wirble ich herum. Wer wagt es?

Vor mir steht ein Sommerelf. Die brennende Wärme, die von ihm ausgeht, scheint mich zu verglühen. Ich will ihn gerade mit einem Eisregen begrüßen – ein Sommerelf, der in unseren Hof eindringt, ist nie willkommen – als mir aufgeht, wer da vor mir steht und grinsend meine Reaktion abwartet. Dunkelblonde, lächerlich verwuschelte Haare, große, schlanke Statur, Lippen, für die manch einer töten würde, eine makellose Haut in der Farbe von flüssigem Karamell – er ist es. Ich entlasse das Eis, das ich mit meiner Magie zu seiner Begrüßung rufen wollte, reiße mich los und gehe weiter.

»Warte«, befiehlt der Elf hinter mir. Ich ignoriere ihn.

Hastige Schritte, und er packt mich an der Schulter.

»Was willst du, Ciel?«, fahre ich ihn an. Ciel, Repräsentant des Sommerhofes, Bruder des amtierenden Sommerkönigs, ist bedauerlicherweise an unseren Hof gereist, um mit Crystal irgendeinen Unsinn über die Jahreswende zu besprechen. Er ist nicht gerade meine liebste Person. Immer die Ruhe bewahren.

»Was?«, frage ich ungeduldig.

»Fyre …«, sagt er meinen Namen. Bilde ich mir den flehenden Unterton nur ein?

Ich weiß, was hat sich unsere Mutter nur dabei gedacht, mich Fyre und meine Schwester Crystal zu nennen? Das größte Paradoxon aller Zeiten.

»Du weißt doch längst, was ich will«, stellt Ciel schließlich fest.

Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich ihn an.

»Ach ja?«

Natürlich weiß ich, von was er spricht. Der Frühling fängt an – doch dumm, dumm, der Sommerkönig und die Winterkönigin sind gerade ziemlich beschäftigt. Ciel springt als Bruder des Sommerkönigs für ihn ein, aber ich bin nicht gerade wild darauf, seinem Beispiel zu folgen. Ich seufze.

»Vergiss es. Das musst du mit meiner Schwester ausmachen.«

»Was er bereits getan hat.«

Crystal kommt aus einem der Gänge. Sie begutachtet mein Werk im winterlichen Gang, dann klatscht sie in die Hände, alle Lichter flammen wieder auf. Auch die Heizung springt wieder an – mir scheint sie sogar wärmer als zuvor, als wolle sie verlorene Zeit wettmachen.

Kalt funkle ich Crystal an. Meine süße kleine Schwester mit ihrem platinblonden Haar, den dunkelgrünen Augen und dem verspielten Petticoat-Kleid steht mir in nichts nach, dennoch gebe ich meistens vor, die Überlegenere zu sein.

»Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben«, schmolle ich mit einem ironischen Unterton.

Sie zieht eine Braue nach oben, dann richtet sie den Spiegel an der Wand. Beleidigt sehe ich zu, wie sie Ciel mit einer nicht besonders formellen Umarmung begrüßt und sich schließlich wieder mit mir beschäftigt.

»Fyre, du weißt, ich bin gerade sehr beschäftigt, deshalb bitte ich dich darum, dich dieses Jahr mit dem Bruder des Sommerkönigs um den Frühling zu kümmern.«

»Bittest oder befiehlst?«, hake ich nach, aber ihr kalter Gesichtsausdruck beantwortet meine Frage bereits.

Na großartig. »Was muss ich tun?«

»Der Frühling stellt traditionell den Übergang vom Winter in den Sommer dar. Ich übertrage dir die Macht über den Winter, Ciel wird sie dir abnehmen und die Welt in Richtung Sommer bewegen. Ich habe veranlasst, dass du dazu an den Sommerhof reist. Genaueres wirst du dort erfahren. Die paar Wochen wird dein Blut die Wärme schon aushalten, Schwesterherz.«

Dieses Mal scheint Crystal unerbittlich zu sein. Wenn’s denn unbedingt sein muss.

Werde ich eben zu diesem grässlich heißen Hof reisen, mich ein paar Wochen lang in schrecklich heller, froher Umgebung aufhalten – es ist immerhin die perfekte Gelegenheit, ein wenig Unruhe zu stiften.

»Du wirst dich benehmen, Fyre«, befiehlt Crystal, ausgerechnet mir.

»Aber natürlich, Schwesterchen«, antworte ich zuckersüß und rausche davon. Ja klar. Als ob ich mich an so etwas halte.

Ihr gutes Benehmen kann sie sich sonst wohin stecken.

Callum ist immer noch in meinen Räumen und stöbert in meinem Nachttischschränkchen.

»Raus!«, kommandiere ich, überlege es mir aber anders.

Ich winke die unscheinbare Dienerelfe hinter mir herein. »Du kannst schon mal anfangen zu packen. Bloß keinen Mantel – es wird warm genug.«

Dann wende ich mich Callum zu.

»Warte«, flüstere ich und trete auf ihn zu. Provozierend lege ich den Kopf in den Nacken und öffne leicht den Mund. »Callum …«

Er kann sich nicht beherrschen und handelt wie vorausgesehen, indem er sich mir zuneigt, um mich verlangend zu küssen. Innerlich lache ich, als ich im letzten Moment zurückweiche und mich über die Zerstörung freue, die ich in ihm anrichte.

Immer dasselbe Spiel – aber wieso nicht noch ein wenig Spaß haben?

Callum folgt mir nach, versucht, mich zu erreichen, mich an ihn zu drücken. Ich lasse ihn nicht gewähren, necke ihn, umkreise ihn spielerisch. Endlich erlaube ich ihm einen verstohlenen Kuss auf meine Wange, spiele verführerisch mit seinem Haar, wenn ich ihm wieder entkomme.

»Schluss jetzt.«

Er muss schon länger in der Tür stehen. Keine Ahnung, wieso ich seine Hitze nicht gleich bemerkt habe – na ja, ich habe an anderes gedacht. Augenblicklich löst sich Callum von mir und drückt sich an ihm vorbei, flieht, möglichst weit weg vor mir und der tödlichen Versuchung, die ich für ihn darstelle.

»Was soll das?«, will ich wissen, »Jetzt hast du ihn verscheucht. Willst du etwa seinen Platz einnehmen?«

Ciel runzelt die Stirn.

»Und ich dachte immer, du seist die Inkarnation der Kälte. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet.«

»Offensichtlich bin ich das nicht immer … Also, willst du nun oder willst du nicht?«

Er grinst. »Ich denke, ich verzichte vorerst.«

Empört nehme ich die Arme vor der Brust zusammen.

»Wieso hast du dann gestört?«

Er schüttelt resigniert den Kopf.

»Es gehört sich nicht, Elfen so zu behandeln. Du könntest ruhig etwas verantwortungsvoller mit deinen Bediensteten umgehen.«

Ich lege den Kopf in den Nacken und lache hell.

»Hast du vergessen, wer ich bin?«

»Sicher nicht«, murmelt er und kommt näher, bis er direkt vor mir steht. Ich bin wie versteinert, kann ihn nur ansehen, während seine Lippen sich bewegen und er etwas sagt.

»Ich denke, du solltest dein Verlangen nicht an deinen Untergebenen stillen. Vorerst muss das hier genügen.«

Er haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen und geht.

Unfähig, etwas zu tun, starre ich weiterhin auf die Tür, meine Finger zucken in Richtung Unterlippe. Ich bin völlig paralysiert.

Der Kuss dieses Sommerelfs hat mich nicht, wie erwartet, verbrannt. Es hat sich unbeschreiblich angefühlt, mit einer eindringlichen, willkommenen Wärme – einfach nur wundervoll. Ich lecke mir über die Lippen.

Verdammt, ich will mehr davon.

Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, ein paar Wochen am Sommerhof zu verbringen.

0°C

Eisregen

Ciel

Sie so zu sehen, in den Armen eines Anderen, ist mehr, als ich ertragen kann.

Nach all der Zeit kann ich sie doch nicht vergessen, unwichtig, wie oft sie oder ich unsere Vergangenheit abstreiten, verdrängen.

Das Gefühl ihrer Lippen auf meinen brennt sich in mein Gedächtnis. Fyre.

Wie konnte ich nur so dumm sein?

0°C

Schneefall

Fyre

Wie es auch aussehen mag: Es ist nicht immer leicht, ich zu sein.

Es ist nicht leicht, von allen gehasst zu werden – mit gutem Grund, wie ich mir natürlich bewusst bin – es ist nicht immer leicht, meiner Rolle als kaltherzige, bösartige Zwillingsschwester der allseits beliebten Winterkönigin gerecht zu werden.

Manchmal hasse ich mich selbst.

Manchmal wünschte ich, mir nur einen Tag des Glücks erlauben zu dürfen.

Aber ich darf nicht. Kann nicht.

Ich weiß, danach wäre es noch schwerer. Ich will diesen Schmerz nicht noch einmal erleben müssen. Ich werde alles tun, um das Eis bruchsicher zu halten.

Du wirst schwach, tadle ich mich, hat er nach all den Jahren wirklich solch eine Wirkung auf dich? Du weißt, er hat dich verraten!

Verflucht. Wie kann ich nur so landschaftsschmelzend dämlich sein? Wie?!

Er hat dir damals gezeigt, was du ihm bedeutest. Belass es dabei. Vergiss ihn.

Ich darf nicht schwach werden. Nicht jetzt. Nicht ihm gegenüber …

Genug davon. Ich versuche, die Gedanken an Ciel zu verdrängen und mich wieder auf den Weg zu konzentrieren.

Rosie ist ohnehin schon viel zu gut darin, mich zum Grübeln zu bringen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich sie immer seltener besuche, aber natürlich muss ich mich verabschieden.

Widerwillig klopfe ich kurz, bevor ich die Tür zu ihrem Garten öffne.

Ein wildes Blumenmeer empfängt mich.

Wintergärten sind eigentlich eine gute Sache, zumindest, solange man sie nicht der Pflege einer hobbylosen alten Frau übergibst.

Na gut, ich gebe zu: dieser gesamte Ort ist ein Traum. Dank Rosies Fürsorge beanspruchen die ausgefallensten Pflanzen, verloren geglaubte Arten sowie natürlich ihre Lieblinge jeden einzelnen Winkel in Beeten und Töpfen für sich.

Aber für eine Winterelfe wie mich ist das nichts.

Zumindest ist es das, was ich mir einrede.

Ich folge dem Weg in die Mitte der Glaskuppel, welche den Garten umwölbt, der feine Kies knirscht unter meinen schwarzen Wildlederstiefeln.

Hinter dem kreisrunden Springbrunnen, der die Fläche im Zentrum dominiert, steht Rosie, von mir abgewandt, konzentriert mit ihrer Gartenschere ein paar verwelkte Blätter von den Rosen auslichtend.

Ihre schulterlangen, schneeweißen Locken hüpfen auf und ab, als sie sich nach einer blutroten Prince Noir beugt.

»Schön, dass du schließlich auch noch zu mir findest, Liebes«, begrüßt sie mich – eine Mischung aus echter Freude und Sarkasmus.

Ich lasse mir das aufkeimende Schuldbewusstsein nicht anmerken, als ich die zweite Schere vom Brunnenrand aufhebe und mich neben sie stelle.

»Ich hätte auch gar nicht kommen können«, deute ich an, woraufhin Rosie anfängt zu lachen.

»Keine Chance«, wehrt sie ab, »ich kenne dich viel zu gut, als dass ich daran zweifeln könnte, dass sich in dir nicht mehr meine süße kleine Enkelin verbirgt, die sich in Gewitternächten immer an meinen Rockzipfel klammerte.«

Ich muss lächeln und fange an, ein paar trockene Äste von der kletternden Indigoletta vor mir abzuschneiden.

»Jaja, ich freue mich auch, dich zu sehen, Rosie.«

Endlich schaut sie mich an, der Blick aus ihren saphirblauen Augen trifft mich prüfend bis ins Herz. Trotz ihrer 863 Jahre gilt sie immer noch als Schönheit – nicht ohne Grund. Sie steckt mir sanft die Prince Noir ins Haar.

»Steht dir ausgezeichnet, Kind«, kommentiert sie.

Ich verdrehe nur die Augen.

»Du solltest aufhören, deine Gefühle zu verstecken«, versucht sie mich wie so oft zu belehren. Noch ein Grund, weshalb ich ihre Gesellschaft so selten aufsuche: Ihr Vorschlag ist zu verlockend und beängstigend zugleich.

»Rosie! Ich bin nicht wie Crystal, akzeptier das endlich!«

Sie runzelt die faltige Stirn.

»Das habe ich nie behauptet. Du bist nicht wie deine Schwester. Aber deine Maske tut weh, Schatz.«

Sie weiß gar nicht, wie sehr. Ich seufze.

»Wie oft soll ich es noch sagen? Ich trage keine Maske.«

Für einen Moment ist nur das Klacken der Gartenscheren und das knisternde Geräusch zu hören, das ertönt, wenn das nächste Blatt in den Transportkasten geworfen wird.

»Ich habe gehört, dieses Jahr wirst du mit Ciel den Frühling übernehmen?«, erkundigt sie sich scheinbar beiläufig, das Thema wechselnd.

Für heute hat sie es aufgegeben – aber sie wird es wieder versuchen. Und wieder. Und wieder. Rosie als »hartnäckig« zu bezeichnen, wäre deutlich untertrieben.

»Crystal zwingt mich dazu«, erkläre ich und verpasse dem blassblau blühenden Rosenbusch vor mir den letzten Schliff. Perfekt. Jede Blüte ein Lichtblick – der ganze Busch vervollkommnet. Kein einziger Makel ist zu entdecken. Ich begebe mich stolz zum nächsten Exemplar – eine jungfräulich weiß blühende Boule de Neige.

»Das ist toll! Deine Schwester hat die Voraussicht deiner Mutter geerbt. Es wird dir guttun, vertrau mir.«

Ich bedenke sie mit einem vernichtenden Blick.

»Du meinst wohl hoffentlich nicht Ciel?«, frage ich angriffslustig.

Sie lächelt nur geheimnisvoll.

Zur Hölle, wieso ist mein Schutzeis in ihrer Anwesenheit nur nie zu retten?

»Wie kannst du nur glauben, ich könnte mich je auch nur für einen Moment auf das Niveau dieses idiotischen Sommerelfen herablassen!«, brause ich auf.

Rosie bleibt unbeirrbar.

»Siehst du? Deine Mutter war genauso, als sie deinen Vater zum ersten Mal traf. Damals waren die Höfe noch verfeindet, und sie wollte ihn anfangs gar nicht mögen …«

»Und jetzt sind beide tot«, sage ich kalt. Rosie zuckt zusammen.

Es heißt vielleicht, die Zeit heile alle Wunden, aber für diese gilt das offensichtlich nicht. Oder die Seelenheilkräfte sind in unserer Familie einfach nicht genetisch verfügbar, wer weiß. Der Schorf auf dieser Wunde scheint zumindest ziemlich dünn zu sein.

»Jeder stirbt einmal«, stellt sie bekümmert fest, »aber deine Eltern hatten ein erfülltes, glückliches Leben, in dem sie nie etwas bereut haben. Nicht jedem ist solch ein strahlendes Schicksal vorherbestimmt.«

»Wie auch immer«, erwidere ich gespielt freundlich, werde aber wieder ernst.

»Ich habe dich lieb, Oma«, sage ich entschuldigend.

Sie lächelt mich liebevoll an.

»Das weiß ich doch, Fyre. Solltest du aber nicht langsam anfangen, zu packen?«

Bevor ich mich stoppen kann, habe ich schon die Schere beiseitegelegt und finde mich in einer Umarmung wieder. Der Orangenduft ihres Parfüms riecht wie Zuhause und erinnert mich an tausende winzige, von Zufriedenheit durchdrungene Begebenheiten.

Verdammt, wann bin ich nur so sentimental geworden?!

Ärgerlich auf mich selbst löse ich mich von ihr. Zeit zu gehen, bevor ich noch mehr kaputt mache.

»Rhia ist bereits dabei, aber vielleicht sollte ich mal nach ihr sehen«, verkünde ich. »Bedienstete machen doch immer etwas falsch.«

Sie lächelt ihr sanftes Großmutter-Lächeln, ohne auf meinen spitzen Kommentar einzugehen. Ich seufze.

»Ich werde dich vermissen«, gestehe ich.

Ohne auf ihre Erwiderung zu warten, haste ich aus dem Garten.

-5°C

Eissturm

Ciel

»Vielleicht kann er erreichen, was sonst niemand erreicht«, sagt eine traurige Stimme, »möglicherweise kann er ihr helfen, endlich wieder ihr wahres Ich zum Vorschein zu bringen, und ihren Schmerz lindern.«

Ich ziehe meine zum Klopfen erhobene Faust zurück. Was höre ich da?

Vorsichtig nähere ich mich der Tür und spähe durch das Schlüsselloch in den Audienzsaal der Königin. Spitzeln sieht mir eigentlich nicht ähnlich, doch dieses Gespräch verspricht interessant zu werden.

Onyx, ein enger Berater Crystals, hebt gerade zweifelnd eine Augenbraue.

»Ihr wahres Ich? Ist es denn nicht längst offensichtlich?«

Von wem sprechen sie?

Unterschwellig bemerke ich die Art, wie er sie ansieht. Als verzehre er sich zutiefst nach dem einzigen, was ihn am Leben erhält, und als bereite ihm die Verweigerung dessen ungeheure Schmerzen – die er allerdings gekonnt hinter einem bewundernden Lächeln versteckt. Auch in ihrem Blick liegt eine unausgesprochene Sehnsucht – hinter gezwungener Höflichkeit und Distanz verborgen.

Wie auch immer, das Privatleben der Winterkönigin geht mich nichts an.

Nun verschränkt Crystal entrüstet die Arme, und ich konzentriere mich wieder auf ihre Unterhaltung.

»Nein, Fyre war nicht immer so!«, streitet sie seine zwischen den Worten versteckte Kritik ab. »Früher war sie die umgänglichste, fürsorglichste Schwester, die du dir vorstellen kannst! Gerade mal 16 Minuten älter und wollte mich dennoch immer vor der geballten Grausamkeit der Welt beschützen. Sie wurde erst so wie jetzt, als es passiert war.«

Sie seufzt und spricht nach kurzem Zögern weiter.

»Nach diesem Verlust ist nur noch Ciel wirklich an sie herangekommen. Selbst Rosie konnte erst mit der Zeit wieder Blicke auf die echte Fyre erhaschen. Aber Ciel und Fyre – es war, als wären sie füreinander geschaffen.«

Fyre und ich? Es mag eine Zeit gegeben haben, in der ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte. Doch sie hat mir deutlich gezeigt, was sie von solchen Wünschen hält.

»Ich weiß immer noch nicht, was sie damals trennte«, fährt Crystal fort.

Glaub mir, ich auch nicht, denke ich bitter.

Langsam ziehe ich mich zurück. Ich habe genug gehört, und ich kann mich auch morgen noch bei der Königin für ihre Freundlichkeit bedanken.

Die Gedanken an Fyre schleichen sich in mein Bewusstsein, und es fällt mir immer schwerer, sie zu verdrängen.

Wie soll ich es nur überstehen, gemeinsam mit Fyre den Frühling zu vollziehen?

-2°C

Sternenklar

Luna

Mit einem leisen Pling! verkündet der Aufzug die Ankunft im Zielstockwerk und öffnet seine stählernen Vorhänge, um den Blick auf mein Zuhause freizugeben. Ich ziehe meinen Schlüssel aus dem Zugriffsschloss und betrete unser Wohnzimmer.

»Phi? Andy? Ich bin wieder da!«, verkünde ich lautstark und schleudere die Louis Vuitton-Handtasche hinter das Sofa.

»Vorsichtig damit! Das ist immerhin ein Original! Lerne endlich Mode wertzuschätzen!«, empört sich Tante Phi, die zu mir kommt und mir einen Kuss auf die Wange drückt.

»Sicher«, beschwichtige ich sie und gehe in die Küche, um mir einen Tee zu machen.

Unser Zuhause ist hochmodern, für meine Tanten ist das Neueste und Beste gerade gut genug. Verwirrt sehe ich mich heute wieder mit dem neuesten Ergebnis ihrer Kaufsucht konfrontiert: eine Touchscreen-Kaffeemaschine mit unglaublich vielen Funktionen, aus denen ich leider nicht wirklich schlau werde. Die Zeichen, die anzutippen sind, könnten genauso gut chinesisch sein. Wobei ich sie dann, dank meines Chinesisch-Kurses im letzten Jahr, vielleicht sogar verstehen würde.

Seufzend beuge ich mich zur untersten Schublade unter dem Herd und ziehe einen rustikalen, beinahe antiken Wasserkocher heraus. Dann greife ich in das Fach über den Kühlschrank und schütte ein paar Blätter des teuren, eigens aus China importierten grünen Tees in meine Sheepworld-Tasse.

»Du und dein Tee«, spottet Andy, die sich neben mich stellt und der neuen Kaffeemaschine einen Latte Macchiato entzaubert. Irgendwie ist sie die Einzige, die den ganzen Technikkram in dieser Wohnung versteht.

Sphinx und Andromeda – die zwei verrücktesten Personen, die ich kenne, was nicht nur daran liegt, dass sie Halbelfen sind. Daran natürlich auch, aber ich bin davon überzeugt, dass sie selbst in menschlicher Form hoffnungslose Fälle darstellen würden, Andromeda mit ihrem Hang zu technischen Wunderwerken und Sphinx mit ihren Bauernregeln und Porzellansammlungen, in welchen sie seltene Orchideen züchtet.

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, nehme meine Tasche und verscheuche einen Kyriaki vom Sofa. Diese Biester sind echt überall.

Dann schlendere ich langsam in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir.

Ich flüstere: »Skye? Wo bist du? Komm her, Süße!«

Sie springt hinter ihrem Kratzbaum hervor und fängt an, mir schnurrend um die Beine zu streichen. Wie immer fühlt es sich an, als würde ein kühler Luftzug durch den Raum wehen.

Ich lege meine Tasche auf mein in samtiges Violett bezogenes Bett und beuge mich nach unten, um Skye zu kraulen. Ich kann sie nicht fühlen, aber ihr Schnurren verrät mir, dass wenigstens sie meine Berührungen spüren kann.

»Ich wünschte echt, du wärst eine richtige Katze«, gestehe ich ihr. Zur Antwort faucht sie à la »Bin ich dir denn nicht gut genug?«.

»Du weißt schon, mit Substanz und so.«

Sie überlegt kurz, ob sie weiterhin die Beleidigte spielen soll, dann nickt sie kurz.

Skye ist die erste Kyriaki, die Sphinx und Andromeda geschaffen haben. Normalerweise sind Kyriaki rot, drachenartig, einfach zu kontrollieren, verbittert und auf Blut aus, aber bei Skye ist irgendetwas schiefgegangen, behaupten meine Tanten. Ich jedenfalls finde sie traumhaft – selbst als Geist. Im Gegensatz zu ihren »Artgenossen« scheint sie das Duplikat einer sibirischen Waldkatze, hellgraues, flauschiges Fell, blasse, schokoladenbraune Augen. Ihre Krallen bilden den einzigen Körperteil mit Substanz, wie bei jedem Kyriaki. Am Anfang hatten meine Tanten Angst um mich, als ich ihnen von meinem neuen Haustier erzählte, inzwischen haben sie sich an Skye gewöhnt und akzeptieren sie, solange sie ihnen aus dem Weg geht. Mit diesem Kompromiss scheint sie recht zufrieden zu sein, denn aus irgendeinem Grund traut sie Sphinx und Andromeda nicht über den Weg.

Ich frage mich wirklich, wessen Seele meine Tanten in ihr gefangen haben.

Skye nicht aus den Augen lassend, setze ich mich auf mein Bett und lasse sie auf meinen Schoß springen. Einen Moment lang legt sie sich still hin, dann miaut sie fragend. Ich seufze und ziehe ein Paar Saphirohrringe aus meiner Handtasche hervor.

Geht doch, scheint sie zu sagen und nimmt sie mir mit ihren Krallen ab.

Aus irgendeinem Grund hat Skye eine unvorstellbare Liebe für alles, was glitzert, entwickelt. Ohrringe, Ketten, Armbänder, Pailletten, Strasssteine – nichts ist vor ihr sicher. Immerhin habe ich so eine Lösung gefunden, sie zu bestechen, falls sie mal schlecht auf mich zu sprechen sein sollte.

Sie zögert mit den Ohrringen in den Krallen und schaut mich an.

»Was ist?«, frage ich.

Dir stehen sie besser als mir, höre ich eine Stimme in meinem Kopf, die genau gleich klingt wie meine.

Ich zucke zusammen, reime mir jedoch schnell zusammen, was das war. In meiner Welt sind gewisse Dinge, die sehr verrückt erscheinen, nicht unüblich. Und darüber, Stimmen hören zu können, die andere nicht hören, mache ich mir schon längst keine Sorgen mehr.

»Du kannst sprechen? Seit wann? Wieso hast du das nicht früher gesagt?«, will ich wissen.

Sie legt dein Kopf schief.

Du kannst mich endlich hören?

»Konnte ich das vorher nicht?«

Skye schüttelt traurig den Kopf. Dann schmiegt sie sich wieder an mich.

Die anderen haben erzählt, dass wir Kyriaki nach einer Weile mit anderen Wesen kommunizieren können. Ich hielt es für einen Mythos … Du hast aber keine Angst davor, oder?

Ich lache. Meine beste Freundin kann sich endlich mit mir unterhalten!

»Keine Sorge, ich finde es großartig! Mit meiner Katze sprechen zu können … warte nur, bis ich das Phi und Andy erzähle.«

Nicht weitererzählen, stoppt sie mich entschlossen.

»Na gut«, willige ich ein, »Sag mal, können die anderen Kyriaki auch sprechen?«

Sie zuckt mit den Katzenschultern. Plötzlich fällt ihr etwas ein und sie deutet mit der Nase auf meine Sockenschublade.

Du solltest da mal saubermachen, meckert sie und springt auf den Boden zurück.

»Hey! Hör auf, mir Befehle zu erteilen!«, lache ich und gehe auf besagte Schublade zu.

Ich bin eine Katze, ich darf das, begründet sie ihr Verhalten.

»Das ist keine Ausrede«, grummle ich und öffne die Schublade.

Ich darf das trotzdem.

In meiner Schublade sehe ich ordentlich eingeräumte bunte Socken auf schwarzen Socken auf weißen Socken – und einen rötlichen Schimmer ziemlich weit unten. Irritiert räume ich die oberen Strümpfe zur Seite – und erwische einen Kyriaki dabei, wie er friedlich in meiner Sockenschublade schlummert. Entsetzt fährt er hoch, als ich ihn anstupse und blitzschnell flitzt er unter meinem Türspalt hindurch nach draußen.

Was wollte der hier? Meine Tanten bespitzelten mich doch nicht etwa?

Er ist schon eine ganze Weile hier, erzählt Skye, aber renn jetzt nicht kopflos raus! Nicht jeder ist so, wie er scheint. Ich würde deinen Tanten mit Misstrauen begegnen.

Meine Tanten haben mich ausspioniert?! Zornig stürme ich trotz Skyes Warnung nach draußen und suche nach meinen Tanten. In der Wohnung sind sie nirgends zu finden – fehlt noch der Mysterienkeller. Ich gehe in Andromedas Schlafzimmer, steige in den Kleiderschrank und öffne mit dem Codewort die geheime Treppe, die nur scheinbar ins Nichts führt. Ich steige auf die erste Stufe und warte, während sie sich bewegt und mich an den gewünschten Ort trägt.

Meine Tanten sind gerade dabei, schon wieder einen neuen Kyriaki zu schaffen. Haben wir nicht langsam genug? Die ganze Wohnung wimmelt davon, und ich habe immer noch keine Ahnung, zu was die Viecher gut sein sollen! Skye mal ausgenommen.

Ich stocke, als ich sie beim Lesen aus ihrem Grimoire, jenem Buch, in dem unsere Familie ihre Zaubersprüche und magischen Rituale sammelt, entdecke. Bei uns zu Hause gibt es fast keine Regeln, nur diese: Beim Kyriaki-Beschwören dürfen meine Tanten nicht gestört werden. Selbstverständlich verstehe ich, wieso: Wenn ein Zauber durch fehlende Konzentration danebengeht, kann das böse enden. Die beiden erzählen mir nicht umsonst jeden Morgen am Frühstückstisch eine Horrorgeschichte darüber, was bei schiefgelaufenen Zaubern schon alles geschehen ist.

Inzwischen kenne ich den Zauber ganz gut, schließlich halten meine Tanten nicht viel von Geheimnissen. Sie locken die Seele, die nach dem Tod ihres Körpers immer drei weitere Tage in der Leiche verharrt, aus einem toten Körper und binden sie mithilfe dessen Blut, Zaubersprüchen, etwas Silberstaub und geraspelter Alraunwurzel an diese Welt. Die frisch erwachten Kyriaki erhalten Krallen aus Holunderholz, die durch einen Zauber an ihren Pfoten haften, und das war’s auch schon. Sie folgen ab jetzt den Befehlen ihrer Erschaffer aufs Wort.

Das Schwierigste an der ganzen Sache ist, einen frisch verstorbenen Elf zu finden. Mit Menschen funktioniert das Ganze nicht, und da Elfen ziemlich alt werden und nicht gerade eine große Population darstellen, stirbt nicht alle Tage einfach mal ein Elf. Die Sache mit dem Ewigleben haben die Vorfahren der Menschen total falsch verstanden – Elfenkinder wachsen ganz normal auf, werden 25, altern danach und sterben irgendwann. Mit dem Unterschied, dass wir etwas länger 25 sind. Im Schnitt bleibt ein Elf bis zu seinem 800. Lebensjahr zeitlos und fällt erst dann den Jahren zum Opfer, bekommt Falten und alles Weitere.

Das heißt also, dass nicht jeden Tag ein paar tote Elfen für die Zauber meiner Tanten zur Verfügung stehen, was schon mal zum Problem werden kann. Das Fehlen von Opfern ist recht leicht an ihrer Laune zu bemerken – sind sie bissig und gereizt, war es ein Tag ohne tote Elfen.

Meine Tanten haben mich immer noch nicht bemerkt, also nehme ich mir die Zeit, einen Blick auf den heute Verstorbenen zu werfen. Hellgraue, kurze Haare, ziemlich faltiges Gesicht, unscheinbarer Elf aus der niedrigsten Schicht, männlich. Plötzlich bemerke ich ein paar Blutstropfen auf seiner Brust – sind Andy und Phi etwa schon beim Festsetzen?

Nein, ihr Gemurmel hört sich immer noch nach Beschwörung an. Seltsam, wie kommt dann das Blut dahin? Der Elf vor mir – er ist doch nicht etwa ermordet worden?

Ich weiß, dass meine Tanten so etwas niemals tun würden, aber in diesem Moment bin ich mir nicht mehr ganz sicher.

Ich habe genug gesehen.

Die Sache mit dem Kyriaki in meinem Zimmer kann bis morgen warten.

Unsicher, was ich nun denken soll, fliehe ich aus dem Keller, laufe in mein Zimmer und drücke mein Gesicht in die Kissen, von Skyes tröstendem Schnurren in den Schlaf gewiegt.

-4°C

Bedeckt

Fyre

Rhia betrachtet einen Punkt in der Ecke meines Zimmers, aber als ich hereinkomme, blickt sie verschreckt auf.

Einen Moment lang blitzt in ihren Augen Widerwille auf, Verachtung. Sie reckt überheblich das Kinn nach vorne und will etwas sagen, besinnt sich aber sofort wieder, erinnert sich daran, wer da vor ihr steht, und blickt unterwürfig zu Boden.

Unwillkürlich frage ich mich, ob ich mir das ablehnende Funkeln nur eingebildet habe.

Allerdings kann mir das vollkommen egal sein. Rhia ist meine Dienerin, sonst nichts. Sie hat mir zu gehorchen – wen interessiert schon, ob sie mich mag?

»Hast du meine Kleider eingepackt?«, frage ich sie schroff.

»Natürlich«, antwortet sie mit ihrer leisen, verängstigten Stimme. Manchmal erinnert sie mich an ein Reh, was nicht an ihren braunen Augen oder den dunkelblonden, ihr Gesicht verdeckenden Haaren liegt. Sie ist scheu wie das so gern gejagte Rotwild – eine falsche Bemerkung und sie ist sofort auf der Flucht.

Nur dass man mir nicht entfliehen kann – sie ist der perfekte Nachmittagssnack für meinen Hunger nach Gemeinheiten.

Herrisch stolziere ich durch mein luxuriös eingerichtetes Zimmer zu meinem Bett und werfe mich darauf – aber auf eine elegante Art und Weise. Die schwarze Seide raschelt, als ich mein Kissen nehme und nach dem Schlüssel darunter greife. Ich drehe mich so, dass Rhia ihn nicht sehen kann, und stecke ihn mir in den Ausschnitt. Was die meisten Männer nicht wissen – der Ausschnitt einer Frau ist besser als jede Handtasche.

Ich stehe auf und bemerke, dass Rhia mir immer noch tatenlos zusieht.

»Bücher? Schmuck? Ladegeräte? Steh nicht so faul herum, pack gefälligst!«, schnauze ich sie an.

Schüchtern geht sie durchs Zimmer und steckt scheinbar wahllos Sachen in meine Tasche. Na ja, ich habe genug Platz, also was soll’s.

Ich drehe mich um und trete ans Fenster. Eisblumen gedeihen an der kalten Glasscheibe. Die Nacht hat einen Sturm mit sich gebracht. Schnee und Eis, soweit das Auge reicht – wundervoll, meine Welt. Wenn es nach mir ginge, würde sich der Frühling eindeutig noch etwas verzögern.

Plötzlich bemerke ich am Rand des Fensters einen rötlichen Schimmer. Ich befreie mithilfe meines manikürten, aber nicht lackierten Daumen die Stelle vom Eis, doch als ich genauer hinsehe, ist der Schimmer verschwunden. An seiner Stelle entdecke ich eine tiefe, dreispurige Krallenspur.

»Blutdämonen, auch Kyriaki genannt, waren es«, spuken wie auf Knopfdruck die Gerüchte durch meinen Kopf: »An ihren Opfern bestanden die einzigen Verletzungen aus tiefen, dreigliedrigen Krallenspuren.«

Ich habe keine Ahnung, wie diese Male an meine Fensterscheibe gekommen sind.

Ist auch nicht wichtig.

Wichtig ist, was sie bei mir auslösen.

Ich muss raus hier. Jetzt. Sofort.

»Hör nicht auf«, befehle ich Rhia, die erstaunt aufsieht, als ich aus dem Raum stürme.

Hat man mir meine Bestürzung angesehen? Wird sie es weitererzählen? Wird bald die gesamte Dienerschaft über meinen Ausbruch tuscheln? Wird mein Verhalten bleibende Schäden auf meinem gut polierten, schlechten Ruf hinterlassen? Ich habe sie alle so lange glauben lassen, dass mein Inneres nicht verletzbar wäre, dass ich kalt und unantastbar wie das ewige Eis bin …

Egal. Alles ist egal, bis auf diese Flut von Bildern, Gedanken, Gefühlen in meinem Bewusstsein, die ich verzweifelt loszuwerden, zu verdrängen versuche. Die ich loswerden, die ich verdrängen muss.

Es gibt nur einen Ort, der mir das ermöglichen kann.

Ungewöhnlich schnell bewege ich mich durch die Flure des Winterpalastes, das Ziel immer klarer vor meinen Augen.

Ich werde die Gedanken auslöschen.

Zum Glück ist kein einziger Elf auf den Gängen unterwegs. Um diese Uhrzeit ist das vorauszusehen – doch ich weiß nicht, ob ich mich stoppen könnte, selbst wenn ich mich durch Massen kämpfen müsste. In einer Stunde wird die Sonne aufgehen, in drei Stunden werde ich abreisen – unwichtig. Ich muss das hier hinter mich bringen.

Unerwartet höre ich feste Schritte, die sich in meine Richtung bewegen. Verflucht.

Es gibt keinen anderen Weg, ich kann nicht ausweichen, ich darf mein Ziel nicht aus den Augen lassen.

Hastig sehe ich nach unten und werfe die glatten schwarzen Haare nach vorne. Vielleicht wird mich der Frühaufsteher nicht erkennen, glauben, ich sei nur eine einfache Dienstbotin, die für ihre egozentrische Herrin volle Batterien oder Ähnliches besorgen muss.

Die andere Person ist jetzt auf demselben Gang wie ich. Ich lasse meine Augen fest auf den weißen Marmorfußboden gerichtet, taste visuell Vertiefungen im Mosaik ab, als würde der Boden mir jeden Moment den Sinn des Lebens verraten.

Als die Person direkt an mir vorbeigehen will, tue ich etwas sehr, sehr Dummes.

Ich kann es nicht entschuldigen – ich bin vielleicht sehr durch den Wind, aber ich habe keine Ahnung, welche Macht, welcher Impuls mich in diesem Augenblick lenkt und dazu zwingt, nach vorne zu schauen, in das Gesicht der vorbeilaufenden Person.

Der Blick aus einem Paar unendlich tiefer, braungrüner Augen trifft mich wie ein Blitzschlag.

Meine Eispanzer sind längst gänzlich geschmolzen und so kann ich nicht verhindern, dass er mein schutzloses, innerstes Wesen offen betrachten kann.

Für einen Augenblick bleibt die Zeit stehen.

In ihm kann ich Verwirrung und Erstaunen lesen. Und dann, als Reaktion auf mich, Sorge, eine Art erwachender Beschützerinstinkt und … Zärtlichkeit?

Instinktiv frage ich mich, was er wohl in meinen Augen sieht, das ihn so fühlen lässt.

Sieht er die Angst? Das Chaos? Den Schmerz?

Ich will es eigentlich gar nicht wissen.

Denn wenn ich es wüsste, müsste ich mich damit auseinandersetzen.

Ehrlich gesagt will ich nichts lieber, als mich an seine Brust zu werfen und das olivfarbene Shirt, welches ich an ihm damals immer so unvorstellbar attraktiv fand, voll zu heulen. Sieht er, wie ich leide?

Unbewusst bleibt Ciel stehen und gibt ein irritiertes, ich würde beinahe sagen, besorgtes »Fyre?« von sich.

Dadurch endet der Moment, ich zucke zusammen und eile weiter.

Den ganzen Weg über, bis der Gang sich gabelt, spüre ich seine Blicke im Rücken. Jeder Schritt fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Ciel ist ein Problem, aber mit ihm werde ich mich später befassen.

Jetzt gilt nur noch eins:

Vergessen.

-1°C

Aufklarend

Ciel

Dieser Blick.

Schmerz ist darin gewesen, Not.

Eine unterdrückte Bitte.

Himmel, was stellt sie nur mit mir an?

Wieso werde ich schon wieder schwach?

Sie hat ausgesehen, als müsse sie flüchten. Wovor?

Dann, was sie in mir ausgelöst hat: Aufflammender Beschützerinstinkt und tiefe Sorge rangen mit mir, mit dem, was mich ausmacht.

Dabei weiß ich doch genau, dass sie mich nicht braucht. Mich nicht will.

Sie würde sich halb tot lachen über mich. Beschützen! Ich! Sie!

Was kann ich nur tun?

Wie kann ich diese verdammten Gefühle nur loswerden, diese schreckliche Sehnsucht, diese grauenvolle Hoffnung?

Ich stehe nun mal nicht auf Enttäuschung und Herzschmerz.

Dummerweise ist dies das Einzige, was Fyre sich jemals wünschen würde, in mir auszulösen.

So geht das nicht weiter. Ich benötige Abstand.

Meine verdammte Sommeressenz, die Charaktereigenschaft, die ich von Geburt an in mir trage, muss dringend gekühlt werden, damit sie endlich ihre verfluchte Klappe hält.

Mit einem neuen Ziel vor Augen wechsle ich die Richtung. Vielleicht kann ich die Gedanken abwaschen, den Gefühlen davonschwimmen.

Kurz überkommt mich das schlechte Gewissen, ein gehauchter Widerwille Fyre doch zu folgen. Schließlich hat sie mir damals von diesem Ort erzählt, dem Ort, an dem sie sich selbst vergessen kann.

Doch ich wimmle es ab und dann zählt nur noch die Kälte unter meinen Füßen, das Knistern des Schnees unter meinen nun nackten Zehen. Der einsame See, dessen Wasser von einer dicken Eisschicht geschützt ist.

Ich entkleide mich und lasse die Klamotten achtlos am Ufer liegen, schmelze den Schnee auf einer kleinen Tanne, so dass ich mich später orientieren und meine Kleidung wiederfinden kann.

Mit meiner Wärme lasse ich ein Loch im Eis entstehen und tauche ab.

Das kalte Wasser ist ein Schock, obwohl ich es natürlich erwartet habe. Es ist dunkel, die Eisdecke ist trotz des nahenden Sonnenaufgangs noch zu dick für das Durchkommen von Lichtstrahlen.

Ich schließe die Augen, denn es gibt nichts zu sehen, nichts als die Schwärze hinter meinen Lidern, die Dunkelheit, in der alles beginnt, alles endet.

Und ich schwimme. Durchschneide das Wasser wie ein Pfeil, nehme Geschwindigkeit auf, lasse meine Muskeln schreien vor Kälte, meine Lungen bersten vor Atemnot. Das tiefe Wasser ist wie eine Erlösung, und ich verzögere so lange wie möglich, an das verstörende Ufer der Realität zurückzukehren.