Leseinsel der unabhängigen Verlage - E-Reader für Donnerstag, 12. Oktober 2017 - CulturBooks Verlag - kostenlos E-Book

Leseinsel der unabhängigen Verlage - E-Reader für Donnerstag, 12. Oktober 2017 E-Book

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Die Leseinsel der unabhängigen Verlage gibt’s jetzt auch zum Mitnehmen. Unser kostenloser E-Reader präsentiert die Texte, Autoren und Verlage der diesjährigen Veranstaltungen auf der Leseinsel der Frankfurter Buchmesse 2017. Teil 2: Donnerstag 12.Oktober 2017 Die Leseinsel in Halle 4.1 D36 ist eine Initiative der Kurt Wolff Stiftung, unterstützt von der taz; der E-Reader wird umgesetzt von CulturBooks.

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Seitenzahl: 163

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Über dieses E-Book

Die Leseinsel der unabhängigen Verlage gibt’s jetzt auch zum Mitnehmen.

Unser kostenloser E-Reader präsentiert die Texte, Autoren und Verlage der diesjährigen Veranstaltungen auf der Leseinsel der Frankfurter Buchmesse.

Die Leseinsel in Halle 4.1 D36 ist eine Initiative der Kurt Wolff Stiftung

Leseinsel der unabhängigen Verlage

Ein E-Reader zur Frankfurter Buchmesse

Teil II: Donnerstag, 12. Oktober 2017

Inhaltsverzeichnis
Do, 09:30 Uhr: Konkursbuch Verlag präsentiert Fernweh Leserunde
Do, 10:00 Uhr: Guggolz Verlag präsentiert Johannes V. Jensen
Do, 10:30 Uhr: Verlag Das Wunderhorn präsentiert Lyrikkalender 2018
Do, 11:00 Uhr: Ulrike Helmer Verlag präsentiert Olivia Rosenthal
Do, 11:30 Uhr: Elfenbein Verlag präsentiert Marcel Schwob: Manapouri. Reise nach Samoa 1901/1902
Do, 12:00 Uhr: Berenberg Verlag präsentiert Helge-Ulrike Hyams
Do, 12:30 Uhr: Peter Hammer Verlag präsentiert Rupert und Christel Neudeck
Do, 13:00 Uhr: taz und Ch. Links Verlag präsentieren Simone Schlindwein, Christian Jakob
Do, 13:30 Uhr: Salis Verlag präsentiert Thomas Meyer
Do, 14:00 Uhr: Verlag Das Wunderhorn präsentiert Dany Laferrière
Do, 14:30 Uhr: Satyr Verlag präsentiert Frank Klötgen (Hg.)
Do, 15:00 Uhr: Mitteldeutscher Verlag präsentiert André Schinkel
Do, 15:30 Uhr: AvivA Verlag präsentiert Florence Hervé

Do, 09:30 Uhr: Konkursbuch Verlag präsentiert Fernweh Leserunde

Heitere, poetische, dramatische und abenteuerliche Geschichten und Glossen kanarischer Autor*innen zeigen verborgene Seiten der Inseln. Literarischer Kurzurlaub zur Einstimmung in den Messerummel ;-). Verlegerin Claudia Gehrke und Volontär Florian Rogge lesen aus verschiedenen Büchern unserer kanarischen Reihe („Canarias. Das kanarische Lesebuch“ und „La Palma. Die Canarische Insel“) Regina Nössler liest den Anfang ihres Thrillers „Wanderurlaub“. Zur

Auszug aus: La Palma. Die Canarische Insel

Wulf Göbel: Herr Trinks, auf dem Weg nach Fuencaliente

Heinz Trinks müsste schon länger nachdenken, wann er das erste Mal auf La Palma war. Die Landschaft hatte es ihm angetan, die steilen Berge, La Cumbre, die Lorbeerwälder, der Passat – und nicht zuletzt die Leute hier. Er war den Tag in der Cumbre gewesen, vom San Juan den Weg in den Süden, und wollte, bevor es dunkel wurde, wieder unten sein in Fuencaliente. Das hätte auch prima geklappt, wenn da nicht dieses Haus gewesen wäre in den Weinbergen, mit den vielen Menschen, die irgendetwas zu feiern hatten. Das Lachen und Singen hörte er schon von Weitem, und er dachte daran, dass die Leute hier noch zu feiern verstünden, noch froh sein konnten, wann immer sie wollten, im Vergleich zu seinem griesgrämigen und verplanten Heidelberg heiter waren.

Ja, genau, das war das Wort: heiter. Und fast hatte er damit gerechnet, dass er auf ein Gläschen ins Haus gebeten würde, und fast wäre er enttäuscht gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. Es war aber so, und er nahm dankend an. Aber nur ein Gläschen, ein winziges, una copita. Herr Trinks hatte diese liebenswerte Bescheidenheit, und außerdem sollte er eigentlich keinen Alkohol trinken wegen seiner Arthrose. Von einem alten, aber würdigen Herrn nahm er dankend den vollen Becher entgegen, hielt das Glas gegen das Licht und trank einen guten Schluck.

Schmecktʼs dir, wurde er gefragt. Ja, sehr, sagte Herr Trinks. Und er hätte noch vielerlei Artigkeiten über den Wein sagen mögen, über die Farbe, das Feuer, die süffige Trockenheit. Allerdings nur auf Deutsch. Und deutsch konnte hier keiner. Also sagte er nach einem weiteren Schluck, ja sehr. Und um die kleine Pause zu überbrücken, die womöglich dadurch entstand, dass die Leute auf seinen weiteren Kommentar warteten, den er zu ihrem Wein abgeben würde, sagte er, höflich, wie es seine Art ist, noch einmal „Salud“ und trank zügig aus. Ah gut. Noch ein Gläschen?, fragte der Alte. Und, ohne die Antwort abzuwarten, bestimmte er, dass Heinz Trinks noch eins trinken müsse. Und Heinz Trinks dachte bei sich, dass es nicht anginge und zudem als unhöflich missverstanden werden könnte, wenn er einerseits überschwänglich den wirklich guten Landwein lobte, aber zugleich ein zweites Glas ablehnte. Also nahm er dankend an, überschlug den Zuckergehalt und die Ablagerungen in seinen Knochen. Und sein Gesicht wurde etwas ernster, als er sah, wie sein Glas wieder randvoll geschenkt wurde. Jemand muss diesen Ausdruck bemerkt haben, denn er wurde besorgt gefragt, was denn sei, qué pasa?, und ob ihm der Wein nicht schmecken würde. Doch, doch, versicherte er schnell, denn der Wein war wirklich gut und süffig und sauber. Aber er habe noch nichts gegessen, und auf leeren Magen – Herr Trinks deutete auf seine Bauchgegend und ahnte, dass er einen Fehler gemacht hatte.

Der alte Herr rief irgendetwas in die Runde und sagte, indem er sich für seine Unaufmerksamkeit entschuldigte, dass es gleich etwas zu essen gebe. In der Zwischenzeit könne man ja ruhig das Gläschen trinken, ein Gläschen würde den Appetit anregen. Gehorsam trank Herr Trinks an seinem zweiten Gläschen, und als er es halbvoll irgendwo abstellen und vergessen wollte, wurde es ihm aufmerksam nachgebracht und in die Hand zurückgedrückt. Danke, sagte Herr Trinks und spürte schon die verwabbelte Wirkung der beiden Gläser. Zum Essen – es gab Ziegenbraten, weißen Käse, Kartoffeln und Mojo – trank Herr Trinks noch ein Gläschen, weil sich das so gehört und er sich dachte, wenn ich trinke, werde ich nicht beobachtet, und wenn ich nicht beobachtet werde, brauch’ ich nicht zu trinken. Aber irgendetwas schien nicht zu stimmen mit seinen Überlegungen. Nur wusste er nicht, was. Außerdem hatte er wirklich einen leeren Magen; das Essen tat ihm gut. Und, so hoffte er, es würde auch den drei Gläsern guttun, die mit jeweils 15 % Alkohol wärmend in sein Inneres sickerten. Außerdem war es ohnehin schon düster, und als ihm nach dem Essen der alte Herr sagte, nun müsse er aber noch auf das Geburtstagskind trinken, sagte Herr Trinks nicht Nein. Und auf die Insel, aber sicher. Und auf die Frauen dieser schönen Welt, das allemal. Und auf unsere Freundschaft, darauf nicht zuletzt. Und auf die Hänge von Fuencaliente, die jedes Jahr den guten Wein wachsen lassen. Prost! Und überhaupt auf das Leben!

Aus: La Palma. Die Canarische Insel. Anekdoten, Kurzgeschichten und Essays über Kultur, Natur und Geschichte der Insel. Konkursbuch Verlag. Gebunden, Fadenheftung, zweisprachig, viele Bilder. 288 Seiten. 16,90 Euro. Zur Verlagsseite.

Auszug aus: CANARIAS - Kanarisches Lesebuch

Rafael Arozarena, In der Stadt

Schon lange folgte er dem Geruch. Zehn oder zwölf Kilometer. Auf seiner Haut trug er den Duft von Minze, Beifuß und Lavendel, in der Nase Teilchen von Salzwasser. Erfrischende Tropfen. Er verließ den Weg längs der Küste und betrat die Stadt. Ein Mann tränkte die Blumenbeete zwischen den Bäumen. Es waren Palmen, Tulpen- und Blauschellenbäume. Hier im Schatten erlaubte er sich eine kleine Rast, im Innern einer frischen Luftblase, in der die Düfte ineinander übergingen, ein Gemisch aus Mist, Hibiskus, Sennesstrauch und Verbenen. Er schloss die Augen und versuchte, die verschiedenen Nuancen, die seine feine Nase erreichten, zuzuordnen. Er konnte eine leichte Spur des Aromas ausmachen, das er verfolgte. Beifuß und Fisch. Weiter! Eine feine Luftspur würde ihn zum Ziel führen. Dort würde er die Hand finden, die ihn liebevoll begrüßen, die Stimme, die ihn beim Namen rufen würde. Er beschleunigte seinen Schritt. Die Personen, die ihm über den Weg liefen, würdigten ihn keines Blickes. Er verließ den Weg, durchquerte eine dunkle, übelriechende Wolke von Dieselöl und lief eilig die breite Treppe des Zentralparks hinunter. Pinien, Rosen, Bleiwurz und die Frische eines feinen, wohlgepflegten Rasens. Künstlicher Zitronengeruch eines Kinderlutschers. Lutschend sah das Baby ihn an, zeigte auf ihn und sagte etwas in seiner Kindersprache. Der Bambusweg roch nach feuchter Erde und modernden Pflanzen, aber hier stieg eine feine Wolke des gesuchten Duftes auf. Unschlüssig blieb er stehen und nahm schließlich die Richtung gegen den Wind.

Ebenso wie das Kind schenkte ihm auch ein Liebespaar seine Aufmerksamkeit. Ihr Blick ruhte auf ihm, sie lächelten ihm zu, sagten ihm ein paar Worte. So versuchten die beiden, den Frühling auch in den kleinsten Dingen zu genießen. Sie im himmelblauen Kleid, er im Anzug aus Wildseide mit rotem Einstecktuch, im Knopfloch eine Blume.

Sie sagte: „Diese Augen da, die uns ansehen, sind voller Zärtlichkeit.“

Dann wandte sie sich ihrem Liebhaber zu und fragte: „Siehst du mich darin?“

„Ja“, antwortete er, „du musst dieser winzig blaue Fleck sein. Ich habe Angst, dass er dich in seinen Augen mit fortnimmt.“

Sie lächelte ihn glücklich an.

Im Zentrum der Stadt stellten sich Probleme ein. Häufig ließ ihn der starke Geruch nach Dieselöl die Richtung verlieren. Die Obstläden füllten die Straßen mit aromatischen Duftmischungen aus Apfel, Pfirsich und Guayabafrucht. Meist überdeckten die Bananen alle anderen Düfte. Nun verlor er die Spur völlig. Im unteren Teil der Stadt umhüllten ihn ein starker Teergeruch und die intensive Duftwolke, die aus den Weinschenken strömte. Er fühlte sich sehr müde. Ein paar Augenblicke unterhielt er sich damit, den Fußgängern zuzusehen, den Autos, den Leuten, die in den Geschäften aus- und eingingen. Niemand nahm von ihm Notiz. Er war Teil der Umgebung. Schmutzig, einsam, vom Kurs abgekommen, stumm. Der tote Punkt in den Augen der Gesellschaft. Aber er fühlte sich frei. Er war weder glücklich noch unglücklich. Er konnte nicht einmal an so etwas denken. Er lebte. Das Einzige, was jetzt für ihn wichtig war: Er musste eine Person finden, die nach Beifuß, Lavendel und Fisch roch. Die eine blaue Baumwollhose und ein grünes Hemd trug, Kleider, in denen der Duft eines fernen Ortes hing, der Duft seiner Berge, des Meeres. Er hielt nach speziellen Stoffen Ausschau. Nach großen, jungen, von der Sonne gebräunten Händen, mit Schwielen vom Rudern. Er sah in alle Richtungen, spähte begierig nach der neuen Spur. Eilig nahm er die Suche wieder auf. Keinerlei Witterung in der Nase. Jetzt mit den Augen, die Männerhosen zuordneten. Am häufigsten gab es schwarze mit glänzenden Schuhen, die sich immer auf Marmortreppen verloren. Kakifarbene Hosen mit Gamaschen und Stiefeln, die nach toten, verwesten Tieren rochen. Er nieste. Dann der weiße Marineanzug eines Fremden mit einem Hauch von Stärke und Sauberkeit. Frauenbeine mit und ohne Strümpfe, dünne und dicke Beine, schmutzige, saubere, behaarte und unbehaarte. Hände, die nicht die waren, die er suchte. Da spürte er einen Ruck im Gehirn. Eine uralte Kompassnadel ließ ihn nach links in eine Sackgasse abschwenken. In der Tür einer Kneipe machte er Halt. Zwei Marmortische mit Eisenbeinen. Eine kleine Theke und dahinter ein langer, von Fässern eingerahmter Gang. Der Mann mit den roten Augen tauchte aus dem dunklen Hintergrund auf. Er betrachtete ihn eine Weile. Dann rief er: „Hallo, mein Alter! Dein Freund ist noch nicht da. Er kommt später.“

Weiter durch die Stadt. Stunden voller Hunger, Müdigkeit, Einsamkeit. Er ruhte aus, indem er sich gegen die Wände lehnte. Nur eine rüstige Alte blieb stehen und sah ihn an. Ihre Augen waren voller Mitleid und Neugier. Gegenüber befand sich wie eine Oase ein schattiger Platz mit Indischem Lorbeer. Er fühlte sich durstig. Und in diesem Augenblick, der bereits das Ende seines Daseins war, konnte er etwas erkennen, das ihn veranlasste, mitten auf die Fahrbahn zu stürzen. Er hatte ein Paar alte Schuhe gesehen, deren Absätze schrecklich abgelaufen waren, die Socken hatten große Löcher, die Ränder der Hose waren ausgefranst, die Ärmel des Jacketts speckig, die Taschen ausgebeult und voll von Papierschnipseln. Er roch den Spezialtabak, das Gras von Sonora. Gerettet! Er lief bis zur Mitte der Straße, hob den Kopf, um sich zu vergewissern, und hörte den schrillen Schrei einer Frau. Die Leute blieben wie angewurzelt stehen, keiner rührte sich mehr. Der Himmel brach schwarz und schwer über seinem Körper zusammen, und er konnte nichts mehr sehen. Sein Leben hatte sich auf eine Minute reduziert, auf eine Minute, in der es nach verbranntem Gummi roch...

Neugierige standen herum und gierten nach Neuigkeiten.

„Was ist da los“, wollte jemand wissen.

„Ein Hund“, wurde ihm geantwortet.

James Krüss:

Mehr Nicht

Den Wind vom Ozean

Den heimatlichen

Das karge Strandgras

Und darüber Wolken,

Sehr hoch im Blau

Mehr

Brauch ich nicht

Zum Glück

No necesito más

La entrañable brisa océanica,

La hierba escasa de la playa,

Y las encumbradas nubes

En el firmamento azul :

Más,

Por fortuna mía,

No necesito

Auszug aus Regina Nössler: Wanderurlaub. Thriller

Kapitel 1

Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Es ist so heiß. Ich habe meine Mütze verloren, und nun fühlt es sich so an, als würde die Sonne mein Gehirn frittieren. Wie diese kleinen Schnecken, die im Meer an den Felsen kleben, Lapas, und zusammen mit Knoblauch in einer Pfanne mit siedendem Öl serviert werden.

Die Luft ist erfüllt von dem Geruch überreifer Früchte, süß, üppig, schwer, leicht vergoren, mir wird davon fast schwindelig. Die Luft macht betrunken. Ich stecke in einer gigantischen Schüssel mit Bowle, die nicht nur mit Obst und billigem Sekt, sondern auch mit Schnaps angefüllt ist. Die Natur verschwendet sich. Als hätte sie zu viel von allem. Als gäbe es das immer, diesen Überfluss, als wäre es die pure Lust, all das zu produzieren, als ginge es ewig so weiter und das Leben würde niemals enden.

Hier müssen auch Gärten sein, obwohl wir lange Zeit an keinem vorbeigekommen sind und das Gelände sehr steil ist. Doch von irgendwoher muss dieser Geruch kommen, es können nicht allein die reifen Kaktusfeigen ringsherum sein. Sie sind so prall, dass sie allein durch ihr Gewicht vom Kaktus fallen, manchmal kann ich sogar das Geräusch hören, wenn sie auf den Boden plumpsen. Hier müssen Menschen sein. Es gibt doch gar keinen Ort ohne Menschen. Auch wenn hier nur 85.000 Einwohner leben [...] Es muss an der Brechung in der Luft oder irgendeinem anderen physikalischen Zeug liegen, dass nichts von den anderen zu hören ist. Oder sind sie inzwischen schon kilometerweit von mir entfernt? Sind sie einfach ohne mich zurückgefahren und haben mich vergessen?

Es ist unheimlich still, abgesehen vom Geräusch der herunterfallenden Kaktusfeigen. Nicht mal ein Vogel ist zu hören – wahrscheinlich ist ihnen zum Singen zu heiß. Meine Füße sind auch heiß. Heiß und geschwollen. Meine Füße fühlen sich so geschwollen an, als würden sie gleich aus den Bergschuhen platzen. Vielleicht sitzen die Vögel gut verborgen in den Drachenbäumen und schlafen ihren Rausch aus, weil sie den ganzen Tag von den vergorenen Früchten gefressen haben. Es gibt hier eine bestimmte Sorte Krähen mit rotem Schnabel, die nur auf La Palma vorkommt, Buchfinken, die sich auch von unseren unterscheiden, und eine eigene Blaumeisenart. Blaumeisen mag ich. Ich stelle mir betrunkene kanarische Blaumeisen in den Zweigen der Drachenbäume vor.

Es ist so heiß. Zu Hause hat frühzeitig der Herbst eingesetzt, das habe ich gestern Abend in den Fernsehnachrichten gesehen. Deutschland. In ein paar Tagen bin ich wieder zu Hause. Das weiß ich zwar, im Hotelzimmer liegt ja das Flugticket eingeschlossen im Safe, aber gleichzeitig kommen mir Zweifel.

Ich bin durstig. Meine Wasserflasche ist aufgebraucht. Oder doch nicht? Rucksack absetzen, eine Wohltat, seine Last einen Moment nicht tragen zu müssen, und nachsehen. Ausgerechnet heute habe ich nur eine kleine Flasche mitgenommen. Ich ziehe sie aus dem Rucksack, sie ist leer, bis auf einen letzten Rest. Ich öffne die Flasche und trinke den Rest. Es ist nicht mehr als ein winziger Schluck, gerade mal genug, um den Mund zu befeuchten, und durch das Gehen in der Sonne warm wie Teewasser. Ich habe ein kleines Messer dabei und könnte damit eine Kaktusfeige zerteilen. Das würde den schlimmsten Durst löschen. Aber auf ihnen sitzen unzählige winzige Stacheln mit Widerhaken, und ich bräuchte Handschuhe, um sie zu schälen.

Wo sind denn die anderen nur, und warum warten sie nicht auf mich? Ich muss an den Bericht über einen Wanderer denken, der fünfzehn Stunden umherirrte. Fünfzehn Stunden! Er war in den österreichischen Alpen unterwegs und hatte den Anschluss an seine Gruppe verloren; die Gründe hierfür blieben unklar, ebenso, weshalb ihn eigentlich niemand vermisste. Da er weder Mobiltelefon noch Geld dabei hatte, war er gezwungen gewesen, sechzig Kilometer zu Fuß zu seiner Unterkunft zurückzulegen. Sechzig Kilometer! Fünfzehn Stunden! Würde ich das überhaupt schaffen?

Über den Verlust meiner Mütze könnte ich Tränen vergießen. Eine Eidechse sitzt auf einer zu Boden gefallenen und aufgeplatzten Kaktusfeige. Sie hockt mit allen vier Füßen mitten in ihrem roten, süßen, klebrigen Essen, wie im Schlaraffenland. Vor lauter Gier stört sie sich nicht an mir, was mich froh macht. Ein lebendes Wesen. Endlich ein lebendes Wesen. Hallo! Jetzt halte ich schon Zwiesprache mit Eidechsen. Ich habe die Orientierung verloren. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo ich bin. Eigentlich habe ich einen guten Orientierungssinn, und der Weg ist doch ganz einfach. Vielleicht hat die sengende Sonne meinen Orientierungssinn eintrocknen lassen. Und mit ihm meinen Verstand. Vielleicht sollte ich doch eine dieser verlockenden Früchte klein schneiden, den Stacheln zum Trotz. Ich bin so durstig.

Ich höre ein Geräusch und bleibe stehen. Es stammt eindeutig nicht von einer herabgefallenen Kaktusfeige, einer Blaumeise oder einer Eidechse. Auch nicht vom Meer. Plötzlich spüre ich, dass ich nicht mehr allein bin. Ich sehe es nicht, aber trotzdem weiß ich es. Als würde eine Wolke, die aus dem Nichts gekommen ist, die Sonne verdunkeln. Endlich hat jemand bemerkt, dass ich fehle. Doch warum bin ich darüber nicht erleichtert?

Als ich wieder zu der aufgeplatzten Kaktusfeige auf dem Boden sehe, ist die Eidechse verschwunden. Etwas muss sie vertrieben haben, und plötzlich weiß ich auch, was.

Aus: Regina Nössler: Wanderurlaub. Thriller. Konkursbuch Verlag. Klappenbroschur, Fadenheftung. 384 Seiten. 10,90 Euro. Zur Verlagsseite.

Do, 10:00 Uhr: Guggolz Verlag präsentiert Johannes V. Jensen: HimmerlandsvolkLesung und Gespräch mit Übersetzer Ulrich Sonnenberg und Verleger Sebastian Guggolz

Guggolz Verlag

Der Guggolz Verlag wurde 2014 gegründet, um vergessene oder übersehene literarische Klassiker des 20. Jahrhunderts aus Ost- und Nordeuropa in neuer Übersetzung oder erstmals auf Deutsch zu veröffentlichen. Ziel ist es, Regionen auf der literarischen Landkarte sichtbar zu machen, die häufig nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Mit aktuellen Nachworten und durch ergänzende Kommentierung wird die in die Literatur eingegangene historische, kulturelle und sprachliche Vielfalt wieder lebendig gemacht. Zur

Über das Buch

Johannes V. Jensen (1873–1950) erzählt in seinen Geschichten aus Himmerland von einer untergegangenen Welt. In zwölf Erzählungen, mit denen er 1898 erstmals als Schriftsteller in Erscheinung trat, nimmt er einzelne Protagonisten einer vorindustriellen bäuerlichen Dorfgesellschaft in den Blick. Jensen beschreibt die archaischen Verhältnisse und Lebensbedingungen seiner Figuren mit feiner Zartheit und berührender Einfühlsamkeit: Wir lernen Landsknechte, Mägde, Hoferben, den Tierarzt und den Schmied kennen, erfahren, was am Neujahrsmorgen im Dorf passiert und was es mit Thomas vom Brückenhof auf sich hat. Die Welt, die Jensen vor unseren Augen auferstehen lässt, ist die seiner eigenen Kindheit. Er porträtiert seine Heimatregion, ohne Groll, ohne Verklärung – einzig, um sie in der Literatur festzuhalten und unsterblich zu machen.

Die dörflichen Geschichten und Lebensbilder sind mit scharf umreißenden Sätzen und präzisen Attributen beschrieben; als Erzähler ist Jensen ganz bei seinen Figuren, lauscht ihnen ihre Wahrheit ab. Sie sind tragische Gestalten, erdulden ihre täglichen Mühen, und nehmen es doch mit bissigem Humor, erkennen auch die Komik in ihrem Treiben. Ulrich Sonnenberg hat in der deutschen Übersetzung für die mehr als 100 Jahre alten Prosabilder eine Sprache gefunden, die uns heutige Leser direkt auf diese Himmerländer Menschen blicken lässt, als würden wir ihnen gegenüberstehen. Sie bilden einen Chor, eine Art menschliches Grundrauschen, und Johannes V. Jensen bringt jeden einzelnen auf seine ganz eigene Weise zum Leuchten.

Über den Autor und den Übersetzer