Lichtfalter - Nataly von Eschstruth - E-Book

Lichtfalter E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

"Flach und breit gedehnt lag die Ebene, verschwimmend in zart violettem Duft, ... überwölbt von einem blassgelben Himmel, an dem kein Wölkchen trieb, der nur Licht in Licht war, durchflimmert von Milliarden feinen Sonnenstäubchen ... Aus dem Buchenschatten waren drei junge Wanderer getreten." Es sind drei Musiker, die die mittelgroße Stadt, in der sie studieren und an ihrer Zukunft feilen, für ein paar Tage im Licht verlassen haben. Leider wird es nichts mit ihrem Traum, in dem Dorf in der Ebene im Gasthof oder einem der Bauernhöfe einkehren zu können. Da erhalten sie den Tipp, dass im Gutshaus für die Tochter des Hauses der Geburtstag gefeiert werden soll, es aber an der Musik fehle. Sie kommen also wie gerufen und ihre Freude wird immer größer als sie die bezaubernden jungen Damen, angeführt vom Geburtstagskind, erblicken. Ein wunderbarer Abend folgt, der aber ohne Fortsetzung zu sein scheint. Da ereignet es sich einiger Zeit später, dass eine der Damen dem begabtesten der drei Musiker in der Stadt über den Weg läuft. Und jetzt setzt sich die Geschichte doch fort.-

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Nataly von Eschstruth

Lichtfalter

Roman

Saga

Erstes Kapitel

Die Lerchen stiegen jubelnd zum Himmelslicht empor und sangen, und all die süssen Melodien, die Kopf und Sinn junger Wandrer unten auf einsamen Feldwegen durchbrausten, wurden lebendig in ihrem Lied und klangen wie grüssende Sehnsucht zur Sonne.

Still und feierlich war es sonst auf weiter Flur.

Der Klang der Sensen, die fernher aus goldwogendem Ährenfeld gleich aufblitzenden Funken herüberleuchteten, drang nicht bis hierher zu dem kleinen Sandpfad, der den Acker durchschnitt, um sich in weitgedehnter Waldung zu verlieren.

Flach und breit gedehnt lag die Ebene, verschwimmend in zart violettem Duft, der die Ferne grenzte, überwölbt von einem blassblauen Himmel, an dem kein Wölkchen trieb, der nur Licht in Licht war, durchflimmert von Milliarden feiner Sonnenstäubchen, die die Erden umspannen wie die Fäden, daraus bräutliche Schleier gewirkt werden.

Aus dem Buchenschatten waren drei junge Wandrer getreten.

Der erste legte die Hand über die Augen, hielt kurzen, scharf prüfenden Umblick über das Gelände und sagte zufrieden:

„Ja, ja, es stimmt! Es war der rechte Weg! Dort hinten liegt das Dorf! Zeig’ mal die Karte her, Florian! Das muss Idesfelde sein!“

Er wandte sich an seinen Nachbar, der fröhlich pfeifend den derben Wanderstab schulterte, mit scherzender, übereiliger Bewegung in die Tasche griff und die Terrainkarte mit tiefer, tadelloser Reverenz überreichte.

„Weh dir, wenn du dich geirrt hast, Pfadfinder! Ich habe bereits kannibalischen Hunger, und bis wir uns ein Abendessen zusammentrompetet haben, vergehen auch noch ein paar Stunden!“

Er warf seinen Rucksack bequemer auf den Rücken herum und schaute über die Schulter seines Kameraden, der den Plan entfaltete und mit dem Blick den Weg auf dem Papier und in der Wirklichkeit verglich.

Der dritte der jungen Männer war etliche Schritte zurückgeblieben.

Er hatte den breitrandigen Strohhut von der Stirn zurückgeschoben, hielt den Kopf weit zurückgeneigt und schaute mit grossen, weitoffenen Augen, wie in tiefem Entzücken zu dem himmlischen Lichtgefunkel empor, das nach dem tiefen Waldesschatten besonders wirkungsvoll war.

Er achtete nicht auf das Gespräch der beiden Kameraden.

Wie in tiefem, schwärmerischem Empfinden versank seine Seele in dem Glanze.

Ein feiner Lufthauch, der gleich einem Atemzug über die Felder strich, das kaum hörbare Knistern der wogenden Halme, das Abendlied der Lerche, das hallende Blütenblatt unter dem Brombeergerank, — alles ward Musik in seinen Ohren.

Er hätte alles, was da drückt und beschwert, auf der mühsamen Wanderung durch Staub und Erdennot weit von sich werfen mögen, hätte sich ganz einsam und allein in das blumige Wegkraut werfen und nur dieser Musik, diesem einzig und wahren Psalter unsterblicher Chöre, lauschen mögen. Alles andre ist ja doch nur armseliges Machwerk, und die, die sich hier auf Erden Musiker nennen, sind ja doch nur Stümper gegen die weiten Himmel, die des Ewigen Ehre preisen!

Mechanisch strich er mit der schmalen, weissen Hand über die Stirn, schob die dunkeln, leicht gewellten Haare zurück und seufzte tief auf.

Florian wandte sich lachend zurück.

„Sag’ ich’s nicht? Herr Balduin Bragi komponiert auch schon die Ouvertüre ‚zum knurrenden Magen‘, und da es immerhin noch drei Kilometer bis nach Idesfelde sind und das gebratene Huhn auch nicht zum Empfang bereitsteht, so schlage ich vor, wir machen hier unter der Eberesche noch einmal halt und brechen noch einem Schmalzenbrot den Hals! Was sagst du dazu, Heinrich?“

Der Genannte, ein breitschultriger junger Mensch, blond, blauäugig, mit sehr festem, energischem Blick und einem Zug grosser Willensstärke um die vollen Lippen, stand still, legte die Terrainkarte zusammen und lachte.

„Wenn es dir behagt, Kleiner, so tu’ es doch! Warum fragst du mich?“

Florian untersuchte flüchtig den kleinen Erdabhang unter dem Eschenbaum, ob sich etwa Ameisen in seinem Souterrain eingemietet hatten, — böse Erfahrungen hatten ihn gewitzigt! — Dann warf er sich vergnüglich in Gras, Schafgarbe und blühenden Klee nieder und schnallte den Rucksack ab.

„Warum ich dich frage, Heinz? Weil ich ein Kerl bin, der Subordination bei drei älteren Brüdern gelernt hat! Du bist der Vater des so äusserst schlauen Gedankens, diese unsre Fusswanderung in Szene zu setzen! Nun, da wir beiden andern braven, achtenswerten Jünglinge deinen lockenden Sirenentönen gefolgt sind, bleibst du für alles und jedes auch der verantwortliche Redakteur! Wenn wir Geld hätten, würdest du sogar in ehrenvoller Anerkennung den Beutel schleppen dürfen!“

„Gut — das Oberkommando ist einverstanden. Ich bin im Augenblick zu faul, sonst würde ich mein Piston aus seinem Waterproof lösen und zum ‚Futterschütten‘ blasen!“

Er nahm in seiner ruhigen Weise an dem Grasrain Platz, ebenso, als ob er sich daheim auf den Stuhl vor den Esstisch setze, zog ein nicht allzu grosses Paket aus der Tasche und schlug das Papier zurück.

„Balder photographiert natürlich nach dem Blick Himmel und Erde!“ fuhr er lachend fort, als der junge Bragi noch einen Augenblick gedankenverloren nach dem fernen Dorf herüber schaute, sich dann aber mit dem Stock scherzhaft drohend neben Florians behende, zierliche, kleine Gestalt niederliess, ohne auch nur im mindesten zu besorgen, wo er Platz nahm.

„Obacht! Die Feldsteine sind infam spitz! Und hier gibt es auch Dornen und Nesseln, alter Junge! Denk’ an unser unfreiwilliges Nachtlager! — nicht in Granada, — aber in dem Gehölz von Wasserberg — oder wie das infame, ungastliche Nest hiess!“

Heinrich entwickelte etliche Fettstullen von derbem Schwarzbrot und teilte sie aus.

„War aber auch das einzige Mal bis jetzt auf unsrer Wanderung, dass die edle Frau Musika keine Gegenliebe fand! Unverschämt! Man müsste auch für das Bauernvolk an jede Scheunenwand den wichtigen Spruch malen: ‚Wenn mancher Mann wüsste, wer mancher Mann wär’, — gäb’ mancher Mann — manchem Mann — manchmal mehr Ehr’!‘“

Balder biss zerstreut in sein Brot.

„Wir können bis jetzt noch nicht über allzuviel Unhöflichkeit klagen! Mir deucht sogar, dass die Musik, falls sie wirklich der Schlüssel zum menschlichen Herzen ist, auch vorzüglich sogar die Sicherheitsschlösser schliesst!“

„Bravo!“

„Eigentlich war es doch ein famoser Gedanke von dir, Heinrich, dass du aus uns ein paar fahrende Sänger machtest.“

„Hört! Hört! Minnesänger!“

„Mehr oder weniger auf Geige, Flöte und Piston übertragen, auch zu solchen!“

„Die nun wie einst Heini von Steier —“

„Ganz modern als Nanki-Pook aus dem Mikado —“

„Umherziehen und zur Laute Lieder singen:

‚Ich zieh’ umher im Land

und singe meine Weisen‘ —“

„Unsinn! Wir ziehen umher im Land und spielen alle Weisen — ‚ganz wie es euch gefällt!‘“

„Tanzmusik!“

„Zu Kindelbier und Hochzeiten — auch Märsche und Trauerchöre, — wie es gerade trifft! Wir bedienen alle Kunden auf das reellste und billigste!“

„Wenn man kein bares Geld verlangt, sondern nur Nachtquartier und was zu essen, so sind die Landleute tatsächlich zu haben!“

„Nun ja! Und wir machen äusserst billig eine grossartige Sommerreise! Sparen Post und Eisenbahn und erreichen, ‚bestens auf den Weg gebracht‘, den elegantesten Luftkurort am See, wo wir hoffentlich noch eine recht fidele Zeit vor uns haben.“

Balder verschlang einen Augenblick nervös die schlanken Hände über seinem Geigenkasten.

„Und so etwas nennt sich Schüler eines Musikkonservatoriums! Aufgehende Sterne am Himmel der Kunst!“

Florian schnitt eine leichte Grimasse. Den feinen Zug von Schwermut und Missstimmung kannte er schon an dem Freund.

„Du weisst doch, Mensch, dass Sterne hoch stehen! Vom Dachkämmerchen sind sie manchmal schneller und gewaltiger erreicht worden als aus der eleganten Parterrewohnung des Rezitalisten!“

„Bohême!“

„Es liegt ja schon im Namen — ‚Erdgeschoss‘, was so tief an der Erde klebt, wie will denn das den Parnass erreichen?“

Balder schüttelte wehmütig den Kopf, seine dunkeln Augen in dem feinen interessanten Gesicht verschleierten sich, als blicke er nach innen.

„Mir deucht aber manchmal, wenn der Pegasus gut gefüttert wird und in einem Marstall anstatt in einem Katen steht, so ist er besser bei Kraft und wagt den kühnen Sprung in das ‚Gewisse‘ leichter und sicherer, als ein müder, abgetriebener Klepper den Salto mortale auf den Parnass empor! — Wie viele mögen vor der Zeit erlahmen und abstürzen, ohne dass es überhaupt beachtet wird!“

„Und Ross und Reiter sah ich niemals wieder!“

Florian machte eine schnelle Handbewegung, als wische er etwas Unsympathisches weg.

„So lasst sie! Was geht es uns an! Wenn man nur fünf Heller in der Tasche hat, kann man nicht damit das Elend einer ganzen Welt lösen!“

„Leichtsinn, dein Name heisst Florian!“

„Dann kann er sich bei Allvater für diesen schönen Taufschein bedanken! Was haben wir mit trüben Zukunftsbildern zu tun? — Seht doch umher, in all das Sonnengold hinein! Greift zu! Steckt euch Herz, Sinn und Taschen voll, und behauptet noch, ihr wäret arm!“

„Quatschkopf! Bezahle mal deine Rechnungen mit dieser fremdländischen Währung!“

„Junge, Junge! Solche Sonnenstrahlen filtriert und auf Flaschen gezogen, und während Regenperioden oder zur kalten Winterszeit unter Selbstkostenpreis verkauft —! Potz Kuckuck! Was kostet Europa!“

„Gut! So wollen wir drei den Flug zur Sonne wagen!“

„Lichtfalter!“

„Es gibt so viele verschiedene Arten von Licht!“

„Stimmt! Ein jeder wählt wohl instinktiv dasjenige zum Endziel und Höhepunkt alles Glücksbegriffes, das ihm am sympathischsten ist!“

Balder blickte sinnend zu der glühroten Sonne hinüber, die sich dem Horizont neigte und des dunkeln Waldes Wipfelkonturen mit breitem Purpur säumte.

„Ein Falter flog zum Licht —

An der Flamme blieb er hangen!“

summte er leise vor sich hin.

Wieder lachte Florian beinah übermütig auf: „Dann hat er ja, was er will! Die seligste Vereinigung mit ihr! Das wäre so ein Glücksinbegriff für mich! Bei all den Tausenden von reizenden Mädels ist es doch für einen so leicht begeisterten Musensohn wie mich sehr begreiflich, dass ich alle acht Tage eine ‚neue Flamme‘ habe, die mein Herz in Gluten versetzt! Neulich erst so eine kleine Millionärstochter! Du meine Güte! dachte ich, wenn du an dieser Flamme mittels goldnen Eheringes hängenbleiben könntest!“

Lautes Gelächter.

Heinrich packte den Sprecher energisch am Rockkragen und zog ihn von seinem Ruhesitz empor: „Du Windhund und heiraten! Fürerst will ich mal deiner sehr geehrten Frau Soloma zuliebe scharf aufpassen, ob das Licht, dem du zustrebst, kein Irrlicht ist! Und nun aufs neue gestartet, meine Herren! Bis wir das Gasthaus gefunden und mit dem jeweiligen Drachenwächter verhandelt haben, vergeht auch noch geraume Zeit!“

„Also ... auf!“

Balder sprang empor und strich sorgsam jedwede Spur seines Natursitzes, Hälmchen, Moos und Erdteilchen, von seinem einfachen aber sehr kleidsamen Sportanzug.

Er war gegenüber allen lebhaften Vorstellungen Florians, sich in ein möglichstes Vagantenkostüm zu werfen, standhaft geblieben und erklärte: „Ich bin weder Vagant noch Bummler! Ich kann auch an meinem äussern Menschen nichts ertragen, was mir unsympathisch ist! Mein Anzug ist einer der billigsten und einfachsten, aber man fürchtet sich nicht vor mir, wenn man mir auf der Landstrasse begegnet.“ — Und wieder hatte Florian in seiner unbekümmerten Weise gescherzt: „So ein wenig Rowdy spielen, macht mir keinerlei Skrupel! Ob ein wenig mehr oder weniger verbummeltes Genie, wer kann den Schicksalssturm, falls er tatsächlich daherbläst, mit einem Plätthemd auffangen?“

So pfiff er auch jetzt wiederum einen landläufigen Gassenhauer und regte sich nicht im mindesten darüber auf, dass er die nächste Umgebung des Ebereschenbaums, auf der er geruht, mit sich spazieren führte.

Heinrich schüttelte sich kurz und energisch wie ein Pudel, der aus dem Regen kommt, und schritt rüstig fürbass.

„Hoffentlich trifft man in jetziger Reisezeit nicht unverhofft Bekannte aus der Stadt!“ sagte Balder und dachte mit leicht gefurchter Stirn daran, dass er keine Zigarette mehr besass, um zu rauchen.

Sich eine kleine kurze Stummelpfeife anzustecken wie Heinrich, deuchte ihm ein Verbrechen gegen seine Tradition, und resigniert an einem grünen Stengel zu knabbern, wie Florian es im Ulk tat, wenn er eine Importe zu rauchen gedachte, dazu war er zu wenig Zyniker!

„Lass doch gute Bekannte kommen!“ amüsierte sich der angehende Flötenvirtuose inkognito. „Wenn sie überall hinausschmeissen, dass wir nicht haben, wo unser Haupt über Nacht niederlegen, dann sind solch getreue Nachbarn aus der Residenz sehr angenehm! Ich pumpe sie sofort an!“

„Auch die jungen Damen, auf die es Balder bei seiner Befürchtung hauptsächlich ankommt!“

Florian schwippte mit kecken Fingern sein verwittertes Filzhütchen von einem Ohr auf das andre, dass sein rötlichblondes Kraushaar grotesk darunter hervorquoll.

„Aber natürlich! Die am ersten!

‚Und wenn ich denn mit Pumpen

den Anfang machen muss —

lass, Liebchen, dich nicht lumpen

und pump mir einen Kuss!‘ —

Ihr sollt mal sehen, wie bald ich ein Krösus bin! — Mag die Operette ‚Don Cäsar‘ auch alt sein — diese Münze, um die ich bettele, hat bei dem schönen Geschlecht stets die höchste Valuta!“

Da musste selbst Balder lachen.

Man schritt tüchtig aus, und wenn in der klaren Abendluft auch anfänglich das Dörfchen näher erschienen war, als es in dem Flachland tatsächlich lag, so war es für die drei jungen Wandrer doch in nicht allzu langer Zeit erreicht. Mit ihnen zugleich schwankten die vollen Erntewagen vom Feld herzu. Die kleinen Häuser lagen still und verlassen, da die meisten Leute noch auf dem Feld arbeiteten oder das Abendessen für die Heimkehrenden zu richten hatten.

Nur ein paar wütende Spitze und sonstige Dorfköter undefinierbaren Stammbaums kläfften wie die Wahnsinnigen vor Wut den Fremdlingen entgegen, und ein paar kleine Kinder, die am Gartenstaket spielten, versuchten tiefsinnig zu beschwichtigen: „Töv man, oll Swinskurl! Sei sie ja nich de Postbote!“

An dem Schild, woran man sonst den Rum, gleichwie an einer Schale, zu erkennen pflegt, herrschte in dieser Gegend sichtbarer Mangel, und nur ein schmaler Tisch vor der Haustür, auf dem Krug und Gläser standen, markierte das Gasthaus.

Die jungen Musiker traten näher, und ihr Schritt hallte auf den Steinfliessen. Die Wohnküche, ein grosser Raum mit Rauchfang und offenem Feuerherd, stand einsam und verwaist.

Ein paar Hühner stoben kreischend auf und gackerten zur Hoftür hinaus, während zwei Ziegenlämmchen mit grotesken Sprüngen aus dem offenen, seitlichen Stalltor kamen und bockbeinig vor den Fremdlingen Stellung nahmen.

Nach mehrmaligem „Hallo!“ erschien eine alte Frau seitlich vom Garten her. Sie war äusserst überrascht, dass sie man gar keinen Wagen hatte poltern und knallen gehört, denn Gäste, die zu Fuss daher kamen, schienen hierorts beinah unbekannt.

Heinrich war der Sprecher, wie stets. Er konnte sich auf plattdeutsch verständlich machen und hielt dem alten Mutting eine längere Ansprache, in der er ihr auseinandersetzte, dass sie drei durchaus anständige und achtbare Musikanten aus der Stadt seien.

Sie erböten sich, den Gästen in dem Krug die schönsten Sachen aufzuspielen, denn so ein bisschen Musik erfreue doch eines jeden Menschen Herz! — Geld verlangten sie nicht dafür, nur ein ordentliches Abendessen und ein Nachtlager, zur Not auch in der Scheune, auf Stroh!

Während dieser Reden pflegte Balder meist abseits zu treten und mit geistesabwesendem Blick Haus oder Dorfstrasse zu mustern, denn die feine Schamesröte, die ihm jedesmal in die Wangen stieg, liess sich nicht bezwingen.

Florian hingegen unterstützte den Sprecher in seiner vergnüglich vertrauten Weise, und wenn auf den Gesichtern der Gasthausgewaltigen zu lesen war, dass die Aktien der „armen Reisenden“ gut standen, dann griff er handelnd in den Prolog ein und erinnerte die Frau Wirtin daran, dass zu einem Abendessen aber auch was „Nasses“ gehöre!

Na, ein Glas Milch, das Balder und Heinrich hocherfreut akzeptierten, gab es dann noch zu, aber Florian versicherte in seiner spasshaften Weise, dass er die Milchzähne schon gewechselt hätte und sehr bescheiden auch mit einem Gläschen Wasser fürliebnehmen wolle, es müsse nur Kirschwasser oder sonst ein „gebranntes“ sein, das bekomme ihm besser.

Solche Witze verstand man, würdigte sie, und der Schalk genehmigte ein Spitzgläschen oder zwei, je nachdem die Zusammenstellung des Musikprogramms den Beifall der Gäste und der Wirtsleute gefunden hatte.

Jetzt stand nun die Alte und kratzte sich nachdenklich die Mückenstiche auf Hals und Armen.

„Spielen wollt Ihr? Wie so die Musikanten bet Kirchweih?“

„Ja, ja! Ganz genau so! Wenn’s Spass macht, könnt Ihr auch mit tanzen, Mütterchen!“

„Ich kann man nicht mehr!“

„Na, dann die andern!“

„Die tuen’s man nicht!“

„Na, warum denn nich?“

„Sie kommen ja man nich! In Erntezeit, da sin sie alle müd’ und gehen früh zur Rast!“

„Wenn sie uns aber spielen hören?“

„Och nich!“

„Mir möchten so gern ein freies Nachtquartier haben!“

„Das gibt’s hier man nich!“

„Vielleicht bei einem Grossbauer?“

„Da schon gar nich. Dem Klaad is die Mutter tot geblieben, und bei Struck liegt das Weib krank!“

„Und sonst wo?“

Da kam ihr ein Gedanke. „Im Gutshof, beim Geheimrat von Heimdall, da feiern sie heut Geburtstag von dem Fräulein! Da haben’s eine ganze Menge Leut geladen, dem Pastor seine zwei Töchter, und dem Oberförster seine Einzige, die Nanna, und was da noch vom Nachbarspächter ist! Jung Vieh hat jung Mut! Vielleicht schauten sie da mal hinein, ob’s noch Platz wär’? So ein Tänzchen machen so muntere Dirn’s ja ganz gern!“

„Und hier bei Ihnen im Gasthof, für ein Nachtgeld, können wir hierbleiben?“

„Nee, nee! Das geht ja nich! Wir haben für die Ernte jetzt alles voll Schnitter gepackt, auch vom Klaad haben sie uns noch welche hier eingelegt!“

Die drei jungen Leute beratschlagten.

Balder war der Gedanke, unter gebildete Menschen zu gehen und an einem Gutshof anzuklopfen, sehr peinlich.

Aber Florian lachte hell auf. „Gerade sehr amüsant ist der Gedanke! Wieviel Mädels zählte die Alte denn im Aushieb gleich auf?“

„Mindestens ein Dutzend!“

„Und da sollten wir fehlen? Da müssten wir doch keine Musikanten sein! Wenn auch die Chose peinlich ist, so lasst sie mich diesmal fingern! Ich gehe voran und führe!“

Was tun? Man hatte tatsächlich keine Wahl!

Und Florian wurde immer aufgeregter in dem Gedanken an solch einen Ulk und steckte mit seiner übermütigen Laune bald die beiden andern an. Nach kurzem Kriegsrat liess man sich von der Alten noch den Weg beschreiben. Fehlgehen konnte man nicht.

Über die hohen Lindenkronen ragte der stumpfe Turm des schlossartigen Herrenhauses empor, und wenn man den Fusspfad über die Wiesen schritt, stiess man just auf das Tor des Hintergartens.

„Man kennt uns ja nicht!“ tröstete Heinrich und schob den Arm in den seines Freundes Bragi. „Welch ein absonderlicher Zufall sollte es fügen, dass man im Gutshaus deinen Vater gekannt hat? Und schliesslich, ist es denn eine Schande, wenn ein reicher Mann an seinen glänzend erdachten, aber schliesslich zu waghalsigen Spekulationen zugrunde geht und arm wird?“

„Wenn du deinen Namen nicht nennst, woher soll man wissen, dass du aus so feinem Hause kommst, und dass dir der Fusswandrer nicht an der Wiege gesungen war?“

„Du hast recht, woher sollte man mich kennen? Als meine Eltern ihr grosses Vermögen verloren und den glänzenden Hausstand in der Residenz auflösen mussten, war ich ja erst ein Junge von vierzehn Jahren!“

„Und jetzt ein Methusalem von zweiundzwanzig! Hast länger für das Gymnasium gebraucht als wir, konntest dir damals ja auch die Zeit nehmen!“

„Ich fing ja erst an zu lernen, als das eiserne Muss dahinter sass!“

„Das eiserne! Diesen Begriff haben wir jetzt auf unsrer Ferienwanderung energisch abgestreift! Nun wollen wir unsre fidele Freiheit geniessen!“

„Das will ich meinen! All unsre grünen und goldnen Lorbeerkränze, mit denen die Zukunft den Virtuosen winkt, haben wir in den Rucksack versenkt und für die nächsten vierzehn Tage sind sie uns noch für eine Schütte Stroh und ein Käsebrot feil!“

„Warum sollen wir armen Kerls das Glück nicht auch mal an einem seiner modernen Schürzenzipfel fassen, wenn für viele seine Röckchen zu kurz geworden sind?“

„Eine Fusswanderung lustiger Musikscholaren durch die schöne Welt!“

„Aufgepasst! Wir nähern uns der Pforte! Dort hinter dem Rasenplatz leuchtet schon die weisse Hauswand!“

„Mensch, wenn man uns abschickt wie die Handwerksburschen!“

„Lass mich nur machen! Ich gehe voraus. Du, Heinrich, und Balder bleibt zurück, dann ist es ja unmöglich, dass eure Ehre sich ein Bein bricht, wenn sie die Hunde nach mir hetzen!“

Er lachte hell auf.

„Hört ihr das Gelächter und Gejubel von den allerliebsten Mädels? Wie der Kater auf Baldrian geht, so zieht’s mich an!“

„Vorwärts!“

„Auf Wiedersehn!“

„Wir kommen langsam nach und halten uns dort an der Wegbiegung hinter dem Gebüsch im Hinterhalt!

Seinen Wanderstab fröhlich geschultert, schritt Florian geradeaus.

Er traf auf die Rückseite des Gutshauses, vor dem sich ein Rasenplatz mit Teppichbeeten ausdehnte.

Eine kleine Schar junger Mädchen in farbigen Sommerkleidern wanderte voll hörbarer Lustigkeit auf den schmalen Kieswegen hin und her.

Auf dem kleinen, terrassenartigen Sandplatz stand eine lange Tafel gedeckt. Das weisse, lang niederhängende Tuch glänzte wie vergoldet in den letzten Sonnenstrahlen und die Gläser funkelten zwischen hochragenden Blumensträussen, unter die, neben schimmerndem Porzellan, die silbernen Bestecks ihre Funken warfen.

Balder stand in dem Boskett und starrte auf das schöne, elegante Bild.

Ein tiefer Atemzug rang sich aus seiner Brust, wie ein leises Aufstöhnen klang er.

„So sah es früher bei uns aus, Heinrich!“ flüsterte er, „so kann ich mein Elternhaus nicht vergessen!“

„So freu’ dich der Erinnerung!“

„Ich sehe andre, Freunde an dem Tisch sitzen, und ich ... im Knechtshaus; vielleicht in der Scheune —“

Da legte sich eine Hand fest auf seine Schulter. „Sieh mal deinen Geigenkasten an! Ein kleines Ding, nicht wahr! Und was glaubst du wohl, was alles darin steckt? Eine ganze Welt voll erfüllter Träume und Hoffnungen! Musst sie nur herausholen! Sieh, Balder, ich strebe nicht so hoch zum Licht wie du! Du greifst nach der Sonne! Ich bin mit den Flammen zufrieden, die auf häuslichem Herd ihr warmes Licht verbreiten. Wir stehen im Konservatorium auf derselben Leiterstufe, die emporführt. Ich habe mein Ziel schon beinah erreicht, weil es soviel näher liegt als das deine. Nun bedenke, wenn du vorzeitig deine Kraft und Elastizität des Idealismus an nagendem Heimweh nach Verlorenem aufreibst, woher willst du deines Könnens Stärke nehmen, um den weiten Weg zu jenen Himmelsfernen zurückzulegen! — Darum Kopf hoch! Und wenn jene Leute da drüben selbst aus goldnen Schüsseln ässen — um so mehr und freudiger sollte es dich anspornen, dasselbe zu erreichen, was jener Gutsbesitzer für sich und die Seinen auch erwarb.“

Balder sah den Freund einen Moment aus den tiefen dunkeln Augen wundersam an, dann drückte er ihm voll nervöser Erregung die Hand.

„Hast recht, Heiner! Ich bin auf dem besten Wege schlapp zu machen! Hab’ Dank, dass du mich an mich selbst erinnerst!“

Heinrich lächelte ihm freundlich zu.

„Lass uns beobachten, was Florian ausrichtet! Der Übermut sitzt ihm im Nacken! Gut so, so soll es ja sein!“

— Währenddessen war der junge Musiker langsam über die freie Rasenfläche herzugeschritten und war bald von den jungen Damen bemerkt.

Er war ganz einig mit sich. Vor allen Dingen galt es, die Aufmerksamkeit der Mädels zu erregen, denn wenn sie die Musikanten gar nicht beachten, so ist es ja auch ausgeschlossen, dass man sich amüsiert, und darum müssen gerade die Gutshöfe jetzt energisch in ihre Marschroute eingezeichnet werden.

Er trat an den gedeckten Tisch heran, betrachtete ihn und schritt alsdann den jungen Damen entgegen.

Sein frisches, hübsches, blühendes Gesicht machte stets Glück bei fröhlichen Damen, warum nicht auch diesmal?

Er zog flott den Hut.

„Verzeihen Sie, meine Gnädigsten! Ein Tisch vor dem Haus mit Flaschen und Gläsern markiert hierzulande den Dorfkrug! In dieser eleganten Aufmachung dürfte es aber wohl ein Hotel ersten Ranges sein?“

Helles Gelächter ringsum.

„Edelgard! Heimdall-Schloss auf Idesfelde ein Hotel!“

Eine schlanke, reizende Blondine trat lächelnd einen Schritt näher.

Sie deuchte Florian entzückend.

Gar kein Landmädel, sondern schick und elegant, wie von der Promenade der Residenz entnommen.

Weisses Spitzenkleid, famos frisiert, weisse Spangenschuhchen prima, und einen Strauss blassrosa Rosen an der Brust, so kokett beinah arrangiert, wie eine Mondäne im Ballsaal.

„Nein, hier ist kein Hotel! Haben Sie Wünsche für ein Nachtquartier, so steht im Dorf drunten auch ein Tisch mit Kannen und Seideln vor dem Haus.“

Florian dachte, es ist gut, dass Balder diesen zarten Wink nicht hörte, er hätte ihn sicher übelgenommen. Er selber war nicht so leicht chokiert. Abermals eine tadellose Verbeugung.

„An diese gastliche Schenke haben wir bereits angeklopft, da aber auf eine Matratze schon acht Schnitter kamen, vier mit dem Kopf nach Norden und vier mit dem Kopf nach Süden, so verzichteten wir!“

— Abermals leises Gelächter. „Nanna, der Kerl ist ja zum Totlachen!“ flüsterte Pastors Susi in das rosige Öhrchen der kleinen Oberförsterstochter.

„So möchten Sie hier wegen eines Nachtquartiers anfragen?“ fuhr Edelgard sehr liebenswürdig und ruhig fort. „Ich möchte Sie an den Inspektor verweisen —“

„Lieber wäre es mir, mein gnädigstes Fräulein, ich könnte ihm alsogleich Ihre Befehle überbringen!“

„Sie überschätzen mich!“

„Durchaus nicht! Was die Frau will, das will Gott!“

Abermals kicherte es ringsum: „Wie höflich! Kinder, wer mag denn der Jüngling sein?“

„Es handelt sich nämlich auch noch um zwei Kameraden von mir, meine Gnädigste! Wir sind Nachkömmlinge jener alten Skalden, die durch das Land zogen und ihre Lieder sangen. Singen kann ich nun freilich nicht, ich habe Rheumatismus in der Kehle, aber ich vervollkommne unser Musiktrio, und wenn uns gestattet wird, den Herrschaften aufzuspielen — gleichviel was — so stehen wir zu Ihrer Verfügung. Von einem klingenden Honorar sehen wir ab. Das Geld spielt bei uns keine Rolle, denn wir besitzen keins, aber um ein Nachtasyl und ein Abendbrot möchten wir ebenso höflich wie müde und hungrig gebeten haben!“

Ein allgemeiner Jubel erhob sich.

An der Hausecke, unter den Linden, erschien die Gestalt eines kleinen, etwas korpulenten Herrn, mit wenig Haar, einem Augenglas und den lebhaften, eleganten Bewegungen eines Mannes von Welt. Der Geheimrat.

Die jungen Damen flatterten ihm voll tumultuarischen Entzückens entgegen. „Herr von Heimdall! Es sind Musiker da! Wir sollen aufgespielt bekommen! Ach, fragen Sie doch bitte, ob es auch zum Tanze ist?!“

Mit verbindlichstem Lächeln quittierte der Umstürmte für diesen lebhaften Empfang, hatte mit schnellem Blick die Erscheinung eines fremden Jünglings neben seiner Tochter wahrgenommen und stand mit wenig Schritten an ihrer Seite.

Auf Florians Wink lösten sich auch die schlanken Gestalten von Balder und Heinrich von dem Gebüsch ab und traten hastig näher.

Kurze, sehr korrekte Verbeugungen.

Herr von Heimdall nickte ihnen jovial zu.

„Ein paar menschenfreundliche Musikanten, die den Frohsinn in den Kreis der Jugend tragen wollen? Das trifft sich ausgezeichnet. Wir feiern heute den Geburtstag meiner Tochter und zum erstenmal fehlt uns dabei die Tanzmusik!“

„Edelgard duldet ja kein Grammophon im Hause!“ schmollte Susi.

„Warum eigentlich nicht?“ wundert sich Nanna.

„Weil sie viel zu musikalisch ist, meine jungen Damen!“ antwortete der Gutsbesitzer mit viel Nachdruck. „Wer selber ausübende Klavierspielerin und Sängerin ist, weiss das persönlich in der künstlerischen Leistung über alles zu schätzen! Darum hören wir die Gottbegnadeten lieber durch die Wiedergabe ihres eigensten Ichs, als durch mechanische Übertragung!“

Edelgards Blick war harmlos über die Musikanten geglitten und traf bei des Vaters Worten das Antlitz des jungen Geigers, das sich ihr voll zuwandte.

Sie sah überrascht in das sehr sympathische Gesicht, dessen grosse Schwarzaugen mit ganz wundersamem Ausdruck plötzlich auf sie gerichtet waren.

„Heil und Segen über Sie, gnädiges Fräulein, für