Lieb doch, wie du willst - Antje Babendererde - E-Book

Lieb doch, wie du willst E-Book

Antje Babendererde

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Beschreibung

Sinnliche Geschichten von bekannten Autor*innen, ab 16 Jahren, herausgegeben von Erfolgsautorin Ilona Einwohlt. 

Ein Kribbeln zwischen den Zeilen spüren, dem Höhepunkt entgegenfiebern, mit allen Sinnen genießen … In diesen Erzählungen geht es um Gefühl, Sinnlichkeit und Erotik. Hier wird weitererzählt, wo sonst im Jugendbuch ausgeblendet wird. Unterschiedliche Erfahrungen, jenseits tradierter Rollenklischees und heteronormativer Sexualität, stehen dabei im Mittelpunkt. Texte namhafter Autor*innen zeigen die Vielfalt des Lebens und feiern Diversität – mal schön, mal schmerzhaft, aber immer aufregend! 

Ein Feuerwerk der Geschichten von Antje Babendererde, Benni Cullen, Ilona Einwohlt, Tobias Elsäßer mit Jana Fuhrmann, Anne Freytag, Kathrin Schrocke, Kai Spellmeier und Tobias Steinfeld. 

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Das Buch

Ein sanftes Prickeln auf der Haut, ein zartes Kribbeln im Bauch ... Nicht mehr denken, nur noch fühlen ...

Sinnliche Geschichten erzählen von Liebe, Lust und Erotik in aller Diversität, von Romantik zu zweit und Solo-Sex, von heißen Nächten und ernüchternden Momenten. 12 Liebesabenteuer, mal schön, mal schmerzhaft, aber immer aufregend!

Ein Feuerwerk der Geschichten von Antje Babendererde, Jennifer Benkau, Caroline Brinkmann, Benni Cullen, Ilona Einwohlt, Tobias Elsäßer mit Jana Fuhrmann, Anne Freytag, Kathrin Schrocke, Deniz Selek, Kai Spellmeier, Tobias Steinfeld und Anke Weber.

Die Autorin und Herausgeberin

© J. Kowallik

Ilona Einwohlt wollte eigentlich Ernährungswissenschaftlerin werden. Aber dann las sie mitten in der Chemievorlesung Simone de Beauvoir, Julio Cortázar und Thomas Mann – und widmete sich fortan der Literatur. Längst ist aus der Germanistikstudentin eine erfolgreiche Autorin insbesondere für Kinder und Jugendliche geworden. Ilona Einwohlt, Jahrgang 1968, lebt mit ihrer Familie in Darmstadt.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Körper, Haut, Gefühl – von klein auf spürst du dich, weißt instinktiv, was dir guttut, fühlst Lust und Liebe, Zärtlichkeit, Begehren. Weißt, wann und ob du berührt werden möchtest, sagst Nein zu Schlabberküssen und Ja zu Kuscheln auf dem Sofa. Irgendwann auf dem Weg zum Erwachsenwerden kommt dir dann diese Unbeschwertheit abhanden: Du lernst denken, statt zu fühlen. Erlebst Unsicherheit statt Geborgenheit.

Alles könnte so einfach für dich sein, wären da nicht die Stimmen von Eltern, Medien und Gesellschaft, Schule. All die Rollenvorgaben, Normen, Zwänge und tausend Dinge, die von außen auf dich einprasseln, dich irritieren, verunsichern. Die dir verbieten, dich zu streicheln, die keine Wörter für Penis und Vulva haben, die die Klitoris nicht im Schulbuch abbilden. Die dir einreden wollen, du seist nicht normal, ohne dass sie dir erklären könnten, was überhaupt normal ist. Die von dir ein Vater-Mutter-Kind-Leben verlangen, ohne dir zu erzählen, was alles Familie bedeuten kann und dass es auch gleichgeschlechtliche Paare gibt. Die Leistung und Perfektion erwarten, normschöne Körper, die funktionieren, niemals krank sind, niemals jammern, am besten auch nicht bluten. Regale voller Ratgeber, wie man’s »richtig« macht, Tipps und Tricks aus dem Internet, viel zu viele und nicht alle hilfreich. Und ganz viel Falschinformation mit noch mehr Unsicherheit.

Wie wäre es also stattdessen damit: Starte dein eigenes Kopfkino, lass Gefühle und Sehnsüchte fließen, erlaube dir erotische Fantasien ober- und unterhalb der Gürtellinie. Niemand sieht dich, niemand hört dich – und wenn! Liebe, wen und wie du willst! Alles darf sein, weil alles richtig ist, weil all das zu dir gehört und sich so vielseitig zeigt, wie wir Individuen nun mal sind. Dafür gibt es keine Schablonen, kein Klischee und auch das ist wieder ein Klischee. Das Normalste wäre doch – und davon träumen wir alle – dass Diversität normal ist. Diese Anthologie will ihren kleinen Beitrag dazu leisten.

»Lieb doch, wie du willst« erzählt in ganz unterschiedlichen ­Geschichten Variationen des Immergleichen: Ob erstes Mal, romantische Gefühle, heiße Nächte, verzehrendes Verlangen oder Solo-Sex. Von Gefühlen, die wir alle kennen, wenn wir sie zulassen, hineinstrudeln, spüren. Dieses Feuerwerk an Hormonen, das in jede:m von uns explodiert, sich aber für jede:n anders anfühlt, immer wieder aufs Neue. Dann sind wir eins mit uns, mit dem Anderen, mit der Welt. Werden Teil des großen Ganzen, in dem wir gerade zerfließen.

Die Autor:innen dieser Anthologie haben dieser Vielfalt an Lieben ihre Stimme verliehen, lassen ihre Protagonist:innen hinspüren, haben Worte gefunden für Momente des heißen Glücks, das uns Leser:innen manchmal sprachlos macht. Sie erzählen von Sehnsüchten und sind so nah dran, dass es manchmal nicht zum Aushalten ist. Mit ihnen begeben wir uns auf Entdeckungsreise, zu ­verborgenen Körperteilen hin zu ungelebten Wünschen und atemlosem Begehren. Denn egal, wer dein Gegenüber ist: DU empfindest, spürst, liebst. Wie und wen DU WILLST. Für diesen ­einen Moment, der einer Ewigkeit gleicht und der uns alle im Herzen verbindet. Egal, wer wir sind, wen und wie wir lieben.

Ilona Einwohlt im Juli 2023

Anne Freytaghat International Management studiert und als Grafikdesignerin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Romane wurde die Autorin mehrfach für Literaturpreise nominiert und damit ausgezeichnet – unter anderem dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur. Darüber hinaus gibt es konkrete Pläne zur Verfilmung einzelner Werke. Die ­Autorin lebt und arbeitet in München.

Anne Freytag

French Connection

Ich glaube, anfangs wollte ich hauptsächlich wissen, wohin es führen würde. Wie weit wir bereit wären zu gehen. (Und ob ich den Mut hätte, es durchzuziehen, das auch.)

Es war klar, dass das mit uns nicht von Dauer wäre – immerhin war ich nur vier Wochen dort. Meine Eltern hatten meinen Aufenthalt bei Familie Lindley als Strafe betrachtet, ein vierwöchiger Intensivsprachkurs, den sie sich ein kleines Vermögen kosten ließen. Das Ziel: Meine Englischkenntnisse so weit zu verbessern, dass ich den Einstufungstest für das internationale Studium bestehen würde, das ihnen für mich vorschwebt. Insgeheim denke ich, dass ich nur ihretwegen so schlecht in Englisch war – bei der Art, wie sie jede andere Sprache außer Französisch verachten, wäre es kein Wunder. Früher brauchte man kein Englisch, sagt meine Mutter gern. Da hat man es auch so zu etwas gebracht. Heute ist das anders. Keine Ahnung, ob sie recht hat, Fakt ist, sie haben mich hingeschickt.

Alice – so heißt meine Gastmutter – holte mich vom Flughafen ab. Rückblickend denke ich, dass es bereits da angefangen hat – was mir zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht bewusst war. Wer würde schon damit rechnen? Klar, jeder Zwanzigjährige träumt von so was. Aber es passiert nicht – außer in französischen Filmen.

Sie stand in der Ankunftshalle mit einem Pappschild in der Hand. Klein und zierlich, eine Frau, die meine Mutter mit petite beschreiben würde. Ich wusste von dem Steckbrief, den das Sprachinstitut geschickt hatte, dass sie neununddreißig ist. Sie neununddreißig, ihr Mann Tom zweiundvierzig, die drei Söhne achtzehn, sechzehn und zwölf. Die Namen der Söhne hatte ich vergessen. In dem Steckbrief stand, dass sie regelmäßig Sprachschüler aufnehmen – eine Art Hobby von Alice, dem sie neben ihren Verpflichtungen als Hausfrau und Mutter nachkommt. Genau so stand es da. Meine Mutter schüttelte dabei nur verächtlich den Kopf und sagte: Amerikaner.

Als ich Alice dort stehen sah, wirkte sie nicht wie eine Mutter. Dafür schien sie mir zu schüchtern. Eher wie ein Mädchen, das man dort abgestellt hatte. Das Einzige, was sie zu einem sexuellen Wesen machte, waren ihre Beine. Proportional zur Körpergröße lang und schlank, so wie die Beine einer Frau, die viel laufen geht.

Als sie mich in der Menge entdeckte, sagte sie: »Henri?« Sie sprach es englisch aus. Ich korrigierte sie nicht.

Auf dem Parkplatz zündete ich mir eine Zigarette an, Alice war irritiert, das konnte ich sehen. Ich glaube, ich war der erste Raucher, dem sie je begegnet ist. Sie sagte nichts deswegen, wartete stattdessen geduldig, bis ich fertig war. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas von einem Stimmt, in Europa raucht ihr noch.

Wir stiegen in ihren Wagen – er war eiskalt, von der Klimaanlage. Runtergekühlt, als wären wir Leichen auf dem Weg zum Friedhof. Wir sprachen kaum, nur ein paar leere Sätze. Wie war der Flug? Hat alles geklappt? Auch bei der Einreise keine Probleme? Ich beantwortete ihre Fragen. Und währenddessen beobachtete ich sie heimlich. Alice war auf den Verkehr konzentriert und damit zu abgelenkt, um meine Blicke zu bemerken. Wir fuhren auf den Highway. Tausend Spuren und noch mehr Autos – und wir in einem riesigen SUV mit dieser winzigen Frau hinterm Steuer. Alice’ Rock war beim Einsteigen hochgerutscht, ihre Oberschenkel waren nackt. Ich verbot mir, hinzusehen, tat es aber dennoch immer wieder. Ihre Schenkel, ihr Profil. Ein Auf und Ab, das sich minutenlang hinzog. Mir ging durch den Kopf, dass sie einen schönen Nacken hat, etwas, das ihre Kurzhaarfrisur betonte. Burschikos geschnittenes blondes Haar, dunkle Augenbrauen, kleine Ohren.

Auf dem Familienfoto, das dem Steckbrief beilag, war sie vor lauter Männern kaum zu sehen gewesen. Eine kleine Person zwischen amerikanischen Schultern. Sie fiel mir damals nicht weiter auf. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, ihr Haar war zu der Zeit länger, weiß es aber nicht.

Die zweite Hälfte der Fahrt kam mir ewig vor. Lag vielleicht am Flug oder an der Schlaflosigkeit in der vorangegangenen Nacht. Mein Kopf war wach, mein Körper bleiern müde. Ich nickte auf dem Weg zu den Lindleys mehrfach ein. Die ersten Male wachte ich wieder auf, dann anscheinend nicht mehr, denn irgendwann waren wir da. Alice weckte mich mit einer Berührung am Arm. Die Einfahrt war so groß wie ein Fußballplatz.

»Da wären wir«, sagte sie und stieg aus. »Tom und die Jungs kommen erst später.«

Alice zeigte mir das Haus. Es war wie in einem amerikanischen Film. Sehr viele Bäder und Schlafzimmer und Bereiche, um Gäste zu empfangen. Ich wartete darauf, dass sie mir mein Zimmer zeigen würde, doch bei keinem der vielen Räume sagte sie etwas Entsprechendes.

Danach führte sie mich durch den Garten. Eine Art privater Park, der deutlich machte, wie viel Platz man in den USA haben kann. Wir erreichten eine zweite Terrasse, dann blieb Alice stehen und meinte: »Das ist das Gästehaus.« Sie reichte mir einen Schlüssel und ließ mich aufsperren.

Das Haus bestand aus einem Raum mit deckenhohen Fenstern, die man aufschieben konnte. Im Zentrum ein großes Bett, rechts eine Küchenzeile, die besser ausgestattet war als die meisten Küchen meiner Freunde in Paris. Links hinter einer Wand ein Badezimmer, das für amerikanische Verhältnisse klein war, mir aber geräumig erschien.

Ich lernte Tom und die Jungs erst am nächsten Morgen beim Frühstück kennen. Ich hatte mich am Abend zuvor nur kurz duschen und ein paar Minuten hinlegen wollen, und wachte dann am nächsten Tag auf, weil die Sonne mich blendete. Das Frühstück war verdammt gut und genauso fremd. Gespräche über Sport, über Toms Job, über die Schule. Alice trug das Essen auf wie eine Bedienstete. Meine Mutter hätte sich das nie bieten lassen. Meine Geschwister und ich mussten immer mithelfen, egal worum es ging, egal, wie klein wir waren.

Alice schien es als ihren Job zu betrachten – einen Job, für den sie in Liebe bezahlt wurde. Es gab von allem zu viel – Pancakes, Rührei, Speck, Waffeln, Ahornsirup. Ich weiß noch, dass ich dort saß und mich gefragt habe, ob sie wirklich jeden Morgen so essen, oder ob sie meinetwegen so dick auftragen. Aber Tom und die Jungs waren so unbeeindruckt, dass es wohl normal für sie war.

Bei uns zu Hause essen wir morgens getrennt und jeder kümmert sich selbst um sein Frühstück. Abends ist Familienzeit und wir wechseln uns mit dem Kochen ab. Bei den Lindleys war es wie in einem Hotel mit nur einer Mitarbeiterin.

Die erste Woche verlief unspektakulär. Ich war vormittags in meinem Sprachkurs auf dem Campus. Alice holte mich ab, wir aßen zusammen zu Mittag, dann hatten wir unsere privaten Conversationlessons. Am fünften Tag hatte ich das erste Mal Gedanken, die mit ihr und Sex zu tun hatten. Sie fragte, ob es für mich okay wäre, eine längere Pause nach dem Essen einzulegen. Ich sagte Ja, ohne nachzufragen, warum.

Kurz darauf schwamm sie Bahnen vor meinen geöffneten Fenstern. Ich saß auf dem Bett und sah ihr zu. Ich wollte immer lernen zu kraulen, in meinen Augen war es die einzig richtige Art zu schwimmen, doch ich beherrschte sie nicht – ganz im Gegensatz zu Alice. Sie glitt durch das Wasser, durchpflügte es nahezu lautlos mit den Händen, schaute alle paar Züge kurz hoch, atmete ein, schwamm weiter. Als sie irgendwann meinen Blick bemerkte, fragte sie, ob ich auch schwimmen wollte. Es kam mir komisch vor, allein mit ihr im Pool, aber ich wollte nicht unhöflich sein.

Sie bestand darauf, dass ich Sonnenschutz benutzte, Rücken und Schultern cremte sie mir ein, dann bat sie mich, dasselbe bei ihr zu tun. Als ich ihren Nacken und ihre nackten Schultern berührte, kamen die Gedanken das erste Mal. Danach zeigte sie mir, wie man krault. Sie erwies sich als gute Lehrerin, ich lernte es relativ schnell.

Im Anschluss setzten wir uns in unseren nassen Schwimmsachen auf die Terrasse des Haupthauses und unterhielten uns auf Englisch. In den Tagen davor hatte sie Lektionen aus einem Buch mit mir bearbeitet. Doch an jenem Tag nicht. Kein Buch, nur Fragen, die wir uns gegenseitig stellten. Ich wollte wissen, warum sie Sprachkurse gibt, ob sie ursprünglich aus Kalifornien kommt, wie es ist, mit so vielen Männern zusammenzuleben. Sie fragte nach meiner Familie, danach, wie es sich in Paris so lebte, ob ich eine Freundin hätte. »Sie wird dich doch bestimmt sehr vermissen, wenn du so lang weg bist.« Ich sagte die Wahrheit, dass ich in keiner Beziehung war. Dass ich nach nichts Festem suchte. Dass ich erst mehr Erfahrungen sammeln wollte. Ich hatte es bereits ausgesprochen, als mir klar wurde, wie zweideutig meine Aussage rübergekommen sein musste und entschuldigte mich. Alice winkte ab. Sie sagte, sie hätte es nicht so verstanden – doch ihre geröteten Wangen sagten das Gegenteil.

Danach erzählte sie, was sie den ganzen Tag über so tat – aufräumen, kochen, einkaufen, putzen – und wenn sie mit allem fertig war, laufen. Sie sagte: »Es gibt ein paar schöne Laufstrecken in der Gegend. Falls du mal mitkommen willst?« Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Ich laufe nicht.«

Zwei Stunden später beim Abendessen – es gab gegrillte Dorade – sprachen hauptsächlich Tom und die Jungs. Alice stellte Fragen wie eine Interviewerin und brachte so viele Beilagen an den Tisch, dass es fast grotesk war. Sobald ich etwas erzählte, korrigierte Tom jeden meiner Fehler. Satzbau, Aussprache, falsches Vokabular. Ein Halbsatz, eine Unterbrechung, ein weiterer Satz, eine weitere Unterbrechung. Irgendwann legte Alice ihm die Hand auf den Arm und sagte gedämpft: »Tom, nicht«, und er antwortete: »Wieso? Henri ist schließlich hier, um etwas zu lernen.« Blick zu mir. »Nicht wahr, Junge?« Ich nickte und dachte: ta gueule.

Später am Abend saß ich allein am Pool, die Beine im Wasser. Ich saß da und rauchte – eine letzte Zigarette vorm ins Bett Gehen –, da kam Alice zu mir auf die Terrasse. Als sie mich sah, sagte sie: »Stört es dich?« und zeigte in den Pool, als gehörte er mir. Ich schüttelte den Kopf und rauchte weiter, während Alice sich aus dem dünnen Bademantel schälte, ihn neben sich auf den von der Sonne noch leicht gewärmten Steinboden legte, an den Beckenrand trat und kopfüber ins Wasser sprang. Ihr Bikini musste verrutscht sein, denn sie wandte sich ab und zupfte daran herum, danach begann sie zu schwimmen. Die Poolbeleuchtung erhellte ihren Körper, er war verschwommen und doch scharf. Ihr dabei zuzusehen, wie sie ihre Bahnen zog, war eine Mischung aus meditativ und erregend. Wie ein Kribbeln in den Fingern, an den dünnen Schnüren des Bikinis zu ziehen und Alice’ Brüste anzufassen.

Ich malte es mir aus. Wie ich die Zigarette ausdrückte und ins Wasser glitt, wie ich mich Alice in dem Bereich des Pools, in dem man stehen konnte, in den Weg stellte, wie sie mich ansah mit nassen Wimpern und Wassertropfen, die ihr übers Gesicht liefen, wie ich die Hände ausstreckte und sie mit den Augen fragte, ob ich sie berühren dürfte. Ich saß am Beckenrand und spürte, wie ich hart wurde, wie meine Shorts sich im Schritt spannte, während in meinem Kopf Alice flach atmend vor mir stand und kaum merklich nickte. Ich ging einen Schritt auf sie zu, unsere Körper berührten sich fast, dann zog ich an den Schnüren ihres Bikinioberteils – löste erst die im Nacken, danach die Schleife an ihrem Rücken.

Etwa da verabschiedete ich mich von Alice und ging duschen. Ich konnte nicht mit meiner Erektion dort sitzen bleiben, am Poolrand, Alice hätte es gemerkt. Während ich mir – nur wenige Meter von ihr entfernt – einen runterholte, stellte ich mir ihre Brüste vor, die zusammengezogenen Brustwarzen, Alice’ Blick, als ich die Schleifen des Bikinihöschens öffnete, eine links, eine rechts, dann war sie nackt. Ich stellte mir vor, wir hätten Sex im Pool, ich in ihr, ihre Brüste an meinen Oberkörper gepresst, lauwarmes Wasser um uns, Alice’ zurückhaltendes Stöhnen in meinem Ohr. Keine zwei Minuten später ejakulierte ich gegen die dunklen Feinsteinfliesen.

Als ich kurz darauf mit nichts als einem Handtuch um die Hüften mein Zimmer betrat, stand Alice im Pool und musterte mich – länger als sie sollte. Es schien auch ihr aufzufallen, denn sie schaute ertappt weg, hielt einen Moment inne und stieg dann schnell aus dem Wasser.

Im Nachhinein sagte sie mir, dass sie währenddessen meinen Blick auf sich gespürt hatte wie Hände, die sie anfassen. Es waren die ersten seit Langem. »Seit Aidens Geburt«, sagte sie.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Vormittags Sprachkurs, dann Mittagessen, danach ein bisschen Sightseeing – ein Ausflug an einen Strand, ein Fischlokal an der Küste –, im Anschluss oder währenddessen Conversationlessons. Nach dem Abendessen kam Alice zum Pool, Tom und die Jungs schauten fern oder zockten oder waren nicht da. Ich sah Alice beim Schwimmen zu und befriedigte mich im Anschluss selbst – mit Bildern von ihr im Kopf, oder von uns, im Pool, auf dem warmen Steinboden daneben, in meinem Bett. Alice blieb abends immer länger. Erst nur ein paar Minuten, irgendwann hatte sich ihr abendliches Schwimmen auf über eine Stunde ausgedehnt. Ich fragte mich, ob sie so etwas schon mal gemacht hatte – mit einem ihrer Sprachschüler geschlafen. Und ich fragte mich, ob es sich bei ihrer Schüchternheit um eine Masche handelte, oder ob sie sich ihrer Wirkung auf mich tatsächlich nicht bewusst war – diesem Drang, sie zu berühren, der von Tag zu Tag stärker wurde.

Am Ende meiner zweiten Woche bei den Lindleys eröffnete Tom beim Abendessen, dass er kurzfristig mit den Jungs wegfahren würde. Er schlug vor, dass wir alle gemeinsam fahren – »Henri würde das Ferienhaus sicher gefallen«, meinte er, »ihr könntet eure Sprachstunden auch dort abhalten.« Bevor ich etwas entgegnen konnte, sagte Alice, dass ich auch vormittags Kurse hätte – auf dem Uni-Campus – und sie und ich daher hierbleiben müssten. Tom schien kein Problem damit zu haben. Er nickte einfach und aß weiter. Es wunderte mich, dass er nicht einmal den Versuch machte, sie zum Mitkommen zu überreden. Doch ich hinterfragte es nicht.

Nach dem Essen half ich Alice beim Abspülen. Sie wollte wissen, ob ich gern mitgefahren wäre. Ich schüttelte den Kopf. Und als sie mich ansah, bildete ich mir ein, Sehnsucht in ihren Augen zu sehen – eine Sehnsucht, die wir nicht hätten haben sollen.

Am nächsten Morgen verabschiedeten wir Tom und die Jungs. Alice stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihre Söhne zu umarmen, und es fiel mir schwer zu glauben, dass sie sie geboren hatte, diese drei jungen Männer, die so groß und muskulös waren, dass Alice neben ihnen aussah wie ihre Schwester. Alterslos, weil sie so jung Mutter geworden war, straff vom Sport, weil es neben dem Haushalt sonst nicht viel für sie gab. Nur Laufstrecken und Bahnen im Pool, während derer normalerweise niemand von ihr Notiz nahm.

Es war Samstag – samstags gab es keine Kurse. Alice legte sich an den Pool und las. Dabei trug sie einen Bikini, der aus so wenig Stoff bestand, dass ich schwer schlucken musste, als ich sie sah. Ihre Haut bräunte schnell, sie begutachtete die Linien, indem sie den Stoff des Höschens beiseiteschob. Ihre Blicke versteckte sie hinter einer großen schwarzen Sonnenbrille. Manchmal spürte ich sie.

Das Wochenende verging nach außen hin träge, doch in mir fühlte es sich anders an. Ich half ihr beim Kochen. Wir standen gemeinsam in der Küche, sie zeigte mir, was ich tun sollte, und ich stellte mir vor, wie ich sie auf die Kücheninsel legte, ihre Beine spreizte und sie so lange leckte, bis sie kam. Bis sie sich unter meiner Zunge wand. Bis ihr Seufzen bettelnd klang und sie meinen Namen stöhnte.

Ich stand angespannt neben ihr und schnitt rote Zwiebeln. Alice schaute mich immer wieder an, so als wüsste sie, woran ich dachte. Und ich fragte mich, ob es ihr auch so ging, ob ihr doch klar war, welche Wirkung sie hatte. Mit ihren vollen Lippen und den fast schwarzen Augen. Den dunklen Augenbrauen und Wimpern, dem kleinen Muttermal auf der linken Wange. Und diesem Nacken – verletzlich und grazil, so wie ihr gesamter Körper.

Wegen unseres Größenunterschieds konnte ich Alice in den Ausschnitt schauen, den Ansatz ihrer runden Brüste sehen, die sich unter jedem Atemzug hoben und senkten. Ich wollte alles an ihr. Ich wollte jeden Millimeter ihrer Haut berühren, ich wollte sie küssen. Ich wollte in sie eindringen. Spüren, wie sie sich von innen anfühlte. Wie ihr Körper sich um meinen harten Schwanz legte. Sie brachte mich um den Verstand.

Beim Abendessen fragte sie: »Wenn du sagst, du suchst nach nichts Festem, was meinst du damit?«

Ich verschluckte mich an meiner Pasta. Hustete, trank Wasser nach. Währenddessen überlegte ich, was ich darauf antworten sollte.

Alice sah mich an. Ich kann mich an den Blick körperlich erinnern. Spüre ihn noch genauso wie in jenem Moment. Wie eine Aufforderung. Wie ein Ich weiß, dass du es auch willst. Tu es. Ich sagte etwas Ausweichendes. Etwas wie Ich will mich noch austoben, bevor ich mich festlege. Ich dachte, damit wäre das Thema vom Tisch, doch Alice hakte nach. »Und wie läuft das so? Mit dem Austoben?« Sie lächelte und ihre Mundwinkel zitterten. »Ich meine, wie stelle ich mir das vor?«

Ich räusperte mich und legte mein Besteck weg. »Wie ein Studium«, sagte ich vage und fügte ein »Nur mit dem Körper« hinzu. Alice befeuchtete sich die Lippen, dann griff sie nach ihrem Glas und nahm einen Schluck Weißwein – sie hatte auch mir welchen angeboten. In diesem Moment wünschte ich, ich hätte Ja gesagt.

»Darf ich dich etwas Persönliches fragen, Henri?«

Ich liebte es, wie sie meinen Namen sagte. Henri.

»War das eben nicht persönlich?«, fragte ich zurück. Alice wurde rot, und ich sagte: »Bitte, frag.«

Die darauffolgenden Sekunden zogen sich entsetzlich hin. Ich spürte, wie ich zu schwitzen begann. Sie ist verheiratet, ging es mir wieder und wieder durch den Kopf. Sie hat drei Kinder – du könntest ihr Sohn sein.

»Hast du …«, fing sie an, brach jedoch ab. Ihr Blick war gesenkt, ihre Hände spielten nervös an dem Stiel des Glases, sie trank noch einen Schluck Wein. »Hast du schon mit vielen Frauen geschlafen?«

Jede Antwort schien mir falsch. Ein Ja wäre abstoßend rübergekommen, vielleicht sogar arrogant, ein Nein hingegen hätte mich unerfahren und jungenhaft wirken lassen. Beides wollte ich nicht.

»Was verstehst du unter viele?«, fragte ich.

Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Du bist zwanzig, richtig?« Ich nickte. »Vier, fünf?«

»Man kann auch mit einer Frau sehr oft geschlafen haben«, sagte ich. »Hätte man in dem Fall weniger Erfahrung?«

»Vermutlich nicht«, sagte sie. Und fügte nach einer Pause hinzu: »Dann war es eine?«

»Es waren drei«, sagte ich. »Zwei Beziehungen, ein One-Night-Stand.«

Alice schwieg.

Danach saßen wir vor unseren Pastatellern, ohne zu essen. Ich hatte das unbändige Verlangen nach einer Zigarette. Wobei mir bewusst war, dass es mir nicht wirklich um die Zigarette ging, dass ich eigentlich sie wollte – Alice. Ihre Lippen auf meinen, den Geschmack ihrer Zunge, ihren Geschmack. Ich wollte in ihr versinken, ich wollte mit meinen Händen in ihre Bluse fassen, in den BH, ich wollte spüren, wie ihre Brustwarzen unter meinen Fingern hart wurden. Wissen, ob ihre Brüste sich so anfühlten, wie sie aussahen, so voll und schwer, dass sie seitlich aus den Bikinioberteilen gedrückt wurden. Ich wollte, dass Alice sich nackt auf mich setzte, und dann wollte ich dabei zusehen, wie mein Schwanz Zentimeter für Zentimeter in sie eindrang. Ich wollte sie von innen und außen spüren, wollte mein Gesicht in ihrer Halsbeuge vergraben, den Geruch ihrer Haut einatmen, sie im Nacken halten, während ich mich tief in ihr bewegte. Ich wollte, dass sie sich unter mir vergaß, dass sie laut wurde. Dass sie die Maske abstreifte, die sie tagein, tagaus trug – dieses amerikanische Lächeln, das die Leere in ihrem Blick nie ganz überdecken konnte.

Alice saß mir gegenüber, spießte ein paar Nudeln auf, hob die Gabel jedoch nicht an ihre Lippen. Ich sah Schweißperlen auf ihrer Stirn glänzen. Als sie schluckte, schien ich die Trockenheit in ihrer Kehle in meiner zu spüren. Meine Erektion stemmte sich gegen den Stoff meiner Shorts. Ich hätte Alice in dem Moment gern geküsst. Ich wäre gern sanft mit ihr gewesen und ungestüm, hätte Liebe mit ihr gemacht und sie gefickt. Ich wollte alles mit ihr. Aber nur das Haus war leer, nicht ihr Leben. Sie ist verheiratet, sagte ich mir wieder und wieder. Ist mir egal, antwortete eine Stimme in meinem Kopf. Aber es war nicht egal.

Kurz darauf verabschiedete ich mich ins Bett. Es war nicht mal zehn. Ich versuchte, meine Erektion zu verbergen, als ich vom Tisch aufstand, doch ich glaube, Alice sah sie, die Wölbung in meinem Schritt, die ihretwegen dort war.

Ich zog mich ins Gästehaus zurück, befriedigte mich aber nicht selbst. Etwas in mir genoss diese fast schon schmerzhafte Sehnsucht. In jener Nacht kam Alice nicht zum Pool. Mir wurde erst bewusst, dass ich darauf gewartet hatte, als im Haupthaus das Licht ausging. Danach lag ich lange wach. Und als ich endlich einschlief, träumte ich von ihr.

Am nächsten Morgen schien alles wieder wie zuvor. Als hätte Alice ihre unangebrachten Fragen beim Abendessen nie gestellt. Ich war enttäuscht und erleichtert darüber. Alice und ich frühstückten zusammen. Sie hatte Croissants gemacht, die so gut waren, dass sie es vom Geschmack und der Beschaffenheit mit denen meiner Mutter aufnehmen konnten. Sie waren buttrig und bröselig und machten exakt das Geräusch beim Reinbeißen, das ein gutes Croissant ausmachte. Alice hatte Erdbeermarmelade gekauft und gesalzene Butter, dazu gab es schwarzen Kaffee. Während wir aßen, lief Musik von Alban de la Simone. Die Terrasse lag im Schatten und mein Blick fiel auf den Pool am anderen Ende des Anwesens. Das Grundstück war nicht einsehbar. Wir hätten auf dieser Terrasse Sex haben können, oder in der Wiese, oder im Pool und niemand hätte es mitbekommen. Ich wünschte fast, man hätte uns von den Nachbarhäusern aus beobachten können, das hätte es sehr viel leichter gemacht.

Es war noch nicht mal elf Uhr, sonntags gab es keinen Unterricht. Der Tag lag endlos vor mir. Sonne, die vom Himmel brannte, träge Hitze, und eine Erregung, die mich nicht mehr losließ. Als hätte mein Körper Feuer gefangen. Nach dem Frühstück räumten wir gemeinsam auf. Alice fragte, ob ich einen Ausflug machen wolle, ich dachte, ich will mit dir schlafen. Der Gedanke war so allgegenwärtig, dass ich sofort zustimmte. Hauptsache, weg – ich hätte es keine Sekunde länger allein mit ihr in diesem Haus ausgehalten.

Alice und ich fuhren an einen Strand, der bis auf ein paar Familien leer war. Kinder, die Sandburgen bauten, ein Mann, der für seinen Hund einen Ball warf, eine junge Frau, die eine Luftmatratze ins Wasser trug. Wir gingen an ihnen vorbei, Alice hatte sich die Sandalen ausgezogen, sie hielt sie an einem Finger, ließ sie neben sich herschwingen, während die Wellen an Land donnerten und ihre Füße verschluckten. Jedes Mal, wenn sich das Wasser zurückzog, hörte ich den Sand darunter leise knistern.

Es war schließlich Alice, die unser Schweigen brach.

»Tut mir leid wegen gestern«, sagte sie. »Ich hätte das nicht fragen sollen.« Als ich Luft holte, um zu widersprechen, hob sie abwehrend die Hände. »Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Bedauerlich«, hörte ich mich sagen.

Alice blieb stehen. Sie musste zu mir hochschauen, ich sah zu ihr runter. Der Wind strich ihr durchs Haar wie eine Hand, sie strich es glatt, dann ging sie weiter.

»Ich weiß, wir haben vorhin erst gefrühstückt, aber ich habe Hunger«, sagte sie. »Dahinten ist ein ausgezeichnetes Fischrestaurant.«

Wir saßen auf der Sonnenterrasse. Alice bestellte Lobster, ich entschied mich für die Muscheln. Der Kellner nahm unsere Bestellung auf, dann schenkte er Wasser in zwei Gläser. Nachdem er weg war, sagte Alice: »Ich war immer nur mit Tom zusammen.« Sie befeuchtete sich die Lippen, fuhr dann fort: »Ich habe nie mit einem anderen geschlafen.«

Als sie meinen ungläubigen Gesichtsausdruck sah, zuckten ihre Mundwinkel. Andererseits ergab es Sinn, Alice war Ende dreißig, ihr ältester Sohn bereits volljährig.

»Josh war nicht geplant«, sagte sie und nippte an ihrem Wasser. »Tom war mein erster Freund. Schon an der Highschool. Nach dem Abschluss sind wir zusammen ans College gegangen. Im zweiten Jahr war ich schwanger.«

»Was hast du studiert?«, fragte ich.

»Nur angefangen«, korrigierte sie mich. »Kunstgeschichte.«

»Du hast das Studium abgebrochen?«

Sie nickte. »Zwei Monate nachdem ich erfahren habe, dass Josh unterwegs ist«, sagte sie. »Im Juni darauf haben Tom und ich geheiratet.«

Die Vorspeise kam – ein Gruß aus der Küche. Eine Ceviche von weißem Fisch. Sie schmeckte hervorragend.

»Du hättest trotzdem deinen Abschluss machen können«, sagte ich.

»Nicht nur können«, erwiderte sie, »ich hätte es tun müssen.« Alice atmete tief ein. »Eine falsche Entscheidung und man ist sein Leben lang finanziell abhängig.« Sie machte eine Pause. »Nicht, dass du mich falsch verstehst, Tom ist kein schlechter Mensch. Er hat nur vor Jahren aufgehört, mich wahrzunehmen. Für ihn bin ich wie ein Möbelstück. Eine Haushaltshilfe, die neben ihm schläft.« Alice schaute verlegen in ihren Schoß. »Seit Aidens Geburt hat Tom mich nicht mehr angefasst.«

Ich runzelte die Stirn. »Aiden ist zwölf«, sagte ich.

Alice nickte.

»Tom hat dich seit zwölf Jahren nicht angefasst?«

»Nicht wie ein Mann seine Frau anfasst, nein«, sagte sie.

Ich schluckte. »Das heißt … du hattest seit zwölf Jahren keinen Sex.«

»Ja«, sagte Alice. Dann kam der Hummer, dicht gefolgt von einer Schüssel Muscheln.

Wir aßen mit den Fingern. Alice brach die Scheren – sie wirkte geübt darin –, ich die Muschelschalen, pulte das Fleisch heraus, es schmeckte weich und zart, nach Weißwein und Brühe. Als ich wieder zu Alice sah, lief ihr Hummersaft übers Kinn, sie wischte ihn mit dem Handrücken weg. Während ich sie betrachtete, versuchte ich zu begreifen, wie ein Mann sich nicht zu ihr hingezogen fühlen konnte. Wie ein Mann nicht sehen konnte, was ich sah. Ich ließ die Hände sinken, musterte Alice. Sie war mit Abstand die attraktivste Frau im gesamten Lokal – die anziehendste Frau, die ich je gesehen hatte. Und er wollte sie nicht … nahm sie nicht wahr. Ich studierte ihr Gesicht, tastete es mit den Augen ab, weil ich es mit den Händen nicht durfte. Alles an ihr war sinnlich, ihr Mund, ihre Finger, die Art, wie sie Dinge anfasste. Als ihr jüngster Sohn geboren wurde, war Alice gerade siebenundzwanzig. Zwölf Jahre, dachte ich fassungslos und hätte diesen Umstand am liebsten auf der Stelle geändert. In ihrem Wagen, irgendwo am Strand, in dem angrenzenden Waldstück hinter dem Parkplatz. Ich war kurz davor, es laut auszusprechen. Zu sagen, dass ich sie wollte, dass ich noch nie jemanden so gewollt hatte. Doch ich verschluckte den Satz mit dem Rest meines Weißweins. Danach war das Glas verschmiert von meinen Fingern und Alice lächelte bei dem Anblick.

»Du weißt, dass er verrückt ist«, sagte ich. »Dein Mann ist vollkommen geisteskrank.«

Alice schüttelte den Kopf. »Etwas, was man immer haben kann, ist selten attraktiv.«

Mein Hals wurde trocken, ich bestellte ein weiteres Glas Wein, der Kellner fragte Alice, ob sie auch noch eins wolle, sie nickte. Kurz darauf stellte er zwei Gläser vor uns ab. Ich griff nach einem davon und trank einen Schluck. Der Alkohol stieg mir zu Kopf.

»Was ist mit Tom?«, fragte ich.

»Was soll mit ihm sein?«, fragte sie zurück.

»Hatte auch er zwölf Jahre keinen Sex?«

Alice lachte auf. »Natürlich nicht«, sagte sie.

»Das heißt, er schläft mit anderen?«, fragte ich mit vibrierender Stimme. »Er geht dir fremd und du weißt es?«

Alice antwortete nicht.

»Wieso?«, fragte ich. »Wieso lässt du dir das gefallen?«

»Tom und ich sind ein eingespieltes Team«, entgegnete sie. »Wir sind zusammen, seit ich fünfzehn bin. Ich kann mir ein Leben ohne ihn gar nicht vorstellen.«

»Und das ist Grund genug zu bleiben?«, fragte ich. »Dass du nicht weißt, wer du ohne ihn bist?«

Alice seufzte. »Ich habe keinen Abschluss, Henri«, sagte sie. »Ich habe keinerlei Berufserfahrung. Und in nicht mal fünf Monaten werde ich vierzig.« Sie trank noch mehr Wein. »Ich weiß, wie das für dich klingen muss. In deinem Alter hat man noch hohe Ideale.«

»Und in deinem nicht mehr?«, fragte ich.

»Tom und ich sind Freunde«, erwiderte sie. »Wir haben drei Kinder, wir können uns aufeinander verlassen. Jeder bringt seinen Teil in die Beziehung ein.«

Ich spürte, wie Wut in mir aufstieg. Auf Tom, auf Alice. Auf mich, weil ich mich in etwas einmischte, das mich nichts anging. Doch am wütendsten war ich, weil ich dabei war, mich in sie zu verlieben – weil ich viel mehr für sie empfand, als ich sollte. Ich hätte Alice gern gefragt, ob sie sich nicht zu schade war, für einen Mann zu kochen und zu putzen, während er – mit ihrem Wissen – andere Frauen fickte. Stattdessen fragte ich: »Und das genügt dir? Das macht dich glücklich?«

Alice sah mich lange an, dann schließlich sagte sie: »Du bist sehr jung, Henri.«

»Du auch«, erwiderte ich. »Zu jung für zwölf Jahre keinen Sex.«

Alice schluckte, dann nickte sie langsam. »Es ist komisch. Ich habe irgendwann aufgehört, an Sex zu denken«, sagte sie. »Ich habe es irgendwann nicht mehr vermisst, angefasst zu werden.« Sie schaute auf, ein Blick direkt in meine Augen. »Bis jetzt.«

Als wir knapp zwanzig Minuten später in Alice’ Wagen stiegen, fiel es mir schwer, meine Hände bei mir zu behalten. Ihr Bis jetzt echote in meinem Kopf. Beim Einsteigen war ihr Rock fast bis zum Schritt hochgerutscht, ihre nackten Oberschenkel quälten mich.

Alice öffnete das Fenster mit einem Seitenblick zu mir. Obwohl ich sofort hochschaute, bemerkte sie, wo ich hingesehen hatte – zwischen ihre Beine, in ihren Schritt. Sie kommentierte es nicht, stattdessen sagte sie: »Du magst Klimaanlagen nicht, richtig?« Ich nickte.

Danach fuhren wir schweigend weiter. Eine aufgeladene Stille, körperlich erregt und wütend. Ich hätte gern mit den Fingerspitzen die Innenseiten ihrer Schenkel berührt, ich hätte gern ihren Slip zur Seite geschoben und wäre mit meinen Fingern in sie eingedrungen. Ich hätte die Dominanz über sie genossen, die Tatsache, dass sie fahren musste und es keinen Parkplatz gab, auf dem sie hätte halten können. Ich hätte sie gern gequält, wie sie mich quälte. Mit ihrem Körper und ihren Blicken und diesem Mund, von dem ich mir nicht vorstellen wollte, wie er sich fest um meinen steifen Penis legte. Die Bilder spielten sich ohne mein Zutun ab.

Alles an dieser Situation war falsch. Alice und ich in diesem Wagen, die Sehnsucht, die mich von innen auffraß, die mir äußerlich aber nicht anzumerken war – abgesehen von meinem zuckenden Schwanz. Einmal schien Alice es zu bemerken, denn ihr Blick schoss in meinen Schritt, in meine Augen, dann zurück auf die Straße.

Wenig später parkte sie in der Einfahrt. Ich wartete, bis sie ausgestiegen war, um meine Erektion einigermaßen zu kaschieren. Alice ging unterdessen bereits in Richtung Haus. Ich warf die Tür zu, Alice drückte auf den Knopf der Fernbedienung, die Blinker leuchteten auf. Ich folgte ihr zum Eingang. Und die Hitze in mir hatte nichts mit der Hitze von außen zu tun – auch, wenn die sicher nicht half. Mein Körper fühlte sich an wie ein Gefäß, das unter Druck stand, als wäre ich kurz davor zu reißen. Ich kannte solche Emotionen nicht, so entgegengesetzt. So zärtlich auf der einen Seite, so zornig auf der anderen.

Alice schloss die Tür auf und betrat den Eingangsbereich. Ich wollte an ihr vorbeigehen, über den Garten in mein Zimmer. Ich wollte die Vorhänge schließen und mir einen runterholen. Und danach in den Pool. Ich wollte das Gespräch vergessen. Die Andeutungen, die indirekte Einladung zum Sex, die ich nicht annehmen konnte – zum einen, weil ich nicht wusste, ob es wirklich eine gewesen war, zum anderen, weil Alice einen Ehemann hatte – einen Ehemann und drei Söhne.

Ich war im Begriff mich zurückzuziehen, da umfasste Alice mein Handgelenk.

»Nicht«, sagte ich, und sie ließ sofort los.

Ich ging an ihr vorbei – ich glaube, mein Herz hat niemals zuvor so schnell geschlagen.

»Henri«, sagte Alice.

Ich wollte nicht stehen bleiben, ich wollte mich nicht zu ihr umdrehen, kein Mitgefühl haben, nicht wütend sein, mich nicht in sie verlieben. Ich wollte nichts davon.

Hätte ich in jenem Moment alles streichen können – jedes Gespräch, jeden Blick, jede Form der Annäherung zwischen uns – ich hätte es getan.

Doch weil ich es nicht streichen konnte, blieb ich stehen – und weil ein Teil von mir stehen bleiben wollte. Und sich zu ihr umdrehen. Und Mitgefühl haben und sich in sie verlieben.

Ich spürte Alice hinter mir, sie war mir nah wie ein Schatten. Und ich wusste, wenn ich mich ihr zuwandte, wären wir Körper an Körper. Und dann gäbe es kein Zurück mehr, keine Vernunft, keinen klaren Gedanken.

Ich rührte mich nicht, stand atemlos da, jeder Muskel angespannt, in meinem Nacken, in meinen Armen, in meinem Bauch. Ich wollte Alice küssen, sie ausziehen, sie weiter küssen. Sie mit dem Mund befriedigen. Ich wollte die vergangenen zwölf Jahre auslöschen – ihr dabei zusehen, wie sie kam. Ich wollte sie so oft zum Orgasmus bringen, bis sie nicht mehr konnte. Bis sie ermattet und glücklich daläge, auf eine Art erfüllt, die sie längst vergessen hatte.

Alice überließ die Entscheidung mir – sie hatte ihre längst getroffen.

Ich atmete flach, dann endlich brachte ich ein heiseres »Wenn ich mich jetzt zu dir umdrehe, werde ich mich nicht zurückhalten können« heraus.

Alice schloss ihre Hand um meine.

Dann wandte ich mich um, langsam, als wollte ich ihr die Möglichkeit geben, doch noch einen Rückzieher zu machen. Doch sie tat es nicht. Niemals zuvor habe ich mich so sehr gespürt, wie in diesen Sekunden. Die Härte des Bodens unter meinen Füßen, die künstlich heruntergekühlte Luft, die Stille des Hauses, den Schweißfilm auf meiner Haut, meinen trockenen Hals, meinen erregten Atem.

Alice sah mich an – die Knopfleiste ihres Kleids offen, darunter weiße Unterwäsche, ein flacher Bauch, feste Brüste. Sie hatte Sand an den Füßen, ihr Blick war unsicher und selbstsicher – der einer erwachsenen Frau.

Als Alice im nächsten Moment ihre Hände auf meine Brust legte, brannten bei mir alle Sicherungen durch.

Ich packte sie und zog sie an mich. Es war mehr als nur ein Kuss, es war wie Luftholen, unkontrolliert und gierig, als wäre man zu lang unter Wasser gewesen. Lippen und Zungen und Hände und unterdrücktes Stöhnen, das von den hohen Wänden widerhallte. Es war nicht mehr still im Haus, es war voll mit Seufzen, mit Lauten, die wir tagelang zurückgehalten hatten. Ich weiß nicht, wie wir es auf den Boden schafften. Plötzlich lagen wir dort. Halb nackt und schwer atmend. Alice hatte mir mein T-Shirt und die Shorts ausgezogen, ich ihr das Kleid. Ich öffnete ihren BH, während wir uns weiter küssten, zu süchtig, um aufzuhören. Ich wollte sie einatmen, ich wollte jeden Zentimeter ihrer Haut berühren, sie überall küssen, sie mit meiner Zunge entdecken – die Innenseiten ihrer Oberschenkel vom Knie bis zu den Leisten. Ich zog ihr den BH aus, hielt inne, atmete schwer. Ich sah Alice an, ihre Nacktheit, ihre Brüste, die ich mir in den vergangenen Wochen so oft vorgestellt hatte. Ich umfasste sie, massierte sie. Ihre Brustwarzen erinnerten mich an kleine harte Knospen, ihre Lippen waren geschwollen vom Küssen, meine fühlten sich ähnlich an. Ich lehnte mich über Alice’ nackten Oberkörper, glitt mit der Zunge über ihre Nippel und mit der Hand in ihren Slip. Als ich spürte, wie feucht sie war, hörte ich mich scharf Luft holen, dann ihr Keuchen. Ich drang mit zwei Fingern in sie ein, Alice stöhnte. Und der Laut machte mich wahnsinnig. Ich biss in ihre Nippel, massierte ihre Brust, stimulierte ihren G-Punkt. Es war wie ein Rausch. Als ihre Muskeln anfingen zu zucken und ihr Atem flehend zu werden, hörte ich auf – kniete mich zwischen ihre Beine, schob ihr Höschen zur Seite und begann, sie zu lecken. Meine Zunge kreiste, ich saugte, ich drang mit den Fingern in sie. Alice wurde lauter und lauter. Eine Mischung aus Seufzen und Wimmern, ein Gefühl, als wären sie und ich ein einziger Körper, als gäbe es keine Trennung mehr zwischen uns. Als sie im nächsten Moment meinen Namen stöhnte, wäre ich fast gekommen. Dann erstarrte sie, ihre Muskeln zogen sich zusammen, sie atmete nicht, rang nach Luft – ich machte weiter. Bewegte meine Finger, meine Zunge, schmeckte sie, dann plötzlich pulsierte ihr Unterleib und Wellen der Befriedigung schossen durch sie hindurch.

Alice war noch nicht ganz zu Atem gekommen, da hauchte sie: »Schlaf mit mir, Henri.«

Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, während ich nach meinen Shorts griff, die auf dem Boden lagen und meinen Geldbeutel aus der Hosentasche zog. Ich fingerte das Kondom aus dem hinteren Fach und machte mich an der Folie zu schaffen, als Alice begann, mir langsam einen runterzuholen. Sie saß breitbeinig vor mir, ein Lächeln im Blick.

»Du musst damit aufhören«, seufzte ich.

»Ich will aber nicht aufhören«, flüsterte sie und festigte ihren Griff.

»Fuck, Alice …«

Ich ließ die Hände sinken, ergab mich diesem Gefühl, diesem Anblick – Alice, die vor mir saß, ihre zierliche Hand um meinen Schwanz, die sich langsam auf und ab bewegte.

Als ich kurz darauf in sie eindrang, sah sie mich an. Mit einem Blick, von dem ich wünschte, ich könnte ihn behalten. Das Gefühl, sie zu spüren, war intensiv wie ein Schmerz. Ich stöhnte, ein rohes, lautes Geräusch, das ich so von mir nicht kannte. Ich öffnete die Augen und betrachtete Alice, während ich mich bewegte. Sie küsste mich, rang nach Luft, sah mich auf eine Art an, die sich hungrig anfühlte. Wir waren Haut auf Haut, überall Hände, ich spürte ihren feuchten Atem, die Wärme ihres Körpers, innen und außen, Alice’ Anspannung, ihr Stöhnen, meine langsamen Bewegungen – ganz in sie hinein, weit aus ihr heraus. Schweiß, Reibung, ihre Brüste, die sich an meinen Oberkörper pressten, ihre Lippen, die meine suchten. Unser Kuss vertiefte sich, wurde gierig. Ich würde es nicht mehr lang aushalten, das wusste ich – aber ich konnte nicht aufhören.

Ich drang tief in sie ein, im selben Moment spürte ich das Pulsieren ihres Unterleibs, spürte, wie es meinen Schwanz massierte. Die folgenden Sekunden waren wie eine Explosion.