Liebe mit beschränkter Haftung - Jana Voosen - E-Book + Hörbuch

Liebe mit beschränkter Haftung E-Book

Jana Voosen

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Beschreibung

Suche Vater meines zukünftigen Kindes – Liebe ausgeschlossen

Mia Sommer ist eine unverbesserliche Romantikerin, liebt kitschige Liebesfilme und schleicht sich auch schon mal in eine fremde Hochzeit ein. Doch frisch verlassen kommt sie ins Grübeln. Was, wenn es sie gar nicht gibt, die große Liebe? Wie lange kann sie ihren Mutterinstinkt noch an Freunden und ihrem Jack-Russel-Terrier Idefix ausleben? Die kleine, fiese biologische Uhr tickt. Kurz entschlossen startet Mia ihr neues Lebenskonzept: Familie: Ja! Liebe: Nein! Kann das gut gehen?

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Seitenzahl: 360

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Romantik-Junkie auf Entzug

Mia Sommer (36),

weiblich, ledig, nicht mehr ganz jung, sucht Mann zwecks Familiengründung. Bitte keine Rosen, Liebesbriefe oder sonstige romantische Gesten!

Marko Graf (38),

attraktiv, zynisch, Immobilienmakler mit eigener Firma, aber ohne Glauben an die Liebe!

Ein Traumpaar ist geboren. Da kann doch nichts mehr schiefgehen! Oder?

Jana Voosen, Jahrgang 1976, studierte Schauspiel in Hamburg und New York. Seitdem war sie in zahlreichen TV-Produktionen (»Tatort«, »Marienhof«, »Hochzeitsreise zu viert« u. a.) zu sehen. Jana Voosen lebt und arbeitet in Hamburg. Mehr Informationen zur Autorin unter www.jana-voosen.de

Jana Voosen

Liebe mit

beschränkter

Haftung

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Originalausgabe 06/2012

Copyright © 2012 by Jana Voosen

Copyright © 2012 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Susann Rehlein

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

Umschlagabbildung: © Eric Isselée/iStockphoto;

© shutterstock/maryloo

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-07604-7

www.heyne.de

Für

Anthony S.

und

Miss Amanda Jones

Prolog

Guten Tag, mein Name ist Mia Sommer und ich liebe Rosamunde Pilcher. Da! Ich habe es gesagt. Und ich stehe dazu, auch wenn vielen Leuten meiner Generation alleine bei der Nennung dieses Namens übel wird. Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen seltsam. Und ganz sicher senke ich den Altersdurchschnitt der Zuschauer um mindestens zwanzig Jahre. Aber ich liebe nun einmal seichte Liebesfilme mit garantiertem Happy End. Ich liebe bunte Farben und schöne Landschaftsaufnahmen. Ich liebe eine Welt, in der auch Frauen, die nicht mehr ganz jung und knackig sind, noch die große Liebe finden. In der Frauen mit Ende dreißig so naiv und unschuldig wie Teenager sein dürfen. Eine Welt, in der es nie regnet, die Menschen in Schlössern wohnen und die Hunde niemals pupsen …

Kapitel 1

Heute beginnt der Rest meines Lebens. Und der wird großartig werden. Einfach toll. Das habe ich mir fest vorgenommen. Manchmal muss man eben einen Schnitt machen. Neu anfangen. Die Vergangenheit hinter sich lassen und nach vorne sehen. Das ist der Plan. Denn da vorne, in meiner Zukunft, da sieht es gut aus für mich. Wundervolle Dinge warten. Es gibt keinen Grund mehr, über die Schulter zu blicken, denn was hinter mir liegt, ist nicht wirklich schön. Die Trennung von meinem langjährigen Freund Timo. Der überstürzte Auszug, das Zerplatzen von Träumen, monatelanger Liebeskummer. All das ist ja nun zum Glück vorbei. Und als symbolischen Akt des Neuanfangs habe ich heute Abend meine blaue Ikeatasche geschultert und bin hierhergekommen. In die »Schleuderei«, den Waschsalon im Hamburger Szeneviertel St. Pauli, der praktischerweise rund um die Uhr geöffnet hat. Gemeinsam mit Strümpfen, Unterhosen und Pullovern wasche ich auch mein Leben rein. All der Liebeskummer, die Selbstzweifel, weil schon wieder eine Beziehung gescheitert ist, werden auf Nimmerwiedersehen gemeinsam mit der schmutzigen Seifenlauge im Abfluss verschwinden.

Ich richte meinen Blick auf die runde Glasscheibe, hinter der meine Wäsche vor sich hinschleudert, und warte darauf, dass ein erhebendes Gefühl von mir Besitz ergreift. Leider lässt es auf sich warten. Vielleicht war das mit dem Waschen doch keine so gute Idee? Ich reibe meine klammen Finger aneinander und kuschele mich fester in meinen langen, braunen Wintermantel. Ziemlich kalt ist es hier drin und die knallpinke Plastikbank, auf der ich seit einer Stunde hocke, hat sicher mittlerweile ihr Muster für immer auf meinem Hintern verewigt.

Silvester alleine im Waschsalon, vielleicht war die Idee doch nicht ganz so brillant, denke ich, während ich mich steifbeinig erhebe und an die Fensterfront trete. Auch diesen Ausblick hatte ich mir anders vorgestellt. Ich dachte, ich könnte in die sternklare Nacht hinausschauen und das imposante Feuerwerk bewundern. Aber schon gegen halb elf wurde mir klar, dass daraus nichts werden würde. Über Hamburg hängt eine dichte Wolkendecke, die dazu führt, dass der Rauch von den Silvesterböllern, die schon seit Stunden in immer kürzeren Abständen in die Luft geschossen werden, nicht abziehen kann. Draußen herrscht dichter Nebel. So dicht, dass ich nicht einmal mehr die Straße erkennen kann. Irgendwie hat das was von Endzeitstimmung. Da draußen könnte jetzt die Welt untergehen, ich würde es nicht mitkriegen. Aber ich denke jetzt einfach mal positiv und gehe davon aus, dass Hamburg noch da sein wird, wenn sich der Nebel gelichtet hat. Um mich ein wenig aufzuwärmen, drehe ich eine Runde durch den Waschsalon mit seinen in der Mitte des Raumes aufgestellten Waschmaschinen. Am anderen Ende verlangsame ich meine Schritte und schiele vorsichtig auf die Bank, auf der es sich die einzige Gesellschaft, die ich an diesem langen Abend habe, gemütlich gemacht hat. Wobei natürlich sowohl Gesellschaft als auch Gemütlichkeit relative Begriffe sind. Irgendwie sind die bunten Plastikplanken der Bänke hier drin genauso gemütlich wie mein Silvesterabend gelungen. Verstohlen betrachte ich das von einem struppigen Vollbart überwucherte Gesicht, die knubbelige Nase mit den feinen blauen Äderchen darauf, die geschlossenen Lider und die tief in die Stirn gezogene grau-blau gestreifte Pudelmütze. Der Mann hat sich ganz fest in eine verfilzte, ausgefranste braune Wolldecke eingewickelt, neben ihm stehen mehrere vollgestopfte Plastiktüten. Seit ich hier angekommen bin, hat er sich nicht gerührt, und wenn er nicht ab und zu ein lautstarkes Schnarchen von sich geben würde, hätte ich wahrscheinlich schon längst einen Krankenwagen gerufen. Da ist es wieder, ein schleimig rasselndes Grunzen, das mich zurück in meine Ecke des Waschsalons treibt. Siehst du, Mia, anderen Leuten geht es viel schlechter als dir, murmele ich mir dabei zu. Auch wenn in letzter Zeit nicht alles rundlief, habe ich doch so viel, was andere nicht haben. Eine hübsche kleine Zweizimmer-Dachgeschosswohnung zum Beispiel, in der ein gemütliches Bett steht, dessen Decke und Kopfkissen ich, sobald ich nach Hause komme, mit meiner schönen cremefarbenen Satin-Bettwäsche beziehen kann. Apropos, die ist jetzt gerade fertig geschleudert. Ich rollere einen der türkisfarbenen Plastikkörbe heran, leere die Maschine aus und werfe alles in den Trockner. In diesem Moment verkündet mein Handy piepsend die Ankunft einer SMS.

UNSEREN LIEBEN FREUNDEN WÜNSCHEN

WIR EIN FROHES NEUES JAHR.

LIEBE GRÜSSE VON DEN BERGERS.

Wow. Es ist tatsächlich schon eine Minute nach zwölf. Da habe ich doch glatt den Jahreswechsel verpasst. Unschlüssig stehe ich mitten im Waschsalon und weiß nicht so recht, was ich jetzt tun soll. Niemand ist hier, den ich umarmen und dem ich ein frohes neues Jahr wünschen kann. Aber das habe ich mir schließlich selber so ausgesucht, darum kann ich jetzt schlecht rumjammern. Also schlinge ich die Arme um mich selbst und sage laut: »Frohes Neues, liebe Mia. Es soll das schönste Jahr deines Lebens werden. Und all deine Wünsche sollen sich erfüllen.« Zugegeben, es fühlt sich ein bisschen komisch an, mich hier selbst zu knuddeln, aber irgendeiner muss es ja tun. Schließlich setze ich mich wieder auf die Plastikbank und überlege, ob jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, meine beste Freundin Kati anzurufen, die mit ihrem neuen Freund Paul auf Mallorca Silvester feiert. Die beiden hatten mir zwar angeboten, mitzukommen, aber mit einem frischverliebten Pärchen in romantischer Umgebung den Jahreswechsel zu feiern, ist bestimmt noch frustrierender als meine jetzige Abendgestaltung. Außerdem will Kati Paul endlich eröffnen, dass sie von ihm schwanger ist. Zeit wird’s, finde ich, schließlich ist sie bereits in der zwölften Woche.

»Ich weiß«, hat sie geseufzt und mich mit ihren blauen Kulleraugen angesehen, »aber weil wir uns doch erst seit vierzehn Wochen kennen … ich wollte unsere Beziehung nicht gleich am Anfang damit belasten.«

»Ein Kondom wäre eine tolle Idee gewesen«, habe ich zum wohl hundertsten Mal gesagt, aber dann eingelenkt, »keine Sorge, Süße, guck ihn einfach so an wie mich jetzt gerade, dann wird alles gut.«

»Also bist du nicht böse, dass ich dich an Silvester alleinlasse?«

»Quatsch! Mir fällt schon was Tolles ein!«

Wie es um meinen Einfallsreichtum bestellt ist, sehe ich ja jetzt. Was mache ich hier eigentlich? Eine gestandene Frau von sechsunddreißig Jahren, die an Silvester im Waschsalon sitzt, das ist nicht cool. Das ist deprimierend. Und schon habe ich einen Kloß im Hals. Zum Glück fällt mir jetzt die Flasche Champagner in meiner Ikea-Tasche ein, die ich, nebst Plastik-Sektflöte, mitgenommen habe. In diesem Moment klingelt mein Handy.

»Hallo?«

»Süße, ich … endlich … Netz überlastet … frohes … und ganz viel …«, dringen Wortfetzen an mein Ohr. Aber ganz eindeutig erkenne ich Katis Stimme.

»Ich verstehe kein Wort. Aber für euch auch alles Liebe!«, brülle ich in den Hörer und halte mir dann erschrocken die Hand vor den Mund, weil vom anderen Ende des Waschsalons ein unwilliges Grunzen ertönt. »Wie schön, dass du anrufst«, fahre ich etwas leiser fort.

»… Empfang … kaum … verstehen.«

»Ich glaube, das Netz ist total überlastet«, nicke ich. »Kannst du mich denn hören?«

»Süße … kein Wort … Paul … auch.«

»Grüß ihn auch schön von mir«, plappere ich weiter. »Hast du es ihm schon gesagt?«

»Verdammtes … keinen Zweck.« Ich hoffe, sie meint damit das Telefonnetz und nicht ihre Beziehung.

»Na, wahrscheinlich steht er gerade neben dir und du kannst nicht so richtig reden, nicht wahr?«

»… besser … Schluss …«

»Nein, bitte leg doch noch nicht auf«, sage ich, obwohl ich natürlich weiß, dass man das, was hier gerade passiert, nicht wirklich als Konversation bezeichnen kann. Aber es ist so schön, Katis Stimme zu hören, und wenn es nur Wortfetzen sind.

»Süße … ich …«

»Wann kommt ihr denn wieder? Du glaubst ja nicht, wie ich dich vermisse. Du musst mir alles haarklein erzählen, sobald du zurück bist, okay? Sollen wir gleich was ausmachen? Ich könnte euch vom Flughafen abholen, das wäre gar kein Problem und …«

Tut – tut – tut. Ich lasse das Handy sinken. Aber immerhin hat mich Katis Anruf so weit abgelenkt, dass der sich ankündigende Heulkrampf gestoppt wurde. Auch wenn ich kein Wort verstanden habe, war es doch schön, dass sie an mich gedacht hat. Und offensichtlich nicht nur sie. Inzwischen sind vier Kurzmitteilungen auf meinem Handy eingetroffen. Von wem die wohl sind?

EIN FROHES NEUES JAHR!

ALLES LIEBE UND HOFFENTLICH BIS BALD MAL WIEDER! MELANIE

HALLO, IHR LIEBEN! HOFFEN, IHR SEID GUT REINGERUTSCHT! EIN GLÜCKLICHES NEUES JAHR WÜNSCHEN EUCH VON HERZEN EURE SARAH UND HANNO

EIN SCHÖNES NEUES JAHR WÜNSCHEN EUCH EVA, JENS UND LUCA (DER AM LETZTEN TAG DES ALTEN JAHRES ZUM ERSTEN MAL SEIN KÖPFCHEN SELBSTSTÄNDIG GEHOBEN HAT)

IHR LIEBEN …

Nachdem meine Hoffnung, dass möglicherweise wenigstens die letzte SMS an mich persönlich gerichtet sein könnte und vielleicht sogar inhaltlich mehr zu bieten hätte als das Übliche FROHES-NEUES-BLABLA, sich nicht erfüllt hat, überfliege ich sie nur noch und werfe einen kurzen Blick auf den Absender. Julia. Julia? Welche Julia? Ich kenne keine Julia, wenn man mal von Julia Konradi absieht, die damals in der Grundschule für ein halbes Jahr neben mir saß, bevor sie beschloss, sich einen Sitznachbarn zu suchen, der etwas von Mathe versteht und sie abschreiben lässt. Kurz fühle ich mich verpflichtet, die Neujahrsgrüße zu beantworten, entscheide mich dann aber dagegen. Wahrscheinlich wird es sowieso niemandem auffallen. Ich mag keine Massen-SMS zu Weihnachten oder Silvester. Rundmails sind doof. Über Rundmails freut sich nur einer, und das ist der Telefonanbieter. Was da alleine heute Nacht für ein Geld gemacht wird, da möchte ich gar nicht drüber nachdenken. Ich werde doch diese Verschwendung nicht noch unterstützen. Stattdessen rufe ich lieber meinen besten Freund Daniel an. Es klingelt ziemlich lange und ich fürchte schon, dass sich nur die Mailbox melden wird, als er schließlich doch noch drangeht.

»Hey, Schneewittchen«, so nennt er mich, weil ich pechschwarze Haare und blasse Haut habe, »frohes neues Jahr!«

»Das wünsche ich dir auch! Alles Gute! Und dass du dieses Jahr endlich deine Schreibblockade überwindest.« Trotz eines abgeschlossenen Jurastudiums hat Daniel sich nämlich für ein Leben als Schriftsteller entschieden. Eine tolle Sache, wie ich finde. Problematischerweise arbeitet er aber schon seit zehn Jahren an seinem Debütroman, hält sich mit einem Nebenjob an einer Tankstelle über Wasser und kommt irgendwie nicht in die Gänge.

»Ja, dein Wort in Gottes Ohr«, gibt er wenig zuversichtlich zurück.

»Was macht ihr denn gerade so?«, erkundige ich mich nach ihm und seiner neuen Freundin Franzi.

»Das ist doch nicht zu fassen, dass du jetzt ans Telefon gehst«, faucht jemand im Hintergrund.

»Oh. Störe ich?«, frage ich.

»Nein, du störst überhaupt nicht«, gibt Daniel zurück, während Franzi ganz anderer Meinung zu sein scheint.

»Du bist doch echt nicht mehr ganz dicht«, wirft sie ihm an den Kopf.

»Franzi, was ist denn los? Warum regst du dich so auf?«, höre ich ihn sagen und dann bricht seine Freundin in Tränen aus und stammelt irgendetwas, das ich nicht verstehen kann.

»Daniel, seid ihr etwa gerade miteinander im Bett?«, frage ich ahnungsvoll.

»Na ja«, gibt er gedehnt zurück, »aber doch, ähm, nachher.« Franzi heult noch ein bisschen lauter und ich kann über meinen stoffeligen besten Freund mal wieder nur den Kopf schütteln.

»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, ergreife ich Franzis Partei, obwohl sie und ich nicht gerade das sind, was man Freundinnen nennt. Eher im Gegenteil. Sie hasst mich, wobei ich nicht genau weiß, weshalb, und ich kann sie nicht besonders gut leiden, weil, na ja, vermutlich weil sie mich hasst. Das ist eine Eigenschaft, die ich bei anderen Leuten nur schwer akzeptieren kann. Dennoch, während des Nachspiels ans Telefon zu gehen, das geht nun wirklich zu weit.

»Was habe ich denn gemacht? Ich hab doch gar nichts gemacht«, stammelt Daniel hilflos, »Franzi, lauf nicht weg. Bitte!«

»Du solltest sie lieber wieder einfangen«, rate ich ihm und kann förmlich vor mir sehen, wie er seinen nicht eben zierlichen Körper aus dem Bett wuchtet.

»Ich verstehe das nicht«, jammert er dabei vor sich hin. »Wieso kann ich nicht ans Telefon gehen, wenn meine beste Freundin anruft, die Silvester mutterseelenalleine zu Hause sitzt?«

»Ich bin nicht zu Hause, sondern im Waschsalon«, sage ich bestimmt.

»Was machst du denn im Waschsalon?« Im Hintergrund höre ich eine Tür zuschlagen.

»Daniel«, sage ich geduldig, »du solltest wirklich mal lernen, Prioritäten zu setzen. Es ist doch jetzt viel wichtiger, Franzi zurückzuholen, als herauszufinden, was deine jämmerliche beste Freundin jetzt schon wieder für einen merkwürdigen Einfall hatte.«

»Ich finde dich gar nicht jämmerlich!«

»Danke. Läufst du ihr jetzt hinterher oder nicht?«

»Ja, natürlich. Ähm, ich rufe dich morgen zurück, okay?«

»Mach das! Viel Glück!«

»Danke«, sagt er kläglich. »Eigentlich bin ich zu alt für so was!«

»Dann solltest du dir eine Frau in deinem Alter suchen«, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen.

»Ich weiß«, gibt er friedfertig zurück, »ich habe ein Problem.«

»Ich auch! Frohes Neues!«

Kopfschüttelnd verstaue ich das Telefon wieder in meiner Manteltasche und hoffe, dass Daniel Franzi wieder versöhnen kann. Ich würde ihm so sehr wünschen, dass mal eine seiner Beziehungen funktioniert, aber irgendwie hält er es nie länger als drei Monate durch. Ich erhebe mich von der kalten Bank, um jetzt endlich mit mir selbst auf das neue Jahr anzustoßen. Gerade, als ich nach der Flasche greife, streift mich ein Luftzug. Im nächsten Moment rast ein dunkles Wollknäuel auf mich zu und springt schwanzwedelnd und freudig bellend an mir hoch.

»Tequila! Aus! Komm sofort hierher. Du weißt genau, dass du das nicht darfst. Lass die Frau in Ruhe.«

»Ach, ist schon gut«, sage ich und kraule Tequila, einen kohlrabenschwarzen Mischlingshund, zwischen den Ohren. »Ich habe selber einen Hund. Das riecht er wahrscheinlich.«

»Er ist völlig außer Rand und Band!« Jetzt taucht auch Tequilas Frauchen hinter der langen Reihe von Waschmaschinen auf, eine kleine Frau, die in ihrem langen, schwarzen Daunenmantel fast versinkt. Nur ein winziges, von Falten durchzogenes Gesichtchen lugt aus der riesigen Kapuze hervor. »Diese Knallerei da draußen macht den armen Hund ganz wahnsinnig.« Ich nicke verständnisvoll. Aus dem gleichen Grund habe ich Idefix schon gestern Abend zu meinen Eltern gebracht, die eine knappe Autostunde von Hamburg entfernt auf dem Land leben. »Vielleicht hätte ich ihn gar nicht nach draußen bringen sollen, aber was muss, das muss! Außerdem wollte ich hier noch schnell nach dem Rechten sehen.« Sie schält sich aus ihrem Monstrum von Jacke und übrig bleibt eine zierliche Gestalt in Jeans und dickem, rotem Wollpullover. Ein dünner, grauer Zopf fällt ihr über den Rücken bis auf die Taille.

»Ich kenne Sie doch, oder?«, frage ich.

»Aber ja«, nickt sie. »Wir haben uns hier schon ein paarmal gesehen.« Na klar, die Putzfrau, fällt bei mir der Groschen.

»Mir gehört der Waschsalon.« Ups. Knapp daneben. »Ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen!«

»Danke, Ihnen auch!«

Sie wirft einen Blick auf meinen Wäscheberg. »Da haben Sie sich ja einen interessanten Zeitpunkt ausgesucht, um Ihre Wäsche zu waschen«, kommentiert sie ohne eine Spur von Ironie in der Stimme. »Ich hätte eigentlich nicht erwartet, jemanden hier anzutreffen. Außer Hartmut vielleicht.« Mit dem Daumen deutet sie auf den schlafenden Mann, der hier also offensichtlich nicht zum ersten Mal übernachtet.

»Ja, ich, also …« Ich winde mich vor Verlegenheit, aber sie schüttelt lächelnd den Kopf. Anscheinend verlangt sie gar keine Erklärung von mir.

»Sie werden schon Ihre Gründe haben«, meint sie und sieht mich freundlich aus ihren wachen, grauen Augen an. »Genauso, wie ich meine Gründe habe, meinen Mann zu Hause vor dem Fernseher sitzen zu lassen, um hier nach dem Rechten zu sehen.« Sie lächelt vor sich hin, während sie die Waschpulvergefäße, die einfach auf den Maschinen stehen gelassen wurden, einsammelt und zurück zum Münzautomaten bringt.

»Das wollte ich auch gerade machen«, rufe ich ihr schuldbewusst hinterher, aber sie winkt ab.

»Warum? Dazu bin ich doch da.« Wirklich? Die Besitzerin des Waschsalons ist dafür da, hier aufzuräumen? »Ich heiße übrigens Hilde.« Sie sammelt die fahrbaren Waschkörbe ein und stellt sie in Reih und Glied an der Wand auf.

»Mia«, stelle ich mich vor und schüttele ihre Hand, die so winzig ist wie die eines achtjährigen Kindes, aber dabei kräftig und voller Schwielen. In diesem Moment fällt mir der Schampus in meiner anderen Hand wieder ein.

»Stoßen Sie mit mir aufs neue Jahr an?«, frage ich und sie nickt.

»Gerne.« Mit einem lauten Knall fliegt der Korken aus der Flasche und der Champagner ergießt sich in weißem Schaum auf das graue Linoleum.

»Kein Problem. Das wische ich dann weg«, sagt Hilde.

»Aua!«, ertönt gleichzeitig ein Aufschrei zu unserer Rechten, gefolgt von einem rasselnden Hustenanfall. Besorgt schaue ich zu dem zerlumpten Mann hinüber, den ich offensichtlich mit meinem Korken abgeschossen habe und der sich jetzt mühsam und nach Luft ringend aufrappelt.

»Entschuldigung, das war keine Absicht«, rufe ich verlegen zu ihm rüber, während Hilde hingeht und ihm resolut auf den Rücken klopft.

»Danke«, krächzt er heiser, »es geht schon.«

»Na, dann ist ja alles gut. Frohes Neues«, sagt sie.

»Danke. Schon nach zwölf?« Er linst verschlafen in Richtung der Fensterfront, hinter der der Nebel noch dichter geworden ist. »Was ist denn da draußen los? Geht die Welt unter?«

»Nicht heute Nacht. Wir wollten gerade anstoßen. Na los, kommen Sie doch!« Energisch winkt die kleine Frau mich zu sich heran.

»Ähm, ich habe aber leider nur ein Glas«, gebe ich zu bedenken.

»Kein Problem, ich hab hier was.« Erstaunlich energetisch beginnt Hartmut, in seinen Plastiktüten zu kramen und zieht schließlich eine leere Pfandflasche hervor. »Das wird wohl gehen.« Ich gieße den teuren Champagner in seine Aldi-Mehrweg-Flasche, dann fülle ich die Sektflöte und reiche sie Hilde. Ich selbst nehme die Flasche. Feierlich erheben wir unsere Trinkgefäße und ich fühle mich plötzlich ganz merkwürdig in dieser seltsamen Silvesterrunde. Doch Hilde nickt mir freundlich zu und auch Hartmut lächelt und entblößt dabei sein sehr lückenhaftes Gebiss. »Auf ein glückliches neues Jahr! Wünscht euch was!«, sagt Hilde und mit einem unebenen Geräusch stößt Plastik an Glas. Ich setze die Flasche an den Mund, schließe die Augen und nehme einen tiefen Zug. Das prickelnde Getränk rinnt mir über die Zunge und die Kehle hinunter, während der Gedanke durch meinen Kopf schießt: Ich will eine eigene Waschmaschine. Erschrocken reiße ich die Augen wieder auf und versuche, den Wunsch zurückzudrängen, aber zu spät. Schlagartig fallen mir tausend Dinge ein, die ich mir hätte wünschen können: die große Liebe, eine Familie, von mir aus auch Weltfrieden oder genug zu essen für alle Menschen. Und was wünsche ich mir? Ein Haushaltsgerät.

Kapitel 2

Als ich am nächsten Morgen gegen elf in meinem himmelblauen, von den Silvesterknallern mit einer dicken Staubschicht überzogenen Corsa zu meinen Eltern aufbreche, um Idefix abzuholen, hat sich der Nebel einigermaßen verzogen. Wie an jedem Neujahrsmorgen ist die Stadt wie ausgestorben. Berge von abgebrannten Silvesterknallern liegen schlapp, grau und durchnässt in den Straßen und schaffen eine düstere Atmosphäre. Während ich auf die leere Autobahn Richtung Husum auffahre, wandern meine Gedanken unwillkürlich zu meinem Exfreund. Wie er wohl den gestrigen Abend verbracht hat? Sicher nicht im Waschsalon, so viel ist sicher. Bei meinem Auszug vor vier Monaten habe ich nämlich die Spülmaschine mitgenommen und ihm im Gegenzug die Waschmaschine dagelassen. Schon merkwürdig, dass man vier Jahre sein gesamtes Leben mit jemandem teilt, und dann verschwindet er von einem Tag auf den anderen und man weiß nichts mehr von ihm. Nicht, was er macht oder wie es ihm geht. Eigentlich schade. Sicher, direkt nach unserer Trennung vor vier Monaten war die absolute Funkstille, die Timo uns verordnet hat, das einzig Richtige. Ich habe mich nämlich mit dem Ende unserer Beziehung schwergetan. Mancher würde vielleicht behaupten, dass ich mich kurzzeitig in eine Stalkerin verwandelt habe, wenn man denn dieses böse Wort für eine liebeskummergeplagte Frau verwenden muss, die öfter mal unangekündigt vor der Haustür ihres Exfreundes auftaucht. Oder ihn ab und zu mal anruft. Tagsüber. Nachts. Im Minutentakt. Ich spüre, wie mir bei der Erinnerung die Schamesröte ins Gesicht steigt. Aber in emotionalen Ausnahmesituationen neige ich leider zu irrationalem Verhalten. Ich hoffe, dass ich in Timos Erinnerung nicht das Häufchen Elend bin, als das er mich zuletzt gesehen hat. Sondern dass er auch an unsere schönen Zeiten denkt. Dass er mich vielleicht sogar manchmal vermisst. Mit der rechten Hand krame ich in meiner auf dem Beifahrersitz liegenden Tasche nach meinem Handy und werfe einen prüfenden Blick auf das Display. Wäre doch möglich, dass er mir eine SMS geschickt hat. Als Friedensangebot. Das würde sich doch anbieten zum Jahreswechsel. Aber Fehlanzeige. Obwohl ich nicht wirklich damit gerechnet habe, bin ich enttäuscht. Vielleicht sollte ich ihm eine Nachricht schicken? Nichts Emotionales natürlich, nur einen lockeren Neujahrsgruß, der zwischen den Zeilen sagt: Hey, bei mir ist alles gut! Und ich bin auch nicht mehr sauer, also musst du nicht befürchten, dass ich bei unserer nächsten Begegnung wieder das Rumpelstilzchen gebe. Die alte Mia ist zurück. Ich werfe einen Blick auf die Uhr, es ist kurz vor halb zwölf, und beschließe, die Entscheidung um ein paar Stunden zu vertagen. Wer eine richtig coole Silvesternacht hatte, kriecht nicht vor zwei aus den Federn und ist frühestens um fünf überhaupt in der Lage, zusammenhängende Worte auf seinem Handy zu tippen. Außerdem gebe ich Timo damit die Chance, sich möglicherweise doch noch als Erster bei mir zu melden. Entschlossen lasse ich das Telefon zurück in meine Tasche fallen, drehe das Radio lauter und gröle aus vollem Halse mit, dass ich noch niemals in New York und auch nicht auf Hawaii war.

Ein bisschen heiser, aber deutlich besserer Laune biege ich in die Einfahrt des umgebauten Bauernhofs meiner Eltern ein und parke vor dem altmodischen, dunkelgrün gestrichenen Tor. Ich steige aus dem Wagen und sehe mich suchend nach meinem Hund um, der mich normalerweise freudig bellend begrüßt. Aber nirgendwo ist ein kleiner Jack Russel Terrier mit schwarzen und braunen Flecken auf weißem Fell zu sehen. Vermisst mich denn wirklich überhaupt keiner? Bevor ich wieder in Selbstmitleid versinken kann, wird das Schlafzimmerfenster im ersten Stock aufgerissen und meine Mutter winkt mir fröhlich zu.

»Hallo!«

»Hallo«, rufe ich zu ihr hinauf und im nächsten Moment öffnet sich auch die schwere Eingangstür und mein Vater zieht mich in seine Arme.

»Frohes neues Jahr, meine Tochter!«

»Dir auch, mein Vater«, grinse ich und sehe in sein fröhliches, rundes Gesicht unter dem noch immer dichten, grauen Haarschopf.

»Du, bevor ich es vergesse«, damit nimmt er mich beim Arm und zieht mich in die geräumige Wohnstube, in deren Ecke, neben dem gewaltigen Kamin, noch immer der geschmückte Tannenbaum steht und gemütlich vor sich hinnadelt, »mit deinem Hund stimmt irgendwas nicht.«

»Wie bitte?«

In diesem Moment kommt meine Mutter dazu. »Jetzt ist sie erschrocken! Also wirklich, Rainer, du hast aber auch ein Händchen fürs Dramatische.« Missbilligend schüttelt sie den Kopf und tätschelt mir dann die Wange. »Keine Sorge, mit deinem Hund ist alles okay, er hat nur ein paar leichte … Verdauungsbeschwerden.«

»Oh, ja stimmt! Ich hätte euch vielleicht besser vorgewarnt«, sage ich schuldbewusst.

»Das ist doch nicht weiter schlimm«, winkt meine Mutter ab, während wir uns auf der dunkelbraunen Couchgarnitur niederlassen, wo bereits Tee und Unmengen von übrig gebliebenem Weihnachtsgebäck auf mich warten.

»Nicht schlimm? Ich habe zuerst einen Gasangriff befürchtet«, mein Vater lässt sich ächzend neben mir nieder. »Und deine Mutter hat natürlich mich beschuldigt und mir gleich mal einen Vortrag über meine ungesunde Lebensweise gehalten.« Zufrieden streichelt er über seinen vorstehenden Bauch. »Dabei funktioniert meine Verdauung tiptop okay. Da gibt es nichts dran zu beanstanden.«

»Äh, interessant«, sage ich und meine Mutter pflichtet mir kopfschüttelnd bei.

»Ja, wirklich sehr interessant, Rainer. Möchtest du das vielleicht noch weiter ausführen?« Sie rollt die Augen gen Himmel.

»Ach so, ich darf nicht mal darüber reden, aber der Hund darf hier ungestraft in der Gegend rumpupsen, ja?«, macht mein Vater auf beleidigt. Meine Mutter verzichtet auf eine Antwort und wendet sich stattdessen wieder mir zu.

»Vielleicht solltest du mal mit ihm zum Tierarzt gehen. Nicht dass was Ernsthaftes dahintersteckt.«

»War ich schon«, sage ich achselzuckend und stopfe mir ein selbst gebackenes Vanillekipferl in den Mund. »Aber organisch ist alles in Ordnung mit ihm. Sozusagen tiptop okay«, füge ich mit einem Grinsen hinzu. »Der Arzt meint, es ist psychosomatisch.«

»Wie bitte?!«, sagen meine bodenständigen Eltern wie aus einem Mund. Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal, dass so ein Hund überhaupt eine Psyche besitzt. Aber mein kleiner Idefix ist eben ein ganz besonders sensibles Tier.

»Es hat mit der Trennung von Timo angefangen«, erkläre ich. »Genau genommen in meiner neuen Wohnung. Ist ja auch kein Wunder, schließlich kannte er Timo schon sein ganzes Leben und dann ist er plötzlich von einem auf den anderen Tag nicht mehr da. Das ist natürlich ein Schock für so ein Tier. Und ich kann es ihm noch nicht einmal erklären.« Vor lauter Mitleid mit meinem Hund bekomme ich einen dicken Kloß im Hals.

Zweifelnd sieht mein Vater mich an. »Vielleicht ist er allergisch gegen den Teppichkleber bei dir zu Hause.«

»Ich habe Laminat.«

»Dann ist er eben dagegen allergisch. Oder gegen die Wandfarbe. Oder was weiß ich. Psychosomatisch. Ich bitte dich!«

»Es ist aber so«, beharre ich. Manchmal gibt es eben keine rationale Erklärung. »So eine Hundeseele ist unheimlich sensibel.«

»Was hat denn seine Seele mit dieser Pupserei zu tun?«

»Das ist seine Art, gegen die Veränderungen in seinem Leben zu protestieren«, gebe ich weiter, was der Tierarzt mir gesagt hat und was sich in meinen Ohren höchst plausibel anhört.

»Du meinst, er verpestet deine Wohnung …«

»… weil er zurück in unsere alte Wohnung will, ja. Zurück zu Timo«, bestätige ich. Meine Eltern gucken dermaßen irritiert aus der Wäsche, dass es anfängt, mir ein bisschen Spaß zu machen, und so setze ich noch einen drauf. »Er ist ein Scheidungshund.« Ein paar Sekunden herrscht Totenstille, dann räuspert sich mein Vater verlegen.

»Aber«, gibt er zu bedenken, »ihr wart doch noch nicht einmal verheiratet.« Die leichte Amüsiertheit entweicht aus mir wie aus einem Luftballon.

»Das weiß ich selber, aber glaubst du, dass so ein Papier irgendeinen Unterschied macht? Er leidet nun einmal und es tut mir leid, dass er deinen feinen Geruchssinn damit belästigt hat. Dann bringe ich ihn das nächste Mal eben in die Hundepension.« Meine Güte, ich bin aber heute auch wieder dramatisch.

»Wieso das denn? Habe ich gesagt, dass ich Idefix nicht hierhaben will?«, fragt mein Vater und sieht Hilfe suchend meine Mutter an. »Das habe ich nicht gesagt. Wir nehmen deinen Hund jederzeit gerne.«

»Das weiß sie«, sagt meine Mutter und tätschelt meine Hand.

»Man wird doch wohl noch was sagen dürfen, wenn er rumstänkert wie ein Großer. Wir machen uns schließlich auch Sorgen um seine Gesundheit«, fährt mein Vater fort und schon tut es mir wieder leid, dass ich so biestig war.

»Ich bin im Moment ein bisschen empfindlich«, entschuldige ich mich. »Wo ist Idefix überhaupt?« Meine Eltern werfen einander einen vielsagenden Blick zu.

»Er macht, was jedes Scheidungskind früher oder später tut«, sagt meine Mutter und kann sich dabei ein Grinsen kaum verkneifen. »Er versucht, zu schockieren.«

»Wie bitte?« Ich verstehe nur Bahnhof. Statt einer Antwort zieht sie mich an der Hand vom Sofa und führt mich quer durchs Wohnzimmer in die riesige, ganz in Weiß und Blau gehaltene Küche, wo mir der Duft von frischen Kräutern und Knoblauch in die Nase steigt. Auf dem riesigen, freistehenden Kochblock in der Mitte des Raumes blubbert mal wieder irgendeine Suppenkreation vor sich hin, und davor liegt ein schwarz-weiß-braunes Fellknäuel.

»Idefix!« Ich gehe in die Hocke, aber mein Hund denkt gar nicht daran, seinen warmen Platz vor dem Ofen aufzugeben, um mich zu begrüßen. Er öffnet lediglich ein Auge und verleiht seiner Freude, mich zu sehen, durch ein leichtes Schwanzwedeln Ausdruck. Dann schmiegt er sich enger an seine neue Freundin, die zufrieden – schnurrt.

»Darf ich vorstellen, das ist Miss Amanda Jones«, sagt meine Mutter schmunzelnd, während ich ungläubig auf das schwarz-weiße Tier zu meinen Füßen sehe.

»Sie ist eine Katze«, stelle ich schließlich fest.

»Sie ist den Nachbarn vor ein paar Wochen zugelaufen. Seit gestern Nachmittag sind die beiden unzertrennlich.«

»Aber … sie ist eine Katze«, wiederhole ich ungläubig. »Idefix mag keine Katzen.«

»Diese hier schon.« Und wie zum Beweis beginnt mein Hund, dessen Nackenhaare sich normalerweise schon beim Anblick einer Katze aufstellen, Amanda zärtlich das Gesicht abzulecken, was diese sich zufrieden maunzend gefallen lässt. Idefix wirft mir einen Seitenblick zu und sieht so glücklich aus, wie seit unserem Umzug nicht mehr. Ich muss einigermaßen schockiert aus der Wäsche gucken, denn nach einem kurzen Zögern – ich kann förmlich sehen, wie er mit sich ringt, da soll noch mal einer behaupten, Hunde hätten keine Psyche – verlässt er seinen Platz und hoppelt auf mich zu.

»Hi, mein Liebling!« Ich nehme seinen Kopf in meine Hände und kraule ihn hinter den Ohren. »Du machst ja vielleicht Sachen.« Idefix bellt vergnügt und pupst lautstark.

»O nein, nicht schon wieder«, stöhnt meine Mutter. »Und das in der Küche, also wirklich! Könnt ihr beiden euch nicht einen anderen Ort für eure Schäferstündchen suchen?«, schimpft sie mit Idefix, der aus unschuldigen Hundeaugen zu ihr hochblickt, während ich wie jedes Mal überrascht bin, dass ein solcher Gestank aus so einem kleinen Tier kommen kann.

»Gott, das ist ja wirklich atemberaubend«, ächze ich und stürze ans Fenster, um frische Luft hereinzulassen. In diesem Moment maunzt Miss Amanda Jones empört, erhebt sich und geht hoch erhobenen Hauptes an Idefix vorbei. Als der ihr schwanzwedelnd folgen will, weist sie ihn mit einem Fauchen in seine Schranken und stolziert von dannen, ohne mein Hundchen noch eines Blickes zu würdigen. Obwohl ich ein solches Verhalten natürlich empörend finde und meinen bis ins Mark getroffenen Hund sogleich auf den Arm nehme, kann ich die Katzendame auch irgendwie verstehen. Verdauungsstörungen sind natürlich alles andere als romantisch. Dennoch kraule ich dem winselnden Idefix den Kopf und flüstere ihm zu: »Wenn sie dich nicht so liebt, wie du bist, dann liebt sie dich nicht wirklich.«

Trotz der Abfuhr, die er von der Nachbarskatze bekommen hat, stellt es sich als ausgesprochen schwierig heraus, Idefix zur Heimreise zu bewegen. Während er normalerweise auf den Rücksitz springt, sobald ich nur die Türe aufmache, sitzt er heute reglos auf dem Kopfsteinpflaster und sieht mich vorwurfsvoll an. Er läuft sogar vor mir weg, als ich versuche ihn hochzunehmen, sodass ich nach einer halben Stunde schließlich aufgebe und beschließe, den Abend bei meinen Eltern zu verbringen. Was wartet denn zu Hause schon auf mich? Ein endlos langer Sonntagnachmittag, eine leere Wohnung und eine wabbelige Pizza vom Lieferservice. Hier bekomme ich dagegen ein selbst gekochtes Essen und kann am Abend mit meiner Mutter unserer gemeinsamen Leidenschaft frönen, die ich im echten Leben eher unter Verschluss halte. Tatsächlich wissen nur Kati und Daniel davon. Sicher, Timo auch, aber der hat sich von Anfang an so dermaßen darüber lustig gemacht, dass ich mein Hobby ihm zuliebe aufgegeben habe. Wenigstens zum Schein. So habe ich die Sonntagabende neben ihm auf der Couch verbracht und so getan, als könnte ich dem Tatort irgendwas abgewinnen. Und wenn mir das Geballere zu laut und die Geschichte zu spannend wurde, habe ich mich auf Dienstagabend gefreut. Denn dienstags ging Timo immer mit seinen Freunden zum Volleyball und danach einen trinken. Und ich hatte meinerseits einen Mädchenabend. Mit Inga. Oder Rosamunde.

»Heute läuft eine Pilcher-Verfilmung«, verkündet meine Mutter nach einem Blick in die Fernsehzeitung, was ich längst weiß.

»Super«, sage ich.

»O Gott«, findet mein Vater und macht sich aus dem Staub. Oder genau genommen auf den Weg in den Keller. Ich frage mich, was Männer im Keller eigentlich so tun, stundenlang. Mein Vater vergräbt sich in seinem »Werkraum«, der, nebenbei gesagt, fast so groß ist wie meine gesamte Wohnung, und puzzelt vor sich hin, ohne jemals irgendein Ergebnis zu produzieren. Warum nur hört man es trotzdem aus dem Werkraum hämmern, sägen und bohren? Das wird mir für ewig ein Rätsel bleiben. Aber manche Dinge zwischen Männern und Frauen müssen vielleicht auch nicht endgültig geklärt werden. Und immerhin überlässt mein Vater uns ohne zu murren das Feld, beziehungsweise den Fernseher, damit wir unsere Neujahrsschnulze ansehen können. Der Abend ist gerettet. Ich liebe Rosamunde Pilcher. Da! Ich habe es gesagt: Ich liebe Rosamunde Pilcher. Und dazu stehe ich, auch wenn viele Leute meiner Generation alleine bei der Nennung dieses Namens einen Würgreflex zu bekommen scheinen. Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen seltsam. Und ganz sicher senke ich den Altersdurchschnitt der Zuschauer um mindestens zwanzig Jahre. Aber ich liebe nun einmal seichte Liebesfilme mit garantiertem Happy End. Ich liebe bunte Farben und schöne Landschaftsaufnahmen. Ich liebe eine Welt, in der auch Frauen, die nicht mehr ganz jung sind, noch die große Liebe finden. In der Frauen mit Ende dreißig so naiv und unschuldig (und knackig) wie Teenager sein dürfen. Eine Welt, in der es nie regnet, die Menschen in Schlössern wohnen und die Hunde niemals pupsen. Und so verfolge ich gemeinsam mit meiner Mutter die Liebesgeschichte von Nancy Winterborough und Jonathan Harolds, träume mich weg in eine Welt, in der es Waschsalons nicht zu geben scheint und sich zwei Liebende beim vierten Date verloben, anstatt sich im vierten Jahr zu trennen.

Nach dem Film bin ich so weichgespült, dass ich Timo in einem Anflug von Großherzigkeit doch noch eine Neujahrs-SMS schreibe. Keine Liebesschwüre oder Ähnliches natürlich, nur ein knapper, freundschaftlicher Gruß:

WÜNSCHE DIR EIN FROHES NEUES JAHR

UND HOFFE, ES GEHT DIR GUT!

LIEBE GRÜSSE VON MIA

In dieser Nacht kann ich nicht schlafen. Alle fünf Minuten schrecke ich hoch und taste nach meinem Handy, das auf meinem Nachttisch liegt und keinen Ton von sich gibt. Obwohl keine neue Mitteilung angezeigt wird, durchforste ich meinen SMS-Eingangsordner. Vergeblich. Keine Nachricht von Timo. Andererseits, warum sollte er mir auch um vier Uhr morgens eine SMS schreiben? Entschlossen schalte ich mein Handy ab und kuschele mich in meine Decke. Er wird sich morgen bei mir melden. Eine freundliche Antwort schicken oder sogar gleich anrufen. Und dann kann ich mich für mein überdramatisches Verhalten von vor ein paar Wochen entschuldigen. Und er wird sagen, dass er mir das nicht übel nimmt. Weil ich ja in einer Ausnahmesituation gesteckt habe. Dass er mich nicht für vollkommen durchgedreht hält. Und dass wir von nun an Freunde sein können. So wird es ablaufen. Naja, jedenfalls so ähnlich.

Kapitel 3

Aber Timo meldet sich nicht. Die ganze Woche über kleckert noch der eine oder andere verspätete Neujahrsgruß ins Haus beziehungsweise Handy, aber von Timo kein Wort. Leider macht mich das wütender, als ich zugeben möchte. Ja, ich habe mich bei unserer Trennung danebenbenommen, aber ist das ein Grund, mich von nun an vollkommen zu ignorieren? So schlimm waren meine Ausbrüche nun auch wieder nicht. Jedenfalls im Vergleich zu den Sachen, die ich in meinen Zwanzigern so abgezogen habe. »Dramaqueen« hat Daniel mich immer genannt und erst damit aufgehört, als ich androhte, ihm die Freundschaft zu kündigen. Dann ist er auf »Schneewittchen« umgeschwenkt, was mir deutlich besser gefiel. Obwohl er natürlich mit dem ersten Namen den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Ich bin eine Dramaqueen. Immer schon. Aber ich habe mich sehr gebessert, und zum Beweis werde ich mich jetzt einfach mal damit abfinden, dass Timo nichts mehr von mir wissen will. Ist ja auch in Ordnung. Und sicher würde ich es nicht so schwernehmen, wenn ich einen neuen Freund hätte, aber die Suche gestaltet sich schwierig. Speed-Dating, von Bekannten arrangierte Blind Dates, Kontaktanzeigen, ich habe alles versucht und dabei eine Niete nach der nächsten gezogen. Wobei ich das gar nicht nur auf die Männer schieben möchte. Wahrscheinlich liegt es an mir und meiner negativen Grundeinstellung. Wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich meinen Mann nämlich gar nicht über ein Internetportal kennenlernen. Das ist irgendwie so unromantisch. Als wollte man dem Schicksal mit der Brechstange nachhelfen. Eine zufällige, romantische Begegnung wäre mir lieber. So eine, von der man noch seinen Enkelkindern erzählen kann nach dem Motto: »Es war dieser stürmische Tag an der Alster. Eurem Großvater ist sein Hut davongeflogen und hat ihn direkt vor meine Füße geführt.« Na schön, welcher Mann trägt heute schon noch einen Hut? Aber vom Prinzip her.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Halb acht am Samstagmorgen. Ein Kribbeln durchläuft meinen Körper, denn ich weiß sofort, was ich jetzt am liebsten tun möchte. Etwas, das ich in den letzten Monaten beinahe jeden Samstag getan habe, von dem ich mir aber vorgenommen hatte, es im neuen Jahr zu unterlassen. Und daran werde ich mich halten. Ich kann schließlich nicht gleich in der ersten Woche einknicken. Wenn ich zwei Monate durchhalte, kann ich im März ja vielleicht mal wieder hingehen. Als Belohnung. Aber nicht heute. Ich schlüpfe aus dem Bett und sitze zehn Minuten später im Bademantel und mit einer Tasse heißen Yogi-Tees am Schreibtisch. Wenn ich schon nicht mehr schlafen kann, dann kann ich ebenso gut an meiner Kolumne für die »Femina« schreiben, die ich nächste Woche abgeben muss. Ich starre auf den Monitor und warte auf Inspiration. Eigentlich bin ich noch todmüde, aber in letzter Zeit kann ich, einmal wach geworden, nicht mehr einschlafen. Senile Bettflucht hat Kati das irgendwann mal genannt, aber das fand ich gar nicht komisch. Mein Alter ist plötzlich, mit der Trennung von Timo, ein wunder Punkt für mich. Mit sechsunddreißig Jahren wollte ich eigentlich Mutter von drei Kindern sein. Und jetzt habe ich noch nicht mal eins. Geschweige denn den dazugehörigen Mann. Als ich noch mit Timo zusammen war, hätten wir wenigstens jederzeit mit der Familienplanung starten können, wenn wir denn gewollt hätten. Ich wollte natürlich. Und zwar von Anfang an. Aber Timo stand ziemlich massiv auf der Bremse und fand immer, dass dafür auch später noch genug Zeit wäre. Na klar, das sagt sich natürlich leicht, so als Mann. Aber immerhin hätte es irgendwann losgehen können. Im Gegensatz zu jetzt. Nun muss ich wieder von vorne anfangen. Einen Mann kennenlernen, mich verlieben, zusammenziehen … Gehen Sie zurück auf Los, begeben Sie sich sofort dorthin. Ziehen Sie keine viertausend Dollar ein.

Energisch schiebe ich meine düsteren Gedanken beiseite. »Sei dankbar für das, was du hast!«, steht auf dem rosa Post-it an meinem Computermonitor. Eben! Ich habe eine ganze Menge! Meine Eltern. Daniel und Kati. Idefix. Eine süße Zwei-Zimmer-Dachgeschosswohnung. Und nicht zuletzt genug Aufträge als freiberufliche Journalistin! Noch während meines Germanistikstudiums habe ich begonnen, für diverse Frauenzeitschriften zu schreiben, und über eine schlechte Auftragslage kann ich mich wirklich nicht beschweren. Ich schreibe alles, was man bei mir bestellt, vom Schicksalsreport über Erfahrungsberichte bis zur Ratgeber-Kolumne. Und normalerweise macht mir meine Arbeit auch großen Spaß, aber heute bringe ich nicht einen einzigen vernünftigen Satz zustande. Und meine Gedanken wandern wieder nach Eppendorf, den benachbarten Stadtteil mit den schönen Altbauhäusern und der entzückenden, kleinen Kirche, wo ich … Nein, rufe ich mich selbst zur Ordnung. Das werde ich nicht. Nicht heute. Weil es irgendwie so kläglich ist. Armselig. Erbärmlich. Aber eben auch wunderschön und tröstlich.

»Du bist ein Romantik-Junkie, Schneewittchen«, hat Daniel gesagt, als ich ihm von meiner neuen Wochenendbeschäftigung erzählt habe.

»Na und? Was ist dagegen einzuwenden?«, habe ich mich verteidigt. »Andere Leute verbringen ihren Samstag damit, sich gegenseitig mit Farbpatronen abzuschießen und Krieg zu spielen. Dagegen ist mein Hobby doch total harmlos.« Damit hatte ich Daniel natürlich den Wind aus den Segeln genommen. Aber erst Pilcher und nun auch noch das – inzwischen mache ich mir doch ein bisschen Sorgen um mich. Nicht dass ich diese Erlebnisse nicht aus vollem Herzen genießen würde. Aber verwandele ich mich möglicherweise langsam, aber sicher in eine spinnerte alte Jungfer? Werde ich noch in zwanzig Jahren hier in meiner Single-Wohnung sitzen und mich am Samstagmorgen in mein schönstes Kleid werfen? Keinesfalls, schwöre ich mir, während ich wie magnetisch angezogen zu meinem Kleiderschrank gehe und den Blick über die bunte Auswahl schweifen lasse. In zwanzig Jahren liegt all dies weit hinter mir. Ich werde mein eigenes Glück gefunden und es nicht mehr nötig haben, mich am Glück anderer zu laben. Ich ziehe mein dunkelrotes, knielanges Samtkleid mit der Rüschenborte an Ärmeln und Saum hervor und halte es prüfend vor mich. Nur noch heute. Nur noch dieses eine Mal! Ich krame nach den passenden hochhackigen Schuhen. Nach diesem trostlosen Silvester habe ich mir ein bisschen Aufmunterung redlich verdient. Und nach dieser Woche vergeblichen Wartens auf ein Lebenszeichen von Timo. Der Blödmann. Wie unhöflich von ihm, meine netten Wünsche einfach zu ignorieren. Eigentlich kann ich wirklich froh sein, dass ich ihn los bin. Ich schlüpfe in schwarze Spitzenunterwäsche und eine hautfarbene Strumpfhose. Schließlich tue ich ja niemandem weh damit! Und solange keiner Schaden nimmt, sollte jeder tun und lassen können, was er will. Das ist meine Meinung. Eine halbe Stunde später stehe ich fertig angezogen und geschminkt im Flur vor dem großen Spiegel mit dem verschnörkelten Goldrahmen und betrachte mich zufrieden. Gut sehe ich aus. Der Hungerstreik, in den ich nach der Trennung getreten bin, hat sich ausgezahlt, denn ich bin so schlank wie schon lange nicht mehr. Meine glatten, kinnlangen Haare glänzen und den Mund habe ich, ganz im Schneewittchenlook, blutrot angemalt. Meine Laune hat sich schlagartig verbessert und mein Herz klopft voller Vorfreude. Die offenen Pumps sind für die eisigen Temperaturen draußen natürlich vollkommen ungeeignet, aber was macht das schon? Schließlich ist das hier ein ganz besonderer Tag für irgendjemanden. Und ich werde dabei sein.